Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 136/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5178/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.09.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersrente des Klägers.
Der 1940 geborene Kläger war von 1963 bis 1985 mit U. S. (im Folgenden: Ausgleichsberechtigte) verheiratet. Mit Urteil des Amtsgerichts N. vom 12.11.1985 (rechtskräftig seit 19.12.1985) wurden der Ausgleichsberechtigten im Rahmen des Versorgungsausgleichs Rentenanwartschaften im Umfang von 13,7499 Entgeltpunkten übertragen.
Die Ausgleichsberechtigte bezog vom 01.08.1999 bis zu ihrem Tod am 14.11.2007 von der Beklagten eine Altersrente für Frauen. Aus den übertragenen Rentenanwartschaften erhielt die Ausgleichsberechtigte insgesamt Leistungen in Höhe von 37.953,76 EUR. Der Witwer der Ausgleichsberechtigten bezieht seit dem 01.12.2007 aus dem Versicherungskonto der Verstorbenen eine Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 481,56 EUR.
Der Kläger bezieht seit dem 01.03.2004 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Mit Schreiben vom 09.04.2009, eingegangen bei der Beklagten am 14.04.2009, beantragte der Kläger die Rückübertragung der Rentenanwartschaften. Er habe noch fünf unterhaltspflichtige Kinder und benötige das Geld.
Mit Bescheid vom 11.05.2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Rente des Ausgleichspflichtigen sei gemäß § 4 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) nach dem Tod der Ausgleichsberechtigten nur dann nicht um die im Rahmen des Versorgungsausgleichs übertragene Rentenanwartschaft zu kürzen, wenn hieraus überhaupt keine Leistungen oder nur Leistungen gewährt würden, die einen bestimmten Grenzbetrag nicht übersteigen. Der Grenzbetrag belaufe sich auf zwei Jahresbeträge einer Vollrente wegen Alters der allgemeinen Rentenversicherung aus der übertragenen Rentenanwartschaft, abgestellt auf das Ende des Leistungsbezugs und ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors. Aus der Versicherung der Ausgleichsberechtigten sei vom 01.08.1999 bis 30.11.2007 eine Altersvollrente gewährt worden. Damit sei der Grenzbetrag überschritten. Zudem werde Hinterbliebenenrente gezahlt. Es müsse daher bei der Kürzung der Rente des Klägers verbleiben.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 03.06.2009, eingegangen bei der Beklagten am 05.06.2009, Widerspruch ein. Die Entscheidung sei nicht gerecht. Der Versorgungsausgleich habe stattgefunden, damit keiner der beiden Eheleute nach der Scheidung sozialhilfebedürftig werde. Seine verstorbene Ehefrau könne nicht mehr sozialhilfebedürftig werden. Der Bezieher der Hinterbliebenenrente sei seines Wissens nach nicht bedürftig. Er sei dagegen für fünf Kinder und eine Frau unterhaltspflichtig und müsse Grundsicherung bzw. Sozialhilfe beantragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung werden im Wesentlichen die Argumente der Ausgangsentscheidung wiederholt. Das Absendedatum ist in der Verwaltungsakte nicht vermerkt. Ein Zustellungsnachweis befindet sich ebenfalls nicht bei den Akten.
Nach Inkrafttreten des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) zum 01.09.2009 prüfte die Beklagte die Voraussetzungen der neuen Rechtslage für eine Anpassung der Rente des Klägers. Mit Bescheid vom 20.11.2009 lehnte sie den Antrag des Klägers "wegen Todes der ausgleichsberechtigen Person vom 03.06.2009" ab. Die Voraussetzungen einer Anpassung nach dem VersAusglG seien nicht erfüllt, da die Ausgleichsberechtigte länger als 36 Monate Rente aus den erworbenen Anrechten bezogen habe.
Nachdem der Kläger am 24.11.2009 der Beklagten mitteilte, dass er einen Widerspruchsbescheid bislang nicht erhalten habe, übersandte die Beklagte unter dem 07.12.2009 eine Mehrfertigung des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 per Einschreiben-Rückschein.
Am 07.01.2010 hat der Kläger zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und vorgetragen, die Rentenanwartschaften seien von seiner verstorbenen Ehefrau und ihm erworben worden. Der neue Ehemann beziehe Leistungen aus den übertragenen Rentenanwartschaften, ohne hierfür Aufwendungen erbracht zu haben. Die Rentenanwartschaften müssten an ihn als Überlebenden der gemeinsam erworbenen Anwartschaften zurückübertragen werden. Es könne nicht darauf ankommen, dass Leistungen aus den Rentenanwartschaften erbracht werden, da die Beklagte Leistungen an den "unberechtigten Witwer" erbringe, die genauso gut an ihn erbracht werden könnten. Die geltenden Gesetze seien nicht gerecht.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig. Die Beklagte habe den früheren Zugang des Widerspruchsbescheids beim Kläger nicht nachweisen können. Es müsse daher von einer fristgemäßen Klageerhebung ausgegangen werden. Die Klage sei jedoch unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung höherer Altersrente unter Rückübertragung der Rentenanwartschaften habe. Rechtsgrundlage sei § 4 VAHRG. Das ab 01.09.2009 gültige VersAusglG sei nicht anwendbar, da der Antrag des Klägers vor dem 01.09.2009 bei der Beklagten eingegangen sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rückübertragung der Rentenanwartschaften lägen nicht vor. Schon dadurch, dass die Verstorbene über die Dauer von acht Jahren und vier Monaten Altersrente für Frauen bezogen habe, sei der Grenzbetrag überschritten. Zudem beziehe der Witwer eine Hinterbliebenenrente. Eine Rückübertragung sei daher ausgeschlossen. Durch die Übertragung der Rentenanwartschaften auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Familiengerichts sei ein eigenes gesetzliches Rentenanrecht der Berechtigten entstanden. Der Kläger habe seine Eigentumsrechte an den Anwartschaften endgültig verloren. Durch den Tod des geschiedenen Ehegatten habe sich keine neue eigentumsrechtliche Beeinträchtigung ergeben. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe keine Grundrechtsverletzung feststellen können. Dem schließe sich das SG nach eigener Prüfung an.
Gegen den am 04.10.2010 dem Kläger zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.10.2010 beim SG Berufung eingelegt, die am 05.11.2010 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingegangen ist. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen auf seinen Vortrag im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren verwiesen und ergänzend vorgetragen, die Rechtsprechung des BVerfG sei veraltet. Ein endgültiger Verlust der Eigentumsrechte an den Anwartschaften infolge des Versorgungsausgleichs sei nicht möglich, da andernfalls die Härtereglung überflüssig sei. Der Witwer seiner geschiedenen Ehefrau stünde in keinerlei Beziehung zu den Rentenanwartschaften.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.09.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersrente ohne Abschlag an Entgeltpunkten für den durchgeführten Versorgungsausgleich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 abgewiesen.
Streitgegenstand ist allein der Bescheid vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009. Nicht streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 20.11.2009, mit dem die Beklagte eine Anpassung der Rente des Klägers unter Anwendung der Rechtslage ab 01.09.2009 abgelehnt hat. Zwar folgt aus den §§ 86, 96 SGG, dass abändernde oder ersetzende Bescheide, die während des Widerspruchs- oder Klageverfahrens erlassen werden, Gegenstand des jeweiligen Verfahrens werden. Dies gilt aufgrund des Gedankens der Prozessökonomie, der diesen Regelungen zugrundeliegt, auch für ersetzende oder abändernde Bescheide, die nach Erlass des Widerspruchsbescheides, aber noch vor Klageerhebung ergehen (BSG 01.08.1978, 7 RAr 37/77, BSGE 47, 28). Der Bescheid vom 20.11.2009 ersetzt jedoch weder den Bescheid vom 11.05.2009 noch den Widerspruchsbescheid vom 20.08.2009. Er ändert diese Bescheide auch nicht ab. Eine Abänderung oder Ersetzung liegt nur dann vor, wenn er - zumindest teilweise - denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsbescheid betrifft bzw wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird. Ein bloßer Sachzusammenhang ist nicht ausreichend (BSG 20.10.2010, B 13 R 82/09 R, juris RdNr 20 mwN). Der Bescheid vom 20.11.2009 beruht auf dem zum 01.09.2009 in Kraft getretenen VersAusglG und damit auf einer veränderten Rechtslage, mit der Folge, dass durch seine Einbeziehung der Streitstoff erweitert und das mit der Regelung der §§ 86, 96 SGG verfolgte Ziel der Prozessökonomie verfehlt würde. Zudem ist für eine Prüfung der Regelungen des VersAusglG ein neuer Antrag erforderlich. Dies folgt aus § 49 VersAusglG, wonach für Verfahren nach § 4 VAHRG, in denen der Antrag beim Versorgungsträger vor dem 01.09.2009 eingegangen ist, das bis dahin geltende Recht weiterhin anzuwenden ist. Einen neuen Antrag hat die Beklagte im Schreiben des Klägers vom 03.06.2009 gesehen, über den sie mit dem Bescheid vom 20.11.2009 entschieden hat. In den streitgegenständlichen Bescheiden hat die Beklagte dagegen den Antrag des Klägers vom 14.04.2009 behandelt, so dass zwei unterschiedliche Verwaltungsverfahren gegeben sind. Eine auch nur teilweise Identität der Streitgegenstände liegt demnach nicht vor. Eine analoge Anwendung von § 96 SGG auf nicht ändernde oder ersetzende Bescheide scheidet seit der Neufassung des § 96 SGG aus (BSG 16.12.2009, B 7 AL 146/09 B, juris). Die mit Wirkung vom 01.04.2008 eingeführte Fassung mit den Worten "nur dann" macht deutlich, dass eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG für nicht ändernde oder ersetzende Folgebescheide nunmehr ausgeschlossen ist. Nach der Gesetzesbegründung soll die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes entsprechend der ursprünglichen Zielsetzung der Norm nur noch möglich sein, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt oder abgeändert wird (BT-Drucks 16/7716 S 19).
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klage zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 4 VAHRG in der Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.07.1991 (BGBl I, 1606). § 37 VersAusglG ist nicht anwendbar, da nach § 49 VersAusglG die alte Rechtslage weiterhin einschlägig ist, wenn der Antrag - wie vorliegend - vor dem 01.09.2009 beim Versorgungsträger eingegangen ist.
Nach § 4 Abs 1 VAHRG wird die Versorgung des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt, wenn ein Versorgungsausgleich gemäß § 1587b Abs 1 oder 2 Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) durchgeführt worden ist und der Berechtigte vor seinem Tod keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hat. Ist der Berechtigte gestorben und wurden oder werden aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen gewährt, die insgesamt zwei Jahresbeträge einer auf das Ende des Leistungsbezugs ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors berechneten Vollrente wegen Alters aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten aus dem erworbenen Anrecht nicht übersteigen, so gilt Absatz 1 entsprechend, jedoch sind die gewährten Leistungen auf die sich aus Absatz 1 ergebende Erhöhung anzurechnen (§ 4 Abs 2 VAHRG).
Auf Grund des rechtskräftigen Versorgungsausgleichs des Amtsgerichts N ... vom 12.11.1985 sind mit rechtsgestaltender Wirkung Rentenanwartschaften im Sinne des § 1587b Abs 1 BGB zugunsten der Ausgleichsberechtigten übertragen worden. Eine "Rückübertragung" der Entgeltpunkte nach § 4 Abs 1 VAHRG scheidet aus, da die Ausgleichsberechtigte vor ihrem Tod Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht in Form einer Altersrente für Frauen erhalten hat.
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 VAHRG sind nicht erfüllt. Denn die Ausgleichsberechtigte hat Leistungen in Höhe von 37.953,76 EUR bezogen, womit der Grenzbetrag von zwei Jahresbeträgen einer auf das Ende des Leistungsbezugs ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors berechneten Vollrente wegen Alters aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten überschritten wird. Denn bei 13,7499 Entgeltpunkten und dem aktuellen Rentenwert des Jahres 2007 in Höhe von 26,27 EUR errechnet sich ein Monatsbetrag der Vollrente wegen Alters aus übertragener Rentenanwartschaft ohne Zugangsfaktor in Höhe von 361,21 EUR. Hochgerechnet auf zwei Jahre ergibt sich ein Grenzbetrag in Höhe von 8.669,04 EUR. Allein aufgrund der Leistungen an die Ausgleichsberechtigte scheidet demnach die Anerkennung eines Härtefalls nach § 4 Abs 2 VAHRG aus. Darauf, dass der Wittwer der Ausgleichsberechtigten eine Hinterbliebenenrente bezieht, kommt es nicht an.
§ 4 VAHRG ist verfassungsgemäß. Das BVerfG hat die Härteregelungen, insbesondere die pauschalierende Regelung des § 4 Abs 2 VAHRG als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar angesehen (05.07.1989, 1 BvL 11/87, BVerfGE 80, 297). Diese Entscheidung ist nicht - wie der Kläger meint - "überholt". An den relevanten Tatsachen- und Rechtsgrundlagen hat sich seither nichts geändert. Auch in neueren Entscheidungen hat das Bundessozialgericht ausgeführt, § 4 VAHRG sei verfassungsgemäß (zuletzt: BSG 20.07.2011, B 5 R 4/11 BH, juris; BSG 25.02.2004, B 5 RJ 3/03 R, SozR 4-5795 § 4 Nr 1). Der Senat schließt sich diesen Entscheidungen nach eigener Prüfung an. Die Festlegung des Grenzbetrags für die Anwendung der Härtefallregelung stellt zwar einen Eingriff in eine durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützte rentenrechtliche Position des Ausgleichsverpflichteten dar, ist jedoch gleichzeitig mit Blick auf Art 6 Abs 1 GG und Art 3 Abs 2 GG eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung durch den Gesetzgeber (BSG 25.02.2004, B 5 RJ 3/03 R, SozR 4-5795 § 4 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersrente des Klägers.
Der 1940 geborene Kläger war von 1963 bis 1985 mit U. S. (im Folgenden: Ausgleichsberechtigte) verheiratet. Mit Urteil des Amtsgerichts N. vom 12.11.1985 (rechtskräftig seit 19.12.1985) wurden der Ausgleichsberechtigten im Rahmen des Versorgungsausgleichs Rentenanwartschaften im Umfang von 13,7499 Entgeltpunkten übertragen.
Die Ausgleichsberechtigte bezog vom 01.08.1999 bis zu ihrem Tod am 14.11.2007 von der Beklagten eine Altersrente für Frauen. Aus den übertragenen Rentenanwartschaften erhielt die Ausgleichsberechtigte insgesamt Leistungen in Höhe von 37.953,76 EUR. Der Witwer der Ausgleichsberechtigten bezieht seit dem 01.12.2007 aus dem Versicherungskonto der Verstorbenen eine Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 481,56 EUR.
Der Kläger bezieht seit dem 01.03.2004 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Mit Schreiben vom 09.04.2009, eingegangen bei der Beklagten am 14.04.2009, beantragte der Kläger die Rückübertragung der Rentenanwartschaften. Er habe noch fünf unterhaltspflichtige Kinder und benötige das Geld.
Mit Bescheid vom 11.05.2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Rente des Ausgleichspflichtigen sei gemäß § 4 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) nach dem Tod der Ausgleichsberechtigten nur dann nicht um die im Rahmen des Versorgungsausgleichs übertragene Rentenanwartschaft zu kürzen, wenn hieraus überhaupt keine Leistungen oder nur Leistungen gewährt würden, die einen bestimmten Grenzbetrag nicht übersteigen. Der Grenzbetrag belaufe sich auf zwei Jahresbeträge einer Vollrente wegen Alters der allgemeinen Rentenversicherung aus der übertragenen Rentenanwartschaft, abgestellt auf das Ende des Leistungsbezugs und ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors. Aus der Versicherung der Ausgleichsberechtigten sei vom 01.08.1999 bis 30.11.2007 eine Altersvollrente gewährt worden. Damit sei der Grenzbetrag überschritten. Zudem werde Hinterbliebenenrente gezahlt. Es müsse daher bei der Kürzung der Rente des Klägers verbleiben.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 03.06.2009, eingegangen bei der Beklagten am 05.06.2009, Widerspruch ein. Die Entscheidung sei nicht gerecht. Der Versorgungsausgleich habe stattgefunden, damit keiner der beiden Eheleute nach der Scheidung sozialhilfebedürftig werde. Seine verstorbene Ehefrau könne nicht mehr sozialhilfebedürftig werden. Der Bezieher der Hinterbliebenenrente sei seines Wissens nach nicht bedürftig. Er sei dagegen für fünf Kinder und eine Frau unterhaltspflichtig und müsse Grundsicherung bzw. Sozialhilfe beantragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung werden im Wesentlichen die Argumente der Ausgangsentscheidung wiederholt. Das Absendedatum ist in der Verwaltungsakte nicht vermerkt. Ein Zustellungsnachweis befindet sich ebenfalls nicht bei den Akten.
Nach Inkrafttreten des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) zum 01.09.2009 prüfte die Beklagte die Voraussetzungen der neuen Rechtslage für eine Anpassung der Rente des Klägers. Mit Bescheid vom 20.11.2009 lehnte sie den Antrag des Klägers "wegen Todes der ausgleichsberechtigen Person vom 03.06.2009" ab. Die Voraussetzungen einer Anpassung nach dem VersAusglG seien nicht erfüllt, da die Ausgleichsberechtigte länger als 36 Monate Rente aus den erworbenen Anrechten bezogen habe.
Nachdem der Kläger am 24.11.2009 der Beklagten mitteilte, dass er einen Widerspruchsbescheid bislang nicht erhalten habe, übersandte die Beklagte unter dem 07.12.2009 eine Mehrfertigung des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 per Einschreiben-Rückschein.
Am 07.01.2010 hat der Kläger zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und vorgetragen, die Rentenanwartschaften seien von seiner verstorbenen Ehefrau und ihm erworben worden. Der neue Ehemann beziehe Leistungen aus den übertragenen Rentenanwartschaften, ohne hierfür Aufwendungen erbracht zu haben. Die Rentenanwartschaften müssten an ihn als Überlebenden der gemeinsam erworbenen Anwartschaften zurückübertragen werden. Es könne nicht darauf ankommen, dass Leistungen aus den Rentenanwartschaften erbracht werden, da die Beklagte Leistungen an den "unberechtigten Witwer" erbringe, die genauso gut an ihn erbracht werden könnten. Die geltenden Gesetze seien nicht gerecht.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig. Die Beklagte habe den früheren Zugang des Widerspruchsbescheids beim Kläger nicht nachweisen können. Es müsse daher von einer fristgemäßen Klageerhebung ausgegangen werden. Die Klage sei jedoch unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung höherer Altersrente unter Rückübertragung der Rentenanwartschaften habe. Rechtsgrundlage sei § 4 VAHRG. Das ab 01.09.2009 gültige VersAusglG sei nicht anwendbar, da der Antrag des Klägers vor dem 01.09.2009 bei der Beklagten eingegangen sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rückübertragung der Rentenanwartschaften lägen nicht vor. Schon dadurch, dass die Verstorbene über die Dauer von acht Jahren und vier Monaten Altersrente für Frauen bezogen habe, sei der Grenzbetrag überschritten. Zudem beziehe der Witwer eine Hinterbliebenenrente. Eine Rückübertragung sei daher ausgeschlossen. Durch die Übertragung der Rentenanwartschaften auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Familiengerichts sei ein eigenes gesetzliches Rentenanrecht der Berechtigten entstanden. Der Kläger habe seine Eigentumsrechte an den Anwartschaften endgültig verloren. Durch den Tod des geschiedenen Ehegatten habe sich keine neue eigentumsrechtliche Beeinträchtigung ergeben. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe keine Grundrechtsverletzung feststellen können. Dem schließe sich das SG nach eigener Prüfung an.
Gegen den am 04.10.2010 dem Kläger zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.10.2010 beim SG Berufung eingelegt, die am 05.11.2010 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingegangen ist. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen auf seinen Vortrag im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren verwiesen und ergänzend vorgetragen, die Rechtsprechung des BVerfG sei veraltet. Ein endgültiger Verlust der Eigentumsrechte an den Anwartschaften infolge des Versorgungsausgleichs sei nicht möglich, da andernfalls die Härtereglung überflüssig sei. Der Witwer seiner geschiedenen Ehefrau stünde in keinerlei Beziehung zu den Rentenanwartschaften.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.09.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersrente ohne Abschlag an Entgeltpunkten für den durchgeführten Versorgungsausgleich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 abgewiesen.
Streitgegenstand ist allein der Bescheid vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009. Nicht streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 20.11.2009, mit dem die Beklagte eine Anpassung der Rente des Klägers unter Anwendung der Rechtslage ab 01.09.2009 abgelehnt hat. Zwar folgt aus den §§ 86, 96 SGG, dass abändernde oder ersetzende Bescheide, die während des Widerspruchs- oder Klageverfahrens erlassen werden, Gegenstand des jeweiligen Verfahrens werden. Dies gilt aufgrund des Gedankens der Prozessökonomie, der diesen Regelungen zugrundeliegt, auch für ersetzende oder abändernde Bescheide, die nach Erlass des Widerspruchsbescheides, aber noch vor Klageerhebung ergehen (BSG 01.08.1978, 7 RAr 37/77, BSGE 47, 28). Der Bescheid vom 20.11.2009 ersetzt jedoch weder den Bescheid vom 11.05.2009 noch den Widerspruchsbescheid vom 20.08.2009. Er ändert diese Bescheide auch nicht ab. Eine Abänderung oder Ersetzung liegt nur dann vor, wenn er - zumindest teilweise - denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsbescheid betrifft bzw wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird. Ein bloßer Sachzusammenhang ist nicht ausreichend (BSG 20.10.2010, B 13 R 82/09 R, juris RdNr 20 mwN). Der Bescheid vom 20.11.2009 beruht auf dem zum 01.09.2009 in Kraft getretenen VersAusglG und damit auf einer veränderten Rechtslage, mit der Folge, dass durch seine Einbeziehung der Streitstoff erweitert und das mit der Regelung der §§ 86, 96 SGG verfolgte Ziel der Prozessökonomie verfehlt würde. Zudem ist für eine Prüfung der Regelungen des VersAusglG ein neuer Antrag erforderlich. Dies folgt aus § 49 VersAusglG, wonach für Verfahren nach § 4 VAHRG, in denen der Antrag beim Versorgungsträger vor dem 01.09.2009 eingegangen ist, das bis dahin geltende Recht weiterhin anzuwenden ist. Einen neuen Antrag hat die Beklagte im Schreiben des Klägers vom 03.06.2009 gesehen, über den sie mit dem Bescheid vom 20.11.2009 entschieden hat. In den streitgegenständlichen Bescheiden hat die Beklagte dagegen den Antrag des Klägers vom 14.04.2009 behandelt, so dass zwei unterschiedliche Verwaltungsverfahren gegeben sind. Eine auch nur teilweise Identität der Streitgegenstände liegt demnach nicht vor. Eine analoge Anwendung von § 96 SGG auf nicht ändernde oder ersetzende Bescheide scheidet seit der Neufassung des § 96 SGG aus (BSG 16.12.2009, B 7 AL 146/09 B, juris). Die mit Wirkung vom 01.04.2008 eingeführte Fassung mit den Worten "nur dann" macht deutlich, dass eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG für nicht ändernde oder ersetzende Folgebescheide nunmehr ausgeschlossen ist. Nach der Gesetzesbegründung soll die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes entsprechend der ursprünglichen Zielsetzung der Norm nur noch möglich sein, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt oder abgeändert wird (BT-Drucks 16/7716 S 19).
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klage zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 4 VAHRG in der Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.07.1991 (BGBl I, 1606). § 37 VersAusglG ist nicht anwendbar, da nach § 49 VersAusglG die alte Rechtslage weiterhin einschlägig ist, wenn der Antrag - wie vorliegend - vor dem 01.09.2009 beim Versorgungsträger eingegangen ist.
Nach § 4 Abs 1 VAHRG wird die Versorgung des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt, wenn ein Versorgungsausgleich gemäß § 1587b Abs 1 oder 2 Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) durchgeführt worden ist und der Berechtigte vor seinem Tod keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hat. Ist der Berechtigte gestorben und wurden oder werden aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen gewährt, die insgesamt zwei Jahresbeträge einer auf das Ende des Leistungsbezugs ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors berechneten Vollrente wegen Alters aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten aus dem erworbenen Anrecht nicht übersteigen, so gilt Absatz 1 entsprechend, jedoch sind die gewährten Leistungen auf die sich aus Absatz 1 ergebende Erhöhung anzurechnen (§ 4 Abs 2 VAHRG).
Auf Grund des rechtskräftigen Versorgungsausgleichs des Amtsgerichts N ... vom 12.11.1985 sind mit rechtsgestaltender Wirkung Rentenanwartschaften im Sinne des § 1587b Abs 1 BGB zugunsten der Ausgleichsberechtigten übertragen worden. Eine "Rückübertragung" der Entgeltpunkte nach § 4 Abs 1 VAHRG scheidet aus, da die Ausgleichsberechtigte vor ihrem Tod Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht in Form einer Altersrente für Frauen erhalten hat.
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 VAHRG sind nicht erfüllt. Denn die Ausgleichsberechtigte hat Leistungen in Höhe von 37.953,76 EUR bezogen, womit der Grenzbetrag von zwei Jahresbeträgen einer auf das Ende des Leistungsbezugs ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors berechneten Vollrente wegen Alters aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten überschritten wird. Denn bei 13,7499 Entgeltpunkten und dem aktuellen Rentenwert des Jahres 2007 in Höhe von 26,27 EUR errechnet sich ein Monatsbetrag der Vollrente wegen Alters aus übertragener Rentenanwartschaft ohne Zugangsfaktor in Höhe von 361,21 EUR. Hochgerechnet auf zwei Jahre ergibt sich ein Grenzbetrag in Höhe von 8.669,04 EUR. Allein aufgrund der Leistungen an die Ausgleichsberechtigte scheidet demnach die Anerkennung eines Härtefalls nach § 4 Abs 2 VAHRG aus. Darauf, dass der Wittwer der Ausgleichsberechtigten eine Hinterbliebenenrente bezieht, kommt es nicht an.
§ 4 VAHRG ist verfassungsgemäß. Das BVerfG hat die Härteregelungen, insbesondere die pauschalierende Regelung des § 4 Abs 2 VAHRG als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar angesehen (05.07.1989, 1 BvL 11/87, BVerfGE 80, 297). Diese Entscheidung ist nicht - wie der Kläger meint - "überholt". An den relevanten Tatsachen- und Rechtsgrundlagen hat sich seither nichts geändert. Auch in neueren Entscheidungen hat das Bundessozialgericht ausgeführt, § 4 VAHRG sei verfassungsgemäß (zuletzt: BSG 20.07.2011, B 5 R 4/11 BH, juris; BSG 25.02.2004, B 5 RJ 3/03 R, SozR 4-5795 § 4 Nr 1). Der Senat schließt sich diesen Entscheidungen nach eigener Prüfung an. Die Festlegung des Grenzbetrags für die Anwendung der Härtefallregelung stellt zwar einen Eingriff in eine durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützte rentenrechtliche Position des Ausgleichsverpflichteten dar, ist jedoch gleichzeitig mit Blick auf Art 6 Abs 1 GG und Art 3 Abs 2 GG eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung durch den Gesetzgeber (BSG 25.02.2004, B 5 RJ 3/03 R, SozR 4-5795 § 4 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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