Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 5168/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3336/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe (SG), mit dem eine Infektionskrankheit des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannt worden ist.
Der am 14.08.1956 geborene Kläger ist in seiner Berufstätigkeit als Sortierer, Maschinenführer und Radladerfahrer bei einem Abfallverwertungsunternehmen seit dem 01.10.1991 bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert, wobei er bei seinem Arbeitgeber seit mindestens 2002 freigestellter Betriebsrat ist. Im Anschluss an eine Gallenblasenoperation Ende 2007 wurde bei dem Kläger am 11.04.2008 eine Infektion mit dem Virus HIV-1 diagnostiziert (Bericht der Hämatologin und Infektiologin Dr. Z. vom 16.05.2008). Unter dem 11.08.2008 zeigte der Zeuge Dr. R., Arzt für Inneres und Betriebsarzt für den Arbeitgeber des Klägers, der Beklagten den Verdacht auf eine BK an. Er führte aus, die Infektion des Klägers sei auf Müllsortierarbeiten mit Verletzungsrisiko durch blutige Infektionsnadeln zurückzuführen, mit denen der Kläger seit 1991 betraut sei. Gegenüber Dr. Z. habe der Kläger sexuelle Kontakte zu Männern generell und für die letzten acht Jahre jegliche sexuelle Kontakte verneint.
Unter dem 08.09.2008 teilte der Kläger mit, er habe 1993 eine Nadelstichverletzung erlitten und sei zur Behandlung ambulant im Krankenhaus gewesen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte Zeuge Dr. R. mit, die Verletzung von 1993 sei nicht im Verbandbuch dokumentiert, er – der Zeuge – könne sich jedoch noch gut an sie erinnern. Er sehe einen Zusammenhang zwischen jener Stichverletzung und der Infektion. Das Krankenhaus bestätigte unter dem 23.09.2008 die damalige Behandlung. Es wurden zwei Protokolle über Sitzungen des Arbeitssicher-heitsausschusses des Arbeitgebers vom 23.02.1994 und 18.04.1996 vorgelegt, auf denen – unter Beteiligung des Klägers als Betriebsrat und des Zeugen Dr. R. als Betriebsarzt – anlässlich des Vorfalls aus dem Jahre 1993 Infektionen durch Stichverletzungen bei der Abfallsortierung behandelt worden waren. Außerdem teilte Dr. R. mit, bei ihm seien noch tiefgefrorene Serumasservate aus Blutproben des Klägers aus den Jahren 1992 bis 2005 vorhanden.
Die Beklagte veranlasste die Untersuchung dieser Asservate durch den Zeugen Dr. R ... Dieser teilte unter dem 03.02.2009 mit, dass die Blutproben vom 30.06.1992, 02.12.1993, 13.07.1995, 12.11.1996, 10.11.1998, 27.11.2000 und 14.05.2003 negativ getestet worden seien, sich jedoch in der zuletzt asservierten Probe vom 03.06.2005 das HI-Virus habe nachweisen lassen. Dr. R. teilte ferner mit, nach Angaben des Klägers sei es zu weiteren Stichverletzungen gekommen, zuletzt im Dezember 2008. Ferner zog die Beklagte Befundberichte bei. Aus diesen ergab sich, dass bei einer Blutuntersuchung im August 1998 keine HIV-Infektion festgestellt worden war.
Die Beklagte beauftragte ihren Präventionsdienst (PD) mit Ermittlungen beim Arbeitgeber. Der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) des PD, L., besichtigte den Betrieb am 05.03.2009 und befragte den Kläger sowie die Zeugen K., den Betriebsleiter, und W., Fachkraft für Arbeitssicherheit. In seinem Bericht vom 06.03.2009 führte TAB L. aus, der Kläger werde auch als freigestellter Betriebsrat als Springer bei der Müllsortierung eingesetzt, und zwar im Durchschnitt an ein bis zwei Tagen pro Woche. Nach den Ergebnissen der Serumuntersuchungen durch Dr. R. müsse die Infektion zwischen dem 14.05.2003 und dem 03.06.2005 stattgefunden haben, damit scheide die Verletzung 1993 aus. Der Kläger habe jedoch angegeben, er ziehe sich zwei- bis fünfmal im Monat eine Stichverletzung zu, nicht immer an Spritzen. Bei dem Arbeitgeber sei vorgeschrieben, dass Mitarbeiter nach einer solchen Verletzung nach Möglichkeit die Spritze sicherstellten, sich danach beim Schichtführer meldeten, dieser das Ereignis in das Verbandbuch eintrage und der verletzte Mitarbeiter bei Bedarf ins Krankenhaus fahre oder gefahren werde. Für den fraglichen Zeitraum nenne das Verbandbuch Stichverletzungen bei – anderen – Mitarbeitern, jedoch nicht für den Kläger. Hierzu befragt, habe der Kläger mitgeteilt, es werde auch schon einmal vergessen, Ereignisse in das Verband¬buch einzutragen. Bei dem Arbeitgeber würden auch Abfälle des Dualen Systems, also im wesentlichen Verpackungen, verarbeitet. An diesem System seien auch Krankenhäuser und Arztpraxen angeschlossen. Außerdem würden Wertstoffe aus öffentlichen Behältern, etwa von Autobahnparkplätzen, angeliefert. Die Sortierbänder seien gut beladen und unübersichtlich. Es würden zwar seit eh und je Handschuhe getragen, hierbei handle es sich jedoch nur um Gartenhandschuhe mit Noppen, die mindestens doppelt getragen würden. Auf Nachfrage habe der Kläger die Gabe von Blutkonserven und ungeschützten Geschlechtsverkehr mit unbekannten Personen verneint.
Unter Auswertung der medizinischen Unterlagen und des Berichts von TAB L. kam der PD in seiner Stellungnahme vom 01.04.2009 zu der Einschätzung, der Kläger sei bezüglich der HIV-Infektion nicht im Sinne der BK 3101 exponiert und gefährdet gewesen. Unter Berücksichtigung der diagnostischen Lücke bei HIV-Infektionen und der Daten der asservierten Blutproben ergebe sich ein Zeitfenster vom 14.02.2003 bis zum 03.06.2005 für die Infektion. Eine Nadelstichverletzung bei der Tätigkeit liege im Bereich des Möglichen. Das Verbandbuch des Arbeitgebers dokumentiere zwischen dem 09.01.2003 und dem 16.03.2009 (74 Monate) insgesamt 72 Nadelstichverletzungen bei anderen Mitarbeitern, bei einigen mehrfach. Die Quote sei durchaus hoch. Angesichts mancher Mitarbeiter, die sich nach dem Verbandbuch fast jährlich einmal gestochen hätten, sie die Verletzungsquote möglicherweise mit der im Gesundheitsdienst vergleichbar. Unterstelle man eine gewisse Dunkelziffer nicht gemeldeter oder nicht eingetragener Stichverletzungen, sei der Kläger theoretisch einem Stichverletzungsrisiko ausgesetzt gewesen. Die bei der Nachschau vorgelegten Gartenhandschuhe seien keine ausreichende Schutzmaßnahme. Problematisch sei auch die Verwertung von Abfällen aus Krankenhäusern, Praxen und öffentlichen Wertstoffbehältern zu bewerten. Dort sei von einer schlechteren Abfalltrennung mit etlichen Fehlwürfen und u.U. einer erhöhten Spritzenanzahl auszugehen. Weiterhin sei zu erwähnen, dass der Kläger konkurrierende Risiken, darunter ungeschützten Geschlechtsverkehr und Drogengebrauch, verneine. Eine Reihe von Umständen spreche (jedoch) gegen eine beruflich bedingte Infektion. So sei der Kläger im fraglichen Zeitraum nur an ein bis zwei Tagen in der Anlage als Springer tätig gewesen, wobei er hierbei nicht nur am Sortierband, sondern auch als Radladerfahrer und anders eingesetzt gewesen sei. Insofern sei sein Risiko bedeutend niedriger als das eines Bandarbeiters. Auch hätten HI-Viren eine ausgesprochen kurze Überlebenszeit. Nach den zeitlichen Vorgaben bei der Abfallabholung seien die verarbeiteten Abfälle bei Ankunft in der Anlage zwischen einem Tag und 14 Tagen alt, durchschnittlich acht Tage. Sollten unwahrscheinlicherweise mit den Wertstoffen HIV-infektiöse Blutreste auf das Sortierband gekommen sein, so müssten diese aktiv per Injektion in das Gewebe übertragen worden sein. Dies sei zwar arbeitstechnisch nicht ausgeschlossen, aber als hypothetisch einzustufen. Die HIV-Infektion bei Nadelstich habe nach (konkret zitierter) medizinischer Literatur, auf die verwiesen wird, eine Wahrscheinlichkeit von 0,3 %, wenn eine Spritze frisch benutzt worden sei. Diese Wahrscheinlichkeit verringere sich erheblich, wenn das Blut älter sei und nicht gesichert sei, dass es HI-Viren enthalte.
Unter dem 30.04.2009 sprach sich der Staatliche Gewerbearzt gegen die Anerkennung der Infektion des Klägers als BK aus.
Mit Bescheid vom 26.05.2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Infektionskrankheit als BK 3101 und die Gewährung von Leistungen ab. Die Anerkennung dieser BK setze voraus, dass der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit in ähnlichem Maße einer Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Der Kläger sei als Sortierer in einer Abfallverwertungsanlage nicht in gleichem Maße infektionsgefährdet gewesen. Er sei nicht in einem Umfang mit Krankheitserregern in Berührung gekommen wie das Pflegepersonal eines Krankenhauses.
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er sei in der fraglichen Zeit wochenweise als Springer für Tätigkeiten der Abfallsortierung und als Radladerfahrer eingesetzt gewesen. Er habe regelmäßig Urlaubs- und Krankheitsvertretungen durchgeführt. Er sei, als er mit der Nadelstichverletzung 1993 im Krankenhaus gewesen sei, dort nicht ernst genommen worden; daraufhin habe er bei den späteren Stichverletzungen das Krankenhaus nicht mehr aufgesucht. Nadelstichverletzungen aller Mitarbeiter seien oft nicht in das Verbandbuch eingetragen worden. Es treffe auch nicht zu, dass in den Nadeln keine lebenden Viren mehr vorhanden seien. Der Müll habe auch größere, luftdicht geschlossene Kanülen umfasst, in denen noch Blut gewesen sei. Bei der Sortiertätigkeit komme es vor, dass die Nadeln in die Haut gestochen würden und dabei gleichzeitig Druck auf den Kolben ausgeübt werde, sodass es zu einer Injektion komme.
Die Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 06.11.2009. Sie führte ergänzend aus, in dem fraglichen Zeitraum sei keine Verletzung des Klägers im Verbandbuch dokumentiert.
Der Kläger hat am 13.11.2009 Klage zum SG erhoben. Er hat ergänzend vorgetragen, er habe in seiner sonstigen Lebensführung weder durch Bluttransfusionen noch durch sonstige Gegebenheiten Kontakt zu Risikofaktoren gehabt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ergänzend vorgebracht, bei der notwendigen Gesamtwürdigung der das Arbeitsumfeld und die versicherte Tätigkeit betreffenden Risikobereiche Durchseuchungsgrad und Übertragungsgefahr ergebe sich im Falle des Klägers keine Infektionsgefahr, die in besonderem Maße über die allgemeine Infektionsgefahr der Gesamtbevölkerung hinausgehe. Zu berücksichtigen sei auch, dass dem Kläger als Betriebsrat und Beteiligter an den Sicherheitsausschüssen und wegen der Nadelstichverletzung aus dem Jahre 1993 bekannt gewesen sei, dass alle Verletzungen in das Verbandbuch einzutragen seien. Da im fraglichen Zeitraum keine Eintragungen vorlägen, müsse unterstellt werden, dass der Kläger Nadelstichverletzungen nicht erlitten habe.
Das SG hat den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2011 und auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.
Mit Urteil vom 29.06.2011 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.11.2009 aufgehoben und festgestellt, dass die HIV-Infektion des Klägers eine BK nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV ist. Das SG hat ausgeführt: Grundsätzlich setze eine BK voraus, dass der Versicherte bei seiner Tätigkeit Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem ausgesetzt gewesen sei, die eine Krankheit verursacht hätten, wobei für den Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung und der Krankheit hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreiche. Bei der BK 3101 trete wegen der Nachweisschwierigkeiten für konkrete Infektionsvorgänge das Merkmal der Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen. Diese sei im Vollbeweis nachzuweisen. Die Infektionsgefahr müsse gegenüber der Gesamtbevölkerung erhöht sein. Eine solche besondere Gefahrenexposition könne sich auf Grund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit und der Übertragungs¬gefährlichkeit der Verrichtungen ergeben. Hierbei seien die individuellen Arbeitsvorgänge zu beachten. Die Durchseuchung und die Übertragungsgefahr ständen in Wechselbeziehung zuei¬nander. An den Grad der Durchseuchung könnten geringere Anforderungen gestellt werden, wenn die spezifischen Arbeitsbedingungen gefährdender seien. Dagegen erlange das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung, je weniger die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko einer Infektion behaftet seien. Im Falle des Klägers sei nicht mehr zweifelsfrei festzustellen, ob und in welchem Umfange von Februar 2003 bis Mai 2005 die angelieferten Abfälle, insbesondere der Krankenhäuser und Arztpraxen, Blutbestandteile mit noch nicht abgestorbenen HI-Viren enthalten hätten. Einzelne Müllobjekte ließen sich keinen konkreten Praxen mehr zuordnen, die über die Anzahl ihrer HIV-infizierten Patienten Auskunft geben könnten. Allerdings lasse sich nicht ausschließen, dass der Durchseuchungsgrad der bei dem Arbeitgeber des Klägers entsorgten Abfälle von Kranken¬häusern und Arztpraxen gegenüber der Allgemeinbevölkerung höher gewesen sei. Jedoch habe bei dem Kläger nach Art, Häufigkeit und Dauer seiner Tätigkeit und unter Berücksichtigung des Übertragungsmodus von HI-Viren eine in besonderem Maße erhöhte Infektionsgefahr bestanden. Nach dem Verbandbuch des Arbeitgebers hätten sich von 2003 bis 2009 am Sortierband Be¬schäftigte im Schnitt einmal pro Monat Nadelstichverletzungen zugezogen. In Übereinstimmung mit dem PD der Beklagten sei auch von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen. Der Kläger selbst habe mehrfach glaubhaft angegeben, Stichverletzungen erlitten zu haben. Zwar sei nicht in Frage zu stellen, dass die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion per Nadelstich nur 0,3 % betrage. Jedoch lasse sich ein besonderes Infektionsrisiko nicht ausschließlich mit statistischen Erkenntnissen verneinen. Die Gefahr beim Sortieren medizinischer Abfälle liege deutlich über derjenigen der Gesamtbevölkerung. Diese erhöhte Gefahr habe auch mit Wahrscheinlichkeit die Infektion des Klägers verursacht. Andere Infektionsquellen ließen sich nicht nachweisen. Der Kläger habe in der Verhandlung auf eingehende Befragung wiederholend dargelegt, keine Kontakte zu Männern und seit seiner Scheidung vor acht Jahren keine sexuellen Kontakte gehabt zu haben. Diese Angabe sei glaubhaft, auch weil sie der Kläger bereits Anfang 2008 auf Anfrage des seinerzeit ausschließlich unter medizinischen Gesichtspunkten fragenden Hämatologen gemacht habe.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 13.07.2011 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 05.08.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie vertieft ihre Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Während andere Mitarbeiter regelmäßig Stichverletzungen im Verbandbuch dokumentiert hätten, sei dies bei dem Kläger, der in beson-derem Maße um die Notwendigkeit solcher Eintragungen gewusst habe, nicht der Fall. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der BK sei allenfalls möglich, nicht aber wahrscheinlich. Die besondere Infektionsgefährdung müsse unter den konkreten Bedin-gungen der individuellen Tätigkeit festgestellt werden. Die bloße Zugehörigkeit zu einer generell gefährdeten Gruppe reiche nicht aus. Eine solche erhöhte Gefahr liege hier in dem maßgeblichen Zeitfenster nicht vor. Der Kläger sei nur an ein bis zwei Tagen zeitweise am Sortierband eingesetzt gewesen. In dem Betrieb seien grundsätzlich nur Wertstoffe des Dualen Systems verwertet worden. Nur durch Fehlwürfe in Krankenhäusern und Arztpraxen seien auch Spritzen in den Abfall gelangt, an denen möglicherweise auch HIV-belastetes Blut angehaftet habe. Vor diesem Hintergrund sei der notwendige Vollbeweis einer erhöhten Infektionsgefahr nicht geführt. Auch das SG habe in dem angefochtenen Urteil lediglich ausgeführt, es lasse sich nicht ausschließen, dass eine erhöhte Infektionsgefahr vorgelegen habe. Dies reiche eindeutig nicht aus.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Der Berichterstatter des Senats hat zunächst den Kläger erneut persönlich sowie TAB L. von der Beklagten persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. und W ... Der Zeuge K. hat bekundet, in den angelandeten Abfallmengen seien bis zu 30 % Restmüll als Fehlwürfe enthalten. Die maschinelle Vorsortierung im Betrieb sei vor einigen Jahren noch nicht derart ausgebaut gewesen wie heute. Es seien nur metallhaltige Abfälle automatisch herausgeholt worden. Der Rest sei per Hand am Band sortiert worden. Es sei das Problem bekannt, dass es Fehlwürfe in Krankenhäusern und Arztpraxen gebe. Der Betrieb sei bereits über den Abfallwirtschaftsdienst des zuständigen Landkreises auf die Kliniken zugegangen und habe auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Im Betrieb sei anweisungsgemäß jede Stichverletzung zu melden. An Schutzvorrichtungen gebe es – seit zwei oder drei Jahren – zwei Arten dicker Hand¬schuhen, die durchgängig getragen würden. Die früher verwendeten Gartenhandschuhe gebe es nicht mehr. Der Zeuge W. hat angegeben, er sei von 2006 bis 2010 Sicherheitsbeauftragter für den fraglichen Betrieb gewesen. Er hat weitere Angaben zu den verwendeten Handschuhen gemacht. Er sei bei Bagatellunfällen nicht informiert worden. Er wisse um Verletzungen, die überwiegend Schnitt-, aber auch Stichverletzungen gewesen seien. Es sei eine sofortige Meldung an den Schichtführer vorgeschrieben, dieser müsse jeden Vorfall ins Verbandbuch eintragen. Ihm – dem Zeugen – sei aus keiner der von ihm betreuten Anlagen bekannt, dass derartige Meldungen oder Eintragungen unterblieben seien. Er könne aber nicht ausschließen, dass Mitarbeiter kleinere Vorfälle wie ein Anschlagen des Schienbeins nicht oder verspätet meldeten. TAB L. hat Angaben zum Betriebsablauf und zur Ausstattung in der fraglichen Anlage gemacht, die er seit 1998 kenne. Wegen der weiteren Angaben des Klägers und der genannten Zeugen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 05.10.2011 Bezug genommen.
Der Kläger hat aktuelle Fotografien der Sortieranlage und zwei Aktennotizen aus dem Betrieb vom 09.12.1994 und vom 11.02.2003, nach denen angelandeter medizinischer Müll zwei konkreten Arztpraxen zugeordnet werden konnte und dies den beiden Ärzten vorgehalten worden war, zur Akte gereicht. TAB L. hat eine Kopie des Verbandbuchs des Betriebs mit 465 Eintragungen aus der Zeit vom 02.06.2003 bis zum 16.03.2009 vorgelegt. Auf diese Bilder und Urkunden wird wegen ihres Inhalts verwiesen.
Auf Anfrage des Senats hat der Arbeitgeber die elektronisch geführten Schicht- und Einsatzpläne des Klägers aus der Zeit vom 01.01.2003 bis zum 30.06.2005 vorgelegt und mitgeteilt, der Kläger sei in dieser Zeit als freigestellter Betriebsrat tätig gewesen und habe bei Bedarf auch in der Sortieranlage und als Radladerfahrer im Außendienst ausgeholfen. Die Zeiten des Klägers in der Sortieranlage und im Außendienst seien einheitlich als "Anwesenheitsstunde" erfasst, eine genauere Differenzierung sei nicht möglich.
Auf Antrag des Klägers hat der Berichterstatter des Senats weiteren Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen F., G., H. und Dr. R ... Der Zeuge F. hat bekundet, er sei von 1993 bis 2007 Betriebsleiter der fraglichen Anlage gewesen. Zu Beginn seiner Tätigkeit habe es häufiger als später Vorfälle gegeben, in denen medizinischer Abfall in den angelandeten Wertstoffen gelegen habe. Man habe dann versucht, die Urheber zu ermitteln, was teilweise gelungen sei. Er könne sich Abfälle aus einem bestimmten Klinikum und einem bestimmten Dialysezentrum erinnern. Später sei der Anteil medizinischer Abfälle auf vielleicht ein Zehntel des ursprünglichen Anteils zurückgegangen. Der Zeitpunkt, an dem dieses Problem mehr oder minder im Griff gewesen sei, habe etwa im Jahre 2004 gelegen. Zu Beginn seiner – des Zeugen – Tätigkeit sei das Verbandbuch mangelhaft geführt worden, aber dies habe sich verbessert. Konkret seien in den Abfällen Spritzen und auch Kanülen gewesen, die zum Teil noch mit Blut beklebt gewesen seien. Es habe auch Blutbeutel gegeben, an denen zum Teil noch die Schläuche gehangen hätten. An Operationsbestecke oder Medikamente könne er sich nicht erinnern. Der Kläger habe in der Zeit von 1993 bis 2007 drei oder vier Mal derartige Verletzungen gehabt. Es seien in jedem Fall mehrere Vorfälle gewesen. Wenn Eintragungen im Verbandbuch unterblieben seien, habe dies auf einem Fehlverhalten der Schichtführer beruht oder der betreffende Mitarbeiter habe die Verletzung nicht gemeldet. Wegen der Eintragungen habe möglicherweise eine Schwachstelle bei den Ersatzschichtführern bestanden, die die Zeugen G. und H., die eigentlichen Schichtführer, während Urlaubs oder Krankheit vertreten hätten. Die Zeugen G. und H. haben zu der Ausgestaltung der Sortierbänder und der Arbeit an ihnen und zur Führung des Verbandbuchs ausgesagt. Der Zeuge Dr. R. hat mitgeteilt, er sei seit 1990 Betriebsarzt der Anlage. Es habe von Anfang an Probleme mit medizinischem Abfall gegeben. Der Anteil solcher Abfälle habe seit Anfang der 1990-er Jahre zunächst sogar zugenommen. Man sei dann über den Kreis an die Krankenhäuser und Ärzte herangetreten. Auch er selbst habe als niedergelassener Arzt ein derartiges Anschreiben des Landkreises erhalten. Es sei dann im Laufe der Zeit besser geworden, vielleicht auch deswegen, weil sich die Beteiligten an die Müllsortierung gewöhnt hätten. Gleichwohl gebe es auch heute noch medizinische Abfälle in den Wertstoffen und auch Stichverletzungen. Gerade eine Woche zuvor habe er – der Zeuge – in seiner Ambulanz eine Kanülenverletzung aus der fraglichen Anlage behandelt. Er halte es für möglich, dass man sich bei einer Stichverletzung in der Anlage infizieren könne. Die häufigste Infektion sei Hepatitis B, dagegen seien alle Mitarbeiter der Abfallverwertung geimpft. Danach folge Hepatitis C und sodann HIV. Er könne sich vorstellen, dass es zu einer Infektion auch dann komme, wenn ein Mitarbeiter Blutver¬schmiertes anfasse, wenn er z. B. eigene Verletzung auch kleinerer Art an der Haut habe, wenngleich grundsätzlich eine penetrierende Verletzung mit Blutkontakt notwendig sei. Ihm seien die Studien bekannt, die insoweit nur eine geringe Infektionsquote nennten. Dies seien jedoch nur statistische Werte. Solche geringen statistischen Werte seien auch aus anderen Bereichen bekannt, etwa Krankenhäusern, gleichwohl komme es – auch in seinem Bereich – vor, dass sich manche Krankenschwestern nie stächen und andere häufiger als statistisch zu erwarten sei. An die Verletzung des Klägers im Jahre 1993 könne er – der Zeuge – sich noch erinnern. Sie sei Grund für Gespräche im Sicherheitsausschuss gewesen. Wegen der Aussagen dieser Zeugen im Einzelnen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 03.02.2012 Bezug genommen.
Der Kläger hat einen zwischenzeitlich gestellten Beweiserhebungsantrag, die konkreten Schichtberichte der fraglichen Zeit beizuziehen, nicht aufrecht erhalten, nachdem der Arbeitgeber telefonisch mitgeteilt hatte, es handle sich hierbei um Dutzende Leitz-Ordner und die Angaben der Schichtberichte gingen nicht über die Angaben der bereits vorgelegten elektronisch geführten Schicht- und Einsatzpläne hinaus.
Der Senat hat den Kläger weiterhin persönlich zu anderen möglichen Infektionsursachen in der fraglichen Zeit angehört. Wegen der Angaben des Klägers hierzu wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 18.04.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Diese war als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Insbesondere konnte der Kläger nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unmittelbar auf eine gerichtliche Feststellung einer BK klagen. Er war nicht auf eine bloße Verpflichtung der Beklagten zu einer entsprechenden behördlichen Feststellung beschränkt. Die Klage war auch begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass die HIV-Infektion des Klägers, die zweifellos eine Krankheit darstellt, eine BK im Sinne des Unfallversicherungsrechts ist. Entsprechend war der angefochtene Bescheid der Beklagten, der eine gegenteilige Feststellung getroffen hatte, aufzuheben.
a) Die begehrte Feststellung richtet sich bereits nach den Vorschriften des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) und nicht mehr nach dem früher geltenden § 551 Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die Infektion des Klägers erst Anfang 2008 festgestellt worden ist und das SGB VII zum 01.01.1997 in Kraft getreten war (vgl. § 212 SGB VII, Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungs¬gesetz [UVEG]).
Eine BK ist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII eine Krankheit, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können ("Listen-BK"). Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung mit der BKV Gebrauch gemacht.
Gemäß den Vorgaben der Ermächtigungsgrundlage im SGB VII lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, Juris Rn. 12). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrschein-lichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urt. v. 27.06.2006, B 2 U 20/04 R, Juris Rn. 15).
Die Bundesregierung hat die BK 3101 wie folgt bezeichnet: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war". Da sich bei dieser BK der Ansteckungsvorgang im Nachhinein häufig nicht mehr feststellen lässt, tritt an die Stelle der "Einwirkungen" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII eine erhöhte Infektionsgefahr. Ob der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden "Infektionsgefahr in besonderem Maße" ausgesetzt war, hängt einerseits von der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, d.h. der kontaktierten Personen sowie der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist, und andererseits von der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ab, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen bestimmt. Da für die Anerkennung der BK 3101 nicht eine schlichte Infektionsgefahr genügt, sondern eine (z.T. typisierend nach Tätigkeitsbereichen) besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt wird (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII), kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind (zu allem BSG, Urt. v. 02.04.2009, B 2 U 33/07 R, Juris Rn. 11 ff.). Anhaltspunkte für das Maß der Durchseuchung oder der Übertragungsgefahr ergeben sich hierbei aus einem Vergleich der angeschuldigten Tätigkeit mit den drei konkreten Tätigkeiten im Gesundheitsdienst, in der freien Wohlfahrtspflege und in Laboratorien, die in Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV genannt sind. Allerdings ist dem SG darin beizutreten, dass eine Gesamtbetrachtung nötig ist. Es kommt nicht darauf an, dass allein die Durchseuchungsrate oder die Übertragungsgefahr oder beide Parameter ähnlich hoch sind wie in den Vergleichs¬tätigkeiten. Beide Parameter stehen in Wechselwirkung. Bei einer besonders hohen Durch¬seuchungsrate kann eine normale oder nur leicht erhöhte Übertragungsgefahr ausreichen und umgekehrt.
Zum Beweismaß hat das BSG (a.a.O., Rn. 12) ausgeführt, die erhöhte Infektionsgefahr müsse im Vollbeweis gesichert sein. Ist dies der Fall, so greift als weitere Erleichterung für den Versicherten die Beweislastumkehr des § 9 Abs. 3 SGB VII ein: Wenn in einem solchen Fall bei einem Erkrankten außerdem Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden können, wird vermutet, dass die bestehende Infektionskrankheit infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist. In diesem Fall obliegt die (materielle) Beweislast dafür, dass die konkret vorhandene Infektionskrankheit doch nicht durch die erhöht gefährliche Tätigkeit verursacht worden ist, dem Unfallver-sicherungsträger. Ein solcher Gegenbeweis wäre etwa dann geführt, wenn feststände, dass der konkret verursachende Virusstamm nicht derjenige ist, der in dem gefährdenden Umfeld vorhanden ist. Ferner steht es einem Unfallversicherungsträger frei, mögliche andere Ursachen der konkreten Infektion außerhalb der versicherten Tätigkeit zu ermitteln, um auf diese Weise die Grundlagen der Vermutung in § 9 Abs. 3 SGB VII zu erschüttern und die Beweislastumkehr zu verhindern.
b) Bei dem Kläger bestand zunächst eine abstrakt erhöhte Infektionsgefahr, wie sie nach der Rechtsprechung des BSG in einem ersten Schritt festzustellen ist.
aa) In der Rechtsprechung sind vereinzelt Konstellationen zu prüfen gewesen, in denen Versicherte eine Infektionskrankheit auf Kontakt mit Abfällen, Müll oder Abwasser zurückgeführt haben. Dort wurde überwiegend eine abstrakte erhöhte Gefährdung bejaht. So hat das BSG (a.a.O., Rn. 18) im Falle eines an Hepatitis C erkrankten Müllarbeiters, der in zwei für ihre Drogenszene bekannten Stadtteilen eingesetzt war, ausgeführt, das Entleeren öffentlicher Abfallbehälter und Zusammenpressen von Müllbeuteln in Ortsbereichen, in denen Drogen-abhängige sich gehäuft zum Drogenkonsum aufhalten und die von ihnen benutzten Spritzen ent¬sorgen, gehe mit einer Ansteckungsgefahr einher, weil innerhalb der Gruppe der Drogen-abhängigen die Durchseuchung (mit HCV) überdurchschnittlich hoch sei, das HCV auch außerhalb des menschlichen Körpers in Blutresten über einen Zeitraum von mehreren Tagen überlebensfähig sei und eine Nadelstichverletzung, insbesondere mit einer Hohlnadel, ein geeigneter Übertragungsweg sei, der ein besonders hohes Übertragungsrisiko beinhalte, da hier regelmäßig der Transfer relativ großer Mengen menschlichen Blutes möglich sei. Das LSG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 08.09.2011, L 3 U 287/09, Juris Rn. 30) hat zu einer Hepatitis-B-Infektion eines Bedürfnisanstaltsreinigers, der ebenfalls mit Fixerbestecken und anderen Drogenutensilien in Kontakt gekommen war, ausgeführt, das nasse und trockene Reinigen öffentlicher Bedürfnisanstalten sowie die damit verbundene Aufnahme und Entsorgung des Mülls einschließlich der darin befindlichen Spritzennadeln in normalen Müllbeuteln in Ortsbereichen, in denen Drogenabhängige sich gehäuft zum Drogenkonsum aufhielten und die von ihnen benutzten Spritzen entsorgten bzw. liegen ließen, gehe mit einer (abstrakten) Ansteckungsgefahr einher. Dagegen hat das LSG für das Saarland einen Feststellungsanspruch eines an Hepatitis B erkrankten Klärwerksarbeiters, der bei seiner Tätigkeit im Wesentlichen mit Klärschlamm, aber auch mit in die Kanalisation gelangten Abfällen konfrontiert war, eine erhöhte Infektionsgefahr verneint (Urt. v. 04.07.2007, L 2 U 137/05, Juris Rn. 33), wobei sich aus den Gründen dieses Urteils ergibt, dass das LSG das konkret erhöhte Gefährdungsniveau verneint hat.
bb) Für die Tätigkeit eines Müllsortierers in einer Abfallverwertungsanlage wie im Falle des Klägers geht der Senat entsprechend der zitierten Rechtsprechung zu verwandten Berufen von einer abstrakt erhöhten Infektionsgefahr aus, weil sich in den zu entsorgenden Stoffen Viren befinden können, sei es durch medizinische Abfälle, benutzte Spritzen oder anderes Werkzeug von Drogenkonsumenten oder einfach durch den Müll Erkrankter.
Nach den Feststellungen in diesem Verfahren und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass sich – vor allem in den Jahren bis 2004 – in den beim Arbeitgeber des Klägers angelandeten Wertstoffen medizinische Abfälle mit Blutanhaftungen und zum Teil auch flüssigem Blut befunden haben. Das Problem dieser Fehlwürfe war seit Anfang der 1990-er Jahre bekannt. So war auch eine Stichverletzung des Klägers selbst im Jahre 1993 war Anlass für mehrere Gespräche in dem für den Arbeitgeber zuständigen Arbeitssicherheitsausschuss. Dies ergibt sich aus den vorgelegten Protokollen, den Angaben des Klägers und auch der Aussage des Zeugen Dr. R ... Dieser Zeuge hat auch bestätigt, dass damals der zuständige Entsorgungsträger., Kliniken und Ärzte – darunter den Zeugen – angeschrieben und auf das Problem aufmerksam gemacht hat. Der Kläger konnte zwei Aktenvermerke über medizinische Abfälle, die konkreten Ärzten zugeordnet werden konnten, vorlegen. Alle Zeugen, die zur Zusammensetzung des Mülls Angaben machen konnten, haben medizinische Abfälle bestätigt. Der Zeuge K. hat von Untersuchungen berichtet, nach denen bis zu 30 % Restmüll als Fehlwürfe in den Abfällen vorhanden gewesen sei. Er hat auch konkret von Spritzen, Kanülen und Blutbeuteln berichtet, dagegen das Vorhandensein von Medikamenten oder OP-Bestecken verneint. Der Zeuge F. konnte ebenfalls konkrete Angaben zu solchen medizinischen Abfällen machen. Er war es auch, der eine deutliche Verringerung dieser Fehlwürfe etwa mit dem Jahre 2004 mitteilen konnte, also erst zu einem Zeitpunkt, der schon in dem hier relevanten Zeitfenster für die Infektion des Klägers lag. Der Kläger hat aktuelle Fotos aus der Sortieranlage vorgelegt, auf denen ein Blutbeutel zu erkennen ist. Da dieser offensichtlich benutzt ist, geht der Senat davon aus, dass die auf dem Foto zu sehende Szene nicht gestellt ist, sondern tatsächlich angelandeten Abfall zeigt. Auch die Schilderungen des Klägers selbst von der Ausstattung am Band, die der Zeugen K. und TAB L. bestätigt haben, ergibt eine erhöhte konkrete Infektionsgefahr. Lange Zeit wurden nur metallische Abfälle automatisch herausgefischt, die restlichen Abfälle, zu denen auch medizinischer Müll gehört, gelangten auf das Sortierband. Der Kläger hat anschaulich und daher glaubhaft von einer Siebtrommel berichtet, aus der mehrfach in den Jahren seiner Tätigkeit Spritzen oder andere spitze Gegenstände hinausstaken. Erst in jüngerer Zeit, jedenfalls nach dem hier relevanten Zeitfenster, wurden weitere automatische Sortiereinrichtungen, die etwa mit Gebläsen arbeiten, eingebaut. Dies hat auch der Zeuge W. bestätigt.
Auch das vom Arbeitgeber des Klägers vorgelegte Verbandbuch bestätigt die Existenz solcher Spritzen, Kanülen und anderen gefährlichen Mülls. In dem Zeitraum von Juni 2003 bis August 2005, also dem hier möglichen Infektionszeitraum, sind in dem Verbandbuch bei insgesamt 139 Eintragungen 40 Verletzungen verzeichnet, die Spritzen, Kanülen oder Injektionsnadeln zugeor¬dnet werden konnten oder als Stichverletzungen an unbekannten Gegenständen eingetragen wurden, und zwar im Jahre 2003 am 01.07., 25.08., 27.10., 19.11. und 12.12., im Jahre 2004 am 23.01., 20.02., 01.04., 14.04., 15.04., 07.05., 19.05., 24.05., 28.05., 02.06., 08.06., 01.07., 29.07., 02.09., 30.09., 12.10., 19.10., 20.10., 02.11., 04.11., 06.12. und 12.12. und im Jahre 2005 am 25.01., 23.02., 04.03., 09.03., 05.04., 06.04., 09.04., 28.04., 18.05., 19.05., 12.07., 13.07. und 21.07. Hinzu kommen Schnittverletzungen an Glasscherben und Metallteilen, von denen eben¬falls nicht auszuschließen ist, dass sie über Blutanhaftungen verfügten. Unter diesen Eintragun¬gen finden sich regelmäßig und überwiegend Stichverletzungen konkret an Injektionsnadeln. Diese Gefahrerhöhung ist nicht zu vernachlässigen.
Der Senat verkennt nicht, dass es keine handfesten Nachweise dafür gibt, dass in dem verarbeiteten Abfall auch infektiöses Blut, konkret HIV-infiziertes Blut, vorhanden gewesen ist. Gleichwohl ist der Senat davon überzeugt. Das Blut in den Wertstoffanlieferungen stammte nicht etwa von einem Querschnitt der Bevölkerung wie etwa aus Blutspenden, sondern aus Krankenhäusern und Arztpraxen. Es liegt auf der Hand, dass Blutentnahmen in diesem Bereich überproportional oft Erkrankte betreffen, die sich gerade zur Aufklärung oder Behandlung ihrer Krankheit in ärztliche Behandlung begeben haben. Dieser Punkt unterscheidet die Situation des Klägers etwa auch von der jener Altenpflegerin, die bei ihrer Tätigkeit in einem Altenheim mit dem Blut der Insassen in Kontakt gekommen war (BSG, Urt. v. 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, Juris). Die Bewohnerschaft eines Altenheims entspricht dem Querschnitt der Bevölkerung, hinzu kommt das höhere Durchschnittsalter des Bewohnerkreises gegenüber der Allgemeinbevöl¬kerung, der - zumindest bei HIV-Infektionen - eine geringere Durchseuchung vermuten lässt. Der Kläger kam nur mit dem Blut vermutlich oder tatsächlich Erkrankter in Berührung.
Nachdem eine Infektion wie auch HIV nicht zwingend nur durch eine penetrierende Einwirkung, sondern z. B. auch auf Grund einer eigenen Verletzung des Versicherten eintreten kann, worauf auch Dr. R. als sachverständiger Zeuge hingewiesen hat, besteht hier eine Gefahr, die gegenüber der Normalbevölkerung, die nicht mit fremdem Müll in Berührung kommt, erhöht ist. Diese Einschätzung ändert sich auch nicht, wenn man in Rechnung stellt, dass es nur – wie die Beklagte unter Heranziehung medizinischer Literatur dargestellt hat – in 0,3 % aller Fälle einer Schnittverletzung an einer Spritze mit tatsächlich mit HIV verseuchtem Blut zu einer Infektion kommt. Diese - geringe - Infektionsgefahr bei einer penetrierenden Stichverletzung gilt gleicher¬maßen für die Tätigkeitsbereiche der Mitarbeiter im Gesundheitsbereich, in Laboratorien und in der Wohlfahrtspflege, die aber gleichwohl in der BK Nr. 3101 ausdrücklich als besonders risikobehaftete Versicherte genannt sind. Gegenüber dem Risiko der Normalbevölkerung, die nicht mit infiziertem Blut und vor allem nicht mit weggeworfenen Spritzen und Kanülen in Berührung kommt, ist dies ein signifikant erhöhtes Risiko. Bei dieser Beurteilung ist – im Sinne einer Wechselwirkung – in Rechnung zu stellen, dass bei einer schwerwiegenden Erkrankung wie HIV, die grundsätzlich nicht heilbar ist, auch ein ggfs. geringeres Risiko einer Infektion ausreicht, um von einer erhöhten Gefahr auszugehen.
c) Der Kläger war auch in seiner Tätigkeit konkret der abstrakt erhöhten Infektionsgefahr seines Berufs ausgesetzt. Hierbei ist von dem konkreten Zeitfenster für die Infektion des Klägers 2003 bis 2005 und von seinen konkreten Verrichtungen in dem Betrieb auszugehen.
Der Kläger kam konkret mit den Abfällen, die das beschriebene, abstrakt erhöhte Risiko bargen, in Berührung. Trotz seiner Stellung als freigestellter Betriebsrat war er in einem zeitlich ausreichenden Maße mit Sortierarbeiten betraut, die eine konkret erhöhte Gefährdung bedingten. Wie die von seinem Arbeitgeber zur Akte gereichten elektronisch geführten Schichtpläne belegen, war der Kläger zwar während des größeren Teils seiner Arbeitszeit als freigestellter Betriebsrat tätig. Er war jedoch auch regelmäßig mit Aufgaben aus dem Betriebsablauf betraut, wobei es sich nach den Angaben des Arbeitgebers, an denen der Senat zu zweifeln keinen Anlass hat, sowohl um – gefährdende – Sortierarbeiten am Band als auch um ungefährliche Tätigkeiten als Radladerfahrer und/oder im Außendienst handelte. So sind in den Schichtplänen regelmäßig ganze oder anteilige Tage mit "Anwesenheitsstunden" und nicht mit Betriebsratsarbeit gekenn¬zeichnet, so z. B. im Jahre 2003 im Januar an 3, im Februar an 11, im März an 1, im April an 10, im Mai an 6, im Juni an 3, im Juli an 1, im September an 2, im Oktober an 8, im November an 6 und im Dezember an 9 Tagen. Ähnliche Zahlen ergeben sich für die beiden folgenden Jahre.
Dass in der fraglichen Zeit für den Kläger keine Stichverletzungen im Verbandbuch eingetragen sind, ändert an der konkreten Gefahr einer Infektion nichts. Der Kläger hat hierfür die nachvollziehbare Erklärung geliefert, so wie auch andere Mitarbeiter keine aus seiner Sicht geringfügigen Verletzungen mehr an den Schichtführer und damit an das Verbandbuch gemeldet zu haben bzw. er habe zwar solche Meldungen erstattet, diese seien dann aber von den Schichtführern nicht in das Verbandbuch eingetragen worden. Beide Angaben erscheinen glaubhaft. Der Kläger hat zur Erklärung für die mangelnden Meldungen auf aus seiner Sicht schlechte Erfahrungen in der Klinik bei der Behandlung seiner aktenkundigen Stichverletzung im Jahre 1993 verwiesen. Dass es diese Stichverletzung und auch die aus Sicht des Klägers ungenügende Behandlung in der Klinik gegeben hat, hat auch der Zeuge Dr. R. aus eigener Erinnerung noch schildern können. Hinsichtlich der zwar gemeldeten, aber nicht eingetragenen Verletzungen hat der Kläger darauf verwiesen, dass die Schichtführer ebenfalls am Band eingesetzt gewesen seien und nicht immer ihre Arbeit hätten unterbrechen können oder sich zunächst um den verletzten Mitarbeiter hätten kümmern müssen. Dass es diese fehlenden Eintragungen in das Verbandbuch gegeben hat, haben auch die Zeugen F. und vor allem die beiden hauptsächlich eingesetzten Schichtführer G. und H. bestätigt; diese Zeugen haben unter anderem auf Fehler der Ersatzschichtführer hingewiesen, die z. B. als Urlaubsvertretung eingesetzt gewesen seien. Dass Eintragungen in das Verbandbuch jedenfalls nicht immer unverzüglich erfolgten, sondern auch Tage später nachgetragen wurden, ergibt sich aus den Eintragungen Nrn. 21 und 23 des vorgelegten Verbandbuchs. Letztlich erschien der Kläger auch dem Senat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig.
Die Sicherheitsvorkehrungen, die in dem fraglichen Zeitfenster eingehalten wurden, waren nicht geeignet, die abstrakt erhöhte Infektionsgefahr einzuschränken. Verwendet wurden damals Gummihandschuhe aus dem Bereich der Gartenarbeit, die zum Teil doppelt übergezogen wurden. Dass Gummi nicht geeignet ist, Stichverletzungen zu verhindern, ist offensichtlich. Dies haben auch der PD der Beklagten und der Zeuge W. bestätigt. Dieser Zeuge hat auch – in Übereinstimmung mit dem Kläger – mitgeteilt, dass später geeignetere Handschuhe eingeführt worden sind.
d) Der Kläger hat letztlich ebenfalls glaubhaft eine andere Infektionsquelle verneint. Bereits einige Monate vor der Unfallanzeige, kurz nach der Erstdiagnose, hat er gegenüber Dr. Z. gefährdende sexuelle Kontakte verneint, ebenso auf Befragen des SG in der mündlichen Verhandlung erster Instanz und erneut in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Bluttransfusionen und ähnliche Behandlungen hat er ebenfalls verneint, wobei der Senat davon ausgeht, dass solche Behandlungen in den hier fraglichen Jahren 2003 bis 2005 in Deutschland und Europa nicht mehr gefährlich waren, weil nur getestetes Blut verwendet wurde.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
2. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe (SG), mit dem eine Infektionskrankheit des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannt worden ist.
Der am 14.08.1956 geborene Kläger ist in seiner Berufstätigkeit als Sortierer, Maschinenführer und Radladerfahrer bei einem Abfallverwertungsunternehmen seit dem 01.10.1991 bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert, wobei er bei seinem Arbeitgeber seit mindestens 2002 freigestellter Betriebsrat ist. Im Anschluss an eine Gallenblasenoperation Ende 2007 wurde bei dem Kläger am 11.04.2008 eine Infektion mit dem Virus HIV-1 diagnostiziert (Bericht der Hämatologin und Infektiologin Dr. Z. vom 16.05.2008). Unter dem 11.08.2008 zeigte der Zeuge Dr. R., Arzt für Inneres und Betriebsarzt für den Arbeitgeber des Klägers, der Beklagten den Verdacht auf eine BK an. Er führte aus, die Infektion des Klägers sei auf Müllsortierarbeiten mit Verletzungsrisiko durch blutige Infektionsnadeln zurückzuführen, mit denen der Kläger seit 1991 betraut sei. Gegenüber Dr. Z. habe der Kläger sexuelle Kontakte zu Männern generell und für die letzten acht Jahre jegliche sexuelle Kontakte verneint.
Unter dem 08.09.2008 teilte der Kläger mit, er habe 1993 eine Nadelstichverletzung erlitten und sei zur Behandlung ambulant im Krankenhaus gewesen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte Zeuge Dr. R. mit, die Verletzung von 1993 sei nicht im Verbandbuch dokumentiert, er – der Zeuge – könne sich jedoch noch gut an sie erinnern. Er sehe einen Zusammenhang zwischen jener Stichverletzung und der Infektion. Das Krankenhaus bestätigte unter dem 23.09.2008 die damalige Behandlung. Es wurden zwei Protokolle über Sitzungen des Arbeitssicher-heitsausschusses des Arbeitgebers vom 23.02.1994 und 18.04.1996 vorgelegt, auf denen – unter Beteiligung des Klägers als Betriebsrat und des Zeugen Dr. R. als Betriebsarzt – anlässlich des Vorfalls aus dem Jahre 1993 Infektionen durch Stichverletzungen bei der Abfallsortierung behandelt worden waren. Außerdem teilte Dr. R. mit, bei ihm seien noch tiefgefrorene Serumasservate aus Blutproben des Klägers aus den Jahren 1992 bis 2005 vorhanden.
Die Beklagte veranlasste die Untersuchung dieser Asservate durch den Zeugen Dr. R ... Dieser teilte unter dem 03.02.2009 mit, dass die Blutproben vom 30.06.1992, 02.12.1993, 13.07.1995, 12.11.1996, 10.11.1998, 27.11.2000 und 14.05.2003 negativ getestet worden seien, sich jedoch in der zuletzt asservierten Probe vom 03.06.2005 das HI-Virus habe nachweisen lassen. Dr. R. teilte ferner mit, nach Angaben des Klägers sei es zu weiteren Stichverletzungen gekommen, zuletzt im Dezember 2008. Ferner zog die Beklagte Befundberichte bei. Aus diesen ergab sich, dass bei einer Blutuntersuchung im August 1998 keine HIV-Infektion festgestellt worden war.
Die Beklagte beauftragte ihren Präventionsdienst (PD) mit Ermittlungen beim Arbeitgeber. Der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) des PD, L., besichtigte den Betrieb am 05.03.2009 und befragte den Kläger sowie die Zeugen K., den Betriebsleiter, und W., Fachkraft für Arbeitssicherheit. In seinem Bericht vom 06.03.2009 führte TAB L. aus, der Kläger werde auch als freigestellter Betriebsrat als Springer bei der Müllsortierung eingesetzt, und zwar im Durchschnitt an ein bis zwei Tagen pro Woche. Nach den Ergebnissen der Serumuntersuchungen durch Dr. R. müsse die Infektion zwischen dem 14.05.2003 und dem 03.06.2005 stattgefunden haben, damit scheide die Verletzung 1993 aus. Der Kläger habe jedoch angegeben, er ziehe sich zwei- bis fünfmal im Monat eine Stichverletzung zu, nicht immer an Spritzen. Bei dem Arbeitgeber sei vorgeschrieben, dass Mitarbeiter nach einer solchen Verletzung nach Möglichkeit die Spritze sicherstellten, sich danach beim Schichtführer meldeten, dieser das Ereignis in das Verbandbuch eintrage und der verletzte Mitarbeiter bei Bedarf ins Krankenhaus fahre oder gefahren werde. Für den fraglichen Zeitraum nenne das Verbandbuch Stichverletzungen bei – anderen – Mitarbeitern, jedoch nicht für den Kläger. Hierzu befragt, habe der Kläger mitgeteilt, es werde auch schon einmal vergessen, Ereignisse in das Verband¬buch einzutragen. Bei dem Arbeitgeber würden auch Abfälle des Dualen Systems, also im wesentlichen Verpackungen, verarbeitet. An diesem System seien auch Krankenhäuser und Arztpraxen angeschlossen. Außerdem würden Wertstoffe aus öffentlichen Behältern, etwa von Autobahnparkplätzen, angeliefert. Die Sortierbänder seien gut beladen und unübersichtlich. Es würden zwar seit eh und je Handschuhe getragen, hierbei handle es sich jedoch nur um Gartenhandschuhe mit Noppen, die mindestens doppelt getragen würden. Auf Nachfrage habe der Kläger die Gabe von Blutkonserven und ungeschützten Geschlechtsverkehr mit unbekannten Personen verneint.
Unter Auswertung der medizinischen Unterlagen und des Berichts von TAB L. kam der PD in seiner Stellungnahme vom 01.04.2009 zu der Einschätzung, der Kläger sei bezüglich der HIV-Infektion nicht im Sinne der BK 3101 exponiert und gefährdet gewesen. Unter Berücksichtigung der diagnostischen Lücke bei HIV-Infektionen und der Daten der asservierten Blutproben ergebe sich ein Zeitfenster vom 14.02.2003 bis zum 03.06.2005 für die Infektion. Eine Nadelstichverletzung bei der Tätigkeit liege im Bereich des Möglichen. Das Verbandbuch des Arbeitgebers dokumentiere zwischen dem 09.01.2003 und dem 16.03.2009 (74 Monate) insgesamt 72 Nadelstichverletzungen bei anderen Mitarbeitern, bei einigen mehrfach. Die Quote sei durchaus hoch. Angesichts mancher Mitarbeiter, die sich nach dem Verbandbuch fast jährlich einmal gestochen hätten, sie die Verletzungsquote möglicherweise mit der im Gesundheitsdienst vergleichbar. Unterstelle man eine gewisse Dunkelziffer nicht gemeldeter oder nicht eingetragener Stichverletzungen, sei der Kläger theoretisch einem Stichverletzungsrisiko ausgesetzt gewesen. Die bei der Nachschau vorgelegten Gartenhandschuhe seien keine ausreichende Schutzmaßnahme. Problematisch sei auch die Verwertung von Abfällen aus Krankenhäusern, Praxen und öffentlichen Wertstoffbehältern zu bewerten. Dort sei von einer schlechteren Abfalltrennung mit etlichen Fehlwürfen und u.U. einer erhöhten Spritzenanzahl auszugehen. Weiterhin sei zu erwähnen, dass der Kläger konkurrierende Risiken, darunter ungeschützten Geschlechtsverkehr und Drogengebrauch, verneine. Eine Reihe von Umständen spreche (jedoch) gegen eine beruflich bedingte Infektion. So sei der Kläger im fraglichen Zeitraum nur an ein bis zwei Tagen in der Anlage als Springer tätig gewesen, wobei er hierbei nicht nur am Sortierband, sondern auch als Radladerfahrer und anders eingesetzt gewesen sei. Insofern sei sein Risiko bedeutend niedriger als das eines Bandarbeiters. Auch hätten HI-Viren eine ausgesprochen kurze Überlebenszeit. Nach den zeitlichen Vorgaben bei der Abfallabholung seien die verarbeiteten Abfälle bei Ankunft in der Anlage zwischen einem Tag und 14 Tagen alt, durchschnittlich acht Tage. Sollten unwahrscheinlicherweise mit den Wertstoffen HIV-infektiöse Blutreste auf das Sortierband gekommen sein, so müssten diese aktiv per Injektion in das Gewebe übertragen worden sein. Dies sei zwar arbeitstechnisch nicht ausgeschlossen, aber als hypothetisch einzustufen. Die HIV-Infektion bei Nadelstich habe nach (konkret zitierter) medizinischer Literatur, auf die verwiesen wird, eine Wahrscheinlichkeit von 0,3 %, wenn eine Spritze frisch benutzt worden sei. Diese Wahrscheinlichkeit verringere sich erheblich, wenn das Blut älter sei und nicht gesichert sei, dass es HI-Viren enthalte.
Unter dem 30.04.2009 sprach sich der Staatliche Gewerbearzt gegen die Anerkennung der Infektion des Klägers als BK aus.
Mit Bescheid vom 26.05.2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Infektionskrankheit als BK 3101 und die Gewährung von Leistungen ab. Die Anerkennung dieser BK setze voraus, dass der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit in ähnlichem Maße einer Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Der Kläger sei als Sortierer in einer Abfallverwertungsanlage nicht in gleichem Maße infektionsgefährdet gewesen. Er sei nicht in einem Umfang mit Krankheitserregern in Berührung gekommen wie das Pflegepersonal eines Krankenhauses.
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er sei in der fraglichen Zeit wochenweise als Springer für Tätigkeiten der Abfallsortierung und als Radladerfahrer eingesetzt gewesen. Er habe regelmäßig Urlaubs- und Krankheitsvertretungen durchgeführt. Er sei, als er mit der Nadelstichverletzung 1993 im Krankenhaus gewesen sei, dort nicht ernst genommen worden; daraufhin habe er bei den späteren Stichverletzungen das Krankenhaus nicht mehr aufgesucht. Nadelstichverletzungen aller Mitarbeiter seien oft nicht in das Verbandbuch eingetragen worden. Es treffe auch nicht zu, dass in den Nadeln keine lebenden Viren mehr vorhanden seien. Der Müll habe auch größere, luftdicht geschlossene Kanülen umfasst, in denen noch Blut gewesen sei. Bei der Sortiertätigkeit komme es vor, dass die Nadeln in die Haut gestochen würden und dabei gleichzeitig Druck auf den Kolben ausgeübt werde, sodass es zu einer Injektion komme.
Die Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 06.11.2009. Sie führte ergänzend aus, in dem fraglichen Zeitraum sei keine Verletzung des Klägers im Verbandbuch dokumentiert.
Der Kläger hat am 13.11.2009 Klage zum SG erhoben. Er hat ergänzend vorgetragen, er habe in seiner sonstigen Lebensführung weder durch Bluttransfusionen noch durch sonstige Gegebenheiten Kontakt zu Risikofaktoren gehabt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ergänzend vorgebracht, bei der notwendigen Gesamtwürdigung der das Arbeitsumfeld und die versicherte Tätigkeit betreffenden Risikobereiche Durchseuchungsgrad und Übertragungsgefahr ergebe sich im Falle des Klägers keine Infektionsgefahr, die in besonderem Maße über die allgemeine Infektionsgefahr der Gesamtbevölkerung hinausgehe. Zu berücksichtigen sei auch, dass dem Kläger als Betriebsrat und Beteiligter an den Sicherheitsausschüssen und wegen der Nadelstichverletzung aus dem Jahre 1993 bekannt gewesen sei, dass alle Verletzungen in das Verbandbuch einzutragen seien. Da im fraglichen Zeitraum keine Eintragungen vorlägen, müsse unterstellt werden, dass der Kläger Nadelstichverletzungen nicht erlitten habe.
Das SG hat den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2011 und auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.
Mit Urteil vom 29.06.2011 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.11.2009 aufgehoben und festgestellt, dass die HIV-Infektion des Klägers eine BK nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV ist. Das SG hat ausgeführt: Grundsätzlich setze eine BK voraus, dass der Versicherte bei seiner Tätigkeit Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem ausgesetzt gewesen sei, die eine Krankheit verursacht hätten, wobei für den Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung und der Krankheit hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreiche. Bei der BK 3101 trete wegen der Nachweisschwierigkeiten für konkrete Infektionsvorgänge das Merkmal der Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen. Diese sei im Vollbeweis nachzuweisen. Die Infektionsgefahr müsse gegenüber der Gesamtbevölkerung erhöht sein. Eine solche besondere Gefahrenexposition könne sich auf Grund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit und der Übertragungs¬gefährlichkeit der Verrichtungen ergeben. Hierbei seien die individuellen Arbeitsvorgänge zu beachten. Die Durchseuchung und die Übertragungsgefahr ständen in Wechselbeziehung zuei¬nander. An den Grad der Durchseuchung könnten geringere Anforderungen gestellt werden, wenn die spezifischen Arbeitsbedingungen gefährdender seien. Dagegen erlange das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung, je weniger die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko einer Infektion behaftet seien. Im Falle des Klägers sei nicht mehr zweifelsfrei festzustellen, ob und in welchem Umfange von Februar 2003 bis Mai 2005 die angelieferten Abfälle, insbesondere der Krankenhäuser und Arztpraxen, Blutbestandteile mit noch nicht abgestorbenen HI-Viren enthalten hätten. Einzelne Müllobjekte ließen sich keinen konkreten Praxen mehr zuordnen, die über die Anzahl ihrer HIV-infizierten Patienten Auskunft geben könnten. Allerdings lasse sich nicht ausschließen, dass der Durchseuchungsgrad der bei dem Arbeitgeber des Klägers entsorgten Abfälle von Kranken¬häusern und Arztpraxen gegenüber der Allgemeinbevölkerung höher gewesen sei. Jedoch habe bei dem Kläger nach Art, Häufigkeit und Dauer seiner Tätigkeit und unter Berücksichtigung des Übertragungsmodus von HI-Viren eine in besonderem Maße erhöhte Infektionsgefahr bestanden. Nach dem Verbandbuch des Arbeitgebers hätten sich von 2003 bis 2009 am Sortierband Be¬schäftigte im Schnitt einmal pro Monat Nadelstichverletzungen zugezogen. In Übereinstimmung mit dem PD der Beklagten sei auch von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen. Der Kläger selbst habe mehrfach glaubhaft angegeben, Stichverletzungen erlitten zu haben. Zwar sei nicht in Frage zu stellen, dass die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion per Nadelstich nur 0,3 % betrage. Jedoch lasse sich ein besonderes Infektionsrisiko nicht ausschließlich mit statistischen Erkenntnissen verneinen. Die Gefahr beim Sortieren medizinischer Abfälle liege deutlich über derjenigen der Gesamtbevölkerung. Diese erhöhte Gefahr habe auch mit Wahrscheinlichkeit die Infektion des Klägers verursacht. Andere Infektionsquellen ließen sich nicht nachweisen. Der Kläger habe in der Verhandlung auf eingehende Befragung wiederholend dargelegt, keine Kontakte zu Männern und seit seiner Scheidung vor acht Jahren keine sexuellen Kontakte gehabt zu haben. Diese Angabe sei glaubhaft, auch weil sie der Kläger bereits Anfang 2008 auf Anfrage des seinerzeit ausschließlich unter medizinischen Gesichtspunkten fragenden Hämatologen gemacht habe.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 13.07.2011 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 05.08.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie vertieft ihre Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Während andere Mitarbeiter regelmäßig Stichverletzungen im Verbandbuch dokumentiert hätten, sei dies bei dem Kläger, der in beson-derem Maße um die Notwendigkeit solcher Eintragungen gewusst habe, nicht der Fall. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der BK sei allenfalls möglich, nicht aber wahrscheinlich. Die besondere Infektionsgefährdung müsse unter den konkreten Bedin-gungen der individuellen Tätigkeit festgestellt werden. Die bloße Zugehörigkeit zu einer generell gefährdeten Gruppe reiche nicht aus. Eine solche erhöhte Gefahr liege hier in dem maßgeblichen Zeitfenster nicht vor. Der Kläger sei nur an ein bis zwei Tagen zeitweise am Sortierband eingesetzt gewesen. In dem Betrieb seien grundsätzlich nur Wertstoffe des Dualen Systems verwertet worden. Nur durch Fehlwürfe in Krankenhäusern und Arztpraxen seien auch Spritzen in den Abfall gelangt, an denen möglicherweise auch HIV-belastetes Blut angehaftet habe. Vor diesem Hintergrund sei der notwendige Vollbeweis einer erhöhten Infektionsgefahr nicht geführt. Auch das SG habe in dem angefochtenen Urteil lediglich ausgeführt, es lasse sich nicht ausschließen, dass eine erhöhte Infektionsgefahr vorgelegen habe. Dies reiche eindeutig nicht aus.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Der Berichterstatter des Senats hat zunächst den Kläger erneut persönlich sowie TAB L. von der Beklagten persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. und W ... Der Zeuge K. hat bekundet, in den angelandeten Abfallmengen seien bis zu 30 % Restmüll als Fehlwürfe enthalten. Die maschinelle Vorsortierung im Betrieb sei vor einigen Jahren noch nicht derart ausgebaut gewesen wie heute. Es seien nur metallhaltige Abfälle automatisch herausgeholt worden. Der Rest sei per Hand am Band sortiert worden. Es sei das Problem bekannt, dass es Fehlwürfe in Krankenhäusern und Arztpraxen gebe. Der Betrieb sei bereits über den Abfallwirtschaftsdienst des zuständigen Landkreises auf die Kliniken zugegangen und habe auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Im Betrieb sei anweisungsgemäß jede Stichverletzung zu melden. An Schutzvorrichtungen gebe es – seit zwei oder drei Jahren – zwei Arten dicker Hand¬schuhen, die durchgängig getragen würden. Die früher verwendeten Gartenhandschuhe gebe es nicht mehr. Der Zeuge W. hat angegeben, er sei von 2006 bis 2010 Sicherheitsbeauftragter für den fraglichen Betrieb gewesen. Er hat weitere Angaben zu den verwendeten Handschuhen gemacht. Er sei bei Bagatellunfällen nicht informiert worden. Er wisse um Verletzungen, die überwiegend Schnitt-, aber auch Stichverletzungen gewesen seien. Es sei eine sofortige Meldung an den Schichtführer vorgeschrieben, dieser müsse jeden Vorfall ins Verbandbuch eintragen. Ihm – dem Zeugen – sei aus keiner der von ihm betreuten Anlagen bekannt, dass derartige Meldungen oder Eintragungen unterblieben seien. Er könne aber nicht ausschließen, dass Mitarbeiter kleinere Vorfälle wie ein Anschlagen des Schienbeins nicht oder verspätet meldeten. TAB L. hat Angaben zum Betriebsablauf und zur Ausstattung in der fraglichen Anlage gemacht, die er seit 1998 kenne. Wegen der weiteren Angaben des Klägers und der genannten Zeugen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 05.10.2011 Bezug genommen.
Der Kläger hat aktuelle Fotografien der Sortieranlage und zwei Aktennotizen aus dem Betrieb vom 09.12.1994 und vom 11.02.2003, nach denen angelandeter medizinischer Müll zwei konkreten Arztpraxen zugeordnet werden konnte und dies den beiden Ärzten vorgehalten worden war, zur Akte gereicht. TAB L. hat eine Kopie des Verbandbuchs des Betriebs mit 465 Eintragungen aus der Zeit vom 02.06.2003 bis zum 16.03.2009 vorgelegt. Auf diese Bilder und Urkunden wird wegen ihres Inhalts verwiesen.
Auf Anfrage des Senats hat der Arbeitgeber die elektronisch geführten Schicht- und Einsatzpläne des Klägers aus der Zeit vom 01.01.2003 bis zum 30.06.2005 vorgelegt und mitgeteilt, der Kläger sei in dieser Zeit als freigestellter Betriebsrat tätig gewesen und habe bei Bedarf auch in der Sortieranlage und als Radladerfahrer im Außendienst ausgeholfen. Die Zeiten des Klägers in der Sortieranlage und im Außendienst seien einheitlich als "Anwesenheitsstunde" erfasst, eine genauere Differenzierung sei nicht möglich.
Auf Antrag des Klägers hat der Berichterstatter des Senats weiteren Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen F., G., H. und Dr. R ... Der Zeuge F. hat bekundet, er sei von 1993 bis 2007 Betriebsleiter der fraglichen Anlage gewesen. Zu Beginn seiner Tätigkeit habe es häufiger als später Vorfälle gegeben, in denen medizinischer Abfall in den angelandeten Wertstoffen gelegen habe. Man habe dann versucht, die Urheber zu ermitteln, was teilweise gelungen sei. Er könne sich Abfälle aus einem bestimmten Klinikum und einem bestimmten Dialysezentrum erinnern. Später sei der Anteil medizinischer Abfälle auf vielleicht ein Zehntel des ursprünglichen Anteils zurückgegangen. Der Zeitpunkt, an dem dieses Problem mehr oder minder im Griff gewesen sei, habe etwa im Jahre 2004 gelegen. Zu Beginn seiner – des Zeugen – Tätigkeit sei das Verbandbuch mangelhaft geführt worden, aber dies habe sich verbessert. Konkret seien in den Abfällen Spritzen und auch Kanülen gewesen, die zum Teil noch mit Blut beklebt gewesen seien. Es habe auch Blutbeutel gegeben, an denen zum Teil noch die Schläuche gehangen hätten. An Operationsbestecke oder Medikamente könne er sich nicht erinnern. Der Kläger habe in der Zeit von 1993 bis 2007 drei oder vier Mal derartige Verletzungen gehabt. Es seien in jedem Fall mehrere Vorfälle gewesen. Wenn Eintragungen im Verbandbuch unterblieben seien, habe dies auf einem Fehlverhalten der Schichtführer beruht oder der betreffende Mitarbeiter habe die Verletzung nicht gemeldet. Wegen der Eintragungen habe möglicherweise eine Schwachstelle bei den Ersatzschichtführern bestanden, die die Zeugen G. und H., die eigentlichen Schichtführer, während Urlaubs oder Krankheit vertreten hätten. Die Zeugen G. und H. haben zu der Ausgestaltung der Sortierbänder und der Arbeit an ihnen und zur Führung des Verbandbuchs ausgesagt. Der Zeuge Dr. R. hat mitgeteilt, er sei seit 1990 Betriebsarzt der Anlage. Es habe von Anfang an Probleme mit medizinischem Abfall gegeben. Der Anteil solcher Abfälle habe seit Anfang der 1990-er Jahre zunächst sogar zugenommen. Man sei dann über den Kreis an die Krankenhäuser und Ärzte herangetreten. Auch er selbst habe als niedergelassener Arzt ein derartiges Anschreiben des Landkreises erhalten. Es sei dann im Laufe der Zeit besser geworden, vielleicht auch deswegen, weil sich die Beteiligten an die Müllsortierung gewöhnt hätten. Gleichwohl gebe es auch heute noch medizinische Abfälle in den Wertstoffen und auch Stichverletzungen. Gerade eine Woche zuvor habe er – der Zeuge – in seiner Ambulanz eine Kanülenverletzung aus der fraglichen Anlage behandelt. Er halte es für möglich, dass man sich bei einer Stichverletzung in der Anlage infizieren könne. Die häufigste Infektion sei Hepatitis B, dagegen seien alle Mitarbeiter der Abfallverwertung geimpft. Danach folge Hepatitis C und sodann HIV. Er könne sich vorstellen, dass es zu einer Infektion auch dann komme, wenn ein Mitarbeiter Blutver¬schmiertes anfasse, wenn er z. B. eigene Verletzung auch kleinerer Art an der Haut habe, wenngleich grundsätzlich eine penetrierende Verletzung mit Blutkontakt notwendig sei. Ihm seien die Studien bekannt, die insoweit nur eine geringe Infektionsquote nennten. Dies seien jedoch nur statistische Werte. Solche geringen statistischen Werte seien auch aus anderen Bereichen bekannt, etwa Krankenhäusern, gleichwohl komme es – auch in seinem Bereich – vor, dass sich manche Krankenschwestern nie stächen und andere häufiger als statistisch zu erwarten sei. An die Verletzung des Klägers im Jahre 1993 könne er – der Zeuge – sich noch erinnern. Sie sei Grund für Gespräche im Sicherheitsausschuss gewesen. Wegen der Aussagen dieser Zeugen im Einzelnen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 03.02.2012 Bezug genommen.
Der Kläger hat einen zwischenzeitlich gestellten Beweiserhebungsantrag, die konkreten Schichtberichte der fraglichen Zeit beizuziehen, nicht aufrecht erhalten, nachdem der Arbeitgeber telefonisch mitgeteilt hatte, es handle sich hierbei um Dutzende Leitz-Ordner und die Angaben der Schichtberichte gingen nicht über die Angaben der bereits vorgelegten elektronisch geführten Schicht- und Einsatzpläne hinaus.
Der Senat hat den Kläger weiterhin persönlich zu anderen möglichen Infektionsursachen in der fraglichen Zeit angehört. Wegen der Angaben des Klägers hierzu wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 18.04.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Diese war als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Insbesondere konnte der Kläger nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unmittelbar auf eine gerichtliche Feststellung einer BK klagen. Er war nicht auf eine bloße Verpflichtung der Beklagten zu einer entsprechenden behördlichen Feststellung beschränkt. Die Klage war auch begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass die HIV-Infektion des Klägers, die zweifellos eine Krankheit darstellt, eine BK im Sinne des Unfallversicherungsrechts ist. Entsprechend war der angefochtene Bescheid der Beklagten, der eine gegenteilige Feststellung getroffen hatte, aufzuheben.
a) Die begehrte Feststellung richtet sich bereits nach den Vorschriften des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) und nicht mehr nach dem früher geltenden § 551 Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die Infektion des Klägers erst Anfang 2008 festgestellt worden ist und das SGB VII zum 01.01.1997 in Kraft getreten war (vgl. § 212 SGB VII, Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungs¬gesetz [UVEG]).
Eine BK ist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII eine Krankheit, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können ("Listen-BK"). Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung mit der BKV Gebrauch gemacht.
Gemäß den Vorgaben der Ermächtigungsgrundlage im SGB VII lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, Juris Rn. 12). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrschein-lichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urt. v. 27.06.2006, B 2 U 20/04 R, Juris Rn. 15).
Die Bundesregierung hat die BK 3101 wie folgt bezeichnet: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war". Da sich bei dieser BK der Ansteckungsvorgang im Nachhinein häufig nicht mehr feststellen lässt, tritt an die Stelle der "Einwirkungen" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII eine erhöhte Infektionsgefahr. Ob der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden "Infektionsgefahr in besonderem Maße" ausgesetzt war, hängt einerseits von der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, d.h. der kontaktierten Personen sowie der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist, und andererseits von der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ab, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen bestimmt. Da für die Anerkennung der BK 3101 nicht eine schlichte Infektionsgefahr genügt, sondern eine (z.T. typisierend nach Tätigkeitsbereichen) besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt wird (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII), kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind (zu allem BSG, Urt. v. 02.04.2009, B 2 U 33/07 R, Juris Rn. 11 ff.). Anhaltspunkte für das Maß der Durchseuchung oder der Übertragungsgefahr ergeben sich hierbei aus einem Vergleich der angeschuldigten Tätigkeit mit den drei konkreten Tätigkeiten im Gesundheitsdienst, in der freien Wohlfahrtspflege und in Laboratorien, die in Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV genannt sind. Allerdings ist dem SG darin beizutreten, dass eine Gesamtbetrachtung nötig ist. Es kommt nicht darauf an, dass allein die Durchseuchungsrate oder die Übertragungsgefahr oder beide Parameter ähnlich hoch sind wie in den Vergleichs¬tätigkeiten. Beide Parameter stehen in Wechselwirkung. Bei einer besonders hohen Durch¬seuchungsrate kann eine normale oder nur leicht erhöhte Übertragungsgefahr ausreichen und umgekehrt.
Zum Beweismaß hat das BSG (a.a.O., Rn. 12) ausgeführt, die erhöhte Infektionsgefahr müsse im Vollbeweis gesichert sein. Ist dies der Fall, so greift als weitere Erleichterung für den Versicherten die Beweislastumkehr des § 9 Abs. 3 SGB VII ein: Wenn in einem solchen Fall bei einem Erkrankten außerdem Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden können, wird vermutet, dass die bestehende Infektionskrankheit infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist. In diesem Fall obliegt die (materielle) Beweislast dafür, dass die konkret vorhandene Infektionskrankheit doch nicht durch die erhöht gefährliche Tätigkeit verursacht worden ist, dem Unfallver-sicherungsträger. Ein solcher Gegenbeweis wäre etwa dann geführt, wenn feststände, dass der konkret verursachende Virusstamm nicht derjenige ist, der in dem gefährdenden Umfeld vorhanden ist. Ferner steht es einem Unfallversicherungsträger frei, mögliche andere Ursachen der konkreten Infektion außerhalb der versicherten Tätigkeit zu ermitteln, um auf diese Weise die Grundlagen der Vermutung in § 9 Abs. 3 SGB VII zu erschüttern und die Beweislastumkehr zu verhindern.
b) Bei dem Kläger bestand zunächst eine abstrakt erhöhte Infektionsgefahr, wie sie nach der Rechtsprechung des BSG in einem ersten Schritt festzustellen ist.
aa) In der Rechtsprechung sind vereinzelt Konstellationen zu prüfen gewesen, in denen Versicherte eine Infektionskrankheit auf Kontakt mit Abfällen, Müll oder Abwasser zurückgeführt haben. Dort wurde überwiegend eine abstrakte erhöhte Gefährdung bejaht. So hat das BSG (a.a.O., Rn. 18) im Falle eines an Hepatitis C erkrankten Müllarbeiters, der in zwei für ihre Drogenszene bekannten Stadtteilen eingesetzt war, ausgeführt, das Entleeren öffentlicher Abfallbehälter und Zusammenpressen von Müllbeuteln in Ortsbereichen, in denen Drogen-abhängige sich gehäuft zum Drogenkonsum aufhalten und die von ihnen benutzten Spritzen ent¬sorgen, gehe mit einer Ansteckungsgefahr einher, weil innerhalb der Gruppe der Drogen-abhängigen die Durchseuchung (mit HCV) überdurchschnittlich hoch sei, das HCV auch außerhalb des menschlichen Körpers in Blutresten über einen Zeitraum von mehreren Tagen überlebensfähig sei und eine Nadelstichverletzung, insbesondere mit einer Hohlnadel, ein geeigneter Übertragungsweg sei, der ein besonders hohes Übertragungsrisiko beinhalte, da hier regelmäßig der Transfer relativ großer Mengen menschlichen Blutes möglich sei. Das LSG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 08.09.2011, L 3 U 287/09, Juris Rn. 30) hat zu einer Hepatitis-B-Infektion eines Bedürfnisanstaltsreinigers, der ebenfalls mit Fixerbestecken und anderen Drogenutensilien in Kontakt gekommen war, ausgeführt, das nasse und trockene Reinigen öffentlicher Bedürfnisanstalten sowie die damit verbundene Aufnahme und Entsorgung des Mülls einschließlich der darin befindlichen Spritzennadeln in normalen Müllbeuteln in Ortsbereichen, in denen Drogenabhängige sich gehäuft zum Drogenkonsum aufhielten und die von ihnen benutzten Spritzen entsorgten bzw. liegen ließen, gehe mit einer (abstrakten) Ansteckungsgefahr einher. Dagegen hat das LSG für das Saarland einen Feststellungsanspruch eines an Hepatitis B erkrankten Klärwerksarbeiters, der bei seiner Tätigkeit im Wesentlichen mit Klärschlamm, aber auch mit in die Kanalisation gelangten Abfällen konfrontiert war, eine erhöhte Infektionsgefahr verneint (Urt. v. 04.07.2007, L 2 U 137/05, Juris Rn. 33), wobei sich aus den Gründen dieses Urteils ergibt, dass das LSG das konkret erhöhte Gefährdungsniveau verneint hat.
bb) Für die Tätigkeit eines Müllsortierers in einer Abfallverwertungsanlage wie im Falle des Klägers geht der Senat entsprechend der zitierten Rechtsprechung zu verwandten Berufen von einer abstrakt erhöhten Infektionsgefahr aus, weil sich in den zu entsorgenden Stoffen Viren befinden können, sei es durch medizinische Abfälle, benutzte Spritzen oder anderes Werkzeug von Drogenkonsumenten oder einfach durch den Müll Erkrankter.
Nach den Feststellungen in diesem Verfahren und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass sich – vor allem in den Jahren bis 2004 – in den beim Arbeitgeber des Klägers angelandeten Wertstoffen medizinische Abfälle mit Blutanhaftungen und zum Teil auch flüssigem Blut befunden haben. Das Problem dieser Fehlwürfe war seit Anfang der 1990-er Jahre bekannt. So war auch eine Stichverletzung des Klägers selbst im Jahre 1993 war Anlass für mehrere Gespräche in dem für den Arbeitgeber zuständigen Arbeitssicherheitsausschuss. Dies ergibt sich aus den vorgelegten Protokollen, den Angaben des Klägers und auch der Aussage des Zeugen Dr. R ... Dieser Zeuge hat auch bestätigt, dass damals der zuständige Entsorgungsträger., Kliniken und Ärzte – darunter den Zeugen – angeschrieben und auf das Problem aufmerksam gemacht hat. Der Kläger konnte zwei Aktenvermerke über medizinische Abfälle, die konkreten Ärzten zugeordnet werden konnten, vorlegen. Alle Zeugen, die zur Zusammensetzung des Mülls Angaben machen konnten, haben medizinische Abfälle bestätigt. Der Zeuge K. hat von Untersuchungen berichtet, nach denen bis zu 30 % Restmüll als Fehlwürfe in den Abfällen vorhanden gewesen sei. Er hat auch konkret von Spritzen, Kanülen und Blutbeuteln berichtet, dagegen das Vorhandensein von Medikamenten oder OP-Bestecken verneint. Der Zeuge F. konnte ebenfalls konkrete Angaben zu solchen medizinischen Abfällen machen. Er war es auch, der eine deutliche Verringerung dieser Fehlwürfe etwa mit dem Jahre 2004 mitteilen konnte, also erst zu einem Zeitpunkt, der schon in dem hier relevanten Zeitfenster für die Infektion des Klägers lag. Der Kläger hat aktuelle Fotos aus der Sortieranlage vorgelegt, auf denen ein Blutbeutel zu erkennen ist. Da dieser offensichtlich benutzt ist, geht der Senat davon aus, dass die auf dem Foto zu sehende Szene nicht gestellt ist, sondern tatsächlich angelandeten Abfall zeigt. Auch die Schilderungen des Klägers selbst von der Ausstattung am Band, die der Zeugen K. und TAB L. bestätigt haben, ergibt eine erhöhte konkrete Infektionsgefahr. Lange Zeit wurden nur metallische Abfälle automatisch herausgefischt, die restlichen Abfälle, zu denen auch medizinischer Müll gehört, gelangten auf das Sortierband. Der Kläger hat anschaulich und daher glaubhaft von einer Siebtrommel berichtet, aus der mehrfach in den Jahren seiner Tätigkeit Spritzen oder andere spitze Gegenstände hinausstaken. Erst in jüngerer Zeit, jedenfalls nach dem hier relevanten Zeitfenster, wurden weitere automatische Sortiereinrichtungen, die etwa mit Gebläsen arbeiten, eingebaut. Dies hat auch der Zeuge W. bestätigt.
Auch das vom Arbeitgeber des Klägers vorgelegte Verbandbuch bestätigt die Existenz solcher Spritzen, Kanülen und anderen gefährlichen Mülls. In dem Zeitraum von Juni 2003 bis August 2005, also dem hier möglichen Infektionszeitraum, sind in dem Verbandbuch bei insgesamt 139 Eintragungen 40 Verletzungen verzeichnet, die Spritzen, Kanülen oder Injektionsnadeln zugeor¬dnet werden konnten oder als Stichverletzungen an unbekannten Gegenständen eingetragen wurden, und zwar im Jahre 2003 am 01.07., 25.08., 27.10., 19.11. und 12.12., im Jahre 2004 am 23.01., 20.02., 01.04., 14.04., 15.04., 07.05., 19.05., 24.05., 28.05., 02.06., 08.06., 01.07., 29.07., 02.09., 30.09., 12.10., 19.10., 20.10., 02.11., 04.11., 06.12. und 12.12. und im Jahre 2005 am 25.01., 23.02., 04.03., 09.03., 05.04., 06.04., 09.04., 28.04., 18.05., 19.05., 12.07., 13.07. und 21.07. Hinzu kommen Schnittverletzungen an Glasscherben und Metallteilen, von denen eben¬falls nicht auszuschließen ist, dass sie über Blutanhaftungen verfügten. Unter diesen Eintragun¬gen finden sich regelmäßig und überwiegend Stichverletzungen konkret an Injektionsnadeln. Diese Gefahrerhöhung ist nicht zu vernachlässigen.
Der Senat verkennt nicht, dass es keine handfesten Nachweise dafür gibt, dass in dem verarbeiteten Abfall auch infektiöses Blut, konkret HIV-infiziertes Blut, vorhanden gewesen ist. Gleichwohl ist der Senat davon überzeugt. Das Blut in den Wertstoffanlieferungen stammte nicht etwa von einem Querschnitt der Bevölkerung wie etwa aus Blutspenden, sondern aus Krankenhäusern und Arztpraxen. Es liegt auf der Hand, dass Blutentnahmen in diesem Bereich überproportional oft Erkrankte betreffen, die sich gerade zur Aufklärung oder Behandlung ihrer Krankheit in ärztliche Behandlung begeben haben. Dieser Punkt unterscheidet die Situation des Klägers etwa auch von der jener Altenpflegerin, die bei ihrer Tätigkeit in einem Altenheim mit dem Blut der Insassen in Kontakt gekommen war (BSG, Urt. v. 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, Juris). Die Bewohnerschaft eines Altenheims entspricht dem Querschnitt der Bevölkerung, hinzu kommt das höhere Durchschnittsalter des Bewohnerkreises gegenüber der Allgemeinbevöl¬kerung, der - zumindest bei HIV-Infektionen - eine geringere Durchseuchung vermuten lässt. Der Kläger kam nur mit dem Blut vermutlich oder tatsächlich Erkrankter in Berührung.
Nachdem eine Infektion wie auch HIV nicht zwingend nur durch eine penetrierende Einwirkung, sondern z. B. auch auf Grund einer eigenen Verletzung des Versicherten eintreten kann, worauf auch Dr. R. als sachverständiger Zeuge hingewiesen hat, besteht hier eine Gefahr, die gegenüber der Normalbevölkerung, die nicht mit fremdem Müll in Berührung kommt, erhöht ist. Diese Einschätzung ändert sich auch nicht, wenn man in Rechnung stellt, dass es nur – wie die Beklagte unter Heranziehung medizinischer Literatur dargestellt hat – in 0,3 % aller Fälle einer Schnittverletzung an einer Spritze mit tatsächlich mit HIV verseuchtem Blut zu einer Infektion kommt. Diese - geringe - Infektionsgefahr bei einer penetrierenden Stichverletzung gilt gleicher¬maßen für die Tätigkeitsbereiche der Mitarbeiter im Gesundheitsbereich, in Laboratorien und in der Wohlfahrtspflege, die aber gleichwohl in der BK Nr. 3101 ausdrücklich als besonders risikobehaftete Versicherte genannt sind. Gegenüber dem Risiko der Normalbevölkerung, die nicht mit infiziertem Blut und vor allem nicht mit weggeworfenen Spritzen und Kanülen in Berührung kommt, ist dies ein signifikant erhöhtes Risiko. Bei dieser Beurteilung ist – im Sinne einer Wechselwirkung – in Rechnung zu stellen, dass bei einer schwerwiegenden Erkrankung wie HIV, die grundsätzlich nicht heilbar ist, auch ein ggfs. geringeres Risiko einer Infektion ausreicht, um von einer erhöhten Gefahr auszugehen.
c) Der Kläger war auch in seiner Tätigkeit konkret der abstrakt erhöhten Infektionsgefahr seines Berufs ausgesetzt. Hierbei ist von dem konkreten Zeitfenster für die Infektion des Klägers 2003 bis 2005 und von seinen konkreten Verrichtungen in dem Betrieb auszugehen.
Der Kläger kam konkret mit den Abfällen, die das beschriebene, abstrakt erhöhte Risiko bargen, in Berührung. Trotz seiner Stellung als freigestellter Betriebsrat war er in einem zeitlich ausreichenden Maße mit Sortierarbeiten betraut, die eine konkret erhöhte Gefährdung bedingten. Wie die von seinem Arbeitgeber zur Akte gereichten elektronisch geführten Schichtpläne belegen, war der Kläger zwar während des größeren Teils seiner Arbeitszeit als freigestellter Betriebsrat tätig. Er war jedoch auch regelmäßig mit Aufgaben aus dem Betriebsablauf betraut, wobei es sich nach den Angaben des Arbeitgebers, an denen der Senat zu zweifeln keinen Anlass hat, sowohl um – gefährdende – Sortierarbeiten am Band als auch um ungefährliche Tätigkeiten als Radladerfahrer und/oder im Außendienst handelte. So sind in den Schichtplänen regelmäßig ganze oder anteilige Tage mit "Anwesenheitsstunden" und nicht mit Betriebsratsarbeit gekenn¬zeichnet, so z. B. im Jahre 2003 im Januar an 3, im Februar an 11, im März an 1, im April an 10, im Mai an 6, im Juni an 3, im Juli an 1, im September an 2, im Oktober an 8, im November an 6 und im Dezember an 9 Tagen. Ähnliche Zahlen ergeben sich für die beiden folgenden Jahre.
Dass in der fraglichen Zeit für den Kläger keine Stichverletzungen im Verbandbuch eingetragen sind, ändert an der konkreten Gefahr einer Infektion nichts. Der Kläger hat hierfür die nachvollziehbare Erklärung geliefert, so wie auch andere Mitarbeiter keine aus seiner Sicht geringfügigen Verletzungen mehr an den Schichtführer und damit an das Verbandbuch gemeldet zu haben bzw. er habe zwar solche Meldungen erstattet, diese seien dann aber von den Schichtführern nicht in das Verbandbuch eingetragen worden. Beide Angaben erscheinen glaubhaft. Der Kläger hat zur Erklärung für die mangelnden Meldungen auf aus seiner Sicht schlechte Erfahrungen in der Klinik bei der Behandlung seiner aktenkundigen Stichverletzung im Jahre 1993 verwiesen. Dass es diese Stichverletzung und auch die aus Sicht des Klägers ungenügende Behandlung in der Klinik gegeben hat, hat auch der Zeuge Dr. R. aus eigener Erinnerung noch schildern können. Hinsichtlich der zwar gemeldeten, aber nicht eingetragenen Verletzungen hat der Kläger darauf verwiesen, dass die Schichtführer ebenfalls am Band eingesetzt gewesen seien und nicht immer ihre Arbeit hätten unterbrechen können oder sich zunächst um den verletzten Mitarbeiter hätten kümmern müssen. Dass es diese fehlenden Eintragungen in das Verbandbuch gegeben hat, haben auch die Zeugen F. und vor allem die beiden hauptsächlich eingesetzten Schichtführer G. und H. bestätigt; diese Zeugen haben unter anderem auf Fehler der Ersatzschichtführer hingewiesen, die z. B. als Urlaubsvertretung eingesetzt gewesen seien. Dass Eintragungen in das Verbandbuch jedenfalls nicht immer unverzüglich erfolgten, sondern auch Tage später nachgetragen wurden, ergibt sich aus den Eintragungen Nrn. 21 und 23 des vorgelegten Verbandbuchs. Letztlich erschien der Kläger auch dem Senat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig.
Die Sicherheitsvorkehrungen, die in dem fraglichen Zeitfenster eingehalten wurden, waren nicht geeignet, die abstrakt erhöhte Infektionsgefahr einzuschränken. Verwendet wurden damals Gummihandschuhe aus dem Bereich der Gartenarbeit, die zum Teil doppelt übergezogen wurden. Dass Gummi nicht geeignet ist, Stichverletzungen zu verhindern, ist offensichtlich. Dies haben auch der PD der Beklagten und der Zeuge W. bestätigt. Dieser Zeuge hat auch – in Übereinstimmung mit dem Kläger – mitgeteilt, dass später geeignetere Handschuhe eingeführt worden sind.
d) Der Kläger hat letztlich ebenfalls glaubhaft eine andere Infektionsquelle verneint. Bereits einige Monate vor der Unfallanzeige, kurz nach der Erstdiagnose, hat er gegenüber Dr. Z. gefährdende sexuelle Kontakte verneint, ebenso auf Befragen des SG in der mündlichen Verhandlung erster Instanz und erneut in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Bluttransfusionen und ähnliche Behandlungen hat er ebenfalls verneint, wobei der Senat davon ausgeht, dass solche Behandlungen in den hier fraglichen Jahren 2003 bis 2005 in Deutschland und Europa nicht mehr gefährlich waren, weil nur getestetes Blut verwendet wurde.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
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