Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1083/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2551/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung und die Klage des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. April 2010 abgeändert. Der Beklagte wird unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 07. November 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. April 2009 und des Bescheids vom 17. Mai 2010 verpflichtet, bei dem Kläger ab dem 01. Juni 2009 einen Grad der Behinderung von 40 (vierzig) festzustellen.
2. Im Übrigen werden die Berufung zurück- und die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte erstattet dem Kläger je ein Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).
Bei dem am 19.06.1950 geborenen Kläger, einem deutschen Staatsbürger, war mit Ausführungsbescheid vom 21.08.2008 (Az. SG Konstanz: S 6 SB 1800/05) ab dem 22.09.2004 ein GdB von 20 festgestellt worden. Dem hatte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. A. vom 29.05.2008 zu Grunde gelegen, die Einzel-GdB von 20 für eine degenerative Veränderung der Wirbelsäule und 10 für eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke vorgeschlagen hatte.
Am 25.09.2008 beantragte der Kläger Neufeststellung. Er trug vor, er leide an einer Herzerkrankung, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit und Bauchwandbruch. Das Versorgungsamt beim Landratsamt Bodenseekreis holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein, darunter die Arztbriefe des Kardiologen Dr. B. vom 03.04.2008 (belastungsabhängige Angina pectoris, Belastungs-EKG bis 200 W unauffällig, echokardiographisch normale linksventrikuläre Funktion, leichte Myokardhypertrophie, arterielle Hypertonie) und das von dem HNO-Arzt Dr. C. erstellte Tonaudiogramm vom 09.07.2007. Unter Auswertung dieser Unterlagen schlug der Versorgungsarzt Dr. D. unter dem 04.11.2008 vor, zusätzlich einen Einzel-GdB von 10 für den Bluthochdruck anzuerkennen, aber den Gesamt-GdB bei 20 zu belassen. Gestützt hierauf lehnte das Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 07.11.2008 ab.
Der Kläger erhob Widerspruch, den er aber trotz mehrerer Aufforderungen nicht begründete. Daraufhin erließ das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 01.04.2009.
Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2009 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, die Wirbelsäulenerkrankung und die Herzkrankheit müssten höher bewertet werden. Er hat behauptet, er leide zusätzlich an einer Grundgelenksarthrose am Mittelfinger rechts.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Allgemeinmediziner G. hat unter dem 29.09.2009 bekundet, der Kläger klage über Herzbeschwerden bei vorbekannter arterieller Hypertonie, die kardiale Diagnostik bei ihm - dem Zeugen - und bei dem Kardiologen Dr. B. habe jedoch keinen richtungweisenden pathologischen Befund ergeben, der Blutdruck des Klägers betrage 150/80 mmHg, das Belastungs-EKG habe bis 200 W absolviert werden können. Es beständen eine leichte Myokardhypertrophie und nebenbefundlich kleine Plaques in der A. carotis bds. Die depressive Situation habe sich nach Arbeitsplatzverlust im April 2009 und weiter nach Fehlschlag eines Arbeitsversuchs im Juli 2009 verschlechtert. Es seien Einzel-GdB von 20 bis 30 für die Depression, 20 für Wirbelsäule und Schultern und je 10 für die Hände anzunehmen. Der Neurologe und Psychiater Dr. E. hat unter dem 15.10.2009 mitgeteilt, der Kläger habe vom 17.08. bis 24.09.2009 eine stationäre psychiatrische Rehabilitation absolviert, aus der er arbeitsunfähig entlassen worden sei. Psychiatrischerseits beständen eine gereizte, ängstliche, depressive Symptomatik mit psychophysischer Erschöpfung, Schlafstörung, nächtlichen Grübelzwängen, Verlust der Lebensfreude einhergehend mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei der GdB mit 50 einzuschätzen.
Das SG hat sodann den Entlassungsbericht der Schlossklinik Bad H. vom 02.10.2009 über die genannte Rehbilitationsmaßnahme beigezogen. Darin sind eine Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung und Existenzängsten, eine deutliche Deformierung des Grundgelenks D III (Mittelfinger) mit funktionalem Defizit und Arthralgie, eine thorakolumbale Skoliose, ein ausgeprägtes Supraspinatussehnensyndrom und eine Rektusdiastase (Bauchwandschwäche) diagnostiziert. Zur psychiatrischen Diagnose ist ausgeführt, der Kläger habe seine letzte Kündigung, die kurz nach einem Arbeitsunfall während der Krankschreibung erfolgt sein, als Kränkung wahrgenommen. Seither seien Bewerbungsversuche und Arbeitserprobungen erfolglos geblieben. Hinsichtlich einer Herzerkrankung habe er Ängste entwickelt, nachdem die Familie vorbelastet sei, Angehörige und zuletzt in kurzem Abstand zwei Klassenkameraden an plötzlichem Herzversagen gestorben seien. Wegen der psychiatrischen Erkrankung, aber auch wegen der Schmerzen an Schultern, Fingern bzw. Handgelenken und Wirbelsäule, sei er in seinem Beruf als Schreiner und zuletzt als Hausmeister nur noch unter drei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch bei Beachtung mehrerer qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich leistungsfähig.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 27.01.2010, der zusätzlich einen Einzel-GdB von 20 für eine seelische Störung vorgeschlagen hatte, hat der Beklagte im Vergleichswege die Feststellung eines Gesamt-GdB von 30 ab Juni 2009 angeboten.
Nachdem dieser Vergleich nicht zu Stande gekommen ist, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2010 den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, ab Juni 2009 einen GdB von 30 bei dem Kläger festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB und die Veränderung einer Feststellung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse und auch die medizinischen Vorgaben zur Bewertung von Behinderungen nach den seit dem 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) dargelegt, darauf wird verwiesen. Auf orthopädischem Gebiet sei bei dem Kläger ein GdB von 20 anzuerkennen, denn er leide an Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem WS-Abschnitt. Dies entspreche dem Vorschlag des behandelnden Arztes Dr. G ... Der Kläger befinde sich derzeit nicht in orthopädischer Behandlung. In dem Entlassungsbericht der Schlossklinik werde lediglich eine thorakolumbale Skoliose mit Tonuserhöhung der paravertebralen Muskulatur und Schmerzen durch die Bewegungseinschränkung angegeben. Für die seelische Störung sei – ab Juni 2009 – ein GdB von 20 anzunehmen. Dies entspreche dem oberen Wert für leichtere psychovegeative oder psychische Störungen. Stärkere Störungen lägen bei dem Kläger nicht vor. Vor Juni 2009 lägen keine konkreten Befunde über eine solche Krankheit vor. Dr. E. habe zwar einen GdB von 50 geschätzt, jedoch nicht angegeben, worin die wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu sehen sein solle. Er habe auch nicht mitgeteilt, wie die Störung behandelt werde. Die Schlossklinik Bad H. habe Entspannungsverfahren und dosiertes Ausdauertraining vorgeschlagen. Eine ambulante Psychotherapie sei empfohlen worden, der Kläger habe jedoch nicht mitgeteilt, ob er eine solche aufgenommen habe. Er habe nach dem Entlassungsbericht der Schlossklinik keine Antriebsstörung und ein unauffälliges soziales Kontaktverhalten gezeigt. Die weiteren Behinderungen des Klägers – Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und Gebrauchseinschränkung der rechten Hand, wobei hier noch ein vollständiger Faustschluss und eine vollständige Fingerstreckung beständen, sowie Bluthochdruck – seien mit Einzel-GdB von jeweils 10 angemessen bewertet. Insgesamt ergebe sich der genannte GdB von 30.
Mit Bescheid vom 17.05.2010 führte das Versorgungsamt den Gerichtsbescheid des SG aus.
Gegen den Gerichtsbescheid, der seinem Prozessbevollmächtigten am 28.04.2010 zugestellt wor-den ist, hat der Kläger am 28.05.2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, die psychische Erkrankung wirke sich weitergehend aus als es das SG angenommen habe und sei daher höher zu bewerten. Auch leide er stark an Bewegungseinschränkungen vor allem der rechten Schulter wegen des Supraspinatussehnensyndroms, das einen weiteren Einzel-GdB von 20 neben dem Wirbelsäulenbefund bedinge, der selbst eher mit 30 statt mit lediglich 20 zu bewerten sein.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. April 2010 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 07. November 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. April 2009 und des Bescheids vom 17. Mai 2010 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 01. Juni 2009 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen, soweit der Kläger einen höheren GdB begehrt als ihm mit dem Vergleichsvorschlag vom 14.06.2011 (GdB 40 ab Dezember 2010) angeboten worden sei.
Der Senat hat jeweils auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein orthopädisches Gutachten bei Dr. L. und ein psychiatrisch-schmerzspsychologisches Gutachten bei Dr. J. eingeholt.
Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 04.12.2010 ausgeführt, der Kläger leide an einem chronisch-degenerativen Wirbelsäulensyndrom in zwei Abschnitten mit häufigen und teilweise lange anhaltenden Schmerzsyndromen sowie Bewegungseinschränkung bei linkskonvexer Skoliose, an einer Bauchwandhernie mit Muskeldiastase, einer chronischen Tendinitis der Rotatorenmanschette links durch Impingement-Syndrom (Einklemmung) ohne Bewegungseinschränkung, einer Bewegungseinschränkung am Schultergelenk rechts mit Schmerzen und Funktionsdefizit, einem leichten Streckdefizit am Ellenbogengelenk links bei voller Beugung und Umwendung, einer starken Funktionseinschränkung der Hand- und Fingergelenke beidseits mit deutlich reduzierter Funktion und einer leichten Hüftarthrose bds. ohne Bewegungseinschränkungen. Es seien Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulensyndrom, 10 bis 20 für die Bauchwandhernie, 10 für die zusammengefassten Schulterbeeinträchtigungen, 20 für die Hand- und Fingergelenke und 10 für die Hüftarthrose anzusetzen. Im Ganzen sei der GdB auf orthopädischem Gebiet auf "30 bis 40" zu schätzen.
Dr. J. ist in seinem Gutachten vom 15.02.2011 zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger leide an einer anhaltenden depressiven Störung auf Grund unzureichend verarbeiteter Kränkung, die als leicht bis phasenweise mittelschwer einzustufen sei und mit einem GdB von "10 bis 20, tendenziell eher 20, wenn man die Schmerzproblematik mit hinzunimmt", zu bewerten sei. Unter Einbeziehung der Beeinträchtigungen auf anderen Fachgebieten komme man zu einem Gsamt-GdB von 40 bis 50.
Unter Vorlage einer versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 09.06.2011 hat der Beklagte unter dem 14.06.2011 eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits dahin angeboten, bei dem Kläger ab Dezember 2010 einen GdB von 40 festzustellen.
Nachdem auch dieser Vergleich nicht zustandegekommen war, hat Dr. L. auf Nachfrage des Senats neu angefertigte Röntgenbilder und die Ergebnisse eines aktuellen Kernspintomogramms ergänzend ausgewertet und hierzu unter dem 11.11.2011 mitgeteilt, die bildgebenden Verfahren bestätigten die Einschätzung, dass mindestens zwei Abschnitte der Wirbelsäule von den degenerativen Veränderungen betroffen seien, es sei ein Bandscheibenvorfall mittig in Höhe L4/5 festgestellt worden. Angesichts dieser Ergebnisse wolle er – der Sachverständige – seine bisherige Einschätzung dahin revidieren, dass für die Wirbelsäule durchaus ein GdB von 30 angesetzt werden könne. Die Bilder ließen den Schluss zu, dass hier zunehmende bzw. anhaltende Schmerzsyndrome vorlägen.
Unter Berufung auf die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 05.12.2011 hat der Beklagte entgegnet, insbesondere die erhobenen Bewegungsmaße ließen so weitreichende Bewertungen der orthopädischen Schäden wie sie Dr. L. vorschlage, nicht zu. Es bleibe daher - nur - bei dem Vergleichsangebot vom 14.06.2011.
Der Kläger hat noch den Entlassungsbericht des Zentrums für Psychiatrie M., Regionales Schmerzzentrum N., vom 24.11.2011 über einen Aufenthalt vom 17. bis 25.11.2011 vorgelegt, in dem – unter anderem – ein chronisches multilokales Schmerzsyndrom (Chronifizierung im Schmerzstadium II nach Gerbershagen), eine Lumboischialgie rechts bei BSV L4/5, der Verdacht auf eine Wurzelreizung bei dem Segment C7 und eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert worden sind.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen, die in das Verfahren eingeführt worden sind.
Entscheidungsgründe:
1. Gegenstand des Verfahrens ist nicht nur die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 26.04.2010. Auch der Bescheid vom 17.05.2010, mit dem jener Gerichtsbescheid ausgeführt worden ist, ist nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in das Verfahren einbezogen worden. Da er nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, entscheidet der Senat über ihn auf Klage (Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) und nicht auf Berufung.
2. Mit dieser Maßgabe sind Berufung und Klage des Klägers, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, zwar zulässig, aber nur insoweit begründet, als bei dem Kläger ab Juni 2009 ein Gesamt-GdB von 40 anzuerkennen war, unter entsprechender Abänderung des angegriffenen Gerichtsbescheids und der Bescheide des Beklagten. Der Senat geht insoweit zeitlich über den Vergleichsvorschlag des Beklagten vom 14.06.2011 hinaus. Darin war ein GdB von 40 erst ab Dezember 2010 angeboten worden. Zur Überzeugung des Senats bedingen jedoch bereits die vor Dezember 2010 dokumentierten Behinderungen einen GdB von 40. Dagegen hat das Hinzutreten bzw. der Nachweis der Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten im Dezember 2010 den GdB nicht mehr erhöht; in diesem Punkt ist dem Beklagten zu folgen. Die Schwerbehinderteneigenschaft liegt bis heute nicht vor.
a) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und auch die medizinischen Vorgaben aus den in diesem Verfahren schon zu Grunde zu legenden, seit 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) aus der Anl. zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf jene Ausführungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Auf psychiatrischem Gebiet liegt bei dem Kläger ein GdB von 20 vor. Dies ist der obere Wert der Spanne, die Dr. J. in seinem auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten vom 15.02.2011 vorgeschlagen hat.
Diese Spanne ist jene, die nach Teil B Nr. 3.7 VG für leichtere psychische oder psychovegetative Störungen vorgesehen ist. Ein GdB von 30 bis 40 liegt dagegen erst bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krank¬heitswert, somatoforme Störungen) vor.
Bei dem Kläger liegt nur eine leichte depressive Erkrankung vor, eine stärker behindernde Störung mit wesentlichen Einschränkungen ist dagegen nicht anzunehmen. In dieser Einschätzung kann Dr. J. gefolgt werden. Bei der Untersuchung des Klägers wurden in vielen Erlebensdimensionen unauffällige Werte gemessen. Auch Auffassungsgabe und Konzentration waren in der Untersuchung ungestört, der Kläger hatte lediglich von Konzentrationsstörungen im Alltag berichtet. Die affektive Stimmung war leicht gereizt mit depressiven Anklängen. Auch eine Vorstufe zur Grübelneigung konnte Dr. J. feststellen. Das psychische Leidensempfinden des Klägers kann als mittelschwer eingestuft werden. Die von ihm erlebte Kränkung durch den Verlust des Arbeitsplatzes während einer Arbeitsunfähigkeit hat zu einer häufig rezidivierenden Herabgestimmtheit geführt. Dies hatte auch bereits der behandelnde Psychiater Dr. E.t unter dem 15.02.2009 so mitgeteilt. Ebenso hat der aktuelle Bericht des ZfP M. vom 24.11.2011 nur von einer "leichten Herabgestimmtheit" und einer eingeschränkten Schwingungsfähigkeit berichtet. Dagegen sind die sozialen Kontakte des Klägers, eine weitere Subkategorie des Leidensempfindens, wenig beeinträchtigt. Der Kläger steht früh – gegen 06.00 Uhr – auf, erledigt die Hausarbeiten und kauft ein. Nach seinen Angaben bei Dr. J. pflegt er nachmittags Kontakte zu Freunden und nimmt auswärtige Termine wahr. Er betreibt noch Hobbys, nämlich Bastelarbeiten, Radfahren bis zu 20 km und Wandern bis zu 2 Stunden am Stück. Im Jahr vor der Begutachtung, im Sommer 2010, war er auch im Urlaub gewesen. Bei der Bewertung zu berücksichtigen ist auch, dass die depressive Erkrankung des Klägers reaktiv entstanden ist, also anlassbezogen ist und auch nach wie vor so wahrgenommen wird, nämlich beschränkt auf die berufliche und daraus folgend die finanzielle Situation. Andere, private Lebensbereiche sind nicht tangiert. Dass insgesamt die psychische Erkrankung noch als leicht bezeichnet werden kann, zeigt sich auch darin, dass der Kläger im ZfP M. im November 2011 eine antidepressive Therapie nicht gewünscht hat, sodass auch subjektiv von einem geringen - psychischen - Leidensdruck ausgegangen werden kann.
Die Schmerzerkrankung des Klägers, die insbesondere im ZfP M. als gesonderte Diagnose neben die depressive Erkrankung gestellt wurde, berücksichtigt der Senat hier nicht in der Weise, dass auf psychiatrischem Gebiet ein GdB von mehr als 20 festzustellen ist. Zwar ist auch der physische Leidensgrad eine Subkategorie zur Bewertung depressiver Erkrankung. Aber wie sich insbesondere aus dem Entlassungsbericht des ZfP M. ergibt, finden sich bei dem Kläger wenige Hinweise für wesentlich psychogen-funktionelle Schmerzanteile bzw. für eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Vielmehr wird das chronifizierte Schmerzsyndrom als überwiegend somatisch verursacht beschrieben. Dem entspricht es, dass der Kläger selbst angibt, die Schmerzen trügen zu seiner Stimmungsverschlechterung bei, nicht umgekehrt. Unter diesen Umständen sind die Schmerzanteile gesondert neben der depressiven Erkrankung zu bewerten, und zwar, da es insbesondere Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen in die Beine sind, auf orthopädischem Gebiet, wie auch Dr. J. und Dr. L. übereinstimmend vorgeschlagen haben.
c) Für die Wirbelsäulenbeeinträchtigung des Klägers kann, wie der Sachverständige Dr. L. in seiner ergänzenden Stellungnahme angenommen hat, ein GdB von 30 angesetzt werden.
Dies entspricht dem unteren Wert aus der Spanne von 30 bis 40, die nach Teil B Nr. 18.9 VG für Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten anzusetzen ist, wobei der untere Wert für mittelgradige Auswirkungen angemessen ist. Mittelgradig in diesem Sinne sind z. B. eine Verformung, eine häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome.
Bei dem Kläger nun ist zwar die Beweglichkeit der beiden im Wesentlichen betroffenen WS-Abschnitte, der HWS und der LWS, nicht wesentlich eingeschränkt. Dr. K. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.12.2011 zutreffend ausgeführt, dass die von Dr. L. nach der Neutral-Null-Methode ermittelten Restbeweglichkeiten weitgehend noch im Normbereich liegen. An der HWS etwa war nur die Seitneigung geringfügig eingeschränkt bei 30-0-20° statt 45-0-45°. Aber nach den VG sind häufige oder rezidivierende Bewegungseinschränkungen nur eine Ausprägung einer mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigung. Der Kläger leidet trotz nicht übermäßig eingeschränkter Beweglichkeit an häufigen und über Tage andauernden WS-Syn¬dro¬men. Unter diesen Begriff sind die Schmerzzustände des Klägers zu fassen. Der Kläger klagt seit Jahren über erhebliche Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen vor allem in die Beine. Diese Schmerzen hat auch Dr. J. festgestellt. Sie werden besonders deutlich in dem Entlassungsbericht des ZfP M. vom 24.11.2011. Dort hat der Kläger angegeben, er habe seit sechs Monaten Dauerschmerzen in der unteren Wirbelsäule und im linken Oberschenkel bis zur Wade. Er habe zeitweise nur 5 m gehen können. Legt man diese Angaben zu Grunde, an denen der Senat angesichts des regelmäßig diagnostizierten chronifizierten Schmerzsyndroms nicht zweifelt, erscheint es zutreffend, wenn Dr. L. und Dr. J. übereinstimmend ein chronisches Wirbelsäulensyndrom beschrieben haben, das inzwischen wenige schmerzfreie Zeitabschnitte enthält. Bei dieser Bewertung zu berücksichtigen ist auch, dass die Schmerzerkrankung des Klägers auf psychiatrischem Gebiet nicht mit berücksichtigt worden ist, aber nicht völlig unberücksichtigt bleiben darf.
d) Für die Beeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen, an Schultergelenken und Händen, kann der von Dr. L. vorgeschlagene GdB von 20, den auch der Beklagte anerkannt hat, zu Grunde gelegt werden.
Dr. L. hat vor allem an der rechten Schulter Bewegungseinschränkungen gemessen, so eine Vor- und Rückneigung von 100-0-30° statt normaler 150-0-40° und eine Ab-/Adduktion von 95-0-30° statt normaler 20/40-0-180°. Hierfür ist ein GdB von 10 anzusetzen, denn nach Teil B Nr. 18.13 VG ist ein solcher Wert bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) mit einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit angezeigt. Ein GdB von 20 allein für die Schulter käme erst bei einer Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit auf weniger als 90° in Betracht, der Kläger erreicht rechts jedoch noch 100°.
An den Hand- und den Gelenken der Langfinger, vor allem am Zeigefinger rechts und am Ringfinger links, hat Dr. L. Bewegungseinschränkungen festgestellt, die erheblich waren. So kann der Kläger an der rechten Hand mit dem Daumen den Kleinfinger nicht mehr erreichen. Allerdings war die grobe Kraft der Hände nicht gemindert, die Störungen betreffen eher den feinmotorischen Bereich. Legt man zu Grunde, dass nach Teil B Nr. 18.13 VG Bewegungseinschränkungen des Handgelenks geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 30-0-40°) nur einen GdB von 0-10 bedingen und ebenso erst Versteifungen eines Daumen- oder eines Fingergelenks – allerdings in günstiger Stellung – zu einem GdB von 0 bis 10 führen, erscheint es vertretbar, für Hände und Finger zusammen ebenfalls einen GdB von 10 anzunehmen.
Auf die oberen Gliedmaßen zusammengefasst erscheint ein GdB von 20 vertretbar, zumal sich die Funktionsbeeinträchtigungen der Schulter und der Hand rechts etwas verstärken dürften, betreffen sie doch beide die Einsatzfähigkeit des rechten Arms.
Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der GdB von 20 für die oberen Extremitäten erst ab der Begutachtung bei Dr. L. im Dezember 2010 anerkannt wird. Dr. L. hat ausgeführt, er habe – gegenüber den früheren Untersuchungen des Klägers – an der Schulter eine etwas schlechtere Funktion, aber an den Fingergelenken die bedeutendsten Unterschiede zu früheren Untersuchungen gefunden, in denen zum Teil nur von Bewegungseinschränkungen eines einzigen Fingers die Rede gewesen sei. Da nicht davon auszugehen ist, dass die früheren Befundberichte unzutreffend waren, ist von einer Verschlechterung der Hand- und Fingerbeweglichkeit in den letzten Jahren und Monaten auszugehen.
e) Die übrigen Behinderungen des Klägers bedingen jeweils allenfalls einen GdB von 10. Dies gilt zunächst für die Bauchwandhernie. Für derartige Erkrankungen ist nach Teil B Nr. 11.2 VG ein GdB von 20 erst bei ausgedehnter Bauchwandschwäche und fehlender oder stark eingeschränkter Bauchpresse anzusetzen. Derart schwere bleibende Schäden sind beim Kläger nicht dokumentiert. Auch die zeitweise schlecht eingestellte Hypertonie ist noch als leicht einzustufen, denn sie hat noch keine Organschäden leichteren oder mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Protein¬urie) verursacht, wie aber nach Teil B Nr. 9.3 VG für einen GdB von 20 (bis 40) vorausgesetzt wäre. Die Hüfterkrankung des Klägers letztlich ist bislang nur radiologisch fassbar, hat aber noch keine wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen verursacht.
f) Führt man nun integrierend, wie es Teil A Nr. 3 Buchst. a bis c VG vorsieht, die Einzel-GdB von 30 für die Wirbelsäulen- und von 20 für die depressive Erkrankung zusammen, so ergibt sich ein Gesamt-GdB von 40 bereits ab der ersten Dokumentation der depressiven Erkrankung im Juni 2009. Die weiteren GdB von höchstens 10 trugen bereits damals nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB bei, weil nach Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchst. ee Satz 1 VG – von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen - zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS (GdB) von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.
Auch für die Zeit ab Dezember 2010 führen die Schulter-, Hand- und Fingerbeeinträchtigungen, die für sich mit einem GdB von 20 zu bewerten sind, nicht zu einer weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB. Nach Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchst. ee Satz 2 VG ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdS (GdB) von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dies ist hier der Fall: Die Auswirkungen der Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und der Wirbelsäule überlappen sich erheblich. Beide tragen zu dem chronifizierten Schmerzsyndrom bei, das bei der Wirbelsäulenerkrankung mit berücksichtigt worden ist. Im Bereich von Halswirbelsäule und Schultern gehen die betroffenen Körperregionen unmittelbar ineinander über. Und es ist bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen, dass der GdB von 20 für die oberen Extremitäten auf zwei GdB von jeweils 10 für die Schultern und die Hände bzw. Finger beruht, die für sich nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB beitragen könnten.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
2. Im Übrigen werden die Berufung zurück- und die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte erstattet dem Kläger je ein Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).
Bei dem am 19.06.1950 geborenen Kläger, einem deutschen Staatsbürger, war mit Ausführungsbescheid vom 21.08.2008 (Az. SG Konstanz: S 6 SB 1800/05) ab dem 22.09.2004 ein GdB von 20 festgestellt worden. Dem hatte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. A. vom 29.05.2008 zu Grunde gelegen, die Einzel-GdB von 20 für eine degenerative Veränderung der Wirbelsäule und 10 für eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke vorgeschlagen hatte.
Am 25.09.2008 beantragte der Kläger Neufeststellung. Er trug vor, er leide an einer Herzerkrankung, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit und Bauchwandbruch. Das Versorgungsamt beim Landratsamt Bodenseekreis holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein, darunter die Arztbriefe des Kardiologen Dr. B. vom 03.04.2008 (belastungsabhängige Angina pectoris, Belastungs-EKG bis 200 W unauffällig, echokardiographisch normale linksventrikuläre Funktion, leichte Myokardhypertrophie, arterielle Hypertonie) und das von dem HNO-Arzt Dr. C. erstellte Tonaudiogramm vom 09.07.2007. Unter Auswertung dieser Unterlagen schlug der Versorgungsarzt Dr. D. unter dem 04.11.2008 vor, zusätzlich einen Einzel-GdB von 10 für den Bluthochdruck anzuerkennen, aber den Gesamt-GdB bei 20 zu belassen. Gestützt hierauf lehnte das Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 07.11.2008 ab.
Der Kläger erhob Widerspruch, den er aber trotz mehrerer Aufforderungen nicht begründete. Daraufhin erließ das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 01.04.2009.
Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2009 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, die Wirbelsäulenerkrankung und die Herzkrankheit müssten höher bewertet werden. Er hat behauptet, er leide zusätzlich an einer Grundgelenksarthrose am Mittelfinger rechts.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Allgemeinmediziner G. hat unter dem 29.09.2009 bekundet, der Kläger klage über Herzbeschwerden bei vorbekannter arterieller Hypertonie, die kardiale Diagnostik bei ihm - dem Zeugen - und bei dem Kardiologen Dr. B. habe jedoch keinen richtungweisenden pathologischen Befund ergeben, der Blutdruck des Klägers betrage 150/80 mmHg, das Belastungs-EKG habe bis 200 W absolviert werden können. Es beständen eine leichte Myokardhypertrophie und nebenbefundlich kleine Plaques in der A. carotis bds. Die depressive Situation habe sich nach Arbeitsplatzverlust im April 2009 und weiter nach Fehlschlag eines Arbeitsversuchs im Juli 2009 verschlechtert. Es seien Einzel-GdB von 20 bis 30 für die Depression, 20 für Wirbelsäule und Schultern und je 10 für die Hände anzunehmen. Der Neurologe und Psychiater Dr. E. hat unter dem 15.10.2009 mitgeteilt, der Kläger habe vom 17.08. bis 24.09.2009 eine stationäre psychiatrische Rehabilitation absolviert, aus der er arbeitsunfähig entlassen worden sei. Psychiatrischerseits beständen eine gereizte, ängstliche, depressive Symptomatik mit psychophysischer Erschöpfung, Schlafstörung, nächtlichen Grübelzwängen, Verlust der Lebensfreude einhergehend mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei der GdB mit 50 einzuschätzen.
Das SG hat sodann den Entlassungsbericht der Schlossklinik Bad H. vom 02.10.2009 über die genannte Rehbilitationsmaßnahme beigezogen. Darin sind eine Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung und Existenzängsten, eine deutliche Deformierung des Grundgelenks D III (Mittelfinger) mit funktionalem Defizit und Arthralgie, eine thorakolumbale Skoliose, ein ausgeprägtes Supraspinatussehnensyndrom und eine Rektusdiastase (Bauchwandschwäche) diagnostiziert. Zur psychiatrischen Diagnose ist ausgeführt, der Kläger habe seine letzte Kündigung, die kurz nach einem Arbeitsunfall während der Krankschreibung erfolgt sein, als Kränkung wahrgenommen. Seither seien Bewerbungsversuche und Arbeitserprobungen erfolglos geblieben. Hinsichtlich einer Herzerkrankung habe er Ängste entwickelt, nachdem die Familie vorbelastet sei, Angehörige und zuletzt in kurzem Abstand zwei Klassenkameraden an plötzlichem Herzversagen gestorben seien. Wegen der psychiatrischen Erkrankung, aber auch wegen der Schmerzen an Schultern, Fingern bzw. Handgelenken und Wirbelsäule, sei er in seinem Beruf als Schreiner und zuletzt als Hausmeister nur noch unter drei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch bei Beachtung mehrerer qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich leistungsfähig.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 27.01.2010, der zusätzlich einen Einzel-GdB von 20 für eine seelische Störung vorgeschlagen hatte, hat der Beklagte im Vergleichswege die Feststellung eines Gesamt-GdB von 30 ab Juni 2009 angeboten.
Nachdem dieser Vergleich nicht zu Stande gekommen ist, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2010 den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, ab Juni 2009 einen GdB von 30 bei dem Kläger festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB und die Veränderung einer Feststellung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse und auch die medizinischen Vorgaben zur Bewertung von Behinderungen nach den seit dem 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) dargelegt, darauf wird verwiesen. Auf orthopädischem Gebiet sei bei dem Kläger ein GdB von 20 anzuerkennen, denn er leide an Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem WS-Abschnitt. Dies entspreche dem Vorschlag des behandelnden Arztes Dr. G ... Der Kläger befinde sich derzeit nicht in orthopädischer Behandlung. In dem Entlassungsbericht der Schlossklinik werde lediglich eine thorakolumbale Skoliose mit Tonuserhöhung der paravertebralen Muskulatur und Schmerzen durch die Bewegungseinschränkung angegeben. Für die seelische Störung sei – ab Juni 2009 – ein GdB von 20 anzunehmen. Dies entspreche dem oberen Wert für leichtere psychovegeative oder psychische Störungen. Stärkere Störungen lägen bei dem Kläger nicht vor. Vor Juni 2009 lägen keine konkreten Befunde über eine solche Krankheit vor. Dr. E. habe zwar einen GdB von 50 geschätzt, jedoch nicht angegeben, worin die wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu sehen sein solle. Er habe auch nicht mitgeteilt, wie die Störung behandelt werde. Die Schlossklinik Bad H. habe Entspannungsverfahren und dosiertes Ausdauertraining vorgeschlagen. Eine ambulante Psychotherapie sei empfohlen worden, der Kläger habe jedoch nicht mitgeteilt, ob er eine solche aufgenommen habe. Er habe nach dem Entlassungsbericht der Schlossklinik keine Antriebsstörung und ein unauffälliges soziales Kontaktverhalten gezeigt. Die weiteren Behinderungen des Klägers – Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und Gebrauchseinschränkung der rechten Hand, wobei hier noch ein vollständiger Faustschluss und eine vollständige Fingerstreckung beständen, sowie Bluthochdruck – seien mit Einzel-GdB von jeweils 10 angemessen bewertet. Insgesamt ergebe sich der genannte GdB von 30.
Mit Bescheid vom 17.05.2010 führte das Versorgungsamt den Gerichtsbescheid des SG aus.
Gegen den Gerichtsbescheid, der seinem Prozessbevollmächtigten am 28.04.2010 zugestellt wor-den ist, hat der Kläger am 28.05.2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, die psychische Erkrankung wirke sich weitergehend aus als es das SG angenommen habe und sei daher höher zu bewerten. Auch leide er stark an Bewegungseinschränkungen vor allem der rechten Schulter wegen des Supraspinatussehnensyndroms, das einen weiteren Einzel-GdB von 20 neben dem Wirbelsäulenbefund bedinge, der selbst eher mit 30 statt mit lediglich 20 zu bewerten sein.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. April 2010 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 07. November 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. April 2009 und des Bescheids vom 17. Mai 2010 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 01. Juni 2009 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen, soweit der Kläger einen höheren GdB begehrt als ihm mit dem Vergleichsvorschlag vom 14.06.2011 (GdB 40 ab Dezember 2010) angeboten worden sei.
Der Senat hat jeweils auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein orthopädisches Gutachten bei Dr. L. und ein psychiatrisch-schmerzspsychologisches Gutachten bei Dr. J. eingeholt.
Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 04.12.2010 ausgeführt, der Kläger leide an einem chronisch-degenerativen Wirbelsäulensyndrom in zwei Abschnitten mit häufigen und teilweise lange anhaltenden Schmerzsyndromen sowie Bewegungseinschränkung bei linkskonvexer Skoliose, an einer Bauchwandhernie mit Muskeldiastase, einer chronischen Tendinitis der Rotatorenmanschette links durch Impingement-Syndrom (Einklemmung) ohne Bewegungseinschränkung, einer Bewegungseinschränkung am Schultergelenk rechts mit Schmerzen und Funktionsdefizit, einem leichten Streckdefizit am Ellenbogengelenk links bei voller Beugung und Umwendung, einer starken Funktionseinschränkung der Hand- und Fingergelenke beidseits mit deutlich reduzierter Funktion und einer leichten Hüftarthrose bds. ohne Bewegungseinschränkungen. Es seien Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulensyndrom, 10 bis 20 für die Bauchwandhernie, 10 für die zusammengefassten Schulterbeeinträchtigungen, 20 für die Hand- und Fingergelenke und 10 für die Hüftarthrose anzusetzen. Im Ganzen sei der GdB auf orthopädischem Gebiet auf "30 bis 40" zu schätzen.
Dr. J. ist in seinem Gutachten vom 15.02.2011 zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger leide an einer anhaltenden depressiven Störung auf Grund unzureichend verarbeiteter Kränkung, die als leicht bis phasenweise mittelschwer einzustufen sei und mit einem GdB von "10 bis 20, tendenziell eher 20, wenn man die Schmerzproblematik mit hinzunimmt", zu bewerten sei. Unter Einbeziehung der Beeinträchtigungen auf anderen Fachgebieten komme man zu einem Gsamt-GdB von 40 bis 50.
Unter Vorlage einer versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 09.06.2011 hat der Beklagte unter dem 14.06.2011 eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits dahin angeboten, bei dem Kläger ab Dezember 2010 einen GdB von 40 festzustellen.
Nachdem auch dieser Vergleich nicht zustandegekommen war, hat Dr. L. auf Nachfrage des Senats neu angefertigte Röntgenbilder und die Ergebnisse eines aktuellen Kernspintomogramms ergänzend ausgewertet und hierzu unter dem 11.11.2011 mitgeteilt, die bildgebenden Verfahren bestätigten die Einschätzung, dass mindestens zwei Abschnitte der Wirbelsäule von den degenerativen Veränderungen betroffen seien, es sei ein Bandscheibenvorfall mittig in Höhe L4/5 festgestellt worden. Angesichts dieser Ergebnisse wolle er – der Sachverständige – seine bisherige Einschätzung dahin revidieren, dass für die Wirbelsäule durchaus ein GdB von 30 angesetzt werden könne. Die Bilder ließen den Schluss zu, dass hier zunehmende bzw. anhaltende Schmerzsyndrome vorlägen.
Unter Berufung auf die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 05.12.2011 hat der Beklagte entgegnet, insbesondere die erhobenen Bewegungsmaße ließen so weitreichende Bewertungen der orthopädischen Schäden wie sie Dr. L. vorschlage, nicht zu. Es bleibe daher - nur - bei dem Vergleichsangebot vom 14.06.2011.
Der Kläger hat noch den Entlassungsbericht des Zentrums für Psychiatrie M., Regionales Schmerzzentrum N., vom 24.11.2011 über einen Aufenthalt vom 17. bis 25.11.2011 vorgelegt, in dem – unter anderem – ein chronisches multilokales Schmerzsyndrom (Chronifizierung im Schmerzstadium II nach Gerbershagen), eine Lumboischialgie rechts bei BSV L4/5, der Verdacht auf eine Wurzelreizung bei dem Segment C7 und eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert worden sind.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen, die in das Verfahren eingeführt worden sind.
Entscheidungsgründe:
1. Gegenstand des Verfahrens ist nicht nur die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 26.04.2010. Auch der Bescheid vom 17.05.2010, mit dem jener Gerichtsbescheid ausgeführt worden ist, ist nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in das Verfahren einbezogen worden. Da er nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, entscheidet der Senat über ihn auf Klage (Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) und nicht auf Berufung.
2. Mit dieser Maßgabe sind Berufung und Klage des Klägers, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, zwar zulässig, aber nur insoweit begründet, als bei dem Kläger ab Juni 2009 ein Gesamt-GdB von 40 anzuerkennen war, unter entsprechender Abänderung des angegriffenen Gerichtsbescheids und der Bescheide des Beklagten. Der Senat geht insoweit zeitlich über den Vergleichsvorschlag des Beklagten vom 14.06.2011 hinaus. Darin war ein GdB von 40 erst ab Dezember 2010 angeboten worden. Zur Überzeugung des Senats bedingen jedoch bereits die vor Dezember 2010 dokumentierten Behinderungen einen GdB von 40. Dagegen hat das Hinzutreten bzw. der Nachweis der Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten im Dezember 2010 den GdB nicht mehr erhöht; in diesem Punkt ist dem Beklagten zu folgen. Die Schwerbehinderteneigenschaft liegt bis heute nicht vor.
a) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und auch die medizinischen Vorgaben aus den in diesem Verfahren schon zu Grunde zu legenden, seit 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) aus der Anl. zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf jene Ausführungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Auf psychiatrischem Gebiet liegt bei dem Kläger ein GdB von 20 vor. Dies ist der obere Wert der Spanne, die Dr. J. in seinem auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten vom 15.02.2011 vorgeschlagen hat.
Diese Spanne ist jene, die nach Teil B Nr. 3.7 VG für leichtere psychische oder psychovegetative Störungen vorgesehen ist. Ein GdB von 30 bis 40 liegt dagegen erst bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krank¬heitswert, somatoforme Störungen) vor.
Bei dem Kläger liegt nur eine leichte depressive Erkrankung vor, eine stärker behindernde Störung mit wesentlichen Einschränkungen ist dagegen nicht anzunehmen. In dieser Einschätzung kann Dr. J. gefolgt werden. Bei der Untersuchung des Klägers wurden in vielen Erlebensdimensionen unauffällige Werte gemessen. Auch Auffassungsgabe und Konzentration waren in der Untersuchung ungestört, der Kläger hatte lediglich von Konzentrationsstörungen im Alltag berichtet. Die affektive Stimmung war leicht gereizt mit depressiven Anklängen. Auch eine Vorstufe zur Grübelneigung konnte Dr. J. feststellen. Das psychische Leidensempfinden des Klägers kann als mittelschwer eingestuft werden. Die von ihm erlebte Kränkung durch den Verlust des Arbeitsplatzes während einer Arbeitsunfähigkeit hat zu einer häufig rezidivierenden Herabgestimmtheit geführt. Dies hatte auch bereits der behandelnde Psychiater Dr. E.t unter dem 15.02.2009 so mitgeteilt. Ebenso hat der aktuelle Bericht des ZfP M. vom 24.11.2011 nur von einer "leichten Herabgestimmtheit" und einer eingeschränkten Schwingungsfähigkeit berichtet. Dagegen sind die sozialen Kontakte des Klägers, eine weitere Subkategorie des Leidensempfindens, wenig beeinträchtigt. Der Kläger steht früh – gegen 06.00 Uhr – auf, erledigt die Hausarbeiten und kauft ein. Nach seinen Angaben bei Dr. J. pflegt er nachmittags Kontakte zu Freunden und nimmt auswärtige Termine wahr. Er betreibt noch Hobbys, nämlich Bastelarbeiten, Radfahren bis zu 20 km und Wandern bis zu 2 Stunden am Stück. Im Jahr vor der Begutachtung, im Sommer 2010, war er auch im Urlaub gewesen. Bei der Bewertung zu berücksichtigen ist auch, dass die depressive Erkrankung des Klägers reaktiv entstanden ist, also anlassbezogen ist und auch nach wie vor so wahrgenommen wird, nämlich beschränkt auf die berufliche und daraus folgend die finanzielle Situation. Andere, private Lebensbereiche sind nicht tangiert. Dass insgesamt die psychische Erkrankung noch als leicht bezeichnet werden kann, zeigt sich auch darin, dass der Kläger im ZfP M. im November 2011 eine antidepressive Therapie nicht gewünscht hat, sodass auch subjektiv von einem geringen - psychischen - Leidensdruck ausgegangen werden kann.
Die Schmerzerkrankung des Klägers, die insbesondere im ZfP M. als gesonderte Diagnose neben die depressive Erkrankung gestellt wurde, berücksichtigt der Senat hier nicht in der Weise, dass auf psychiatrischem Gebiet ein GdB von mehr als 20 festzustellen ist. Zwar ist auch der physische Leidensgrad eine Subkategorie zur Bewertung depressiver Erkrankung. Aber wie sich insbesondere aus dem Entlassungsbericht des ZfP M. ergibt, finden sich bei dem Kläger wenige Hinweise für wesentlich psychogen-funktionelle Schmerzanteile bzw. für eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Vielmehr wird das chronifizierte Schmerzsyndrom als überwiegend somatisch verursacht beschrieben. Dem entspricht es, dass der Kläger selbst angibt, die Schmerzen trügen zu seiner Stimmungsverschlechterung bei, nicht umgekehrt. Unter diesen Umständen sind die Schmerzanteile gesondert neben der depressiven Erkrankung zu bewerten, und zwar, da es insbesondere Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen in die Beine sind, auf orthopädischem Gebiet, wie auch Dr. J. und Dr. L. übereinstimmend vorgeschlagen haben.
c) Für die Wirbelsäulenbeeinträchtigung des Klägers kann, wie der Sachverständige Dr. L. in seiner ergänzenden Stellungnahme angenommen hat, ein GdB von 30 angesetzt werden.
Dies entspricht dem unteren Wert aus der Spanne von 30 bis 40, die nach Teil B Nr. 18.9 VG für Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten anzusetzen ist, wobei der untere Wert für mittelgradige Auswirkungen angemessen ist. Mittelgradig in diesem Sinne sind z. B. eine Verformung, eine häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome.
Bei dem Kläger nun ist zwar die Beweglichkeit der beiden im Wesentlichen betroffenen WS-Abschnitte, der HWS und der LWS, nicht wesentlich eingeschränkt. Dr. K. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.12.2011 zutreffend ausgeführt, dass die von Dr. L. nach der Neutral-Null-Methode ermittelten Restbeweglichkeiten weitgehend noch im Normbereich liegen. An der HWS etwa war nur die Seitneigung geringfügig eingeschränkt bei 30-0-20° statt 45-0-45°. Aber nach den VG sind häufige oder rezidivierende Bewegungseinschränkungen nur eine Ausprägung einer mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigung. Der Kläger leidet trotz nicht übermäßig eingeschränkter Beweglichkeit an häufigen und über Tage andauernden WS-Syn¬dro¬men. Unter diesen Begriff sind die Schmerzzustände des Klägers zu fassen. Der Kläger klagt seit Jahren über erhebliche Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen vor allem in die Beine. Diese Schmerzen hat auch Dr. J. festgestellt. Sie werden besonders deutlich in dem Entlassungsbericht des ZfP M. vom 24.11.2011. Dort hat der Kläger angegeben, er habe seit sechs Monaten Dauerschmerzen in der unteren Wirbelsäule und im linken Oberschenkel bis zur Wade. Er habe zeitweise nur 5 m gehen können. Legt man diese Angaben zu Grunde, an denen der Senat angesichts des regelmäßig diagnostizierten chronifizierten Schmerzsyndroms nicht zweifelt, erscheint es zutreffend, wenn Dr. L. und Dr. J. übereinstimmend ein chronisches Wirbelsäulensyndrom beschrieben haben, das inzwischen wenige schmerzfreie Zeitabschnitte enthält. Bei dieser Bewertung zu berücksichtigen ist auch, dass die Schmerzerkrankung des Klägers auf psychiatrischem Gebiet nicht mit berücksichtigt worden ist, aber nicht völlig unberücksichtigt bleiben darf.
d) Für die Beeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen, an Schultergelenken und Händen, kann der von Dr. L. vorgeschlagene GdB von 20, den auch der Beklagte anerkannt hat, zu Grunde gelegt werden.
Dr. L. hat vor allem an der rechten Schulter Bewegungseinschränkungen gemessen, so eine Vor- und Rückneigung von 100-0-30° statt normaler 150-0-40° und eine Ab-/Adduktion von 95-0-30° statt normaler 20/40-0-180°. Hierfür ist ein GdB von 10 anzusetzen, denn nach Teil B Nr. 18.13 VG ist ein solcher Wert bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) mit einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit angezeigt. Ein GdB von 20 allein für die Schulter käme erst bei einer Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit auf weniger als 90° in Betracht, der Kläger erreicht rechts jedoch noch 100°.
An den Hand- und den Gelenken der Langfinger, vor allem am Zeigefinger rechts und am Ringfinger links, hat Dr. L. Bewegungseinschränkungen festgestellt, die erheblich waren. So kann der Kläger an der rechten Hand mit dem Daumen den Kleinfinger nicht mehr erreichen. Allerdings war die grobe Kraft der Hände nicht gemindert, die Störungen betreffen eher den feinmotorischen Bereich. Legt man zu Grunde, dass nach Teil B Nr. 18.13 VG Bewegungseinschränkungen des Handgelenks geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 30-0-40°) nur einen GdB von 0-10 bedingen und ebenso erst Versteifungen eines Daumen- oder eines Fingergelenks – allerdings in günstiger Stellung – zu einem GdB von 0 bis 10 führen, erscheint es vertretbar, für Hände und Finger zusammen ebenfalls einen GdB von 10 anzunehmen.
Auf die oberen Gliedmaßen zusammengefasst erscheint ein GdB von 20 vertretbar, zumal sich die Funktionsbeeinträchtigungen der Schulter und der Hand rechts etwas verstärken dürften, betreffen sie doch beide die Einsatzfähigkeit des rechten Arms.
Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der GdB von 20 für die oberen Extremitäten erst ab der Begutachtung bei Dr. L. im Dezember 2010 anerkannt wird. Dr. L. hat ausgeführt, er habe – gegenüber den früheren Untersuchungen des Klägers – an der Schulter eine etwas schlechtere Funktion, aber an den Fingergelenken die bedeutendsten Unterschiede zu früheren Untersuchungen gefunden, in denen zum Teil nur von Bewegungseinschränkungen eines einzigen Fingers die Rede gewesen sei. Da nicht davon auszugehen ist, dass die früheren Befundberichte unzutreffend waren, ist von einer Verschlechterung der Hand- und Fingerbeweglichkeit in den letzten Jahren und Monaten auszugehen.
e) Die übrigen Behinderungen des Klägers bedingen jeweils allenfalls einen GdB von 10. Dies gilt zunächst für die Bauchwandhernie. Für derartige Erkrankungen ist nach Teil B Nr. 11.2 VG ein GdB von 20 erst bei ausgedehnter Bauchwandschwäche und fehlender oder stark eingeschränkter Bauchpresse anzusetzen. Derart schwere bleibende Schäden sind beim Kläger nicht dokumentiert. Auch die zeitweise schlecht eingestellte Hypertonie ist noch als leicht einzustufen, denn sie hat noch keine Organschäden leichteren oder mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Protein¬urie) verursacht, wie aber nach Teil B Nr. 9.3 VG für einen GdB von 20 (bis 40) vorausgesetzt wäre. Die Hüfterkrankung des Klägers letztlich ist bislang nur radiologisch fassbar, hat aber noch keine wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen verursacht.
f) Führt man nun integrierend, wie es Teil A Nr. 3 Buchst. a bis c VG vorsieht, die Einzel-GdB von 30 für die Wirbelsäulen- und von 20 für die depressive Erkrankung zusammen, so ergibt sich ein Gesamt-GdB von 40 bereits ab der ersten Dokumentation der depressiven Erkrankung im Juni 2009. Die weiteren GdB von höchstens 10 trugen bereits damals nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB bei, weil nach Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchst. ee Satz 1 VG – von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen - zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS (GdB) von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.
Auch für die Zeit ab Dezember 2010 führen die Schulter-, Hand- und Fingerbeeinträchtigungen, die für sich mit einem GdB von 20 zu bewerten sind, nicht zu einer weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB. Nach Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchst. ee Satz 2 VG ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdS (GdB) von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dies ist hier der Fall: Die Auswirkungen der Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und der Wirbelsäule überlappen sich erheblich. Beide tragen zu dem chronifizierten Schmerzsyndrom bei, das bei der Wirbelsäulenerkrankung mit berücksichtigt worden ist. Im Bereich von Halswirbelsäule und Schultern gehen die betroffenen Körperregionen unmittelbar ineinander über. Und es ist bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen, dass der GdB von 20 für die oberen Extremitäten auf zwei GdB von jeweils 10 für die Schultern und die Hände bzw. Finger beruht, die für sich nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB beitragen könnten.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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