L 8 U 194/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 508/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 194/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Stimmbandkarzinoms des Klägers als Berufskrankheit streitig.

Der 1947 geborene Kläger ist von Beruf Maschinenschlosser. Er arbeitete bis 1967 im erlernten Beruf (F. Z. KG). Anschließend war er bis 1970 als Verkaufsfahrer einer Firma für Käseimport, bis 1976 als Monteuer im Heizungsbau und ab 1976 bei der Firma B. in verschiedenen Betriebsabteilungen (bis 1993 in W. in den Bereichen Messerwartung und Qualitätssicherung, vom 01.04.1993 bis Februar 1994 im Bereich der Lack- und Farbenherstellung in S. bzw. W. und ab März 1994 im Speditionsbereich der Lack- und Farbenherstellung) tätig. Ab Januar 1998 war der Kläger arbeitsunfähig.

Im Jahr 1990 erkrankte der Kläger an Stimmbandkrebs.

Am 23.11.1998 stellte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, künftig Beklagte) einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK). Er machte geltend, 1984 sei es zu einer Stimmbanderkrankung gekommen, die sich bis 1990 zu einem Stimmbandkarzinoms entwickelt habe. Die letzte Operation sei März 1998 durchgeführt worden.

Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren ein. Am 07.12.1998 wurde der Kläger vom Außendienst der Beklagten in seiner Wohnung zur Krankheits- und Arbeitsanamnese befragt (Aktenvermerk Herr J. vom 17.12.1998). Weiter nahm die Beklagte Unterlagen aus weiteren berufsgenossenschaftlichen Feststellungsverfahren des Klägers zu den Akten und hörte die behandelnden Ärzte des Klägers an (Arzt S. vom 08.02.1999, Dr. H. vom 17.02.1999, Dr. F. vom 24.03.1999, Dr. S. vom 25.02.1999, Dr. B. vom 03.03.1999, Dr. U. vom 17.03.1999, Prof. Dr. W. vom 10.03.1999 und Betriebsarzt Dr. W. vom 07.04.1999). Außerdem befragte die Beklagte die B. zur Tätigkeit des Klägers (Fragebogen vom 16.02.1999 unter Vorlage einer Arbeitsbereichsanalyse nach §§ 16 bis 18 der Gefahrstoffverordnung, Stand 30.09.1992 sowie vom 10.05.1999 der Firma E. M. GmbH W. und vom 21.05.1999 der B. D. GmbH W.). Anschließend holte die Beklagte den Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten Diplom-Ing. G. vom 28.07.1999 zur Tätigkeit des Klägers ab Oktober 1976 und zur Exposition mit Arbeitsstoffen ein.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.09.1999 gelangte Dr. S. in Auswertung der zu den Akten gelangten Unterlagen zu der Bewertung, beim Kläger sei 1990 ein entstandenes Stimmbandkarzinom operiert worden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe sich kein Anhalt für ein Rezidiv gefunden. Von Oktober 1976 bis Juni 1977 sei der Kläger in der Videobandproduktion als Maschinenbediener tätig gewesen, wobei er mit staubförmigem Abrieb der Bänder (Polyäthylen-Folie und Chromdyoxid-Dispersion, Chrom-Wert ( 0,01 mg/cbm) in Berührung gekommen sei. Eine karzinogene Wirkung auf die Stimmbänder sei nicht wahrscheinlich. Von 1977 bis 1984 habe der Kläger Schneidemesser zur Videobandproduktion mit vier Reinigungsmitteln gereinigt. Eine krebsauslösende Wirkung im Sinne eines Kehlkopfkrebses sei bei diesen Stoffen nicht bekannt. Von 1984 bis 1993 habe der Kläger im Bereich der Qualitätssicherung und Prüfung gearbeitet. Bei dieser Tätigkeit könne er mit Chrom, Nickel, Kobalt und Eisen in Berührung gekommen sein, die alle deutlich unter den MAK- bzw. TRK-Werten gelegen hätten. Die anschließende Tätigkeit des Klägers spiele für die Entstehung des Kehlkopfkarzinoms keine Rolle, da die Expositionszeit erst nach der Krankheitsentstehung gegeben gewesen sei. Eine BK Nr. 1103 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) liege nicht vor. Auch eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII sei nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 12.11.1999 stellte die Beklagte fest, dass die Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers keine Berufskrankheit (insbesondere nach Nr. 1103 der Anlage zur BKV) sei. Die Erkrankung werde auch nicht "wie" eine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII anerkannt.

Am 17.01.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Rücknahme des Bescheides vom 12.11.1999 und begehrte weiterhin die Anerkennung der Stimmbandkarzinomerkrankung als BK. Der Kläger legte das Gutachten von Prof. Dr. M. vom 17.05.2004 an das Landgericht O. sowie den Reha-Entlassungsbericht der B. Kliniken S. W. vom 09.03.2000 vor. Eine durch Chromdioxyd induzierte Erkrankung sei nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus seien Reinigungsmittel verwandt worden, deren Benutzung später wegen starker krebsfördernder Wirkung verboten worden seien. Der Kläger benannte Zeugen. Eine Befragung der Firma E. M. GmbH und den Technischen Aufsichtsdienst zu verwendeten Reinigungsmitteln erbrachte keine Informationen (Mitteilung Firma E. M. GmbH vom 20.10.2005 und Bericht Diplom-Ing. G. vom 15.02.2006).

Mit Bescheid vom 11.07.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung der Stimmbanderkrankung als BK, insbesondere nach Nr. 1103 der Anlage zur BKV, gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VII (weiter) ab; Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien auch weiter nicht zu erbringen.

Gegen den Bescheid vom 11.07.2006 legte der Kläger am 18.07.2006 Widerspruch ein, dem vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007 nicht stattgegeben wurde.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.01.2007 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Er machte zur Begründung geltend, er sei während seiner Tätigkeit bei der Firma B. seit Oktober 1976 mit krebsfördernden Reinigungsmitteln, chemischen Substanzen und Chromdioxyd in Berührung gekommen, die geeignet seien, Kehlkopfkrebs zu verursachen. Auch bestehe die Möglichkeit, dass die zunächst gutartige Kehlkopfveränderung durch die arbeitsbedingte Belastung mit Werkstoffen durch Zeitablauf oder durch andere Belastungen mit anderen Werkstoffen kanzerogen entartet sei. Es lägen ausreichend Hinweise dafür vor, dass die maligne Stimmbanderkrankung als BK oder "wie eine BK" anzuerkennen sei. Der Kläger legte Befundberichte des Universitätsklinikums H. vom 27.04.2006 und 13.10.2006 vor.

Das SG holte die ergänzende Stellungnahme des Diplom-Ing. G. vom 02.04.2008 ein. Darin wird mitgeteilt, dass keine Erkenntnisse darüber vorlägen, dass Reinigungsmittel aufgrund von krebserzeugenden Potentialen ausgetauscht worden seien.

Anschließend holte das SG das arbeitsmedizinische Gutachten von Dr. B. vom 02.05.2009 ein. Dr. B. gelangte zu der Beurteilung, aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse und der Angaben des Klägers sei davon auszugehen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen (u. a.) der BK Nrn. 1103, 1302 und 1317 der Anlage zur BKV nicht gesichert im Sinne des Berufskrankheitenrechts vorlägen. Die Tätigkeiten des Klägers im Bereich der B. Drucksysteme und der Spedition spielten für die Krankheitsentstehung des Kehlkopfkarzinoms keine Rolle, da die Expositionszeit erst nach der Krankheitsentstehung gegeben gewesen sei. Hinsichtlich der BK Nr. 1103 der Anlage zur BKV (Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen) sei auch wenig wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang zwischen der ermittelten Exposition zu Chrom (IV)-Stäuben und der Erkrankung an einem Stimmbandkarzinom bestehe, da der Kläger nur relativ geringen Konzentrationen von Chrom IV für eine relativ kurze Zeit exponiert gewesen sei. Es gäbe zudem keine hinreichenden Erkenntnisse bezüglich einer Kanzerogenität für Chrom IV. Eine krebsbildende Wirkung von Chrom VI sei lediglich in der Lunge hinreichend bewiesen. Hinsichtlich einer BK Nr. 1302 der BKV (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) sei das Auftreten des Stimmbandkarzinoms im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Klägers in der Messerwartung zwar prinzipiell möglich, aber nicht wahrscheinlich. Nach derzeit herrschender medizinischer Lehrmeinung bestünde beim Menschen kein gesicherter Zusammenhang zwischen einer chronischen Exposition zu organischen Lösungsmitteln und dem Auftreten eines Stimmbandkarzinoms. Eine Enzephalopathie oder Polyneuropathie liege beim Kläger nicht vor (BK Nr. 1317 der BKV). In der medizinischen Wissenschaft lägen auch keine neuen Erkenntnisse darüber vor, dass Maschinenbediener oder Mitarbeiter in der Qualitätssicherung von Audio-/Videobandproduktionen ein erhöhtes Risiko gegenüber der übrigen Bevölkerung für die Entwicklung einer der beim Kläger diagnostizierten Erkrankungen hätten.

Mit Urteil vom 22.10.2009 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung, gestützt auf das Gutachten von Dr. B., aus, die arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der in Betracht kommenden Berufskrankheiten lasse sich ebenso wenig feststellen wie eine gruppentypische Gefährdung, wie sie von § 9 Abs. 2 SGB VII verlangt werde. Das Gericht habe keinen Anlass, dem Sachverständigengutachten von Dr. B. nicht zu folgen.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10.12.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am Montag, den 11.01.2010 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung unter Bezug auf sein bisheriges Vorbringen ergänzend vorgetragen, es sei unstreitig, dass seinerzeit ein krebserzeugendes aus dem Verkehr gezogenes Reinigungsmittel verwendet worden sei, woran sich die von ihm benannten Zeugen erinnern könnten. Allerdings könnten weder er noch die benannten Zeugen sich an den Namen des Reinigungsmittels erinnern. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass er in einem erheblich höheren Grad als die übrige Bevölkerung Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet gewesen seien, die streitgegenständliche Erkrankung auszulösen. Zudem sei der Einsatz der streitgegenständlichen Reinigungsmittel, die nach dem Gutachten von Dr. B. vielfältige Gesundheitsstörungen verursachen könnten, grundsätzlich geeignet, eine potentiell schädigende Einwirkung auf ihn auszuüben. Dr. B. habe in seinem Gutachten u. a. ausgeführt, dass die BK Nrn. 1103, 1302 und 1317 der BKV grundsätzlich bei ihm in Betracht kämen. Weiter habe Dr. B. festgestellt, dass 6-wertige Chromate geeignet seien, Tumore der Atemwege zu verursachen, insbesondere im Nasenraum und in der Lunge. Entgegen dem Gutachten von Dr. B. und dem SG sei er der Auffassung, dass einerseits die Kombination der verschiedenen Lösungsmittel und andererseits die 6-wertigen Chromate (BK Nr. 1103) jede für sich geeignet seien, die Berufskrankheit hervorzurufen. Dies gelte insbesondere für die 6-wertigen Chromate. Der Ansicht des Gutachters, dass wissenschaftliche Erkenntnisse für den Kehlkopf und die Stimmbänder nicht vorhanden seien, könne nicht gefolgt werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Oktober 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11 Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Rücknahme des Bescheids vom 12. November 1999 zu verurteilen, seine Stimmbandkarzinomerkrankung aufgrund seines Antrages vom 18. November 1998 als Berufskrankheit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach dem Gutachten von Dr. B. sei beim Kläger von keiner Berufskrankheit auszugehen. Was das erneut vorgebrachte Reinigungsmittel betreffe, lägen bis heute keine Informationen dazu vor, dass ein bestimmtes Reinigungsmittel wegen möglicher Krebsgefährdung ausgemustert worden sei. Die Beklagte hat die Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 17.07.2010 (Diplom-Ing. G.) vorgelegt, in der mitgeteilt wird, dass der Kläger keinen Umgang mit Chrom-VI-Verbindungen gehabt habe. Es gebe auch keinen Hinweis, dass Zink-Chromat oder alpha-Chlortoluol (Benzylchlorid) verwendet worden sei.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das hals-nasen-ohrenärztliche Gutachten von Professor Dr. M. vom 17.02.2011 eingeholt. Professor Dr. M. gelangte in seinem Gutachten zu der Bewertung, derzeit bestehe keine ausreichende epidermiologische Evidenz für ein erhöhtes Larynxkarzinomrisiko bei chromatexponierten Arbeitern. Hieraus lasse sich jedoch nicht folgern, dass Chromationen keine Rolle für die Tumorerkrankung des Klägers gespielt hätten. Es sei zu berücksichtigen, dass hexavalentes Chrom ein humanes Karzinogen sei. Beim Kläger habe eine relevante Exposition gegenüber hexavalentem Chrom vorgelegen. Der Kläger sei zusätzlich gegenüber anderen Arbeitsstoffen (Farben, Lacke und Lösungsmitteln) exponiert gewesen, die als mögliche Risikofaktoren für die Entstehung von Kehlkopfkrebs in der Vergangenheit diskutiert worden seien. Aufgrund der beim Kläger geschilderten beruflichen Schadstoffexposition sowie aufgrund der Tatsache, dass keine weiteren Risikofaktoren beim Kläger vorgelägen, sei der Schluss zu ziehen, dass die aufgetretene Kehlkopfkrebserkrankung wahrscheinlich wesentlich durch die berufliche Tätigkeit mit verursacht worden sei. Bislang sei Kehlkopfkrebs durch die Exposition hexavalenter Chromate oder durch die Exposition gegenüber Farben und Lacke aufgrund einer mangelnden epidemiologischen Evidenz nicht die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden. Insbesondere komme eine Anerkennung als BK Nr. 1103 der BKV daher nicht in Frage. Aufgrund der geschilderten Gesamtkonstellation werde jedoch empfohlen, die beim Kläger aufgetretene Kehlkopfkrebserkrankung wie eine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen. Die MdE betrage 30 v.H. auf Dauer.

Die Beklagte hat gegen das Gutachten von Professor Dr. M. Einwendungen erhoben. Der Kläger hält das Gutachten von Professor Dr. M. für zutreffend. Der von ihm ergänzend gehörte Professor Dr. M. habe nach kritischer Überprüfung der in den letzten zwei Jahren publizierten Literatur keine neuen Gesichtspunkte zu den bereits erstellten Gutachten feststellen können. Professor Dr. M. sei weiterhin der Meinung, dass ausreichende Anknüpfungstatsachen vorhanden seien, die eine Anerkennung einer Berufskrankheit möglich machen sollten, obwohl neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus der aktuellen Literatur nicht vorlägen.

Den Beteiligten ist mit richterlichen Verfügungen vom 06.07.2011 und 25.11.2011 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt ist, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden und es ist ihnen Gelegenheit gegeben worden, sich hierzu (zuletzt) bis 20.12.2011 zu äußern.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie zwei Bände Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und insgesamt zulässig.

Gem. § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen mit richterlichen Verfügungen vom 06.07.2011 und 25.11.2011 hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist die Feststellung einer Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers als Berufskrankheit unter Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 12.11.1999 im Wege des Zugunstenverfahrens. Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die Feststellungsklage ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig, denn es besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der geltend gemachten Erkrankung als Berufskrankheit. Auf die Feststellung dieses Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Unfallversicherungsträger können Entschädigungsleistungen gestützt werden. Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Es kann deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). Der Senat hat nach den erkennbaren Begehren des Klägers dementsprechend den Berufungsantrag des Klägers sachdienlich gefasst.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 44 SGB X auf Rücknahme des Bescheides vom 12.11.1999. Ein Feststellungsanspruch besteht nicht. Die vom Kläger geltend gemachte Stimmbandkarzinomerkrankung ist keine Berufserkrankung (1.) oder eine "Wie-Berufskrankheit" (2.). Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Offen bleiben kann, ob deswegen, weil die als BK geltend gemachte Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers sich bereits 1990 entwickelt hat, die bis zum 31.12.1996 geltenden Rechtsvorschriften Anwendung finden. Denn mit den zum 01.01.1997 in Kraft getretenen Vorschriften des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII - BGBl. I 1996 S. 1254) und der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997 (BKV), die aufgrund der Vorschriften des SGB VII erlassen worden ist, ist eine für den vorliegenden Streitgegenstand relevante inhaltliche Änderung nicht eingetreten.

1. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheiten Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil 02.04.2009 a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung der Stimmbandkarzinomerkrankung als Berufskrankheit nach der Anlage 1 zur BKV, denn die haftungsbegründende Kausalität ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt.

Das SG hat im angefochtenen Urteil in den Entscheidungsgründen zutreffend begründet, dass nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. B. vom 02.05.2009 hinsichtlich des Stimmbandkarzinoms des Klägers das Vorliegen einer BK nach Nr. 1103 der BKV weder hinsichtlich der gefährdenden Einwirkung noch hinsichtlich der Art der Erkrankung vorliegt und nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV nicht hinreichend wahrscheinlich im Sinne des Berufskrankheitenrechts ist sowie dass eine Enzephalopathie und eine Polyneuropathie im Sinne der BK Nr. 1317 der BKV beim Kläger nicht besteht. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zur selben Überzeugung. Er schließt sich zur Begründung seiner eigenen Entscheidung diesen Entscheidungsgründen des SG im angefochtenen Urteil an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend hierzu bleibt auszuführen:

Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 02.05.2009 ausführlich und nachvollziehbar dargestellt, dass unter Zugrundelegung der persönlichen Angaben des Klägers und trotz Berücksichtigung ungünstiger arbeitshygienischer Bedingungen eine Exposition des Klägers mit Arbeitsstoffen über den jeweiligen Grenzwerten wenig wahrscheinlich ist und dass aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse und der Angaben des Klägers davon auszugehen ist, dass die Einwirkungskausalität für die von Dr. B. beim Kläger in Betracht gezogenen BK Nrn. 1103, 1302 und 1317 der Anlage zur BKV nicht vorliegt. Dieser nachvollziehbar und plausibel dargelegten Bewertung von Dr. B. schließt sich der Senat an. Bereits das Nichtvorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen steht nach den oben dargestellten rechtlichen Grundsätzen einem Anspruch des Klägers auf Feststellung des Stimmbandkarzinoms als BK nach der Anlage zur BKV entgegen.

Unabhängig davon ist nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. B. beim Kläger auch ein ursächlicher Zusammenhang der Stimmenbandkrebserkrankung durch Chrom und seine Verbindungen arbeitsmedizinisch nicht wahrscheinlich (BK Nr. 1103 der Anlage zur BKV). Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. B. können zwar durch längerdauernde Einwirkung von 6-wertigen Chromaten maligne Tumore der Atemwege entstehen. Eine krebsbildende Wirkung von Chrom VI ist jedoch lediglich in der Lunge nach der medizinischen Wissenschaft hinreichend bewiesen. Auch Professor Dr. M. geht in seinem vom Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 17.02.2011 (in Übereinstimmung mit Dr. B.) davon aus, dass eine eindeutige Zuordnung einer Chrom-VI-Exposition zu einem erhöhten Kehlkopfkrebsrisiko in medizinischen Arbeiten nicht hat erfolgen können. Dass der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit Kontakt zu Chrom-VI-Verbindungen hatte, ist zudem nicht der Fall, wie sich aus der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Diplom-Ing. G. vom 17.07.2010 ergibt. Auch Dr. B. geht in seinem Gutachten aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen davon aus, dass der Kläger während seiner Tätigkeit in der Videobandproduktion (10/76 bis 7/77) nur Kontakt zu Chrom-IV-Verbindungen hatte. Für diese Chromverbindung gibt es nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. B. jedoch keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich einer eventuellen Kanzerogenität. Zusammenfassend kommt deshalb Dr. B. zu der nachvollziehbaren und plausiblen Bewertung, dass ein Zusammenhang zwischen der ermittelten Exposition zu Chrom-IV-Stäuben und der Erkrankung an einem Stimmbandkarzinom wenig wahrscheinlich ist, zumal der Kläger nur einer relativ geringen Konzentration von Chrom IV und dies auch nur in einem relativ kurzen Zeitraum exponiert war. Dieser überzeugenden Bewertung schließt sich der Senat an. Auch Professor Dr. M. kommt in seinem Gutachten vom 17.02.2011 - in Übereinstimmung mit Dr. B. - zu dem Ergebnis, dass eine Anerkennung des Stimmbandkarzinoms als BK nach Nr. 1103 der Anlage zur BKV beim Kläger nicht in Frage kommt.

Dass das Stimmbandkarzinom des Klägers ursächlich durch diverse Reinigungsmittel, mit denen der Kläger beruflichen Kontakt hatte, hervorgerufen wurde, ist nach den weiteren überzeugenden Ausführungen von Dr. B. ebenfalls nicht wahrscheinlich (BK Nr. 1302 der Anlage zur BKV). Zwar hält Professor Dr. B. einen Ursachenzusammenhang zwischen der Berufstätigkeit des Klägers und dem Auftreten des Stimmbandkarzinoms insoweit (prinzipiell) für möglich. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. B. kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Stimmbandkarzinomerkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers jedoch nur als möglich angesehen werden. Denn es besteht nach der derzeitigen herrschenden medizinischen Lehrmeinung beim Menschen kein gesicherter Zusammenhang zwischen einer Exposition zu organischen Lösungsmitteln und dem Auftreten eines Stimmbandkarzinoms. Hierüber ist in der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur bisher nicht berichtet worden. Es fehlen gesicherte Schlussfolgerungen aus epidemiologischen Studien. Die im Berufskrankheitenrecht geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit lässt sich bei dieser Sachlage nicht begründen. Es bleibt allenfalls bei der bloßen Möglichkeit. Ein Kausalzusammenhang ist jedoch nicht schon dann hinreichend wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Von diesen rechtlichen Vorgaben geht auch Dr. B. bei seiner Empfehlung in seinem Gutachten aus, die Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers nicht als Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV anzuerkennen. Dem schließt sich der Senat an.

Unabhängig davon, dass Dr. B. beim Kläger das Vorliegen einer Erkrankung der BK Nr. 1302 der Anlage zur BKV (Enzephalopathie und Polyneuropathie) überzeugend verneint hat, dem der Senat folgt, kommt es hierauf vorliegend nicht relevant an. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12.11.1999, dessen Rücknahme der Kläger im Wege des Zugunstenverfahrens anstrebt, lediglich eine Entscheidung dazu getroffen, dass die Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers nicht als Berufskrankheit anerkannt wird. Hinsichtlich sonstiger Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer Enzephalopathie und/oder Polyneuropathie, ist eine Verwaltungsentscheidung der Beklagten, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites sein könnte, dagegen nicht ergangen.

Dass der Kläger gegenüber sonstigen Arbeitsstoffen exponiert war, die geeignet sind, einen ursächlichen Zusammenhang mit der Stimmbandkarzinomerkrankung hinreichend wahrscheinlich zu machen, steht nach den durchgeführten Ermittlungen nicht fest und ist für den Senat auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere fehlen für das im Berufungsverfahren aufrecht erhaltene Vorbringen des Klägers, seinerzeit sei ein krebserzeugendes Reinigungsmittel verwendet und dann aus dem Verkehr gezogen worden, ausreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte, die einen ursächlichen Zusammenhang des Entstehens der Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers mit einem solchen Reinigungsmittel hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt. Nachermittlungen der Beklagten im Klageverfahren erbrachten keine Erkenntnisse dazu, dass Reinigungsmittel aufgrund von krebserzeugenden Potenzialen ausgetauscht worden sind (Stellungnahme Diplom-Ing. G. vom 02.04.2008). Nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren sind er und die von ihm benannten Zeugen nicht in der Lage, sich an den Namen des Reinigungsmittels zu erinnern. Die Tatsache, dass ein im Betrieb verwandtes unbekanntes Reinigungsmittel wegen krebserzeugender Wirkung aus dem Verkehr gezogen worden ist, lässt die konkrete Art der karzinogenen Wirkung völlig offen, weshalb ein Rückschluss darauf, ein solches Reinigungsmittel sei für die Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich, nicht möglich ist. Es bleibt, selbst wenn zu Gunsten des Klägers von einem solchen Sachverhalt ausgegangen würde, allenfalls die vage Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs, die nach dem oben Ausgeführten nicht geeignet ist, einen ursächlichen Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich zu machen.

Das Vorliegen der Stimmbandkarzinomerkrankung als (Listen)Berufskrankheit der Anlage zur BKV kann damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

2. Auch die Anerkennung der Stimmbandkarzinomerkrankung nach § 9 Abs. 2 SGB VII (bzw. § 551 Abs. 2 RVO) kommt nicht in Betracht.

Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind ("Quasiberufskrankheit" oder "Wie-Berufskrankheit"), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Nach § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. § 551 Abs. 2 RVO sollen die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Berufskrankheiten-Liste enthalten ist, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII bzw. § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Hierzu gehören der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der versicherten Tätigkeit und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSG, Urt. vom 04.06.2002, a.a.O., m. w. N.). Nicht ausreichend ist, dass überhaupt neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, sondern es muss sich hinsichtlich der neuen Erkenntnisse eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet bereits gebildet haben (BSG a. a. O.). Neu in diesem Sinne sind die Erkenntnisse, wenn sie in der letzten Änderung der Verordnung noch nicht berücksichtigt sind. Das ist der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach dem Erlass der letzten Änderung der Verordnung gewonnen wurden oder zu diesem Zeitpunkt im Ansatz vorhanden waren, sich aber erst danach zur Berufskrankheitenreife verdichtet haben bzw. wenn die Erkenntnisse dem Verordnungsgeber entgangen sind und er deshalb eine Änderung der BKVO/BKV überhaupt nicht erwogen hat oder hatte. Hat der Verordnungsgeber auf der Grundlage medizinischer Erkenntnisse bereits eine Berufskrankheit in die Liste aufgenommen oder die Bezeichnung einer Erkrankung richtiggestellt oder erweitert oder gar ausdrücklich die Erweiterung des listenmäßigen Versicherungsschutzes abgelehnt, sind diese Erkenntnisse nicht mehr neu i. S. der Vorschrift (BSG, Urt. vom 21.01.1997 2 RU 7/96 = SGb 1997, 111; zum Vorstehenden auch: Beschluss des Senats vom 12.09.2011 - L 8 U 1000/10 -, unveröffentl., und vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 - juris, sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.08.2010 - L 1 U 2307/10 -).

Diese Voraussetzungen einer "Wie-Berufskrankheit" liegen nicht vor, denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse für einen beruflichen Zusammenhang eines Stimmbandkarzinoms sind seit der letzten Änderung der BKV nicht aufgetreten. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 02.05.2009 nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass in der medizinischen Wissenschaft keine neuen Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Maschinenbediener oder Mitarbeiter in der Qualitätssicherung von Audio-/Videoproduktionen ein erhöhtes Risiko gegenüber der übrigen Bevölkerung für die Entwicklung einer Stimmbandkerkrankung haben. Dieser überzeugenden Bewertung schließt sich der Senat an. Damit liegen auch aus diesem Grund die dargestellten Voraussetzungen für die Anerkennung einer "Wie-Berufskrankheit" nach § 9 Abs. 2 SGB VII beim Kläger zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Der abweichenden Bewertung von Professor Dr. M. in seinem Gutachten vom 17.02.2011, dass beim Kläger hinsichtlich seiner Stimmbandkarzinomerkrankung von einer Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII auszugehen sei, auf die der Kläger seine Berufung stützt, kann nicht gefolgt werden. Professor Dr. M. geht in seinem Gutachten tragend davon aus, dass der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber hexavalenten, Chromaten (Chrom-VI) exponiert gewesen sei. Dies steht beim Kläger, wie oben ausgeführt, aber nicht fest. Weiter stützt Professor Dr. M.seine Bewertung darauf, dass der Kläger auch gegenüber anderen Arbeitsstoffen, wie z.B. Farben, Lacke und Lösungsmittel, die nach seiner Ansicht als mögliche Risikofaktoren für die Entstehung von Kehlkopfkrebs in der Vergangenheit diskutiert worden seien, exponiert war. Damit berücksichtigt Professor Dr. M. Arbeitsstoffe (Farben und Lacken) denen der Kläger erst nach dem Entstehen der Stimmbandkarzinomerkrankung im Jahr 1990 (ab April 1993) bei seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war, und die damit nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Stimmbandkarzinomerkrankung gebracht werden können. Zudem zeigt Professor Dr. M. in seinem Gutachten auch keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft auf, die die Anerkennung der Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers als "Wie-Berufskrankheit" rechtfertigen können. Die von ihm zitierten Studien zum Zusammenhang von Exposition gegenüber Farben, Lacke und Lösungsmittel mit erhöhtem Risiko für Mundhöhlen-, Kehlkopf- oder Rachenkrebserkrankungen wurden im Zeitraum von 1960 bis 1997 veröffentlicht. Sie waren demnach beim Inkrafttreten der BKV am 01.12.1997 (§ 8 BKV) und den seither ergangenen Änderungen bereits bekannt. Eine entsprechende Empfehlung des Sachverständigenbeirats ist nicht erfolgt, auch nicht im Sinne der vom Sachverständigen Professor Dr. M. zur Begründung herangezogenen "Gesamtkonstellation", die eine etwaige kumulative Einwirkung mehrerer Stoffe berücksichtigen will. Allein das Fehlen von konkurrierenden Ursachen der Stimmbandkarzinomerkrankung des Klägers rechtfertigt zudem nicht die Annahme, dass die beim Kläger aufgetretene Erkrankung wahrscheinlich wesentlich durch seine berufliche Tätigkeit mit verursacht worden sei, wie Professor Dr. M. meint. Dem Gutachten von Professor Dr. M. vermag sich der Senat deshalb - entgegen der vom Kläger im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25.10.2011 vertretenen Ansicht - nicht anzuschließen.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind bei dieser Sachlage für den Senat nicht zu veranlassen. Der vom Kläger unter Zeugenbeweis gestellte Vortrag, seinerzeit sei ein krebserzeugendes Reinigungsmittel verwendet und dann aus dem Verkehr gezogen worden, rechtfertigt nach dem oben Ausgeführten nicht schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs der beruflichen Tätigkeit des Klägers mit seiner Stimmbandkarzinomerkrankung. Nach dem Vorbringen des Klägers können die benannten Zeugen zu dem hierzu Vorgetragenen keine weiteren Angaben machen, die es dem Senat ermöglichen, hinsichtlich des angeschuldigten Reinigungsmittels weitere Ermittlungen anzustellen, die zu der Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit der Stimmbandkarzinomerkrankung Aufschluss geben können. Dem Beweisantrag des Klägers brauchte der Senat deshalb nicht nachzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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