L 5 R 3255/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 248/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3255/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.7.2011 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich (noch) gegen die Rückforderung von Zuschüssen zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 7.410,74 EUR.

Der 1939 geborene Kläger, gelernter Elektroinstallateur, zuletzt bei der Firma B. beschäftigt, beantragte am 15.12.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. Am 2.2.1999 beantragte er außerdem die Gewährung eines Zuschuss zur (seinerzeit bestehenden) freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Die auf dem Antragsformular gestellte Frage: "Besteht oder bestand in der Zeit, für die Sie einen Zuschuss beanspruchen, Versicherungspflicht bei einer gesetzlichen Krankenkasse (AOK, BKK, IKK, LKK, Ersatzkasse)?" verneinte der Kläger. Der Kläger verpflichtete sich (so der Vordrucktext auf dem Antragsformular) - u. a. - die Beendigung der freiwilligen Versicherung sowie Veränderung der Beitrags- und Prämienhöhe für die Krankenversicherung unverzüglich (der Rechtsvorgängerin der Beklagten) anzuzeigen.

Mit Bescheiden vom 23.4.1999 (SG-Akte S. 68 ff.) gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente ab 1.6.1999 (monatlicher Zahlbetrag 3.005,46 DM) sowie Zuschüsse zum Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag von 189,85 DM bzw. 23,73 DM monatlich. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss mit der Aufgabe oder dem Ruhen der freiwilligen Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfalle. Es bestehe daher die gesetzliche Verpflichtung, jede Änderung des Kranken- bzw. Pflegeversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen. Man behalte sich vor, überzahlte Beträge zurückzufordern, wenn der Mitteilungspflicht nicht genügt werden sollte.

Mit Schreiben vom 18.10.2007 teilte die B. BKK der Beklagten mit, bei einer internen Überprüfung sei festgestellt worden, dass für den Kläger seit dem 1.4.2002 keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten worden seien. Der Kläger sei seit dem 1.4.2002 versicherungspflichtig zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Dieser Sachverhalt sei mit Datensatz vom 22.1.2002 übermittelt worden. Sollten in der Vergangenheit Beiträge einbehalten worden sein, möge die Beklagte dies mitteilen; anderenfalls werde gebeten, den Beitragseinbehalt vorzunehmen. Der Kläger sei über eine eventuelle Nachforderung informiert worden.

Mit Bescheid vom 6.11.2007 berechnete die Beklagte die Rente des Klägers neu (monatlicher Zahlbetrag ab 1.12.2007 1.392,98 EUR). Außerdem gab sie dem Kläger auf, eine für die Zeit vom 1.4.2002 bis 30.11.2007 (nach Maßgabe einer als Anlage beigefügten Berechnung) ermittelte Überzahlung von 15.265,19 EUR zu erstatten. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Kläger müsse den Krankenversicherungsbeitrag zur Hälfte tragen (monatlich 106,20 EUR zzgl. 13,85 EUR) und aus der Rente zahlen; entsprechendes gelte für den Pflegeversicherungsbeitrag (26,17 EUR). Im Rückforderungsbetrag sind neben nicht abgeführten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen von 7.854,45 EUR offenbar auch überzahlte Beitragszuschüsse von 7.410,74 EUR enthalten).

Mit Anhörungsschreiben vom 8.11.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seit 1.4.2002 bestehe Versicherungspflicht zur Krankenversicherung der Rentner bzw. zur Pflegeversicherung. Da Beiträge nicht einbehalten worden seien, müsse er Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von 7.854,45 EUR nachzahlen (wegen Verjährung nur Zeitraum ab 1.1.2003). Außerdem sei der Anspruch auf Beitragszuschuss zum 1.4.2002 weggefallen, weshalb eine Überzahlung von 7.410,74 EUR entstanden sei. Man beabsichtige (u.a.), den Bescheid vom 23.4.1999 über die Bewilligung des Beitragszuschusses gem. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung zum 1.4.2002 aufzuheben und den zu viel gezahlten Beitragszuschuss zurückzufordern bzw. den Gesamtbetrag von 15.265,19 EUR in 44 Monatsraten zu 346,93 EUR mit der laufenden Rentenzahlung zu verrechnen.

Mit Bescheid vom 26.11.2007 verfügte die Beklagte die Aufrechnung der für die Zeit vom 1.1.2003 bis 30.11.2007 nicht einbehaltenen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 7.854,45 EUR mit der Rente des Klägers in 44 Monatsraten von je 178,51 EUR. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass durch die Aufrechnung Hilfebedürftigkeit eintrete. Nach Mitteilung der zuständigen Kranken-/Pflegekasse sei der Kläger seit 1.4.2002 pflichtversichert in der KVdR, weswegen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von der Rente hätten einbehalten werden müssen. Diese Beiträge betrügen für die Zeit vom 1.1.2003 bis 30.11.2007 insgesamt 7.410,74 EUR. Die Beitragsforderungen vor diesem Zeitpunkt seien verjährt.

Mit weiterem Bescheid vom 26.11.2007 hob die Beklagte den Bescheid vom 23.4.1999 über die Bewilligung eines Beitragszuschusses mit Wirkung zum 1.4.2002 gem. § 48 SGB X auf und gab dem Kläger auf, die für die Zeit vom 1.1.2003 bis 30.11.2007 gezahlten Beitragszuschüsse in Höhe von 7.410,74 EUR zu erstatten. Sollte der Erstattungsbetrag nicht innerhalb von vier Wochen gezahlt sein, werde man ihn in 44 Monatsraten zu je 168,42 EUR von der Rente des Klägers einbehalten.

Der Kläger legte Widerspruch ein; dieser solle sich ausschließlich gegen die Erstattung der Überzahlung richten. Wegen Verjährung sei der Erstattungsbetrag auf 14.213,40 EUR zu vermindern. Außerdem habe er stets darauf vertraut, dass mit seinem Rentenbescheid und den Zahlungen alles in Ordnung sei, da er alle erforderlichen Mitteilungen gemacht habe. Die Beklagte hätte wegen ihres groben Fehlers auch Ermessen ausüben müssen. Er habe sich auf die vor dem Änderungsbescheid zuerkannte Rente eingerichtet und habe keinen großen finanziellen Spielraum, da er sein Vermögen langfristig angelegt habe und aus den Anlageprodukten nur mit erheblichen Verlusten aussteigen könne. Die gleichzeitige Rentenkürzung und Rückforderung sei unzumutbar. Der Beitragszuschuss sei über 5 1/2 Jahre lang gezahlt worden, obwohl die Beklagte spätestens seit 22.1.2002 gewusst habe, dass er darauf keinen Anspruch habe. Gem. § 242 BGB sei insgesamt Verjährung und Verwirkung eingetreten. Ein Hinweisschreiben der Krankenkasse über die im Anschluss an den Beschluss des BVerfG v. 15.3.2000 (- 1 BvL 16/96 -) eröffnete Möglichkeit, binnen 6 Monaten eine freiwillige Versicherung zu beantragen, habe er nicht erhalten. Grobe Fahrlässigkeit könne man ihm nicht vorwerfen. Die Jahresfrist für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids sei verstrichen, da die Beklagte schon seit 2002 vom Wegfall des Zuschussanspruchs gewusst hebe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger hätte die Zusammensetzung seiner Rente prüfen müssen; eine Krankenversicherung ohne Beitrag gebe es für Rentner nicht. Man habe die Verjährungsregelungen zutreffend berücksichtigt; Gründe für eine Verwirkung lägen nicht vor und würden auch nicht geltend gemacht. Die einjährige Rücknahmefrist sei gewahrt, da die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände erst am 24.10.2007 bekannt geworden seien. Ein atypischer Fall liege nicht vor. Die verspätete Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse habe sie nicht zu vertreten. Im Verhältnis zur Krankenkasse sei es unverändert bei dem Status eines Versicherten geblieben. Die Meldungen der Krankenkasse zur Beitragshöhe vom 9.4.1999, 6.9.1999 und 11.8.2000 dokumentierten eine freiwillige Beitragszahlung. Deswegen habe man einen Anspruch des Klägers auf Beitragszuschuss angenommen. Eine besondere Härte liege nicht vor. Der Kläger habe am 14.5.2008 telefonisch mitgeteilt, seine Krankenversicherung sei wie vor dem Rentenbezug weitergelaufen. Sein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelungen sei mit den öffentlichen Interessen abzuwägen. Vertrauensschutz könne der Kläger nicht beanspruchen; konkrete Angaben zu seiner Altersvorsorge und dem langfristig angelegten Vermögen habe der Kläger nicht gemacht. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger mit einem am 12.12.2008 zur Post gegebenen Brief bekannt gegeben.

Am 12.1.2009 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Er trug ergänzend vor, die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X seien nicht erfüllt. Mitteilungspflichten habe er nicht verletzt. Da er von der Richtigkeit der Rentenbescheide ausgegangen sei, könne man ihm auch keine grobe Fahrlässigkeit vorwerfen. Die Beklagte habe durch die Mitteilung der B. BKK bereits im Jahr 2002 Kenntnis von der Versicherungspflicht zur KVdR gehabt. Außerdem sei das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden; er habe die erhaltenen Zahlungen für die Lebensführung verbraucht und sei nicht mehr bereichert. Die Beklagte habe die Verjährungsregelung des § 25 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) unrichtig angewendet.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts teilte der Kläger unter dem 2.7.2009 mit, vor dem 1.4.2002 habe die Krankenkasse die Beiträge von seinem Konto abgebucht, danach nicht mehr. Das sei ihm zwar aufgefallen; er habe sich darüber aber keine Gedanken gemacht und sei davon ausgegangen, dass alles schon richtig sein werde.

Die Beklagte legte eine Berechnung der Überzahlung vor (insgesamt 14.213,30 EUR).

Die B. BKK teilte mit, die Unterlagen aus dem Jahr 2002 seien bereits vernichtet. Im ersten Quartal des Jahres 2002 seien alle freiwillig versicherten Rentner der B. BKK, die nach der bis 31.3.2002 geltenden Rechtslage die Vorversicherungszeit für die KVdR nicht erfüllt hätten, über die Gesetzesänderung zum 1.4.2002 schriftlich informiert worden (Muster SG-Akte S. 42 ff.). Habe sich der Rentner im Rahmen seines Optionsrechts wegen finanzieller Nachteile gegen die KVdR entschieden, sei die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung fortgeführt worden. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung müsse der freiwillig versicherte Rentner tragen und an die Krankenkasse abführen. Der Kläger habe dieses Optionsrecht nicht in Anspruch genommen, also die KVdR gewählt. Er sei ab dem 1.4.2002 als pflichtversichertes Mitglied im Rahmen der KVdR geführt worden. Ab diesem Zeitpunkt hätte der Rentenversicherungsträger die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vom Zahlbetrag der Rente einbehalten und abführen müssen. Zur Information des Rentenversicherungsträgers sei ein entsprechender Datensatz übermittelt worden. Da die Beitragszahlung des Rentenversicherungsträgers jedoch nicht personenbezogen erfolge, sei es für eine Krankenkasse nicht möglich gewesen, die tatsächliche Beitragszahlung zu überprüfen. Daten hinsichtlich des Klägers seien am 22.1.2002 übermittelt worden; eine Abweisung der übermittelten Informationen an den Rentenversicherungsträger als fehlerhaft habe nicht stattgefunden. Unabhängig davon sei jeder betroffene Versicherte über die Beendigung der bisherigen freiwilligen Mitgliedschaft und vor allem das Ende der eigenen Beitragszahlung, sowie den Beginn der KVdR mit dem Beginn des Beitragsabzuges durch den Rentenversicherungsträger informiert worden. Ende 2007 habe man im Rahmen einer erst jetzt verfügbaren EDV-Selektion alle pflichtversicherten Rentner ermittelt, bei denen kein Beitragsabzug erfolge und die über den 1.4.2002 hinaus weiterhin Beitragszuschüsse erhielten; zu diesen (wenigen) Fällen gehöre der Kläger.

Die Beklagte trug abschließend vor, in ihrer Meldesatzdatei für die KdVR sei ein Datensatz der B. BKK vom 22.1.2002 nicht festzustellen.

Am 11.7.2011 führte das Sozialgericht eine mündliche Verhandlung durch. Der Kläger gab (u.a.) an, er sei davon ausgegangen, dass ihm das überwiesene Geld zustehe. Über Änderungen in seinem Krankenversicherungsverhältnis sei er seinerzeit nicht informiert worden. Er habe seine Kontoauszüge überprüft und gesehen, dass nichts von der Krankenversicherung einbehalten worden sei; eine Änderung sei ihm hier aber nicht aufgefallen und er sei sich keiner Schuld bewusst.

Mit Urteil vom 11.7.2011 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 6.11.2007 in der Gestalt des Bescheids vom 26.11.2007 und des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2008 auf, soweit darin die Aufhebung der Bewilligung eines Beitragszuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 30.11.2007 und die Erstattung einer Überzahlung von 7.410,74 EUR verfügt ist. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eintrete. Maßgeblich für die Beurteilung der Änderung der Verhältnisse seien die Bescheide vom 23.4.1999, mit denen dem Kläger Regelaltersrente sowie Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung beginnend ab 1.6.1999 bewilligt worden sei. Die diesen Verwaltungsakten zugrunde liegenden rechtlichen Verhältnisse hätten sich mit der Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung zum 31.3.2002 geändert. Dies habe auf dem Beschluss des BVerfG vom 15.3.2000 (- 1 BvL 16/96 -) beruht, wonach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbsatz 1 SGB V i. d. F. des Gesundheitsstrukturgesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei und sich der Zugang zur KVdR ab 1.4.2002 nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V a. F. richte. Da bis 30.9.2002 weder eine Neuregelung geschaffen worden noch der Kläger der freiwilligen Krankenversicherung beigetreten sei, sei ab 1.4.2002 Versicherungspflicht zur KVdR eingetreten und die freiwillige Versicherung am 31.3.2002 beendet gewesen. Damit sei auch der Anspruch auf Beitragszuschuss (§ 106 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI) weggefallen. Die Beklagte dürfe den Bescheid vom 23.4.1999 hinsichtlich der (allein streitigen) Zuschussbewilligung gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufheben. Die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit sei aber nicht zulässig.

In den Bescheiden vom 23.04.1999 sei der Kläger darüber belehrt worden, dass der Beitragszuschuss bei Eintritt von Kranken- und Pflegeversicherungspflicht wegfalle. Man habe ihn auch ausdrücklich auf die Pflicht hingewiesen, jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen, und die Rückforderung von Überzahlungen bei Verletzung der Mitteilungspflichten vorbehalten. Mit seinem Antrag auf Beitragszuschuss habe der Kläger außerdem erklärt, die Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung sowie jede Änderung der Beitrags- bzw. Prämienhöhe für die Krankenversicherung sowie den Beginn einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung unverzüglich anzuzeigen. Dieser Mitteilungspflicht sei der Kläger nicht nachgekommen; er habe der Beklagten nicht mitgeteilt, dass er ab dem 1.4.2002 pflichtversichert sei und deswegen auch keine freiwilligen Beiträge mehr zahle. Allerdings könne dem Kläger insoweit keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.

Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Betroffene den maßgeblichen Umstand aufgrund einfachster und (ganz) nahe liegender Überlegungen hätte erkennen können bzw. unbeachtet geblieben sei, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei seien die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des einzelnen zu berücksichtigen. Es müsse dem Versicherten ohne weitere Überlegungen klar gewesen sein, dass er den betreffenden Umstand mitzuteilen habe. Der Kläger habe spätestens mit den Zuschussbescheiden vom 23.04.1999 gewusst, dass er Änderungen hinsichtlich seiner Kranken- und Pflegeversicherung dringend und unverzüglich der Beklagten mitteilen müsse, was er unterlassen habe. Da die Akten der BKK bereits vernichtet seien, könne man nicht mehr feststellen, ob dem Kläger, was dieser bestreite, seinerzeit ein Informationsschreiben der Krankenkasse zugegangen sei; in den gebräuchlichen Informationsschreiben sei die Änderung der Gesetzeslage unmissverständlich und gut nachvollziehbar dargelegt gewesen. Nach dem Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinterlassen habe, sei ihm die Änderung seiner Krankenversicherung nicht bewusst gewesen, weshalb grobe Fahrlässigkeit ausscheide. Die Zuschussbescheide dürften auch nicht gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X (rückwirkend) aufgehoben werden. Zwar habe der Kläger Zuschüsse zu Beiträgen erhalten, die er gar nicht mehr gezahlt habe, weswegen ihm ab April 2002 ca. 200,00 DM monatlich mehr zur Verfügung gestanden hätten. Grobe Fahrlässigkeit liege angesichts der Einsichtsfähigkeit des Klägers aber auch im Hinblick darauf nicht vor.

Die Beklagte habe allerdings die Beitragsanteile des Klägers zu Recht in Monatsraten von 178,51 EUR von dessen Rente einbehalten. Leistungen nach dem SGB XII müsse der Kläger deswegen nicht in Anspruch nehmen, da er eine Nettorente in Höhe von 1.392,98 EUR beziehe. Ermessen sei insoweit nicht eröffnet. Auf Vertrauensschutz oder Verwirkung könne sich der Kläger nicht berufen; ein Verwirkungsverhalten der Beklagten liege nicht vor. Sie habe erst am 18.10.2007 von der Änderung des Versicherungsstatus des Klägers erfahren und hierauf mit den Bescheiden vom 6. und 26.11.2007 reagiert. Außerdem fehle es an einer Vertrauensgrundlage. Dass der Kläger grundsätzlich nicht mit einer Beitragsnachzahlung gerechnet habe, genüge hierfür nicht.

Auf das ihr am 20.7.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2.8.2011 Berufung eingelegt. Der Kläger hat (Anschluss-)Berufung nicht eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, nach eigenen Angaben des Klägers habe die B. BKK die Beiträge vor dem 1.4.2002 von seinem Konto abgebucht und danach nicht mehr. Das habe der Kläger bemerkt. In der Sitzungsniederschrift vom 11.7.2011 sei festgehalten, dass der Kläger seine Kontoauszüge überprüft und gesehen habe, dass die Krankenversicherung nichts mehr einbehalte. Deswegen habe er es grob fahrlässig unterlassen, sie durch eine schlichte Mitteilung über den nicht mehr erfolgenden Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen zu informieren; er habe – angesichts der leicht verständlichen Hinweise - nicht annehmen dürfen, dass alles seine Richtigkeit habe. Der Kläger sei seinerzeit 63 Jahre alt gewesen; Anhaltspunkte für eine verminderte Einsichtsfähigkeit gebe es nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.7.2011 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Aufgrund seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit und seines Einsichtsvermögens habe er nicht erkennen können, dass er den Wegfall der Beitragszahlung mitteilen müsse und gemeint, es sei alles in Ordnung, zumal er seinerzeit nicht über eine Änderung seines Krankenversicherungsverhältnisses informiert worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide vom 6.11.2007 bzw. 26.11.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 11.12.2008 (nur) insoweit, als darin die Bewilligung eines Zuschusses zum Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag (durch Bescheid vom 23.4.1999) mit Wirkung vom 1.4.2002 aufgehoben und dem Kläger die Erstattung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 30.11.2007 zu viel gezahlten Zuschusses in Höhe von 7.410,74 EUR aufgegeben worden ist. Der Kläger hat (Anschluss-)Berufung wegen der Nachforderung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht eingelegt. Angesichts des Erstattungsbetrags von 7.410,74 EUR ist der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) überschritten. Die Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen gem. § 151 SGG zulässig.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind (auch soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens sind) rechtmäßig. Sie beruhen auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt.

1.) § 48 SGB X regelt (im Unterschied zu § 45 SGB X) die Aufhebung von Verwaltungsakten, die nicht schon bei ihrem Erlass (Wirksamwerden gem. § 39 Abs. 1 SGB X) rechtswidrig waren, sondern erst danach rechtswidrig geworden sind. Gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also rückwirkend, aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

a.) Rentenbezieher, die nach näherer Maßgabe der §§ 106, 106a (a.F.) SGB VI einen Zuschuss zu den Aufwendungen (Beiträgen) für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung erhalten, sind gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und damit i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X aufgrund einer Rechtsvorschrift verpflichtet, dem Rentenversicherungsträger Änderungen in den Verhältnissen, die für diese Sozialleistung (§ 11 Satz 1 SGB I) erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Die Gewährung eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung setzt (u.a.) voraus, dass der Rentenbezieher freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist (§ 9 SGB V). Endet die freiwillige Versicherung, etwa weil Versicherungspflicht eintritt (§ 191 Nr. 2 SGB V), fällt naturgemäß auch der Anspruch auf Beitragszuschuss weg. Auf ihre gesetzliche Mitteilungspflicht werden die Rentenbezieher in den Bescheiden über die Bewilligung der Beitragszuschüsse eingehend hingewiesen. Sie werden darüber belehrt, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss mit der Aufgabe oder dem Ruhen der freiwilligen Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfällt und deswegen die gesetzliche Verpflichtung besteht, jede Änderung des Kranken- bzw. Pflegeversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen. Im Antrag auf Zuschussbewilligung verpflichtet sich der Rentenbewerber außerdem ausdrücklich, (u.a.) die Beendigung einer freiwilligen Versicherung sowie Veränderungen der Beitrags- und Prämienhöhe unverzüglich anzuzeigen.

Grobe Fahrlässigkeit (auch i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) liegt gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist. Notwendig ist, dass schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (vgl. etwa BSG, Urt. v.8.2.2001, - B 11 AL 21/00 R -).

b.) § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Sollvorschrift. Das bedeutet, dass der Leistungsträger den Verwaltungsakt in der Regel rückwirkend aufheben muss und (nur) in atypischen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen hiervon abweichen darf. Das Vorliegen eines atypischen Falles stellt eine Rechtsvoraussetzung für die Eröffnung des Aufhebungsermessens dar. Maßgeblich hierfür sind die Umstände des Einzelfalls. Es kommt darauf an, ob der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, die die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht und die vorgesehene Rechtsfolge für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellen würde. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt oder nicht, nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in den Nr. 1 bis 4 vorausgesetzten Tatbestände erfüllt ist. Zu berücksichtigen ist auch, ob die Rückerstattung nach Lage des Falles eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in untypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSG, Urt. v. 31.1.2008, -B 13 R 23/07 R -).

Ist der Behörde danach Ermessen eröffnet, muss sie das Interesse des Versicherten am Behaltendürfen der rechtswidrig (weiter-)bezogenen Leistung mit dem öffentlichen Interesse an deren Rückführung abwägen. Letzterem kommt grundsätzlich der Vorrang zu. Das folgt aus dem für alle Versicherungsträger geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 69 Abs. 2 SGB IV). Außerdem ist die Stundung oder Niederschlagung von Ansprüchen - wie Erstattungsansprüchen gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X - an enge Voraussetzungen gebunden (vgl. i. e. § 76 Abs. 2 SGB IV; auch BSG, Urt. v. 114.2002, - B 3 P 6/01 R – juris Rdnr. 21). Für eine von dieser gesetzlichen Wertung abweichende Ausübung des Aufhebungsermessens müssen damit erhebliche Gründe vorliegen. Hierfür kommen etwa grobes Verschulden der Behörde ohne Verschulden des Betroffenen oder eine besondere Härte oder die Unverhältnismäßigkeit der Rückforderung in Betracht. Hat der Versicherte Gesichtspunkte dieser Art nicht vorgetragen und sind solche auch sonst nicht ersichtlich, wird die Betätigung von Aufhebungsermessen (unbeschadet des Vorliegens eines atypischen Falles) grundsätzlich nicht veranlasst sein (dazu näher Senatsurteile v. 23.2.2011, - L 5 KR 3975/09 – und v. 28.9.2011, - L 5 R 3888/10 – zum Rücknahmeermessen nach § 45 SGB X mit w. N. auf die Rspr. des BSG).

c.) Gem. § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde die Aufhebung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen verfügen, welche die Aufhebung des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Die Frist beginnt mit Kenntnis der Behörde vom Aufhebungsgrund. Hierzu gehört jedenfalls die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Verwaltungsakts ergibt. Insoweit kommt es auch auf den Umfang der Rechtswidrigkeit an, weil der Verwaltungsakt nur aufgehoben werden soll, "soweit" eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Frist beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen, also alle Umstände bekannt sind, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Aufhebung zu entscheiden. Der Umfang der Kenntnis der Tatsachen richtet sich nach dem Tatbestand der Aufhebungsnorm. Im Fall der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts (§ 45 SGB X) muss die Behörde nicht nur diejenige Tatsachen vollständig kennen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergibt, sondern auch sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen. Bei der Anwendung der Jahresfristregelung auf die Aufhebungsvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X muss das maßgebende Wissen der Behörde sämtliche Tatsachen und Umstände betreffen, die die wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsakts darstellen, und außerdem auch diejenigen Tatsachen umfassen, die die Behörde zur Ausübung ihres Ermessens benötigt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Behörde gleichzeitig Kenntnis von jenen Umständen hatte, die nach ihrer Rechtsmeinung auch eine Atypik i. S. des "Soll"-Ermessens begründen. Denn der Sinn der Jahresfrist dient nicht dem Vertrauensschutz des Betroffenen, sondern der Rechtssicherheit (BSG, Urt. v. 31.1.2008, - B 13 R 23/07 R -).

Die Jahresfrist der §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt daher, wenn die Aufhebung keine weiteren Ermittlungen mehr erfordert. Erst dann darf der Leistungsempfänger davon ausgehen, dass die Behörde den rechtsfehlerhaften Bescheid innerhalb eines Jahres nicht mehr revidiert. Das ist regelmäßig erst nach Anhörung des Leistungsempfängers gem. § 24 SGB X der Fall (vgl. BSG, Urt. v. 27.7.2000, - B 7 AL 88/99 R -; BVerwG, Urt. v. vom 18.7.2006, - 1 C 15/05 –; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.3.2011, - L 5 AS 1547/09 -). Nach durchgeführter Anhörung kann festgestellt werden, ob ein atypischer Fall vorliegt; außerdem sind dann die Tatsachen bekannt, die ggf. in die Ausübung des Aufhebungsermessens einzustellen sind.

d.) Ist der Verwaltungsakt gem. § 48 SGB X aufgehoben worden, sind bereits erbrachte Leistungen gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne weitere Voraussetzungen zu erstatten. Ermessen ist nicht mehr auszuüben. Die zu erstattende Leistung ist gem. § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Der Erstattungsanspruch ist verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 3 SGB X (Erstattungsbescheid) unanfechtbar geworden ist (§ 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

2.) Davon ausgehend hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden die Bewilligung eines Zuschusses zum freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag durch Bescheid vom 23.4.1999 für die Zeit vom 1.4.2002 bis 30.11.2007 rechtsfehlerfrei aufgehoben und dem Kläger zu Recht aufgegeben, zu viel erhaltenen Beitragszuschuss in Höhe von 7.410,74 EUR zu erstatten.

In den Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 23.4.1999 vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung dadurch eingetreten, dass der Kläger zum 1.4.2002 versicherungspflichtig zur Krankenversicherung der Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) geworden ist, weshalb seine bis dahin bestehende freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten gem. § 191 Nr. 2 SGB V geendet hat. Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung hat er deswegen nicht mehr zahlen müssen (§§ 250 Abs. 2, 252 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und (unstreitig) auch nicht mehr gezahlt; entsprechendes gilt für die Pflegeversicherung. Der Bewilligungsbescheid vom 23.4.1999 ist daher gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben gewesen.

Die Beklagte hat den Bewilligungsbescheid gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X rechtsfehlerfrei auch mit Wirkung für die Vergangenheit (ab 1.4.2002) aufgehoben.

Der Kläger hat der Beklagten nicht mitgeteilt, dass seit 1.4.2002 freiwillige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr gezahlt bzw. von seinem Konto nicht mehr abgebucht werden. Dadurch ist er gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X seiner gesetzlichen Mitteilungspflicht aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I nicht nachgekommen. Er hat dabei (jedenfalls) grob fahrlässig gehandelt. Der Kläger hat um seine Mitteilungspflicht gewusst. Er ist hierauf im Bewilligungsbescheid vom 23.4.1999 eingehend hingewiesen worden und hatte sich außerdem im Antrag auf Gewährung des Beitragszuschusses ausdrücklich verpflichtet, (u.a.) die Beendigung einer freiwilligen Versicherung sowie Veränderungen der Beitrags- und Prämienhöhe unverzüglich anzuzeigen. Wenn er dies unterlässt, obgleich er feststellt, dass freiwillige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (gar) nicht mehr abgebucht werden, steht der Vorwurf des bedingt vorsätzlichen Verschweigens im Raum. Auf jeden Fall hat der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nämlich ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet, was hier jedem einleuchten muss. Jedem muss klar sein, dass zu nicht (mehr) gezahlten Beiträgen ein Zuschuss nicht (weiter) gewährt werden kann. Das hat auch der Kläger einsehen können (dazu sogleich). Der Kläger hat damit außerdem i. S d. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X wegen besonders schwerwiegender Sorgfaltsverletzung nicht gewusst, dass der Zuschussanspruch weggefallen ist.

Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Kläger über das notwendige Einsichtsvermögen bzw. die notwendige Urteils- und Kritikfähigkeit verfügt hat bzw. verfügt, um den Wegfall des Zuschussanspruchs bei Wegfall der bezuschussten Aufwendungen und die Notwendigkeit zur Information der Beklagten bzw. zur Nachfrage bei dieser erkennen zu können. Er hat sich hiervon (u.a.) durch Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 15.2.2012 überzeugen können. Abzustellen ist für das Einsichtsvermögen dabei nicht auf den heutigen Gesundheitszustand des Klägers, sondern auf den der Jahre nach 2002, als es der Kläger unterließ, die Überzahlung der Beklagten mitzuteilen. Der 1939 geborene Kläger stand im 63. Lebensjahr, als er im Jahr 2002 nach eigenem Vorbringen bei der Prüfung seiner Kontoauszüge festgestellt hat, dass anders als zuvor Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr abgebucht werden. Das ist ihm auch nach eigenen Angaben aufgefallen, er hat die Veränderung also bemerkt und bewusst als solche erkannt. Der Kläger ist außerdem zur langfristigen Anlage seines Vermögens in (nicht näher spezifizierten) Anlageprodukten in der Lage gewesen. Der Kläger ist gelernter Elektroinstallateur und damit Facharbeiter und hat im erlernten Beruf lange Jahre bei der Firma B. gearbeitet. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sein Einsichtsvermögen oder seine Kritikfähigkeit persönlichkeits- oder krankheitsbedingt vermindert gewesen wären, sind nicht ersichtlich; hierfür ist auch nichts Stichhaltiges geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Kläger zwar in einem gesundheitlich stark angeschlagenen Zustand gesehen. Die Befragung ergab jedoch, dass die Krankheiten im Bereich des Fußes und des Darms, die dem Kläger heute so schwer zu schaffen machen, sich erst ab 2006 entwickelt haben.

Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 11.12.2008 zwar ausgeführt, ein atypischer Fall liege nicht vor. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Es bestehen insbesondere keine nachweisbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ein Mitverschulden an der Überzahlung trifft. Die Vermutungen über ein Mitverschulden der Beklagten bewegen sich im Bereich spekulativer Mutmaßungen. Die Beklagte hat der Sache nach gleichwohl Aufhebungsermessen ausgeübt und das Vertrauen des Klägers auf das Behaltendürfen der rechtswidrig erlangten Leistung mit den öffentlichen Interessen an deren Rückführung abgewogen; sie hat dabei zu Recht angenommen, dass der Kläger Vertrauensschutz nicht beanspruchen kann. Außerdem hat sie dem Kläger Ratenzahlung eingeräumt. Auch sonst sind keine Gründe erkennbar, die die Aufhebung der Zuschussbewilligung nur für die Zukunft und damit das Belassen der zu viel gezahlten Zuschüsse rechtfertigen könnten. Den Kläger trifft nach dem Gesagten (zumindest) ein erhebliches Verschulden an der Entstehung der Überzahlung. Dass ihn die Erstattung der Zuschüsse (in monatlichen Raten) unverhältnismäßig treffen könnte, ist weder substantiiert dargetan noch erkennbar. Der Kläger hat insbesondere nähere Angaben zu den Anlageprodukten, in die (auch) die rechtswidrig erlangten Zahlungen offenbar geflossen sind, nicht gemacht, deswegen mag dahinstehen, ob und inwieweit es hierauf überhaupt ankäme.

Die einjährige Aufhebungsfrist (§§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) ist mit dem Aufhebungsbescheid vom 26.11.2007 gewahrt. Die Beklagte hat von der Überzahlung durch Schreiben der B. BKK vom 18.10.2007 erfahren. Der Zugang eines entsprechenden Datensatzes der B. BKK vom 22.1.2002 ist nicht festzustellen. In der Meldesatzkartei der Beklagten ist ein solcher Datensatz nicht vorhanden; die Unterlagen der B. BKK aus dem Jahr 2002 sind vernichtet. Davon abgesehen, kann die Jahresfrist ohnehin frühestens nach Anhörung des Klägers im Aufhebungsverfahren nach § 48 SGB X beginnen, da erst dann die Prüfung eines atypischen Falles und ggf. die rechtsfehlerfreie Ausübung von Aufhebungsermessen möglich ist. Ein entsprechendes Anhörungsschreiben ist aber erstmals unter dem 8.11.2007 ergangen.

Auf Verjährung kann sich der Kläger nicht berufen. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht die Nachzahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, sondern (neben der Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 23.4.1999 für die Zeit ab 1.4.2002) der Anspruch der Beklagten auf Erstattung zu viel gezahlten Beitragszuschusses. Für dessen Verjährung gilt § 50 Abs. 4 SGB X. Da der (mit dem Aufhebungsbescheid verbundene - § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X) Erstattungsbescheid noch nicht unanfechtbar geworden ist, ist Verjährung nicht eingetreten.

Der Erstattungsanspruch ist auch nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht anerkannt. Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteile entstehen würde. An die Verwirkungsvoraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. (vgl. nur etwa Senatsurteil vom 13.4.2011, - L 5 R 1004/10 – m- w. N. zur Rspr. des BSG). Hier liegt (schon) ein Verwirkungsverhalten der Beklagten nicht vor. Aus der bloßen Fortzahlung der Beitragszuschüsse nach Wegfall des Zuschussanspruchs kann es nicht abgeleitet werden.

Gegen die Berechnung des Erstattungsbetrags sind Einwendungen nicht erhoben; Berechnungsfehler sind nicht ersichtlich.

III. Da die angefochtenen Bescheide (insgesamt) rechtmäßig sind, ist das Urteil des Sozialgerichts auf die Berufung der Beklagten abzuändern und die Klage ist insgesamt abzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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