S 4 KO 31/08

Land
Mecklenburg-Vorpommern
Sozialgericht
SG Neubrandenburg (MVP)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Neubrandenburg (MVP)
Aktenzeichen
S 4 KO 31/08
Datum
2. Instanz
LSG Mecklenburg-Vorpommern
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Angemessen ist in Fällen von Untätigkeitsklagen in der Regel eine Verfahrensgbühr in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr, mithin 125 Euro. Eine Erledigungs-Gebühr gemäß Ziffer 1006 VV oder eine fiktive Termins-Gebühr gemäß VV 3106 entsteht in Verfahren nach § 88 SGG regelmäßig nicht.
Die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden unter Zurückweisung der Erinnerung der Beklagten und der Anschlusserinnerung des Klägers auf 172,55 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Kosten nach für erledigt erklärter Untätigkeitsklage, mit welcher eine (Widerspruchs-)Entscheidung der Beklagten zur Frage des Anspruchs des Klägers auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt wurde.

Von der Kostenbeamtin war unter dem 13.05.2008 wie folgt festgesetzt worden:

Gebühr gemäß Nr 3102 VV RVG 125,00 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr 7002 VV RVG 20,00 EUR 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr 7008 VV RVG 27,55 EUR Gesamt 172,55 EUR

Insoweit entsprach sie dem Festsetzungsantrag. Soweit hingegen auch eine Gebühr gemäß Ziffer 1006 VV (sowie anteilige Umsatzsteuer) zur Festsetzung beantragt war, folgte dem die Kostenbeamtin mit der Begründung nicht, dass eine solche Gebühr im Untätigkeitsverfahren nicht entstehe.

Mit ihrer Erinnerung begehrt die Beklagte, die (Verfahrens-)Gebühr gemäß Nr 3102 VV RVG nur in Höhe von 83,33 EUR (1/3 der Mittelgebühr) zu berücksichten, wie dies von anderen Gerichten in Mecklenburg-Vorpommern praktiziert werde.

Mit der Anschlusserinnerung verfolgt der Kläger die Festsetzung der (Erledigungs-)Gebühr gemäß Ziffer 1006 VV weiter.

II. Die Erinnerungen sind (als Anträge auf Entscheidung des Gerichts gemäß § 197 Abs 2 SGG) zulässig, jedoch beide unbegründet. Die Kostenbeamtin hatte die Höhe der zu erstattenden Gebühren bereits zutreffend festgesetzt.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen wie hier das Gerichtskostengesetz nicht anwendbar ist, entstehen nach § 3 Abs 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Die Verfahrensgebühr gemäß Nr 3102 VV RVG hat einen Gebührenrahmen von 40 Euro bis zu 460 Euro. Die Mittelgebühr beträgt 250 Euro. Der hiervon nach unten abweichende Gebührenrahmen der Nr 3103 VV RVG (Es ist eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen: Die Gebühr 3102 beträgt 20,00 bis 320,00 Euro) findet im Falle von Untätigkeitsklagen keine Anwendung, da der Gegenstand derartiger Verfahren allein die Verpflichtung der Behörde zur Tätigkeit ist, während im "vorangegangenen" Verwaltungs- bzw. Vorverfahren die Sachentscheidung gegenständlich ist.

Die Bestimmung der Höhe der Rahmengebühren richtet sich nach § 14 Abs 1 RVG. Danach bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Ist die Gebühr von einem Dritten zu erstatten, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Angemessen ist nach Auffassung des Gerichts unter der Geltung des RVG in Fällen von Untätigkeitsklagen in der Regel die Hälfte der Mittelgebühr, mithin 125 Euro.

Diese deutliche Abweichung von der ansonsten als Maßstab dienenden Mittelgebühr nach unten ist darin gerechtfertigt, dass sich die anwaltliche Tätigkeit bei Untätigkeitsklagen im wesentlichen auf die Fristenüberwachung beschränkt, die Schwierigkeit mithin unterdurchschnittlich ist. Auch der Umfang der Tätigkeit des Anwalts ist regelmäßicg weit unterdurchschnittlich. Der Aufwand für die Klagebegründung ist ebenso unterdurchschnittlich, wie der Aufwand im weiteren Verfahrensverlauf. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass sich im Falle einer erstmaligen Mandatierung anlässlich der Erhebung der Untätigkeitsklage für den Anwalt durchaus ein nicht ganz unerheblicher Zeitaufwand ergeben kann, bis klar wird, dass eine Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage jedenfalls aktuell nicht erforderlich ist.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen, sein Interesse an einem zeitnahen Verwaltungshandeln, ist regelmäßig allenfalls durchschnittlich, da nicht der begehrte Verwaltungsakt selbst sondern nur "irgendeine" Entscheidung begehrt werden kann. Was Gegenstand der ausstehenden Entscheidung ist, kann entgegen LSG Essen, L 19 B 24/08 AS, vom 05.05.2008, allerdings auch nicht gänzlich außer Betracht bleiben, da das Interesse an einer baldigen Rechtsklarheit jedenfalls im Falle existenzsichernder Leistungen, die dem Grunde nach streitig sind, durchaus als erheblich zu werten ist.

Schließlich sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Partei zu berücksichtigen, die bei fehlenden anderweitigen Anhaltspunkten als durchschnittlich zu unterstellen sind, anderenfalls konkret zu berücksichtigen sind. Schließlich kann das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts zu berücksichtigen sein, welches jedoch im Falle von Untätigkeitsklagen angesichts der Einfachheit der Tätigkeit regelmäßig gering sein wird. Ein noch niedrigerer Gebührenansatz, unter Umständen sogar nur in Höhe der Mindestgebühr von 40 Euro, kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn neben den o.g. Kriterien feststeht, dass die Partei über weit unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse verfügt und zugleich eine nur ganz unbedeutende Leistungen (z.B. streitige Spitzbeträge in Verfahren nach dem SGB II) Gegenstand der ausstehenden Verwaltungsentscheidung sind. Allerdings ist für derartige Fälle auch ein "Spielraum nach unten" erforderlich, der bei einer Regel-Gebührenhöhe von lediglich ca. 80 EUR kaum mehr bestünde.

Vorliegend verbleibt es bei der oben genanten "Regelgebühr" für Untätigkeitsklagen in Höhe von 125 Euro.

Da vorliegend der Gegenstand der ausstehenden Verwaltungsentscheidung von erheblicher Bedeutung für den Kläger war, sein Interesse an einer alsbaldigen Klärung seiner wirtschaftlichen Zukunft mithin keineswegs als zu vernachlässigen angesehen werden kann, und zudem nichts für eine Mittellosigkeit des Klägers spricht, ist kein Grund ersichtlich, von der Regelgebühr noch weiter nach unten abzuweichen. Im angegriffenen KFB sind auch 125 EUR festgesetzt.

Insoweit die Beklagte auf die Entscheidungen anderer Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern verweist, ist zum einen klarzustellen, dass es sich hierbei ganz überwiegend nicht um richterliche Festsetzungen handelt. Das ist lediglich bei der Entscheidung des Sozialgerichts Stralsund, S 1 KO 19/05, der Fall. Diese Entscheidung beschränkt sich indes auf das "Das-haben wir-immer-schon-so-gemacht-Prinzip" und verweist auf die unter der Geltung der BRAGO übliche Praxis, von der abzuweichen kein Anlass bestehe. Die Entscheidung verkennt mithin, dass mit der Einführung des RVG anstelle von einer einzigen (höheren) Rahmengebühr gemäß § 116 BRAGO nunmehr auch im sozialgerichtlichen Verfahren mehrere Gebühren verdient werden können, sodass der Grundsatz "ohne Beweisaufnahme und ohne Termin nur ein Drittel der Mittelgebühr" keineswegs mehr sinnvoll angewendet werden kann. Nebenbei bemerkt betrüge die von der Beklagten als angemessen gewünschte 1/3-Mittelgebühr nach BRAGO 120 EUR!

Allerdings hat das SG Stralsund in der erwähnten Entscheidung tatsächlich insgesamt höhere Gebühren als erstattungsfähig festgesetzt, weil neben der hier streitigen Verfahrensgebühr auch eine (fiktive) Terminsgebühr gemäß Nr 3106 VV RVG festgesetzt wurde. Wenn - wie im Folgenden darzulegen sein wird - von mehreren in sozialgerichtlichen Verfahren möglichen Gebühren im Untätigkeitsklageverfahren tatsächlich aber nur eine Gebühr (die Verfahrensgebühr) verdient werden kann, besteht gerade kein Anlass, diese Umstände (keine Beweisaufnahme, kein Termin) bei der Bemessung der Rahmengebühr nochmals zu berücksichtigen.

Eine Gebühr gemäß Ziffer 1006 VV entsteht in Verfahren nach § 88 SGG nicht. Es kann daher dahinstehen, ob insoweit eine besondere anwaltliche Tätigkeit zu verlangen ist. Jedenfalls fehlt es an einer zur Erledigung der Rechtssache führenden "Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts" bzw. an dem "Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts". Zwar hat der Erlass des bisher nicht ergangenen Widerspruchsbescheides zur Erledigung der Untätigkeitsklage geführt. Keineswegs ist hiermit aber ein bisher abgelehnter Verwaltungsakt ergangen, vgl. auch SG Reutlingen, S 12 AS 2202/06 A.

Auch die (alternative) Festsetzung einer fiktiven Termins-Gebühr gemäß VV 3106 kommt regelmäßig, und letztlich auch hier, nicht in Betracht. Entgegen SG Köln, S 6 AS 231/06, handelt es sich bei dem Erlass eines Widerspruchsbescheides im Rahmen einer Untätigkeitsklage nicht nur nicht stets um ein Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs 2 SGG und VV 3106 Satz 2 Nr 3, sondern regelmäßig nicht, nämlich immer dann, wenn nicht von der Beklagten ausdrücklich ein Anerkenntnis abgegeben wird. Für die Entstehung des Gebührentatbestandes ist es ferner erforderlich, dass ein solches ausdrückliches Anerkenntnis, wie es die Beklagte im vorliegenden Fall sogar noch nach Erlass des Widerspruchsbescheides abgegeben hatte, auch ausdrücklich von der Klägergerseite angenommen wird und gerade hierdurch die Erledigung des Verfahrens eintritt, § 101 Abs. 2 SGG. Daran fehlt es jedoch hier, da die Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht das Anerkenntnis angenommen hat, sondern nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides und noch bevor sie von dem Anerkenntnis Kenntnis hatte, die Erledigung des Verfahrens durch einseitige Erledigungserklärung herbeigeführt hat; insoweit wie hier LSG Essen, a.a.O.

Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, § 56 Abs 2 Satz 3 RVG analog.

Dieser Beschluss ist rechtskräftig, § 197 Abs 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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