L 9 R 2935/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 5094/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2935/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 11.11.1954 geborene Klägerin hat keine Lehre absolviert. Sie kam im Juni 1969 aus Kroatien in die Bundesrepublik Deutschland und war hier ab Januar 1971 mit Unterbrechungen durch Schwangerschaft, Mutterschutz und Kindererziehung sowie Arbeitslosigkeit bis September 1994 überwiegend als Fabrikarbeiterin und zuletzt als kaufmännische Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt. Danach war sie arbeitslos (teilweise mit Bezug von Arbeitslosengeld – Alg – und Alg II sowie teilweise ohne Leistungsbezug) und absolvierte von Juli bis Dezember 1995 ein kaufmännisches Praxistraining in einer Übungsfirma.

Seit 19.9.1986 bezog die Klägerin eine große (damals: erhöhte) Witwenrente (Bescheid der Landesversicherungsanstalt – LVA – Baden vom 21.11.1986). Mit Bescheid vom 20.6.1996 wandelte die LVA die zuvor bewilligte große Witwenrente in eine kleine Witwenrente um, wobei sie ausführte, ein Anspruch auf die große Witwenrente bestehe u. a. deswegen nicht, weil die Klägerin nicht berufsunfähig sei.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie geltend machte, sie sei zu 50 % berufsunfähig, es drohe Erwerbsunfähigkeit. Die LVA wies den Widerspruch nach Einholung eines Gutachtens bei dem Orthopäden Dr. R. vom 7.10.1996 (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu ebener Erde, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Nässe seien vollschichtig möglich) mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.1996 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Freiburg (S 4 J 343/97) holte das SG ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. Dr. S. vom 27.10.1997 ein, der wegen einer ausgeprägten Hüftgelenksarthrose rechts, mit geplanter Operation für den 7.8.1998, ein Leistungsvermögen von weniger als zwei Stunden täglich und ein praktisch aufgehobenes Gehvermögen annahm und eine Rente bis Ende 1998 empfahl. Am 20.2.1998 schlossen die Beteiligten einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich die LVA bereit erklärte, der Klägerin ausgehend von einem am 31.1.1997 eingetretenen Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit große Witwenrente für die Zeit vom 1.8.1997 bis 31.12.1998 zu gewähren. Im Ausführungsbescheid vom 20.3.1998 führte die LVA aus, die Klägerin habe Anspruch auf große Witwenrente. Sie sei jedenfalls berufsunfähig.

Am 7.2.2008 beantragte die Klägerin, die neben ihrer Witwenrente Sozialhilfe bezog, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei und ließ die Klägerin von dem Orthopäden Dr. R. untersuchen. Dieser stellte im Gutachten vom 1.4.2008 bei der Klägerin ein wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom (LWS-Syndrom) bei leichter Spinalkanalstenose, einen Verschleiß beider Hüftgelenke mit Zustand nach total-endoprothetischen Ersatzoperationen und Spreizfüße beidseits fest. Er gelangte zum Ergebnis, leichte Tätigkeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sowie ohne häufiges Klettern und Steigen könne die Klägerin täglich sechs Stunden und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 9.4.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil in den letzten fünf Jahren nicht drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden seien. Im maßgeblichen Zeitraum vom 7.2.2003 bis 6.2.2008 seien nur zwei Jahre und sechs Kalendermonate mit entsprechenden Beiträgen belegt. Nach den getroffenen Feststellungen bestehe auch weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit.

Hiergegen legte die Klägerin unter Vorlage eines Arztbriefes des Chirurgen Dr. R. vom 12.2.2008 am 5.5.2008 Widerspruch ein und machte geltend, vor dem SG sei am 20.2.1998 ein Vergleich geschlossen worden, der ihre Berufsunfähigkeit ab dem 1.8.1997 bestätige. Dies ergebe sich auch aus dem Bescheid der LVA vom 20.3.1998. Sie bat um Überprüfung der Sachlage und Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.9.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der sozialmedizinische Dienst habe sämtliche Unterlagen überprüft und sei nach Würdigung aller Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin auch unter Berücksichtigung der festgestellten Erkrankungen oder Behinderungen Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich zumutbar seien. Volle bzw. teilweise Erwerbsminderung und auch Berufsunfähigkeit lägen nicht vor. Darüber hinaus seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfüllt. Diese läge nur dann vor, wenn Erwerbsminderung spätestens am 31.10.1998 eingetreten wäre. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin laut des Vergleichs vom 20.2.1998 erwerbsunfähig gewesen. Da der Vergleich jedoch eine Befristung der Erwerbsunfähigkeit bis 31.12.1998 vorsehe, lasse sich daraus nicht ableiten, dass die Klägerin durchgehend von 1997 bis heute erwerbsunfähig bzw. erwerbsgemindert gewesen sei. So habe die Klägerin auch keinen Weitergewährungsantrag der großen Witwenrente über den 31.12.1998 hinaus gestellt. Dr. R. habe darüber hinaus ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.10.2008 Klage zum SG Freiburg erhoben, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgt hat. Sie hat vorgetragen, sie sei seit dem 31.1.1997, dem Zeitpunkt des Leistungsfalls im Verfahren S 4 J 343/97 arbeitsunfähig krank. Dass der abgeschlossene Vergleich eine Befristung bis zum 31.12.1998 vorgesehen habe, lasse nicht den Schluss zu, dass sie darüber hinaus nicht mehr erwerbsunfähig gewesen sei. Sie hat den Bescheid des Landratsamts (LRA) Emmendingen vom 6.7.2006 vorgelegt, worin bei ihr seit 6.6.2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und das Merkzeichen G festgestellt sind.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin, den Chirurgen Dr. R. (Auskunft vom 21.2.2009: Behandlungen vom 27.4.2000 bis 21.1.2008; körperlich leichte Tätigkeiten seien ca. sechs Stunden täglich bei korrekter Einlagenversorgung möglich) und den Internisten Dr. S. (Auskünfte vom 24.4.2009: Behandlungen seit 1991; in der Vergangenheit seien mehrere Arbeitsversuche durchgeführt worden, die jedoch aufgrund der erheblichen Schmerzsymptomatik immer wieder haben abgebrochen werden müssen; eine Beschäftigung sei weniger als drei Stunden täglich möglich; vom 28.4.2009: Im Zeitraum vor dem 31.7.1998 hätten schon orthopädische Behandlungsbedürftigkeit wegen einer Lateralisation der Patella und rezidivierender Patellaluxationen sowie einer Dysplasie-Coxarthrose rechts, ausgeprägter als links, bestanden. In dieser Zeit sei die Klägerin mit Unterbrechungen zu 100 % erwerbsunfähig gewesen. Bereits damals sei eine Beschäftigung mit weniger als drei Stunden täglich anzunehmen) schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ein orthopädisches Gutachten eingeholt.

Professor Dr. H. hat im Gutachten vom 5.2.2010 bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt: Leichtes degeneratives LWS-Syndrom mit leichter Einengung des Spinalkanals im Segment L4/5, Totalendoprothesen beider Hüften mit geringfügigen Bewegungseinschränkungen und geringfügiger Muskelminderung am rechten Oberschenkel, mittelgradige Spreizfüße beidseits mit geringfügigen Fehlstellungen an den Großzehenstrahlen, mittelgradiges, zur Zeit symptomloses degeneratives unteres Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom), leichte symptomlose Kniescheibenarthrose links und anamnestisch wiederholte Magenschleimhautentzündungen. Er hat ausgeführt, die Klägerin sei in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit Heben und Tragen von Lasten bis 4 kg, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen, in Kälte und Nässe sowie ohne Fließbandarbeiten mindestens sechs Stunden täglich durchzuführen. Die Wegstrecke zur Arbeit zu Fuß sollte 1000 m nicht überschreiten. Die Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit der Klägerin hätten durchgehend bereits seit dem 31.10.1998 bestanden, da bereits damals beidseits eine deutliche Arthrose der Hüftgelenke bestanden habe und rechts die Endoprothese implantiert worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 9.6.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Nach dem medizinischen Beweisergebnis stehe fest, dass die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Das SG stütze sich dabei auf das orthopädische Gutachten von Professor Dr. H. vom 5.2.2010. Dieses Gutachten bestätige auch die Prognose im Gutachten von Dr. Dr. S. vom 27.10.1997. Dieser habe damals eine Erwerbsminderung bei der Klägerin aufgrund ihrer Hüftgelenksbeschwerden angenommen. Er habe eine Zeitrente bis Ende 1998 empfohlen, da ein Operationstermin für die endoprothetische Versorgung des Hüftgelenks auf Juli 1998 festgelegt worden sei. Dr. Dr. S. habe die Klägerin deshalb für fähig gehalten, ab Anfang 1999 wieder eine kaufmännische Bürotätigkeit vollschichtig auszuüben. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem feststellenden Zusatz im Bescheid vom 20.3.1998. Angesichts der Befristung der Rentenbewilligung habe sich die Feststellung lediglich auf den damaligen Bewilligungszeitraum bezogen. Die Klage sei abzuweisen, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien, könne deshalb vorliegend offen bleiben. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 14.6.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16.6.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, ihr sei aufgrund eines Leistungsfalls vom 31.1.1997 für die Zeit vom 1.8.1997 bis 31.12.1998 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (gemeint: große Witwenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit) gewährt worden. Über den 31.12.1998 hinaus habe sie keinen Antrag auf Weitergewährung der Rente gestellt, obwohl die Leistungsunfähigkeit unverändert bestanden habe. Aufgrund einer zunehmenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes habe sie am 2.7.2008 einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung gestellt. Nach Auffassung Ihrer behandelnden Ärzte, insbesondere des Dr. Schweiger, sei ihre Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich für leichte Arbeiten herabgesunken. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien ebenfalls erfüllt. Die bei ihr festgestellten Beschwerden und Behinderungen hätten bereits ab dem 31.10.1998 vorgelegen. Aufgrund der Beschwerden habe sie durchgängig seit 1994 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen können.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Juni 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Februar 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunkt zuließen. Nach dem 30.6.2007 seien bei der Klägerin keine weiteren versicherungsrechtlichen Zeiten gemeldet worden.

Der Senat hat von der Beklagten den Versicherungsverlauf vom 13.8.2010 und vom LRA Ortenaukreis die Schwerbehinderten-Akten der Klägerin beigezogen und auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein internistisch-psychosomatisches Gutachten eingeholt.

Dr. G., Leitender Arzt der Rehaklinik G. sowie Arzt für Innere Medizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, hat in dem zusammen mit Dr. L. erstatteten Gutachten vom 21.1.2011 ausgeführt, die Klägerin leide an den Folgen zweier apoplektischer Insulte. Infolge des Schlaganfall-Ereignisses im März 2010 sei es zu einem hirnorganischen Psychosyndrom mit Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit, der Konzentrationsfähigkeit und der Auffassungsgabe, der optischen Orientierung im Raum bei beiderseitiger Hemianopsie sowie verschiedenen partiellen agnostischen Beeinträchtigungen gekommen. Darüber hinaus liege ein Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren bei verschiedenen orthopädischen Erkrankungen, insbesondere einem LWS-Syndrom und einem anhaltenden Schmerzsyndrom nach beidseitiger totalendoprothetischer Versorgung beider Hüftgelenke und einem Schmerzsyndrom beider Vorfüße, vor. Außerdem vermuteten sie eine primäre Dysthymia mit depen-denter Persönlichkeitsakzentuierung. Ferner leide sie an einer arteriellen Hypertonie und einem langjährigen Nikotinabusus. Aufgrund der gravierenden Beeinträchtigungen könne die Klägerin einer wirtschaftlich verwertbaren Erwerbsarbeit nicht mehr nachgehen. Diese Einschränkung beruhe auf den Auswirkungen der apoplektischer Insulte. Der von ihnen festgestellte Zustand bestehe sicherlich seit März 2010. Für die weiter zurückliegenden Zeiträume könnten nur vage Angaben gemacht werden. Die Leistungsfähigkeit habe sich im Laufe des Verfahrens wesentliche verändert, so dass nunmehr Erwerbsunfähigkeit vorliege. Es könne ausgeschlossen werden, dass der nunmehr festgestellte Zustand spätestens seit dem 31.10.1998 bestehe. Zum jetzigen Zeitpunkt sei auch nicht mehr retrospektiv zu klären, ob es aus internistisch-psychosomatischer Sicht zu einer von den Ausführungen von Dr. R. und Professor Dr. H. abweichenden Einschätzung gekommen wäre.

Die Beklagte hat daraufhin unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Medizinaldirektor L. vom 2.3.2011 erklärt, sie gehe nunmehr davon aus, dass die Klägerin seit März 2010 voll erwerbsgemindert sei. Allerdings seien zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so dass kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehen.

Die Klägerin hat eine Kopie des am 28.1.2011 ausgestellten Schwerbehindertenausweises vorgelegt, wonach bei ihr seit 16.6.2010 ein GdB von 100 und die Merkzeichen G und RF festgestellt sind.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Zwar ist die Klägerin seit Eintritt des Schlaganfalls im März 2010 voll erwerbsgemindert; sie hat aber keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Eine über den 31.12.1998 hinaus weiterhin bestehende dauerhafte Erwerbsunfähigkeit ist nicht feststellbar.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung. Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren ist für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

Anrechnungszeiten sind u. a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) oder arbeitslos (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) gewesen sind, wenn dadurch u. a. eine versicherte Tätigkeit unterbrochen ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).

Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit 1. Beitragszeiten 2. beitragsfreien Zeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr. 4, 5 oder 6 liegt, 4. Berücksichtigungszeiten, 5. Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder 6. Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 01. Januar 1992 (Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 01. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Nach Maßgabe der vorgenannten rechtlichen Grundlagen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil im maßgeblichen Zeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung im März 2010 Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht in ausreichender Zahl (drei Jahre bzw. 36 Monate) nachgewiesen sind. Ferner liegen die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht vor und auch nicht die Voraussetzungen des § 43 Abs. 5 SGB VI.

Die Klägerin ist seit Anfang März 2010 wegen eines Schlaganfalls, bei dem es zu einem hirnorganischen Psychosyndrom mit Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit, der Konzentrationsfähigkeit und der Auffassungsgabe gekommen ist, voll erwerbsgemindert und nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des Gutachtens von Dr. G. vom 21.1.2011 und der beratungsärztlichen Stellungnahme des Medizinaldirektors L. vom 2.3.2011.

Ausgehend von einen Versicherungsfall im März 2010 hat die Klägerin in dem Fünfjahreszeitraum von März 2005 bis März 2010 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, da sie in diesem Zeitraum nur 30 Monate an Pflichtbeitragszeiten wegen des ALG II-Bezugs aufweist und nicht die erforderlichen 36 Monate.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären bei der Klägerin nur erfüllt, wenn ein Versicherungsfall der Erwerbsminderung bzw. der Erwerbsunfähigkeit oder der Berufsunfähigkeit spätestens am 31.10.1998 eingetreten wäre. In dem verlängerten Fünfjahreszeitraum vom 29.2.1992 bis 31.10.1998 weist die Klägerin 36 Monate an Pflichtbeitragszeiten auf. Am 31.10.1998 war die Klägerin zwar (auf Zeit bis 31.12.1998) erwerbsgemindert bzw. erwerbsunfähig. Aufgrund des vor dem SG im Verfahren S 4 J 343/97 geschlossenen Vergleichs gingen die LVA Baden und die Klägerin von einem Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit am 31.1.1997 aus und dementsprechend erhielt die Klägerin für die Zeit vom 1.8.1997 bis 31.12.1998 eine große Witwenrente, wofür Voraussetzung war, dass die Klägerin mindestens berufsunfähig war (§ 1268 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Grundlage hierfür war das Gutachten von Dr. Dr. Schneider vom 27.10.1997, der wegen der Hüftgelenksbeschwerden rechts ein aufgehobenes Leistungsvermögen seit etwa 1996 bis Ende 1998 – bei für den 2.7.1998 geplanter Operation – angenommen und ab Anfang 1999 zumindest eine kaufmännische Bürotätigkeit vollschichtig für zumutbar erachtet hat. Angesichts dieses Gutachtens von Dr. Dr. S. sowie der der Gutachten des Orthopäden Dr. R. vom 1.4.2008 und des Sachverständigen Professor Dr. H. vom 5.2.2010 sowie der sachverständigen Zeugenaussage des Chirurgen Dr. R. vom 21.2.2009 fehlen sämtliche Anhaltspunkte und erst recht ein Nachweis dafür, dass die Klägerin über den 31.12.1998 hinaus durchgehend erwerbsunfähig bzw. erwerbsgemindert gewesen ist.

Gegen eine fortbestehende Erwerbsunfähigkeit spricht auch, dass die Klägerin keinen Antrag auf Weitergewährung der großen Witwenrente über den 31.12.1998 hinaus gestellt hat. Auf ein Einbestellungsschreiben der Ärztlichen Dienststelle der LVA hat die Klägerin mit Schreiben vom 27.7.1998 vielmehr darauf hingewiesen, dass ihr die große Witwerrente bis 31.12.1998 gerichtlich zugesprochen worden sei und sie einen Weitergewährungsantrag nicht gestellt habe. Mit Schreiben vom 8.7.1998 hatte sie schon zuvor an die LVA geschrieben, sollte sie sich über den 31.12.1998 für erwerbsunfähig halten, würde sie einen Antrag auf Weitergewährung der großen Witwenrente stellen. Einen solchen Antrag hat sie – trotz ihrer Kenntnis – jedoch nicht gestellt. Ferner hat die Klägerin offensichtlich in den Jahren 2003 bzw. 2004 einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bei der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (nunmehr: Deutsche Rentenversicherung Bund) gestellt, wie der Senat dem Ärztlichen Bericht zum Rentenantrag von Dr. S. vom 20.10.2004 entnimmt. Dieser Rentenantrag hatte offensichtlich keinen Erfolg, da ein Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht dokumentiert ist und von der Klägerin auch nicht behauptet wird.

Soweit der Internist Dr. S. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 28.7.2009 die Ansicht vertritt, die Klägern sei vor dem 31.7.1998 (gemeint: vor dem 31.10.1998) wegen einer Lateralisation der Patella, rezidivierender Patellaluxationen sowie einer Dysplasie-Coxarthrose, rechts ausgeprägter als links, erwerbsunfähig bzw. unter drei Stunden täglich leistungsfähig gewesen, lässt sich daraus nicht ableiten, dass die Klägerin über den 31.12.1998 hinaus dauerhaft erwerbsunfähig bzw. erwerbsgemindert gewesen ist. Selbst wenn der Internist Dr. Schweiger dies damit ausdrücken wollte, ist seine Auffassung durch die Gutachten der Orthopäden Dr. R. und Professor Dr. H., in deren Fachbereich die Beurteilung der von Dr. S. genannten Gesundheitsstörungen fällt, widerlegt. Auch das gemäß § 109 SGG bei Dr. G. eingeholte Gutachten stützt das Begehren der Klägerin nicht. Vielmehr hat Dr. G. dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin aufgrund der Schlaganfälle wesentlich geändert habe und retrospektiv aus internistisch-psychosomatischer Sicht nicht geklärt werden könne, ob es – bei unverändertem Zustand – zu einer von den Gutachten von Dr. R. und Professor Dr. H. abweichenden Beurteilung gekommen wäre.

Auch die Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz belegen, dass es erst lange nach dem 31.12.1998 zu einer wesentlichen Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin gekommen ist. Im Bescheid des Versorgungsamtes Freiburg vom 22.6.1998 war lediglich ein GdB von 20 ab 15.4.1998 wegen einer Hüft-Totalendoprothese rechts festgestellt und erst nach Neufeststellungsanträgen vom Juni 2006 und Mai 2010 kam es zu einer Erhöhung des GdB auf 50 ab 6.6.2006 und auf 100 (einschließlich Merkzeichen G und RF) ab 16.6.2010.

Nach alledem hat die Klägerin trotz Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und Eintritt von Erwerbsminderung mangels Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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