L 3 SB 772/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 2701/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 772/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers, der die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch begehrt, im Streit.

Der am 27.08.1956 geborene Kläger beantragte am 09.11.2008 beim Landratsamt Heilbronn - Versorgungsamt - (VA) seine Gesundheitsstörungen als Behinderung, einen GdB und seine Schwerbehinderung seit 01.01.2007 festzustellen. Er führte hierzu an, an Schmerzen im Knie, einem geschwollenen Unterschenkel, Schmerzen des linken Hüftgelenks, Rückenschmerzen, Schlafstörungen, migräneartigen Kopfschmerzen und Depressionen zu leiden. Mit seinem Antrag legte der Kläger an seinen Hausarzt, Dr. N., gerichtete Arztbriefe und andere Befundberichte vor. Das VA führte diese einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. H. zu, die in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 03.12.2007 für eine beim Kläger bestehende "degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schulter-Arm-Syndrom, Kopf-schmerzsyndrom" einen Einzel-GdB von 30, für eine "Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks" einen Einzel-GdB von 20 und für eine "depressive Verstimmung" einen Einzel-GdB von 10 als angemessen erachtete. Der GdB sei mit 40 festzustellen. Mit Bescheid vom 07.12.2007 stellte das VA fest, dass der GdB des Klägers seit dem 01.01.2007 40 betrage. Es berücksichtigte hierbei die von Dr. H. festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen und führte aus, dass den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchti-gungen mit einem GdB von 40 angemessen Rechnung getragen sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2007 Widerspruch, zu dessen Begründung er vorbrachte, die bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 40 nicht ordnungsgemäß bewertet, dieser müsse mit mindestens 50 festgestellt werden.

Auf Anfrage des VA legte der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin, Dr. N., sodann unter dem 07.05.2008 ein ärztliches Attest vor, nach dem der Kläger an einer fixierten BWS-Kyphose leide, die sehr starke Wirbelsäulenbeschwerden verursache. Ferner leide der Kläger an einer Gonarthrose mit Krepitationen beider Kniegelenke. Gleiches gelte für die Hüftgelenke. Schließlich bestünden beim Kläger Depressionen. Mit seinem Attest legte Dr. N. einen Arztbrief des behandelnden Orthopäden Dr. B. vom 17.03.2008 vor. Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. E. vom 25.06.2008 der anführte, dass ein Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden angemessen sei, die in den vorliegenden Unterlagen ausgewiesenen Hüftgelenksbeschwerden eine wesentliche Einschränkung der Streck- bzw. Beugefähigkeit nicht belegten und seitens des Kniegelenks lediglich ein geringes Streckdefizit bestehe, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2008 zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er aus, die angefochtene Entscheidung sei unter Würdigung des Vorbringens des Klägers sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme überprüft worden, jedoch nicht zu beanstanden. Ein GdB von 50 könne beispielsweise angenommen werden, wenn die Gesamtauswirkungen der verschiedenen Funktionsbeein¬trächti-gungen so erheblich seien wie etwa beim Verlust einer Hand, eines Beines im Unterschenkel oder einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule. Ein solches Ausmaß erreichten die beim Kläger vorliegenden Behinderungen nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 21.08.2008 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgebracht, der GdB von 40 spiegele die bestehenden Funktionseinschränkungen nicht ausreichend wider. Er leide seit 22 Jahren unter Wirbelsäulenbeschwerden. Der behandelnde Arzt habe Arthrosen in den Lendenwirbelkörpern 2 und 3 sowie eine Verengung des Lendenwirbelkörpers 4/5 festgestellt. Er leide unter vermehrten Schmerzen im Hals, Nacken und Schulterbereich sowie unter Migräneattacken. Auch sei er durch die Folgen eines Unfalls, die Einschränkungen des rechten Kniegelenks bedingten, beeinträchtigt.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten.

Das SG hat den behandelnden Arzt, Dr. B., schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 05.11.2008 hat Dr. B. angegeben, beim Kläger eine Cervicocephalgie, eine fixierte BWS-Kyphose, ein degeneratives lumbales Facettensyndrom, M. Baastrup L3-L4, den Verdacht auf eine Spinalkanalstenose lumbal sowie einen Z.n. Ober- und Unterschenkelfraktur rechts 1974 diagnostiziert zu haben. Dr. B. hat ferner die Einschätzung abgegeben, dass die Bewertung durch das VA vollständig die Gesundheitsstörungen erfasse, weswegen ihr zugestimmt werden könne.

Das SG hat die Beteiligten mit Schreiben vom 11.11.2008 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, im Wege eines Gerichtsbescheids, ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, sich hierzu bis zum 11.12.2008 zu äußern. Am 02.12.2008 wurde für den Kläger mitgeteilt, dass dieser beabsichtige, im Hinblick auf das Schreiben des SG nochmals bei seinen behandelnden Ärzten vorstellig zu werden und ggf. weiteren fachärztlichen Rat in Anspruch zu nehmen. Dies könne jedoch frühestens ab dem 26.01.2009 erfolgen. Das SG hat daraufhin eine Fristverlängerung bis zum 15.01.2009 gewährt und mitgeteilt, dass weiterhin beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Mit Gerichtsbescheid vom 19.01.2009 hat das SG sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet. Im Vordergrund stünden Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet. Die bestehenden Wirbelsäulenerkrankungen seien mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend berücksichtigt, da dies die mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten zutreffend wiedergebe. Die Funktionsbehinderungen des rechten Kniegelenks und des rechten Hüftgelenks seien mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, dies werde vom behandelnden Orthopäden Dr. B. bestätigt. Die bestehende depressive Verstimmung könne lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt werden. Eine stärker behindernde psychische Störung bestehe nicht. Dies zeige sich bereits daran, dass der Kläger weiterhin berufstätig sei und er, abgesehen von einer einmaligen Vorstellung beim Neurologen und Psychiater Dr. S. im Jahr 2005, wegen psychischer Beeinträchtigungen nicht in fachärztlicher Behandlung stehe.

Gegen den am 26.01.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.02.2009 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, das SG habe die angekündigte weitere Stellungnahme des Klägers nicht abgewartet. Zwischenzeitlich sei durch den Orthopäden ein Bandscheibenvorfall L4/5 nachgewiesen worden. Hierzu verweist er auf das Attest des Orthopäden Dr. P. vom 19.12.2008, das er am 26.01.2009 beim SG eingereicht hatte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2009 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2008 zu verurteilen, die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Grad der Behinderung von 50 seit dem 01. Januar 2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages bringt der Beklagte vor, die Entscheidung des SG sei auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens und des Attestes von Dr. P. nicht zu beanstanden. Ergänzend hat der Beklagte versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. W. vom 03.04.2009, Dr. G. vom 29.10.2009 und von Dr. K. vom 04.08.2011 vorgelegt.

Der Senat hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. N., Arzt für Allgemeinmedizin, hat in seiner Stellungnahme vom 07.05.2009 mitgeteilt, der Kläger habe zuletzt über stark zugenommene Rückenschmerzen geklagt. Ferner bestünden Kniebeschwerden, weswegen er ca. 5 - 6 Behandlungen pro Jahr durchführe. Als Ergebnis der Untersuchung sei eine Gonarthrose mit Ruptur des Kreuzbandes sowie eine chronische Innenmeniskusdegeneration festgestellt worden. Ferner bestünden degenerative Skeletterkrankungen, die auch die Halswirbelsäule beträfen. Dr. R., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, hat in seinen Stellungnahmen vom 14.05.2009 und vom 28.07.2009 mitgeteilt, dass er am 01.04.2009 die Praxis von Dr. P. übernommen habe und er den Kläger nach der Praxisübernahme lediglich einmal behandelt habe. Anlässlich der Untersuchung am 24.07.2009 habe der Kläger über Beschwerden im Bereich der gesamten Wirbelsäule geklagt. Es habe sich im Bereich der Halswirbelsäule eine Bewegungseinschränkung der Rotation ohne sensomotorische Defizite im Bereich der oberen Halswirbelsäule gezeigt. Im Bereich der Brustwirbelsäule bestünden paravertebrale Verspannungen und Schmerzen. Im Bereich der Lendenwirbelsäule finde sich die Stand- und Gangvaria demonstrierbar. Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, hat in seiner Stellungnahme vom 26.07.2010 mitgeteilt, dass er den Kläger einmalig behandelt habe. Anlässlich der Behandlung sei eine antidepressive Strategie mit Mirtazapin und leichten Beruhigungsmitteln vorbesprochen worden. Der Kläger habe sich jedoch sodann keinen weiteren Termin geben lassen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. R., Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem fachorthopädisch/ unfallchirurgischen Gutachten vom 08.06.2010 hat Dr. R. beim Kläger rezidivierende Cervicobrachialgien ohne sensomotorische Defizite bei beginnenden Degenerationen der HWS, rezidivierende Lumboischialgien bei degenerativen Veränderungen im Bereich der unteren LWS, insbesondere bei L4/5 und L5/S1 mit sekundärer Spinalstenose und NPP L5/S1, eine beginnende Coxarthrose beidseitig und einen Zustand nach Ober- und Unterschenkelfraktur des rechten Beines mit posttraumatischer rechtsseitiger Kniegelenksarthrose diagnostiziert. Er hat den Einzel-GdB für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit 30, für die beginnende Coxarthrose mit 10 und die posttraumatische Gonarthrose mit Bewegungseinschränkungen rechts von 0-10-90° mit einem Einzel-GdB von 20 eingeschätzt. Den GdB für die Erkrankungen auf orthopädischem/unfallchirur¬gischem Fachgebiet hat Dr. R. mit 40 eingeschätzt.

Auf einen weiteren Antrag des Klägers nach § 109 hat der Senat sodann Dr. I., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, zum gerichtlichen Gutachter ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem psychiatrischen Gutachten vom 14.04.2011 hat Dr. I. beim Kläger eine Dysthymie diagnostiziert. Dieser hat er einen leichten bis mittelschweren Grad beigemessen. Der GdB hierfür sei aus psychiatrischer Sicht mit 30 anzusetzen.

Mit Schriftsatz vom 15.09.2011 hat der Beklagte, mit solchem vom 20.09.2011 der Kläger das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für den Kläger geführten Schwerbehindertenakte, die der Senat beigezogen hat, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 2, 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des VA vom 07.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 18.07.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mit einem GdB von 40 ausreichend und angemessen berücksichtigt; er hat keinen Anspruch darauf, dass die bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem höheren GdB als 40 festzustellen sind.

Der Senat kann hierbei offen lassen, ob das SG dadurch, dass es die Frist zur in Aussicht gestellten Entscheidung im Wege eines Gerichtsbescheides nicht, wie klägerseits beantragt, bis zum 26.01.2009, sondern nur bis zum 15.01.2009, verlängert hat, das rechtliche Gehör des Klägers verletzt hat, da das Attest von Dr. P. jedenfalls im Berufungsverfahren vorgelegt und Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats wurde.

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des GdB des Klägers ist § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX).

Bei der konkreten Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinder-tengesetz (AHP), herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der jeweils gültigen Fassung (zuletzt 2008) heranzuziehen. In den AHP (die jeweilige Seitenangabe ist nach der Publikation des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Printexemplars zitiert) ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderung wiedergegeben. Die AHP ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Auch das Bundessozialgericht (BSG) betont die Bedeutung der AHP und beschreibt sie als "einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge" (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 01.09.1999 -B 9 V 25/98 R- zit. nach juris). Sie sind für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zwar nicht rechtsverbindlich, sie tragen als "antizipierte Sachver-ständigengutachten" jedoch der Notwendigkeit Rechnung, Gesundheitsstörungen gleichmäßig zu bewerten. Angesichts dieser Bedeutung, wie aus Gründen der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen folgt der Senat den Bewertungsvorgaben der AHP. Dies gilt insb. auch, als über die jeweiligen Neuauflagen der AHP die jeweils neuesten Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen in die AHP eingeflossen sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.09.2003 - B 9 SB 3/02 R – zit. nach juris). Ab dem 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP der Teil B der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die Seitenangabe ist jeweils nach der Publikation des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Printexemplars zitiert) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist.

Die Bewertung von Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule bestimmt sich nach Ziff. 26.18 (S.116) der AHP bzw. nach Ziff. 18.9 (S. 107) der VG in erster Linie aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, selten und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) bedingen danach einen GdB von 10. Bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungs-einschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) wird ein GdB von 20 erreicht. Bei Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein GdB von 30 gerechtfertigt. Liegen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, kann ein GdB von 30 bis 40 festgestellt werden. Bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst; schwere Skoliose - ab ca. 70 Grad nach Cobb -) wird ein GdB von 50-70 festgestellt. Bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit kann ein GdB von 80-100 gerechtfertigt sein. In Anlegung dieser Maßstäbe sind die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 30 ausreichend und angemessen berücksichtigt. Beim Kläger bestehen mittelgradige funktionelle Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Er leidet an Cervicobrachialgien bei beginnenden Degenerationen der Halswirbelsäule sowie Lumboischialgien bei degenerativen Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Durch die bestehenden Erkrankungen ist die Beweglichkeit der jeweiligen Wirbelsäulenabschnitte eingeschränkt, im Bereich der Halswirbelsäule indes ausschließlich in der Dimension Rotation und im Bereich der BWS/LWS im Bereich der Seitneigungsfähigkeit. Da darüber hinaus keine Befunde vorliegen, die eine mehr als mittelgradige Beeinträchtigung belegen könnten - weder sind Instabilitäten des Achsenorgans oder eine radikuläre Beteiligung ersichtlich, noch ist die Entfaltbarkeit der Wirbelsäule mehr als leichtgradig reduziert - ist eine Berücksichtigung jeweils mit einem mittelgradigen Schweregrad möglich. Hiernach ist die Erkrankung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen.

Soweit der Beklagte die Erkrankungen des Hüft- und der Kniegelenke - zusammengefasst (vgl. hierzu Ziff. 18 Abs. 4 [S.22] AHP bzw. Ziff. 2 e [S.20] VG) - mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt hat, unterliegt dies keinen Bedenken. Die GdB-Bewertung von Funktionsbeeinträchtigung der Hüftgelenke ist nach Ziffer 26.18 (S. 124) der AHP bzw. Ziff. 18.144 (S.115) entsprechend der Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke vorzunehmen. Bewegungseinschränkungen geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) sind bei einseitigem Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 20 bis 30 zu berücksichtigen. Solche mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-30-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) sind bei einseitigem Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 30, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 50, zu berücksichtigen und solche stärkeren Grades bei einseitigem Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 40, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 60 bis 100 zu berücksichtigen. Die Hüfterkrankung des Klägers kann in Anlegung dieser Maßstäbe lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt werden. Dies gründet darin, dass eine maßgebliche Einschränkung der Hüftgelenke in der Dimension Streckung/Beugung nicht vorliegt, vielmehr lediglich die Außen-/Innenrotation des rechten Hüftgelenks leichtgradig auf 30-0-30° rechts und 40-0-30° links eingeschränkt ist. Ausweislich der von Dr. R. in seinem Gutachten vom 08.06.2010 mitgeteilten Bewegungsmaße besteht eine Beugefähigkeit bis zu 120° (rechts) bzw. 130° (links). Da weder eine Versteifung der Hüftgelenke noch eine Hüftdysplasie vorliegen (vgl. AHP und VG, a.a.O.), ist eine höhere Berücksichtigung als mit einem Einzel-GdB von 10 daher nicht möglich. Auch bei Berücksichtigung der bestehenden Gonarthrose kann für die Bewertung des Funktionssystems "Hüfte/ Knie" nur ein Einzel- GdB von 20 berücksichtigt werden. Die - isolierte - Bewertung von Kniegelenkserkrankungen erfolgt nach Zif. 26.18 (S. 126) der AHP bzw. Zif. 18.14 (S.117) der VG anhand der bestehenden Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk. Solche geringeren Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) sind bei einseitigen Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 0-10, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 10 bis 20 zu berücksichtigen, solche mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90°) bei einseitigem Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 20, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 40 zu berücksichtigen. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen sind bei einseitigem Vorliegen ohne Bewegungseinschränkungen mit einem Einzel-GdB von 10 - 30, mit Bewegungseinschränkungen mit einem solchen von 20 - 40 zu berücksichtigen. Das rechte Kniegelenk des Klägers ist nach den von Dr. R. erhobenen Befunden in der Dimension Streckung/Beugung im Umfang von 0-10-90° beweglich, so dass das einseitige Vorliegen einer mittelgradigen Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks mit einen Einzel-GdB von 20 zu berücksichtigen ist.

Die beim Kläger vorliegende Dysthymie kann gleichfalls lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden. Nach Ziff. 26.2 (S. 48) der AHP bzw. Ziff. 3.7 (S. 42) der VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 – 20, stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrisch, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Schmerzstörungen) mit einem solchen von 30 – 40, schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einem solchen von 50 – 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 80 – 100 zu bewerten. Der Senat vermag sich in Ansehung dieser Maßstäbe insofern der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. I., der einen Einzel-GdB von 30 für angemessen erachtet, nicht anzuschließen. Die von Dr. I. mitgeteilten psychopathologischen Befunde spiegeln nur einen deutlich reduzierten Affekt wieder, hingegen sind die von ihm weiter erhobenen Befunde ohne Besonderheiten. Auch liegt zur Überzeugung des Senats keine wesentliche Einschränkung der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit vor. So hat Dr. I. in seinem Gutachten selbst ausgeführt, dass die Erkrankung keinen Einfluss auf das allgemeine berufliche und soziale Funktionsniveau des Klägers habe. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger wegen der seelischen Störungen nicht in ärztlicher Behandlung befindet. Aufgrund dieses Umstandes kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass die von Dr. I. diagnostizierte Dysthymia über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt. Ein entsprechender Leidensdruck des Klägers, der bei einer stärker behindernden psychischen Störung zu erwarten ist, findet sich nach den Ausführungen des Gutachters nicht. Die fehlende nachhaltige psychiatrische Behandlung verdeutlicht, dass der Kläger seine Probleme nicht als so gravierend beurteilt, dass er sie nicht selbst bewältigen könne. Mithin kann lediglich von einer leichtgradigen psychischen Störung ausgegangen werden (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemb. vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 - veröffentlicht in juris).

In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 40, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft, der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Grade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berück¬sichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzu¬stellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. Ziff. 3 [S. 22 f] Teil A der Anlage zur VersMedV bzw. Teil A Allgemeine Grundsätze Ziff 19 [S. 24 f] der AHP). Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind zur Überzeugung des Senats weder gänzlich voneinander unabhängig, noch wirken sie sich besonders nachteilig aufeinander aus. Die Auswirkungen überschneiden sich vielmehr. Insb. die im Funktionssystem "Psyche" bestehende Gesundheitsstörung verdeutlicht, dass die bestehenden körperlichen Erkrankungen (auch) maßgeblich für die psychische Verfassung des Klägers sind. Eine Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass diese mit funktionellen Einschränkungen, die bei dem Verlust eines Armes im Unterarm oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel auftreten, die jeweils einen GdB von 50 begründen, nicht vergleichbar sind.

Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mithin mit einem GdB von 40 zu bewerten.

Der angefochtene Bescheid vom 07.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2009 ist mithin rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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