L 8 SB 3253/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 2760/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3253/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Bei der 1959 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt K. - Amt für Versorgung und Rehabilitation - (LRA) in Ausführung eines beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) im Klageverfahren S 4 SB 4868/05 abgegebenen Anerkenntnisses mit Bescheid vom 02.08.2006 wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), einer seelischen Störung, psychovegetativer Störungen und Depression (Teil-GdB 30), einer chronischen Magenschleimhautentzündung (Teil-GdB 20) sowie einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 10) den GdB mit 50 neu fest.

Auf einen Änderungsantrag der Klägerin vom 28.07.2008 zog das LRA medizinische Befundunterlagen bei (Berichte R. Klinik B. vom 02.10.2007, Radiologiezentrum K. vom 29.04.2008, Dr. P. vom 23.06.2008, PD Dr. W. vom 10.07.2008 und 28.10.2008 sowie Befundschein Dr. L. vom 30.10.2008). Nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen durch den Ärztlichen Dienst (gutachtliche Stellungnahme Dr. B. vom 26.11.2008) entsprach das LRA mit Bescheid vom 28.11.2008 (unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Fibromyalgiesyndroms) dem Antrag der Klägerin auf Neufeststellung des GdB nicht.

Gegen den Bescheid vom 28.11.2008 legte die Klägerin am 22.12.2008 Widerspruch ein, mit dem sie einen GdB von mindestens 70 geltend machte. Das LRA holte den weiteren medizinischen Befundschein von Dr. L. vom 21.04.2009 ein. Nach Einholung der gutachtlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes (Dr. C. vom 13.05.2009) wurde der Widerspruch der Klägerin vom Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Schulter-Arm-Syndroms rechts (Teil-GdB 10) - mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2009 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 25.06.2009 Klage beim SG. Sie machte zur Begründung geltend, die bei ihr vorliegenden Krankheiten und Funktionsbeeinträchtigungen (Wirbelsäulenleiden, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Zervikal- und Lumbalsyndrom, Schulter-Arm-Leiden, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, seelische und psychovegetative Störungen, Fibromyalgiesyndrom, Depression, Erschöpfungssyndrom und chronische Magenschleimhautentzündung) bedingten einen GdB von 70.

Das SG hörte den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Schmerztherapie PD Dr. W. , den Orthopäden Dr. L. , den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. und den Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. schriftlich als sachverständige Zeugen an. PD Dr. W. stimmte in seiner Stellungnahme vom 05.08.2009 der Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten zu. Dr. L. erachtete in seiner Stellungnahme vom 19.08.2009 die Bewertung des Teil-GdB durch den versorgungsärztlichen Dienst hinsichtlich der Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sowie einer Schultersteife rechts und einer Coccygodynie für zu niedrig bewertet (Teil-GdB mindestens 20). Dr. M. erachtete in seiner Stellungnahme vom 18.09.2009 hinsichtlich der Wirbelsäule und der seelischen Störung einen GdB von jeweils 40 sowie für das Schulter-Arm-Syndrom einen GdB von 20 für gerechtfertigt. Für die chronische Magenschleimhautentzündung und die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sei ein GdB von 10 beizubehalten. Dr. H. teilte in seiner Stellungnahme vom 12.10.2009 die bei der Behandlung erhobenen Befunde und Diagnosen mit und schätzte den Teil-GdB auf 30 ein.

Anschließend holte das SG das orthopädische Gutachten von Dr. Ma. vom 10.12.2009 ein. Dr. Ma. gelangte zusammenfassend zu der Beurteilung, bei der Klägerin bestünden an Behinderungen eine mittelgradige Funktionsstörung der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne Wurzelreiz (Teil-GdB 30), eine Sehnenansatzreizung der rechten Hüfte (Teil-GdB 10), ein patellofemorales Schmerzsyndrom rechts (Teil-GdB 10) und eine endgradige Funktionsstörung der rechten Schulter bei Impingement (Teil-GdB 10). Unter Berücksichtigung der nicht auf orthopädischem Gebiet liegenden Behinderungen der Klägerin schätzte Dr. Ma. den Gesamt-GdB auf 50 ein.

Mit Urteil vom 24.06.2010 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet sowie auf orthopädischem Gebiet sei jeweils von einem Teil-GdB von 30 auszugehen. Die Bildung des Gesamt-GdB von 50 sei nicht zu beanstanden. Die mit einem Teil-GdB von jeweils 10 zu bewertenden weiteren Behinderungen (Sehnenansatzreizung der rechten Hüfte, patellofemorales Schmerzsyndrom und Funktionsstörung der rechten Schulter) führten zu keiner Höherbewertung des Gesamt-GdB. Die Bewertung der Schmerzen fließe in die neurologisch-psychiatrische Bewertung des Teil-GdB ein und sei orthopädisch nur von untergeordneter Bedeutung.

Gegen das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 05.07.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 08.07.2010 beim SG Berufung eingelegt, die dem Landessozialgericht vorgelegt worden ist. Die Klägerin hat zur Begründung vorgetragen, ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlechtert. Für die seelische Störung und das Wirbelsäulenleiden sei jeweils von einem Teil-GdB von (mindestens) 40 auszugehen. Hinsichtlich des Schulter-Arm-Syndroms sei der Teil-GdB auf 20 zu erhöhen. Die Klägerin hat ärztliche Atteste des Dr. H. (ohne Datum) und Dr. L. vom 17.05.2011 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Juni 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2009 aufzuheben und den Beklagte zu verurteilen, bei ihr einen Gesamt-GdB von 70 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die geltend gemachte Verschlimmerung sei nicht nachzuvollziehen.

Der Senat hat Dr. H. und Dr. L. zu Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. L. hat in seiner Stellungnahme vom 21.02.2011 eine Veränderung im Gesundheitszustand der Klägerin bejaht. Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 14.04.2011 die Befunde und Diagnose mitgeteilt.

Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 03.08.2011 weiter entgegen getreten.

Der Senat hat das Gutachten des Orthopäden Dr. S. vom 29.11.2011 eingeholt. Dr. S. gelangte in seinem Gutachten zu der Beurteilung, bei der Klägerin bestünden an Funktionsbeeinträchtigungen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden (Teil-GdB 30), eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks und des rechten Handgelenks (Teil-GdB 10), eine Sehnenansatzreizung der rechten Hüfte und eine Funktionsbehinderung der Knie- und der Sprunggelenke (Teil-GdB 10). Unter Berücksichtigung der außerhalb des orthopädischen Gebiets liegenden Behinderungen - seelische Störung, psychovegetative Störungen und Depression (Teil-GdB 30), chronische Magenschleimhautentzündung (Teil-GdB 10) - schätzte Dr. S. den Gesamt-GdB auf 50 seit 25.08.2004 ein. Eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin sei nicht eingetreten. Hinzugetretene weitere Behinderungen (rechtes Schultergelenk und rechtes Handgelenk) führten nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.

Mit richterlicher Verfügung vom 07.12.2011 ist den Beteiligten mitgeteilt worden, dass beabsichtigt ist, gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden, und es ist ihnen Gelegenheit gegeben worden, sich zur Sache und zur beabsichtigt Verfahrensweise bis 10.01.2012 zu äußern.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Gerichtsakte des SG S 4 SB 4868/05 sowie ein Band Akten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen mit richterlicher Verfügung vom 07.12.2011 hingewiesen worden und haben unter Fristsetzung bis 10.01.2012 Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 28.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2009 ist rechtmäßig. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung des GdB von über 50 zu. Das angefochtene Urteil des SG vom 26.06.2010 ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen - welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX, die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Hiervon ausgehend beträgt der Gesamt-GdB bei der Klägerin unverändert nicht mehr als 50. Der Senat gelangt mit dem SG zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine wesentliche Änderung nicht eingetreten ist, die die Anhebung des Gesamt-GdB rechtfertigt. Ein Gesamt-GdB von mehr als 50 liegt nicht vor, wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend begründet hat. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum gleichen Ergebnis. Er schließt sich den hierzu gemachten Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an, auf die er zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen:

Dr. S. hat in dem vom Senat eingeholten Gutachten vom 29.11.2011 für die durch degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Bandscheibenschäden (mit untergeordneter Bedeutung und ohne verwertbare Irritation der Nervenwurzeln) hervorgerufene Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule der Klägerin mit einem Teil-GdB von 30 bestätigt. Nach den von ihm bei der Begutachtung der Klägerin festgestellten, im Gutachten wiedergegebenen - funktionellen - Wirbelsäulenbefunden lässt sich nach den VG (entgegen dem Berufungsvorbringen der Klägerin) ein Teil-GdB von 40 nicht rechtfertigen. Nach den VG Teil B 18.9 ist wegen Wirbelsäulenschäden ein Teil-GdB von 40 erst bei schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten gerechtfertigt. Solche Auswirkungen liegen bei der Klägerin sowohl nach den von Dr. S. und von Dr. Ma. erstatteten Gutachten nicht vor. Es ist allenfalls von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen, die vom Beklagten mit einem Teil-GdB von 30 angemessen berücksichtigt sind. Dem entspricht auch die Bewertung von Dr. L. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 19.08.2009. Entgegen dem Berufungsvorbringen der Klägerin ist eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung nicht eingetreten. Vielmehr hat Dr. S. in seinem Gutachten nachvollziehbar und überzeugend eine wesentliche Änderung des erstmals im Bescheid vom 29.05.2002 mit einem Teil-GdB von 30 berücksichtigten Wirbelsäulenleidens der Klägerin verneint. Der abweichenden Bewertung von Dr. M. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.09.2009, der wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule von einem Teil-GdB von 40 ausgeht, kann nicht gefolgt werden. Dr. M. legt seiner Bewertung des Teil-GdB mittelschwere degenerative Veränderungen zu Grunde, die nach den VG noch keinen Teil-GdB von 40 rechtfertigen. Für die Bewertung des Teil-GdB sind nicht degenerative Veränderungen, sondern die daraus resultierenden funktionellen Auswirkungen maßgeblich. Dass bei der Klägerin dauerhaft schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen, lässt sich seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage nicht entnehmen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin rechtfertigt das Schulter-Arm-Syndrom keinen Teil-GdB von 20. Nach den VG Teil B 18.13 ist ein Teil-GdB von 20 erst bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes (einschließlich des Schultergürtels) mit Einschränkung der Armhebung bis 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit anzunehmen. Eine solche dauerhafte Bewegungseinschränkung der Schultergelenke liegt bei der Klägerin sowohl nach den von Dr. Ma. in seinem Gutachten vom 10.12.2009 (rechts 120°-0-40°, links 130°-0-45°) und den von Dr. S. in seinem Gutachten vom 29.11.2011 mitgeteilten Befunden der Schulterbeweglichkeit (Seithebung rechts bis 150°, links uneingeschränkt) nicht vor. Soweit Dr. L. in seinem Befundschein an das LRA vom 21.04.2009 eine Schultergelenksbeweglichkeit (Abduktion) bis 85° angegeben hat, kann dieser einmalig beschriebene Befund der Bildung des Teil-GdB nicht zu Grunde gelegt werden, wie Dr. S. überzeugend dargelegt hat. Maßgeblich ist vielmehr, dass nach der überzeugenden Bewertung von Dr. S. die - sich zurückgebildete - geringe Schultersymptomatik rechts nicht das Ausmaß einer Behinderung erreicht. Der Ansicht von Dr. L. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 19.08.2009, der wegen Schultersteife rechts den Teil-GdB mit 20 angenommen hat, kann im Hinblick auf die bei den Begutachtungen der Klägerin durch Dr. Ma. und Dr. S. festgestellte Beweglichkeit der Schultergelenke und den dargestellten rechtlichen Vorgaben der VG nicht gefolgt werden. Entsprechendes gilt für die Ansicht von Dr. M. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.09.2009, der - bei erhaltener Beweglichkeit in der Schulter - von einem Teil-GdB von 20 ausgegangen ist.

Die bei der Klägerin auf (neurologisch-)psychiatrischem Gebiet bestehenden Behinderungen (seelische Störung, psychovegetative Störungen, Depression) sind - entgegen dem Berufungsvorbringen der Klägerin - mit einem Teil-GdB von 30 angemessen berücksichtigt. Dies hat Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 12.10.2009 bestätigt. Seine Bewertung des Teil-GdB ist nach den von ihm mitgeteilten Befunden wie auch den sonst zu den Akten gelangten Befundunterlagen plausibel. Sie entspricht den rechtlichen Vorgaben der VG Teil B 3.7. Danach ist bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Dass bei der Klägerin schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vorliegen, die einen Teil-GdB von 50 (bis 70) rechtfertigen, kann den Angaben von Dr. H. und den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht entnommen werden. Auch PD Dr. W. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 05.08.2009 der Ansicht des Ärztlichen Dienstes des Beklagten (gutachtliche Stellungnahmen von Dr. B. vom 26.11.2008 und Dr. C. vom 13.05.2009) ausdrücklich zugestimmt. Eine wesentliche Verschlechterung der seelischen Leiden, wie die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung geltend macht, ist nicht eingetreten. Der hierzu vom Senat gehörte Dr. H. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 14.04.2011 eine Verschlimmerung der seelischen Leiden der Klägerin nicht bestätigt. Er hat vielmehr den bereits in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 12.10.2009 - mit einem Teil-GdB von 30 bewerteten - Befund im Wesentlichen bestätigt. Soweit Dr. M. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.09.2009 hinsichtlich der seelischen Störung von einem Teil-GdB von 40 ausgeht, nennt er keine Befunde, die - abweichend von der Ansicht von Dr. H. - seine Bewertung plausibel machen. Im Übrigen wäre es selbst dann, wenn mit Dr. M. auf psychiatrischem Gebiet von einem Teil-GdB von 40 ausgegangen würde, eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 60 nicht zwingend und eine Erhöhung gar auf 70, wie von der Klägerin angestrebt, nicht gerechtfertigt.

Schließlich kann der von Dr. L. in dem von der Klägerin vorgelegten Attest vom 17.05.2011 erfolgten Bewertung des Gesamt-GdB mit 70 nicht gefolgt werden. Diesem Attest lassen sich keine Funktionseinschränkungen entnehmen, die seine Bewertung plausibel machen. Zudem stellt Dr. L. bei seiner Bewertung des Gesamt-GdB darauf ab, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur unter drei Stunden täglich leistungsfähig sei, was bei der Bewertung des GdB nicht tragend zu berücksichtigen ist.

Sonstige Gesundheitsstörungen, die als wesentliche Änderung berücksichtigen wären, sind bei der Klägerin nicht hinzugetreten, wie Dr. S. in seinem Gutachten vom 29.11.2011 überzeugend dargelegt hat. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich und werden von der Klägerin im Übrigen im Berufungsverfahren auch nicht geltend gemacht.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Für den Senat ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt durch die durchgeführten Ermittlungen aufgeklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved