L 4 KR 3235/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3897/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3235/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Juli 2011 aufgehoben, soweit es die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8 Dezember 2010 verurteilt hat, der Klägerin für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2011 Krankengeld zu zahlen. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin drei Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 31. Januar 2011 Anspruch auf Krankengeld hatte.

Die 1949 geborene Klägerin war als Pflegerin bei ihrem Stiefvater versicherungspflichtig beschäftigt und deswegen versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Das Beschäftigungsverhältnis endete zum 30. September 2010. Bis zum Zeitpunkt der Beendigung erhielt die Klägerin Arbeitsentgelt. Ab 1. Oktober 2010 bezog die Klägerin keine Sozialleistungen, insbesondere keine Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Ab 1. März 2011 war die Klägerin wieder als Haushaltshilfe beschäftigt.

Internistin Dr. N. bescheinigte der Klägerin Arbeitsunfähigkeit mit der Erstbescheinigung vom 30. August 2010 bis zum 10. September 2010 sowie mit den Folgebescheinigungen vom 13. September 2010 bis zum 19. September 2010, vom 20. September 2010 bis zum 24. September 2010, vom 28. September 2010 bis zum 30. September 2010, vom 1. Oktober 2010 bis zum 15. Oktober 2010, vom 15. Oktober 2010 bis zum 29. Oktober 2010, vom 28. Oktober 2010 bis zum 12. November 2010. Als Diagnosen gab sie jeweils F 48.0 G (Neurasthenie; gesicherte Diagnose) und F 51.9 G (Nichtorganische Schlafstörung, nicht näher bezeichnet; gesicherte Diagnose) sowie in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab 28. September 2010 zusätzlich F 33.1 G (Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode; gesicherte Diagnose), F 43.1 G (Posttraumatische Belastungsstörung; gesicherte Diagnose) und F 43.2 G (Anpassungsstörungen; gesicherte Diagnose) an. Die Beklagte lehnte es ab, ab 1. Oktober 2010 Krankengeld zu zahlen (Bescheid vom 11. Oktober 2010). Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Juni 2007 (B 1 KR 37/06 R, SozR 4 2500 § 46 Nr. 2) verwies sie darauf, Folgearbeitsunfähigkeit sei erst am 1. Oktober 2010 ärztlich festgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe für die Klägerin keine Versicherung mehr bestanden, die einen Anspruch auf Krankengeld beinhalte. Die Versicherung aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung habe zum 30. September 2010 geendet.

Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, das genannte Urteil des BSG unterscheide sich von ihrer Situation. Ihre Erkrankung sei während ihres Beschäftigungsverhältnisses und damit während ihrer versicherungspflichtigen Mitgliedschaft bei der Beklagten entstanden. Arbeitsunfähigkeit sei durchgehend und fortlaufend festgestellt. Sie legte die Bescheinigung der Dr. N. vom 15. Oktober 2010 vor, wonach die Klägerin seit 30. August 2010 ohne Unterbrechung arbeitsunfähig erkrankt sei, was am 30. September 2010 erneut festgestellt worden sei, und am 1. Oktober 2010 eine Folgebescheinigung ausgestellt worden sei. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2010). Der grundsätzlich bis 30. September 2010 bestehende Anspruch auf Krankengeld habe geruht, da der ehemalige Arbeitgeber den Lohn fortgezahlt habe. Die Grundsätze in dem genannten Urteil des BSG fänden nicht nur bei der erstmaligen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch bei aufeinander folgenden Leistungszeiträumen Anwendung. Die ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit hätte durch die die Klägerin behandelnden Ärzte nur dadurch dokumentiert werden können, dass eine erneute Untersuchung spätestens am 30. September 2010 hätte durchgeführt werden müssen. Tatsächlich sei der weitere Nachweis der Arbeitsunfähigkeit erst am 1. Oktober 2010 erfolgt. Dieser hätte einen Anspruch auf Krankengeld erst ab 2. Oktober 2010 zur Folge. Die den Anspruch auf Krankengeld erhaltende Mitgliedschaft habe am 30. September 2010 mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses geendet. Ab 1. Oktober 2010 sei der Versicherungsschutz durch die Familienversicherung (bei der KKH Allianz) sichergestellt, die keinen Anspruch auf Krankengeld beinhalte.

Die Klägerin erhob bereits am 3. November 2010 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) mit dem Begehren auf Zahlung von Krankengeld ab 1. Oktober 2010 unter Verweis auf ihr bisheriges Vorbringen. In der mündlichen Verhandlung des SG gab sie an, sie habe am 30. September 2010 nicht den Arzt aufsuchen können, weil sie unter starken Ängsten gelitten habe und das Haus nicht habe verlassen können.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2010 entgegen.

Das SG hörte Dr. N. und Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. St. als sachverständige Zeugen. Dr. N. gab an (Auskunft vom 28. Januar 2011), die Klägerin sei seit 30. August "2011" (richtig 2010) wegen derselben Erkrankung (posttraumatische Belastungsstörung mit Depression, Schlafstörungen, Albträumen und psychovegetativer Erschöpfung) arbeitsunfähig. Die Klägerin habe am 30. September 2010 telefonisch mitgeteilt, dass sie weiterhin nicht arbeitsfähig sei, woraufhin eine Vorstellung für den folgenden Tag (1. Oktober 2010) vereinbart worden sei. Bereits beim Erstkontakt sei eine Verordnung eines Antidepressivum sowie eine Überweisung zum Psychotherapeuten erfolgt. Wegen Unverträglichkeit und unzureichender Wirkung sei die medikamentöse Therapie noch zweimal geändert worden. Die von Dr. St. empfohlene Traumatherapie sei aufgrund der eingeschränkten Anzahl an Therapieplätzen erst jetzt möglich gewesen. In ihrer weiteren Auskunft vom 1. Juli 2011 gab Dr. N. an, über den weiteren Verlauf könne sie keine konkreten Angaben machen, die Klägerin leide aber seit Jahren chronisch und rezidivierend unter ähnlichen Symptomen. Eine anhaltende Beschwerdefreiheit sei nicht zu erwarten. Dr. St. berichtete in seiner Auskunft vom 4. Juli 2011 über drei Konsultationen am 27. Oktober und 21. Dezember 2010 sowie am 16. Februar 2011. Beim Erstkontakt sei die Klägerin affektiv deutlich labilisiert, leicht irritierbar, phasenweise deutlich ängstlich und sichtbar belastet gewesen. Sie habe teilweise panikartige Ängste, eine massive Verschlechterung des Schlafs mit Albträumen und eine häufige schwer kontrollierbare Gereiztheit beschrieben, ausgelöst durch körperliche Kontakte im Rahmen einer Pflegesituation des betagten Schwiegervaters. Es hätten insgesamt drei stützende-klärende Gespräche stattgefunden. Eine medikamentöse Behandlung sei zunächst nicht erfolgt. Im Behandlungsverlauf sei es gelungen, die Klägerin in eine gute psychotherapeutische Beziehung zu einer Kollegin zu vermitteln. Am 16. Februar 2011 habe die Klägerin, die sich in ihrem Zustandsbild insgesamt etwas stabilisiert gehabt habe, im Wesentlichen jedoch fortbestehende Symptome beklagt habe und dementsprechend nicht mehr als remittiert zu bezeichnen gewesen sei, von einem guten Gefühl der jetzt begonnenen Psychotherapie berichtet. Im Behandlungszeitraum von Oktober 2010 bis Mitte Februar 2011 könne von einer zumindest deutlich eingeschränkten Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden. Dr. St. fügte - wie bereits Dr. N. - seiner Auskunft seinen Arztbrief vom 29. Oktober 2010 bei. Danach diagnostizierte er eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1 G) sowie eine Angst und depressive Störung, gemischt (F 41.2 G). Ausgelöst durch eine unbeabsichtigte körperliche Berührung des von ihr gepflegten betagten Stiefvaters seien wieder alte Ängste aufgebrochen, welche im Zusammenhang mit früheren sexuellen Übergriffen während der Kindheit, aber auch durch den vorherigen Schwiegervater (aus vorangegangener Ehe) stünden. Er werde der Klägerin zunächst weitere Gespräche anbieten, halte mittelfristig jedoch eine traumaspezifische Behandlung für indiziert. Eine medikamentöse Behandlung sei zunächst abgelehnt werden.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2011 nahm der Kammervorsitzende des SG telefonisch Rücksprache mit Dr. N., die nach den Angaben in der Niederschrift bestätigt habe, Arbeitsunfähigkeit habe durchgehend bis zum 31. Januar 2011 bestanden und sei entsprechend bescheinigt worden. Hierauf beschränkte die Klägerin ihr Begehren auf Krankengeld auf die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 31. Januar 2011.

Mit Urteil vom 7. Juli 2011 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2010 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Januar 2011 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. § 46 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), der zur Kosteneinsparung einen "Karenztag" beinhalte, stehe dem Anspruch der Klägerin auf Krankengeld nicht entgegen. In mehreren grundlegenden Urteilen vom 26. Juni 2007 (u.a. B 1 KR 37/06 R a.a.O.) vertrete das BSG die Auffassung, dass diese Vorschrift auch dann zur Anwendung komme, wenn ein arbeitsunfähiger Versicherter die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit und die (weitere) Auszahlung seines Krankengelds geltend mache. Nach dem in diesen Urteilen auch in Bezug genommenem Urteil des BSG vom 8. November 2005 (B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1) komme ein rückwirkender Anspruch auf Zahlung von Krankengeld in Betracht, wenn der Versicherte ursprünglich alles für die Anspruchsentstehung Erforderliche und ihm Zumutbare unternommen habe sowie die Gründe, die somit zum Anspruchsverlust führten, in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fielen. Bei "strikter" Anwendung der Grundsätze ergebe sich vorliegend in der Tat, dass die Klägerin ab dem 1. Oktober 2010 unabhängig von ihrem Gesundheitszustand von dem Bezug von Krankengeld ausgeschlossen wäre. Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben erscheine die "strikte" Anwendung von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V im vorliegenden Sachverhalt aber unverhältnismäßig. Mit dem Krankengeld bzw. der Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes werde der Kernbereich des Grundrechts auf "Leben und körperliche Unversehrtheit" berührt. Das "Verschulden" der Klägerin, von einem Arztbesuch spätestens am 30. September 2010 abgesehen zu haben, könne nur als geringe Obliegenheitsverletzung eingestuft werden. Denn die Notwendigkeit, zur Wahrung des Anspruches auf Krankengeld bzw. zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit spätestens am 30. September 2010 ärztlich attestieren zu lassen, sei für sie nicht erkennbar gewesen. Sie habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, dass es ausreiche, am Folgetag - nahtlos an die von Dr. N. bis zum 30. September 2010 attestierte Arbeitsunfähigkeit - einen Vertragsarzt aufzusuchen, zumal § 5 Abs. 3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie) bei Ausstellung einer Folgebescheinigung durchaus die Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeit um bis zu zwei Tage erlaube. Zudem habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eindrücklich geschildert, in welcher "psychischen Ausnahmesituation" sie sich damals befunden habe und habe sich trotz dieser Belastung noch am 30. September 2010 telefonisch bei Dr. N. gemeldet. Dass an diesem Tage kein Behandlungstermin mehr zur Verfügung gestanden habe, könne nicht zulasten der Klägerin gehen. Dem Interesse der Beklagten, zur Vermeidung von "Manipulationen" auf einer nahtlosen und lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu bestehen, stehe im Übrigen neben den dargestellten Gesichtspunkten noch das besonders gewichtige Interesse der Klägerin auf Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz gegenüber. Somit ergebe eine Abwägung der widerstreitenden Interessen, dass zumindest bei der Ausstellung einer Folgebescheinigung unverschuldete, nur einen Tag umfassende Lücken, die zum vollständigen Verlust des Krankengeldes und gegebenenfalls des gesamten Krankenversicherungsschutzes führten, eine "strikte" Anwendung von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nicht rechtfertigen könnten. Denn diese Rechtsfolge erscheine zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks (Karenzzeit zur Einsparung, Vermeidung von Manipulationen bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit) "übermäßig" und folge im Übrigen auch nicht zwingend aus dem Wortlaut der Norm. Bei dem Krankheitsbild der Klägerin handle es sich offenkundig um eine durch einen konkreten Anlass (Berührung) ausgelöste Reaktion auf den kindlichen sexuellen Missbrauch, so dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Klägerin ab 1. Oktober 2010 tatsächlich arbeitsfähig gewesen sein könnte. Aufgrund der Angaben von Dr. N. und Dr. St. sei die Kammer überzeugt, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bis zum 31. Januar 2011 durchgängig bestanden habe. Die Beklagte könne der Klägerin nicht entgegenhalten, dass sie davon abgesehen habe, in der Folge ab dem 13. November 2010 weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw. Auszahlscheine vorzulegen, weil dies treuwidrig wäre. Die Beklagte habe durch die Erteilung des angefochtenen Bescheids unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie einen Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich nicht anerkennen werde.

Gegen das ihr am 19. Juli 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. August 2011 Berufung eingelegt. Das Urteil des SG stehe mit der gefestigten Rechtsprechung, insbesondere des BSG, nicht in Einklang. Es sei bereits entschieden, dass es zur Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit zumutbar sei, auch einen anderen Arzt, wenn der bisher behandelnde Arzt keinen Termin mehr frei habe, oder an einem Wochenende einen ärztlichen Notfalldienst oder ein Krankenhaus aufzusuchen (Verweis auf Urteil des BSG vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 8/07 R - SozR 4-2500 § 44 Nr. 12; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Januar 2009 - L 11 KR 137/09 ER-B -, nicht veröffentlicht). Unabhängig davon habe Dr. N. nicht bestätigt, dass die Klägerin am 30. September 2010 aus von der Praxis zu vertretenden Gründen dort nicht habe behandelt werden können. Gerade der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beim SG angegebene eskalierende Krankheitszustand habe eine ärztliche Behandlung nahegelegt und es wäre auch ein Hausbesuch durch Dr. N. möglich gewesen. Auch habe der Klägerin offensichtlich ihre Tochter zur Unterstützung zur Verfügung gestanden, die sie auch zu der Praxis hätte begleiten können. Ein Beratungsfehler der behandelnden Ärztin, den sie (die Beklagte) sich anrechnen lassen müsse, sei nicht nachvollziehbar. Für den Anspruch auf Krankengeld sei der Tag nach der ärztlichen Feststellung entscheidend. Ab wann und gegebenenfalls für welchen Zeitraum rückwirkend tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden sei, sei nicht von Bedeutung. Leistungen im Rahmen des nachgehenden Leistungsanspruchs schieden ebenfalls aus, da die Klägerin ab 1. Oktober 2010 familienversichert gewesen sei, was vorrangig sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim 7. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, weil es die Rechtsprechung und die grundrechtlichen Anforderungen im konkreten Fall umfassend gewürdigt habe. Dass gerade ein eskalierender Krankheitszustand sie hätte veranlassen müssen, einen Arzt, gegebenenfalls auch Vertretungsarzt, aufzusuchen, könne für psychische Erkrankungen nicht gelten. Für diese Erkrankungen gebe es keine so kurzfristig notwendige Akutbehandlungen wie bei Unfällen oder Herz-/Kreislauferkrankungen. Wenn es allein um die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit gehe, sei auch ein Hausbesuch bei der gegebenen Art der Erkrankung überzogen. Aufgrund ihrer psychischen Ausnahmesituation habe sie die Übersicht über die Termine verloren gehabt und sei schon am 28. September 2010 bei Dr. N. gewesen. Es sei vereinbart worden, dass sie (die Klägerin) wegen des Auslaufens der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit noch einmal am 30. September 2010 kommen solle. An diesem Tag sei sie zwar auch erkältet gewesen, die Arbeitsunfähigkeit habe aber auf dem noch nicht abgeklungenen massiven Erschöpfungszustand beruht und sie habe wegen anhaltender Panikattacken nicht das Haus verlassen und nur telefonischen Kontakt mit der Praxis der Dr. N. aufnehmen können. Weder ihr (der Klägerin) noch der Praxis sei zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen, welche große formale Bedeutung das Auslaufen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bei zeitgleichem Ende des Arbeitsverhältnisses habe. Auch habe Dr. N. nach der Arbeitsunfähigkeit-Richtlinie am 1. Oktober 2010 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rückwirkend um einen Tag ausstellen dürfen.

Die KKH Allianz hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass ihr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vorlägen (Schreiben vom 22. November 2011). Weiter hat der Senat Dr. N. erneut als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat angegeben (Auskunft vom 11. Januar 2012), für den 30. September 2010 gebe es in ihrer Patientenkartei keinen Vermerk. Die Klägerin habe nach einem Karteikarteneintrag vom 3. Januar 2011 an diesem Tag ihr von dem Anruf am 30. September 2010 und der Terminvergabe für den Folgetag berichtet und zuletzt am 14. Dezember 2011 gesagt, sie (die Klägerin) habe am 30. September 2010 nicht kommen können, weil sie (die Klägerin) erkältet gewesen sei. Die Erkältung sei anhand der Unterlagen nachvollziehbar, dass sie (die Klägerin) deshalb erst am 1. Oktober 2011 gekommen sei, allerdings nicht. Folgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Folgebescheinigungen habe sie ausgestellt: am 12. November 2010 bis zum 26. November 2010, am 26. November 2010 bis zum 31. Dezember 2010 und am 3. Januar 2011 bis zum 31. Januar 2011. Sie (Dr. N.) gehe davon aus, dass die Klägerin die Bescheinigungen auch persönlich in Empfang genommen habe, ohne dass sie (Dr. N.) dies allerdings notiert habe. Dr. N. hat, ohne dass eine Anfrage des Senats erfolgt ist, mit Schreiben vom 13. März 2012 mitgeteilt, die Klägerin sei vom 30. August 2010 bis 31. Januar 2011 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe sich in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden. Die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit habe hinsichtlich der Datumsangabe auf einem Missverständnis beruht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von EUR 750,00 ist überschritten. Denn die Klägerin hätte für den im Berufungsverfahren streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 31. Januar 2011 Anspruch auf Krankengeld in Höhe von EUR 2.772,00.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2010 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2011 Krankengeld zu zahlen. Im Übrigen (für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010) ist die Berufung der Beklagten nicht begründet. Insoweit hat das SG im Ergebnis zu Recht die genannten Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankengeld zu zahlen.

Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen stationärer Behandlung - die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Diese Voraussetzungen sind für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 gegeben. Die Klägerin war arbeitsunfähig (1.). Sie war mit Anspruch auf Krankengeld versichert, der Anspruch auf Krankengeld war entstanden und der Beklagten gemeldet (2 a bis 2. c) Des Weiteren war die Arbeitsunfähigkeit durchgehend vertragsärztlich festgestellt (2. d) und dem Anspruch standen keine Ausschlussgründe entgegen (2. e). Für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2011 bestand demgegenüber kein Anspruch auf Krankengeld, weil es für die Zeit vom 1. bis 3. Januar 2011 an der vertragsärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit fehlt (3.).

1. Die Klägerin war im Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 arbeitsunfähig. Der Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit ergibt sich aus dem Umfang des Versicherungsschutzes im jeweils konkret feststehenden Versicherungsverhältnis. Tritt - wie bei der Klägerin - die Arbeitsunfähigkeit während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ein, ist die zuletzt tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zunächst maßgeblich. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann (z.B. BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr. 7). Die maßgebliche, zuletzt von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit war diejenige als Pflegerin bei ihrem Stiefvater. Diese Tätigkeit konnte die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht mehr verrichten. Bei ihr bestanden eine Depression, eine Angststörung, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Schlafstörung. Diese Gesundheitsstörungen hatten ihre Ursache in einem körperlichen Kontakt mit dem gepflegten Stiefvater, wodurch frühere Ängste aufbrachen, welche im Zusammenhang mit früheren sexuellen Übergriffen während der Kindheit standen. Dies entnimmt der Senat den Auskünften der Dr. N. vom 28. Januar 2011 und des Dr. St. vom 4. Juli 2011 als sachverständige Zeugen. Die Beklagte hat die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht bestritten.

2. Im Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 war die Klägerin auch Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld.

a) Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krankengeld bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter" Anspruch auf Krankengeld hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 37/06 R - a.a.O. und vom 5. Mai 2009 - B 1 KR 20/08 R - SozR 4-2500 § 192 Nr. 4; jeweils m.w.N.). Die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten als versicherungspflichtig Beschäftigte endete nicht am 30. September 2010 mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses, das für die Versicherungspflicht bei der Beklagten maßgeblich war. Zwar endet nach § 190 Abs. 2 SGB V die Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt endet. Allerdings blieb nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten über den 30. September 2010 hinaus erhalten. Nach dieser Vorschrift bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger u.a. erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht oder diese Leistung bezogen wird. Bezogen hat die Klägerin Krankengeld zwar nicht. Sie hatte aber am 1. Oktober 2010 einen Anspruch auf Krankengeld. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten war dieser Anspruch auch schon am 1. Oktober 2010 und nicht erst am 2. Oktober 2010 entstanden.

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in anderen Fällen als bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld setzt damit - abgesehen von hier nicht gegebenen stationären Behandlungen - voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit vertragsärztlich festgestellt wird. Abzustellen ist grundsätzlich auf den Tag, der dem Tag nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 37/06 R - a.a.O.). Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist keine reine Formalität, sondern Voraussetzung der Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld. Mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender Arbeitsunfähigkeit sollen beim Krankengeld Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten. Als Regelfall geht das Gesetz davon aus, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte Versicherte selbst die notwendigen Schritte unternimmt, um die mögliche Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen und seine Ansprüche zu wahren. Die Krankenkasse soll durch die Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V davon freigestellt werden, die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen und so die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den MDK überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegentreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B 1 KR 30/04 R - SozR 4-2500 § 46 Nr. 1 m.w.N.). Für das Verständnis von § 46 SGB V als Vorschrift über den Zahlungsanspruch, während der "Grundanspruch" bereits durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entstehe (so noch Urteil des Senats vom 12. Dezember 1997 - L 4 Kr 1128/95 - in juris), bietet das Gesetz keinen Anhalt, wie sich bereits aus dem Begriff der "Anspruchsentstehung" ergibt (BSG, Urteile vom 19. September 2002 - B 1 KR 11/02 R - SozR 3 2500 § 44 Nr. 10 sowie 26. Juni 2007 - B 1 KR 8/07 R - SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 und - B 1 KR 37/06 R - a.a.O.). Mit Blick darauf muss die Arbeitsunfähigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krankengeldes auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen bestanden hat. Auch dann muss der Versicherte die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich rechtzeitig vor Ablauf der Befristung der bisherigen Attestierung der Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, wenn er das Erlöschen oder Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden will. Sowohl bei der ärztlichen Feststellung als auch der Meldung der Arbeitsunfähigkeit handelt es sich um eine Obliegenheit des Versicherten; die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung oder Meldung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Regelmäßig ist danach die Regelung des § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V strikt zu handhaben (BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B 1 KR 30/04 R - a.a.O.; ebenso Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Februar 2011 - L 11 KR 4892/10 - in juris, Az. BSG, B 1 KR 20/11 R, Urteil vom 10. Mai 2012, Pressemitteilung Nr. 26/12).

Die strikte Handhabung des § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V kann ungünstige Auswirkungen auf den Anspruch auf Krankengeld des Versicherten haben, wovon auch das BSG ausgeht. Gleichwohl lässt der eindeutige Wortlaut des § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V keine andere Auslegung zu.

Entgegen der Auffassung des SG erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine andere Beurteilung. § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V hat die gleichen Auswirkungen wie Fristenregelungen oder Stichtagsregelungen. Auch bei jenen Regelungen kann die Überschreitung von einem Tag zu einem Anspruchsverlust führen, ohne dass dies verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird durch die in der Rechtsprechung des BSG vorgesehenen Ausnahmen von der wortgetreuen Auslegung des § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V (vgl. dazu zusammenfassend BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B 1 KR 30/04 R - a.a.O., RdNr. 18 ff) Rechnung getragen.

Entgegen der Auffassung des SG lässt sich schließlich auch aus dem Gesichtspunkt, dass § 5 Abs. 3 Satz 2 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ausnahmsweise die Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeit um bis zu zwei Tage zulässt, nichts Abweichendes herleiten (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 37/06 R - a.a.O.; zu § 5 Abs. 4 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien: BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 8/07 R - a.a.O.).

b) Für den 1. Oktober 2010 war zwar Arbeitsunfähigkeit vertragsärztlich nicht festgestellt. Denn erst an diesem Tag bescheinigte Dr. N. die weitere Arbeitsunfähigkeit, so dass - bei Vorliegen der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - der Anspruch auf Krankengeld erst am 2. Oktober 2010 entstehen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hätte dann keine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld, auch nicht bei der Beklagten, mehr bestanden. Es liegt aber ein Ausnahmefall, in dem die unterbliebene ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise rückwirkend - nachgeholt werden kann, vor. Nur dann, wenn der Versicherte alles in seiner Macht stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, er daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert (beispielsweise durch die Fehleinschätzung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes und des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung) und er zusätzlich seine Rechte bei der Kasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht, kann er sich auf den Mangel der zeitnahen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch zu einem späteren Zeitpunkt berufen (BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B 1 KR 30/04 R - a.a.O.).

Nach Auffassung des Senats liegt im vorliegenden Fall aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine Fehleinschätzung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Dr. N. hinsichtlich der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vor. Die gesetzliche Regelung, dass nach dem Ende der vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit auch bei der erforderlichen erneuten vertragsärztlichen Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit der Anspruch auf Krankengeld erst am Tag nach der erneuten vertragsärztlichen Feststellung entsteht, ist für Versicherte nicht ohne weiteres erkennbar. Bei unveränderter Erkrankung gehen die Versicherten ohne weiteres davon aus, dass die erneute vertragsärztliche Feststellung nur eine Formalie ist. Demgemäß wäre es an sich Sache der Krankenkassen, die Versicherten rechtzeitig auf die besondere gesetzliche Regelung und deren im Regelfall gravierende Folgen hinzuweisen. Zumindest die Vertragsärzte, die für die Beklagte die Arbeitsunfähigkeit feststellen, müssen bei länger andauernder Arbeitsunfähigkeit die Versicherten darauf aufmerksam machen, rechtzeitig vor dem Ende der zuletzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit erneut vorzusprechen, damit gegebenenfalls die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit festgestellt und bescheinigt werden kann. Letzteres ist hier durch Dr. N. nicht erfolgt. Die Klägerin suchte am 28. September 2010 Dr. N. auf. Diese bescheinigte an diesem Tag Arbeitsunfähigkeit bis 30. September 2010. Nach ihren Angaben in ihrer Auskunft vom 11. Januar 2012 bescheinigte sie (Dr. N.) Arbeitsunfähigkeit deshalb (nur) bis 30. September 2010, weil an diesem Tag das Beschäftigungsverhältnis endete. Das Ende eines Beschäftigungsverhältnisses ist aber kein maßgebliches Kriterium für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Davon, dass die seit 30. August 2010 bestehende Arbeitsunfähigkeit mit dem 30. September 2010 beendet sein würde, konnte Dr. N. nicht ausgehen. Denn für eine Besserung gab es keine Anhaltspunkte. Die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine - auch von Dr. N. für erforderlich gehaltene - fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen. Dr. St., zu welchem die Klägerin überwiesen war, suchte die Klägerin erstmals am 27. Oktober 2010 auf. Auch die psychotherapeutische Behandlung hatte damals noch nicht begonnen. Dr. N. hätte deshalb eigentlich bereits am 28. September 2010 für längere Zeit als bis zum 30. September 2010 Arbeitsunfähigkeit bescheinigen müssen. Zumindest hätte sie dann aber, als die Klägerin sich am 30. September 2010 telefonisch gemeldet hatte, einen Termin am selben Tag zur Verfügung stellen müssen.

c) Die am 1. Oktober 2010 festgestellte Arbeitsunfähigkeit meldete die Klägerin der Beklagten rechtzeitig. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Aus der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte ergibt sich zwar nicht, wann der Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 1. Oktober 2010 zuging. Dies ist allerdings zeitnah erfolgt. Denn bereits mit Bescheid vom 11. Oktober 2010 lehnte es die Beklagte ab, Krankengeld zu zahlen mit der Begründung, dass am 1. Oktober 2010 keine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden habe, und nahm dabei auf die (Folge )Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 1. Oktober 2010 Bezug.

d) Die Arbeitsunfähigkeit war für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 durchgehend ärztlich festgestellt, am 1. Oktober 2010 bis zum 15. Oktober 2010, am 15. Oktober 2010 bis zum 29. Oktober 2010, am 28. Oktober 2010 bis zum 12. November 2010, am 12. November 2010 bis zum 26. November 2010 und am 26. November 2010 bis zum 31. Dezember 2010. Der Senat geht davon aus, dass zumindest die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum bis zum 12. November 2010 der Beklagten unverzüglich nach Ausstellung zugingen. Jedenfalls befinden sich diese in der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte. Einen Eingangsstempel enthalten diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht. Die Beklagte hat nicht bestritten, dass diese Arbeitsunfähigkeiten ihr nicht unverzüglich zugingen. Im Übrigen kann sich die Beklagte nicht auf eine verspätete Meldung berufen. Denn sie hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Krankengeld nicht zu.

e) Der Anspruch auf Krankengeld war auch nicht wegen vorangegangenen Bezugs von Krankengeld über 78 Wochen erschöpft. Hierzu fehlen jegliche Anhaltspunkte, insbesondere wird dies auch nicht von der Beklagten behauptet. Des Weiteren erhielt die Klägerin im streitigen Zeitraum keine anderen Leistungen, die den Anspruch auf Krankengeld zum Ruhen bringen würden.

3. Für den Monat Januar 2011 bestand demgegenüber kein Anspruch mehr auf Krankengeld, weil für den 1. bis 3. Januar 2011 Arbeitsunfähigkeit nicht vertragsärztlich festgestellt war. Nach ihrer sachverständigen Zeugenauskunft bescheinigte Dr. N. Arbeitsunfähigkeit erst wieder am 3. Januar 2011 bis zum 31. Januar 2011. Nachdem die zuletzt festgestellte Arbeitsunfähigkeit am 31. Dezember 2010 endete, hätte spätestens an diesem Tag die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden müssen.

Insoweit kann sich die Klägerin nicht auf einen Ausnahmefall berufen. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Klägerin die Rechtslage bekannt. Zum damaligen Zeitpunkt war bereits das gerichtliche Verfahren anhängig.

Da die Klägerin ab 1. Januar 2011 keinen Anspruch auf Krankengeld mehr hatte, endete ihre Mitgliedschaft als versicherungspflichtige Beschäftigte bei der Beklagten mit dem 31. Dezember 2010 (§ 190 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Begehren, vier weitere Monate Krankengeld zu erhalten, hinsichtlich dreier Monate Erfolg hatte.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Denn durch die genannte Rechtsprechung des BSG ist geklärt, wann die verspätete vertragsärztliche Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit unbeachtlich ist.
Rechtskraft
Aus
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