L 11 EG 416/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 EG 4158/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 416/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.12.2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2009 aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung eines Elterngeld bewilligenden Bescheids sowie die Erstattung von 28.350,00 EUR streitig.

Die Beklagte überwies auf Veranlassung einiger ihrer ehemaligen Mitarbeiter einen Betrag von insgesamt 28.350 EUR als Elterngeld an den Kläger, obwohl dieser keine Kinder hat und auch keinen Antrag auf Gewährung von Elterngeld gestellt hatte. Einer dieser ehemaligen Mitarbeiter war ein Herr Z. (Z). Er war mit der Bearbeitung von Elterngeldangelegenheiten betraut und im Außenverhältnis befugt, für die Beklagte Entscheidungen über die Gewährung von Elterngeld zu treffen, indem er entsprechende Entscheidungen der Sachbearbeitung allgemein freigeben durfte. Organisatorisch war Z dem Team "Mindestbetrag Ausland" zugewiesen. Zusammen mit weiteren ehemaligen Mitarbeitern der Beklagten bzw Mitarbeitern von bei der Beklagten tätigen Personaldienstleistungsunternehmen bewilligte er unter Ausnutzung seiner Stellung und Befugnisse Elterngeld für nicht existierende Kinder an reale oder fiktive Personen. Dazu stellte Z unter falschem Namen - teilweise existieren diese Personen (zB der Kläger), teilweise waren die Personen frei erfunden (zB Frau A und Frau C) - Anträge, die elektronisch erfasst, durch mit Z zusammenarbeitende Sachbearbeiter bearbeitet und von Z freigegeben wurden. Die Elterngeldbeträge wurden auf Konten von Personen gezahlt, die Herr Z bzw seine Mittäter unter dem Vorwand, ein Konto zum Empfangen von Überweisungen zu benötigen, angesprochen hatten. Nach Zahlungseingang auf dem jeweiligen Konto sollte der Kontoinhaber Z bzw dessen Mittätern das Geld übergeben. Die auf diese Weise ausbezahlten Elterngeldbeträge sollten damit letztlich Z und den anderen mit ihm zusammenwirkenden Mitarbeitern zufließen. Insgesamt entstand der Beklagten ein Schaden iHv 108.450,00 EUR.

Z war für den Schaden in vollem Umfang verantwortlich, eine weitere Mitarbeiterin war bei einer Schadensverursachung iHv 74.250,00 EUR beteiligt (zum jeweiligen Beteiligungsverhältnis vgl Blatt 34 der Senatsakte). Gegen diese Mitarbeiterin wurde nach Zahlung eines Betrages über 2.00,00 EUR eine zivilrechtliche Forderung der Beklagten über 72.250,00 EUR zuzüglich Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab Zustellung des Mahnbescheids tituliert; sie verfügt derzeit nicht über pfändbares Einkommen und Vermögen und leistet seit dem 01.10.2009 monatliche Teilzahlungen in Höhe von 50,00 EUR. Nachdem Z die volle Verantwortung für sein Tun übernommen hatte, auch gegenüber dem Kläger anwaltlich erklären ließ, die volle Haftung zu übernehmen, nahm er sich im September 2009 das Leben; seine Erben schlugen das Erbe aus. Die Mittäter wurden strafrechtlich verurteilt.

Dem vorliegenden Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Sommer 2008 trat Z an den Kläger heran, den dieser vom Sportverein und über eine Freundschaft der Familie seiner Frau mit den Eltern des Klägers kannte. Er fragte den Kläger, ob dieser ihm sein Konto für den Eingang von Geldzahlungen zur Verfügung stellen könne. Das Geld stamme von seinem Arbeitgeber bzw seiner Mutter. Seine Frau solle von dem Geld aber nichts erfahren, weshalb es nicht auf sein eigenes Konto gezahlt werden könne. Der Kläger solle das Geld an ihn - Z - weitergeben. Z teilte dem Kläger ferner mit, dieser werde auf seinen - des Klägers - Namen adressierte Briefe von seinem Arbeitgeber, der Beklagten, erhalten, die er ungeöffnet an Z aushändigen solle. Im Folgenden fälschte Z einen Antrag auf Elterngeld für - nicht existierende - Kinder des Klägers, die Zwillinge E und L, angeblich geboren 2007. Mit einem an den Kläger übersandten Bescheid vom 20.06.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin Elterngeld in monatlichen Teilbeträgen zu 675,00 EUR, insgesamt 9.450,00 EUR, für die Lebensmonate 1 bis 14 der Kinder. Die an den Kläger adressierten Schreiben der Beklagten, auch den Bescheid vom 20.06.2008, öffnete der Kläger seinen Angaben zufolge nicht, sondern übergab diese ungeöffnet Z. Die einzelnen Monatsbeträge iHv jeweils 675,00 EUR wurden unter der Bezeichnung "VERGUETUNG PN:931" (diese Bezeichnung stammt von der Bank des Klägers) sowie mit dem Hinweis "Bundeskasse W, Konto: 00 BLZ: 000, BEEG 12 ..., LM (gefolgt von der dem Lebensmonat entsprechenden Zahl) Auszahlung" in einzelnen Gutschriften am 24.06.2008 dem Konto des Klägers gutgeschrieben. Als der Kläger per Online-Banking einen Zahlungseingang feststellte, legte er die eingegangenen Beträge auf seinem Tagesgeldkonto an. In der Folge übergab der Kläger das Geld vollständig an Z. Der Kläger selbst erhielt für seine "Dienste" kein Entgelt oder eine Beteiligung. Z hatte ihn lediglich ab und zu nach dem Sport auf "ein Bier eingeladen". Mit anderen Bekannten, die Z ebenfalls ihr Konto für Zahlungseingänge zur Verfügung gestellt hatten, verfuhr Z entsprechend.

Im Herbst 2008 und kurz vor Fasching 2009 trat Z erneut an den Kläger heran und frage, ob er ihm wiederum sein Konto für den Eingang von Geldzahlungen zur Verfügung stellen könne. Z fälschte dann weitere zwei Anträge auf Elterngeld. In den Anträgen waren als Antragsteller jeweils nicht existierende Personen, Frau M A und Frau S C, sowie als Kinder deren angeblich neugeborene Zwillinge D und M A bzw A und E C, genannt. Als Bankverbindung war jeweils das Konto des Klägers angeben. Mit Bescheiden vom 07.01.2009 und vom 04.02.2009, die zwar versandt wurden, jedoch an die Beklagte zurück liefen, bewilligte die Beklagte - auf die bereits beschriebene Art - diesen Personen Elterngeld iHv je (14 x 675,00 EUR) 9.450,00 EUR; die Beträge wurden - wie zuvor schon - auf das Konto des Klägers überwiesen. Der Kläger übergab diese Geldbeträge Z; Schreiben oder einen Bescheid der Beklagten erhielt er nicht. Insgesamt übergab der Kläger an Z einen Betrag von 28.350,00 EUR. Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Kläger wurde nach § 170 Abs 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.

Mit Schreiben vom 27.05.2009 teilte die Beklagte dem Kläger ua mit, er habe Elterngeld iHv insgesamt 28.350,00 EUR für nicht existierende Kinder und ohne rechtlichen Grund erhalten. Die Beträge seien zu erstatten. Mit Bescheid vom 02.07.2009 nahm die Beklagte den Bescheid vom 20.06.2008 zurück und setzte die Erstattungspflicht des Klägers über 28.350,00 EUR fest. Der Bewilligungsbescheid vom 20.06.2008 sei bereits nichtig, weil er durch Betrug bzw Untreue entstanden sei. Sollte er nicht nichtig sein, so sei er für die Vergangenheit zurückzunehmen, weil er rechtswidrig sei. Elterngeld sei für die nicht existierenden Kinder des Klägers bewilligt worden. Dieser könne sich auch nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er grob fahrlässig gehandelt habe. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids sei ihm angesichts der Bewilligung von Elterngeld für seine nicht existierenden Kinder bekannt gewesen. Er sei auch zur Rückzahlung des durch Bescheide vom 07.01.2009 und vom 04.02.2009 bewilligten Elterngelds verpflichtet, da er den fehlenden rechtlichten Grund für diese Überweisungen hätte kennen müssen. Aus den Angaben auf seinem Kontoauszug habe ihm die überweisende Stelle - die Bundeskasse - und die Gewährung der Leistungen für fortlaufende Lebensmonate bekannt sein müssen.

Hiergegen erhob der Kläger am 06.07.2009 Widerspruch und verwies zur Begründung auf das Protokoll seiner Vernehmung bei der Polizei. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2009 den Widerspruch zurück.

Am 18.09.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Er sei davon ausgegangen, dass es sich bei den auf sein Konto eingegangen Geldzahlungen um das Gehalt von Z gehandelt habe. Den an ihn adressierten Bescheid vom 20.06.2008 habe er ungeöffnet an Z übergeben, wie dies zuvor mit Z vereinbart worden sei. Er sei auch nicht mehr bereichert, da er sämtliche erhaltenen Beträge an Z übergeben habe. Im Weiteren treffe auch die Beklagte ein Mitverschulden, da sie Z nicht ausreichend überwacht und somit diesem erst ermöglicht habe, Anträge auf Elterngeld zu fälschen.

Die Beklagte hat ausgeführt, der Kläger habe im Rahmen der polizeilichen Vernehmung nicht angegeben, dass er davon ausgegangen sei, bei den auf seinem Konto eingegangenen Beträgen handle es sich um Überweisungen des Arbeitgebers von Z. Vielmehr habe der Kläger vorgetragen, er sei von finanziellen Zuwendungen der Mutter des Z ausgegangen. Der Vortrag sei widersprüchlich. Sie selbst treffe kein Verschulden, da Z mit anderen Mitarbeitern bewusst bei der Fälschung und Bewilligung der Anträge zusammengewirkt habe. Entsprechende Überwachungsmechanismen hätten demnach nicht greifen können.

Mit Urteil vom 16.12.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht den Bescheid vom 20.06.2008 zurückgenommen und die Erstattung des mit diesem Bescheid bewilligten Elterngelds gefordert. Auch habe sie zu Recht die Erstattung des aufgrund der Bescheide vom 07.01.2009 und vom 04.02.2009 ausbezahlten Elterngelds geltend gemacht. Der Bescheid vom 20.06.2008 sei ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, da durch ihn Elterngeld für die tatsächlich nicht existierenden Kinder des Klägers bewilligt worden sei. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, da er die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Entscheidend sei, dass dem Kläger, wenn er den Bescheid vom 20.06.2008 gelesen hätte, ohne weiteres erkennbar gewesen wäre, dass dieser Bescheid rechtswidrig war, weil durch ihn Elterngeld für nicht existierende Kinder bewilligt wurde. Insofern bestehe für den Kläger eine Obliegenheit, an ihn gerichtete Bescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Hiervon sei der Kläger auch nicht dadurch befreit worden, dass Z ihn gebeten hatte, die Schreiben ungeöffnet an ihn zu übergeben. Die Beklagte habe auch das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Es sei im Hinblick auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheids und der Erstattung der aufgrund dieses Bescheids gewährten Leistungen, den Vorrang vor dem Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Bescheids und der Nichterstattung der gewährten Leistungen einräume. Auch ein im Rahmen der Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigendes Mitverschulden der Beklagten könne nur dann zu einer Entscheidung zugunsten des Klägers führen, wenn diesem selbst kein Verschulden vorzuwerfen sei. Die gezahlten Beträge seien zu erstatten.

Die Beklagte habe auch zu Recht vom Kläger die Erstattung des aufgrund der Bescheide vom 07.01.2009 und vom 04.02.2009 zugeflossenen Elterngelds gemäß § 50 Abs 2 SGB X verlangt. Die Beklagte habe das Elterngeld dem Kläger als Dritten zu Unrecht erbracht. Von § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X würden mithin alle Erstattungsansprüche erfasst, in denen - für den Empfänger erkennbar - der Träger der Sozialleistung bewusst und gewollt an einen bestimmten Empfänger geleistet und dessen Vermögen vermehrt habe. Dem Kläger sei aus den Angaben auf seinen Kontoauszügen ersichtlich bzw infolge grober Fahrlässigkeit nicht ersichtlich, dass es sich bei der überweisenden Stelle um eine staatliche Stelle handele, da als Überweisender die Bundeskasse W genannt gewesen sei. Er habe damit den Charakter der Leistung als öffentlich-rechtlich erkennen müssen. Dieses Elterngeld sei ohne Verwaltungsakt an den Kläger erbracht worden, da die Bescheide vom 07.01.2009 und vom 04.02.2009 nicht wirksam geworden seien, weil sie nicht gegenüber der Person, der Elterngeld bewilligt wurde, bekanntgegeben worden seien. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, da er grob fahrlässig nicht erkannt habe, dass die auf sein Konto überwiesenen Beträge weder ihm noch Z zugestanden hätten. Insoweit sei schon der Vortrag des Klägers in sich widersprüchlich. Aber alleine aus der Nennung der überweisenden Stelle, der Bundeskasse W, habe dem Kläger bereits ersichtlich sein müssen, dass die Beträge nicht von der Mutter des Z überwiesen worden sein konnten. Auch habe sich dem Kläger die Frage aufdrängen müssen, ob es sich wirklich um Lohnzahlungen an Z gehandelt habe. Es sei wohl kaum nachvollziehbar, dass ein Arbeitgeber sich bereit erkläre, mehrfach seine Lohnzahlung auf andere Konten zu überweisen. Ebenso hätte es dem Kläger Anlass zum Nachfragen bei Z geben müssen, dass dessen vermeintlicher Lohn nicht in einem einmaligen Betrag, sondern in Stückelungen von 14 x 675,00 EUR überwiesen wurde. Das ihr zustehende Ermessen habe die Bekl. rechtsfehlerfrei ausgeübt. Der Kläger könne sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 22.12.2010 beim SG eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Bei seinen Überlegungen habe sich das SG allein am Handlungserfolg orientiert, ohne sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Sorgfaltspflicht er verletzt habe. Aus seiner Sicht habe er es als einem vollkommen normalen Vorgang verstanden, dem ihm bekannten und in keiner Weise verdächtigen Z auf dessen Bitten hin, sein Konto als Empfangskonto zur Verfügung zu stellen. Insoweit habe er völlig gutgläubig einen üblichen Vorgang zugelassen. Genauso verhalte es sich bei der Angabe seiner postalischen Adresse für einen Brief, den Z erwartet habe. Die Erteilung einer Postempfangsvollmacht bzw Angabe der postalischen Adresse eines Dritten sei im Rechtsverkehr ein völlig belangloser, normal und massenhaft vorkommender Vorgang, der bei einem arglosen, gutgläubigen Beteiligten auch nicht ansatzweise zum Anlass genommen werden könne, ihm hieraus einen Verschuldensvorwurf und dann noch einen Verschuldensvorwurf wegen Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße zu machen. Insbesondere habe es das SG unterlassen, das Maß seiner Fahrlässigkeit hinsichtlich der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie seinem Einsichtsvermögen und der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Er habe den Bescheid nicht gelesen und es habe bestand auch keine Veranlassung bestanden, die von dem ihm persönlich bekannten Z angekündigte Post zu lesen. Das SG verkenne insbesondere, dass er ja selbst Opfer einer Straftat geworden sei, indem seine Gutgläubigkeit ausgenutzt worden war. Er sei damals 19 Jahre alt gewesen, er habe einen Hauptschulabschluss aber aufgrund seiner mangelnden intellektuellen Fähigkeiten den Abschluss der zweijährigen Berufsfachschule nicht geschafft. Als Fußballkamerad habe Z sein vollstes Vertrauen besessen, wobei dieses Vertrauen von Z auch dadurch erschlichen worden sei, dass er nach einem Fußballspiel ihm öfter einige Getränke bezahlt oder ihm eine Zigarette gegeben habe. Wie habe er anlässlich seiner beschränkten intellektuellen Fähigkeiten auch nur auf die Idee kommen sollen, Opfer und Tatwerkzeug eines raffinierten Betrügers zu werden, dem es unter Mithilfe zahlreicher Mittäter gelungen sei, die Schwachstellen der Beklagten auszunutzen und Geldbeträge abzuzweigen. Bei diesem Sachverhalt sei es für ihn in keiner Weise erkennbar gewesen, dass für ihn persönlich ein Träger der Sozialleistung, Geldbeträge geleistet habe und sein Vermögen habe vermehren wollen. Erst recht sei dies aus den Angaben auf den Kontenauszügen nicht ersichtlich gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.12.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Kläger habe im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht die Obliegenheit gehabt, den Bescheid vom 20.06.2008 zu lesen. Habe der Kläger aber den Bewilligungsbescheid vom 20.06.2008 nicht gelesen, sondern ungeöffnet weitergegeben, habe bei ihm schon von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand dieses Elterngeld bewilligenden Bescheids entstehen können. Selbst wenn man an die Urteils- und Einsichtsmöglichkeiten des Klägers auf Grund seines im Leistungszeitraum jugendlichen Alters und etwaiger unterdurchschnittlicher intellektueller Fähigkeiten keine hohen Anforderungen stellen würde, habe sich dem Kläger aufdrängen müssen, dass es sich bei den von Z angekündigten und auf das Bankkonto des Klägers geflossenen Beträgen weder in Bezug auf die Person des Leistenden noch in Bezug auf den Grund der Leistung um Zahlungen der Mutter des Z an deren Sohn handeln konnte. Zwar möge die von Z geäußerte Bitte, das Bankkonto für eine einzelne Überweisung zur Verfügung zu stellen, für sich allein betrachtet möglicherweise noch als Vorgang zu qualifizieren sein, bei dem eine uneingeweihte Person keinen Verdacht hegen müsse. In der Gesamtschau hätten sich jedoch auch dem Kläger erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der beschwichtigenden Erklärungen aufdrängen müssen. Denn in den Kontoauszügen sei als Überweisungsauftraggeber die Bundeskasse W ausgewiesen. Die Überweisungen hätten aus einer Vielzahl von zeitgleich ausgeführten Einzelüberweisungen zu je 675,00 EUR bestanden. Deshalb könne dem Argument nicht gefolgt werden, der Kläger habe den Erklärungen des Z, es handele sich um Zuwendungen seiner Mutter, ohne weiteres Glauben schenken dürfen. Unter Berücksichtigung aller Begleitumstände würden keine überspannten Anforderungen an die Sorgfalt des Klägers gestellt, wenn man zur Feststellung gelange, dass dieser zumindest Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Z hätte hegen müssen. Daran änderten auch die jugendliche Unerfahrenheit und Naivität sowie die mangelnden individuellen Fähigkeiten des Klägers nichts. Die Beklagte habe ihre Erstattungsansprüche sowohl gegen die beiden Gehilfinnen als auch gegen alle übrigen Leistungsempfänger, die ihr Bankkonto für "Zahlungstransfers" zur Verfügung gestellt hatten, jeweils durch Bescheide gemäß § 50 Abs 1 bzw Abs 2 SGB X festgesetzt.

Der Rechtsstreit ist in einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 27.01.2012 erörtert worden. Wegen des Inhalts wird auf Blatt 45 bis 47 der Senatsakte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringen der Beteiligten wird auf die Akten des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG statthaft, zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Gegenstand der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2009, mit dem die Beklagte die im Bescheid vom 20.06.2008 ausgesprochene Bewilligung von Elterngeld an den Kläger wegen der Geburt seiner Kinder E und L zurückgenommen und dessen Pflicht zur Erstattung von 28.350,00 EUR festgesetzt hat. Dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte kann vom Kläger nicht die Erstattung von 28.350,00 EUR auf sozialrechtlicher Grundlage verlangen.

Ein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 SGB X, ein solcher nach § 50 Abs 2 SGB X wie auch eine Heranziehung des Klägers mittels eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs setzen voraus, dass die Beklagte dem Kläger sozialrechtliche Leistungen hat zufließen lassen und ihm auf sozialrechtlichem bzw öffentlich-rechtlichem Gebiet gegenüber getreten ist. Insoweit müsste die Beklagte gegenüber dem Kläger iSd § 1 Abs 1 Satz 1 SGB X eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit nach dem SGB ausgeübt haben. Eine solche öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit liegt vor, wenn ein Träger hoheitlicher Gewalt auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Norm eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt und mit Außenwirkung handelt (Waschull in LPK-SGB X, 3. Auflage, § 1 Rdnr 2). Vorliegend ist der Beklagten aber das Handeln des Z nicht zuzurechnen, weshalb sie gegenüben dem Kläger nicht auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Norm (BEEG) eine öffentliche Aufgabe (Entscheidung über die Bewilligung bzw die Auszahlung von Elterngeld) wahrgenommen hat.

Z war zwar im Außenverhältnis befugt, für die Beklagte Elterngeldentscheidungen freizugeben und insoweit - wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einräumte - befugt und bevollmächtigt gewesen, Entscheidungen mit Wirkung für und gegen die Beklagte zu treffen (vgl § 164 BGB). Doch hat er bewusst und gewollt seine Rechtsstellung missbraucht zu dem alleinigen Zweck, die Beklagte zu schädigen. Dazu hat er formal im Gewand einer regulären Elterngeldbewilligung mit Antragstellung, Sachbearbeitung, Freigabe, Bescheiderteilung und folgender Auszahlung, somit formal und nach außen unter dem Namen der Beklagten, gehandelt, doch muss sich die Beklagte das dolose, die eingeräumte Vertretungsbefugnis bewusst und gewollt überschreitende Verhalten eines Mitarbeiters nicht zurechnen lassen (vgl § 179 Abs 1 BGB; allgemein zur Zurechnung von Handeln einzelner Mitarbeiter vgl zB Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage, § 35 Rdnr 55 ff; Burgi/Ehlers/Grzszick/et al, hrsg von Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Auflage, § 20 Rdnr 23). Bei einer bewussten und gewollten Straftat wie der Vorliegenden überschreitet der Mitarbeiter die ihm eingeräumte Befugnis eine Behörde zu vertreten. Dieses strafbare Handeln kann dem Handeln einer zum Erlass von Verwaltungsakten allgemein nicht befugten Personen gleichgestellt werden. Es liegt insoweit nicht nur eine Überschreitung des amtsinternen Zeichnungsrechts vor. Denn zur Begehung von Straftaten zum Nachteil der eigenen Behörde ist die Zeichnungsbefugnis nicht erteilt worden. Die Mitarbeiter der Beklagten, darunter auch Z, sind insoweit wie Personen zu behandeln, denen niemals Zeichnungsbefugnis erteilt worden ist. Auf die bei einem bloßen Überschreiten der Zeichnungsbefugnis zu erörternde Frage, ob der Kläger die Kompetenzüberschreitung kannte oder hätte kennen müssen, kommt es somit nicht an.

Damit ist die Beklagte dem Kläger nicht hoheitlich in Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit nach dem SGB (vgl § 1 Abs 1 Satz 1 SGB X) gegenüber getreten. Nicht in Ausübung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit nach dem SGB geleistete Zahlungen können aber nicht mittels öffentlich-rechtlichen Erstattungsregelungen zurückgefordert werden. Damit durfte die Beklagte weder gemäß § 50 Abs 3 SGB X durch Verwaltungsakt vom Kläger 28.350,00 EUR verlangen, noch durfte sie von ihm im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (zu dessen Voraussetzungen vgl BSG, 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, juris mwN; BSG, 28.10.2008, B 8 SO 23/07 R, BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2 = juris) diesen Betrag fordern. Ob der Beklagten zivilrechtliche Ansprüche gegen den Kläger zustehen, kann vorliegend offen bleiben, da derartige Ansprüche nicht Streitgegenstand sind.

Auch soweit die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2009 den Bescheid vom 20.06.2008 aufgehoben hat, standen ihr hierfür sozialrechtliche Rechtsnormen nicht zur Verfügung. Denn ein der Beklagten zurechenbarer Bescheid vom 20.06.2008 existiert schon gar nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem "Bescheid" vom 20.06.2008 um einen Nichtakt. Nichtakte sind Handlungen, die u a deshalb einer Behörde nicht zugerechnet werden können, weil sie von einer Person ausgehen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu behördlichem Handeln befugt war (vgl zB BFH 07.07.1978, VI R 211/75, BFHE 125, 347 = BStBl II 1978, 575-577 = juris; BFH, 13.05.1987, II R 140/84; BFHE 150, 70 = BStBl II 1987, 592 = juris). Mit dem als Bescheid bezeichneten Schreiben vom 20.06.2008 hat die Beklagte dem Kläger kein Elterngeld bewilligt. Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Das Schreiben vom 20.06.2008 ist keine Maßnahme einer Behörde. Es kann der Beklagten nicht zugerechnet werden, weil ihre Mitarbeiter, die diese "Verwaltungsakte" erzeugt und versandt haben, ihre grundsätzlich bestehende Zeichnungsbefugnis bzw Freigabeberechtigung zur Begehung von Straftaten ausgenutzt haben.

Im Übrigen war der Bescheid vom 20.06.2008 niemals bekannt gegeben worden und hatte daher seine (äußere) Wirksamkeit iSd § 39 Abs 1 SGB X nicht erlangt (vgl dazu Waschull in LPK-SGB X, 3. Auflage, § 39 Rdnr 9, 10). Denn konnte Z bei der Freigabe einen wirklichen Willen zum Erstellen und zur Bekanntgabe eines die Beklagte bindenden Bescheides über eine Sozialleistung - beides erfolgt nach der vom Mitarbeite der Beklagten erteilten Freigabe computertechnisch automatisiert - nicht haben (zur Zurechenbarkeit des Bekanntgabewillens eines Behördenmitarbeiters vgl BFH, 27.06.1986, VI R 23/83, BFHE 147, 205 = BStBl II 1986, 832 = juris), kann durch seine Handlung die Beklagte nicht rechtlich gebunden werden, sodass schon eine wirksame Bekanntgabe des Bescheids vom 20.06.2008 nicht gegeben ist. Handelt es sich somit um einen Nichtakt, der der Beklagten nicht zuzurechnen ist, dann kann dieser weder nach § 40 SGB X nichtig sein, noch konnte die Beklagte diesen Nichtakt nach § 45 SGB X zurücknehmen; es liegt schlichtweg keine nach den Regeln des SGB X fassbare Verwaltungsentscheidung vor.

Damit steht der Beklagten für die im Bescheid vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2009 getroffenen Regelungen (Aufhebung des Bescheids vom 20.06.2008 und Festsetzung der Erstattungspflicht des Klägers über 28.350,00 EUR) keine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage zur Verfügung. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids war aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger im Ergebnis vollen Erfolg hatte.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der streitigen Rechtsfragen zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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