L 5 KR 5245/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 1691/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 5245/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.10.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung von Beiträgen zur Krankenversicherung (KV), die der beigeladene Sozialhilfeträger (Beigeladener zu 1) an die beklagte Krankenkasse gezahlt hat.

Der am 12.04.1970 geborene Kläger bezog in den Jahren 1998 bis 2004 von dem Beigeladenen zu 1 bzw. seinem Rechtsvorgänger (einer kreisangehörigen Stadt) Sozialhilfe. Er war freiwilliges Mitglied der Beklagten (vgl. Bescheid der Beklagten an den Kläger vom 04.05.2000, Akte des Beigeladenen zu 1). Der Beigeladene zu 1 zahlte die Beiträge zur KV direkt an die Beklagte. Zu Grunde lagen jeweils Bewilligungen des Beigeladenen zu 1 an den Kläger (z.B. Bescheid vom 29.05.2001 unter anderem über 303,86 DM KV-Beiträge).

Der Kläger hatte bereits am 22.01.1998 bei der D. (Beigeladene zu 2) Rente beantragt. Diese bewilligte ihm mit Bescheid vom 12.08.2008 rückwirkend ab dem 01.02.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Hiervon unterrichtete sie mit Schreiben vom 12.08.2008 den Beigeladenen zu 1.

Nachdem die Beigeladene zu 2 mitgeteilt hatte, der Kläger sei - wegen der Rentenantragstellung im Jahre 1998 - in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen, teilte ihr der Beigeladene zu 1 unter dem 17.10.2008 mit, er werde diesen Teil seiner Aufwendungen von der Beklagten einfordern. Entsprechend forderte der Beigeladene zu 1 mit Schreiben vom 13.11.2008 die Beklagte zur Erstattung von 9.625,12 EUR auf. Er führte aus, der Kläger sei wegen des Rentenantrags und der Bewilligung pflichtversichert gewesen. In den Jahren 1998 bis 2004 habe er jedoch die Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung des Klägers getragen. Unter dem 19.11.2008 berief sich die Beklagte zunächst auf Verjährung wegen der vor 2004 gezahlten Beiträge. Mit weiterem Schreiben vom 08.01.2009 teilte sie mit, ein etwaiger Erstattungsanspruch stehe nur demjenigen zu, der die Beiträge getragen habe. Dies sei hier ausschließlich der Kläger selbst gewesen. Er habe als freiwilliges Mitglied die Beiträge allein zu tragen gehabt. Dass der Beigeladene zu 1 die Beiträge tatsächlich gezahlt habe, führe nicht zu einem Erstattungsanspruch. Eine Erstattung könne nur an den Kläger erfolgen.

Daraufhin forderte der Beilgeladene zu 1 den Kläger mit Schreiben vom 23.01.2009 auf, seine (etwaigen) Erstattungsansprüche gegen die Beklagte an ihn abzutreten. Auf Nachfrage des Klägers teilte ihm der Beigeladene zu 1 unter dem 13.02.2009 mit, die Erstattungsforderung gegen die Beklagte betrage 9.625,12 EUR; außerdem bestehe eine Erstattungsforderung gegen die Beigeladene zu 2 wegen der Sozialhilfe von 15.420,51 EUR. Der Kläger unterschrieb daraufhin unter dem 17.02.2009 die von dem Beigeladenen zu 1 vorbereitete Abtretungserklärung, setzte aber hinzu, diese Abtretung gelte "nur für den Fall, dass die zu erstattenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 9.625,12 EUR gerichtlich von der Beklagten eingeklagt" würden.

Der Beigeladene zu 1 reichte diese Abtretungserklärung bei der Beklagten ein, die jedoch im Hinblick auf den Zusatz des Klägers eine Erstattung verweigerte. Die Beigeladene zu 1 bat den Kläger daraufhin darum, eine - weitere - Abtretungserklärung ohne Zusatz zu unterschreiben, was dieser jedoch verweigerte.

Am 11.03.2009 hat der Kläger gegen die Beklagte Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Er hatte zunächst Untätigkeit gerügt und geltend gemacht, die Beklagte habe mehrere Anträge, die er gestellt habe, ignoriert. Nachdem ihm die Beklagte mit Schreiben vom 07.04.2009 direkt mitgeteilt hatte, bei ihr lägen keine Anträge vor, der Kläger möge die entsprechenden Unterlagen vorlegen, hat der Kläger - ohne die behauptete Vorkorrespondenz vorzulegen - seine Klage mit Schriftsatz vom 07.04.2009 auf einen Zahlungsantrag umgestellt. Er hat hierzu vorgetragen, die Beklagte habe seit dem 01.02.1998 Beiträge doppelt vereinnahmt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, sie berufe sich nicht mehr auf Verjährung, wohl nachdem sie realisiert hat, dass sie für gleiche Zeiträume tatsächlich doppelt Beiträge erhalten hat. Sie sei bereit, die für den Kläger gezahlten KV-Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung an den Kläger oder den Beigeladenen zu 1 zu erstatten, sobald geklärt sei, wem der Erstattungsanspruch zustehe. Sollte eine solche Klärung nicht kurzfristig möglich sein, beabsichtige sie, die Erstattungssumme unter Verzicht auf die Rücknahme bei der Hinterlegungsstelle des zuständigen Amtsgerichts zu hinterlegen. Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 06.10.2009 den Beigeladenen zu 1 und vom 28.01.2010 die Beigeladene zu 2 notwendig zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene zu 1 hat geltend gemacht, die Erstattungssumme sei nicht an den Kläger auszuzahlen, da er - der Beigeladene zu 1 - die freiwilligen Beiträge im Rahmen der Sozialhilfe übernommen habe. Durch eine Auszahlung an den Kläger käme es bei ihm zu einer ungerechtfertigten Vermögensmehrung. Die Beigeladene zu 2 hat sich dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen und vorgetragen, der Kläger sei auf Grund der Rentengewährung pflichtversichert zur Kranken- und Pflegeversicherung gewesen. Die Beiträge aus der nachträglich gewährten Rente seien an die Krankenversicherung anzuweisen gewesen. Eine Erstattung aus der Rentennachzahlung dürfe nicht erfolgen. Der Beigeladene zu 1 möge sich wegen der Erstattung der von ihm gezahlten Beiträge an die Beklagte wenden.

Mit Bescheid vom 30.07.2010 hob der Beigeladene zu 1 die Bescheide über die Gewährung von Sozialhilfe für die Zeit vom Juli 1998 bis Dezember 2004 auf, soweit dem Kläger darin Leistungen für seine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gewährt worden waren, und forderte den Kläger zur Erstattung der aufgewendeten Beiträge von 9.625,15 EUR auf. Die Aufhebungsentscheidung stützte der Beigeladene zu 1 auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei Einkommen, das den Bedarf des Klägers rückwirkend gedeckt habe. Außerdem sei dem Kläger bewusst, dass die Beiträge zu Unrecht geleistet worden seien. Die Beigeladene zu 1 ordnete in dem Bescheid die sofortige Vollziehung des Erstattungsanspruchs gegen den Kläger an.

Der Kläger beantragte am 06.08.2010 Eilrechtsschutz gegen den Beigeladenen zu 1 bei dem Sozialgericht Stuttgart (S 16 SO 4825/10 ER). In jenem Verfahren teilte der Beigeladene zu 1 mit, er werde den Bescheid vom 30.07.2010 wieder aufheben, wenn der Kläger eine Abtretungserklärung ohne Vorbehalt unterzeichne, weil dann die Beklagte bereit sei, die Beiträge an den Beigeladenen zu 1 zu erstatten. Das SG legte dem Kläger in jenem Verfahren daraufhin nahe, dies zu tun. Der Kläger unterzeichnete nun die von dem Beigeladenen zu 1 vorformulierte Abtretungserklärung erneut und ohne Zusatz und übersandte die Urkunde an das Gericht, wo sie am 20.08.2010 einging. Der Beigeladene zu 1 hob den Bescheid vom 30.07.2010 daraufhin in seinem Schriftsatz an das Gericht vom 26.08.2010 auf. Nachdem der Kläger seinen Antrag auf Eilrechtsschutz gleichwohl nicht für erledigt erklärte, wies ihn das Gericht mit Beschluss vom 17.09.2010 als unzulässig ab.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.10.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, der nunmehr gestellte Antrag des Klägers, die Beklagte zur Zahlung von 15.923,18 EUR nebst Zinsen zu verurteilen, sei unzulässig. Der Antrag könne nicht als isolierte ("echte") Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig sein. Über den geltend gemachten Erstattungsanspruch habe ein Verwaltungsakt zu ergehen. Die Beklagte müsse, bevor der Kläger klagen könne, durch Bescheid über den Erstattungsanspruch entscheiden, da die Parteien in einem öffentlich-rechtlichen Über- und Unterordnungsverhältnis (Subordination) zueinander stünden. Ein solcher Bescheid der Beklagten sei nicht ergangen. Auch als kombinierte Anfechtungs- und ("unechte") Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG sei die Klage unzulässig. Diese Klage setze zunächst voraus, dass ein ablehnender oder nur teilweise stattgebender Verwaltungsakt bereits vorliege, was nicht der Fall sei. Weiterhin müsse vor Erhebung jeder Anfechtungsklage, auch einer Anfechtungs- und Leistungsklage, ein Widerspruchsverfahren stattgefunden haben (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG). Ein solches Widerspruchsverfahren sei bislang nicht durchgeführt. Letztlich sei eine Anfechtungsklage, auch in Verbindung mit einer Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG, nur zulässig, wenn der Kläger beschwert sei (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG). Dies sei dann nicht der Fall, wenn der - hier nicht ergangene - Bescheid des Leistungsträgers offensichtlich rechtmäßig sei, weil der Anspruch, den der Kläger geltend mache, offensichtlich und unter jedem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt nicht bestehe. So liege es hier: Es sei zwar denkbar, dass der Erstattungsanspruch aus § 26 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gegen die Beklagte anfangs dem Kläger zugestanden habe. Nach § 26 Abs. 3 SGB IV könne derjenige Erstattung verlangen, der Beiträge getragen habe. Ein freiwillig Versicherter, wie der Kläger damals, trage nach § 250 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seine Beiträge selbst (so auch LSG Schleswig-Holstein, L 5 KR 7/05 v. 31.05.2006, Juris Rn. 25 mit Hinweis auf BSG, B 12 KR 1/00 R v. 19.12.2000, Juris Rn. 15 [BSGE 87, 228]). Diesen Erstattungsanspruch habe der Kläger jedoch wirksam nach § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 398 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) an den Beigeladenen zu 1 abgetreten. Bereits der ursprüngliche Abtretungsvertrag vom 23.01./17.02.2009 habe zum Übergang des Anspruchs geführt. Es sei ein wirksamer öffentlich-rechtlicher Vertrag nach § 53 Abs. 1 SGB X, und zwar ein Vergleichsvertrag nach § 54 Abs. 1 SGB X, weil der Kläger und der Beigeladene zu 1 uneins darüber gewesen seien, wem von ihnen der Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zustehe. Der Vertrag sei schriftlich geschlossen worden (§ 56 SGB X i.V.m. § 125 Satz 1 BGB), beide hätten die Urkunde unterschrieben. Der Vertrag sei auch nicht - etwa nach § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 138 Abs. 1 BGB - wegen Unbilligkeit unwirksam. Da damals der Beigeladene zu 1 die Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung gezahlt hätte, wäre es vielmehr unbillig gewesen, wenn diese Beiträge jetzt dem Kläger erstattet worden wären. Der Beigeladene zu 1 hätte dann versuchen müssen, sich diese Zahlung von ihm erstatten zu lassen, wie er es mit dem Bescheid vom 30.07.2010 versucht habe. In diesem Fall hätte er das Risiko der Insolvenz des Klägers getragen. Auch § 53 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) stünde der Abtretung nicht entgegen, denn ein Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge nach § 26 Abs. 1 SGB IV, wie hier, sei keine Sozialleistung, sondern ein eigener Zahlungsanspruch. Die Bedingung schließlich, die der Kläger in den ersten Abtretungsvertrag hineingeschrieben hätte, dass nämlich eine Klage gegen die Beklagte auf Erstattung der Beiträge erhoben sei (§ 61 SGB X i.V.m. § 158 Abs. 1 BGB), sei eingetreten; der Kläger selbst habe diese Klage erhoben. Jedenfalls mit der zweiten Abtretungserklärung, die in dem Verfahren vor der 16. Kammer des Gerichts am 20.08.2010 eingegangen sei und die keine Zusätze enthalte, habe der Kläger seine etwaigen Erstattungsansprüche gegen die Beklagte wirksam an den Beigeladene zu 1 abgetreten. Dass auf dieser Urkunde die Unterschrift des Beigeladenen zu 1 fehle, schade nicht (§ 61 SGB X i.V.m. § 151 BGB), die Schriftform sei gleichwohl gewahrt.

Gegen diesen ihm am 19.10.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.11.2010 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt, ohne dies näher zu begründen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid von 15.10.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.923,18 EUR nebst 6 % Zinsen seit dem 01.02.1998 zu zahlen.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie nehmen Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig. Sie lässt insbesondere trotz der fehlenden Unterschrift in ausreichender Weise erkennen, dass sie vom Kläger eingelegt, d.h. von ihm bewusst auf den Weg zum Landessozialgericht gebracht worden ist. Der Kläger hat insbesondere aufgrund der Eingangsverfügung nichts Gegenteiliges mitgeteilt und sein weiteres Schreiben an das Landessozialgericht, dem ein an ihn gerichtetes Schreiben der Beklagten beigefügt war, ebenfalls nicht unterschrieben, sondern wie die Berufungsschrift lediglich mit dem Zusatz "gez. M. St." versehen. Die Berufung ist auch statthaft. Sie wendet sich gegen die Abweisung der auf die Zahlung von 15.923,18 EUR gegen die Beklagte gerichteten Leistungsklage.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klage ist bereits unzulässig. Über die geltend gemachte Erstattung ist durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Die richtige Klageart ist damit ausschließlich die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist jedoch vor Erlass einer Verwaltungsentscheidung und Durchführung des Widerspruchsverfahrens gemäß § 78 Abs. 1 SGG unzulässig. Spätestens der angegriffenen Entscheidung des SG konnte der Kläger entnehmen, dass er zunächst einen Antrag auf Erstattung bei der Beklagten stellen muss. Dennoch wurde das Verwaltung- und Vorverfahren nicht nachgeholt, so dass es bei der Unzulässigkeit der Klage bleibt. Auf eine Nachholung hinzuwirken bestand angesichts der Aussichtslosigkeit und Mutwilligkeit des klägerischen Begehrens kein Anlass.

Weiterhin verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG hinsichtlich der Erklärung vom August 2010 auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung und sieht von einer weiteren eigenen Begründung ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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