L 4 P 1530/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 812/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1530/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 07. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes "Leistungen" der Pflegeversicherung der Pflegestufe I.

Die am 1922 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet an Mobilitätseinschränkungen bei Morbus Parkinson, einem Tremor und Blasenschwäche. Des Weiteren besteht ein Zustand nach Katarakt-Operation.

Mit förmlichem Antrag vom 01. Juli 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Pflegegeld zur Durchführung der Pflege durch ihre Tochter W. V ... Dem Antrag beigefügt war eine Hilfebedarfsermittlung der grundpflegerischen und hauswirtschaftlichen Verrichtungen bei häuslicher Pflege vom 01. Juli 2011, wonach die Klägerin neben der hauswirtschaftlichen Versorgung der Hilfe bei der Ganzkörperpflege, Teilwäsche, Duschen/Baden sowie beim An- und Auskleiden bedarf. Pflegefachkraft Fritsch nannte in ihrem Gutachten vom 09. August 2011 einen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von insgesamt 15 Minuten (Körperpflege sieben Minuten, Mobilität acht Minuten) sowie von 60 Minuten täglich für die Hauswirtschaft. Mit Bescheid vom 12. August 2011 lehnte die Beklagte gestützt hierauf Leistungen aus der Pflegeversicherung ab, da der für die Pflegestufe I erforderliche Hilfebedarf von 90 Minuten täglich - davon mindestens 46 Minuten in der Grundpflege - nicht erreicht werde. Die Klägerin machte daraufhin unter Vorlage einer "Pflegedokumentation" u.a. geltend was die Beklagte als Widerspruch ansah -, dass sie der Hilfe bei der Ganzkörperwäsche, der mundgerechten Zubereitung und Aufnahme der Nahrung und dem Wechseln und Waschen der Kleidung und Wäsche bedürfe. In der Wohnung könne sie nur mit Rollator gehen und beim Verlassen der Wohnung sei eine Begleitperson notwendig, da sie Stufen oder Unebenheiten nicht alleine bewältigen könne. Außerdem würden an Ampeln und bei dichtem Gedränge Panikattacken auftreten mit der Folge, dass ihr die Beine wegbrächen. Solche Attacken hätten sich auch schon in der Wohnung ereignet. In dem von der Beklagten daraufhin veranlassten weiteren Gutachten vom 18. Oktober 2011 stellte Pflegefachkraft St. einen täglichen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 21 Minuten fest, nämlich 15 Minuten bei der Körperpflege, eine Minute bei der Ernährung und fünf Minuten bei der Mobilität. Die Klägerin versorge sich grundpflegerisch überwiegend noch selbstständig. Sie könne selbstständig mit dem Rollator gehen. Gehen außerhalb der Wohnung sei keine Grundpflege. Hierauf unterrichtete die Beklagte die Klägerin unter dem 25. Oktober 2011, dass es beim Bescheid vom 12. August 2011 verbleibe. Die Klägerin erhob hiergegen "Widerspruch" und legte eine eidesstattliche Versicherung des Georges Wörner vom 21. November 2011 vor, wonach die Klägerin an Parkinson leide und aus diesem Grund sowie wegen ihres hohen Alters er, Georges Wörner, einen Pflegebedarf von mindestens einer Stunde täglich sehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 04. Januar 2012 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, es werde nicht bezweifelt, dass die tatsächlichen täglichen Hilfeleistungen in größerem Umfang erbracht würden, als dies hier zu berücksichtigen sei. Die Zeiten der Betreuung seien jedoch im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Einstufung in eine Pflegestufe nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) nicht berücksichtigungsfähig. Es könne nur der unbedingt erforderliche Zeitaufwand für die Grundpflege in die Berechnung einfließen, nicht jedoch der tatsächlich erbrachte Zeitaufwand. Insgesamt erreiche der Hilfebedarf der Klägerin im grundpflegerischen Bereich (täglich 21 Minuten) zusammen mit dem Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (täglich 60 Minuten) nicht den für die Zuordnung in Pflegestufe I erforderlichen zeitlichen Mindestumfang von 90 Minuten im Tagesdurchschnitt, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssten.

Hiergegen erhob die Klägerin am 07. Februar 2012 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, bei ihr Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I festzustellen und entsprechend Leistungen zu gewähren (S 5 P 596/12). Am 21. Februar 2012 beantragte die Klägerin außerdem beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung, ihr bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren, längstens jedoch für sechs Monate, vorläufig Leistungen nach der Pflegestufe I zu gewähren. Sie leide an einem Parkinson-Syndrom, u.a. mit Tremor und einer posturalen Instabilität zur Seite. Zudem habe sie eine altersbedingte Sehschwäche. Sie habe einen Hilfebedarf von durchschnittlich mindestens 90 Minuten pro Tag, dabei entfielen auf die Grundpflege mindestens 45 Minuten täglich. Pflegefachkraft St. habe nur mit ihr gesprochen und sie während des Gesprächs gebeten, sie möge mit ihrem Rollator einmal vor seinen Augen auf- und abgehen, was sie getan habe. Allein hierauf beruhten seine gutachterlichen Feststellungen vom 18. Oktober 2011. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls zu bejahen. Es bestehe bei ihr eine erhebliche Sturzgefahr und damit eine Gefahr für Leib und Leben. In Anbetracht der eingeschränkten Disponibilität ihrer Kinder drohe bei Nichtgewährung von Pflegeleistungen eine Gefahr für ihre körperliche Integrität. Sie sei finanziell nicht dazu in der Lage, die erforderlichen Pflegeleistungen selbst zu verauslagen. Ein Pflegedienst werde (selbstverständlich) nicht ohne Vergütung für sie tätig werden. Die Klägerin legte eine eigene eidesstattliche Versicherung vom 19. Februar 2012 vor. Darin führte sie aus, dass sie beim Gehen, auch in der Wohnung, auf ihren Rollator angewiesen sei bzw. sich an festen Gegenständen festhalten müsse. Länger als zehn Minuten könne sie nicht stehen. Alle Tätigkeiten, für die sie beide Hände brauche, bereiteten ihr besondere Schwierigkeiten, da sie sich dann nicht festhalten könne und befürchte zu stürzen. Anziehen und Duschen sei ihr nur unter ganz erheblichen Schwierigkeiten und daher eigentlich alleine gar nicht möglich. Auch komme sie kaum alleine aus dem Bett heraus. Des Weiteren könne sie sich kein Essen zubereiten. Selbst Einkaufen falle ihr schwer. Bisher habe ihr ihre Tochter Waltraud Vogt beim Duschen, Anziehen und im Haushalt geholfen. Sie habe ihr jetzt aber gesagt, dass sie nicht bereit sei, ihr weiter zu helfen, da sie hierfür keine Zeit habe. Die Pflegeversicherung müsse das bezahlen. Es sei eigentlich nicht ihre - der Tochter - Verantwortung. Sie würde ihr nur noch ausnahmsweise und nur dann, wenn auch das Gericht der Ansicht sei, dass sie nicht pflegebedürftig sei, helfen. Ihre zweite Tochter helfe ihr nicht, ihr Sohn bringe ihr manchmal am Wochenende etwas Essen vorbei.

Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben, da ein Anspruch auf Pflegeleistungen nicht begründet sei. Auch ein Anordnungsgrund liege nicht vor, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für die Klägerin einen wesentlichen Nachteil mit sich bringen würde.

Das SG lehnte mit Beschluss vom 07. März 2012 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lägen nicht vor, da es bereits an einem Anordnungsgrund fehle. Mit Pflegegeld zur Sicherstellung häuslicher Pflege könne der Klägerin offenbar nicht geholfen werden, da ihre Tochter es laut der eidesstattlichen Versicherung ablehne, weiterhin Pflegeleistungen zu erbringen. Ein Anspruch darauf würde im Übrigen schon an § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI scheitern. Pflegesachleistungen, auf die die Klägerin inzwischen offenbar abstelle, könne sie nur in Anspruch nehmen, wenn ihr Leistungen nach § 36 SGB XI zugebilligt würden. Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe in diesem Sinne umfasse jedoch nach § 36 Abs. 3 Nr. 1a SGB XI lediglich Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von EUR 450,00 im Monat. Dies würde nur eine morgendliche oder eine abendliche Pflegeeinheit eines Sozialdienstes abdecken. Damit wäre die von der Klägerin vorgetragene ständige Sturzgefahr nicht zu beseitigen. Mit einer einstweiligen Anordnung könnten wesentliche Nachteile deshalb nicht abgewendet werden. Ob ein Anordnungsanspruch bestehe, könne demnach offenbleiben. Jedenfalls liege er nicht derart auf der Hand, als dass sich deshalb die Anforderungen, die an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu stellen seien, ausnahmsweise reduzieren würden. Ob die zuletzt vom MDK veranschlagten 21 Minuten zu knapp seien, könne dahinstehen. Jedenfalls liege ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten allein im Grundpflegebereich nicht offen auf der Hand.

Gegen den am 11. März 2012 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 11. April 2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Beschwerde eingelegt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtanwältin Goede beantragt. Sie macht geltend, es liege sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vor. Ihre Tochter habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass sie nicht gewillt sei, weiter unentgeltlich und in erheblichem Umfang notwendige Pflegeleistungen für sie zu erbringen. Aktuell würden die Tochter und die anderen Familienmitglieder weiterhin im vorgetragenen Umfang für sie Pflegeleistungen erbringen. Richtig sei, dass sie zur Sicherstellung der Pflegeleistungen einen Pflegedienst habe beauftragen wollen. Der Sturzgefahr könne gerade durch die begehrten Pflegeleistungen abgeholfen werden, da diese in den Situationen einsetzen würden, in denen die Sturzgefahr besonders ausgeprägt sei. Im Übrigen sei ihr Bedarf beim Aufstehen und Zubettgehen gar nicht bzw. Hilfen beim Gehen und Stehen unzureichend in Ansatz gebracht worden. Besorgungen, die sie noch mit ihrem Rollator unternehme bzw. versuche zu unternehmen, befänden sich in einem Umfeld von maximal 500 Metern von ihrer Wohnung entfernt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 07. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren S 5 P 596/12, längstens jedoch für sechs Monate, vorläufig Leistungen nach der Pflegestufe I zu zahlen sowie ihr Prozesskostenhilfe ohne die Anordnung einer Ratenzahlung für das Beschwerdeverfahren L 4 P 1530/12 ER-B unter Beiordnung von Rechtsanwältin G., O., zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Es sei von keinem Anordnungsanspruch auszugehen. Der Grundpflegebedarf der Klägerin erreiche nicht den für die Zuordnung der Pflegestufe I erforderlichen Tagesdurchschnitt von mindestens 46 Minuten. Darüber hinaus bestehe Bezug nehmend auf die Ausführungen im Beschluss des SG auch kein Anordnungsgrund.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Auch wenn aus den von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren gestellten Anträgen sich nicht ergibt, welche konkrete Leistung der häuslichen Pflege nach der Pflegestufe I (Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI, Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI) sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren, längstens jedoch für sechs Monate, begehrt, ist der für ein Hauptsacheverfahren maßgebliche Beschwerdewert von EUR 750,00 (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten. Der Anspruch auf Pflegesachleistungen und Kombinationsleistungen der Pflegestufe I beläuft sich seit 01. Januar 2012 auf einen monatlichen Höchstbetrag von EUR 450,00, das Pflegegeld der Pflegestufe I beträgt je Kalendermonat seit 01. Januar 2012 EUR 235,00, Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von EUR 750,00 wäre bereits im zweiten Monat oder im dritten Monat überschritten.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Klägerin vorläufige Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege (Pflegesachleistungen, Pflegegeld oder Kombinationsleistungen) nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder ein rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, für das dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02. Mai 2005 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Regelmäßig ist eine summarische Prüfung, bezogen auf den gegenwärtigen Verfahrensstand vorzunehmen.

Aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstands besteht hier schon kein Anordnungsanspruch, weil davon auszugehen ist, dass die Klägerin jedenfalls derzeit (noch) keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege nach der Pflegestufe I hat.

Der Senat lässt dahingestellt, ob die Klägerin Pflegesachleistungen, Pflegegeld oder Kombinationsleistungen begehrt. Auch das Beschwerdevorbringen der Klägerin ist insoweit nicht eindeutig. Zwar können Versicherte nicht allgemein Leistungen der Pflegeversicherung beantragen, sondern müssen diese auf eine der verschiedenen Leistungsarten konkretisieren, weshalb das Begehren der Klägerin schon aus diesem Grund unzulässig sein könnte. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, denn es fehlt auf jeden Fall an den Voraussetzungen der Pflegestufe I im Hinblick auf die Gewährung von Pflegesachleistungen, Pflegegeld oder Kombinationsleistungen.

Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Nimmt der Pflegebedürftige die ihm nach § 36 Abs. 3 und 4 SGB XI zustehende Sachleistung nur teilweise in Anspruch, erhält er nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB XI daneben ein anteiliges Pflegegeld im Sinne des § 37 SGB XI. Pflegebedürftig im Sinne dieser Vorschriften ist, wer einer der drei Pflegestufen zugeordnet ist. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zubettgehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - SozR 3 3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 4).

Der Senat vermag im Hinblick auf die urkundenbeweislich zu verwertenden MDK-Gutachten vom 09. August 2011 (Pflegefachkraft Fritsch) und 18. Oktober 2011 (Pflegefachkraft St.), in denen der grundpflegerische Hilfebedarf mit täglich 15 bzw. 21 Minuten eingeschätzt wurde, nicht festzustellen, dass der Hilfebedarf bei der Klägerin im Bereich der Grundpflege einen Zeitbedarf von 45 Minuten pro Tag übersteigt, also mindestens 46 Minuten beträgt. Insbesondere ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin mit ihrem Rollator auch in der Wohnung nicht alleine gehen kann und insoweit der Hilfe bedarf. Dies geht auch nicht aus der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin vom 19. Februar 2012 hervor. Der Senat bezweifelt insoweit nicht, dass die Klägerin unsicher wird, wenn sie sich nur mit einer Hand am Rollator oder an sonstigen festen Gegenständen festhalten kann. Dies wurde indessen in den Gutachten der Pflegefachkräfte Fritsch und St. berücksichtigt, indem ein Hilfebedarf bei der Körperpflege bezüglich des Waschens und beim An- und Ausziehen sowie bei Transfers bejaht wurde. Dass sich die Klägerin mithilfe des Rollators noch fortbewegen kann, wird auch daraus deutlich, dass sie ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 19. Februar 2012 mithilfe des Rollators sogar in der unmittelbaren Umgebung ihrer Wohnung noch zum Einkaufen gehen kann. Einen Hilfebedarf im Zusammenhang mit Toilettengängen hat die Klägerin zwar in der individuellen Pflegedokumentation vom August 2011, nicht jedoch in ihrem Antrag vom 01. Juli 2011, den Gutachtern gegenüber und auch nicht in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 19. Februar 2011 angegeben, so dass auch hierfür kein weiterer Hilfebedarf glaubhaft gemacht ist. Im Übrigen ist auch kein Zeitbedarf für die Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung zu berücksichtigen. Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchen ist als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG, Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - und 06. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nrn. 5 und 6 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist u.a. nur dann gegeben, wenn ein mindestens einmal wöchentlicher Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung für Arztbesuche oder das Aufsuchen ärztlich verordneter Behandlungen gegeben ist. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht aufgrund des Vorbringens der Klägerin im Beschwerdeverfahren, wonach sie nicht in der Lage gewesen sei, die Kanzlei der beizuordnenden Rechtsanwältin aufzusuchen. Denn die Mobilität außerhalb der Wohnung ist nur im Zusammenhang mit den oben genannten Verrichtungen, wozu die Konsultation des Rechtsanwalts nicht gehört, zu berücksichtigen.

Hinsichtlich des Anordnungsgrundes hat die Klägerin im Beschwerdeverfahren nunmehr keinerlei Gründe vorgebracht, aus denen sich ergeben könnte, dass ihr ein Abwarten des Klageverfahrens unzumutbar ist, nachdem die Tochter und die anderen Familienmitglieder Pflegeleistungen für sie erbringen. Es fehlt damit auch nach wie vor an einem Anordnungsgrund. Die Leistungen der häuslichen Pflege sind keine existenzsichernden Leistungen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI ergänzen bei häuslicher und teilstationärer Pflege die Leistungen der Pflegeversicherung die familiäre, nachbarschaftliche oder sonstige ehrenamtliche Pflege und Betreuung. § 4 Abs. 2 SGB XI als Grundnorm verdeutlicht, dass die Leistungen der Pflegeversicherung (lediglich) eine soziale Grundsicherung in Form von unterstützenden Hilfeleistungen darstellen sollen, eine Vollversorgung des Pflegebedürftigen indessen nicht angestrebt wird. Im ambulanten Bereich obliegt es den Versicherten, einen durch die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckten Pflege- und Betreuungsaufwand selbst sicherzustellen (vgl. Bundestags-Drucksachen 12/5262 S. 90 und 16/7439, S. 44; siehe auch BSG, Urteil vom 5. Mai.2010 - B 12 R 6/09 R - SozR 4 2600 § 3 Nr. 5

Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, da die Beschwerde, wie dargelegt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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