L 8 SB 3722/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 2922/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3722/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind (noch) die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.

Bei dem 1955 geborenen Kläger stellte das Landratsamt R. - Versorgungsamt - (LRA) mit Bescheid vom 26.03.2007 wegen einer Kniegelenksendoprothese links (Teil-GdB 50), einem Diabetes mellitus und Polyneuropathie (Teil-GdB 40), Bluthochdruck und Herzleistungsminderung (Teil-GdB 30), Schwerhörigkeit (Teil-GdB 20) und einer Nephropathie (Teil-GdB 10) den GdB mit 80 neu sowie die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "G" fest. Die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" wurde abgelehnt.

Am 10.09.2007 beantragte der Kläger erneut die Feststellung des Merkzeichens "aG". Das LRA zog medizinische Befundunterlagen bei (Bericht der Kreiskliniken R. vom 13.07.2006 und Entlassungsbericht der T.klinik B. K. vom 10.08.2006). Nach Auswertung durch den Ärztlichen Dienst des LRA (gutachtliche Stellungnahme Dr. W. vom 09.01.2008) lehnte das LRA mit Bescheid vom 21.01.2008 die Neufeststellung eines höheren GdB sowie die Feststellung des Merkzeichens "aG" ab.

Gegen den Bescheid vom 21.01.2008 legte der Kläger am 18.02.2008 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, eine Gesamt-Bewertung hätte einen GdB von mindestens 90 ergeben müssen. Die Einschränkung seiner Gehfähigkeit sei enorm. Bei etwas großzügiger Betrachtungsweise sei ihm das Merkzeichen "aG" zu gewähren. Der Kläger legte einen Befundbericht von Dr. M. (Schlaflabor R.) vom 22.02.2008 sowie die Gutachten von Dr. M. vom 20.03.2008 und Dr. D. vom 22.01.2008 jeweils an die Deutsche Rentenversicherung vor. Nach Auswertung durch den Ärztlichen Dienst des LRA (gutachtliche Stellungnahme Dr. G. vom 07.07.2008, der unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Schlafapnoe-Syndroms mit einem Teil-GdB von 20 den GdB weiterhin mit 80 vorschlug und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" verneinte) wurde der Widerspruch des Klägers vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die neue festgestellte Funktionsbeeinträchtigung (Schlafapnoe-Syndrom) führe zu keinem höheren GdB. Die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lasse sich nicht begründen.

Hiergegen erhob der Kläger am 13.08.2008 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit der er einen GdB von mindestens 90 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geltend machte. Er trug zur Begründung vor, wegen des Schlafapnoe-Syndroms hätte der GdB auf mindestens 90 erhöht werden müssen. Die Kniegelenksendoprothese links bewirke zusammen mit dem Bluthochdruck und der Herzleistungsminderung eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Eine Prüfung durch den Beklagten sei insoweit nicht erfolgt.

Das SG hörte Dr. M., Dr. R. und Dr. D. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. M. teilte in ihrer Stellungnahme vom 04.11.2008 den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. In der Praxis habe der Kläger mit Mühe vom Wartezimmer ins Sprechzimmer gehen können, was einer Strecke von ca. 20 Metern entspreche. Dr. R. teilte in seiner Stellungnahme vom 10.11.2008 den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. Der Kläger könne bis ca. 20 Meter ohne Stock hinkend und unter Schmerzen gehen. Bei weiteren Strecken müssten Gehstützen benützt werden. Die Gehstrecke betrage schätzungsweise 200 Meter. Das Merkzeichen "aG" sei gerechtfertigt. Dem Kläger sei das Aussteigen aus dem Pkw bei Benutzung eines normalen Parkplatzes fast unmöglich, weshalb er eigentlich wo möglich auf einen Behindertenparkplatz angewiesen sei. Dr. D. teilte in seiner Stellungnahme vom 09.11.2008 den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. Zum Gehvermögen des Klägers hat er keine Angaben machen können.

Das SG holte von Amts wegen das Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 11.05.2009 ein. Dr. H. gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger lägen an Behinderungen eine Funktionsstörung des linken Beines und der linken Schulter, ein metabolisches Syndrom, eine Schlafapnoe, eine Hörminderung und ein Nierenleiden vor. Der Gesamt-GdB betrage bei sehr wohlwollender Betrachtung 80. Der Zustand des linken Kniegelenks bewirke eine dauerhafte deutliche Funktionsstörung in der linken unteren Gliedmaße. Die Funktionsstörung sei aber nicht so ausgeprägt, wie z.B. bei einem Oberschenkelamputiertem. Aus gutachterlicher Sicht sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger soweit gehbehindert sein soll, dass er sich wegen der Schwere des Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG außerdem das chirurgische Gutachten von Dr. H. vom 16.11.2009 ein. Dr. H. gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger bestünden an Behinderungen eine Funktionsstörung des linken Beins und der linken Schulter, ein metabolisches Syndrom, eine Schlafapnoe, eine Hörminderung und ein Nierenleiden. Der Gesamt-GdB betrage 80. Aufgrund der Funktionsstörungen des linken Kniegelenkes sei der Kläger nur eingeschränkt in der Lage, längere Strecken ohne Schmerzen zu gehen. Internistisch ergäben sich Einschränkungen der Leistungsfähigkeit aufgrund des Hypertonus, der Herzrhythmusstörungen, des Diabetes mellitus und des Schlafapnoe-Syndroms mit Auswirkungen auf die Kraftentfaltung, Ausdauer sowie feinmechanische Koordination. Die Funktionsstörung sei vergleichbar mit dem Zustand eines nach einer Oberschenkelamputation prothetisch versorgten Patienten. Durch den Gebrauch der beiden Unterarmgehstützen könne die Funktionseinschränkung zwar größtenteils kompensiert werden. Letztlich sei aber eine Gehstrecke von 100 Metern am Stück nur schwer durchzuführen. Aufgrund der Einschränkung im Bereich der linken Schulter sei der Kläger auch nicht in der Lage, lange währende Strecken mit Unterarmgehstützen über seinen Oberkörper abzufedern. Erschwerend komme hinzu, dass beim Kläger eine deutliche Problematik beim Ein- und Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug bestehe. Dem Gutachten von Dr. H. werde im Großen und Ganzen zugestimmt. Im einzigen Unterschied zu Dr. H. werde die Unmöglichkeit des Klägers gesehen, mit dem verletzten Bein eine vernünftige Ein- und Aussteigebewegung auch bei enggestellter Türe durchzuführen. Aus diesem Grunde bestehe die Notwendigkeit, dem Kläger die Möglichkeit zu geben, Behindertenparkplätze zu nutzen.

Das SG holte die ergänzende gutachtliche Stellungnahme von Dr. H. vom 27.04.2010 ein, in der er an seiner gutachtlichen Aussage vom 11.05.2009 festhielt. Anschließend holte das SG die ergänzende gutachtliche Stellungnahme von Dr. H. vom 28.05.2010 ein, in der er mitteilte, Dr. H. habe sicherlich in seiner Bewertung Recht, dass allein durch die Funktionsbehinderung des Beines beim Gehen und Stehen eine Benützung von Behindertenparkplätzen nicht erforderlich sei. Dem Kläger sei jedoch nicht möglich, bei nicht maximal geöffneter Tür aus dem Auto ein- und auszusteigen. Es werde an der Auffassung festgehalten, dass allein aufgrund der Behinderung beim Ein- und Aussteigen dem Kläger die Möglichkeit gegeben werden sollte, auf Behindertenparkplätzen zu parken.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. W. vom 17.02.2009 und 03.09.2010 sowie von Dr. R. vom 11.02.2010 der Klage entgegengetreten.

Auf Anregung des Beklagten legte der Kläger Blutzuckertagebücher vor. Der Beklagte unterbreitete daraufhin den Kläger ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 90 ab 10.09.2007 festzustellen, das der Kläger zur Erledigung des Rechtsstreites nicht annahm. Es verbleibe bei dem Begehren, das Merkzeichen "aG" festgestellt zu erhalten.

Mit Urteil vom 25.07.2011 verurteilte das SG den Beklagten, beim Kläger den GdB mit 90 seit dem 22.07.2007 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, es sei insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten, dass ein GdB von 90 seit 22.07.2010 als angemessen zu beurteilen sei. Demgegenüber seien die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" beim Kläger nicht erfüllt. Das SG stützte sich auf das Gutachten des Dr. H ... Allein die Schwierigkeiten des Klägers, beim Ein- und Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug erfüllten die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" nicht.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 08.08.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 30.08.2011 Berufung eingelegt, soweit das Merkzeichen "aG" nicht zugesprochen wurde. Er hat sich zur Begründung auf das Gutachten von Dr. H. berufen und angeregt, Dr. H. nochmals zu befragen. Besondere Anstrengungen müssten sich nicht zwingend im pulmonalen oder muskulären Bereich zeigen. Es reiche vielmehr aus, wenn große Anstrengungen geistiger Art zur Fortbewegung erforderlich seien. Entscheidend sei, dass die Anstrengung zu einer Einschränkung der Wegefähigkeit führe. Der Kläger hat sich auf Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf und des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg berufen. Danach habe Dr. H. eine zutreffende Bewertung vorgenommen, als er festgestellt habe, dass er, der Kläger, aufgrund der Einschränkung im Bereich der linken Schulter nicht in der Lage sei, lange währende Strecken mit Unterarmgehstützen über seinen Oberkörper abzufedern, was der zutreffenden Einschätzung der Vergleichbarkeit des Zustandes nach Oberschenkelamputation und prothetisch versorgtem Patienten entspreche. Nur als Zusatzargument sei zu berücksichtigen, dass eine vernünftige Ein- und Aussteigebewegung bei eng gestellter Türen nicht möglich sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Juli 2011 abzuändern sowie den Bescheid des Landratsamts R. vom 21. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm auch die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" ab dem 10.09.2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.

Streitgengenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch, ob dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG" zusteht. Dem entspricht der vom Senat sachdienlich gefasste Berufungsantrag des Klägers. Nicht mehr Streitgegenstand ist die Höhe des GdB mit 90. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Berufung nicht gewandt.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.

Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht aufgrund der zu den Akten gelangte ärztlichen Unterlagen und der vom SG durchgeführten Ermittlungen für den Senat fest.

Die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Die Regelungen der VG zum Merkzeichen aG sind mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig und unwirksam. Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für den nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleich "aG" durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über den Nachteilsausgleich "aG" ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Der Senat geht insoweit in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, beide veröffentlicht in Juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de) von einer Teilnichtigkeit der VersMedV aus, da der Teil der VG - als Anhang zu § 2 Teil der Verordnung - durch die Unwirksamkeit der genannten Regelungen nicht berührt wird und auch im Übrigen die Regelungen der VersMedV nicht betroffen sind. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind daher allein die genannten gesetzlichen Regelungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.

Danach ist ein Betroffener gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht für den Senat fest, dass der Kläger dem genannten Personenkreis nicht gleichgestellt werden kann.

Dass sich der Kläger nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist nach den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und den vom SG eingeholten Gutachten von Dr. H. vom 11.05.2009 und Dr. H. vom 16.11.2009 nicht der Fall und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Die Gehfähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats auch nicht auf das Schwerste so weit eingeschränkt, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann.

Die für den Nachteilsausgleich "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist nach der Rechtsprechung des BSG dann gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für den Nachteilsausgleich "aG" reichen irgendwelche Erschöpfungszustände zudem nicht aus (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R). Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben liegen beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab dem 10.09.2007 nicht vor. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteil - gestützt auf das Gutachten von Dr. H. und dessen ergänzende Stellungnahme - ausführlich und zutreffend begründet. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum gleichen Ergebnis. Er macht sich zur Begründung seiner eigenen Entscheidung diese Ausführungen des SG voll zu Eigen, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:

Die von Dr. H. bei der Begutachtung des Klägers erhobenen Befunde, wie sie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend dargestellt hat, machen auch zur Überzeugung des Senates nicht plausibel, dass sich der Kläger praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, weshalb auch der Senat der überzeugenden Bewertung von Dr. H. folgt. Insbesondere hat Dr. H. nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger die Funktionsstörung am linken Kniegelenk gut mit Unterarmgehstützen kompensieren und ein Großteil des Körpergewichts trotz der Kniebeschwerden mit der linken unteren Gliedmaße aufnehmen kann. Dem Kern dieser gutachterlichen Bewertung hat Dr. H. nicht widersprochen.

Der sonst abweichenden Ansicht von Dr. H. in seinem Gutachten vom 16.11.2009 und der ergänzenden Stellungnahme vom 28.05.2010, der es für gerechtfertigt ansieht, dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, auf Behindertenparkplätzen zu parken, kann nicht gefolgt werden. Dr. H. hält den Zustand des Klägers vergleichbar mit einem durch Prothese versorgten Oberschenkelamputierten. Bei diesem Vergleichsmaßstab kann der Kläger dem oben genannten Personenkreis aber nicht gleichgestellt werden, worauf auch Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.04.2010 hingewiesen hat. Dr. H. ist der Bewertung im Gutachten von Dr. H. hinsichtlich der Funktionsbehinderung des linken Beines des Klägers beim Gehen auch nicht entgegengetreten. Er hat in seinem Gutachten vom 16.11.2009 vielmehr dem Gutachten von Dr. H. im Großen und Ganzen zugestimmt und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.05.2010 bestätigt, dass allein die Funktionsbehinderung des Beins beim Gehen und Stehen eine Benutzung von Behindertenparkplätzen nicht erforderlich macht. Entgegen der Ansicht des Klägers stützt Dr. H. seine abweichende Ansicht maßgeblich darauf, dass es dem Kläger nicht möglich ist, bei nicht maximal geöffneter Tür aus dem Auto auszusteigen oder in das Auto einzusteigen. Ein lediglich zusätzliches Argument, wie der Kläger geltend macht, liegt nach den Ausführungen von Dr. H. in seinem Gutachten vom 16.11.2009 nicht vor. Vielmehr hat Dr. H. (ausdrücklich) ausgeführt, im einzigen Unterschied zu Dr. H. sehe er die Unmöglichkeit des Klägers mit dem verletzten Bein eine vernünftige Ein- und Aussteigebewegung auch bei enggestellter Türe durchzuführen, weshalb Dr. H. (aus diesem Grund) die Notwendigkeit sieht, dem Kläger die Möglichkeit der Benutzung eines Behindertenparkplatzes zu geben. Diese Erwägung rechtfertigt nach den oben dargestellten rechtlichen Kriterien jedoch nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Denn die Notwendigkeit einer weit geöffneten Tür beim Ein- bzw. Aussteigen erfüllt die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße nicht. Zum Ausgleich derartiger Nachteile ist die Ausnahme durch die VwV-StVO nicht geschaffen. Sie ist vielmehr dazu gedacht, den behinderten Menschen wegen der Beeinträchtigung seiner Gehfähigkeit möglichst nahe an sein Ziel fahren zu lassen (vgl. BSG Urteil vom 03.02.1988 - 9/9a RVs 19/88 - SozR 3870 § 3 Nr. 28 und Urteil des erkennenden Senats vom 23.02.2007 - L 8 SB 763/06 -, nicht veröffentlicht).

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.12.2008 (S 35 (6) SB 43/06) und des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 03.12.2009 (L 13 SB 235/07) berufen. Denn der in diesen Entscheidungen jeweils zu beurteilende Sachverhalt ist nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragbar. Dass der Kläger wegen nerval gestörter Motorik zu besonderer Konzentration beim Gehen gezwungen ist bzw. seine Gehfähigkeit durch Übergewichtigkeit auf das Schwerste so weit eingeschränkt ist, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, ist nach den vom SG eingeholten Gutachten von Dr. H. und Dr. H. nicht gegeben und auch den sonst vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht zu entnehmen.

Der Senat sieht auch keinen Anlass, Dr. H. im Berufungsverfahren nochmals zu befragen. Dr. H. hat bereits beim SG ergänzend zu seinem Gutachten Stellung genommen (Stellungnahme vom 28.05.2010). Offene oder weiter klärungsbedürftige Fragen nennt der Kläger nicht und sind auch dem Senat nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass sich der Beklagte der Ansicht von Dr. H. nicht angeschlossen hat, zwingt nicht zu einer erneuten Befragung. Dies umso mehr, als Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.05.2010 seine Ansicht, weshalb er von der Bewertung durch Dr. H. abweicht, klar beantwortet hat. Der Antrag des Klägers auf erneute Befragung von Dr. H. hat sich im Übrigen erledigt, denn er ist mit der Erklärung, mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein, nicht wiederholt worden (st. Rspr., vgl. BSG Urteil vom 21.06.2001 - B 7 AL 18/01 B -, juris, und Beschluss vom 01.09.1999 - B 9 V 42/99 B -, SozR 3-1500 § 124 Nr. 3, juris).

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht auch sonst nicht. Der Senat hält den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch die durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen für geklärt. Dass beim Kläger eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes eingetreten ist, ist nicht ersichtlich und wird im Übrigen vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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