L 11 R 629/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1491/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 629/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 02.12.2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Erstattung von Kosten für das Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragte im Jahr 2006 bei der Beklagten die Überprüfung der bisherigen Feststellungen von Versicherungszeiten. Sie beantragte außerdem die Feststellung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.

Mit Bescheid vom 15.03.2007 stellte die Beklagte die Versicherungszeiten der Klägerin bis zum 31.12.2000 verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden waren. Sie stellte ua Kindererziehung- bzw. Kinderberücksichtigungszeiten und die Mutterschutzfrist vom 01.04.1973 bis 22.07.1973 fest. Die ursprünglich für diese Zeit angesetzten Beitragszeiten wurden gelöscht.

Mit Bescheid vom 14.11.2008 stellte die Beklagte die Versicherungszeiten der Klägerin bis zum 31.12.2001 verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden waren. Aufgrund eines technischen Fehlers wies dieser Bescheid die Zeit vom 01.04.1973 bis 22.07.1973 wieder als Beitragszeit aus. Gegen diesen Bescheid legte die anwaltlich vertretene Klägerin mit Schreiben vom 02.12.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde um Mitteilung gebeten, auf welcher rechtlichen Grundlage die Verminderung (auf 5/6) der Pflichtbeiträge vom 15.04.1968 bis 31.03.1973 gegenüber den Feststellungen im Bescheid vom 15.03.2007 beruhe.

Mit Bescheid vom 14.01.2009 änderte die Beklagte den Bescheid vom 14.11.2008 dahingehend, dass die Zeit vom 01.04.1973 bis 22.07.1973 nicht mehr als Beitragszeit ausgewiesen wurde. Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Zugleich erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 14.11.2008 die Änderung und fragte an, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe bzw ob sich der Widerspruch erledigt habe. Gegen den Bescheid vom 14.01.2009 legte die Klägerin anwaltlich vertreten am 04.02.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung wird ausgeführt, der Widerspruch richte sich gegen die Rechtsbehelfsbelehrung. Der Bescheid hätte im Rahmen des § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erteilt werden müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.01.2009 als unzulässig zurück. Der Bescheid gelte als mitangefochten gemäß § 86 SGG durch den Widerspruch vom 02.12.2008. Die dem Bescheid angefügte (falsche) Rechtsbehelfsbelehrung stelle keine eigenständige Regelung dar. Es sei nicht erforderlich gewesen einen weiteren Widerspruch zu erheben. Der Widerspruch sei daher in vollem Umfang zurückzuweisen. Kosten seien keine zu erstatten.

Mit Bescheid vom 16.03.2009 half die Beklagte dem Widerspruch vom 02.12.2008 ab. Die Beklagte übernahm in der Folge die Kosten für dieses Widerspruchsverfahren.

Am 24.03.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 03.03.2009 erhoben und zur Begründung vorgetragen, auch wenn der Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.01.2009 nicht erfolgreich gewesen sei, müsse eine Kostenerstattung vorgenommen werden. Die Beklagte habe den unzulässigen Widerspruch aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung provoziert.

Mit Urteil vom 02.12.2009 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2009 verurteilt, die notwendigen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 14.01.2009 zu erstatten. Das SG hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Erstattungsanspruch ergebe sich aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung dadurch begangen, dass sie den Bescheid mit einer falschen Rechtsbehelfsbelehrung versehen habe. Hieraus sei der Klägerin ein Schaden entstanden, da andernfalls keine außergerichtlichen Kosten angefallen wären. Die Herstellung des Zustandes, der ohne Pflichtverletzung bestehen würde, sei über eine Kostenerstattung möglich. Das SG hat dabei ua auf eine Entscheidung des Senats vom 01.07.2003 (L 11 RJ 514/03) verwiesen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hin hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung mit Beschluss vom 06.05.2010 zugelassen (L 11 R 267/10 NZB).

Mit Beschluss vom 21.05.2010 hat das LSG vor dem Hintergrund des anhängigen Revisionsverfahrens gegen das Urteil des LSG vom 12.02.2010 (L 4 R 803/09) das Ruhen des Berufungsverfahrens angeordnet (L 11 R 2203/10). Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) entschieden hatte, hat die Beklagte das Verfahren am 11.02.2011 wieder angerufen.

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Beklagte auf die Entscheidung des BSG vom 20.10.2010 (B 13 R 15/10 R). In dem gleichgelagerten Fall habe das BSG einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für das Widerspruchsverfahren verneint.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 02.12.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und führt ergänzend aus, das BSG habe zwar entschieden, dass kein Anspruch auf Erstattung von Kosten bestehe. Allerdings liege der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der dortige Bescheid sei über § 96 SGG Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden. In diesen Fällen sei in der Kostenentscheidung des Gerichts über die Kosten des Widerspruchsverfahrens mitzuentscheiden. Eine Kostenquotelung sei gerechtfertigt, wenn die Beklagte durch falsche oder irreführende Begründung Anlass zur Durchführung des Verfahrens gegeben habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 14.01.2009 zu erstatten. Die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheids vom 03.03.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klage ist daher abzuweisen.

Die Klage unmittelbar gegen die Entscheidung der Beklagten im Widerspruchsbescheid über die Kosten des Widerspruchsverfahrens ist zulässig (BSG 19.10.2011, B 6 KA 35/10 R, juris; zur Trennung von Sach- und Kostenentscheidung vgl BSG 17.10.2006, B 5 RJ 66/04 R, SozR 4-1300 § 63 Nr 5). Eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs 1 SGG hinsichtlich der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht (BSG 19.10.2011, B 6 KA 35/10 R; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 63 RdNr 25).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Erstattung der Kosten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 14.01.2009 abgelehnt.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten aus § 63 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Ein Widerspruch hat Erfolg, wenn die Behörde ihm stattgibt (BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, SozR 4-1500 § 193 Nr 6 mwN). Der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 14.01.2009 war nicht erfolgreich. Da der Bescheid gemäß § 86 SGG bereits Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 14.11.2008 geworden ist, war der Widerspruch unzulässig. Ein Erfolg des Widerspruchs kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte in der Folge den Bescheid vom 14.11.2008 abänderte und damit dem Widerspruch vom 02.12.2008 abhalf. Denn hierfür fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen der Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14.01.2009 und der Abhilfeentscheidung. Einer ursächlichen Verknüpfung im Rechtssinne bedarf es aber, um der Widerspruchseinlegung den "Erfolg" der Abhilfentscheidung zurechnen zu können (BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, SozR 4-1500 § 193 Nr 6 mwN).

Das Begehren der Klägerin kann auch nicht auf § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X gestützt werden. Danach sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren auch dann zu erstatten, wenn der Widerspruch "nur" deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Einer der Anwendungsfälle des § 41 SGB X ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Mangel einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung (§ 36 SGB X) wird von § 41 SGB X nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht erfasst (BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, SozR 4-1500 § 193 Nr 6).

Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch aus einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Regelung auf den Fall einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung kommt nicht in Betracht (BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, SozR 4-1500 § 193 Nr 6; so schon Urteil des Senats vom 01.07.2003, L 11 RJ 514/03, juris).

Nach der Entscheidung des BSG vom 20.10.2010 (B 13 R 15/10 R, SozR 4-1500 § 193 Nr 6) scheidet auch eine Kostenerstattung aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus, da der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht auf die Gewährung von Schadensersatz im Sinne einer Kompensation in Geld gerichtet ist. Der Senat schließt sich den Ausführungen des BSG nach eigener Überzeugung an und hält an seiner gegenteiligen Rechtsauffassung nicht länger fest (so noch Urteil des Senats vom 01.07.2003, L 11 RJ 514/03, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Kostenquotelung ist anders als im Urteil des BSG vom 20.10.2010 (B 13 R 15/10 R, juris-RdNr 23 und 41) und entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht vorzunehmen. Denn der Bescheid vom 14.01.2009 ist nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens über § 96 SGG, sondern war gemäß § 86 SGG Gegenstand des mittlerweile abgeschlossenen und vorliegend nicht streitgegenständlichen Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 14.11.2008. Über die Kosten des Widerspruchs kann daher nicht in der Kostenentscheidung des Gerichtsverfahrens mitentschieden werden.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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