L 10 R 4505/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1015/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4505/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09.09.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.

Die am 1952 geborene, aus der T. stammende Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Ihren Angaben zufolge war sie nach Beschäftigungen als Näherin und Arbeiterin zuletzt von 1990 bis 2005 in Heimarbeit als Näherin tätig.

Ihren am 15.01.2009 mit der Begründung "physische Belastungen, Depression" gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.03.2009 und der Begründung ab, mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten und sei daher weder voll noch teilweise erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Grundlage dessen war das Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. R. (Untersuchung am 04.03.2009), der eine Angst- und depressive Störung gemischt sowie leichte degenerative Veränderungen an den Schultern und am rechten Knie diagnostizierte. Hinweise auf eine tiefergehende depressive Störung fand der Gutachter nicht. Die psychische Belastbarkeit der Klägerin sah er nur leicht vermindert. Seines Erachtens könne die Klägerin die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Näherin ebenso wie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr verrichten.

Am 12. März 2010 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 09.03.2009 gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Mit Bescheid vom 28.07.2010 lehnte es die Beklagte erneut ab, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Der mit der Begründung eingelegte Widerspruch, ihre gesundheitlichen Beschwerden seien so stark, dass ihr die Rente zustehe, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2011 zurückgewiesen.

Am 17.04.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Begehren Klage erhoben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Sie hat geltend gemacht, keine Arbeit von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten zu können. Sie leide schon ohne Belastungen unter ständigen starken Schmerzen im gesamten Rücken, die in Beine und Arme ausstrahlten und in den Händen zu Taubheit und Missempfindungen führten. Darüber hinaus bestünden erhebliche Schlafstörungen und sie leide unter starken Depressionen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugin angehört. Der Neurologe und Psychiater Dr. St. hat unter dem 21.07.2011 mitgeteilt, die Klägerin zuletzt am 17.07.2009 untersucht zu haben. Dr. R. , praktischer Arzt/Naturheilverfahren, hat über Behandlungen seit September 2003 berichtet und sich den im Gutachten des Dr. R. dargelegten Befunden ebenso angeschlossen wie dessen Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin. Seiner Auskunft hat er verschiedene Arztbriefe beigefügt. Mit Gerichtsbescheid vom 09.09.2011 hat das SG die Klage gestützt auf das Gutachten des Dr. R. abgewiesen.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 15.09.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17.10.2011, einem Montag, beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und im Wesentlichen geltend gemacht, sie leide seit Jahren an starken Depressionen und befinde sich deshalb in Behandlung.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09.09.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen Regelungen nicht voll erwerbsgemindert, weshalb ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung auch nicht zusteht.

Gegenstand des Rechtsstreits ist allein der Bescheid vom 28.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2011, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ablehnte. Nicht Prüfungsgegenstand ist demgegenüber der bestandskräftig gewordene Bescheid vom 09.03.2009. Zwar war Ausgangspunkt des Bescheids vom 28.07.2010 der Antrag der Klägerin auf Überprüfung des Bescheids vom 09.03.2009 gemäß § 44 SGB X, jedoch entschied die Beklagte über diesen Antrag nicht und lehnte statt dessen wiederum die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab. Allein gegen diese Rentenablehnung hat sich die Klägerin zunächst mit Widerspruch und nach Ergehen des Widerspruchsbescheides, der ebenfalls keine Ausführungen oder gar eine Entscheidung zu § 44 SGB X enthält, mit ihrer Klage gewandt; sie hat damit ihr ursprüngliches Begehren nach § 44 SGB X nicht weiter verfolgt. Gegenstand des Rechtsstreits ist damit allein die Gewährung von Erwerbsminderungsrente, so dass der Senat auch nur darüber zu befinden hat, ob der Klägerin - ausgehend von einem im März 2010 gestellten Antrag - Erwerbsminderungsrente zusteht; nicht zu befinden ist damit über die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 09.03.2009. Da die Klägerin ihr Begehren im Klageverfahren ausweislich des schriftsätzlich gestellten Antrags auf die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung beschränkt hat, so dass die Ablehnung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestandskräftig geworden ist, ist zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens auch nur die volle Erwerbsminderungsrente. In diesem Sinne legt der Senat den im Berufungsschriftsatz gestellten Antrag auf "Rente wegen Erwerbsminderung" aus.

Rechtsgrundlage für die damit im Streit stehende Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Zutreffend hat das SG entschieden, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an und verweist hinsichtlich der Begründung, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren. Soweit die Klägerin - wie zuvor schon im Klageverfahren - wiederum vorträgt, seit Jahren an starken Depressionen zu leiden, weshalb sie sich in Behandlung befinde, ist dieser Vortrag bereits durch die vom SG durchgeführten Ermittlungen nicht bestätigt worden. So hat insbesondere der von der Klägerin seinerzeit als behandelnder Arzt angegebene Neurologe und Psychiater Dr. St. im Rahmen seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge unter dem 21.07.2011 angegeben, er habe die Klägerin zuletzt am 17.07.2009 untersucht. Damit hatte sich die Klägerin aber schon zum Zeitpunkt des Klageverfahrens bereits zwei Jahre lang nicht mehr bei Dr. St. vorgestellt. Mit der angegebenen seit Jahren bestehenden starken Depression ist dies nicht zu vereinbaren. Auch Dr. R. , der die Klägerin anlässlich ihres im November 2008 gestellten Rentenantrags im März 2009 untersuchte fand keine Hinweise auf eine tiefergehende depressive Störung und wies zu Recht darauf hin, dass insoweit auch keinerlei Behandlung erfolgt war, nicht einmal eine Pharmakotherapie. Anhaltspunkte für eine seit Jahren und damit auch gegenwärtig noch fortbestehende schwere Depression ergeben sich damit nicht. Dass sich die Klägerin zeitlich nach der erwähnten Auskunft des Dr. St. erneut in nervenärztliche Behandlung begeben hat, ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin insbesondere auch nicht behauptet. Soweit sie im Zusammenhang mit den angegebenen schweren Depressionen weiter geltend macht, sie habe seit knapp zwei Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen, trifft dies ganz offensichtlich nicht zu. Denn zum einen hat die Klägerin ausweislich der dem SG unter dem 26.07.2011 erteilten Auskunft des Dr. R. "bis zum heutigen Tag", also zumindest bis Mitte 2011 in dessen hausärztlicher Behandlung gestanden. Zum anderen zeigen aber auch die der Auskunft des Dr. R. beigefügten Arztbriefe, dass die Klägerin auf dessen Überweisung mehrere Fachärzte aufgesucht hat und somit durchaus in der Lage gewesen ist, ihre Wohnung zu verlassen. So suchte sie im Februar, Juli und Oktober 2010 den Orthopäden Dr. E. , im März 2010 sowie im Februar und März 2011 den Facharzt für Radiologie Dr. L. , im Januar 2011 die Frauenärztin E. , im März 2011 den Internisten Dr. G. und im Juli 2011 den Arzt für Chirurgie Dr. H. auf.

Den erwähnten Arztbriefen über die jeweiligen Vorstellungen der Klägerin sind im Übrigen keine Befunde zu entnehmen, die rentenrelevante Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin haben könnten. Angesichts dessen sieht der Senat auch keinen Grund für die Durchführung weiterer Ermittlungen auf orthopädischem, internistischem oder gynäkologischem Fachgebiet. Auch im Hinblick auf die geltend gemachte Depression sind weitere Ermittlungen nicht angezeigt, insbesondere ist die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich. So hat sich das Vorbringen der Klägerin über eine seit Jahren bestehende schwere Depression - wie bereits dargelegt - gerade nicht bestätigt. Auch Dr. R. hat ausweislich seiner dem SG erteilten Auskunft vom 26.07.2011 von psychischer Seite keine schwerwiegenden Einschränkungen gesehen. Er hat sich vielmehr ausdrücklich der Einschätzung des Dr. R. angeschlossen, der bei der Klägerin auf der Grundlage der anlässlich seiner Untersuchung erhobenen Befunde eine Angst- und depressive Störung gemischt diagnostizierte, mithin eine eher leichtgradige Beeinträchtigung, aus der keine rentenrelevante Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögen resultiert. Hätte Dr. R. anlässlich der regelmäßigen Vorstellungen der Klägerin Hinweise auf das Vorliegen einer schweren Depression gefunden, wäre im Übrigen zu erwarten gewesen, dass er die Klägerin im Anschluss an die zuletzt erfolgte Vorstellung bei Dr. St. im Juli 2009 erneut an diesen Nervenarzt überwiesen hätte.

Nach alledem kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
Saved