L 5 R 4414/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2498/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4414/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20.9.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Rente nach dem Fremdrentengesetz (FRG), sie wendet sich gegen die Anwendung des Kürzungsfaktors 0,6 (§ 22 Abs. 4 FRG).

Die 1941 in R. geborene Klägerin, Inhaberin eines Vertriebenenausweises A, ist 1987 nach D. zugezogen. In D. hat sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausgeübt.

Mit Bescheid vom 31.1.2002 gewährte die Beklagte der Klägerin Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 1.11.2001 (monatlich 489,46 EUR). Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind (neben Zeiten der Arbeitslosigkeit) nur nach dem FRG bewertete Zeiten (FRG-Zeiten) gespeichert. Die für die FRG-Zeiten ermittelten Entgeltpunkte wurden gem. § 22 Abs. 4 FRG durch Anwendung des Faktors 0,6 gekürzt.

Am 19.2.2002 legte die Klägerin gegen die Kürzung der Entgeltpunkte ihrer FRG-Zeiten nach § 22 Abs. 4 FRG Widerspruch ein; das Widerspruchsverfahren ruhte bis zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 4 FRG durch das BVerfG.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Kürzung der FRG-Zeiten beruhe auf § 22 Abs. 4 FRG i. V. m. Art. 6 § 4c Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG); die letztgenannte Sondervorschrift komme der Klägerin nicht zu Gute, da die Zuschlagsregelung nur für Rentenbezugszeiten bis 30.6.2000 gelte (BSG, Urt. v. 20.10.2009, - B 5 R 38/08 R -; Urt. v. 25.2.2010, - B 13 R 61/09 R -). Die einschlägigen Vorschriften seien verfassungsmäßig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.7.2010, - 1 BvR 2012/10 -).

Am 10.5.2011 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg. Sie bekräftigte ihr bisheriges Vorbringen und trug ergänzend vor, nachdem R. der Europäischen Union beigetreten sei, gehe die Beklagte offenbar davon aus, dass auch die FRG-Leistungen als Rente anzusehen seien. Das Gemeinschaftsrecht habe (Anwendungs-)Vorrang. Das einschlägige Übergangsrecht (Art. 6 § 4c FANG) verstoße unbeschadet der noch nicht geprüften Verfassungsmäßigkeit gegen die Sozialcharta der Europäischen Union, insbesondere gegen das Gebot der Gleichberechtigung der Arbeitnehmer; man möge das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.9.2011 wies das Sozialgericht die Klage unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz, SGG) ab.

Auf den ihr am 4.10.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11.10.2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, den vom BSG (13. Senat) entschiedenen Fällen hätten Sachverhalte mit (nur) außerhalb D. zurückgelegten Zeiten zugrunde gelegen. Sie habe einen Teil der rentenrechtlichen (FRG-)Zeiten während ihres Vertreibungszustands in R. zurückgelegt; diese Zeiten seien gem. § 15 FRG d. Zeiten gleichgestellt. Mit dem Beitritt R. zur Europäischen Union, habe sich D. verpflichtet, auch im Ausland zurückgelegte und Inlandszeiten gleichgestellte Zeiten als Teil des Versicherungsverhältnisses anzusehen. Der Eigentumsschutz nach Art. 14 GG könne einschlägig sein, wenn im Einzelfall nicht nur FRG-Zeiten in Rede stünden. Die Erwägungen des BVerfG träfen auf Personen nicht zu, bei denen, wie in ihrem Fall, eine Konnexität zum d. Solidarsystem der Rentenversicherung vorliege. Personen, deren Beitragslosigkeit im Inland nur auf den Folgen des 2. Weltkrieges beruhe, gehörten zum Solidarsystem der Rentenversicherung. Lägen bei Vertriebenen neben FRG-Zeiten auch Inlandszeiten vor, dürften die Entgeltpunkte nicht gekürzt werden. Der Gesetzgeber dürfe Vertriebene, die unverschuldet erst verspätet nach D. hätten einreisen können, nicht zur Sanierung der Rentenversicherung heranziehen. Man dürfe sie bspw. gegenüber Personen, die sich früher aus der Kriegsgefangenschaft hätten befreien können, nicht ungleich behandeln. Auf sie müsse das bei Einreise geltende Recht angewendet werden; anderes sei verfassungswidrig. Zumindest müsse der EuGH angerufen werden. Gemeinschaftsrecht könne auf eine außerhalb der Europäischen Union ausgeübte Tätigkeit anwendbar sein, wenn das Verhältnis einen hinreichend engen Bezug zu dem Gebiet der Europäischen Union aufweise.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20.9.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheids vom 31.1.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.4.2011 zu verurteilen, ihr unter voller Anrechnung der für ihre FRG-Zeiten ermittelten Entgeltpunkte (ohne Anwendung des in § 22 Abs. 4 FRG vorgesehenen Kürzungsfaktors 0,6) höhere Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat die für die FRG-Zeiten der Klägerin ermittelten Entgeltpunkte zu Recht unter Anwendung des in § 22 Abs. 4 FRG geregelten Kürzungsfaktors um 40 v. H. gekürzt.

Die Klägerin wendet sich mit der Berufung allein gegen die Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG. Danach werden die für FRG-Zeiten (nach §§ 15, 16 FRG) ermittelten Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt, also um 40 v. H. gekürzt. Die Beklagte hat diese Vorschrift, worüber die Beteiligten auch nicht streiten, zutreffend angewendet.

§ 22 Abs. 4 FRG ist verfassungsgemäß und gilt auch für die Klägerin. Das BVerfG hat (was den Beteiligten bekannt ist) § 22 Abs. 4 FRG für verfassungsmäßig erklärt, insbesondere eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG und des Art. 14 GG verneint, und im Hinblick auf den Vertrauensschutz lediglich eine Übergangsregelung für Berechtigte gefordert, die vor dem 1.1.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der B. De. genommen haben und deren Rente nach dem 30.9.1996 beginnt (Beschl. v. 13.6.2006, - 1 BvL 9/00 - u.a.). Diese Übergangsregelung ist mit Art. 6 § 4a Abs. 2 FANG geschaffen worden. Sie ist ebenfalls verfassungsmäßig (BVerfG, Beschl. v. 15.7.2010, - 1 BvR 1201/10 -; BSG, Urt. v. 20.10.2009, - B 5 R 38/08 R -).

Gem. Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG wird für Berechtigte, (1.) die vor dem 1.1.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der B. D. genommen haben, (2.) deren Rente nach den 30.9.1996 beginnt und (3.) über deren Rentenantrag oder über deren bis 31.12.1994 gestellten Antrag auf Rücknahme des Rentenbescheides am 30.6.2006 noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist, für diese Rente einmalig zum Rentenbeginn ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten ermittelt. Der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten ergibt sich aus der Differenz zwischen der mit und ohne Anwendung von § 22 Abs. 4 FRG ermittelten Summe aller persönlichen Entgeltpunkte. Dieser Zuschlag wird monatlich für die Zeit des Rentenbezugs vom 1.10.1996 bis 30.6.1997 voll, vom 1.7.1997 bis 30.6.1998 zu drei Vierteln, vom 1.7.1998 bis 30.6.1999 zur Hälfte und vom 1.7.1999 bis 30.6.2000 zu einem Viertel gezahlt. Für die Zeit des Rentenbezugs ab 1.7.2000 wird der Zuschlag nicht gezahlt. Die Übergangsvorschrift kommt der Klägerin danach nicht zugute, da ihre Altersrente erst am 1.11.2001 beginnt.

Das Vorbringen der Klägerin ändert nichts an der vom BVerfG - im Hinblick auf die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und 14 GG sowie den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz - festgestellten Verfassungsmäßigkeit und Gültigkeit der genannten Vorschriften (vgl. auch Senatsurteil vom 25.1.2012, - L 5 R 3172/11 -). Die Klägerin kann sich gegen die Anwendung des Kürzungsfaktors von 0,6 insbesondere nicht auf den Eigentumsschutz des Art. 14 GG berufen. Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in D. hat sie nicht zurückgelegt. In ihrem Versicherungsverlauf sind neben FRG-Zeiten vielmehr nur Zeiten wegen Arbeitslosigkeit (mit bzw. ohne Leistungsbezug) gespeichert. Dass sie nicht vor dem Jahr 1987 nach D. hat einreisen können, ändert auch im Hinblick auf die Anforderungen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nichts an der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 4 FRG bzw. des Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG und an der Anwendbarkeit dieser Vorschriften auch auf die Klägerin. Ebenso ist nicht ersichtlich, weshalb die Anwendung der genannten Vorschriften auf die Klägerin gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen sollte. Eine Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH (Art. 267 AEUV) ist nicht veranlasst (vgl. auch etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 21.4.2010, - L 8 R 163/10 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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