L 10 U 4542/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1749/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4542/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichtes Karlsruhe vom 06.09.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger höhere Verletztenrente zusteht.

Der Kläger erlitt am 08.12.2007 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Montagearbeiter der D. AG einen Arbeitsunfall, als er beim Heruntersteigen von einer erhöhten Hubschwenkplattform mit seinem Schuh am Riffelblech hängenblieb und rückwärts - laut Angaben des Klägers gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. M. aus ca. 1 m Höhe - auf den Rücken fiel. Der im unmittelbaren Anschluss aufgesuchte Dr. M. ging von einer LWS-Prellung aus und erachtete den Kläger ab 10.12.2007 wieder arbeitsfähig. Nach Wiederaufnahme der Tätigkeit am 13. und 14.12.2007 und den sich anschließenden Betriebsferien stellte sich der Kläger am 08.01.2008 wegen fortbestehender Beschwerden bei dem Chirurgen Dr. St. vor, der nach röntgenologischer Untersuchung eine Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers mit einer Höhenminderung der Vorderkante um 50 % und eine vermehrte kyphotische Winkelbildung im LWS-BWS-Übergangsbereich diagnostizierte und den Kläger ins Klinikum Sindelfingen-Böblingen einwies, wo er stationär aufgenommen und am Folgetag operativ behandelt wurde (geschlossene Reposition der Fraktur, dorsale Instrumentation mittels Sextant). Am 15.01.2008 wurde darüber hinaus eine ventrale Spondylodese BWK 12/L 1 mit Beckenkammspan durchgeführt. Zur Anschlussheilbehandlung befand sich der Kläger vom 30.01. bis 05.03.2008 in der Fachklinik Falkenburg. Nach einer stufenweise erhöhten Belastungserprobung ab 21.04.2008 war der Kläger ab 31.05.2008 wieder arbeitsfähig.

Zur Feststellung der Unfallfolgen veranlasste die Beklagte das erste Rentengutachten des Prof. Dr. P., Klinikum Sindelfingen-Böblingen, der beim Kläger als Unfallfolgen einen Zustand nach instabiler BWK 12-Kompressionsfraktur, einen sekundären Repositionsverlust des BWK 12, eine knöcherne Konsolidierung der Spondylodese BWK 11/12, eine Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule sowie glaubhafte subjektive Beschwerden beschrieb und die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bis zum Tag der Untersuchung am 17.09.2008 mit 30 vom Hundert (v.H.) und anschließend mit 20 v.H. einschätzte.

Mit Bescheid vom 29.10.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente als vorläufige Entschädigung vom 31.5.2008 bis 16.09.2008 nach einer MdE um 30 v.H. und ab 17.09.2008 nach einer MdE um 20 v.H. Als Unfallfolgen berücksichtigte sie dabei eine Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule mit Ruhe- und Belastungsschmerz nach unter Keilwirbelbildung und Vorderkantenverschmälerung verheiltem instabilen Stauchungsbruch des 1. Lendenwirbelkörpers mit Hinterkantenbeteiligung, welcher durch eine inzwischen knöchern gefestigte künstliche Versteifung stabilisiert wurde. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, weiterhin unter starken Schmerzen, die die Einnahme von Schmerzmitteln notwendig machten, zu leiden. Zudem sei seine Bewegungsfähigkeit, insbesondere bei Drehbewegungen und bei Arbeiten in gebückter Haltung weiterhin eingeschränkt; auch bestünden Einschränkungen bei längerem Stehen. Die MdE betrage daher mehr als 30 v.H. bzw. ab 17.09.2008 mehr als 20 v.H. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2009 zurückgewiesen.

Am 22.04.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren Klage erhoben.

Das SG hat die Vorerkrankungsverzeichnisse der AOK - Die Gesundheitskasse Nordschwarzwald sowie der IKK Baden-Württemberg und Hessen beigezogen und die Fachärzte für Chirurgie Dr. S. und Dr. M., die über die Behandlung des Klägers vom 10.12.2007 bis 31.03.2008 bzw. die einmalige Vorstellung am 08.12.2007 berichtet haben, schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Darüber hinaus hat das SG das Gutachten des Dr. Sch., Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, auf Grund Untersuchung des Klägers vom 21.12.2009 eingeholt. Der Sachverständige hat als Unfallfolgen eine nach stattgehabter LWK-1-Fraktur verbliebene Keilform mit Höhenminderung der Vorderkante und Spondylodese im Segment TH 12/L 1, eine aufgehobene Funktion im Segment TH 12/L 1 sowie Narben an der Wirbelsäule bzw. dem Thorax und am linken Beckenkamm beschrieben und die MdE vom 31.05.2008 bis 16.09.2008 mit 30 v.H. bewertet. Nach Metallentfernung am 15.07.2008 habe lediglich noch eine Versteifung im Segment TH 12/L 1 vorgelegen, während das Segment L 1/2 wieder freigegeben worden sei, so dass die MdE nach dem Segmentprinzip noch mit 20 v.H. einzuschätzen sei. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ferner das Gutachten der Dr. H.-T., Ärztin für Allgemeinmedizin, auf Grund Untersuchung des Klägers vom 09.07.2010 eingeholt. Die Sachverständige hat eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und als traumatisches Ereignis nicht den Unfall selbst angesehen, sondern die "Konfrontation mit der Gefahr der Querschnittslähmung, Erleben der aufwendigen Therapie mit offensichtlichen therapeutischen Maßnahmen, wie die Verwendung einer Bülow Drainage gewürzt noch zusätzlich durch das absichernde Aufklärungsverhalten der Ärzte", darüber hinaus das Erleben des Versagens eines deutschen Arztes, der eine Wirbelkörperfraktur übersieht. Die MdE hat die Sachverständige bis 17.09.2008 mit 40 v.H., hiernach bis 17.09.2010 mit 30 v.H. und danach bis 17.09.2012 mit 10 v.H. eingeschätzt. Die Beklagte ist dem Gutachten unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. F., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, entgegengetreten, der eine seelische Störung nicht für nachgewiesen erachtet und eine posttraumatische Belastungsstörung ausgeschlossen hat, da bereits das Traumakriterium nicht erfüllt sei.

Mit Bescheid vom 25.11.2010 hat die Beklagte die als vorläufige Entschädigung gewährte Rente auf unbestimmte Zeit in gleicher Höhe weiterbewilligt.

Mit Urteil vom 06.09.2011 hat das SG die Klage gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Sch., der die Einschätzung der Beklagten bestätigt habe, abgewiesen. Eine höhere MdE rechtfertige sich auch nicht im Hinblick auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. H.-T., da entgegen deren Auffassung eine posttraumatische Belastungsstörung nicht zu diagnostizieren sei.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 19.09.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.10.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, bei der MdE sei die als Folge des Arbeitsunfalls aufgetretene posttraumatische Belastungsstörung zu Unrecht nicht berücksichtigt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 06.09.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 29.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2009 sowie des Bescheids vom 25.11.2010 zu verurteilen, Verletztenrente ab 31.05.2008 nach einer MdE um mehr als 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 29.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Entsprechendes gilt für den gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden Bescheid vom 25.11.2010, mit dem die Beklagte die Rente statt als vorläufige Entschädigung nunmehr auf unbestimmte Zeit gewährt hat. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger wegen psychischer Folgen des Sturzes vom 08.12.2007 höhere Verletztenrente zu gewähren. Denn Unfallfolgen von psychiatrischer Seite sind nicht festzustellen, insbesondere keine posttraumatische Belastungsstörung.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Bei dem Sturz des Klägers am 08.12.2007 handelt es sich um einen Arbeitsunfall in diesem Sinne. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte hat dieses Ereignis in dem angefochtenen Bescheid selbst als Versicherungsfall bezeichnet und es damit als Arbeitsunfall angesehen. Streitig ist zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren lediglich noch, ob beim Kläger über die Unfallfolgen von orthopädisch-chirurgischer Seite hinaus ein weiterer gesundheitlicher Schaden - nach Ansicht des Klägers in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung - entstanden ist und hierdurch seine Erwerbsfähigkeit in einem höheren Ausmaß eingeschränkt ist. Die Bewertung der orthopädischen Unfallfolgen, die der Sachverständige Dr. Sch. in Übereinstimmung mit dem von der Beklagten hinzugezogenen Gutachter Dr. P. seit Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit mit 30 v.H. und ab 17.09.2008 mit 20 v.H. eingeschätzt hat, ist zwischen den Beteiligen nicht mehr streitig. Denn der Kläger stützt sein Berufungsbegehren allein noch darauf, dass die MdE wegen der daneben aufgetretenen posttraumatischen Belastungsstörung höher zu bewerten sei. Damit verbleibt es hinsichtlich der Bemessung der MdE für das unfallchirurgisch-orthopädische Fachgebiet bei den zutreffenden Ausführungen des SG, auf die der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, und damit bei der Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Sch. und jener des Dr. P.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Nach diesen Grundsätzen liegen beim Kläger als Folge des Arbeitsunfalls vom 08.12.2007 von psychiatrischer Seite keine Gesundheitsschäden vor, die eine höhere Bewertung der MdE rechtfertigen könnten. Der Senat vermag - ebenso wenig wie das SG - nicht festzustellen, dass beim Kläger als Folge des erlittenen Sturzes eine posttraumatische Belastungsstörung aufgetreten ist.

Nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10 (F 43.1) entsteht eine posttraumatische Belastungsstörung als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf.

Eine posttraumatische Belastungsstörung in diesem Sinne ist beim Kläger nicht zu diagnostizieren. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des von der Beklagten hinzugezogenen Beratungsarztes Dr. F., der überzeugend bereits die Erfüllung des sogenannten A-Kriteriums einer posttraumatischen Belastungsstörung (drohende Lebensgefahr, Schutz- und Hilflosigkeit) verneint hat. Denn weder das Sturzereignis selbst noch die nachfolgenden Umstände (Gefahr einer Querschnittslähmung, aufwendige Therapie, Aufklärungsverhalten der Ärzte, Versagen eines deutschen Arztes), die die Sachverständige als das eigentliche traumatische Ereignis angesehen hat, lassen sich als Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung in dem oben genannten Sinne begreifen. So war der Heilungsverlauf beim Kläger ab dem Zeitpunkt, zu dem die Wirbelsäulenbeschwerden diagnostisch zutreffend mit dem Lendenwirbelkörperbruch in Zusammenhang gebracht wurden, völlig unauffällig. Zu keinem Zeitpunkt traten Besonderheiten auf, die eine akute Gefährdung, insbesondere die Gefahr einer Querschnittslähmung mit sich brachten. Darüber hinaus ist auch das so genannte B-Kriterium (wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen) nicht erfüllt. Das Vorliegen dieses Kriteriums hat die Sachverständige selbst verneint. Dies hat sie zwar damit begründet, dass ja der Unfall selbst nicht das Trauma sei. Jedoch hat sie dieses Kriterium - richtiger Weise - auch nicht in Bezug auf die von ihr als Trauma angesehenen Ereignisse bejaht. Denn Hinweise darauf, dass der Kläger an einem beharrlichen Wiedererleben dieser Ereignisse in sich aufdrängenden Erinnerungen leidet, sind den Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten nicht zu entnehmen. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist damit nicht zu stellen, weshalb für den Senat nicht nachvollziehbar ist, weshalb die Sachverständigen Dr. H.-T. gleichwohl die Auffassung vertritt, beim Kläger sei als Folge seines Arbeitsunfalls eine posttraumatischen Belastungsstörung aufgetreten. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer sonstigen psychischen Erkrankung im Zusammenhang mit dem Unfall sind gleichfalls nicht ersichtlich. Damit kommt eine Höherbewertung der MdE wegen Unfallfolgen von nervenärztlicher Seite nicht in Betracht, so dass die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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