L 7 AY 5296/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AY 5907/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 5296/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2011 (Versagung einstweiligen Rechtsschutzes) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der Beschwerdeausschlussgründe im Sinne des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht entgegenstehen, ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat im angefochtenen Beschluss vom 26. Oktober 2011 zu Recht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Absatz 1 a. a. O., für Vornahmesachen in Absatz 2 a. a. O. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 a. a. O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a. a. O.). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Absatz 3 a. a. O.).

Vorliegend kommt, wie vom SG zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)).

Gemessen an diesen Anforderungen fehlt es schon an einem Anordnungsanspruch. Im Beschwerdeverfahren verfolgt der Antragsteller sein erstinstanzliches Begehren weiter, die Antragsgegnerin im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm vorläufig höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bis zur Höhe des Leistungssatzes nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II/SGB XII) als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen, zu gewähren. Der Antragsteller hat sein Begehren u.a. unter Hinweis auf die Beschlüsse des Sozialgerichts Mannheim vom 10. August 2011 (S 9 AY 2678/11 ER) und 13. September 2011 (S 9 AY 2790/11 ER) damit begründet, er würde durch die von der Antragsgegnerin gewährten Leistungen in seinem Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz verletzt.

Für dieses Begehren ist jedoch keine rechtliche Grundlage gegeben. Ein Anspruch auf höhere Leistungen aus einfach-rechtlichen Rechtsgrundlagen besteht nicht. Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, ist im Januar 2009 in das Bundesgebiet eingereist, wurde aufgrund der von ihm behaupteten Minderjährigkeit zunächst in die Obhut des Jugendamtes genommen (§ 42 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII)) und erhielt Leistungen nach dem SGB VIII. Seit der Einreise wurden ihm ausländerrechtliche Duldungen erteilt. Nachdem seine wahre Identität und sein tatsächliches Geburtsdatum (25. Oktober 1988) im Juli 2011 bekannt geworden waren, endete die Zuständigkeit des Jugendamtes. Damit gehörte er zu dem nach dem AsylbLG leistungsberechtigten Personenkreis (vgl. § 1 Nr. 4 AsylbLG). Seit dem 3. August 2011 bezieht der Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG, die von vornherein gemäß § 1a AsylbLG auf das unabweisbare Maß gekürzt wurden, wobei die Kürzung allein in der Streichung des Taschengeldes besteht (Bescheid vom 29. September 2011).

Der Antragsteller hat keinen auf § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AsylbLG zu stützenden Anspruch auf Gewährung auch des Taschengeldes, weil die Anspruchseinschränkung gemäß § 1a AsylbLG rechtmäßig ist. Denn die Einreise des einkommens- und vermögenslosen Antragsstellers nach Deutschland erfolgte nach seinen Angaben ausschließlich zu dem Zweck, "hier zu essen und zu trinken und Deutsch zu lernen". Damit liegt eine Einreise zum Zweck der Erlangung von Leistungen vor. Der Antragsteller beanstandet die Leistungseinschränkung auch gar nicht, sondern meint, dass insgesamt die Leistungen nach dem AsylbLG verfassungswidrig zu niedrig seien. Vor diesem Hintergrund scheidet - unabhängig vom Fehlen der erforderlichen Vorbezugszeit von 48 Monaten - auch die Gewährung sogenannter Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG aus (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage, § 2 AsylbLG Rdnr. 36). Auch ein Anspruch auf höhere Leistungen nach § 6 Abs. 1 AsylbLG scheidet aus. Nach dieser Regelung können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Gesundheit unterlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Anhaltspunkte dafür, welcher Bedarf beim Antragsteller ungedeckt geblieben und aus welchen Gründen eine sofortige Deckung dieses Bedarfs unerlässlich ist, sind den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Auch wurde Entsprechendes vom Antragsteller nicht vorgebracht.

Auch eine sonstige gesetzliche Grundlage für das Begehren des Antragstellers ist nicht ersichtlich. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende scheiden aus, weil der Antragsteller als Leistungsberechtigter nach § 1 AsylbLG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II vom Bezug derartiger Leistungen ausgeschlossen ist (vgl. BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10; BSG, Urteile vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 40/07 R - und vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 41/07 R - (beide juris)). Ferner kommen Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII wegen des Leistungsausschlusses in § 23 Abs. 2 SGB XII nicht in Betracht. Dass die dem Antragsteller von der Antragsgegnerin gewährten Grundleistungen den Bestimmungen in §§ 3 und 1a AsylbLG nicht entsprächen, macht er selbst nicht geltend.

Soweit der Antragsteller sein Begehren auf höhere Leistungen im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein mit verfassungsrechtlichen Erwägungen, gestützt auf Artikel 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG, begründet, führt auch dies nicht zum Erfolg. Der erkennende Senat hat mit Beschlüssen vom 27. Oktober 2011 (L 7 AY 3998/11 ER-B) und vom 15. November 2011 (L 7 AY 4588/11 ER-B) bereits entschieden, dass es den Gerichten nicht gestattet ist, den zuständigen Träger allein auf der Grundlage von Verfassungsrecht, hier also des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Artikel 1 Abs. 1, Artikel 20 Abs. 1 GG), zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Die Konkretisierung dieses Grundrechts, das als Geldleistungsanspruch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für öffentliche Haushalte verbunden sei, sei vielmehr ausschließlich dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten; wie er den Umfang der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums durch Geld-, Sach- und Dienstleistungen sichere, bleibe grundsätzlich ihm überlassen. Der Senat sei deshalb nicht befugt, den Antragstellern unmittelbar gestützt auf Normen der Verfassung die im einstweiligen Rechtsschutz erstrebten höheren Leistungen zuzusprechen. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren und nach erneuter Prüfung hält der Senat an diesen Entscheidungen fest. Ein Anspruch des Antragstellers, ihm auf der Grundlage von Verfassungsrecht im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen zu gewähren, besteht nicht. Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seinen Beschluss vom 27. Oktober 2011 Bezug, der den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wurde.

Eine Vorlage nach Artikel 100 Abs. 1 GG kommt im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der hier nur möglichen vorläufigen Klärung sowie der gebotenen zeitnahen Entscheidung nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2010 - 1 BvR 2037/10 -(nicht veröffentlicht)).

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass für die Zeit ab dem 25. November 2011 ohnehin die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr vorliegen dürften, weil der Antragsteller seitdem - unabhängig von der Frage der Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem AsylbLG - offenbar nicht mehr hilfebedürftig ist. Denn aus der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin ergibt sich, dass der Antragsteller am 25. November 2011 geheiratet hat und mit seiner deutschen Ehefrau in häuslicher Gemeinschaft lebt. Die Ehefrau verfügt ausweislich der in der Verwaltungsakte befindlichen Gehaltsbescheinigungen über Einkünfte, die ihren eigenen und den Bedarf des Antragstellers zu decken vermögen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Mangels ausreichender Erfolgsaussicht war gem. 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO keine Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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