L 6 U 1907/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 3339/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1907/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. März 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine Verletztenrente auf Dauer zusteht.

Der 1967 geborene Kläger erlitt am 23.10.2006 einen Arbeitsunfall, indem er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Lagerist aus rund 2 Metern Höhe von einem Gabelstapler stürzte. Dabei erlitt er eine knienahe geschlossene Fraktur des Schienbeins mit Beteiligung des Scheinbeinkopfes einschließlich des außenseitlichen Gelenkkörpers. Noch am Unfalltag wurde er in der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie W. wegen einer dort diagnostizierten Tibiakopffraktur rechts mit Gelenkbeteiligung stationär aufgenommen (Durchgangsarztbericht vom 23.10.2006). Im Rahmen der dortigen stationären Maßnahme vom 23.10.2006 bis zum 09.11.2006 wurden am 23.10.2006 eine offene Reposition und Osteosynthese mittels 8-Loch-T-Platte und Zugschrauben sowie eine offene Wundbehandlung nach Spaltung der Muskelfaszie und Epigarddeckung und am 30.10.2006 eine Wundrevision sowie Sekundärnaht vorgenommen (Entlassungsbericht vom 15.11.2006). Weitere ambulante Vorstellungen erfolgten beim Chirurgen Chami, im Krankenhaus W. und beim Durchgangsarzt Dr. R ...

Die Beklagte ließ den Kläger untersuchen und begutachten. Dr. B., Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie W., beschrieb in seinem Gutachten vom 27.04.2007 als wesentliche Unfallfolgen eine Schwellneigung im Bereich des Tibiakopfes und rechten Sprunggelenkes, eine Kalksalzminderung im rechten Kniegelenk und proximalen Unterschenkel, eine deutliche Atrophie der rechten Oberschenkelmuskulatur, eine Asensibilität im rechten Unterschenkel ventral sowie eine Bewegungseinschränkung im rechten Sprunggelenk. Er bewertete die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) seit 05.02.2007 mit 20 vom Hundert (v. H.). Der Beratungsarzt Dr. J. vertrat am 25.07.2007 die Ansicht, es sei eine Rente als vorläufige Entschädigung zu gewähren. Nach der Metallentfernung sei mit einer Besserung zu rechnen. Mit Bescheid vom 02.08.2007 stellte die Beklagte als Unfallfolgen "nach Bruch des rechten Schienbeinkopfes mit Ausriss des vorderen Kreuzbandes und nachfolgendem Compartmentsyndrom: Belastungsabhängige Beschwerden und Instabilität des Kniegelenkes. Muskelminderung am Oberschenkel. Schwellneigung des Unterschenkels und des rechten Sprunggelenkes. Sensibilitätsstörungen im Bereich des Schienbeinkopfes. Knochenkalksalzminderung und röntgenologisch nachweisbare Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich bei noch einliegendem Fremdmaterial" fest und bewilligte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H. ab 05.02.2007.

Sodann veranlasste die Beklagte eine Nachbegutachtung. Prof. Dr. A., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie und Orthopädie des Klinikums L., beschrieb in seinem Gutachten vom 06.05.2008 als Unfallfolgen eine achsgerecht verheilte Tibiakopffraktur rechts mit knöchernem Ausriss des vorderen Kreuzbandes und posttraumatischem Compartmentsyndrom des rechten Unterschenkels mit deutlicher Atrophie der Oberschenkelmuskulatur rechts und Kraftminderung zur Gegenseite um 1/5 bis 2/5, eine geringgradige Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk mit geringgradiger medialer Aufklappbarkeit und geringgradiger vorderer Schubblade sowie eine Schwellneigung unter Belastung zum Abend hin und bewertete die MdE weiterhin mit 20 v. H. Es folgten weitere ambulante Vorstellungen im Klinikum L ...

In seinem weiteren Gutachten vom 30.04.2009 beschrieb Prof. Dr. A. die Unfallfolgen unverändert und bewertete die MdE weiterhin mit 20 v. H. Der Gutachter gab dabei ein Bewegungsmaß im Bereich der Kniegelenke bei der Streckung und Beugung von 0/0/130 Grad rechts und 0/0/150 Grad links sowie Umfangmaße 20 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 56 cm rechts und 60 cm links und 10 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 45 cm rechts und 48 cm links an. Er führte ferner aus, die Muskulatur am rechten Oberschenkel und die grobe Kraft seien deutlich abgeschwächt. Die Widerstandskraft am rechten Bein im Vergleich zur Gegenseite sei um 1/5 bis 2/5 herabgesetzt. Im Bereich des rechten Kniegelenkes bestehe eine mediale Aufklappbarkeit im Vergleich zur Gegenseite. Ferner sei eine diskrete pathologische Schubladenbewegung auslösbar. Der Beratungsarzt Dr. J. führte am 20.05.2009 aus, es sei lediglich eine Muskelminderung im Oberschenkel verblieben, die mit entsprechender manueller Therapie sicher noch verbesserungsfähig sei. Die Bewegungseinschränkung im Kniegelenk sei nicht bedeutend. Ferner halte er die angegebene Beugefähigkeit auf der Gegenseite von 150 Grad für unrealistisch. Sie sei auch im Vorgutachten nur mit 135 Grad beschrieben worden. Eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß bestehe nicht. Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Rentenentziehung an. Mit Bescheid vom 18.06.2009 stellte die Beklagte als Unfallfolgen "Muskelminderung am rechten Oberschenkel. Kraftminderung des rechten Beines. Röntgenologisch nachweisbare Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich des rechten Schienbeinkopfes" fest, führte aus, es bestehe kein Anspruch auf Rente auf unbestimmte Zeit und entzog die als vorläufige Entschädigung bewilligte Rente mit Ablauf des Monats Juni 2009.

Hiergegen legte der Kläger am 26.06.2009 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, auf Grund der Unfallfolgen könne er sein Knie nicht mehr vollständig bewegen und nicht mehr Niederknien. Bei längerem Stehen und Gehen schwelle die betroffene Wade an. Ferner leide er an einer beginnenden posttraumatischen Kniearthrose. Durch die unterschiedliche Belastung sei es auch zu einer Achsenverschiebung im Bereich der Wirbelsäule gekommen. Ferner sei er psychisch verändert. Außerdem habe auch Prof. Dr. A. eine MdE um 20 v. H. angenommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte zur Begründung aus, die verbliebenen Unfallfolgen rechtfertigten keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß. Eine höhere Bewertung würde eine Abweichung von anerkannten Bewertungsgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung bedeuten.

Hiergegen hat der Kläger am 24.09.2009 Klage beim Sozialgericht Heilbronn erhoben.

Das Sozialgericht hat zunächst eine weitere gutachtliche Stellungnahme des Prof. Dr. A. vom 13.11.2009 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, für die von ihm vorgenommene Bewertung der MdE mit 20 v. H. seien die mediale vordere Instabilität im rechten Kniegelenk, die geringgradige Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk in Flexion sowie die Kraftminderung und das Muskeldefizit am rechten Bein maßgeblich gewesen. Zwar sei der Einschätzung des Dr. J. unter Berücksichtigung der reinen Funktion des rechten Kniegelenkes beizupflichten, zumal sich die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes mit 0/0/130 Grad tatsächlich noch im Normbereich befinde und hier keine MdE zu konstatieren sei. Zu berücksichtigten sei jedoch, dass eine zusätzliche Lockerung des Kniebandapparates vorliege, wobei diese muskulär kompensiert sei und nach gängiger Lehrmeinung somit eine MdE zwischen 10 und 20 v. H. bedinge. Weiterhin bestehe ein Muskeldefizit am rechten Bein, welches sich auch im Vergleich zur Voruntersuchung nicht nachweislich gebessert habe. In der Zusammenschau aller Befunde und unter Berücksichtigung der reinen Funktion lasse sich in der Summe die MdE um 20 v. H. nicht aufrecht erhalten, der Entscheidung der Beklagten sei zuzustimmen. In seiner weiteren gutachtlichen Stellungnahme vom 16.02.2010 hat Prof. Dr. A. dargelegt, die Einschätzung des Dr. J. sei zwar nach Aktenlage, aber auf Basis der Messdaten der klinischen Untersuchung, insbesondere unter Berücksichtigung der reinen Kniefunktion und unter Einbeziehung der gängigsten MdE-Tabellen erfolgt.

Wegen persistierender Belastungs- und Bewegungsschmerzen sowie einer anhaltenden Kraftminderung ist beim Kläger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 31.03.2010 bis zum 23.04.2010 eine komplex-stationäre-Rehabilitation mit schmerztherapeutischer Mitbehandlung, einem neurologischen Konzil (sensible Teilschädigung des N. tibialis rechts körperfern; die Beschwerden am rechten Kniegelenk seien durch die Befunde auf neurologischem Gebiet nicht zu erklären; Bl. 31 ff. Senatsakte) sowie einer magnetresonanztomographischen Untersuchung erfolgt (Bl. 104 ff. SG-Akte). Die dort behandelnden Ärzte haben ein Bewegungsmaß im Bereich der Kniegelenke bei der Streckung und Beugung von 0/0/125 Grad rechts und 0/0/140 Grad links im Aufnahmebefund und von 0/0/115 Grad rechts und 0/0/130 Grad links im Abschlussbefund beschrieben. Ferner sei die Bandinstabilität in frontaler Ebene beidseits voll erhalten. In sagittaler Ebene bestehe rechts eine vermehrte Translationsstrecke ohne sicheren Anschlag. Kernspintomographisch habe ein weitgehend intakter Verlauf der Kreuz- und Kollateralbänder bestanden. In der gehaltenen Aufnahme habe keine Instabilität bestanden. In der Klinik ist man zu dem Ergebnis gelangt, die Beschwerdesymptomatik habe gebessert werden können. Eine Instabilität des rechten Kniegelenkes sei bei den Untersuchungen nicht nachgewiesen worden. Mit dem Kläger sei der anschließende Eintritt in die Arbeitsfähigkeit vereinbart worden (Entlassungsbericht vom 27.04.2010). Dr. St. hat nach Durchführung einer neurologischen Konsils ausgeführt, es bestehe klinisch eine sensible Teilschädigung des Nervus tibialis rechts körperfern. Motorische Folgen des Kompartmentsyndroms lägen am rechten Bein nicht vor. Elektrophysiologisch fänden sich keine Auffälligkeiten (Befundbericht vom 29.04.2010). Der Kläger hat jedoch angegeben, weiterhin an starken Schmerzen zu leiden.

Sodann hat das Sozialgericht das Gutachten des Chirurgen Dr. V. vom 19.05.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat als Unfallfolgen eine in guter Stellung fest knöchern konsolidierte ehemalige Fraktur des knienahen Schienbeines mit Einbezug des Schienbeinkopfes und der außenseitlichen Gelenkfläche, eine im Seitvergleich endgradig eingeschränkte Beugefähigkeit des rechten Kniegelenkes von 20 Grad, eine grenzgradig kompensierte Insuffizienz von Seiten des vorderen Kreuzbandes, eine deutliche Minderung der Muskelweichteilmasse des rechten Oberschenkels mit entsprechender Kraftminderung und eine Gefühlsstörung im Narbenbereich des Unterschenkels beschrieben. Der Sachverständige hat dabei ein Bewegungsmaß im Bereich der Kniegelenke bei der Streckung und Beugung von 0/0/120 Grad rechts und 0/0/140 Grad links sowie Umfangmaße 20 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 56,5 cm rechts und 59,5 cm links und 10 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 46,5 cm rechts und 48 cm links angegeben. Des Weiteren hat der Sachverständige eine leichtgradige Schublade im rechten Kniegelenk beschrieben. In Bezug auf die Beugebeeinträchtigung des Kniegelenkes liege die MdE zwischen 0 und 10 v. H., wobei er eher zu 0 v. H. tendiere. Hinsichtlich der graduellen, tendenziell leicht bis mittelgradig ausgeprägten, Insuffizienz beziehungsweise Instabilität von Seiten des Kreuzbandes liege die MdE, da ein Grenzbereich zwischen kompensierter und nicht kompensierter Instabilität vorliege, zwischen 10 und 20 v. H., wobei er zu 10 v. H. tendiere. Die Gesamt-MdE betrage 10 v. H.

Daraufhin hat das Sozialgericht auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Prof. Dr. B., Ärztlicher Direktor und Chefarzt an der Sportklinik St., vom 15.11.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat über ein deutlich erkennbares Schonhinken rechtseitig berichtet. Das Gangbild beim Treppensteigen sei sehr unrund mit Schonung des rechten Beins. Als Unfallfolgen hat der Sachverständige eine Tibiakopfmehrfragmentfraktur mit Beteiligung des proximalen Unterschenkels rechts mit knöcherner Konsolidierung nach Osteosynthese, eine vordere Kreuzbandläsion nach Mitbeteiligung des tibialen Ansatzbereiches mit verbliebenem anteromedialem und subjektivem Instabilitätsgefühl beschrieben Der Befund werde in den konventionellen Röntgenaufnahmen sowie dem aktuellen magnetresonanztomographischen Befund bestätigt. Weiter bestehe eine deutliche Minderung der Oberschenkelmuskulatur mit Kraftminderung um 2/5 im klinischen Seitenvergleich, eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk von 15 Grad für die Kniebegung, Sensibilitätsstörungen im Bereich der Narbe und im Großzehenbereich rechts bei Zustand nach posttraumatischem Compartmentsyndrom sowie eine subjektive permanente Schmerzsymptomatik mit Einschränkungen im täglichen Leben. Der Sachverständige hat dabei ein Bewegungsmaß im Bereich der Kniegelenke bei der Streckung und Beugung von 0/0/115 Grad rechts und 0/0/130 Grad links sowie Umfangmaße 20 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 55 cm rechts und 58 cm links und 10 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 44 cm rechts und 46 cm links angegeben. Er hat ferner ausgeführt, das mediale Seitenband sei gelockert und der Lachmanntest sowie die vordere Schublade seien im Vergleich zur Gegenseite positiv. Röntgenologisch habe sich beim Valgusstress der mediale Gelenkspalt um mindestens 1/3 im Sinne einer Lockerung des medialen Bandapparates vergrößert gezeigt und in der Stressaufnahme eine leichte vordere Schublade nachweisen lassen. Der Sachverständige hat die MdE mit 20 v. H. eingeschätzt. Es bleibe festzuhalten, dass beim Kläger eine anteromediale Instabilität vorhanden sei. Dies sei durch die klinische Untersuchung, die Röntgenaufnahmen und den magnetresonanztomographischen Befund zu untermauern. Somit habe sich zu keinem Zeitpunkt eine Veränderung der Situation ergeben, so dass die im Gutachten des Dr. V. erfolgte Reduzierung der MdE auf 10 v. H. ab 01.07.2009 nicht nachzuvollziehen sei.

Hierzu hat Dr. V. in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 27.01.2011 ausgeführt, zwischen seiner Begutachtung und der von Prof. Dr. B. durchgeführten Begutachtung ergebe sich in der Summe ein Trend zur Befundverschlechterung. Eine solche Entwicklung innerhalb der Zeitspanne von rund einem halben Jahr könne er, gestützt auf rein medizinische Einsichten, nur sehr bedingt nachvollziehen. Er könne dem Gutachten des Prof. Dr. B. nur eingeschränkt entnehmen, welche Schwerpunkte er bei seiner MdE-Einschätzung gesetzt habe. Eine eingehendere Diskussion der MdE biete dessen Gutachten nicht an. Nach gewissenhafter und eingehender Prüfung dieses Gutachtens komme er zu dem Entschluss, dass die Annahme einer MdE um 20 v. H. nicht gerechtfertigt sei.

Mit Urteil vom 11.03.2011 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2009 verurteilt, dem Kläger ab 01.07.2009 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt, in Anbetracht der Bewegungseinschränkung zwischen 15 und 20 Grad betrage die MdE hierfür 10 v. H. Dr. V. habe zutreffend darauf hingewiesen, dass die Normalwerte für die Beugefähigkeit in einem gesunden Knie zwischen 120 und 150 Grad lägen und damit die Beugefähigkeit des Klägers im rechten Knie noch grenzwertig im Normbereich liege. Allerdings zeige der Vergleich des verletzten Kniegelenkes mit seinem gesunden Kniegelenk, dass der Kläger infolge des Unfalls eine um circa 20 Grad schlechtere Beugefähigkeit habe. Da die Beugefähigkeit des Kniegelenkes für die Fortbewegung entscheidend sei, sei übereinstimmend mit der überwiegenden Rentenliteratur eine MdE um 10 v. H. angemessen. Hinzu komme die grenzgradig kompensierte muskuläre Instabilität des Kniegelenkes. Nach den Vorgaben der Rentenliteratur betrage die MdE bei einer Lockerung des Kniebandapparates 10 v. H., wenn sie muskulär kompensiert sei, und 20 v. H. wenn sie nicht muskulär kompensiert sei. Nach den Untersuchungsergebnissen des Dr. V. verfüge der Kläger über ein flüssiges, zügiges Gangbild ohne Hinken und flüssiges Treppauf- und absteigen ohne Benutzung des Geländers. Der Kläger habe den Zehen- und Hackengang sowie den Einbeinstand problemlos durchführen können. Dr. V. habe aber eine gefühlte Gangunsicherheit beschrieben. Auf Grund dieser Diagnosen sei insoweit eine MdE um 15 v. H. angemessen. Denn die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers lägen in der Mitte zwischen muskulär kompensiert und nicht kompensiert. Einerseits bestünden nach den Diagnosen des Dr. V. bis auf die Gangunsicherheit keine prinzipiellen Gangeinschränkungen. Andererseits bestehe eine objektiv messbare Muskelminderung, die zu einer erheblichen Kraftminderung führe. Daher sei die Lockerung des Kniebandapparates jedenfalls nicht vollständig kompensiert. Diese MdE um 15 v. H. sei auf Grund der MdE für die Bewegungseinschränkung um 10 v. H. auf insgesamt 20 v. H. zu erhöhen, da sich die funktionellen Einschränkungen der Bewegungseinschränkung und der nicht vollständig muskulär kompensierten Instabilität nur teilweise überschnitten.

Gegen das ihr am 13.04.2011 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat die Beklagte am 09.05.2011 Berufung eingelegt. Sie führt aus, hinsichtlich der Bewegungsmaße des rechten Kniegelenkes ergäben sich zwar zum Teil unterschiedliche Messdaten. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass diese wesentlich von der Mitarbeit des Klägers abhingen. Auch wenn eine endgradige Differenz zur unverletzten linken Seite gemessen werde, bleibe doch festzuhalten, dass die Beweglichkeit sich insgesamt noch im Normbereich bewege. Hieraus könne eine relevante MdE nicht resultieren. Die Bandverhältnisse im rechten Kniegelenk zeigten sich nach den Untersuchungen in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., insbesondere im Rahmen des stationären Aufenthaltes, als stabil. Die subjektiv gefühlte Instabilität, auf die sich das Sozialgericht in seinem Urteil gestützt habe, finde in diesem Ausmaß keine objektive Stütze. Relevant und bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen seien aber gesicherte Diagnosen und dadurch bedingte Funktionseinschränkungen. Diese lägen zumindest bei einer lediglich subjektiv empfundenen Einschränkung nicht vor. Die vom Sozialgericht vorgenommene Feststellung einer Gesamt-MdE um 20 v. H. sei insofern nicht haltbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. März 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt aus, Dr. V. habe darauf hingewiesen, langfristig könne als Folge der Bandinstabilität ein dem natürlichen Alterungsprozess vorauseilender, verschleißbedingter Umbau des betroffenen Gelenkes eintreten. Dies führe zu einer Verschlechterung der funktionellen Gebrauchsfähigkeit. Dieser Zustand sei erreicht. Prof. Dr. B. sei wegen der von Dr. V. angesprochenen Instabilität zu einer MdE um 20 v. H. gekommen. Dies sei vom Sozialgericht zutreffend erkannt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Die Beklagte hat zu Unrecht mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2009 die vorläufige Verletztenrente ab 01.07.2009 entzogen und die Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer über den 30.06.2009 hinaus abgelehnt. Zu Recht hat daher das Sozialgericht diese Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 01.07.2009 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.

Rechtsgrundlagen hierfür sind §§ 7, 8, 56 und 62 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach sind Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), das heißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Innerhalb dieses Zeitraums kann der Vomhundertsatz der MdE jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden (§ 62 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet (§ 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII).

Für die Feststellung eines Arbeitsunfalls ist nach den aus diesen gesetzlichen Vorgaben von der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R; BSG, Urteil vom 30.01.2007 - B 2 U 23/05 R; BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R; jeweils zitiert nach juris) entwickelten Grundsätzen erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem Unfallereignis als einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkendem Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Erforderlich ist für die Feststellung von Unfallfolgen, dass längerandauernde Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger auch zur Überzeugung des Senats einen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer über den 30.06.2009 hinaus. Die oben dargelegten Voraussetzungen sind nach den insoweit übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. A., Dr. V. und Prof. Dr. B. gegeben. Auch bedingen die Unfallfolgen eine rentenberechtigende MdE um 20 v. H. Der Senat stützt sich dabei auf die von Prof. Dr. A., Dr. V. und Prof. Dr. B. beschriebenen Befunde. Danach liegen beim Kläger als Folgen der stattgehabten Fraktur des knienahen Schienbeines mit Einbezug des Schienbeinkopfes und der außenseitlichen Gelenkfläche eine eingeschränkte Beugefähigkeit des rechten Kniegelenkes, eine Insuffizienz von Seiten des vorderen Kreuzbandes und eine Minderung der Muskelweichteilmasse des rechten Oberschenkels mit entsprechender Kraftminderung vor.

Hinsichtlich der eingeschränkten Beugefähigkeit beträgt die Einzel-MdE zwischen knapp unter 10 v. H. und 10 v. H.

In den in der unfallmedizinischen Fachliteratur niedergelegten Erfahrungswerten wird bei einem Bewegungsmaß bei Streckung/Beugung von 0/0/120 Grad eine MdE um 10 v. H. vorgeschlagen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 8.10.11, S. 653 und 654). Beim Kläger sind im Bereich der Kniegelenke Bewegungsmaße bei der Streckung und Beugung von 0/0/130 Grad rechts und 0/0/150 Grad links (Prof. Dr. A.), von 0/0/115-125 Grad rechts und 0/0/130-140 Grad links (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T.), von 0/0/120 Grad rechts und 0/0/140 Grad links (Dr. V.) beziehungsweise 0/0/115 Grad rechts und 0/0/130 Grad links (Prof. Dr. B.) dokumentiert. Mithin liegt die Einzel-MdE für die Bewegungseinschränkung angesichts der dokumentierten Bewegungsmaße zwischen 0/0/115 Grad und 0/0/130 Grad rechts vorliegend zwischen knapp unter 10 v. H. und 10 v. H. Eine konkrete Festlegung auf eine MdE um 0 oder 10 v. H. ist angesichts der voneinander abweichend dargelegten Bewegungsmaße, die sogar das nicht unfallverletzte linke Kniegelenk betreffen und mithin die Bandbreite etwaiger Messungenauigkeiten unterstreicht, nicht möglich. In diesem Zusammenhang verfängt die Ansicht der Beklagten, die Bewegungsfähigkeit des rechten Kniegelenkes bewege sich noch im Normbereich, nicht. Es ist zwar zutreffend, dass das Normalmaß bei der Streckung/Beugung 0/0/120-150 Grad beträgt. Allerdings beurteilt sich die MdE nach der unfallmedizinischen Fachliteratur nicht nach einer Abweichung vom Normalmaß sondern danach, ob die Funktionseinschränkung ein Bewegungsmaß von 0/0/120 Grad erreicht. Ein solches Bewegungsmaß ist in der Abschlussuntersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., von Dr. V. und von Prof. Dr. B. dargelegt worden.

Hinsichtlich der Insuffizienz von Seiten des vorderen Kreuzbandes und der Minderung der Muskelweichteilmasse des rechten Oberschenkels mit entsprechender Kraftminderung beträgt die Einzel-MdE 15 v. H.

Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur beträgt die MdE bei einer Lockerung des Kniebandapparates bei muskulärer Kompensierbarkeit 10 v. H. und bei muskulärer Nicht-Kompensierbarkeit 20 v. H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 8.10.11, S. 653 und 654). Im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik ist der Senat nach den insoweit schlüssigen Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. A. und Prof. Dr. B. der Überzeugung, dass eine Instabilität im rechten Kniegelenk vorliegt. Abweichend hiervon hat der Sachverständige Dr. V. zwar nur Zeichen einer graduellen Lockerung betreffend des vorderen Kreuzbandes beschrieben. Die Instabilität ergibt sich aber aus den in den Gutachten ausführlich dargelegten Befunden, insbesondere den Ergebnissen der röntgenologischen und magnetresonanztomographischen Untersuchungen und ist daher nicht rein subjektiv, sondern objektivierbar So hat Prof. Dr. A. eine mediale Aufklappbarkeit und eine diskrete pathologisch auslösbare Schubladenbewegung beschrieben. Dr. V. hat eine leichtgradige Schublade und daher eine Insuffizienz beziehungsweise Instabilität von Seiten des Kreuzbandes dargelegt. Prof. Dr. B. hat eine Lockerung des medialen Seitenbandes, einen positiven Lachmanntest sowie eine positive vordere Schublade festgestellt und auch röntgenologisch eine Lockerung des medialen Bandapparates sowie eine leichte vordere Schublade nachgewiesen. Auch in der Kernspintomographie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik zeigte sich ein nur weitgehend intakter Verlauf der Kreuz- und Kollateralbänder. Gleichzeitig wurde der Verdacht auf eine Teilläsion des Nervus tibialis distal rechts gestellt. Nach Überzeugung des Senats ist diese Instabilität nur als grenzgradig muskulär kompensiert oder mit anderen Worten als nicht ausreichend muskulär kompensiert anzusehen und daher mit einer MdE zwischen 10 und 20 v. H. zu bewerten. Dies ergibt sich aus dem in den Gutachten dargelegten Muskeldefizit mit Kraftminderung. Beim Kläger sind Umfangmaße 20 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 56 cm rechts und 60 cm links (Prof. Dr. A.), von 56,5 cm rechts und 59,5 cm links (Dr. V.) beziehungsweise 55 cm rechts und 58 cm links (Prof. Dr. B.) sowie 10 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes von 45 cm rechts und 48 cm links (Prof. Dr. A.), von 46,5 cm rechts und 48 cm links (Dr. V.) beziehungsweise 44 cm rechts und 46 cm links (Prof. Dr. B.) dokumentiert. Ferner ist die Muskulatur im Vergleich zur Gegenseite um 1/5 bis 2/5 (Prof. Dr. A.) beziehungsweise 2/5 (Prof. Dr. B.) herabgesetzt. Wegen dieses muskulären Defizits 20 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes zwischen 3 und 4 cm sowie 10 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspaltes zwischen 1,5 und 3 cm und der Minderung des Kraftgrades um 1/5 bis 2/5 kann weder von einer muskulär kompensierten noch einer muskulär nicht kompensierten Instabilität auszugehen. Mithin hält der Senat den Ansatz des Sozialgerichts, die hierfür zu beurteilende Einzel-MdE mit 15 v. H. anzunehmen, für zutreffend.

Aus den Einzel-MdE-Werten von zwischen knapp unter 10 v. H. und 10 v. H. für die Bewegungseinschränkung und 15 v. H. für die Instabilität resultiert nach Überzeugung des Senats eine Gesamt-MdE um 20 v. H. Dabei hat der Senat neben der Bewegungseinschränkung und der Instabilität im rechten Kniegelenk auch die vom Kläger glaubhaft angegebene Schmerzhaftigkeit und die insbesondere von dem Sachverständigen Prof. Dr. B. teilweise beschriebenen Gangunsicherheiten berücksichtigt. So muss der Kläger auch nach der schmerztherapeutischen Mitbehandlung während des stationären Heilverfahrens im Frühjahr 2010 weiterhin regelmäßig Voltaren und Pferdesalbe sowie bei Schmerzspitzen Paracetamol einnehmen. Prof. Dr. B. hat damit einhergehend ein deutlich erkennbares Schonhinken rechtsseitig und ein sehr unrundes Gangbild beim Laufen auf der Treppe beschrieben. Selbst beim Entkleiden musste sich der Kläger festhalten. Die Richtigkeit dieser anamnestischen Beobachtungen wird dadurch gestützt, dass es zu der deutlichen Muskelatrophie und Kraftminderung gekommen ist. Gerade deswegen sind die abweichenden Befunderhebungen von Prof. Dr. St. vom 22.04.2010 angesichts der objektiven Schonhaltung der Gliedmaße für den Senat nicht nachvollziehbar.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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