Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 5130/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 3852/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 23. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung von Gesundheitsstörungen aufgrund vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) streitig.
Die 1967 geborene Klägerin wurde als Jüngste einer vierköpfigen Familie geboren, ihre viereinhalb ältere Schwester ist alkoholkrank und schizophren. Ihr ebenfalls alkoholkranker Vater verstarb nach Schwerstpflege ab 1984 am 20.03.1988 an Lungenkrebs (Schreiben U. M. vom 11. und 17.08.2005). Nach regulärem Schulbesuch erlangte die Klägerin im Juni 1987 die allgemeine Hochschulreife mit einem Abiturdurchschnitt von 2,6 (Zeugnis vom 12.06.1987). Danach entrichtete sie zunächst von August 1987 bis Februar 1988 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung und absolvierte vom 01.03.1988 bis zum 23.09.1993 erfolgreich ein Studium der Sozialpädagogik. Nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit durchlief die Klägerin vom 01.09.1994 bis zum 31.08.1995 ihr soziales Anerkennungsjahr als Sozialpädagogin. Danach war sie überwiegend arbeitslos. Zwischenzeitlich begann sie im Oktober 1999 eine Heilpraktiker-Ausbildung, die sie im April 2000 abbrach. Seit 01.12.2003 bezieht sie Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie ergänzend Sozialhilfe.
Im Frühsommer 1974 wurde der Klägerin von einem Fremden der Rock hochgehoben und sie im Schritt berührt. Der Vorfall wurde der Polizei gemeldet (Schreiben U. M. vom 11. und 17.08.2005). Weitere Fälle sexueller Belästigung oder sexuellen Missbrauchs gelangten nicht zur Anzeige. Die Kriminalpolizei E. bestätigte am 26.04.2005, dass die Klägerin namentlich nicht bekannt ist und auch keine Recherchemöglichkeiten mehr bestehen.
Vom 27.06.1990 bis zum 07.09.1990 und nach Suizidversuch vom 08.09.1990 bis zum 01.10.1990 wurde die Klägerin erstmals im Krankenhaus G. wegen einer depressiv getönten Neurose und Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp in Rosengarten stationär behandelt. Sie berichtete, dass ihr Vater, den sie als verschlossen oder gereizt und aggressiv erlebt habe, vor 2 Jahren verstorben sei. Bei der nächsten stationären psychosomatischen Behandlung wegen neurotischer Entwicklung und depressiver Verstimmung in der Psychosomatischen Klinik Bad N. vom 08.01.1991 bis zum 21.02.1991 erzählte die damals magersüchtige Klägerin, dass sie sich durch ihr Studium sehr belastet gefühlt habe. Sie berichtete über Alkohol- und seit ihrem 15. Lebensjahr gelegentlichen Haschischkonsum. Zu ihren Eltern habe sie, weil Prügel und Liebesbezeugungen sich abgewechselt hätten, eine Hassliebe entwickelt. Zur Dekompensation sei es nach dem Tod des Vaters gekommen, zu dem nach Einschätzung der Ärzte eine unbewusste ödipale Fixierung bestanden habe.
Im Rahmen der stationären Maßnahme in der Psychiatrischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses E. vom 29.03.1992 bis zum 06.04.1992 (Differentialdiagnose: Borderline-Störung, neurotische Depression) äußerte die Klägerin erstmals vage Vermutungen über einen sexuellen Missbrauch durch den Vater. In der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie/Psychosomatik und Neurologie der Klinik Dr. H. in B./O., in der die Klägerin dann wieder wegen einer frühen Persönlichkeitsstörung vom 06.12.1993 bis zum 23.02.1994 und vom 02.03.1994 bis zum 14.04.1994 stationär behandelt wurde, hatte sie bildhafte Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch ihren Vater und ihre Mutter sowie eine andere Person, an deren Wahrheitsgehalt sie zweifelte. Auch in der Fachklinik H. in Bad K., die sie vom 15.05.1996 bis zum 02.01.1997 und vom 03.12.1997 bis zum 14.04.1998 wegen einer schweren Borderline-Persönlichkeitsstörung stationär aufnahm, berichtete sie, sich an Bilder und Träume von sexuellem Missbrauch durch den Vater erinnern zu können. Auch ein Lehrer habe sie sexuell bedrängt.
In der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums N. in H. wurde sie vom 03.09.1998 bis zum 08.09.1998, vom 15.09.1998 bis zum 14.10.1998, vom 08.01.1999 bis zum 11.01.1999, vom 03.02.1999 bis zum 18.02.1999, vom 26.03.1999 bis zum 29.03.1999 und vom 24.04.1999 bis zum 08.05.1999 im Rahmen ansonsten teilstationärer Aufenthalte vom 15.04.1998 bis zum 30.04.1999 und ab 19.05.1999 behandelt, wobei sie zuletzt angab, ihr ständig betrunkener Vater sei "übergriffig" gewesen, sie könne sich an einen sexuellen Missbrauch im Alter von 3 Jahren erinnern. Nach Einschätzung der Ärzte lasse sich bei dissoziativer Störung und emotional instabiler Persönlichkeit mit Essstörung, autoaggressiven Tendenzen, chronischer Suizidalität und schwerer narzisstischer Problematik auch angesichts der fast täglichen Selbstverletzungen mit Glasscherben, Rasierklingen und Glühbirnen nicht sicher beurteilen, inwieweit das magische, nicht wahnhafte Denken paranoide Qualität habe.
Weitere stationäre Behandlungen schlossen sich an. Die behandelnden Ärzte in der Fachklink für Psychiatrie und Psychotherapie NLKH G. (19.01.2000 bis 08.02.2000) diagnostizierten eine chronifizierte, komplexe posttraumatische Belastungsstörung vom Phänotyp der Borderline-Persönlichkeitsstörung mit selbstverletzendem Verhalten, eine Depersonalisationsstörung, eine Panikstörung mit Agoraphobie, eine Bulimia nervosa, eine soziale Phobie sowie rezidivierende Episoden einer Major-Depression. Im Evangelischen J.-Krankenhaus B. (15.08.2000 bis 28.09.2000, 30.07.2001 bis 29.11.2001, 12.12.2002 bis 04.04.2003, 18.11.2003 - 29.01.2004) wurde eine Depression mit Ängsten und Essstörungen vor dem Hintergrund einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie ab dem Jahr 2004 eine chronisch komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit dissoziativen Amnesien, Depersonalisations- und Derealisationserleben, Fugues und dissoziativen Sensibilitätsstörungen, eine depressive Episode mit Identitätswechsel, eine somatoforme Störung, eine Essstörung, Schlafstörungen, Alpträume, selbstverletzendes Verhalten und Suizidgedanken beschrieben. Vom Zentrum für Psychiatrie E. (22.02.2004 bis 25.02.2004) wurde ein Zustand nach parasuizidaler Handlung bei chronisch komplexer posttraumatischer Belastungsstörung mit mnestisch multiplen Symptomen diagnostiziert. Das Universitätsklinikum F. gab am 18.08.2004 eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode, und eine Panikstörung an.
Die Klägerin beantragte am 03.02.2005 die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen einer sexuellen Schädigung im Kindes- und Jugendalter. Sie gab an, unter Depressionen, Lebensmüdigkeit, dissoziativen Störungen, Angst- und Panikzuständen, somatischen Beschwerden, Schlafstörungen, Alpträumen, Flashbacks sowie Essstörungen zu leiden. Diese Gesundheitsstörungen führte sie auf einen wiederholten sexuellen Missbrauch als K.es Kind und Jugendliche im engen Umfeld des Elternhauses, im Alter zwischen 5 und 6 Jahren durch einen Fremden und im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch einen Lehrer, wiederholte körperliche und verbale Demütigungen durch Mitschüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren in E./Sch.-H. sowie Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 in H. zurück. Zur Anzeige habe sie lediglich den sexuellen Missbrauch durch einen Fremden im Alter zwischen 5 und 6 Jahren gebracht. Sie legte die ärztlichen Unterlagen über ihre Klinikaufenthalte vor.
Die Beklagte, die Freie und Hansestadt H., zog die Unterlagen der ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei.
Mit Bescheid vom 09.05.2005 stellt die Beklagte im Schwerbehindertenverfahren den Grad der Behinderung der Klägerin mit 80 seit 15.12.2004 fest.
Die Ermittlungen der Beklagten bei der Kriminalpolizei E., der Staatsanwaltschaft I. und diversen lokalen Zeitungen hinsichtlich sexueller Übergriffe gegen die Klägerin blieben erfolglos. Ferner enthalten die Akten handschriftliche Hinweise, Ermittlungen bei der Grundschule K.-N. und der Erziehungs-/Lebensberatungsstelle H. D. in E. seien nicht mehr möglich.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts befragte die Beklagte U. M., die Mutter der Klägerin, schriftlich als Zeugin. Diese gab unter dem 11.08.2005 an, die Klägerin sei im Alter zwischen 4 und 5 Jahren einmalig durch einen Fremden missbraucht worden. Dieser habe sie, während sie draußen gespielt habe, von hinten festgehalten und sie mit der Hand an der Scheide unsittlich berührt. Dieser Vorfall sei der Polizei gemeldet worden. Von einem sexuellen Missbrauch durch den Vater der Klägerin habe sie nichts mitbekommen. Zwar habe der Vater der Klägerin zwischen 1975 und 1985 sehr viel getrunken und sei sehr ausfällig geworden. Angaben zu Missbrauchsfällen könne sie aber nicht machen. Unter dem 17.08.2005 gab die Mutter der Klägerin an, die Klägerin habe sehr darunter gelitten, dass ihr Vater, wenn er betrunken nach Hause gekommen sei, die ganze Familie verbal fertig gemacht habe. Es sei auch zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen.
Die Klägerin führte in ihrem Schreiben vom 15.09.2005 aus, sie habe als Kind bis circa zum 8. Lebensjahr in einem Durchgangszimmer, welches auch gleichzeitig das Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen sei, nächtigen müssen. Ihr Vater habe sich, wenn er nachts schwer betrunken nach Hause gekommen sei, oft in diesem Durchgangszimmer aufgehalten. Teilweise habe er auch andere betrunkene Männer mit nach Hause gebracht. Sie sei unter anderem häufig, sowohl im Kinderzimmer als auch in der Badewanne nebenan, oral von ihm sexuell missbraucht worden. Es sei schwer nachzuvollziehen, dass ihre Mutter kein Würgen gehört und auch von den anderen Übergriffen in Form eines In-sie-Eindringens bei Zuhalten ihres Mundes nichts mitbekommen haben wolle. Nachts habe sie öfter vor Angst geschrien. Ihre Mutter habe so lange zugehauen, bis sie nicht mehr geschrien habe. Ihr Vater sei immer wieder über die Familie hergefallen und brutal gewesen. Es habe durchaus Situationen gegeben, dass ihr Vater vor dem Fernseherapparat in Anwesenheit ihrer Mutter und der Kinder mit seinem Geschlechtsorgan zugange gewesen sei. Ferner sei es zu einem Übergriff durch einen Fremden im Alter zwischen 4 und 5 Jahren gekommen, indem dieser nach Hochziehen ihrer Rockes seine Finger als Penisersatzes benutzt habe. Des Weiteren beschrieb die Klägerin, dass sie ab der 6. Klasse durch ihren Klassenlehrer mit sexuellen Wünschen und Fantasien bedrängt worden sei. Es sei bis zum Abitur zu penetranten sexuellen Anspielungen und Grabschen gekommen. In der 9. Klasse sei sie in eine Mobbingsituation geraten, in deren Rahmen sie von einer Gruppe von Jungs ständig auf übelste Art psychisch beleidigt, bespuckt, geprügelt und verfolgt worden sei.
Ferner befragte die Beklagte C. B. unter dem 18.10.2005 schriftlich als Zeugin. Sie gab an, sie habe die Klägerin im 16. Lebensjahr kennengelernt und sei deren gleichaltrige Freundin gewesen. Sie sei zwar niemals Zeugin einer gegenüber der Klägerin ausgeübten Tätlichkeit geworden. Dennoch sei sie sich sicher, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei. Rückblickend seien ihr die insbesondere im Rahmen eines gemeinsam verbrachten Urlaubs aufgefallene totale Gefühlskälte und Zerbrochenheit der Familie der Klägerin in deutlicher Erinnerung. Als sie die Klägerin im Klinikum G. besucht habe, habe diese zu ihr gesagt, man habe bei der Therapie herausgefunden, dass sie als Kind missbraucht worden sei.
Mit Bescheid vom 21.11.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Sie führte zur Begründung aus, die von der Klägerin geschilderten Gewalttaten und hierdurch erlittenen Schädigungen stellten in Wirklichkeit nur Schlussfolgerungen dar und bezeugten keine Tatsachen aus eigenem Erleben. Bei dieser Sachlage lasse sich daher keineswegs ohne begründete Zweifel feststellen, ob oder dass hier selbsterlebte Tatsachen erinnert würden. Im Übrigen ließen sich aufgrund des langen Zeitablaufes die geltend gemachten Angriffe nicht mehr nachweisen. Weitere Ermittlungsansätze seien nicht ersichtlich. Versorgungsrechtlich dürfe vom Krankheitsbild nicht auf dessen Ursache rückgeschlossen werden, sondern umgekehrt. Erst wenn die Ausgangs- beziehungsweise Anknüpfungstatsachen feststünden, sei zu klären, ob diese für den angegebenen Gesundheitszustand verantwortlich zu machen seien. Es habe aber nicht der Nachweis erbracht werden können, ob sich die Gewalttaten so zugetragen hätten. Diese Nichterweislichkeit gehe zu Lasten der Klägerin. Im Übrigen lägen auch Versagungsgründe vor, da die Klägerin keine Strafanzeige erstattet habe.
Hiergegen legte die Klägerin am 07.12.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die im Evangelischen J.-Krankenhaus B. durchgeführte Testdiagnostik ausgeführt, der stattgefundene Missbrauch sei mit wissenschaftlichen Methoden feststellbar. Zur Frage der Kausalität zwischen den schädigenden Ereignissen und der Gesundheitsstörung sowie zur Glaubwürdigkeit der Klägerin sei ein Gutachten einzuholen.
Weitere Ermittlungen der Beklagten beim Kirchenkreis R. hinsichtlich des Erhalts von Unterlagen der Erziehungs-/Lebensberatungsstelle H. D. in E. blieben erfolglos.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, für den Missbrauch durch den Vater, dessen Freunde, die Mutter und einen Lehrer stehe nur die Aussage der Klägerin als Nachweis zur Verfügung. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) komme der Klägerin nicht zu gute. Denn diese Vorschrift erfordere, dass der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen könne. Es müsse also eine eindeutige Kenntnis der Klägerin von den Missbrauchstatbeständen gegeben sein. Davon sei jedoch nicht auszugehen. So ergebe sich aus den Angaben der Klägerin gegenüber den Ärzten im Krankenhaus G., im Krankenhaus E. und in der Klinik Dr. H. nicht der Eindruck, dass ein sicheres Wissen der Klägerin vorliege. Dasselbe gelte für den Missbrauch durch einen Nachbarn im Jahr 1999. Dieser könne allein aufgrund der Angaben der Klägerin nicht als nachgewiesen angesehen werden. Denn die Klägerin habe im Klinikum N. nur angemerkt, dass hier das Trauma durch einen Übergriff eines Nachbarn erneut ausgelöst worden sei. Vom Klinikum N. sei ein derartiger Sachverhalt jedoch nicht erwähnt. Bezüglich des Angriffs auf der Straße durch einen Fremden im Alter der Klägerin zwischen 4 und 5 Jahren lägen Versagungsgründe vor. In Folge des langen Zeitablaufs könne der diesbezügliche Täter nicht mehr ermittelt werden. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung des Täters sowie an der Möglichkeit, diesen in Regress zu nehmen. Gründe, die dagegen gesprochen hätten, nach Volljährigkeit beziehungsweise nachdem der Klägerin der Missbrauch durch die Therapie bewusst geworden sei, den Täter sofort anzuzeigen beziehungsweise Versorgung zu beantragen, solange noch Ermittlungen zum Tatgeschehen erfolgreich gewesen wären, seien hier nicht ersichtlich. Es sei nicht hinnehmbar, dass ein Opfer Leistungen nach dem OEG verlangen könne, ohne an der Ermittlung des Täters mitzuwirken. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen der Klägerin überwiege das Interesse des Staates, die beantragte Leistung zu versagen. Die von der Klägerin im Alter zwischen 13 und 16 Jahren erlebten körperlichen und verbalen Demütigen durch Gruppen von Mitschülern in Form von massivem Mobbing stellten keine Angriffe im Sinne des OEG dar.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.10.2006 Klage beim Sozialgericht F. erhoben. Sie hat zur Begründung ausgeführt, die Erinnerungen an den frühkindlichen Missbrauch durch ihren Vater und durch andere Personen seien erst durch die späteren Therapien nach und nach in ihr Bewusstsein gerufen worden. Eine Strafanzeige gegen ihren Vater sei nicht mehr möglich. Von dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens wegen sexuellen Missbrauchs durch einen Fremden habe sie keine Kenntnis. Es lägen ausreichend glaubhafte Aussagen zu sexuellen Missbräuchen in der Kindheit vor. Es sei eine sehr intensive und breitgefächerte Diagnostik durchgeführt worden. Der kognitive oder emotionale Bereich an Erinnerung müsse nicht vollständig sein. Es reichten angesichts des Krankheitsbildes auch zum Teil bruchstückhafte, lückenhafte und voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für die Überzeugungsbildung aus.
Die Klägerin hat Unterlagen über ihre Aufenthalte in der Uexküll-Klinik F. vom 31.01.2006 bis zum 16.03.2006, im Zentrum für Psychiatrie E. vom 16.03.2006 bis zum 27.03.2006 und vom 12.04.2006 bis zum 28.04.2006, in der F.-H.-Klinik in B. bei F. vom 19.09.2007 bis zum 20.11.2007, im Evangelischen J.-Krankenhaus B. vom 22.04.2008 bis zum 17.06.2008 und vom 10.02.2010 bis zum 24.04.2010 vorgelegt.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die die Klägerin betreuende Beratungs- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen W. e. V. unter dem 29.05.2007 mitgeteilt, die Klägerin wolle aus Verantwortung für das Wohl ihrer damals psychotisch und alkoholkranken Schwester weder deren Namen noch deren Adresse bekannt geben. Ferner hat sie ausgeführt, den sexuellen Missbrauch im Jahr 1972/1973 durch einen Fremden könne B. G. bezeugen. Die sexuelle Belästigung durch einen ehemaligen Lehrer sei durch K. M. erfolgt. Ihre innere psychische Ambivalenz diesem Lehrer gegenüber habe es ihr unmöglich gemacht, jemanden auf ihre Situation anzusprechen, zumal sie von Kindheit an daran gewöhnt gewesen sei, sich bei sexuellen Übergriffen nicht wehren zu dürfen beziehungsweise keine Hilfe zu erhalten. Die sexuelle Nötigung durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 sei durch B. G. erfolgt. Dass damals keine Strafanzeige erfolgt sei, habe ihren Grund in der damaligen psychischen Verfassung der Klägerin und wiederum in der langen Vorgeschichte von sexuellen Übergriffen gehabt. Dieser Nachbar habe ihren Zustand, sich nicht wehren und ihr "nein" nicht massiv vertreten zu können, also ihre kindliche Ängstlichkeit und Abhängigkeit, ausgenutzt, um ihr Angst zu machen und sexuelle Handlungen einzufordern. Des Weiteren ist ausgeführt worden, dass die Klägerin die grundlegenden schädigenden Ereignisse vor allem in dem frühkindlichen sexuellen Missbrauch und der körperlichen Gewalt durch ihren Vater sehe.
Die Klägerin hat ausgeführt, seit 25.11.1980 schreibe sie Tagebücher. Am 19.03.1989, als sie auf einen Annäherungsversuch eines Mannes unter anderem mit Panik reagiert habe, habe sie angefangen, den Missbrauch durch einen Fremden im Alter von 5 Jahren zu thematisieren. Ab 01.04.1990 habe sie begonnen, ihre Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater niederzuschreiben. Inzwischen habe sie 55 Bücher vollgeschrieben. Aus ihren Tagebüchern ergebe sich, dass der sexuelle Missbrauch durch ihren Vater in ihrem 2. Lebensjahr, vermutlich schon im Babyalter, begonnen habe. Ihren Aufzeichnungen seien viele Alpträume über Vergewaltigungen und Oralbefriedigungen zu entnehmen. Ferner habe sie Erinnerungen an mehrere in ihrem Kinderzimmer befindliche Männer und Gefühle von innerer und äußerer Bedrohung niedergelegt. Außerdem habe sie viele Erlebnisse von körperlicher Gewalt seitens ihres Vaters niedergeschrieben. Die Klägerin hat ferner ausgeführt, ab ihrem 11. Lebensjahr habe ihr damaliger Klassenlehrer jede Gelegenheit genutzt, ihre körperliche Entwicklung zu kommentieren und sie mit seinen sexuellen Wünschen zu konfrontieren. Auch habe er sie gerne und häufig angefasst und so den Kontakt sexualisiert. Im Rahmen der Behandlung durch eine Heilpraktikerin seien in ihr weitere Bilder zu diesem Lehrer hochgekommen, in denen er sie heftiger sexuell missbraucht habe. Da sich manchmal Flashbacks aus der frühen Kindheit und der häuslichen Gewalt mit anderen Situationen vermischten, sei sie sich nicht ganz sicher. Zu der Mobbingsituation in der Schule in den Jahren 1980 bis 1984 hat die Klägerin ausgeführt, sie sei von einer Gruppe von Schülern regelmäßig bespuckt, geschlagen und getreten worden. Zu den sexuellen Übergriffen durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 hat die Klägerin dargelegt, sie habe sich in ihrem psychisch so schwierigen Zustand nicht schützen und nicht angemessen zur Wehr setzen können. Auch wenn sie "nein" gesagt habe, so habe sie dies ihm gegenüber nicht vertreten können.
Das Sozialgericht hat am 08.01.2009 einen Erörterungstermin durchgeführt. Im Rahmen dessen hat die Klägerin angegeben, sie erinnere sich, dass ihr Vater sie in dem Durchgangszimmer in der alten Wohnung häufig missbraucht habe. Ab ihrem 8. Lebensjahr habe sie in der neuen Wohnung ein eigenes Zimmer gehabt, so dass es zu solchen Übergriffen nicht mehr gekommen sei. Weitere Übergriffe durch ihren Vater seien aber im Rahmen eines Dänemark-Urlaubs und im Auto erfolgt. Auch sei sie sicher, dass sie im Alter von 5 Jahren durch einen Fremden missbraucht worden sei. Ferner hat die Klägerin ausgeführt, ihr ehemaliger Lehrer habe alles an ihrer körperlichen Entwicklung kommentiert. Er habe auch seine Wünsche deutlich gemacht, etwas davon abhaben zu wollen. Es habe dabei auch ein Gegrabsche gegeben. Ab der 9. Klasse sei sie von einer Gruppe von Schülern eingekreist, bespuckt, mit entwertenden Begriffen belegt, getreten und geschlagen worden. Zu den Übergriffen durch den Nachbarn in den Jahren 1998/1999 hat die Klägerin ausgeführt, sie habe damals nicht genügend Willenskraft gehabt, um sich ihm entgegen zu stellen. Auf Nachfrage hat die Klägerin ausgeführt, sie habe viele Träume von Vergewaltigung und Missbrauch, manche, in denen sie das wieder erlebe, manchmal auch von anderen Situationen. Sie habe aber auch Flashbacks, in denen sie genau die Situation wieder erlebe. Sie könne aber unterscheiden zwischen dem, was Traum sei, und dem, was sie als Erinnerung wieder erlebe.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht B. G. schriftlich als Zeugin vernommen. Sie hat unter dem 15.02.2009 ausgeführt, sie habe gesehen, wie im Frühsommer 1974 ein fremder Mann den Rock der Klägerin hochgehoben und ihr in den Schritt gefasst habe. Daraufhin hat die Beklagte anerkannt, dass die Klägerin wegen des Vorfalls aus dem Jahr 1974 Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei.
Schließlich hat das Sozialgericht das nach Aktenlage gefertigte aussagepsychologische Gutachten der Dipl.-Psych. Dr. P.-H. vom 03.12.2009 eingeholt, die sich methodisch der Null-Hypothese bedient hat. Zur Aussagetüchtigkeit der Klägerin hat die Sachverständige ausgeführt, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung könne zu einer eingeschränkten Realitätswahrnehmung beziehungsweise zu einer subjektiv getönten Realitätsdarstellung führen. Auch bei der Klägerin seien immer wieder Phasen beobachtet oder durch Testverfahren ermittelt worden, in denen sie sich ihrer eigenen Identität zumindest nicht sicher gewesen und in eine andere Identität geschlüpft sei. Hierfür und damit für einen besonders kritischen Umgang mit ihren Angaben sprächen auch verstreute Beobachtungen beziehungsweise Andeutungen in den Krankenunterlagen über eine spirituelle Problematik, magisches Denken, Nähe zur psychotischen Dekompensation sowie paranoides Denken. Es sei nicht zu erwarten, dass sich die mit diesen Gesundheitsstörungen verbundenen grundlegenden Schwierigkeiten bei einer persönlichen Exploration ausräumen ließen. Zusammenfassend hat die Sachverständige ausgeführt, vorbehaltlich einer fachpsychiatrischen Beurteilung dürfte es nicht sehr wahrscheinlich und auf jeden Fall sehr schwierig zu beurteilen sein, ob und welche der umfassenden und psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin sich auf den sexuellen Übergriff im Alter von 5 Jahren zurückführen ließen. Es zeigten sich in ihrer Kindheits- und Jugendbiographie noch viele andere Schwierigkeiten, welche ihre Entwicklung beeinträchtigt haben könnten. Hinsichtlich der anderen Komplexe lasse sich zusammenfassend ausführen, dass die allgemeine kognitive Aussagetüchtigkeit der Klägerin zwar als gegeben angesehen werden könne, ihre fallspezifische Zeugeneignung jedoch sehr wahrscheinlich aufgrund mannigfacher psychischer Störungen, allen voran die stark ausgeprägte Borderline-Persönlichkeitsstörung und die Identitäts- beziehungsweise multiple Persönlichkeitsstörung, deutlich eingeschränkt sei. Die Angaben der Klägerin ließen sich mithin aus aussagepsychologischer Sicht nicht verifizieren. Es handle sich bei einem Großteil der Bekundungen um die Rekonstruktion angeblich über einen langen Zeitraum verdrängter Erinnerungen, deren Authentizität im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden könne. Es könnten echte von Scheinerinnerungen nicht differenziert werden und, insbesondere was die in Frage stehenden Kindheitsvorfälle angehe, sich nicht mit gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten in Einklang bringen lassen. Überdies enthielten die Angaben teilweise unwahrscheinliche Elemente. Auch fehlten äußere Kriterien, die die Angaben der Klägerin stützen könnten.
Daraufhin hat die Beklagte unter Hinweis auf das im Bundesarbeitsblatt 5/2002 veröffentlichte Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 25.02.2002 ausgeführt, nur bei mehreren Geschehensabläufen und bei Mehrfachtaten sei dasjenige Land allein zuständig, in welchem der letzte Teilakt einer Gewalttat stattgefunden habe. Nach dem aussagepsychologischen Gutachten gehe es vorliegend aber nur noch um die gegenüber der Klägerin im Alter von 5 Jahren in E./Sch.-H. ausgeübte Tat. Die diesbezügliche örtliche Zuständigkeit betreffe daher das Land Sch.-H ...
Die Klägerin hat die Stellungnahmen des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Traumatherapie A. vom 19.04.2010 und des W. e. V. vom 22.04.2010 vorgelegt. Der Arzt A. hat ausgeführt, gerade bei vielen schwerst traumatisierten Menschen sei es oft so, dass Erinnerungen an bestimmte Traumata in der Kindheit und Jugend manchmal unvermittelt und unbeabsichtigt im Zuge von bestimmten Ereignissen hochkämen. Die menschliche Seele sei in der Lage, viele hoch akute und traumatisierende Ereignisse aus dem Gedächtnis für einen bestimmten Zeitraum zu verbannen. Der W. e. V. hat ausgeführt, die Klägerin habe entgegen der Ausführungen der Sachverständigen im Erörterungstermin ausgeführt, sie könne unterscheiden zwischen dem, was Traum sei, und dem, was sie als Erinnerung wiedererlebe. Außerdem habe die Klägerin, so wie es ihr möglich gewesen sei, Namen von Beschuldigten vollständig benannt.
Ferner hat die Klägerin Unterlagen über ihren Aufenthalt im Evangelischen J.-Krankenhaus B. vom 10.02.2010 bis zum 24.03.2010 vorgelegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.07.2010 hat das Sozialgericht nach vorheriger Anhörung die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Vortrag der Klägerin, dass sie ab einem Alter von 2 Jahren durch ihren Vater und mehrere unbekannte Männer, im Alter von 11 Jahren durch einen Lehrer und in den Jahren 1998/1999 durch einen Nachbarn sexuell missbraucht worden sei, sei nicht nachgewiesen. Die Angaben der Klägerin seien zudem unglaubhaft. Dies ergebe sich aus dem Gutachten der Dr. P.-H ... Zu einem Großteil handele es sich bei den Bekundungen der Klägerin demnach um die Rekonstruktion angeblich verdrängter Erinnerungen, deren Authentizität sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lasse und die von Scheinerinnerungen nicht abgegrenzt werden könnten. Die Aussagen zu Kindheitsvorfällen stünden im Widerspruch zu gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten. Äußere Kriterien fehlten ganz. Die Aussagen seien bezüglich Lehrer und Nachbar vage geblieben und schienen eher Ausdruck der subjektiven Bewertung der Klägerin zu sein. Insgesamt könne die sogenannte Unwahrheitshypothese somit nicht zurückgewiesen werden. Diese Schlussfolgerungen der Sachverständigen seien in sich schlüssig, nachvollziehbar und deshalb überzeugend. Die Vorgehensweise der Sachverständigen, zunächst davon auszugehen, dass der vorgetragene Sachverhalt nicht passiert sei und dann zu versuchen, anhand von Realkennzeichen festzustellen, ob nicht hinreichende Anhaltspunkte dafür bestünden, dass doch das Gegenteil zutreffe, der vorgetragene Sachverhalt also doch passiert sei, decke sich mit den in der Rechtsprechung anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen. Zwar habe der W. e. V. zu Recht auf eine Ungereimtheit im Gutachten der Dr. P.-H. hingewiesen. Soweit sich die Sachverständige aber hierauf gestützt habe, handele es sich dabei nicht um den einzigen und auch nicht den wesentlichsten Gesichtspunkt, auf den sie ihr Ergebnis stützte. Auch der Einwand, die Klägerin habe den Namen und die Adresse des Lehrers und des Nachbarn genannt, ändere nichts an der Überzeugungskraft der Ausführungen der Sachverständigen über die Möglichkeit der Generierung von Scheinerinnerungen an verstorbenen oder anonymen Tätern als idealer Projektionsfläche. Denn diese Ausführungen der Sachverständigen bezögen sich auf die angeblichen Missbrauchsfälle in früher Kindheit, die durch den verstorbenen Vater und erst eine und dann mehrere anonyme Personen verübt worden sein sollten. Zu den angeblichen Missbräuchen durch den Lehrer und den Nachbarn werde hingegen darauf abgestellt, dass zwar die Personen genannt würden, die eigentlichen Vorfälle aber vage blieben und keine äußeren Kriterien wie etwa zeitnahe Frühaussagen vorlägen. Zwar könne der Vorfall im Frühsommer 1974 als nachgewiesen angesehen werden. Allerdings sei eine Kausalität zwischen diesem Vorfall und einer gesundheitlichen Schädigung nicht hinreichend wahrscheinlich. Denn das Konglomerat familiärer und sozialer Probleme mache es unmöglich, mit der erforderlichen Sicherheit die kausale Verursachung eines einzigen sexuellen Übergriffs im Alter von 6 Jahren für eine gesundheitliche Schädigung herauszustellen, die für die heutige Gesundheitsstörung mit einiger Wahrscheinlichkeit verantwortlich sein solle. Eine weitere psychiatrische oder klinisch-psychologische Begutachtung der Klägerin in dieser Hinsicht sei daher nicht notwendig. Weitere Sachverhaltsermittlungen seien im Übrigen nicht veranlasst. Die von der Klägerin vorgetragene Mobbingsituation in der Schule sei zum einen in Bezug auf das Vorliegen von bestimmten vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Selbst unterstellt jedoch, dass diese Mobbingsituation mit entsprechenden Körperverletzungen einhergegangen sei, stehe einem Leistungsanspruch nach dem OEG ebenso wie in Bezug auf die angeblichen Missbrauchsfälle durch einen Lehrer und einen Nachbarn ein Versagungsgrund entgegen. Denn die Klägerin habe es unterlassen, das ihr Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten. Weder die damaligen Mitschüler noch der Lehrer oder der Nachbar seien von der Klägerin angezeigt worden, so dass eine Strafverfolgung nicht habe eingeleitet und auch eventuelle Ersatzansprüche gegen die angeblichen Schädiger nicht hätten geltend gemacht werden können.
Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat die Klägerin am 13.08.2010 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass ein Glaubwürdigkeitsgutachten aufgrund ihrer persönlichen Untersuchung durch einen Spezialisten auf dem Gebiet der Psychotraumatologie eingeholt werden müsse. Der Ansatz der Sachverständigen, die Klägerin im Hinblick auf ihre aussagepsychologische Aussagetüchtigkeit als Zeugin wie im Strafprozess zu beurteilen, sei verfehlt. Damit würden nämlich die psychotraumatischen Verletzungen in nicht hinnehmbarer Weise negiert.
Mit Beschluss vom 14.03.2012 hat der Senat das Land Sch.-H. zum Verfahren beigeladen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 23. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine dissoziative Identitätsstörung als Schädigungsfolge nach dem Opferentschädigungsgesetz festzustellen.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Erstellung eines neuerlichen aussagepsychologischen Gutachtens sei entbehrlich. Der Beigeladene hat ausgeführt, die sich im Frühsommer 1974 zugetragene Tat könne nicht mit Wahrscheinlichkeit als Ursache des derzeitigen Gesundheitszustandes der Klägerin angesehen werden und die übrigen Gewalttaten, wegen der die Klägerin Opferentschädigung begehre, seien nicht nachgewiesen.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2012 noch einmal persönlich gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die Klägerin erneut von Amts wegen durch einen Spezialisten auf dem Gebiet der Psychotraumatologie begutachten zu lassen. Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es nicht. Denn für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Klägerin liegt dem Senat bereits das erstinstanzlich eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. P.-H. vor, die für die maßgebende Fragestellung der Beurteilung der Glaubwürdigkeit über die erforderliche Sachkunde verfügt.
Die Klägerin hat danach auch zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Feststellung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen.
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG in Verbindung mit § 15 KOV-VfG.
Wer danach im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Dabei ist das KOV-VfG, mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOV-VfG, anzuwenden (§ 6 Abs. 3 Halbs. 1 OEG). Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (§ 15 Satz 1 KOV-VfG).
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw. SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 128 Rdnr. 3b).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte sich der Senat auch nach der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugen, dass die Klägerin vom Babyalter bis zum 17. Lebensjahr von ihrem Vater in und außerhalb der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht oder durch ihren Lehrer bzw. Nachbarn sexuell belästigt worden ist.
Für die von der Klägerin vorgetragenen Taten gibt es – mit Ausnahme des Vorfalls im Frühsommer 1974 - keine Zeugen, obwohl sich der Missbrauch in einem Durchgangszimmer ereignet haben soll und bei der Klägerin weder bei der Tagesmutter noch im Kindergarten Verletzungen im Genital- und Analbereich auffielen. Die Taten wurden - mit Ausnahme des Vorfalls im Frühsommer 1974 - auch nicht zeitnah angezeigt, so dass eine Aufklärung des Sachverhalts allein schon aufgrund des Zeitablaufs und des Umstands, dass der mutmaßliche Haupttäter bereits verstorben ist, nahezu unmöglich ist. Weitere Ermittlungsansätze der Beklagten bei Schulen und Erziehungs-/Lebensberatungsstellen blieben ebenfalls erfolglos. Die Klägerin hat auch nicht zeitnah ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, sondern sich erstmals 1990 im Zusammenhang mit dem Versterben der Großmutter in stationäre Behandlung begeben, so dass ein Missbrauch nicht ärztlich dokumentiert wurde. Schließlich hat sie sich - trotz ausdrücklicher Nachfrage - damals nicht Vertrauenspersonen offenbart.
Somit liegen allein die Angaben der Klägerin vor. Diese sind, was den Kern der eigentlichen Missbrauchsvorgänge anbelangt, sowohl von den jeweiligen Einzeltaten als auch der zeitlichen Abfolge der Missbrauchshandlungen außerordentlich vage. Das wird besonders an dem anerkannten Vorfall im Jahr 1974 deutlich, von dem die Klägerin während des gesamten Verfahrens behauptet hat, dass dieser im Alter von 5 Jahren stattgefunden hat, tatsächlich hat er aber im Alter von 7 Jahren stattfgefunden. Im Verwaltungsverfahren hat sie behauptet, dass der Fremde damals seine Finger als Penisersatz benutzt hat, tatsächlich hat die einzige Tatzeugin aber nur beobachten können, dass der Klägerin kurz in den Schritt gefasst wurde. Von diesem Aussageverhalten konnte sich der Senat auch durch die persönliche Anhörung der Klägerin überzeugen. Worin die sexuelle Handlungen bestanden haben, die zumindest teilweise im Heranwachsendenalter stattgefunden haben sollen, konnte die Klägerin im Detail nicht ansatzweise beschreiben. Auf Nachfrage hat sie sich immer wieder auf eine Amnesie gestützt und wiederholt bestätigt, die Ereignisse geträumt zu haben. Ob und welchen realen Kern diese Träume haben, nachdem sich die Klägerin anfänglich noch selbst skeptisch über ihr Erinnerungsvermögen äußerte, hat der Senat auch durch die Befragung der Klägerin nicht herausfinden können. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass noch in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie/Psychosomatik und Neurologie der Klinik Dr. H. in B./O. 1993 und 1994 die Klägerin zunächst nicht nur bildhafte Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater, sondern auch ihre Mutter sowie eine andere Person hatte, an deren Wahrheitsgehalt sie aber zweifelte.
Der Senat hat sich daher zur Prüfung der Glaubwürdigkeit auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten von Dr. P.-H. gestützt. Zwar gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (so Senatsurteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 unter Anschluss an st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 - und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris).
Das ist vorliegend der Fall. Denn die Aussageperson - hier die Klägerin - weist solche Besonderheiten auf, dass es besonderer Sachkunde bedarf, ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Diese Besonderheiten werden vorliegend nicht nur durch die Erkrankung selbst, sondern auch dadurch begründet, dass bereits das Krankheitsbild der Klägerin von einer Vielzahl von Spezialisten jeweils unterschiedlich eingeordnet und diagnostiziert worden ist. Die Klägerin hat zudem selbst Zweifel an ihrem Erinnerungsvermögen - und das zu einem sehr frühen Zeitpunkt 1994 - eingeräumt. Sie hat demzufolge zunächst sogar ihre Mutter des sexuellen Missbrauchs bezichtigt, was sie heute aber nicht mehr aufrecht erhält. 1999 fand dann unter Therapie eine Konkretisierung der Tatvorwürfe statt, wobei die Klägerin bereits zur Schilderung der Taten das gängige Therapievokabular ("übergriffig") verwendete. D.h. erst die Therapie hat den sexuellen Missbrauch "ans Tageslicht" gebracht. Deswegen hat sie im Erörterungstermin vom 08.01.2009 auch angegeben, dass sie erst dann zwischen Traum und dem, was sie als Erinnerung erlebt, unterscheiden könne, wenn das Ereignis in der Therapie aufgearbeitet sei. Die meisten Übergriffe sollen in der Zeit zwischen dem Babyalter und dem 8. Lebensjahr geschehen sein, also in einem Alter fehlender Geschlechtsreife, in dem der behauptete Geschlechts- und Analverkehr zu entsprechenden Verletzungen hätte führen müssen. Eine ärztliche Behandlung solcher Verletzungen ist aber nicht erfolgt.
Die Sachverständige ist in ihrem aussagepsychologischen Gutachten dabei zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris).
Unter Berücksichtigung dieses auch für den Senat überzeugenden Sachverständigengutachtens und der oben dargelegten Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen.
1. Die von der Klägerin geschilderten Ereignisse, nämlich wiederholter sexueller Missbrauch als kleines Kind und Jugendliche im engen Umfeld des Elternhauses und im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch einen Lehrer, wiederholte körperliche und verbale Demütigungen durch Mitschüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren in E./Sch.-H. sowie Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 in H., lassen sich nicht als schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 OEG feststellen.
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass für diese von der Klägerin geschilderten Ereignisse der Vollbeweis nicht erbracht ist. Das Sozialgericht hat auch zu Recht dargelegt, dass eine Beweiserleichterung im Sinne des § 15 Satz 1 KOV-VfG zugunsten der Klägerin nicht greift (vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 17.08.2011 - L 15 VG 21/10 - zit. nach Juris). Insoweit verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Gerichtsbescheides.
Dass allein aufgrund der Angaben der Klägerin der Vollbeweis für die von ihr geschilderten Ereignisse nicht erbracht ist, hat Dipl.-Psych. Dr. P.-H. in ihrem aussagepsychologischen Gutachten überzeugend dargelegt. Unabhängig davon, ob die von ihr angewandte Methodik, die Glaubhaftigkeit der Aussage sei zunächst zu negieren und erst, wenn diese Negation mit den im Rahmen der Begutachtung gesammelten Ergebnisses nicht mehr vereinbar sei, könne sie zugunsten der Hypothese, dass es sich um eine erlebnisbasierte Aussage handle, verworfen werden, auch bei der Prüfung der Angaben einer Klägerin im Rahmen des sozialen Entschädigungsrechts Anwendung findet oder nicht, hat die Sachverständige deutlich herausgearbeitet, dass und warum die Angaben der Klägerin nicht ausreichen, die von ihr geschilderten Ereignisse als nachgewiesen ansehen zu können.
Vor allen Dingen bestehen nach den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen erhebliche Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Klägerin, da bei ihr angesichts der diagnostizierten Borderline-Persönlichkeitsstörung nur eine eingeschränkte Realitätswahrnehmung mit einer subjektiv getönten Realitätsdarstellung vorliegt. Der zeitweise nicht vollständig gewährleistete Realitätsbezug ergibt sich schon daraus, dass bei der Klägerin im Rahmen diverser stationärer Maßnahmen immer wieder Phasen beobachtet beziehungsweise ermittelt worden sind, in denen sie sich ihrer eigenen Identität zumindest nicht sicher gewesen und in eine andere Identität geschlüpft ist. Die Sachverständige hat ferner schlüssig dargelegt, dass sich die aus den Aktenunterlagen ergebenden Beobachtungen und Andeutungen über eine spirituelle Problematik, ein magisches Denken, eine Nähe zur psychotischen Dekompensation sowie ein paranoides Denken für einen besonders kritischen Umgang mit ihren Angaben sprechen. Wegen dieser eingeschränkten Aussagetüchtigkeit hält der Senat eine erneute Begutachtung nach persönlicher Untersuchung der Klägerin nicht für erforderlich.
In Auswertung des Akteninhalts, insbesondere der Angaben der Klägerin und der ärztlichen Auskünfte, hat die Sachverständige überzeugend aufgezeigt, warum die Angaben der Klägerin hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater und andere Personen nicht glaubhaft sind. Maßgebend dafür ist, dass die fraglichen Erlebnisse über einen langen Zeitraum hinweg nicht berichtet worden sind und das obwohl, wie die Klägerin noch in der mündlichen Senatsverhandlung eingeräumt hat, ihr wohlwollende Personen wie Lehrer oder die ersten Therapeuten, sie anlassbezogen mehrfach dazu befragt haben. Die Klägerin hat über die Ereignisse erst im Erwachsenenalter erzählt und das auch erst nach mehreren stationären Aufenthalten. Demnach kann es sich nur um eine Reproduktion oder Rekonstruktion vormals verdrängter Erinnerungen handeln.
Der Senat kann insoweit dahingestellt sein lassen, ob nur einzelne lebensgeschichtlich bedeutsame, traumatische Ereignisse vergessen oder verdrängt und wieder in das Bewusstsein gehoben oder - so die Sachverständige - nicht sich über einen langen Zeitraum hinweg und häufig zugetragene Erlebnisse einer kompletten Amnesie anheimfallen können. Denn gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechen die widersprüchlichen Versionen über den Zeitpunkt und den situativen Kontext, in dem sie sich erstmals an die fraglichen Szenen erinnert haben soll. Die Mutter der Klägerin und die Zeugin C. B. haben übereinstimmend angegeben, dass die Klägerin im Rahmen ihrer stationären Psychotherapie herausgefunden hat, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden ist. Demgegenüber hat die Klägerin berichtet, dass bereits während ihres Studiums erste Erinnerungen aufgetaucht sind und sie bereits im Jahr 1990 begonnen hat, Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater in ihren Tagebüchern aufzuschreiben. Gegen die Richtigkeit der Darlegung der Klägerin spricht, dass sie bei ihren ersten stationären Behandlungen in den Jahren 1990 und 1991 noch keine entsprechenden Erlebnisse oder Erinnerungen erwähnt hat und derartige vage Vermutungen erstmals im April 1992, also erst im letzten Drittel ihres Studiums und rund zwei Jahre nach den ersten Tagebucheintragungen, angegeben worden sind. Der Senat entnimmt das den vorgelegten Krankenhausberichten. Dessen ungeachtet bestehen nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen deswegen Zweifel an den Wiedererinnerung, weil sich das auf dem Wege der Autosuggestion unter anderem mittels exzessiven Tagebuchschreibens nach und nach zum Wissen verfestigte Gefühl, als Kind Opfer traumatischer Erlebnisse geworden zu sein, zeitweilig zu einer psychischen Entlastung geführt hat. Denn die Klägerin hat endlich bei der quälenden Suche nach der Ursache für ihre mannigfaltigen persönlichen Schwierigkeiten eine Ursache gefunden. Hinzukommt, dass es bei der Psychotherapie nicht auf die objektive Realität der Erinnerungen ankommt. Deswegen werden die Patienten im Rahmen einer Therapie auch nur selten mit Zweifeln an dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben konfrontiert, was die Therapie auch maßgebend von der Forensik unterscheidet.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass sich die Klägerin größtenteils nur auf Erinnerungen an Erinnerungen, Tagebucheintragungen, Träume, Flashbacks und darauf bezogene Schlussfolgerungen stützen kann. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat ebenso wie die Sachverständige für unmöglich, den Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin mit aussagepsychologischen Mitteln unter Beweis zu stellen. Dies vor allem auch deshalb, da in der Aussageentwicklung der Klägerin eine Tendenz zur Aggravation deutlich wird. Der Senat entnimmt das dem Umstand, dass die Klägerin teilweise von mehreren Tätern, vom Vater über die Mutter und eine andere Person bis hin zu mehreren Männern gesprochen hat. Problematisch ist insoweit der Umstand, dass die beschuldigten männlichen Personen nicht mehr zu Wort kommen können, weil sie bereits verstorben oder anonym sind und damit - so die Sachverständige - als ideale Projektionsfläche für die Generierung von Scheinerinnerungen dienen. Die Sachverständige hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Glaubhaftigkeitsbeurteilung vorliegend dadurch erschwert wird, dass sich die Klägerin zeitnah niemandem anvertraut hat und für ein Kleinkind eine Geheimhaltung der aufgrund der diskrepanten Größenverhältnisse mit starken physischen Schmerzen und vermutlich auch Verletzungen einhergehenden Erlebnisse kaum möglich gewesen ist. In Ermangelung einer zeitnahen Frühaussage fehlt es mithin an einer äußeren Stütze. Ferner - und das ist für den Senat wesentlich - enthalten die Angaben der Klägerin statt solide ausgeprägter Realkennzeichen untypische, unwahrscheinliche und deutlich übersteigert wirkende Details. Hierzu gehört vor allem der vermutete oder behauptete Beginn der angeblichen Übergriffe im Säuglings- beziehungsweise Kleinkindalter der Klägerin im 2. Lebensjahr. Das widerspricht gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten, da Ereignisse vor der Selbst-Bewusstwerdung etwa gegen Ende des 3. Lebensjahres - was die Sachverständige deutlich herausgearbeitet hat - der Amnesie zum Opfer fallen und daher später nicht wieder ins Bewusstsein gehoben werden können. Bestätigt werden die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin auch dadurch, dass die angeblichen Vorfälle streckenweise aus der Perspektive der schlussfolgernden, sexuell erfahrenen oder theoretisch informierten Erwachsenen und nicht derjenigen eines Kindes geschildert werden und in den von der Klägerin zitierten Tagebuchpassagen und Kommentaren eine Dramatisierungs- und Dämonisierungsneigung zu erkennen ist.
Nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen gilt das im Wesentlichen auch hinsichtlich der Angaben der Klägerin über einen wiederholten sexuellen Missbrauch im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch einen Lehrer, wiederholte körperliche und verbale Demütigungen durch Mitschüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren sowie Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999. Hinzu kommt dabei, dass die Klägerin selbst eingeräumt hat, ihre auf die frühe Kindheit und häusliche Gewalt bezogenen Flashbacks vermischten sich mit anderen Situationen, so dass sie sich in ihrer Beurteilung nicht ganz sicher sei. Ferner enthalten die Angaben der Klägerin zu den angeblichen Beeinträchtigungen durch den Lehrer und die Mitschüler wenig Konkretes. Zutreffend hat die Sachverständige dargelegt, dass sich die Angaben der Klägerin über sexuelle Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 nicht mit dem Konzept verdrängter Erinnerungen erklären lässt, da sie sich auf einen noch nicht so lange zurückliegenden Zeitraum beziehen. Zum anderen sind die Angaben der Klägerin zu diesem Komplex derart rudimentär, dass schon bereits nicht klar wird, um welchen konkreten strafrechtlich relevanten Vorwurf es sich dabei eigentlich handelt und erst recht nicht inwieweit sie sich in ständiger Lebensgefahr befunden hat, wie sie das dem Senat berichtet hat.
2. Hinsichtlich des aufgrund verlässlicher Außenkriterien, wie der Aussagen der Mutter der Klägerin und der Zeugin B. G., im Vollbeweis gesicherten sexuellen Missbrauchs durch einen Fremden im Frühsommer 1974 lässt sich zur Überzeugung des Senats kein wesentlich ursächlich zurückführender Gesundheitsdauerschaden feststellen. Zum einen sind zeitnah zu diesem Ereignis keine ärztlichen, insbesondere keine fachpsychiatrischen Behandlungen dokumentiert. Zum anderen lässt sich eine zwischen diesem schädigenden Vorgang und den erstmals seit 1990 stationär behandelten Gesundheitsstörungen eine ununterbrochene Kausalkette nicht herleiten. Brückensymptome als notwendige Bindeglieder sind nicht gesichert. Die Erforderlichkeit von Brückensymptomen entnimmt der Senat aus Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3 der Anlage "versorgungsmedizinische Grundsätze zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung für die Zeit ab 2009 beziehungsweise aus Teil C Nr. 37 Abs. 4 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit für die Zeit bis 2008. Ein Kausalzusammenhang zwischen einem singulären Ereignis und einer dauerhaften Gesundheitsstörung kann daher nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Das gilt umso mehr, als sich in der Lebensbiographie der Klägerin ab Frühsommer 1974, abgesehen von den von der Klägerin berichteten ersten Selbstverletzungen im Jahr 1978 und ersten Suizidversuchen in den Jahren 1983 und 1989, keine Auffälligkeiten objektivieren lassen. Vielmehr ist die Klägerin in der Lage gewesen, am 12.06.1987 die Hochschulreife zu erlangen und vom 01.03.1988 bis zum 23.09.1993 erfolgreich ein Studium der Sozialpädagogik zu absolvieren.
In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin an vielen nicht mit schädigenden Ereignissen im Sinne des § 1 OEG in Zusammenhang zu bringenden diagnostizierten Erkrankungen beziehungsweise Krankheitsbeschreibungen leidet. Der Senat entnimmt das den vorliegenden Entlassungsberichten. Danach leidet sie an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, einer neurotischen Depression, einem spirituellen Problem, einer dissoziativen Störung bei emotional instabiler Persönlichkeit mit Essstörung, autoaggressiven Tendenzen, einer chronischen Suizidalität und Depersonalisationsstörung, einer Panikstörung mit Agoraphobie, einer Bulimia nervosa, einer sozialen Phobie, rezidivierenden Episoden einer Major-Depression, einem Derealisationserleben, einer depressiven Episode mit Identitätswechsel und einer somatoformen Störung.
Die Beklagte und ihr folgend das Sozialgericht haben daher zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen abgelehnt, weswegen die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung von Gesundheitsstörungen aufgrund vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) streitig.
Die 1967 geborene Klägerin wurde als Jüngste einer vierköpfigen Familie geboren, ihre viereinhalb ältere Schwester ist alkoholkrank und schizophren. Ihr ebenfalls alkoholkranker Vater verstarb nach Schwerstpflege ab 1984 am 20.03.1988 an Lungenkrebs (Schreiben U. M. vom 11. und 17.08.2005). Nach regulärem Schulbesuch erlangte die Klägerin im Juni 1987 die allgemeine Hochschulreife mit einem Abiturdurchschnitt von 2,6 (Zeugnis vom 12.06.1987). Danach entrichtete sie zunächst von August 1987 bis Februar 1988 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung und absolvierte vom 01.03.1988 bis zum 23.09.1993 erfolgreich ein Studium der Sozialpädagogik. Nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit durchlief die Klägerin vom 01.09.1994 bis zum 31.08.1995 ihr soziales Anerkennungsjahr als Sozialpädagogin. Danach war sie überwiegend arbeitslos. Zwischenzeitlich begann sie im Oktober 1999 eine Heilpraktiker-Ausbildung, die sie im April 2000 abbrach. Seit 01.12.2003 bezieht sie Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie ergänzend Sozialhilfe.
Im Frühsommer 1974 wurde der Klägerin von einem Fremden der Rock hochgehoben und sie im Schritt berührt. Der Vorfall wurde der Polizei gemeldet (Schreiben U. M. vom 11. und 17.08.2005). Weitere Fälle sexueller Belästigung oder sexuellen Missbrauchs gelangten nicht zur Anzeige. Die Kriminalpolizei E. bestätigte am 26.04.2005, dass die Klägerin namentlich nicht bekannt ist und auch keine Recherchemöglichkeiten mehr bestehen.
Vom 27.06.1990 bis zum 07.09.1990 und nach Suizidversuch vom 08.09.1990 bis zum 01.10.1990 wurde die Klägerin erstmals im Krankenhaus G. wegen einer depressiv getönten Neurose und Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp in Rosengarten stationär behandelt. Sie berichtete, dass ihr Vater, den sie als verschlossen oder gereizt und aggressiv erlebt habe, vor 2 Jahren verstorben sei. Bei der nächsten stationären psychosomatischen Behandlung wegen neurotischer Entwicklung und depressiver Verstimmung in der Psychosomatischen Klinik Bad N. vom 08.01.1991 bis zum 21.02.1991 erzählte die damals magersüchtige Klägerin, dass sie sich durch ihr Studium sehr belastet gefühlt habe. Sie berichtete über Alkohol- und seit ihrem 15. Lebensjahr gelegentlichen Haschischkonsum. Zu ihren Eltern habe sie, weil Prügel und Liebesbezeugungen sich abgewechselt hätten, eine Hassliebe entwickelt. Zur Dekompensation sei es nach dem Tod des Vaters gekommen, zu dem nach Einschätzung der Ärzte eine unbewusste ödipale Fixierung bestanden habe.
Im Rahmen der stationären Maßnahme in der Psychiatrischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses E. vom 29.03.1992 bis zum 06.04.1992 (Differentialdiagnose: Borderline-Störung, neurotische Depression) äußerte die Klägerin erstmals vage Vermutungen über einen sexuellen Missbrauch durch den Vater. In der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie/Psychosomatik und Neurologie der Klinik Dr. H. in B./O., in der die Klägerin dann wieder wegen einer frühen Persönlichkeitsstörung vom 06.12.1993 bis zum 23.02.1994 und vom 02.03.1994 bis zum 14.04.1994 stationär behandelt wurde, hatte sie bildhafte Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch ihren Vater und ihre Mutter sowie eine andere Person, an deren Wahrheitsgehalt sie zweifelte. Auch in der Fachklinik H. in Bad K., die sie vom 15.05.1996 bis zum 02.01.1997 und vom 03.12.1997 bis zum 14.04.1998 wegen einer schweren Borderline-Persönlichkeitsstörung stationär aufnahm, berichtete sie, sich an Bilder und Träume von sexuellem Missbrauch durch den Vater erinnern zu können. Auch ein Lehrer habe sie sexuell bedrängt.
In der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums N. in H. wurde sie vom 03.09.1998 bis zum 08.09.1998, vom 15.09.1998 bis zum 14.10.1998, vom 08.01.1999 bis zum 11.01.1999, vom 03.02.1999 bis zum 18.02.1999, vom 26.03.1999 bis zum 29.03.1999 und vom 24.04.1999 bis zum 08.05.1999 im Rahmen ansonsten teilstationärer Aufenthalte vom 15.04.1998 bis zum 30.04.1999 und ab 19.05.1999 behandelt, wobei sie zuletzt angab, ihr ständig betrunkener Vater sei "übergriffig" gewesen, sie könne sich an einen sexuellen Missbrauch im Alter von 3 Jahren erinnern. Nach Einschätzung der Ärzte lasse sich bei dissoziativer Störung und emotional instabiler Persönlichkeit mit Essstörung, autoaggressiven Tendenzen, chronischer Suizidalität und schwerer narzisstischer Problematik auch angesichts der fast täglichen Selbstverletzungen mit Glasscherben, Rasierklingen und Glühbirnen nicht sicher beurteilen, inwieweit das magische, nicht wahnhafte Denken paranoide Qualität habe.
Weitere stationäre Behandlungen schlossen sich an. Die behandelnden Ärzte in der Fachklink für Psychiatrie und Psychotherapie NLKH G. (19.01.2000 bis 08.02.2000) diagnostizierten eine chronifizierte, komplexe posttraumatische Belastungsstörung vom Phänotyp der Borderline-Persönlichkeitsstörung mit selbstverletzendem Verhalten, eine Depersonalisationsstörung, eine Panikstörung mit Agoraphobie, eine Bulimia nervosa, eine soziale Phobie sowie rezidivierende Episoden einer Major-Depression. Im Evangelischen J.-Krankenhaus B. (15.08.2000 bis 28.09.2000, 30.07.2001 bis 29.11.2001, 12.12.2002 bis 04.04.2003, 18.11.2003 - 29.01.2004) wurde eine Depression mit Ängsten und Essstörungen vor dem Hintergrund einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie ab dem Jahr 2004 eine chronisch komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit dissoziativen Amnesien, Depersonalisations- und Derealisationserleben, Fugues und dissoziativen Sensibilitätsstörungen, eine depressive Episode mit Identitätswechsel, eine somatoforme Störung, eine Essstörung, Schlafstörungen, Alpträume, selbstverletzendes Verhalten und Suizidgedanken beschrieben. Vom Zentrum für Psychiatrie E. (22.02.2004 bis 25.02.2004) wurde ein Zustand nach parasuizidaler Handlung bei chronisch komplexer posttraumatischer Belastungsstörung mit mnestisch multiplen Symptomen diagnostiziert. Das Universitätsklinikum F. gab am 18.08.2004 eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode, und eine Panikstörung an.
Die Klägerin beantragte am 03.02.2005 die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen einer sexuellen Schädigung im Kindes- und Jugendalter. Sie gab an, unter Depressionen, Lebensmüdigkeit, dissoziativen Störungen, Angst- und Panikzuständen, somatischen Beschwerden, Schlafstörungen, Alpträumen, Flashbacks sowie Essstörungen zu leiden. Diese Gesundheitsstörungen führte sie auf einen wiederholten sexuellen Missbrauch als K.es Kind und Jugendliche im engen Umfeld des Elternhauses, im Alter zwischen 5 und 6 Jahren durch einen Fremden und im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch einen Lehrer, wiederholte körperliche und verbale Demütigungen durch Mitschüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren in E./Sch.-H. sowie Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 in H. zurück. Zur Anzeige habe sie lediglich den sexuellen Missbrauch durch einen Fremden im Alter zwischen 5 und 6 Jahren gebracht. Sie legte die ärztlichen Unterlagen über ihre Klinikaufenthalte vor.
Die Beklagte, die Freie und Hansestadt H., zog die Unterlagen der ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei.
Mit Bescheid vom 09.05.2005 stellt die Beklagte im Schwerbehindertenverfahren den Grad der Behinderung der Klägerin mit 80 seit 15.12.2004 fest.
Die Ermittlungen der Beklagten bei der Kriminalpolizei E., der Staatsanwaltschaft I. und diversen lokalen Zeitungen hinsichtlich sexueller Übergriffe gegen die Klägerin blieben erfolglos. Ferner enthalten die Akten handschriftliche Hinweise, Ermittlungen bei der Grundschule K.-N. und der Erziehungs-/Lebensberatungsstelle H. D. in E. seien nicht mehr möglich.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts befragte die Beklagte U. M., die Mutter der Klägerin, schriftlich als Zeugin. Diese gab unter dem 11.08.2005 an, die Klägerin sei im Alter zwischen 4 und 5 Jahren einmalig durch einen Fremden missbraucht worden. Dieser habe sie, während sie draußen gespielt habe, von hinten festgehalten und sie mit der Hand an der Scheide unsittlich berührt. Dieser Vorfall sei der Polizei gemeldet worden. Von einem sexuellen Missbrauch durch den Vater der Klägerin habe sie nichts mitbekommen. Zwar habe der Vater der Klägerin zwischen 1975 und 1985 sehr viel getrunken und sei sehr ausfällig geworden. Angaben zu Missbrauchsfällen könne sie aber nicht machen. Unter dem 17.08.2005 gab die Mutter der Klägerin an, die Klägerin habe sehr darunter gelitten, dass ihr Vater, wenn er betrunken nach Hause gekommen sei, die ganze Familie verbal fertig gemacht habe. Es sei auch zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen.
Die Klägerin führte in ihrem Schreiben vom 15.09.2005 aus, sie habe als Kind bis circa zum 8. Lebensjahr in einem Durchgangszimmer, welches auch gleichzeitig das Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen sei, nächtigen müssen. Ihr Vater habe sich, wenn er nachts schwer betrunken nach Hause gekommen sei, oft in diesem Durchgangszimmer aufgehalten. Teilweise habe er auch andere betrunkene Männer mit nach Hause gebracht. Sie sei unter anderem häufig, sowohl im Kinderzimmer als auch in der Badewanne nebenan, oral von ihm sexuell missbraucht worden. Es sei schwer nachzuvollziehen, dass ihre Mutter kein Würgen gehört und auch von den anderen Übergriffen in Form eines In-sie-Eindringens bei Zuhalten ihres Mundes nichts mitbekommen haben wolle. Nachts habe sie öfter vor Angst geschrien. Ihre Mutter habe so lange zugehauen, bis sie nicht mehr geschrien habe. Ihr Vater sei immer wieder über die Familie hergefallen und brutal gewesen. Es habe durchaus Situationen gegeben, dass ihr Vater vor dem Fernseherapparat in Anwesenheit ihrer Mutter und der Kinder mit seinem Geschlechtsorgan zugange gewesen sei. Ferner sei es zu einem Übergriff durch einen Fremden im Alter zwischen 4 und 5 Jahren gekommen, indem dieser nach Hochziehen ihrer Rockes seine Finger als Penisersatzes benutzt habe. Des Weiteren beschrieb die Klägerin, dass sie ab der 6. Klasse durch ihren Klassenlehrer mit sexuellen Wünschen und Fantasien bedrängt worden sei. Es sei bis zum Abitur zu penetranten sexuellen Anspielungen und Grabschen gekommen. In der 9. Klasse sei sie in eine Mobbingsituation geraten, in deren Rahmen sie von einer Gruppe von Jungs ständig auf übelste Art psychisch beleidigt, bespuckt, geprügelt und verfolgt worden sei.
Ferner befragte die Beklagte C. B. unter dem 18.10.2005 schriftlich als Zeugin. Sie gab an, sie habe die Klägerin im 16. Lebensjahr kennengelernt und sei deren gleichaltrige Freundin gewesen. Sie sei zwar niemals Zeugin einer gegenüber der Klägerin ausgeübten Tätlichkeit geworden. Dennoch sei sie sich sicher, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei. Rückblickend seien ihr die insbesondere im Rahmen eines gemeinsam verbrachten Urlaubs aufgefallene totale Gefühlskälte und Zerbrochenheit der Familie der Klägerin in deutlicher Erinnerung. Als sie die Klägerin im Klinikum G. besucht habe, habe diese zu ihr gesagt, man habe bei der Therapie herausgefunden, dass sie als Kind missbraucht worden sei.
Mit Bescheid vom 21.11.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Sie führte zur Begründung aus, die von der Klägerin geschilderten Gewalttaten und hierdurch erlittenen Schädigungen stellten in Wirklichkeit nur Schlussfolgerungen dar und bezeugten keine Tatsachen aus eigenem Erleben. Bei dieser Sachlage lasse sich daher keineswegs ohne begründete Zweifel feststellen, ob oder dass hier selbsterlebte Tatsachen erinnert würden. Im Übrigen ließen sich aufgrund des langen Zeitablaufes die geltend gemachten Angriffe nicht mehr nachweisen. Weitere Ermittlungsansätze seien nicht ersichtlich. Versorgungsrechtlich dürfe vom Krankheitsbild nicht auf dessen Ursache rückgeschlossen werden, sondern umgekehrt. Erst wenn die Ausgangs- beziehungsweise Anknüpfungstatsachen feststünden, sei zu klären, ob diese für den angegebenen Gesundheitszustand verantwortlich zu machen seien. Es habe aber nicht der Nachweis erbracht werden können, ob sich die Gewalttaten so zugetragen hätten. Diese Nichterweislichkeit gehe zu Lasten der Klägerin. Im Übrigen lägen auch Versagungsgründe vor, da die Klägerin keine Strafanzeige erstattet habe.
Hiergegen legte die Klägerin am 07.12.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die im Evangelischen J.-Krankenhaus B. durchgeführte Testdiagnostik ausgeführt, der stattgefundene Missbrauch sei mit wissenschaftlichen Methoden feststellbar. Zur Frage der Kausalität zwischen den schädigenden Ereignissen und der Gesundheitsstörung sowie zur Glaubwürdigkeit der Klägerin sei ein Gutachten einzuholen.
Weitere Ermittlungen der Beklagten beim Kirchenkreis R. hinsichtlich des Erhalts von Unterlagen der Erziehungs-/Lebensberatungsstelle H. D. in E. blieben erfolglos.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, für den Missbrauch durch den Vater, dessen Freunde, die Mutter und einen Lehrer stehe nur die Aussage der Klägerin als Nachweis zur Verfügung. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) komme der Klägerin nicht zu gute. Denn diese Vorschrift erfordere, dass der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen könne. Es müsse also eine eindeutige Kenntnis der Klägerin von den Missbrauchstatbeständen gegeben sein. Davon sei jedoch nicht auszugehen. So ergebe sich aus den Angaben der Klägerin gegenüber den Ärzten im Krankenhaus G., im Krankenhaus E. und in der Klinik Dr. H. nicht der Eindruck, dass ein sicheres Wissen der Klägerin vorliege. Dasselbe gelte für den Missbrauch durch einen Nachbarn im Jahr 1999. Dieser könne allein aufgrund der Angaben der Klägerin nicht als nachgewiesen angesehen werden. Denn die Klägerin habe im Klinikum N. nur angemerkt, dass hier das Trauma durch einen Übergriff eines Nachbarn erneut ausgelöst worden sei. Vom Klinikum N. sei ein derartiger Sachverhalt jedoch nicht erwähnt. Bezüglich des Angriffs auf der Straße durch einen Fremden im Alter der Klägerin zwischen 4 und 5 Jahren lägen Versagungsgründe vor. In Folge des langen Zeitablaufs könne der diesbezügliche Täter nicht mehr ermittelt werden. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung des Täters sowie an der Möglichkeit, diesen in Regress zu nehmen. Gründe, die dagegen gesprochen hätten, nach Volljährigkeit beziehungsweise nachdem der Klägerin der Missbrauch durch die Therapie bewusst geworden sei, den Täter sofort anzuzeigen beziehungsweise Versorgung zu beantragen, solange noch Ermittlungen zum Tatgeschehen erfolgreich gewesen wären, seien hier nicht ersichtlich. Es sei nicht hinnehmbar, dass ein Opfer Leistungen nach dem OEG verlangen könne, ohne an der Ermittlung des Täters mitzuwirken. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen der Klägerin überwiege das Interesse des Staates, die beantragte Leistung zu versagen. Die von der Klägerin im Alter zwischen 13 und 16 Jahren erlebten körperlichen und verbalen Demütigen durch Gruppen von Mitschülern in Form von massivem Mobbing stellten keine Angriffe im Sinne des OEG dar.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.10.2006 Klage beim Sozialgericht F. erhoben. Sie hat zur Begründung ausgeführt, die Erinnerungen an den frühkindlichen Missbrauch durch ihren Vater und durch andere Personen seien erst durch die späteren Therapien nach und nach in ihr Bewusstsein gerufen worden. Eine Strafanzeige gegen ihren Vater sei nicht mehr möglich. Von dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens wegen sexuellen Missbrauchs durch einen Fremden habe sie keine Kenntnis. Es lägen ausreichend glaubhafte Aussagen zu sexuellen Missbräuchen in der Kindheit vor. Es sei eine sehr intensive und breitgefächerte Diagnostik durchgeführt worden. Der kognitive oder emotionale Bereich an Erinnerung müsse nicht vollständig sein. Es reichten angesichts des Krankheitsbildes auch zum Teil bruchstückhafte, lückenhafte und voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für die Überzeugungsbildung aus.
Die Klägerin hat Unterlagen über ihre Aufenthalte in der Uexküll-Klinik F. vom 31.01.2006 bis zum 16.03.2006, im Zentrum für Psychiatrie E. vom 16.03.2006 bis zum 27.03.2006 und vom 12.04.2006 bis zum 28.04.2006, in der F.-H.-Klinik in B. bei F. vom 19.09.2007 bis zum 20.11.2007, im Evangelischen J.-Krankenhaus B. vom 22.04.2008 bis zum 17.06.2008 und vom 10.02.2010 bis zum 24.04.2010 vorgelegt.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die die Klägerin betreuende Beratungs- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen W. e. V. unter dem 29.05.2007 mitgeteilt, die Klägerin wolle aus Verantwortung für das Wohl ihrer damals psychotisch und alkoholkranken Schwester weder deren Namen noch deren Adresse bekannt geben. Ferner hat sie ausgeführt, den sexuellen Missbrauch im Jahr 1972/1973 durch einen Fremden könne B. G. bezeugen. Die sexuelle Belästigung durch einen ehemaligen Lehrer sei durch K. M. erfolgt. Ihre innere psychische Ambivalenz diesem Lehrer gegenüber habe es ihr unmöglich gemacht, jemanden auf ihre Situation anzusprechen, zumal sie von Kindheit an daran gewöhnt gewesen sei, sich bei sexuellen Übergriffen nicht wehren zu dürfen beziehungsweise keine Hilfe zu erhalten. Die sexuelle Nötigung durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 sei durch B. G. erfolgt. Dass damals keine Strafanzeige erfolgt sei, habe ihren Grund in der damaligen psychischen Verfassung der Klägerin und wiederum in der langen Vorgeschichte von sexuellen Übergriffen gehabt. Dieser Nachbar habe ihren Zustand, sich nicht wehren und ihr "nein" nicht massiv vertreten zu können, also ihre kindliche Ängstlichkeit und Abhängigkeit, ausgenutzt, um ihr Angst zu machen und sexuelle Handlungen einzufordern. Des Weiteren ist ausgeführt worden, dass die Klägerin die grundlegenden schädigenden Ereignisse vor allem in dem frühkindlichen sexuellen Missbrauch und der körperlichen Gewalt durch ihren Vater sehe.
Die Klägerin hat ausgeführt, seit 25.11.1980 schreibe sie Tagebücher. Am 19.03.1989, als sie auf einen Annäherungsversuch eines Mannes unter anderem mit Panik reagiert habe, habe sie angefangen, den Missbrauch durch einen Fremden im Alter von 5 Jahren zu thematisieren. Ab 01.04.1990 habe sie begonnen, ihre Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater niederzuschreiben. Inzwischen habe sie 55 Bücher vollgeschrieben. Aus ihren Tagebüchern ergebe sich, dass der sexuelle Missbrauch durch ihren Vater in ihrem 2. Lebensjahr, vermutlich schon im Babyalter, begonnen habe. Ihren Aufzeichnungen seien viele Alpträume über Vergewaltigungen und Oralbefriedigungen zu entnehmen. Ferner habe sie Erinnerungen an mehrere in ihrem Kinderzimmer befindliche Männer und Gefühle von innerer und äußerer Bedrohung niedergelegt. Außerdem habe sie viele Erlebnisse von körperlicher Gewalt seitens ihres Vaters niedergeschrieben. Die Klägerin hat ferner ausgeführt, ab ihrem 11. Lebensjahr habe ihr damaliger Klassenlehrer jede Gelegenheit genutzt, ihre körperliche Entwicklung zu kommentieren und sie mit seinen sexuellen Wünschen zu konfrontieren. Auch habe er sie gerne und häufig angefasst und so den Kontakt sexualisiert. Im Rahmen der Behandlung durch eine Heilpraktikerin seien in ihr weitere Bilder zu diesem Lehrer hochgekommen, in denen er sie heftiger sexuell missbraucht habe. Da sich manchmal Flashbacks aus der frühen Kindheit und der häuslichen Gewalt mit anderen Situationen vermischten, sei sie sich nicht ganz sicher. Zu der Mobbingsituation in der Schule in den Jahren 1980 bis 1984 hat die Klägerin ausgeführt, sie sei von einer Gruppe von Schülern regelmäßig bespuckt, geschlagen und getreten worden. Zu den sexuellen Übergriffen durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 hat die Klägerin dargelegt, sie habe sich in ihrem psychisch so schwierigen Zustand nicht schützen und nicht angemessen zur Wehr setzen können. Auch wenn sie "nein" gesagt habe, so habe sie dies ihm gegenüber nicht vertreten können.
Das Sozialgericht hat am 08.01.2009 einen Erörterungstermin durchgeführt. Im Rahmen dessen hat die Klägerin angegeben, sie erinnere sich, dass ihr Vater sie in dem Durchgangszimmer in der alten Wohnung häufig missbraucht habe. Ab ihrem 8. Lebensjahr habe sie in der neuen Wohnung ein eigenes Zimmer gehabt, so dass es zu solchen Übergriffen nicht mehr gekommen sei. Weitere Übergriffe durch ihren Vater seien aber im Rahmen eines Dänemark-Urlaubs und im Auto erfolgt. Auch sei sie sicher, dass sie im Alter von 5 Jahren durch einen Fremden missbraucht worden sei. Ferner hat die Klägerin ausgeführt, ihr ehemaliger Lehrer habe alles an ihrer körperlichen Entwicklung kommentiert. Er habe auch seine Wünsche deutlich gemacht, etwas davon abhaben zu wollen. Es habe dabei auch ein Gegrabsche gegeben. Ab der 9. Klasse sei sie von einer Gruppe von Schülern eingekreist, bespuckt, mit entwertenden Begriffen belegt, getreten und geschlagen worden. Zu den Übergriffen durch den Nachbarn in den Jahren 1998/1999 hat die Klägerin ausgeführt, sie habe damals nicht genügend Willenskraft gehabt, um sich ihm entgegen zu stellen. Auf Nachfrage hat die Klägerin ausgeführt, sie habe viele Träume von Vergewaltigung und Missbrauch, manche, in denen sie das wieder erlebe, manchmal auch von anderen Situationen. Sie habe aber auch Flashbacks, in denen sie genau die Situation wieder erlebe. Sie könne aber unterscheiden zwischen dem, was Traum sei, und dem, was sie als Erinnerung wieder erlebe.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht B. G. schriftlich als Zeugin vernommen. Sie hat unter dem 15.02.2009 ausgeführt, sie habe gesehen, wie im Frühsommer 1974 ein fremder Mann den Rock der Klägerin hochgehoben und ihr in den Schritt gefasst habe. Daraufhin hat die Beklagte anerkannt, dass die Klägerin wegen des Vorfalls aus dem Jahr 1974 Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei.
Schließlich hat das Sozialgericht das nach Aktenlage gefertigte aussagepsychologische Gutachten der Dipl.-Psych. Dr. P.-H. vom 03.12.2009 eingeholt, die sich methodisch der Null-Hypothese bedient hat. Zur Aussagetüchtigkeit der Klägerin hat die Sachverständige ausgeführt, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung könne zu einer eingeschränkten Realitätswahrnehmung beziehungsweise zu einer subjektiv getönten Realitätsdarstellung führen. Auch bei der Klägerin seien immer wieder Phasen beobachtet oder durch Testverfahren ermittelt worden, in denen sie sich ihrer eigenen Identität zumindest nicht sicher gewesen und in eine andere Identität geschlüpft sei. Hierfür und damit für einen besonders kritischen Umgang mit ihren Angaben sprächen auch verstreute Beobachtungen beziehungsweise Andeutungen in den Krankenunterlagen über eine spirituelle Problematik, magisches Denken, Nähe zur psychotischen Dekompensation sowie paranoides Denken. Es sei nicht zu erwarten, dass sich die mit diesen Gesundheitsstörungen verbundenen grundlegenden Schwierigkeiten bei einer persönlichen Exploration ausräumen ließen. Zusammenfassend hat die Sachverständige ausgeführt, vorbehaltlich einer fachpsychiatrischen Beurteilung dürfte es nicht sehr wahrscheinlich und auf jeden Fall sehr schwierig zu beurteilen sein, ob und welche der umfassenden und psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin sich auf den sexuellen Übergriff im Alter von 5 Jahren zurückführen ließen. Es zeigten sich in ihrer Kindheits- und Jugendbiographie noch viele andere Schwierigkeiten, welche ihre Entwicklung beeinträchtigt haben könnten. Hinsichtlich der anderen Komplexe lasse sich zusammenfassend ausführen, dass die allgemeine kognitive Aussagetüchtigkeit der Klägerin zwar als gegeben angesehen werden könne, ihre fallspezifische Zeugeneignung jedoch sehr wahrscheinlich aufgrund mannigfacher psychischer Störungen, allen voran die stark ausgeprägte Borderline-Persönlichkeitsstörung und die Identitäts- beziehungsweise multiple Persönlichkeitsstörung, deutlich eingeschränkt sei. Die Angaben der Klägerin ließen sich mithin aus aussagepsychologischer Sicht nicht verifizieren. Es handle sich bei einem Großteil der Bekundungen um die Rekonstruktion angeblich über einen langen Zeitraum verdrängter Erinnerungen, deren Authentizität im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden könne. Es könnten echte von Scheinerinnerungen nicht differenziert werden und, insbesondere was die in Frage stehenden Kindheitsvorfälle angehe, sich nicht mit gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten in Einklang bringen lassen. Überdies enthielten die Angaben teilweise unwahrscheinliche Elemente. Auch fehlten äußere Kriterien, die die Angaben der Klägerin stützen könnten.
Daraufhin hat die Beklagte unter Hinweis auf das im Bundesarbeitsblatt 5/2002 veröffentlichte Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 25.02.2002 ausgeführt, nur bei mehreren Geschehensabläufen und bei Mehrfachtaten sei dasjenige Land allein zuständig, in welchem der letzte Teilakt einer Gewalttat stattgefunden habe. Nach dem aussagepsychologischen Gutachten gehe es vorliegend aber nur noch um die gegenüber der Klägerin im Alter von 5 Jahren in E./Sch.-H. ausgeübte Tat. Die diesbezügliche örtliche Zuständigkeit betreffe daher das Land Sch.-H ...
Die Klägerin hat die Stellungnahmen des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Traumatherapie A. vom 19.04.2010 und des W. e. V. vom 22.04.2010 vorgelegt. Der Arzt A. hat ausgeführt, gerade bei vielen schwerst traumatisierten Menschen sei es oft so, dass Erinnerungen an bestimmte Traumata in der Kindheit und Jugend manchmal unvermittelt und unbeabsichtigt im Zuge von bestimmten Ereignissen hochkämen. Die menschliche Seele sei in der Lage, viele hoch akute und traumatisierende Ereignisse aus dem Gedächtnis für einen bestimmten Zeitraum zu verbannen. Der W. e. V. hat ausgeführt, die Klägerin habe entgegen der Ausführungen der Sachverständigen im Erörterungstermin ausgeführt, sie könne unterscheiden zwischen dem, was Traum sei, und dem, was sie als Erinnerung wiedererlebe. Außerdem habe die Klägerin, so wie es ihr möglich gewesen sei, Namen von Beschuldigten vollständig benannt.
Ferner hat die Klägerin Unterlagen über ihren Aufenthalt im Evangelischen J.-Krankenhaus B. vom 10.02.2010 bis zum 24.03.2010 vorgelegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.07.2010 hat das Sozialgericht nach vorheriger Anhörung die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Vortrag der Klägerin, dass sie ab einem Alter von 2 Jahren durch ihren Vater und mehrere unbekannte Männer, im Alter von 11 Jahren durch einen Lehrer und in den Jahren 1998/1999 durch einen Nachbarn sexuell missbraucht worden sei, sei nicht nachgewiesen. Die Angaben der Klägerin seien zudem unglaubhaft. Dies ergebe sich aus dem Gutachten der Dr. P.-H ... Zu einem Großteil handele es sich bei den Bekundungen der Klägerin demnach um die Rekonstruktion angeblich verdrängter Erinnerungen, deren Authentizität sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lasse und die von Scheinerinnerungen nicht abgegrenzt werden könnten. Die Aussagen zu Kindheitsvorfällen stünden im Widerspruch zu gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten. Äußere Kriterien fehlten ganz. Die Aussagen seien bezüglich Lehrer und Nachbar vage geblieben und schienen eher Ausdruck der subjektiven Bewertung der Klägerin zu sein. Insgesamt könne die sogenannte Unwahrheitshypothese somit nicht zurückgewiesen werden. Diese Schlussfolgerungen der Sachverständigen seien in sich schlüssig, nachvollziehbar und deshalb überzeugend. Die Vorgehensweise der Sachverständigen, zunächst davon auszugehen, dass der vorgetragene Sachverhalt nicht passiert sei und dann zu versuchen, anhand von Realkennzeichen festzustellen, ob nicht hinreichende Anhaltspunkte dafür bestünden, dass doch das Gegenteil zutreffe, der vorgetragene Sachverhalt also doch passiert sei, decke sich mit den in der Rechtsprechung anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen. Zwar habe der W. e. V. zu Recht auf eine Ungereimtheit im Gutachten der Dr. P.-H. hingewiesen. Soweit sich die Sachverständige aber hierauf gestützt habe, handele es sich dabei nicht um den einzigen und auch nicht den wesentlichsten Gesichtspunkt, auf den sie ihr Ergebnis stützte. Auch der Einwand, die Klägerin habe den Namen und die Adresse des Lehrers und des Nachbarn genannt, ändere nichts an der Überzeugungskraft der Ausführungen der Sachverständigen über die Möglichkeit der Generierung von Scheinerinnerungen an verstorbenen oder anonymen Tätern als idealer Projektionsfläche. Denn diese Ausführungen der Sachverständigen bezögen sich auf die angeblichen Missbrauchsfälle in früher Kindheit, die durch den verstorbenen Vater und erst eine und dann mehrere anonyme Personen verübt worden sein sollten. Zu den angeblichen Missbräuchen durch den Lehrer und den Nachbarn werde hingegen darauf abgestellt, dass zwar die Personen genannt würden, die eigentlichen Vorfälle aber vage blieben und keine äußeren Kriterien wie etwa zeitnahe Frühaussagen vorlägen. Zwar könne der Vorfall im Frühsommer 1974 als nachgewiesen angesehen werden. Allerdings sei eine Kausalität zwischen diesem Vorfall und einer gesundheitlichen Schädigung nicht hinreichend wahrscheinlich. Denn das Konglomerat familiärer und sozialer Probleme mache es unmöglich, mit der erforderlichen Sicherheit die kausale Verursachung eines einzigen sexuellen Übergriffs im Alter von 6 Jahren für eine gesundheitliche Schädigung herauszustellen, die für die heutige Gesundheitsstörung mit einiger Wahrscheinlichkeit verantwortlich sein solle. Eine weitere psychiatrische oder klinisch-psychologische Begutachtung der Klägerin in dieser Hinsicht sei daher nicht notwendig. Weitere Sachverhaltsermittlungen seien im Übrigen nicht veranlasst. Die von der Klägerin vorgetragene Mobbingsituation in der Schule sei zum einen in Bezug auf das Vorliegen von bestimmten vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Selbst unterstellt jedoch, dass diese Mobbingsituation mit entsprechenden Körperverletzungen einhergegangen sei, stehe einem Leistungsanspruch nach dem OEG ebenso wie in Bezug auf die angeblichen Missbrauchsfälle durch einen Lehrer und einen Nachbarn ein Versagungsgrund entgegen. Denn die Klägerin habe es unterlassen, das ihr Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten. Weder die damaligen Mitschüler noch der Lehrer oder der Nachbar seien von der Klägerin angezeigt worden, so dass eine Strafverfolgung nicht habe eingeleitet und auch eventuelle Ersatzansprüche gegen die angeblichen Schädiger nicht hätten geltend gemacht werden können.
Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat die Klägerin am 13.08.2010 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass ein Glaubwürdigkeitsgutachten aufgrund ihrer persönlichen Untersuchung durch einen Spezialisten auf dem Gebiet der Psychotraumatologie eingeholt werden müsse. Der Ansatz der Sachverständigen, die Klägerin im Hinblick auf ihre aussagepsychologische Aussagetüchtigkeit als Zeugin wie im Strafprozess zu beurteilen, sei verfehlt. Damit würden nämlich die psychotraumatischen Verletzungen in nicht hinnehmbarer Weise negiert.
Mit Beschluss vom 14.03.2012 hat der Senat das Land Sch.-H. zum Verfahren beigeladen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 23. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine dissoziative Identitätsstörung als Schädigungsfolge nach dem Opferentschädigungsgesetz festzustellen.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Erstellung eines neuerlichen aussagepsychologischen Gutachtens sei entbehrlich. Der Beigeladene hat ausgeführt, die sich im Frühsommer 1974 zugetragene Tat könne nicht mit Wahrscheinlichkeit als Ursache des derzeitigen Gesundheitszustandes der Klägerin angesehen werden und die übrigen Gewalttaten, wegen der die Klägerin Opferentschädigung begehre, seien nicht nachgewiesen.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2012 noch einmal persönlich gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die Klägerin erneut von Amts wegen durch einen Spezialisten auf dem Gebiet der Psychotraumatologie begutachten zu lassen. Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es nicht. Denn für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Klägerin liegt dem Senat bereits das erstinstanzlich eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. P.-H. vor, die für die maßgebende Fragestellung der Beurteilung der Glaubwürdigkeit über die erforderliche Sachkunde verfügt.
Die Klägerin hat danach auch zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Feststellung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen.
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG in Verbindung mit § 15 KOV-VfG.
Wer danach im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Dabei ist das KOV-VfG, mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOV-VfG, anzuwenden (§ 6 Abs. 3 Halbs. 1 OEG). Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (§ 15 Satz 1 KOV-VfG).
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw. SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 128 Rdnr. 3b).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte sich der Senat auch nach der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugen, dass die Klägerin vom Babyalter bis zum 17. Lebensjahr von ihrem Vater in und außerhalb der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht oder durch ihren Lehrer bzw. Nachbarn sexuell belästigt worden ist.
Für die von der Klägerin vorgetragenen Taten gibt es – mit Ausnahme des Vorfalls im Frühsommer 1974 - keine Zeugen, obwohl sich der Missbrauch in einem Durchgangszimmer ereignet haben soll und bei der Klägerin weder bei der Tagesmutter noch im Kindergarten Verletzungen im Genital- und Analbereich auffielen. Die Taten wurden - mit Ausnahme des Vorfalls im Frühsommer 1974 - auch nicht zeitnah angezeigt, so dass eine Aufklärung des Sachverhalts allein schon aufgrund des Zeitablaufs und des Umstands, dass der mutmaßliche Haupttäter bereits verstorben ist, nahezu unmöglich ist. Weitere Ermittlungsansätze der Beklagten bei Schulen und Erziehungs-/Lebensberatungsstellen blieben ebenfalls erfolglos. Die Klägerin hat auch nicht zeitnah ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, sondern sich erstmals 1990 im Zusammenhang mit dem Versterben der Großmutter in stationäre Behandlung begeben, so dass ein Missbrauch nicht ärztlich dokumentiert wurde. Schließlich hat sie sich - trotz ausdrücklicher Nachfrage - damals nicht Vertrauenspersonen offenbart.
Somit liegen allein die Angaben der Klägerin vor. Diese sind, was den Kern der eigentlichen Missbrauchsvorgänge anbelangt, sowohl von den jeweiligen Einzeltaten als auch der zeitlichen Abfolge der Missbrauchshandlungen außerordentlich vage. Das wird besonders an dem anerkannten Vorfall im Jahr 1974 deutlich, von dem die Klägerin während des gesamten Verfahrens behauptet hat, dass dieser im Alter von 5 Jahren stattgefunden hat, tatsächlich hat er aber im Alter von 7 Jahren stattfgefunden. Im Verwaltungsverfahren hat sie behauptet, dass der Fremde damals seine Finger als Penisersatz benutzt hat, tatsächlich hat die einzige Tatzeugin aber nur beobachten können, dass der Klägerin kurz in den Schritt gefasst wurde. Von diesem Aussageverhalten konnte sich der Senat auch durch die persönliche Anhörung der Klägerin überzeugen. Worin die sexuelle Handlungen bestanden haben, die zumindest teilweise im Heranwachsendenalter stattgefunden haben sollen, konnte die Klägerin im Detail nicht ansatzweise beschreiben. Auf Nachfrage hat sie sich immer wieder auf eine Amnesie gestützt und wiederholt bestätigt, die Ereignisse geträumt zu haben. Ob und welchen realen Kern diese Träume haben, nachdem sich die Klägerin anfänglich noch selbst skeptisch über ihr Erinnerungsvermögen äußerte, hat der Senat auch durch die Befragung der Klägerin nicht herausfinden können. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass noch in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie/Psychosomatik und Neurologie der Klinik Dr. H. in B./O. 1993 und 1994 die Klägerin zunächst nicht nur bildhafte Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater, sondern auch ihre Mutter sowie eine andere Person hatte, an deren Wahrheitsgehalt sie aber zweifelte.
Der Senat hat sich daher zur Prüfung der Glaubwürdigkeit auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten von Dr. P.-H. gestützt. Zwar gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (so Senatsurteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 unter Anschluss an st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 - und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris).
Das ist vorliegend der Fall. Denn die Aussageperson - hier die Klägerin - weist solche Besonderheiten auf, dass es besonderer Sachkunde bedarf, ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Diese Besonderheiten werden vorliegend nicht nur durch die Erkrankung selbst, sondern auch dadurch begründet, dass bereits das Krankheitsbild der Klägerin von einer Vielzahl von Spezialisten jeweils unterschiedlich eingeordnet und diagnostiziert worden ist. Die Klägerin hat zudem selbst Zweifel an ihrem Erinnerungsvermögen - und das zu einem sehr frühen Zeitpunkt 1994 - eingeräumt. Sie hat demzufolge zunächst sogar ihre Mutter des sexuellen Missbrauchs bezichtigt, was sie heute aber nicht mehr aufrecht erhält. 1999 fand dann unter Therapie eine Konkretisierung der Tatvorwürfe statt, wobei die Klägerin bereits zur Schilderung der Taten das gängige Therapievokabular ("übergriffig") verwendete. D.h. erst die Therapie hat den sexuellen Missbrauch "ans Tageslicht" gebracht. Deswegen hat sie im Erörterungstermin vom 08.01.2009 auch angegeben, dass sie erst dann zwischen Traum und dem, was sie als Erinnerung erlebt, unterscheiden könne, wenn das Ereignis in der Therapie aufgearbeitet sei. Die meisten Übergriffe sollen in der Zeit zwischen dem Babyalter und dem 8. Lebensjahr geschehen sein, also in einem Alter fehlender Geschlechtsreife, in dem der behauptete Geschlechts- und Analverkehr zu entsprechenden Verletzungen hätte führen müssen. Eine ärztliche Behandlung solcher Verletzungen ist aber nicht erfolgt.
Die Sachverständige ist in ihrem aussagepsychologischen Gutachten dabei zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris).
Unter Berücksichtigung dieses auch für den Senat überzeugenden Sachverständigengutachtens und der oben dargelegten Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen.
1. Die von der Klägerin geschilderten Ereignisse, nämlich wiederholter sexueller Missbrauch als kleines Kind und Jugendliche im engen Umfeld des Elternhauses und im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch einen Lehrer, wiederholte körperliche und verbale Demütigungen durch Mitschüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren in E./Sch.-H. sowie Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 in H., lassen sich nicht als schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 OEG feststellen.
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass für diese von der Klägerin geschilderten Ereignisse der Vollbeweis nicht erbracht ist. Das Sozialgericht hat auch zu Recht dargelegt, dass eine Beweiserleichterung im Sinne des § 15 Satz 1 KOV-VfG zugunsten der Klägerin nicht greift (vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 17.08.2011 - L 15 VG 21/10 - zit. nach Juris). Insoweit verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Gerichtsbescheides.
Dass allein aufgrund der Angaben der Klägerin der Vollbeweis für die von ihr geschilderten Ereignisse nicht erbracht ist, hat Dipl.-Psych. Dr. P.-H. in ihrem aussagepsychologischen Gutachten überzeugend dargelegt. Unabhängig davon, ob die von ihr angewandte Methodik, die Glaubhaftigkeit der Aussage sei zunächst zu negieren und erst, wenn diese Negation mit den im Rahmen der Begutachtung gesammelten Ergebnisses nicht mehr vereinbar sei, könne sie zugunsten der Hypothese, dass es sich um eine erlebnisbasierte Aussage handle, verworfen werden, auch bei der Prüfung der Angaben einer Klägerin im Rahmen des sozialen Entschädigungsrechts Anwendung findet oder nicht, hat die Sachverständige deutlich herausgearbeitet, dass und warum die Angaben der Klägerin nicht ausreichen, die von ihr geschilderten Ereignisse als nachgewiesen ansehen zu können.
Vor allen Dingen bestehen nach den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen erhebliche Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Klägerin, da bei ihr angesichts der diagnostizierten Borderline-Persönlichkeitsstörung nur eine eingeschränkte Realitätswahrnehmung mit einer subjektiv getönten Realitätsdarstellung vorliegt. Der zeitweise nicht vollständig gewährleistete Realitätsbezug ergibt sich schon daraus, dass bei der Klägerin im Rahmen diverser stationärer Maßnahmen immer wieder Phasen beobachtet beziehungsweise ermittelt worden sind, in denen sie sich ihrer eigenen Identität zumindest nicht sicher gewesen und in eine andere Identität geschlüpft ist. Die Sachverständige hat ferner schlüssig dargelegt, dass sich die aus den Aktenunterlagen ergebenden Beobachtungen und Andeutungen über eine spirituelle Problematik, ein magisches Denken, eine Nähe zur psychotischen Dekompensation sowie ein paranoides Denken für einen besonders kritischen Umgang mit ihren Angaben sprechen. Wegen dieser eingeschränkten Aussagetüchtigkeit hält der Senat eine erneute Begutachtung nach persönlicher Untersuchung der Klägerin nicht für erforderlich.
In Auswertung des Akteninhalts, insbesondere der Angaben der Klägerin und der ärztlichen Auskünfte, hat die Sachverständige überzeugend aufgezeigt, warum die Angaben der Klägerin hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater und andere Personen nicht glaubhaft sind. Maßgebend dafür ist, dass die fraglichen Erlebnisse über einen langen Zeitraum hinweg nicht berichtet worden sind und das obwohl, wie die Klägerin noch in der mündlichen Senatsverhandlung eingeräumt hat, ihr wohlwollende Personen wie Lehrer oder die ersten Therapeuten, sie anlassbezogen mehrfach dazu befragt haben. Die Klägerin hat über die Ereignisse erst im Erwachsenenalter erzählt und das auch erst nach mehreren stationären Aufenthalten. Demnach kann es sich nur um eine Reproduktion oder Rekonstruktion vormals verdrängter Erinnerungen handeln.
Der Senat kann insoweit dahingestellt sein lassen, ob nur einzelne lebensgeschichtlich bedeutsame, traumatische Ereignisse vergessen oder verdrängt und wieder in das Bewusstsein gehoben oder - so die Sachverständige - nicht sich über einen langen Zeitraum hinweg und häufig zugetragene Erlebnisse einer kompletten Amnesie anheimfallen können. Denn gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechen die widersprüchlichen Versionen über den Zeitpunkt und den situativen Kontext, in dem sie sich erstmals an die fraglichen Szenen erinnert haben soll. Die Mutter der Klägerin und die Zeugin C. B. haben übereinstimmend angegeben, dass die Klägerin im Rahmen ihrer stationären Psychotherapie herausgefunden hat, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden ist. Demgegenüber hat die Klägerin berichtet, dass bereits während ihres Studiums erste Erinnerungen aufgetaucht sind und sie bereits im Jahr 1990 begonnen hat, Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater in ihren Tagebüchern aufzuschreiben. Gegen die Richtigkeit der Darlegung der Klägerin spricht, dass sie bei ihren ersten stationären Behandlungen in den Jahren 1990 und 1991 noch keine entsprechenden Erlebnisse oder Erinnerungen erwähnt hat und derartige vage Vermutungen erstmals im April 1992, also erst im letzten Drittel ihres Studiums und rund zwei Jahre nach den ersten Tagebucheintragungen, angegeben worden sind. Der Senat entnimmt das den vorgelegten Krankenhausberichten. Dessen ungeachtet bestehen nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen deswegen Zweifel an den Wiedererinnerung, weil sich das auf dem Wege der Autosuggestion unter anderem mittels exzessiven Tagebuchschreibens nach und nach zum Wissen verfestigte Gefühl, als Kind Opfer traumatischer Erlebnisse geworden zu sein, zeitweilig zu einer psychischen Entlastung geführt hat. Denn die Klägerin hat endlich bei der quälenden Suche nach der Ursache für ihre mannigfaltigen persönlichen Schwierigkeiten eine Ursache gefunden. Hinzukommt, dass es bei der Psychotherapie nicht auf die objektive Realität der Erinnerungen ankommt. Deswegen werden die Patienten im Rahmen einer Therapie auch nur selten mit Zweifeln an dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben konfrontiert, was die Therapie auch maßgebend von der Forensik unterscheidet.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass sich die Klägerin größtenteils nur auf Erinnerungen an Erinnerungen, Tagebucheintragungen, Träume, Flashbacks und darauf bezogene Schlussfolgerungen stützen kann. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat ebenso wie die Sachverständige für unmöglich, den Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin mit aussagepsychologischen Mitteln unter Beweis zu stellen. Dies vor allem auch deshalb, da in der Aussageentwicklung der Klägerin eine Tendenz zur Aggravation deutlich wird. Der Senat entnimmt das dem Umstand, dass die Klägerin teilweise von mehreren Tätern, vom Vater über die Mutter und eine andere Person bis hin zu mehreren Männern gesprochen hat. Problematisch ist insoweit der Umstand, dass die beschuldigten männlichen Personen nicht mehr zu Wort kommen können, weil sie bereits verstorben oder anonym sind und damit - so die Sachverständige - als ideale Projektionsfläche für die Generierung von Scheinerinnerungen dienen. Die Sachverständige hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Glaubhaftigkeitsbeurteilung vorliegend dadurch erschwert wird, dass sich die Klägerin zeitnah niemandem anvertraut hat und für ein Kleinkind eine Geheimhaltung der aufgrund der diskrepanten Größenverhältnisse mit starken physischen Schmerzen und vermutlich auch Verletzungen einhergehenden Erlebnisse kaum möglich gewesen ist. In Ermangelung einer zeitnahen Frühaussage fehlt es mithin an einer äußeren Stütze. Ferner - und das ist für den Senat wesentlich - enthalten die Angaben der Klägerin statt solide ausgeprägter Realkennzeichen untypische, unwahrscheinliche und deutlich übersteigert wirkende Details. Hierzu gehört vor allem der vermutete oder behauptete Beginn der angeblichen Übergriffe im Säuglings- beziehungsweise Kleinkindalter der Klägerin im 2. Lebensjahr. Das widerspricht gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten, da Ereignisse vor der Selbst-Bewusstwerdung etwa gegen Ende des 3. Lebensjahres - was die Sachverständige deutlich herausgearbeitet hat - der Amnesie zum Opfer fallen und daher später nicht wieder ins Bewusstsein gehoben werden können. Bestätigt werden die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin auch dadurch, dass die angeblichen Vorfälle streckenweise aus der Perspektive der schlussfolgernden, sexuell erfahrenen oder theoretisch informierten Erwachsenen und nicht derjenigen eines Kindes geschildert werden und in den von der Klägerin zitierten Tagebuchpassagen und Kommentaren eine Dramatisierungs- und Dämonisierungsneigung zu erkennen ist.
Nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen gilt das im Wesentlichen auch hinsichtlich der Angaben der Klägerin über einen wiederholten sexuellen Missbrauch im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch einen Lehrer, wiederholte körperliche und verbale Demütigungen durch Mitschüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren sowie Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999. Hinzu kommt dabei, dass die Klägerin selbst eingeräumt hat, ihre auf die frühe Kindheit und häusliche Gewalt bezogenen Flashbacks vermischten sich mit anderen Situationen, so dass sie sich in ihrer Beurteilung nicht ganz sicher sei. Ferner enthalten die Angaben der Klägerin zu den angeblichen Beeinträchtigungen durch den Lehrer und die Mitschüler wenig Konkretes. Zutreffend hat die Sachverständige dargelegt, dass sich die Angaben der Klägerin über sexuelle Übergriffe durch einen Nachbarn in den Jahren 1998/1999 nicht mit dem Konzept verdrängter Erinnerungen erklären lässt, da sie sich auf einen noch nicht so lange zurückliegenden Zeitraum beziehen. Zum anderen sind die Angaben der Klägerin zu diesem Komplex derart rudimentär, dass schon bereits nicht klar wird, um welchen konkreten strafrechtlich relevanten Vorwurf es sich dabei eigentlich handelt und erst recht nicht inwieweit sie sich in ständiger Lebensgefahr befunden hat, wie sie das dem Senat berichtet hat.
2. Hinsichtlich des aufgrund verlässlicher Außenkriterien, wie der Aussagen der Mutter der Klägerin und der Zeugin B. G., im Vollbeweis gesicherten sexuellen Missbrauchs durch einen Fremden im Frühsommer 1974 lässt sich zur Überzeugung des Senats kein wesentlich ursächlich zurückführender Gesundheitsdauerschaden feststellen. Zum einen sind zeitnah zu diesem Ereignis keine ärztlichen, insbesondere keine fachpsychiatrischen Behandlungen dokumentiert. Zum anderen lässt sich eine zwischen diesem schädigenden Vorgang und den erstmals seit 1990 stationär behandelten Gesundheitsstörungen eine ununterbrochene Kausalkette nicht herleiten. Brückensymptome als notwendige Bindeglieder sind nicht gesichert. Die Erforderlichkeit von Brückensymptomen entnimmt der Senat aus Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3 der Anlage "versorgungsmedizinische Grundsätze zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung für die Zeit ab 2009 beziehungsweise aus Teil C Nr. 37 Abs. 4 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit für die Zeit bis 2008. Ein Kausalzusammenhang zwischen einem singulären Ereignis und einer dauerhaften Gesundheitsstörung kann daher nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Das gilt umso mehr, als sich in der Lebensbiographie der Klägerin ab Frühsommer 1974, abgesehen von den von der Klägerin berichteten ersten Selbstverletzungen im Jahr 1978 und ersten Suizidversuchen in den Jahren 1983 und 1989, keine Auffälligkeiten objektivieren lassen. Vielmehr ist die Klägerin in der Lage gewesen, am 12.06.1987 die Hochschulreife zu erlangen und vom 01.03.1988 bis zum 23.09.1993 erfolgreich ein Studium der Sozialpädagogik zu absolvieren.
In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin an vielen nicht mit schädigenden Ereignissen im Sinne des § 1 OEG in Zusammenhang zu bringenden diagnostizierten Erkrankungen beziehungsweise Krankheitsbeschreibungen leidet. Der Senat entnimmt das den vorliegenden Entlassungsberichten. Danach leidet sie an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, einer neurotischen Depression, einem spirituellen Problem, einer dissoziativen Störung bei emotional instabiler Persönlichkeit mit Essstörung, autoaggressiven Tendenzen, einer chronischen Suizidalität und Depersonalisationsstörung, einer Panikstörung mit Agoraphobie, einer Bulimia nervosa, einer sozialen Phobie, rezidivierenden Episoden einer Major-Depression, einem Derealisationserleben, einer depressiven Episode mit Identitätswechsel und einer somatoformen Störung.
Die Beklagte und ihr folgend das Sozialgericht haben daher zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen abgelehnt, weswegen die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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