L 8 SB 2914/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 159/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2914/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Der 1946 geborene Kläger beantragte am 11.02.2008 beim Landratsamt M. (LRA) die Feststellung des GdB ab Dezember 2003 und verwies hierzu insbesondere auf sein Herzleiden (Herzklappenoperation im Dezember 2003) und die Folgen des am 31.08.2005 erlittenen Schlaganfalls. Seinem Antrag fügte er eine Reihe von Klinikberichten bei, insbesondere die Berichte des Kreiskrankenhauses B. (Kardiologe Dr. G. ) aus den Jahren 2002 bis 2004, der Herz- und Gefäß-Klinik Bad N. vom Oktober 2003, 07.09.2004, 29.08.2005 und 20.04.2006 sowie den Bericht der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums H. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 31.08.2005 bis 05.09.2005. In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme vom 28.04.2008 wurde unter Berücksichtigung eines operierten Herzklappenfehlers und eines Bluthochdrucks (GdB 30) und von Schlaganfallfolgen (GdB 30) ein GdB von 50 ab 31.08.2005 angenommen. Für die Zeit vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 wurde ein GdB von 30 empfohlen. Am 27.05.2008 erließ das LRA einen entsprechenden Bescheid, mit dem es auch eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des Einkommensteuerrechts ab 10.12.2003 anerkannte, die Feststellung von Nachteilsausgleichen jedoch ablehnte.

Dagegen legte der Kläger am 10.06.2008 Widerspruch ein und machte einen GdB von 50 vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 und einen GdB von 70 ab 31.08.2005 sowie den Nachteilsausgleich G geltend. Zur Begründung brachte er vor, im angegriffenen Bescheid seien zu Unrecht die Durchtrennung von drei Fingern der linken Hand, die bei ihm vorliegende Skoliose sowie die Senk-, Spreiz- und Knickfüße nicht berücksichtigt worden. An den Folgen der Defektfrakturen leide er heute immer noch und die Skoliose führe im täglichen Leben zu Problemen. Die Funktionsstörung "Senk-, Spreiz- und Knickfüße" führe trotz orthopädischer Einlagen dazu, dass er für Gehstrecken, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt würden, den PKW benutzen müsse. Der Kläger übersandte ein Farblichtbild seiner linken Hand und gab an, diesem könne entnommen werden, dass insbesondere der linke Zeigefinger entstellt sei (nicht regelgerecht zusammengewachsen, auch kürzer und erstes Fingerglied versteift). Ferner übersandte er die Arztrechnung des Chirurgen Dr. S. vom 14.07.2003, in der eine Beinverkürzung links als Diagnose genannt ist, was Auswirkungen auf die Höhe des GdB haben dürfte. Schließlich legte er noch die ärztliche Bescheinigung von Prof. Dr. T. vom Zentrum für Knie- und Fußchirurgie in H. vom 20.11.2008 vor, worin zusammenfassend ausgeführt wird, der Kläger leide an Fußbeschwerden beidseits bei vorübergehender Hallux longus Tendinitis beidseits und beginnendem Hallux regidus beidseits, die konservativ behandelt werden könnten. In der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.12.2008 wurden folgende Funktionsstörungen als gegeben erachtet:

1. Operierter Herzklappenfehler, Bluthochdruck GdB 30 2. Schlaganfallfolgen GdB 30 3. Wirbelsäulenverformung GdB 10 4. Funktionsstörung durch Fußfehlform GdB 10 5. Gebrauchseinschränkung der linken Hand GdB 10.

Insgesamt liege ein GdB von 50 seit 31.08.2005 vor. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G seien nicht erfüllt. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2008 wies das LRA den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 16.01.2009 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG), mit der er einen GdB von 50 für die Zeit vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 und einen GdB von 70 ab 31.08.2005 sowie den Nachteilsausgleich G geltend machte. Er brachte vor, die Auffassung des Beklagten, dass die jeweils mit einem GdB von 10 bewerteten Funktionsstörungen Wirbelsäulenverformung, Fußfehlform und Gebrauchseinschränkung der linken Hand nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und damit zu keinem höheren GdB als 50 führten, sei unrichtig, da sie letztlich auf eine völlige Nichtberücksichtigung dieser Funktionsstörungen hinauslaufe. Im Übrigen seien die drei mittleren Finger der linken Hand nur eingeschränkt zu gebrauchen - das erste Glied des Zeigefingers sei fast unbeweglich (versteift) -, was bereits einen GdB von ca. 40 bedinge. Der Wirbelsäulenschaden (Spondylarthrose) und die Beinverkürzung seien ebenfalls mit einem GdB von erheblich mehr als 10 zu bewerten. Hinzu komme, dass er auch heute noch unter Folgen des 2005 erlittenen Schlaganfalls (Konzentrationsschwächen und manchmal Schwindel) leide. Ferner stelle sich beim Treppensteigen Atemnot ein. Sportliche Betätigungen seien ihm nicht möglich. Im Übrigen sei sein Sehvermögen eingeschränkt. Die damit verbundenen Funktionsstörungen würden durch die Brille nicht in vollem Umfang ausgeglichen. Der Kläger legte die ärztliche Bescheinigung von Prof. Dr. E. , Chirurgische Universitätsklinik W. , vom 03.03.1997 vor.

Das SG hörte Prof. Dr. K. , Herz- und Gefäß-Klinik Bad N. , Dr. S. , Prof. Dr. Me. von der Neurologischen Klinik der Universitätsklinik H. und Prof. Dr. E. von der Chirurgischen Universitätsklinik W. schriftlich als sachverständige Zeugen. Prof. Dr. K. schilderte am 09.06.2009 den Krankheits- und Behandlungsverlauf anlässlich der stationären Behandlung des Klägers vom 07.10. bis 10.10.2003 und anlässlich wiederkehrender Vorstellungen des Klägers von 2004 bis 2008 (zuletzt am 31.07.2008). Er hielt einen GdB von 30 infolge des Zustandes nach Mitralklappenrekonstruktion und einen GdB von 10 infolge der arteriellen Hypertonie für angemessen. Eine andere Einschätzung des GdB ergäbe sich nur, wenn eine ausgeprägtere Form der Hypertonie mit ausgeprägter Linksherzhypertrophie vorläge. Der echokardiographische Befund vom 31.07.2008 weise jedoch einen nur geringgradig hypertrophierten linken Ventrikel mit regelrechter systolischer LV-Funktion auf. Dr. S. berichtete unter dem 11.06.2009 über das Ergebnis einer einmaligen ambulanten Untersuchung des Klägers am 28.04.2003. Danach habe seinerzeit keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule und seitens der Hüftgelenke bestanden. Messtechnisch habe eine Beinverkürzung links von 1,5 cm vorgelegen, die keine Auswirkungen auf die allgemeine Lebensführung erwarten ließen. Ein GdB von 10 für die Wirbelsäulenverformung sei angemessen. Am 09.06.2009 äußerte sich Prof. Dr. Me. über die stationäre Behandlung des Klägers ab 31.08.2005 und gab an, dass der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen am 02.09.2005 (richtig wohl: 05.09.2005) ohne ein neurologisches Defizit aus der Klinik entlassen worden sei. Es habe deshalb ein GdB von 0 vorgelegen. Dass der Beklagte für die Folgen eines Schlaganfalls einen GdB von 30 angenommen habe, sei anhand der vorliegenden Unterlagen nicht nachvollziehbar. Prof. Dr. E. übersandte den die stationäre Behandlung des Klägers vom 09. bis 18.11.1996 betreffenden Bericht vom 25.11.1996 und fügte handschriftlich hinzu, der Kläger habe sich anschließend nicht wieder vorgestellt.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.06.2010 wies das SG die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB und auf den Nachteilsausgleich G. Die Funktionsstörungen des Klägers seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit einem GdB von 30 (10.12.2003 bis 30.08.2005) bzw. 50 (ab 31.08.2005) angemessen bewertet. Der Einschätzung von Prof. Dr. K. , der den Zustand nach Mitralklappenrekonstruktion mit einem GdB von 30 und die arterielle Hypertonie mit einem GdB von 10 bewertet habe, sei zu folgen, da sie mit den Bewertungsmaßstäben der "Anhaltspunkte" (AHP) und der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG) im Einklang stünden. Dies gelte auch für die Wirbelsäulenbeschwerden, für die Dr. S. zu Recht einen GdB von 10 angenommen habe. Die Gebrauchseinschränkung der linken Hand bedinge - wie dem Klinikbericht vom 25.11.1996 und dem vom Kläger vorgelegten Bericht von Prof. Dr. E. vom 03.03.1997 und den eigenen Angaben des Klägers (lediglich das Zeigefingerendglied sei fast unbeweglich bzw. versteift) zu entnehmen sei - keinen höheren GdB als 10. Zutreffend seien die beim Kläger vorliegenden Fußdeformitäten ebenfalls mit einem GdB von 10 bewertet worden. Die Schlaganfallfolgen seien von Dr. M. in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 01.12.2008 auf der Grundlage der Untersuchungsberichte vom 06.09.2005 und 20.04.2006 vertret- und nachvollziehbar mit einem GdB von 30 bewertet worden. Insgesamt ergebe sich für die Zeit vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 ein GdB von 30 und für die Zeit ab 31.08.2005 ein GdB von 50.

Dagegen hat der Kläger am 23.06.2010 Berufung eingelegt, mit der er nur noch einen höheren GdB, aber nicht mehr den Nachteilsausgleich G geltend macht. Er trägt vor, dass er nach dem am 31.08.2005 erlittenen Schlaganfall immer noch mit Konzentrationsschwächen und mit starkem Schwindel zu kämpfen habe, der gelegentlich so stark sei, dass er sich beim Gehen an der Wand abstützen bzw. Ruhepausen einlegen müsse. Hinzu komme, dass er beim Treppensteigen Atemnot bekomme und sportliche Betätigungen nicht möglich seien. Ein GdB von nur 10 werde seinem Wirbelsäulenleiden nicht gerecht, da es sich bei ihm um einen Wirbelsäulenschaden mit mindestens mittelgradigen funktionellen Auswirkungen handele, für den ein GdB von 20 anzunehmen sei. Es sei nicht sachgerecht, dass das SG der Bewertung seines Wirbelsäulenleidens den Bericht von Dr. S. vom 11.06.2009 zugrunde gelegt habe, der auf einer Untersuchung aus dem Jahre 2003 beruhe. Seither sei eine erhebliche Verschlimmerung eingetreten. Er sei dazu übergegangen, die Beschwerden durch krankengymnastische Übungen (Aufbau der Rückenmuskulatur) selbst zu behandeln. Die Schmerzen stellten sich jedoch trotzdem immer wieder ein. Die Folgen der am 09.11.1996 erlittenen Defektfrakturen entsprächen fast dem Verlust der betroffenen drei Finger, weshalb unter Berücksichtigung des bestehenden Dauerschmerzes im linken Zeige- und Mittelfinger ein GdB von 40 anzunehmen sei. Zur Linderung der Schmerzen nehme er entsprechende Medikamente ein; eine ärztliche Behandlung erfolge insoweit nicht mehr.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Juni 2010 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 für die Zeit vom 10. Dezember 2003 bis 30. August 2005 und einen GdB von 70 ab 31. August 2005 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der festgestellte GdB von 50 sei sehr weitreichend bzw. überhöht. Er legt die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. R. vom 13.07.2011 vor, wonach aufgrund der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen ein GdB von 30 für die Schlaganfallfolgen ebenso als wohlwollend zu betrachten sei wie ein Gesamt-GdB von 50.

Der Senat hat Dr. G. von den N.-Kliniken in B. als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat unter Übersendung weiterer ärztlicher Unterlagen am 22.02.2011 angegeben, er habe den Kläger zuletzt im Januar 2010 im Rahmen einer kardiovaskulären Untersuchung gesehen. Der Kläger habe über eine gehäuft auftretende Schwindelneigung unabhängig von körperlicher Belastung und gelegentlich ziehenden Schmerzen im Brustbereich, die ebenfalls nicht belastungsabhängig seien, berichtet. Weitere Beschwerden hätten nicht bestanden, insbesondere habe er keine Hinweise für Folgen eines Schlaganfalles gefunden. In Bezug auf die Herzklappenoperation ergebe sich kein pathologischer Befund. Es sei von einem guten Operationsergebnis auszugehen. Der Kläger klage über keinerlei Beeinträchtigungen kardio-pulmonaler Art. Echokardiographisch sei allerdings eine leichtgradige pulmonale Hypertonie aufgefallen, die allerdings bisher zu keinen Beschwerden geführt habe. Möglicherweise könnten die gelegentlich auftretenden Schwindelattacken durch den Schlaganfall verursacht sein. Ansonsten fänden sich keine Folgen eines Schlaganfalls.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30 bzw. 50 (ab 31.08.2005).

Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist der Bescheid vom 27.05.2008 (Widerspruchsbescheid vom 22.12.2008), mit dem der Beklagte beim Kläger einen GdB von 30 für die Zeit vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 und einen GdB von 50 für die Zeit ab 31.08.2005 festgestellt hat. Nicht mehr streitbefangen ist der angefochtene Bescheid insoweit, als mit ihm die Feststellung des Nachteilsausgleichs G abgelehnt worden ist. Der Kläger macht diesen Nachteilsausgleich mit der Berufung nicht mehr geltend (Schriftsatz vom 30.07.2010).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass für die Zeit ab 01.01.2009 die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist im angefochtenen Gerichtsbescheid unter Anwendung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der AHP bzw. VG (ab 01.01.2009) zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsstörungen des Klägers mit einem GdB von 30 für die Zeit vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 und einem GdB von 50 ab 31.08.2005 nicht zu niedrig bewertet sind. Diese Beurteilung gründete sich auf die Angaben der gehörten behandelnden Ärzte des Klägers und die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte. Der Senat kommt nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses im Berufungsverfahren zur selben Beurteilung.

Das SG hat - dem Beklagten insoweit ohne Einschränkung folgend - das Herzleiden des Klägers mit einem GdB von 30 und die Wirbelsäulenverformung, die Funktionsstörung der Fußfehlform und die Gebrauchseinschränkung der linken Hand jeweils mit einem GdB von 10 bewertet und einen Gesamt-GdB von 30 für die Zeit vom 10.12.2003 bis 30.08.2005 angenommen. Der Senat hält die entsprechenden Bewertungen der genannten einzelnen Funktionsstörungen des Klägers und die Beurteilung des Gesamt-GdB durch das SG für zutreffend und überzeugend. Er schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid zur Vermeidung von Wiederholungen an und nimmt insoweit zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Durch den Schlaganfall, den der Kläger am 31.08.2005 erlitten hat, hat sich sein Gesundheitszustand verschlimmert. Dem hat der Beklagte durch die Berücksichtigung der mit einem GdB von 30 bewerteten Folgen dieses Schlaganfalls und der Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 ab 31.08.2005 Rechnung getragen. Diese Bewertung des Beklagten ist nicht zum Nachteil des Klägers unrichtig, so dass ein höherer GdB als insgesamt 50 ab 31.08.2005 nicht in Betracht kommt.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen und die Angaben des vom Senat als sachverständigen Zeugen gehörten Kardiologen Dr. G. ist im Einzelnen noch Folgendes auszuführen: Das beim Kläger vorliegende Herzleiden (operierter Herzklappenfehler, Bluthochdruck) bedingt keinen höheren GdB als 30. Dies entspricht Teil B 9.1.2 der VG (bis 31.12.2008 Nr. 26.9 der AHP), wonach bei Herzklappenprothesen ein Mindest-GdB als 30 anzunehmen ist. Eine Erhöhung des Mindest-GdB ist hier auch unter Berücksichtigung des Bluthochdrucks nicht geboten, da die beim Kläger insoweit bestehende Leistungsbeeinträchtigung eine Anhebung des GdB nicht rechtfertigt. Dies folgt für den Senat aus den Angaben von Prof. Dr. K. gegenüber dem SG, der einen GdB von 30 für angemessen gehalten und darauf verwiesen hat, dass eine - für eine höhere Bewertung erforderliche - ausgeprägtere Form der Hypertonie nicht vorliegt. Dass diese Bewertung zutrifft, wird durch die Angaben von Dr. G. gegenüber dem Senat zusätzlich bestätigt. Dieser hat angegeben, hinsichtlich der Herzklappenoperation ergebe sich kein pathologischer Befund. Es sei von einem guten Operationsergebnis auszugehen. Der Kläger habe über keinerlei Beeinträchtigungen kardio-pulmonaler Art geklagt und die echokardiographisch aufgefallene leichtgradige pulmonale Hypertonie habe bisher noch zu keinen Beschwerden geführt. Hiergegen hat der Kläger auch keine substantiierten Einwände erhoben; die Bewertung seines Herzleidens ist von ihm im Berufungsverfahren nicht beanstandet worden.

Noch bestehende Folgen des am 31.08.2005 erlittenen Schlaganfalls sind ärztlicherseits nicht belegt. Vielmehr hat Prof. Dr. Me. am 09.06.2009 gegenüber dem SG angegeben, dass der Kläger am 02.09.2005 (richtig wohl: 05.09.2005) ohne ein neurologisches Defizit aus der stationären Behandlung entlassen worden ist und deshalb ein GdB von 0 vorgelegen habe. Dr. G. hat gegenüber dem Senat ebenfalls angegeben, dass er beim Kläger keine Hinweise auf Folgen eines Schlaganfalles gefunden habe. Die gelegentlich auftretenden Schwindelattacken - der Kläger habe insoweit über eine gehäuft auftretende Schwindelneigung unabhängig von körperlicher Belastung geklagt - könnten nach Einschätzung von Dr. G. möglicherweise durch den Schlaganfall verursacht sein. Dies rechtfertigt jedoch keinen GdB von 30. Nach Teil B 5.3 der VG sind erst Gleichgewichtsstörungen mit - dort im einzelnen beschriebenen - mittelgradigen Folgen mit einem GdB von 30-40 zu bewerten. Solche Beeinträchtigungen lassen sich den Ausführungen von Dr. G. jedoch nicht entnehmen. Die vom Kläger unter Beweis gestellten Konzentrations- und Gleichgewichtsstörungen, die ihn aber nicht zu einer ärztlichen Abklärung und Behandlung veranlasst haben, wären darüber hinaus allenfalls als mittelgradige Folgeerscheinungen zu qualifizieren (Schwindelerscheinungen mit Fallneigung bereits bei alltäglicher Belastung), was mit dem GdB 30 hinreichend berücksichtigt ist. Das Vorbringen kann daher als wahr unterstellt werden. Die beantragte Vernehmung der Ehefrau des Klägers (Schriftsatz vom 19.09.2010) zu diesem Beweisthema war nicht erforderlich.

Als weitere Funktionsstörung liegt eine Wirbelsäulenverformung vor, die keinen höheren GdB als 10 bedingt. Dies folgt aus den Angaben von Dr. S. vom 11.06.2009 gegenüber dem SG, der über das Ergebnis der Untersuchung vom 28.04.2003 berichtet und als Ergebnis mitgeteilt hat, dass seinerzeit keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule und seitens der Hüftgelenke bestanden hat. Soweit der Kläger insoweit die Auffassung vertritt, es sei nicht sachgerecht, der Bewertung seines Wirbelsäulenleidens das Ergebnis einer Untersuchung aus dem Jahre 2003 zugrunde zu legen, ist festzuhalten, dass trotz der richterlichen Auflage vom 08.10.2010 neuere ärztliche Unterlagen mangels ärztlicher Konsultationen des Klägers nicht vorliegen bzw. nicht angefordert werden können. Ohne Behandlungsbedürftigkeit ist ein mittelgradiges Wirbelsäulenleiden nicht begründbar. Die nicht näher substantiierte, insbesondere nicht ärztlich belegte Behauptung des Klägers, seither sei eine erhebliche Verschlimmerung eingetreten, zwingt den Senat bei dieser Sachlage nicht zur Einholung eines orthopädischen Gutachtens. Die beim Kläger bestehende Beinlängendifferenz von 1,5 cm bedingt keinen GdB. Erst bei einer Beinverkürzung über 2,5 cm (bis 4 cm) ist nach Teil B 18.14 der VG ein GdB von 10 anzunehmen.

Die ferner beim Kläger bestehende Gebrauchseinschränkung der linken Hand bedingt ebenfalls keinen höheren GdB als 10. Die vom Kläger im November 1996 erlittene Kreissägeverletzung, von der die drei mittleren Finger der linken Hand betroffen waren, hat im Wesentlichen Beeinträchtigungen im Bereich des linken Zeigefingers hinterlassen. Die stärkste Beeinträchtigung stellt die Versteifung des Zeigefingerendgliedes dar, die nach Teil B 18.13 der VG (Nr. 26.18 der AHP) keinen GdB von 10 bedingt, da dies den (vollständigen) Verlust des Zeigefingers oder eines anderen Fingers (mit Ausnahme des Daumens) voraussetzen würde. Bei einem - hier ohnehin nicht vorliegenden - Verlust einzelner Fingerglieder ist der GdB herabzusetzen. Ein GdB von 10 ergibt sich daher allenfalls unter Berücksichtigung des vom Kläger mit der Berufung geltend gemachten Dauerschmerzes im linken Zeige- und Mittelfinger. Ein GdB von 40 - wie vom Kläger geltend gemacht - wäre folglich weit überhöht.

Auch für die Funktionsstörung durch Fußfehlform ergibt sich kein höherer GdB als 10. Diese Bewertung hat der Kläger mit der Berufung auch nicht (mehr) beanstandet. Anhaltspunkte für eine höhere Bewertung sind für den Senat nicht ersichtlich.

Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 30 bzw. 50 (ab 31.08.2005). Die mit einem GdB von lediglich 10 bewerteten Funktionsstörungen führen nach Teil A 3 d) ee) der VG (Nr. 19 Abs. 4 der AHP) nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, so dass sie den Gesamt-GdB nicht erhöhen.

Der medizinische Sachverhalt ist genügend geklärt. Weitere Ermittlungen, insbesondere die Einholung von Gutachten, drängen sich dem Senat nicht auf. Das durch die Anhörung seiner Ehefrau als Zeugin unter Beweis gestellte Vorbringen des Klägers, diese müsse ihn immer wieder ermahnen, doch eine aufrechte Haltung einzunehmen, ist entscheidungsunerheblich. Das Ausmaß des Wirbelsäulenleidens des Klägers ist daraus nicht ableitbar. Auch insoweit war die beantragte Zeugenvernehmung nicht geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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