L 11 R 5774/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 707/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5774/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.10.2009 abgeändert, der Bescheid der Beklagten vom 02.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2008 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin beidseitig mit Hörgeräten der Marke Hansaton BASE 2 oder vergleichbaren Hörgeräten, für die ein Festbetrag festgesetzt ist, zu versorgen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen. Im Übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, der Klägerin Rehabilitationsleistungen in Form eines digitalen Hörgerätes zu gewähren.

Die 1955 geborene Klägerin ist gelernte Kauffrau im Groß- und Außenhandel und seit 1992 als Disponentin im Einkauf der Firma S. Pharmahandel AG beschäftigt. Sie arbeitet in einem Großraumbüro mit 15 Mitarbeitern. Zu ihrem Aufgabengebiet gehören Telefonate mit Kunden, Mitarbeiter- und Kundenbesprechungen - auch in Gruppen -. Ihre Tätigkeit wird begleitet durch ständige Nebengeräusche bedingt durch Stimmen und Tastaturen.

Am 27.11.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Ihrem Antrag fügte sie eine Bescheinigung des sie behandelnden Arztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde B. vom 20.11.2006 bei. Er führte aus, die Klägerin leide unter mittelgradiger, über im Hochtonbereich liegender Innenohrschwerhörigkeit beidseits. Eine Hörverschlechterung sei seit 2003 eingetreten. Beim Ausführen ihrer Arbeit habe die Klägerin erhebliche Schwierigkeiten. Ein Versuch, analoge Hörgeräte anzupassen, habe am Arbeitsplatz keine Besserung gebracht. Er empfehle deshalb eine digitale Hörgeräteversorgung. Ferner legte die Klägerin eine ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe des Arztes für HNO-Heilkunde B. vom 21.09.2006 vor, indem dieser beiderseits eine Hörhilfe für notwendig erachtete. Beigefügt waren ferner verschiedene Angebote für Hörgeräte der Firma Hörgeräte L. sowie eine entsprechende Dokumentation zur Anpassung der jeweiligen Geräte. Die Beklagte zog im Anschluss daran einen ärztlichen Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Bad K. vom 01.09.2006 bei. Dort hatte sich die Klägerin anlässlich einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme im Zeitraum vom 03.08.2006 bis 31.08.2006 stationär aufgehalten (Grund der Maßnahme: Schlaganfall zu Jahresbeginn 2006 und anschließende Arbeitsunfähigkeit). Aus der Maßnahme wurde die Klägerin arbeitsunfähig zur stufenweisen Wiedereingliederung entlassen. Eine Hörgeräteversorgung sei dringend erforderlich.

Mit Bescheid vom 02.01.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe die nach § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erforderlichen persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfüllt. Eine Kostenübernahme für ein Hörgerät könne nicht erfolgen, da ein solches für alle Lebensbereiche erforderlich sei. Die alleinige Zuständigkeit liege deshalb bei der Krankenkasse.

Hiergegen legte die Klägerin am 18.01.2007 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, mit einem klassischen Hörgerät komme sie im beruflichen Bereich nicht zurecht. Mit einem zeitweise überlassenen höherwertigen Gerät habe sie die Erfahrung gemacht, dass das ansonsten aufgrund ihrer Innenohrschwerhörigkeit beruhende Nachfragen bei Telefonaten oder in Mitarbeiterbesprechungen weggefallen seien. Eine Versorgung mit einem qualitativ höherwertigen Hörgerät sei überwiegend und nahezu ausschließlich im beruflichen Bereich erforderlich. Anschließend forderte die Beklagte die Klägerin zur Übersendung der Anpassberichte aller getesteten Hörgeräte auf (auch der Festbetragsgeräte), welcher die Klägerin auch nachkam (vgl Blatt 54/57 der Verw-Akte der Beklagten).

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach § 33 Abs 8 Nr 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) seien von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch sonstige Hilfen der Arbeits- und Berufsförderung zu gewähren, um dem Betreuten eine angemessene und geeignete Erwerbs- oder Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Ein Hilfsmittel in diesem Sinne sei nur dann als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben anzusehen, wenn es ausschließlich zur Ausübung eines bestimmten Berufs oder zur Teilnahme an einer bestimmten beruflich vorbereitenden Maßnahme benötigt werde. Die Versorgung mit Hörhilfen gehöre grundsätzlich nicht zu den Leistungen der Beklagten im Sinne des § 33 Abs 8 Nr 4 SGB IX. Vielmehr handele es sich um eine Leistung, die von der Krankenkasse zu gewähren sei. Nach §§ 27, 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) umfasse die Krankenbehandlung ua auch die Versorgung mit Hilfsmitteln, zu denen die begehrte Hörhilfe zähle. Sie dienten nicht ausschließlich der Ausübung eines Berufs, der spezielle Anforderungen an das Hörvermögen stelle, sondern seien für jeden Bereich des täglichen Lebens sowie für jedwede Form der Berufsausübung erforderlich.

Die Klägerin hat am 26.02.2008 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie dargelegt, seit ihrer Wiedereingliederung halbtags bei der Firma S. Pharmahandel AG zu arbeiten. Oft merke sie nicht, wenn sie angesprochen werde. Bei Telefonaten und Gruppenmeetings müsse sie häufig nachfragen. Dies erschwere die Arbeit sehr. Analoge Hörgeräte habe sie getestet. Diese hätten jedoch keine Verbesserung erbracht. Lediglich mit einem digitalen Hörgerät habe sie eine Verbesserung ihres Hörvermögens erreichen können. Zuhause und in ihrer Freizeit komme sie auch ohne Hörgerät zurecht, bei der Arbeit helfe ihr ein analoges Hörgerät nicht. Ein entsprechendes Gerät habe sie bislang nicht angeschafft. Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das SG den behandelnden HNO-Arzt der Klägerin schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat ausgeführt (Auskunft vom 23.09.2008), die Klägerin befinde sich seit April 1991 in seiner Behandlung. Zuletzt sei sie im November 2006 vorstellig geworden. Das Tonaudiogramm habe im September 2006 die Hörschwellen mit einem Hörabfall beidseits ab 30 dB bei 0,125 kHz bis 70 - 80 dB bei 4 kHz gezeigt. Im September 2006 habe er der Klägerin Hörgeräte verordnet. Bei ihrer Vorstellung im November 2006 habe die Klägerin berichtet, mehrere Hörgeräte ausprobiert zu haben und bei Arbeiten nur mit digitalen Hörgeräten zurechtgekommen zu sein. Ein Versuch mit digitalen Hörgeräten sei empfohlen worden. Bei ausreichender Hörgeräteversorgung sei die Erwerbsfähigkeit der Klägerin normalerweise nur bedingt gefährdet (zum Audiogramm vgl Blatt 30a der SG-Akte).

Mit Urteil vom 28.10.2009 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Beschaffung eines digitalen Hörgeräts der Marke "Savia 211" beidseits gemäß dem Angebot der Firma Hörgeräte L. vom 29.03.2007 zu gewähren. Die Klägerin erfülle sowohl die versicherungsrechtlichen als auch die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Rehabilitationsmaßnahme. Die Notwendigkeit zur Versorgung mit einem adäquaten Hörgerät bestehe nur aufgrund der besonderen Arbeitsplatzsituation der Klägerin und sei nicht allgemein für jegliche Art der angemessenen Berufsausübung und für das tägliche Leben notwendig. Aus den Anpassungsdokumentationen der Firma Hörgeräte L. ergebe sich, dass nur mit dem beantragten digitalen Hörgerät eine Verbesserung der Hörqualität im beruflichen Bereich habe vorgenommen werden können. Einzig das Hörgerät Savia 200 sei geeignet, die Hörbehinderung der Klägerin am konkreten Arbeitsplatz angemessen zu kompensieren. Das Auswahlermessen der Beklagten sei daher auf Null reduziert.

Gegen die der Beklagten am 12.11.2009 zugestellte Entscheidung des SG hat die Beklagte am 07.12.2009 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die von der Klägerin begehrten Hörhilfen seien keine Rehabilitationsleistungen, sondern als Leistungen der Krankenbehandlung zu erbringen. Rehabilitationsbedarf liege nicht vor. Zwar sei die Klägerin aus beruflich bedingten Gründen auf kommunikative Anforderungen und Beanspruchung ihres Hörvermögens angewiesen. Das konkrete Berufsbild lasse jedoch keinen berufsspezifischen Kommunikationsbedarf erkennen. Es stelle sich deshalb die Frage nach der Erfüllung der medizinischen Grundversorgung, für die die Beklagte nicht zuständig sei. Die Krankenversicherung müsse bedarfsgerecht die Hilfsmittel so umfassend erbringen, dass weitere Leistungen nicht erforderlich wären. Insoweit sei die beigeladene Krankenkasse zur Leistungserbringung zu verpflichten. Jedenfalls sei eine Versorgung mit einem Festbetragsgerät ausreichend.

Mit Beschluss vom 15.02.2010 hat der Senat die Krankenkasse der Klägerin, die AOK Baden-Württemberg, zum Verfahren beigeladen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.10.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zur Erhaltung des Arbeitsplatzes sei die Beschaffung eines digitalen Hörgerätes zwingend erforderlich; das SG habe die Beklagte deshalb zu Recht verurteilt. Nach Durchführung weiterer gerichtlicherseits angeregter Testungen hat die Klägerin Anpassberichte für drei digitale Hörgeräte vom 11.11.2010 vorgelegt (vgl hierzu Bl 68 - 73 LSG-Akte). Mit dem Hörgerät "Hansaton Auriga Mini" sei sie am besten zurechtgekommen. Unter Berücksichtigung eines Zuschusses der Beigeladenen von 1.035,00 EUR bleibe damit noch ein Betrag iHv 4.617,60 EUR offen, den die Beklagte zu tragen habe. Die Stellungnahme der Schwerbehindertenvertreterin ihres Arbeitgebers (Auskunft vom 26.07.2011) belege ebenso wie diejenige ihrer Hausärztin Sch. (Auskunft vom 15.07.2011), dass sie an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sei.

Die Beigeladene bezieht sich ebenfalls auf das angefochtene Urteil des SG. Sie erklärt sich bereit, die Kosten für eine beidseitige Hörgeräteversorgung in Höhe des Vertragspreises von insgesamt 1.035,00 EUR zu übernehmen.

Der Senat hat den HNO-Arzt B. nochmals als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat in seiner Auskunft vom 26.08.2010 mitgeteilt, das Hörvermögen habe sich ausweislich der Untersuchungsergebnisse im September 2009 gegenüber 2006 verschlechtert. Das Sprachverständnis der Klägerin sei im Gespräch mit mehreren Personen eingeschränkt. Dies führe auch zu einer Einschränkung bei der Tätigkeit in einem Großraumbüro mit mehreren Personen. Ohne entsprechende Hörgeräteversorgung gebe es keine Schwierigkeiten im Einzelgespräch unter direkter Ansprache und beim Telefonieren im ruhigen Raum. Auch eine Einschränkung bei der Teilnahme im Straßenverkehr sei nicht vorhanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Klage ist nur insoweit begründet als die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit Hörgeräten zum Festbetrag hat. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 02.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2008 (§ 95 SGG) rechtswidrig. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin beidseits mit Hörgeräten der Marke "Hansaton BASE2" oder einem nach Art und Güte vergleichbaren Gerät, für das ein Festbetrag festgesetzt ist, im Wege der Sachleistung zu versorgen. Im Übrigen, dh soweit höherwertigere Hörgeräte gefordert werden, ist die Berufung zurückzuweisen. Zwar hat die Beigeladene mit Schriftsatz vom 10.12.2010 ausgeführt, dass sie die Kosten für eine beidseitige Hörgeräteversorgung in Höhe des Vertragspreises von insgesamt 1.035,00 EUR übernimmt. Diese Erklärung kann jedoch nicht als Anerkenntnis gewertet und zur Grundlage einer Verurteilung der Beigeladenen gemacht werden, weil sich der Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Hörgeräten nicht mehr gegen die beigeladene Krankenkasse richtet, sondern ausschließlich gegen den beklagten Rentenversicherungsträger. Dies folgt aus § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Der beklagte Rentenversicherungsträger ist nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX als erstangegangener Rehabilitationsträger im Verhältnis zur Klägerin zur Prüfung aller in Betracht zu ziehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen verpflichtet. Nach dieser Vorschrift verliert der materiell-rechtlich - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger eine iS von § 14 Abs 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Diese Zuständigkeit nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen der Antragstellerin und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind. Zuständig ist derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist, hier also die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund (BSG 25.06.2009, B 3 KR 4/08 R, SozR 4-3250 § 31 Nr 4). Die Klägerin hat am 27.11.2006 erstmals bei der Beklagten die Versorgung mit Hörgeräten beantragt. Die beigeladene Krankenkasse war zuvor mit diesem Begehren nicht befasst worden.

Zu den Rechtsgrundlagen, die bei einer sich aus § 14 SGB IX ergebenden Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers zu prüfen sind, gehören auch die Vorschriften im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Dem steht nicht entgegen, dass die Krankenkassen Hilfsmittel als Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V) und nicht als medizinische Rehabilitationsleistung erbringen (BSG 21.08.2008, B 13 R 33/07 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 7; ausführlich und mwN Sächsisches LSG 04.10.2011, L 5 R 228/11, juris). Ein solcher Anspruch auf Krankenbehandlung ist im vorliegenden Fall sogar vorrangig zu prüfen, da die Klägerin bislang noch gar nicht mit einem Hörgerät versorgt ist. Außerdem sind die Auswirkungen bei der oder auf die Berufsausübung für die Hilfsmittelgewährung nach dem SGB V unbeachtlich (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 36 Nr 2). Ein Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach den §§ 9, 10, 11, 15 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm § 26 Abs 1, Abs 2 Nr 6 und § 31 SGB IX ist demgegenüber nachrangig. Ein solcher Anspruch kommt nur in Betracht, wenn entweder ein berufsbedingter Mehrbedarf vorhanden ist, der über die allgemeine Hörgeräteversorgung hinausgeht, oder die Hörgeräte nur für die Berufsausübung erforderlich sind (zu Letzterem BSG 17.12.2009 aaO). Ist dies nicht der Fall, weil die berufliche Eingliederung auch mit einem Hörgerät zum Festpreis (§ 36 SGB V) gewährleistet ist, scheiden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die auf eine berufliche Eingliederung des Versicherten abzielen (§ 9 Abs 1 SGB VI), aus (vgl zu diesem Gesichtspunkt im Verhältnis zu Teilhabeleistungen Hessisches LSG 15.04.2011, L 5 R 2/09, juris). Hinzu kommt, dass bei den vom Rentenversicherungsträger zu erbringenden medizinischen Leistungen zur Rehabilitation die für die Krankenkassen maßgebenden Wirtschaftlichkeitsgrundsätze in entsprechender Weise gelten. Erfüllt deshalb ein zum Festbetrag erhältliches Hörgerät auch die Bedingungen und Anforderungen des Arbeitsplatzes, muss die Beklagte im Rahmen ihrer Leistungspflicht nach § 14 SGB IX weder nach SGB V ("eigentliche" Zuständigkeit der Krankenkasse) noch nach SGB VI ("eigentliche" Zuständigkeit der Beklagten) mehr erbringen (BSG 21.2008, B 13 R 33/07, SozR 4-3250 § 14 Nr 7). Für die Leistungen zur Teilhabe ist das Verhältnis zu anderen Leistungen im Gesetz geregelt. Nach § 33 Abs 8 Satz 1 Nr 4 SGB IX können unter bestimmten Voraussetzungen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch Kosten für Hilfsmittel umfassen, "es sei denn, dass ... solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können".

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten gemäß § 14 SGB IX iVm §§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, 33 SGB V einen Anspruch auf beidseitige Versorgung mit zum Festbetrag erhältlichen Hörgeräten. Nach § 33 SGB V in der ab 01.01.2010 geltenden Fassung von Art 1 Nr 1b Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008 - BGBl I S 2426) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Die in § 33 SGB V enthaltenen Ausnahmetatbestände ("soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind) sind hier nicht einschlägig.

Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich und demzufolge sind Hörgeräte grundsätzlich erforderlich iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, weil es nach dem Stand der Medizintechnik (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet (BSG 17.12.2009, aaO). Begrenzt ist dieser Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V. Zur Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes hat der Gesetzgeber auch im Bereich der Hilfsmittelversorgung mit § 36 SGB V eine Festbetragsregelung eingeführt. Dadurch wird die Leistungspflicht der Krankenkasse (und mittelbar auch des Rentenversicherungsträgers) begrenzt. Zwar muss die Krankenkasse nach § 33 Abs 7 SGB V die mit den Hörgeräteakustikern vertraglich vereinbarten Preise übernehmen. Für Hilfsmittel, für die - wie vorliegend für Hörgeräte - ein Festbetrag festgesetzt wurde, können jedoch nach § 127 Abs 4 SGB V vertraglich keine höheren Preise als die Festbeträge vereinbart werden. Eine Festbetragsfestsetzung ist nach der Rechtsprechung des BSG nur dann nicht rechtmäßig, wenn eine objektiv ausreichende Versorgung zum Festbetrag unmöglich ist. Objektiv ausreichend ist der Festbetrag, wenn die Vergütung - von atypischen Ausnahmen abgesehen - die erforderliche Versorgung prinzipiell jedes betroffenen Versicherten abdeckt. Die Krankenkasse ist deshalb nicht verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ausnahmsweise Anlass zur Versorgung mit Hilfsmitteln ohne Festbetragsbindung besteht (BSG 17.12.2009, aaO).

Die Klägerin leidet an einer Innenschwerhörigkeit beidseits. Anhand der Tonaudiogramms und der Tabelle nach Röser ergibt sich ein Hörverlust rechts von 65% und links von 45%. Dies entnimmt der Senat dem nach Aktenlage erstellten Gutachten des MDK vom 07.12.2010 und der schriftlichen Auskunft des als sachverständiger Zeuge gehörten Dr. B. vom 26.08.2010. Damit bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin eine Hörgeräteversorgung benötigt. Es liegt andererseits aber auch keine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit einem Hörverlust von nahezu 100% vor. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Versorgung der Klägerin mit einem Gerät zum Festbetrag zum Ausgleich der Hörbehinderung ausreicht. Unerheblich ist deshalb, ob die Klägerin mit einem der getesteten Geräte besser zurechtkommt. Hinzu kommt, dass das Spracheverstehen bei allen getesteten Geräten in der Freifeldmessung (65 dB, 1 m Abstand) mit 80% gleich gut war. Dies ergibt sich aus den vom Hörgeräteakustiker erstellten Dokumentationen zur Hörgeräteanpassung (Bl 75/77 der LSG-Akte).

Ein Anspruch der Klägerin auf ein Hörgerät ohne Festbetragsbindung als Leistung der medizinischen Rehabilitation nach den §§ 9, 10, 11, 15 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm § 26 Abs 1, Abs 2 Nr 6 und § 31 SGB IX besteht nicht, da ein berufsbedingter Mehrbedarf, der über die allgemeine Hörgeräteversorgung hinausgeht, nicht vorhanden ist. Demzufolge besteht erst recht kein Anspruch in Form von Teilhabeleistungen. Nach der Auskunft des Arbeitgebers der Klägerin vom 18.10.2010 gehören folgende Tätigkeiten zum Aufgabengebiet der Klägerin, die in einem Großraumbüro mit 15 Mitarbeitern tätig ist: • Telefonate mit Lieferanten • Mitarbeitergespräche, auch in Gruppen bzw Meetings und wichtige Kundengespräche • Ansprechbarkeit von allen Richtungen • Flexibilität/Reaktion • Ständige Nebengeräusche durch Stimmen und Tatstaturen Diese Anforderungen an das Hörvermögen gehen nach Ansicht des Senats nicht über die Anforderungen hinaus, die auch im privaten Alltag zu bewältigen sind. Die Klägerin ist weder aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit noch aufgrund der besonderen Verhältnisse am Arbeitsplatz auf eine besonders gute Hörfähigkeit (zu diesem Maßstab siehe BSG, 21.08.2008, aaO) angewiesen. Dies zeigt sich schon daran, dass sie ihre Berufstätigkeit seit November 2006 (Antragstellung) - wenn auch in letzter Zeit zunehmend schlechter - ohne Hörgeräteversorgung hat bewältigen können. Deshalb ist nicht entscheidend, dass der konkrete Test mit Geräusch (beidohrige Anpassmessung mit 2 Hörgeräten Nutzschall 65 dB/Störschall) ein unterschiedliches Spracheverstehen gezeigt hat (Hansaton BASE2 - Festbetragshörgerät - 35%; Widex Passion PA-105 45% und Hansaton Auriga Mini 55%).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Klage zumindest teilweise erfolgreich war und die Beklagte durch ihre Weigerung, den Anspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt von § 14 SGB IX zu prüfen, Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Die Revision wird zugelassen. Nach Auffassung des Senats hat die Frage, wie ein berufsbedingter Mehrbedarf bei einer notwendigen Hörgeräteversorgung zu ermitteln ist, grundsätzliche Bedeutung. Aus Sicht des Senats ist noch nicht vollständig geklärt, welche zusätzlichen Anforderungen an den Ausgleich des Hörverlusts im Bereich der medizinischen Rehabilitation nach dem SGB VI zu stellen sind, wenn ein Hörgerät zum Festbetrag nach dem SGB V die erforderliche Versorgung prinzipiell jedes Versicherten abdeckt.
Rechtskraft
Aus
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