Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 1856/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1905/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.2.2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Katheterisierungen zur Blasenentleerung während des Besuchs einer Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) als Leistung der häuslichen Krankenpflege.
Die Klägerin ist im Jahr 1988 mit einer Meningomyelozele im Lumbalbereich (Spina bifida) geboren worden. Dies hat eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung, Kleinwüchsigkeit sowie eine Rückgratverkrümmung zur Folge. Die Klägerin ist rollstuhlpflichtig. Wegen der Harnblasenentleerungsstörung ist eine Blasenaugmentation (Anlage einer künstlichen Blase) durchgeführt worden. Die Blasenentleerung erfolgt seither ausschließlich über einen künstlichen Blasenausgang in der Bauchdecke. Die Klägerin muss hierfür mehrfach täglich katheterisiert werden. Da außerdem bereits eine Nierenschädigung eingetreten ist, wird sie permanent antibiotisch behandelt.
Die Klägerin lebt in einer Einrichtung der Behindertenhilfe (KBF - M.) und hält sich seit 1.9.2008 tagsüber im Berufsbildungsbereich der WfbM G. (Beigeladener Nr. 2) auf. Dort steht - anders als im Wohnhaus der KBF - medizinisch ausgebildetes Personal für die Katheterisierung nicht zur Verfügung. Diese wird zweimal täglich von Mitarbeitern einer Sozialstation während des Werkstattbesuchs vorgenommen.
Seit 2.6.2004 ist die Klägerin bei der Beklagten kranken- und bei deren Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) pflegeversichert. Seit 1.9.2008 besteht wegen der Tätigkeit in der WfbM Versicherungspflicht. Die Klägerin erhält vom Beigeladenen Nr. 1 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, SGB XII). Die Beigeladene Nr. 3 gewährt Leistungen nach Maßgabe des § 43 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI, Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen).
Unter dem 2.1.2009 stellte die Internistin B. für die Klägerin eine (Folge-)Verordnung über eine tägliche Katheterisierung der Harnblase (5 Mal wöchentlich) als Leistung der häuslichen Krankenpflege aus (Zeitraum 1.1. bis 30.6.2009).
Mit Bescheid vom 2.2.2009 lehnte die Beklagte die Erbringung der verordneten Leistung ab. Zur Begründung führte sie aus, häusliche Krankenpflege könne nur in einem Haushalt geleistet werden. Da die Klägerin Leistungen im Heimbereich gem. § 43a Abs. 1 SGB XI von der Pflegekasse erhalte, bestehe kein Anspruch auf die Gewährung häuslicher Krankenpflege durch die Krankenkasse.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin (bzw. deren Betreuerin) vor, die Katheterisierung müsse seit 3 Jahren etwa alle 3 Stunden vorgenommen werden. Hierfür sei im Wohnhaus der KBF, nicht jedoch in der WfbM ausgebildetes Personal vorhanden. Eine einmalige Katheterisierung während der Arbeitszeit in der WfbM genüge nicht.
Unter dem 20.2.2009 führte die Beklagte aus, die Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) beteilige sich gem. § 43a SGB XI mit 10% an den Heimkosten der Klägerin (256,00 EUR monatlich). Die übrigen Kosten übernehme der Sozialhilfeträger (Beigeladener Nr. 1). Mit der Leistung der Pflegekasse seien die pflegebedingten Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege abgegolten. Bei Bewohnern, die sich tagsüber in einer WfbM aufhielten, werde der volle Tagessatz an das Wohnheim weitergezahlt. Da für das Wohnheim und die WfbM unterschiedliche Träger zuständige seien, komme lediglich ein Kostenausgleich unter diesen in Frage. Ein besonders hoher Pflegeaufwand i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liege nicht vor; diese Vorschrift gelte nur für intensivpflegebedürftige Versicherte. Zuständig sei hier deswegen der Beigeladene Nr. 1 als Sozialhilfeträger.
Mit Schreiben vom 13.3.2009 teilte die KBF M. mit, bei ihrem Wohnhaus handele es sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die keine Tagesstruktur biete. Das Wohnhaus sei von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr geschlossen. Während dieser Zeit hielten sich die Bewohner in einer WfbM auf. Der Pflegesatz decke diesen Zeitraum nicht ab. Ungeklärt sei, ob für die in Rede stehenden Leistungen der Träger der Eingliederungshilfe oder die Krankenkasse zuständig sei.
Die WfbM G. (deren Träger – Beigeladener Nr. 2) teilte unter dem 12.3.2009 mit, in der WfbM stehe geeignetes Fachpersonal für die Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege nicht zur Verfügung. Außer der Klägerin werde eine weitere Mitarbeiterin der WfbM von Bediensteten der Sozialstation katheterisiert.
Am 11.3.2009 suchte die Klägerin (erstmals) um vorläufigen Rechtsschutz nach (Verfahren S 14 KR 759/09 ER). Die WfbM G. teilte (u.a.) mit, in der Einrichtung arbeite noch eine weitere Behinderte, die 2 Mal täglich durch Mitarbeiter einer Sozialstation katheterisiert werde. Im Bereich der medizinisch-pflegerischen und therapeutischen Dienste verfüge man über Krankengymnasten und Ergotherapeuten. Grundpflegerische Tätigkeiten, wie Toilettengänge oder auch Stomawechsel würden von den Gruppenleitern der Werkstatt durchgeführt; deren Berufsbild entspreche in der Regel demjenigen des Arbeitserziehers, teils auch des Heilerziehungspflegers. Qualifizierte Pflegeverrichtungen dürften sie mangels entsprechender Ausbildung nicht ausführen.
Das vorläufige Rechtsschutzverfahren wurde durch Vergleich beendet. Die Beteiligten einigten sich darauf, dass die Beklagte die streitige Leistung vorläufig bis 31.7.2009 weiter erbringt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.5.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, Versicherte erhielten u.a. in ihrem Haushalt oder ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar sei, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt werde. Die häusliche Krankenpflege umfasse die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch bestehe bis zu 4 Wochen je Krankheitsfall. In begründeten Ausnahmefällen könne die Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein entsprechendes Erfordernis feststelle. Versicherte erhielten die Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder an einem anderen geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in einer WfbM, wenn dies zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei. Näheres könne die Krankenkasse in ihrer Satzung festlegen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimme in Richtlinien nach § 92 SGB V (Krankenpflege-RL) außerdem, an welchen Orten und in welchen Fällen die in Rede stehenden Leistungen auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden könnten; er bestimme darüber hinaus das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen (§ 37 Abs. 6 SGB V).
Ihre Satzung enthalte zur häuslichen Krankenpflege keine besonderen Regelungen, so dass die Vorschriften des § 37 SGB V anzuwenden seien. Für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen übernehme die Pflegekasse im Rahmen der pauschalen Leistungsbeträge die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege (§ 43 Abs. 2 SGB XI). Für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stünden (§ 71 Abs. 4 SGB XI), übernehme die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen 10 v. H. des nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts (§ 43a SGB XI).
Bei dem Wohnheim der KBF M. handele es sich um eine Einrichtung, bei der sich die Pflegekasse nach § 43a SGB XI mit 10 % des vereinbarten Heimentgelts an den Kosten beteilige. Die übrigen Kosten würden vom Sozialhilfeträger (Beigeladener Nr. 1) getragen. Damit seien die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege abgegolten. Die zweimalige Katheterisierung der Klägerin während des Aufenthalts in der WfbM stelle keinen besonders hohen Pflegebedarf im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V dar. Die medizinische Definition dieses Begriffs beziehe sich auf intensivpflegebedürftige Patienten (wegen nicht planbarer Interventionsbereitschaft). Daher sei vorliegend der Beigeladene Nr. 1 als Träger der Eingliederungshilfe zuständig (vgl. auch SG Dresden, Beschl. v. 15.8.2008, - S 18 KR 397/08 ER -); Behandlungspflegeleistungen der Krankenkasse kämen nur in Betracht, wenn die Behandlungspflege nicht schon durch andere Träger sichergestellt sei.
Am 12.6.2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Reutlingen. Zur Begründung trug sie vor, alle in Betracht kommenden Leistungsträger hätten die Übernahme der Kosten für die Katheterisierung während des Werkstattbesuchs abgelehnt; sie könne die Kosten nicht selbst tragen. Die WfbM sehe sich nicht in der Lage, die Katheterisierung mit eigenem Personal durchzuführen.
Am 29.9.2009 suchte die Klägerin erneut um vorläufigen Rechtsschutz nach (Verfahren S 14 KR 3153/09 ER). Mit Beschluss vom 12.10.2009 gab das Sozialgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung auf, der Klägerin ab 29.9.2009 häusliche Krankenpflege in Form der einmal täglich an fünf Werktagen in der Woche während des Aufenthalts in der WfbM erforderlichen Katheterisierung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens, längstens bis 28.2.2010, zu gewähren. Ein weiteres vorläufiges Rechtsschutzverfahren (Verfahren S 14 KR 334/10 ER) wurde in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 25.2.2010 (im Klageverfahren) für erledigt erklärt. Die Beklagte verpflichtete sich, die streitige Leistung (vorläufig) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens (bei Vorlage entsprechender ärztlicher Verordnungen) weiterzugewähren.
Der Beigeladene Nr. 2 (Träger der WfbM) teilte (im Klageverfahren) unter dem 3.11.2009 ergänzend mit, die Katheterisierung durch Pflegekräfte der Sozialstation finde regelmäßig um 9.00 Uhr sowie um 11.30 Uhr statt. Die Arbeitszeit der Klägerin beginne um 7.45 Uhr und ende um 16.00 Uhr (5 Arbeitstage in der Woche).
Das Sozialgericht befragte zunächst den behandelnden Kinder- und Jugendarzt/Nephrologen Dr. A. (Universitätsklinikum T.). Dieser führte unter dem 7.12.2009 aus, bei der Klägerin liege (u.a.) eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung vor, die über die ungenügende Urinentleerung zu Harnwegsinfekten und durch einen hohen Innendruck in der Harnblase zum Hinaufpressen infizierten Urins in die Nierenbecken und von dort weiter in das Nierengewebe geführt habe, mit der Konsequenz einer schweren Schädigung zumindest der linken Niere. Um die Bildung von Harnwegsinfekten zu behindern und den hohen Druck aus der Harnblase zu nehmen, sei chirurgisch eine Blasenaugmentation durchgeführt worden. Gleichwohl müsse die Klägerin täglich Antibiotika einnehmen. Die Blasenentleerung sei auf natürlichem Wege nicht mehr möglich, weswegen eine regelmäßige Katheterisierung durch einen in der Bauchdecke angebrachten künstlichen Zugang zur Harnblase erforderlich sei. Mittlerweile müsse die Katheterisierung fünfmal täglich durchgeführt werden. Andernfalls würde sich zuviel Urin ansammeln, der in Richtung der Nieren gepresst werden könnte. Die Katheterisierung müsse unter strengen hygienischen Kautelen erfolgen, damit keine Bakterien von der Haut in die Harnblase verschleppt würden. Zwischen den Katheterisierungen müsse der Zugang zur Harnblase, der sich in der Bauchwand befinde, mit einer speziellen Platte steril abgedeckt werden. Da die Klägerin kleinwüchsig und rollstuhlpflichtig sei und außerdem eine Rückgratverkrümmung vorliege, seien sowohl die Katheterisierung und der Verband der Katheterisierungsstelle sowie der umgebenden Haut besonders schwierig. Daher sollten die Maßnahmen durch entsprechend medizinisch-pflegerisch ausgebildetes und geübtes Personal durchgeführt werden. Angelerntes Personal aus anderen (nicht medizinischen Bereichen) sei hierfür nicht ausreichend geeignet.
Die Beklagte legte die MDK-Stellungnahme des Dr. H. vom 20.1.2010 vor. Darin ist ausgeführt, bei der Katheterisierung handele es sich um eine gut planbare, behandlungspflegerische Maßnahme. Die verordnete Frequenz sei medizinisch begründet. Allerdings sei die Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Pflege nicht so hoch, dass das Ziel der ärztlichen Behandlung nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft gesichert werden könne.
Das Sozialgericht erhob sodann das Aktengutachten der Pflegedienstleiterin F. vom 16.2.2010 Diese führte aus, die Katheterisierung der Harnblase sei in der Krankenpflege-Richtlinie als verordnungsfähige Maßnahme der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) aufgeführt; dabei sei allerdings die deutlich risikoärmere Katheterisierung durch einen transurethalen Dauerkatheter in die Harnblase gemeint. Die streitige Verrichtung sei der Behandlungspflege zuzuordnen und damit Teil der ärztlichen Heilbehandlung. Behandlungspflege müsse grundsätzlich von entsprechend qualifizierten und erfahrenen Pflegefachkräften geleistet werden; diese müssten eine dreijährige Ausbildung absolvieren. Die Behandlungspflege sei zudem untrennbar mit der Krankenbeobachtung verbunden. Nicht medizinischem Personal fehle das geschulte Auge der Pflegefachkraft, um Indikatoren für Krankheitsbilder und gesundheitliche Veränderungen zu erkennen. Führe ein nicht medizinisch geschulter Helfer eine Behandlungspflegemaßnahme unsachgemäß aus, könne dies dazu führen, dass gesundheitlich bedenkliche Veränderungen nicht bzw. zu spät erkannt würden. Außerdem hafte die Krankenkasse nicht für etwaige Schäden.
Gerade die Katheterisierung gehöre zu den kompliziertesten pflegerischen Eingriffen. Sie berge zahlreiche Risiken und werde in der Kranken- und Altenpflegeausbildung als sehr spezifische und komplexe Tätigkeit grundsätzlich erst im dritten Ausbildungsjahr unterrichtet, nachdem die Auszubildenden bereits zwei Jahre theoretischen Unterricht, unter anderem in Anatomie, Physiologie, Hygiene und sterilem Arbeiten, absolviert hätten und über zwei Jahre Erfahrung in der pflegerischen Praxis verfügten. Für die streitige Pflegeleistung seien fundierte Kenntnisse der Grundsätze sterilen Arbeitens und der Katheterisierung im Allgemeinen sowie bei künstlichem Zugang zur augmentierten Harnblase notwendig. Außerdem müsse die Pflegekraft über hinreichend Übung und Erfahrung verfügen und regelmäßig fortgebildet sein. Die hohen Anforderungen an die Pflegekompetenz könnten nur in einer dreijährigen Ausbildung erworben werden. Bei der Klägerin bestehe außerdem aufgrund der mangelnden natürlichen Ausschwemmung von Krankheitserregern ein erhöhtes Infektionsrisiko, das durch die Antibiotikabehandlung nur gemildert sei. Das Risiko sei wegen der bereits vorliegenden Schädigung einer Niere potenziert. Deswegen bedeute schon eine minimale Abweichung von sterilem, hygienisch einwandfreiem Arbeiten ein deutliches Gesundheitsrisiko. Die notwendigen Anforderungen könnten mit angelerntem, nicht medizinischem Personal nicht gewährleistet werden.
Der Einschätzung des Dr. A. sei zuzustimmen. Die MDK-Stellungnahme des Dr. H. beruhe demgegenüber auf einer fraglichen Diagnose. Mittlerweile liege nicht mehr nur eine neurogene Blasenentleerungsstörung, sondern eine Blasenaugmentation vor. Die Blase und die Harnröhre seien also komplett verschlossen. Die Blase könne ausschließlich durch Katheterisierung über einen künstlichen Ausgang entleert werden. Die Frequenz der pflegerischen Maßnahme stehe in keinem Zusammenhang mit der erforderlichen Qualifikation der Pflegekraft.
Am 25.2.2010 führte das Sozialgericht eine mündliche Verhandlung durch. Die Betreuerin der Klägerin gab (offenbar) ergänzend an, die Klägerin wiege bei einer Körpergröße von 125 cm ca. 30 Kilogramm und sei auch hinsichtlich ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit schwer eingeschränkt.
Mit Urteil vom 25.2.2010 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.5.2009, der Klägerin während des Besuchs der WfbM entsprechend der ärztlichen Verordnung häusliche Krankenpflege in Form einer zweimal täglich erfolgenden Katheterisierung zu gewähren.
Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die Klägerin habe Anspruch auf die begehrte Leistung der Krankenpflege. Gem. § 37 Abs. 2 SGB V erhielten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei; der Anspruch umfasse verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14, 15 SGB XI zu berücksichtigen sei. § 10 Werkstättenverordnung (WVO) bleibe unberührt. Der Anspruch bestehe darüber hinaus ausnahmsweise auch für solche Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 SGB XI, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege hätten.
Die Katheterisierung bei der Klägerin sei angesichts der vorliegenden Gesundheitsstörungen unstreitig notwendig. Da die Klägerin mittellos sei, müsse (nur) geklärt werden, welcher Leistungsträger die Kosten hierfür zu tragen habe. Mitarbeiter der WfbM könnten die Katheterisierung nicht vornehmen. Gem. § 10 WVO müsse die WfbM zur pädagogischen, sozialen und medizinischen Betreuung der behinderten Menschen über begleitende Dienste verfügen, die den Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht würden. Für je 120 behinderte Menschen sollten in der Regel ein Sozialpädagoge oder ein Sozialarbeiter zur Verfügung stehen, darüber hinaus im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische, therapeutische und nach Art und Schwere der Behinderung sonst erforderliche Fachkräfte. Die Pflicht der WfbM zum Vorhalten pflegerischer Leistungen beschränke sich auf den gewöhnlich auftretenden oder auf den zwar ungewöhnlichen, aber dennoch leicht zu bewerkstelligenden Pflegebedarf. Das folge aus § 37 Abs. 2 SGB V, der bei besonders hohem Pflegebedarf Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch während des Besuchs einer WfbM vorsehe.
Bei der Katheterisierung der Klägerin handele es sich um einen besonders hohen Pflegebedarf, der von der Vorhaltepflicht der WfbM nicht umfasst werde. Das gehe aus dem Bericht des Dr. A. und dem Gutachter der Pflegedienstleiterin F. hervor. Dr. A. habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Katheterisierung zur Vermeidung von Harnwegsinfekten nebst einer weiteren Schädigung der Nieren unter strengen hygienischen Kautelen zu erfolgen habe. Zwischen den Katheterisierungen müsse der Zugang zur Harnblase in der Bauchwand mit einer speziellen Platte steril abgedeckt werden. Der ganze Vorgang werde durch die Kleinwüchsigkeit, die Rollstuhlpflichtigkeit, die Beleibtheit der Klägerin sowie durch ihre Rückgratverkrümmung erschwert. Daher sei angelerntes Pflegepersonal für die Durchführung der Maßnahmen nicht ausreichend geeignet. Die Pflegedienstleiterin F. habe dies bestätigt und ergänzend darauf abgestellt, dass medizinisch nicht ausgebildetes Personal zwar die Abläufe einzelner behandlungspflegerischer Leistungen erlernen könne, jedoch nicht über das für die Krankenbeobachtung geschulte Auge verfüge. Die Katheterisierung gehöre zu den kompliziertesten pflegerischen Eingriffen und berge zahlreiche Risiken, weswegen sie in der Kranken- und Altenpflegeausbildung grundsätzlich erst im dritten Ausbildungsjahr unterrichtet werde. Schon bei einer minimalen Abweichung von sterilem, hygienisch einwandfreiem Arbeiten bestehe ein deutliches Gesundheitsrisiko für die Klägerin. Daher sei es nicht zu verantworten, die Katheterisierung auf angelernte Mitarbeiter der WfbM zu übertragen.
Die Auffassung des Dr. H. im MDK-Gutachten vom 20.01.2010 könne demgegenüber nicht überzeugen. Die Katheterisierung sei zwar gut planbar und vorhersehbar, aber in der Durchführung gerade bei der Klägerin schwierig und von hoher Fachkompetenz abhängig. Dr. H. habe sich mit den konkreten Einzelfallumständen nicht hinreichend auseinandergesetzt. Der von der Beklagten angeführte Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 15.8.2008 (- S 18 KR 397/08 ER -) betreffe Insulininjektionen, was mit der Katheterisierung bei einem künstlichen Blasenausgang unter den hier gegebenen Einzelfallumständen nicht zu vergleichen sei. Auf die Leistung der Pflegekasse müsse sich die Klägerin nicht verweisen lassen, da sie sich während der fraglichen Zeit in einer WfbM und nicht in der über die Pflegekasse mitfinanzierten Einrichtung aufhalte. Die Wohneinrichtung erhalte für diese Zeit auch keine Zahlungen. Außerdem sehe § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V sogar neben stationären Pflegeversicherungsleistungen nach § 43 SGB XI ausnahmsweise einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege vor. Das müsse erst Recht gelten, wenn Versicherte in Einrichtungen gem. § 43a SGB XI lebten. Zu einer Doppelleistung der Beklagten - unter Einbeziehung der Pflegekasse – komme es nicht.
Auf das ihr am 23.3.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.4.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, seit April 2010 habe die Klägerin weitere ärztliche Verordnungen nicht mehr vorgelegt. Bei einer WfbM handele es sich grundsätzlich nur dann um einen Leistungsort für häusliche Krankenpflege i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wenn wegen des individuellen Pflegebedarfs das nach § 10 WVO vorzuhaltende Personal der WfbM zur medizinischen Betreuung nicht mehr ausreiche. Daraus folge, dass der medizinisch pflegerische Bedarf im Regelfall durch die Einrichtung selbst abgedeckt werden müsse (vgl. BT-Drs. 16/4247, S. 33 f.). Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts stelle die bei der Klägerin erforderliche Einmalkatheterisierung ungeachtet der hygienischen Anforderungen keinen besonders hohen Pflegebedarf dar.
Die Klägerin sei zudem in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen i. S. d. § 43a Satz 1 i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI untergebracht. Mit der Aufnahme in eine vollstationäre Behinderteneinrichtung könne die Führung eines "eigenen Haushalts" nicht mehr angenommen werden; der Klägerin sei weder eine eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich noch liege der Unterbringung ein frei ausgehandeltes und von ihr selbst finanziertes Mietverhältnis zu Grunde. Vielmehr erhalte die Klägerin Unterkunft und Verpflegung als Leistung der Eingliederungshilfe in einem Heim nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Heimgesetz. Die für eine betreute Wohnform kennzeichnende Eigenständigkeit der Betreuten fehle. Demzufolge stelle auch die WfbM, in der sich die Klägerin tagsüber vorübergehend aufhalte, keinen (im Rechtssinne) geeigneten Ort für die Erbringung häuslicher Krankenpflege dar. Für die in Rede stehende Leistung sei also der Beigeladene Nr. 1 als Sozialhilfeträger zuständig (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen. Urt. v. 23.4.2009, - L 8 SO 1/07 -).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.2.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Die Klägerin und der Beigeladene Nr. 1 verteidigen das angefochtene Urteil. Der Beigeladene Nr. 1 trägt vor, bei der Katheterisierung handele es sich um einen besonders hohen Pflegebedarf. Die Klägerin lebe im KBF M. und besuche von dort aus den Arbeitsbereich der WfbM. 2. Mit den Trägern dieser Einrichtungen würden für die dort erbrachten Leistungen Vergütungen auf der Grundlage des §§ 75 ff. SGB XII vereinbart. Davon seien auch die begleitenden Dienste zur medizinischen Betreuung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO erfasst. Damit komme man der gesetzlichen Leistungspflicht in vollem Umfang nach. Die Zahlung der Pflegeversicherung von monatlich 256 EUR stelle bezogen auf den Pflegeaufwand nur eine Teilleistung dar. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V sehe Leistungen bei besonders hohem Pflegebedarf nicht nur in einer WfbM, sondern auch in Pflegeeinrichtungen nach § 43 SGB XI vor; damit werde eine eigenständige (und den Leistungen der Eingliederungshilfe vorgehende) Leistungspflicht der Krankenkasse begründet, die auch mit den Leistungen der Pflegeversicherung nicht in Zusammenhang stehe.
Die Beklagte hat abschließend die MDK-Stellungnahme (nach Aktenlage) des Dr. P. vom 5.8.2010 vorgelegt; Dr. P. hat den Sachverhalt mit Dr. A. telefonisch erörtert. In der Stellungnahme ist ausgeführt, Dr. A. habe mitgeteilt, dass die Klägerin wegen ihrer Grunderkrankung die intermittierende Selbstkatheterisierung nicht selbst durchführen könne, würden normalerweise die Angehörigen von der Universitäts-Kinderklinik geschult. Das sei bei schwierigen familiären Verhältnissen hier nicht möglich gewesen. Die Durchführung einet aseptischen Katheterisierung sei – so Dr. A. - ausreichend. Eine sterile Katheterisierung mit steriler Abdeckung, sterilen Handschuhen, Mundschutz und Kopfhaube sei nicht notwendig. Die Einmalkatheterisierung werde 5 Mal pro Tag zu geplanten Zeiten durchgeführt. Nach den einschlägigen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie (AWMF-Leitlinienregister Nr. 043/043) habe sich die aseptische intermittierende Katheterisierung gegenüber dem sterilen durchgesetzt. Bei der aseptischen Katheterisierung würden ausschließlich sterile Utensilien verwendet. Im Gegensatz zur sterilen Katheterisierung werde auf sterile Abdeckung, sterile Handschuhe und Mundschutz verzichtet. Es sollten atraumatische Katheter eingesetzt werden. Die Verpackung des Katheters solle so beschaffen sein, dass ein Einführen ohne Berührung und ohne zusätzliche Handschuhe aseptisch erfolgen könne. Man solle (latexfreie) Kathetersysteme mit integrierten sterilen Gleitsubstanzen verwenden. Nach der urologischen Fachliteratur könnten die Patienten die Selbstkatheterisierung in der Regel erlernen. Seien sie dazu aus kognitiven oder manuellen Gründen nicht in der Lage, könnten Angehörige nach entsprechender Schulung die Aufgabe übernehmen.
Bei der Klägerin lägen besondere bzw. außergewöhnliche anatomische Verhältnisse, die die Einmalkatheterisierung durch speziell für diese Aufgabe geschulte Pflegefachkräfte erforderten, nicht vor. Die kontinente Ersatzblase mit künstlichem Ausgang am Bauch müsse 5 Mal täglich zu planbaren Zeiten entleert werden. Eine Katheterisierung zu nicht vorhersehbaren Zeiten sei nicht notwendig. Da die Versicherte die aseptische Einmalkatheterisierung der Harnblase krankheitsbedingt nicht selbständig durchführen könne und die Angehörigen aufgrund der schwierigen familiären Verhältnisse hierfür nicht geschult werden könnten, müssten geeignete Fachkräfte, wie examinierte Krankenschwestern oder Altenpfleger, die Katheterisierung durchführen. Es sei Aufgabe der WfbM, die medizinische Behandlungspflege durch geeignete Fachkräfte sicherzustellen. Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Pflege für die Klägerin seien nicht so hoch, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung sichergestellt werden könne.
Der Senat hat die (ergänzende) Stellungnahme des Dr. A. vom 22.3.2012 eingeholt Darin ist ausgeführt, dem MDK-Gutachten des Dr. P. könne in der Schlussfolgerung zugestimmt werden, wonach die Blasenkatheterisierung durch geeignete Fachkräfte durchzuführen sei. Geeignete Fachkräfte seien sicher 3jährig examinierte Krankenschwestern bzw. -pfleger. Er bezweifle aber, ob eine 3jährig examinierte Altenpflegerin geeignet sei, da sie für eine ganz andere Patientengruppe als die junge untergewichtige Klägerin mit dem Körpergewicht eines Kindes ausgebildet worden sei. In seiner Klinik würde eine Altenpflegerin zu den in Rede stehenden Maßnahmen nicht zugelassen, sondern nur extra ausgebildete Stoma-Schwestern.
Die Beklagte hat abschließend geltend gemacht, Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Behandlungspflege sei nicht so hoch, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft eine Krankenhausbehandlung vermieden werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Beigeladenen Nr. 1, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch Vornahme der ärztlich verordneten Blasenkatheterisierungen in der WfbM des Beigeladenen Nr. 2. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs ist § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 i. V. m. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst (u.a.) die häusliche Krankenpflege (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V). Diese stellt eine (akzessorische) Nebenleistung zur Krankenbehandlung dar und ist vom behandelnden Arzt nach Maßgabe der Krankenpflege-RL zu verordnen (§§ 73 Abs. 2 Nr. 8, 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 3 Krankenpflege-RL); durch die vertragsärztliche Verordnung wird das Rahmenrecht des Versicherten aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V konkretisiert. Außerdem ist die Bewilligung durch die Krankenkasse (vgl. § 15 Abs. 3 SGB V bzw. § 27 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä und § 6 Krankenpflege-RL) notwendig. Nach der allgemeinen Ausschlussklausel des § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann (dazu Senatsurteil vom 16.5.2012, - L 5 KR 5889/10 -).
Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege (§ 1 Abs. 3a Krankenpflege-RL), wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Sicherungspflege - § 2 Abs. 1 Satz 2 Krankenpflege-RL). Der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. Verrichtungsbezogene krankheitsspezifische (Behandlungs-)Pflegemaßnahmen sind (u.a.) die (Einmal-)Katheterisierung (§ 2 Abs. 6 Krankenpflege-RL; vgl. auch Becker/Kingreen, SGB V § 37 Rdnr. 9 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/3100 S. 104).
§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V legt (insbesondere) den Ort der Erbringung häuslicher Krankenpflege (Leistungsort) fest. Danach kann die Leistung im Haushalt oder in der Familie, aber auch an sonst geeigneten Orten (vgl. dazu die Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 2 Satz 2 ff. Krankenpflege-RL i. V. m. § 37 Abs. 6 SGB V) und auch in einer WfbM erbracht werden. Die sonst geeigneten Orte i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB V bzw. die WfbM sind dem Haushalt und der Familie als Leistungsort gleichgestellt und gleichwertig. Sie müssen daher nicht zusätzlich (insbesondere) als Haushalt (zum Haushaltsbegriff etwa BSG, Urt. v. 21.11.2002, - B 3 KR 13/02 R -; Urt. v. 1.9.2005, - B 3 KR 19/04 R -) qualifiziert werden können (vgl. Becker/Kingreen, SGB V § 37 Rdnr. 3).
Die Erbringung häuslicher Krankenpflege (auf Kosten der Krankenkasse) am Leistungsort WfbM setzt einen besonders hohen Pflegebedarf voraus. Dieser liegt bei Versicherten vor, deren Pflege mit den Einrichtungen und dem Personal einer WfbM (deren begleitenden Diensten) nicht ausreichend sichergestellt werden kann. Hierzu hat der Gemeinsame Bundesausschuss (gestützt auf § 37 Abs. 6 SGB V) in § 1 Abs. 7 Krankenpflege-RL konkretisierend festgelegt, dass die Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Pflege so hoch sein muss, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung gesichert werden kann und die WfbM nicht auf Grund des § 10 WVO verpflichtet ist, die Leistung selbst zu erbringen. Gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO (der gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V unberührt bleibt) muss die WfbM zur pädagogischen, sozialen und medizinischen Betreuung der behinderten Menschen über begleitende Dienste verfügen, die den Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht werden (vgl. auch § 33 Abs. 6 SGB IX). Für je 120 behinderte Menschen sollen in der Regel ein Sozialpädagoge oder ein Sozialarbeiter zur Verfügung stehen, darüber hinaus im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische, therapeutische und nach Art und Schwere der Behinderung sonst erforderliche Fachkräfte (§ 10 Abs. 2 WVO). Die besondere ärztliche Betreuung der behinderten Menschen in der Werkstatt und die medizinische Beratung des Fachpersonals der Werkstatt durch einen Arzt, der möglichst auch die an einen Betriebsarzt zu stellenden Anforderungen erfüllen soll, müssen vertraglich sichergestellt sein (§ 10 Abs. 3 WVO).
Nach den genannten Vorschriften ist zu unterscheiden zwischen dem in einer WfbM üblichen Pflegebedarf und dem diesen Rahmen im Einzelfall überschreitenden besonders hohen Pflegebedarf der behinderten Menschen. Den üblichen Pflegebedarf muss die WfbM mit dem Personal ihrer begleitenden Diensten durch Maßnahmen der "kleinen Behandlungspflege" (selbst) decken; dazu gehört regelmäßig etwa die Gabe von Insulinspritzen (vgl. jurisPK-SGB V/Padé, § 37 Rdnr. 34). Bei besonders hohem Pflegebedarf muss die Krankenkasse (bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen im Übrigen) Leistungen der häuslichen Krankenpflege gewähren.
Die Leistungszuständigkeit der Krankenkasse nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bleibt bestehen, auch wenn der behinderte Versicherte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. §§ 33 ff. SGB IX vom hierfür zuständigen Leistungsträger erhält. Die nach näherer Maßgabe des § 41 Abs. 1 SGB IX im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM zu gewährenden Teilhabeleistungen schließen gem. § 33 Abs. 6 SGB IX zwar auch medizinische Hilfen ein. Diese verdrängen die Leistungszuständigkeit der Krankenkasse jedoch nicht (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 17.12.2007, - L 1 KR 110/06 -).
II. Davon ausgehend muss die Beklagte der Klägerin die Vornahme von Blasenkatheterisierungen in der WfbM des Beigeladenen Nr. 2 als Leistung der häuslichen Krankenpflege gewähren.
Die Klägerin ist (unstreitig) Versicherte der Beklagten; in der streitigen Zeit besteht Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V als in einer anerkannten WfbM tätige Behinderte. Die Blasenkatheterisierung stellt (ebenfalls unstreitig) eine Maßnahme der Behandlungspflege dar, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, §§ 1 Abs. 3a, 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 6 Krankenpflege-RL). Die Blasenkatheterisierung ist der Klägerin vertragsärztlich verordnet worden.
Die WfbM ist, wie sogleich noch im Einzelnen darzulegen sein wird, auch ein zulässiger Leistungsort i. S. d § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin - außerhalb der Arbeitszeit in der WfbM (7.45 Uhr bis 16.00 Uhr) - im Wohnhaus der KBF, einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe, lebt. Dort zu erbringende Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind nicht Streitgegenstand, weshalb der Senat auch nicht zu klären braucht, ob diese Einrichtung als sonst geeigneter Ort i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V eingestuft werden könnte (dazu etwa LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.8.2010, - L 8 SO 4/10 B-ER-; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 23.4.2009, - L 8 SO 1/07 -; LSG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2009, - L 1 B 202/09 ER KR -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.3.2011, - L 9 KR 284/10 B ER -). Sind die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V für die Erbringung häuslicher Krankenpflege in einer WfbM erfüllt, ist es nach dem Gesagten nicht (zusätzlich) notwendig, dass der Versicherte außerhalb der WfbM in einem Haushalt oder in einer Familie lebt. Der Leistungsort "WfbM" ist in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V dem Leistungsort "Haushalt" bzw. "Familie" gesetzlich gleichgestellt.
Bei der Klägerin besteht hinsichtlich der Durchführung der Blasenkatheterisierung in der WfbM (regelmäßig um 9.00 Uhr und um 11.30 Uhr) ein besonders hoher Pflegebedarf nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Dieser folgt aus besonderen anatomischen bzw. krankheits- und behinderungsbedingten Umständen.
Wie Dr. A. im Bericht vom 7.12.2009 dargelegt hat, besteht bei der Klägerin (u.a.) eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung, die über die ungenügende Urinentleerung zu Harnwegsinfekten und durch einen hohen Innendruck in der Harnblase zum Hinaufpressen infizierten Urins in die Nierenbecken und von dort weiter in das Nierengewebe geführt und bereits eine schwere Schädigung zumindest der linken Niere verursacht hat. Deswegen ist eine chirurgische Blasenaugmentation mit Anlage einer künstlichen Blase durchgeführt worden, mit der Folge, dass die regelmäßige Katheterisierung durch einen in der Bauchdecke angebrachten künstlichen Zugang zur Harnblase vorgenommen werden muss. Die Katheterisierung ist unter strengen hygienischen Kautelen durchzuführen, damit keine Bakterien von der Haut in die Harnblase verschleppt werden. Außerdem ist zusätzlich eine tägliche Antibiotikabehandlung erforderlich. Die Klägerin ist (auch) kleinwüchsig (125 cm Größe bei 30 kg Gewicht) und rollstuhlpflichtig und leidet zudem an einer Rückgratverkrümmung. Dr. A. hat im Hinblick darauf nachvollziehbar dargelegt, dass deswegen sowohl die Katheterisierung wie der Verband der Katheterisierungsstelle und der umgebenden Haut besonders schwierig ist und die Pflegemaßnahmen nur durch entsprechend medizinisch-pflegerisch ausgebildetes und geübtes Personal durchgeführt werden sollen. Angelerntes Personal aus anderen (nicht medizinischen Bereichen) hält er nicht für ausreichend geeignet.
Die Pflegedienstleiterin F. hat die medizinische Einschätzung des Dr. A. in ihrem Aktengutachten vom 16.2.2010 aus pflegerischer Sicht untermauert. Sie hat überzeugend zwischen den (allgemeinen) pflegerischen Anforderungen an die im Rahmen häuslicher Behandlungspflege regelmäßig durchgeführte und deutlich risikoärmere Katheterisierung durch einen transurethalen Dauerkatheter in die Harnblase und den hier vorliegenden (besonderen) pflegerischen Anforderungen an die Katheterisierung bei der Klägerin unterschieden und betont, dass schon die risikoärmere Katheterisierung zu den kompliziertesten pflegerischen Eingriffen mit zahlreichen Risiken gehört und in der Kranken- und Altenpflegeausbildung als sehr spezifische und komplexe Tätigkeit daher grundsätzlich erst im dritten Ausbildungsjahr (nach zweijährigem theoretischem Pflegeunterricht und zweijähriger Erfahrung) unterrichtet wird. Bei der Klägerin bestehen zudem besondere (Infektions-)Risiken, die durch die tägliche Antibiotikaanwendung nur verringert aber nicht ausgeschlossen werden können und bei einer bereits schweren Nierenschädigung (links) unabsehbare Gefahren bergen.
Die von der Beklagten vorgelegten MDK-Stellungnahmen tragen den besonderen medizinischen und pflegerischen Verhältnissen im Fall der Klägerin nicht ausreichend Rechnung. Dr. H. hat in der MDK-Stellungnahme vom 20.1.2010 auf die Planbarkeit und die Intensität bzw. Häufigkeit der Katheterisierung abgestellt und dabei nicht berücksichtigt, dass der besonders hohe Pflegebedarf i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nicht daraus, sondern aus den bei der Klägerin vorliegenden besonderen (pflege-)technischen Anforderungen und den mit der Pflegemaßnahme verbundenen besonderen Gesundheitsrisiken folgt. Entsprechendes gilt für die MDK-Stellungnahme des Dr. P. vom 5.8.2010. Die Unterscheidung zwischen steriler und aseptischer Katheterisierung, womit sich Dr. P. (neben der Planbarkeit der Pflegemaßnahme) im Wesentlichen befasst hat, ist für die Frage, ob die Katheterisierung gerade bei der Klägerin einen besonders hohen Pflegeaufwand erfordert, nicht ausschlaggebend. Außerdem hat Dr. P. besondere bzw. außergewöhnliche anatomische Verhältnisse verneint, was im Hinblick auf die Kleinwüchsigkeit und die Rückgratverkrümmung der Klägerin - die die Katheterisierung nach Auffassung des Dr. A. (Bericht vom 7.12.2009) besonders schwierig machen - so nicht zutrifft.
Dr. A. hat schließlich in der im Berufungsverfahren vorgelegten ergänzenden Stellungnahme vom 22.3.2012 an seiner Einschätzung im Bericht vom 7.12.2009 im Kern festgehalten. Er hat zwar der Schlussfolgerung des Dr. P. zugestimmt, wonach (naturgemäß) geeignete Fachkräfte die Blasenkatheterisierung bei der Klägerin durchführen können, freilich unter geeigneten Fachkräften 3jährig examinierte Krankenschwestern, nicht etwa 3jährig examinierte Altenpflegerinnen, verstanden und betont, in seiner Klinik würden (sogar) nur besonders ausgebildete Krankenschwestern (Stoma-Schwestern) für die Vornahme der in Rede stehenden Maßnahmen zugelassen.
Damit steht fest, dass das in der WfbM des Beigeladenen Nr. 2 für die begleitenden Dienste gem. § 10 WVO vorgehaltene Personal (im Wesentlichen Krankengymnasten, Ergotherapeuten und Arbeitserzieher) den Behandlungspflegebedarf der Klägerin nicht decken kann. Der Rahmen "kleiner" Behandlungspflegeleistungen ist klar überschritten und es liegt ein besonders hoher Pflegebedarf i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V vor. Das Vorhalten (etwa) von examinierten Krankenschwestern, die Katheterisierungen auch unter den bei der Klägerin bestehenden besonders erschwerten Verhältnissen durchführen können, gebietet § 10 WVO nicht.
Die Leistungen, die die Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) für die Unterbringung der Klägerin im Wohnhaus der KBF M. (einer voll stationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen) erbringt, schließen die Leistungszuständigkeit der Beklagten für die häusliche Krankenpflege in der WfbM nicht aus. Gleiches gilt für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 41 SGB IX durch den Beigeladenen Nr. 1. Schließlich ist die Klägerin - worüber die Beteiligten nicht streiten - auf die Erbringung der Pflegeleistung durch Familienmitglieder gem. § 37 Abs. 3 SGB V nicht zu verweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Katheterisierungen zur Blasenentleerung während des Besuchs einer Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) als Leistung der häuslichen Krankenpflege.
Die Klägerin ist im Jahr 1988 mit einer Meningomyelozele im Lumbalbereich (Spina bifida) geboren worden. Dies hat eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung, Kleinwüchsigkeit sowie eine Rückgratverkrümmung zur Folge. Die Klägerin ist rollstuhlpflichtig. Wegen der Harnblasenentleerungsstörung ist eine Blasenaugmentation (Anlage einer künstlichen Blase) durchgeführt worden. Die Blasenentleerung erfolgt seither ausschließlich über einen künstlichen Blasenausgang in der Bauchdecke. Die Klägerin muss hierfür mehrfach täglich katheterisiert werden. Da außerdem bereits eine Nierenschädigung eingetreten ist, wird sie permanent antibiotisch behandelt.
Die Klägerin lebt in einer Einrichtung der Behindertenhilfe (KBF - M.) und hält sich seit 1.9.2008 tagsüber im Berufsbildungsbereich der WfbM G. (Beigeladener Nr. 2) auf. Dort steht - anders als im Wohnhaus der KBF - medizinisch ausgebildetes Personal für die Katheterisierung nicht zur Verfügung. Diese wird zweimal täglich von Mitarbeitern einer Sozialstation während des Werkstattbesuchs vorgenommen.
Seit 2.6.2004 ist die Klägerin bei der Beklagten kranken- und bei deren Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) pflegeversichert. Seit 1.9.2008 besteht wegen der Tätigkeit in der WfbM Versicherungspflicht. Die Klägerin erhält vom Beigeladenen Nr. 1 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, SGB XII). Die Beigeladene Nr. 3 gewährt Leistungen nach Maßgabe des § 43 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI, Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen).
Unter dem 2.1.2009 stellte die Internistin B. für die Klägerin eine (Folge-)Verordnung über eine tägliche Katheterisierung der Harnblase (5 Mal wöchentlich) als Leistung der häuslichen Krankenpflege aus (Zeitraum 1.1. bis 30.6.2009).
Mit Bescheid vom 2.2.2009 lehnte die Beklagte die Erbringung der verordneten Leistung ab. Zur Begründung führte sie aus, häusliche Krankenpflege könne nur in einem Haushalt geleistet werden. Da die Klägerin Leistungen im Heimbereich gem. § 43a Abs. 1 SGB XI von der Pflegekasse erhalte, bestehe kein Anspruch auf die Gewährung häuslicher Krankenpflege durch die Krankenkasse.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin (bzw. deren Betreuerin) vor, die Katheterisierung müsse seit 3 Jahren etwa alle 3 Stunden vorgenommen werden. Hierfür sei im Wohnhaus der KBF, nicht jedoch in der WfbM ausgebildetes Personal vorhanden. Eine einmalige Katheterisierung während der Arbeitszeit in der WfbM genüge nicht.
Unter dem 20.2.2009 führte die Beklagte aus, die Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) beteilige sich gem. § 43a SGB XI mit 10% an den Heimkosten der Klägerin (256,00 EUR monatlich). Die übrigen Kosten übernehme der Sozialhilfeträger (Beigeladener Nr. 1). Mit der Leistung der Pflegekasse seien die pflegebedingten Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege abgegolten. Bei Bewohnern, die sich tagsüber in einer WfbM aufhielten, werde der volle Tagessatz an das Wohnheim weitergezahlt. Da für das Wohnheim und die WfbM unterschiedliche Träger zuständige seien, komme lediglich ein Kostenausgleich unter diesen in Frage. Ein besonders hoher Pflegeaufwand i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liege nicht vor; diese Vorschrift gelte nur für intensivpflegebedürftige Versicherte. Zuständig sei hier deswegen der Beigeladene Nr. 1 als Sozialhilfeträger.
Mit Schreiben vom 13.3.2009 teilte die KBF M. mit, bei ihrem Wohnhaus handele es sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die keine Tagesstruktur biete. Das Wohnhaus sei von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr geschlossen. Während dieser Zeit hielten sich die Bewohner in einer WfbM auf. Der Pflegesatz decke diesen Zeitraum nicht ab. Ungeklärt sei, ob für die in Rede stehenden Leistungen der Träger der Eingliederungshilfe oder die Krankenkasse zuständig sei.
Die WfbM G. (deren Träger – Beigeladener Nr. 2) teilte unter dem 12.3.2009 mit, in der WfbM stehe geeignetes Fachpersonal für die Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege nicht zur Verfügung. Außer der Klägerin werde eine weitere Mitarbeiterin der WfbM von Bediensteten der Sozialstation katheterisiert.
Am 11.3.2009 suchte die Klägerin (erstmals) um vorläufigen Rechtsschutz nach (Verfahren S 14 KR 759/09 ER). Die WfbM G. teilte (u.a.) mit, in der Einrichtung arbeite noch eine weitere Behinderte, die 2 Mal täglich durch Mitarbeiter einer Sozialstation katheterisiert werde. Im Bereich der medizinisch-pflegerischen und therapeutischen Dienste verfüge man über Krankengymnasten und Ergotherapeuten. Grundpflegerische Tätigkeiten, wie Toilettengänge oder auch Stomawechsel würden von den Gruppenleitern der Werkstatt durchgeführt; deren Berufsbild entspreche in der Regel demjenigen des Arbeitserziehers, teils auch des Heilerziehungspflegers. Qualifizierte Pflegeverrichtungen dürften sie mangels entsprechender Ausbildung nicht ausführen.
Das vorläufige Rechtsschutzverfahren wurde durch Vergleich beendet. Die Beteiligten einigten sich darauf, dass die Beklagte die streitige Leistung vorläufig bis 31.7.2009 weiter erbringt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.5.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, Versicherte erhielten u.a. in ihrem Haushalt oder ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar sei, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt werde. Die häusliche Krankenpflege umfasse die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch bestehe bis zu 4 Wochen je Krankheitsfall. In begründeten Ausnahmefällen könne die Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein entsprechendes Erfordernis feststelle. Versicherte erhielten die Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder an einem anderen geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in einer WfbM, wenn dies zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei. Näheres könne die Krankenkasse in ihrer Satzung festlegen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimme in Richtlinien nach § 92 SGB V (Krankenpflege-RL) außerdem, an welchen Orten und in welchen Fällen die in Rede stehenden Leistungen auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden könnten; er bestimme darüber hinaus das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen (§ 37 Abs. 6 SGB V).
Ihre Satzung enthalte zur häuslichen Krankenpflege keine besonderen Regelungen, so dass die Vorschriften des § 37 SGB V anzuwenden seien. Für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen übernehme die Pflegekasse im Rahmen der pauschalen Leistungsbeträge die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege (§ 43 Abs. 2 SGB XI). Für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stünden (§ 71 Abs. 4 SGB XI), übernehme die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen 10 v. H. des nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts (§ 43a SGB XI).
Bei dem Wohnheim der KBF M. handele es sich um eine Einrichtung, bei der sich die Pflegekasse nach § 43a SGB XI mit 10 % des vereinbarten Heimentgelts an den Kosten beteilige. Die übrigen Kosten würden vom Sozialhilfeträger (Beigeladener Nr. 1) getragen. Damit seien die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege abgegolten. Die zweimalige Katheterisierung der Klägerin während des Aufenthalts in der WfbM stelle keinen besonders hohen Pflegebedarf im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V dar. Die medizinische Definition dieses Begriffs beziehe sich auf intensivpflegebedürftige Patienten (wegen nicht planbarer Interventionsbereitschaft). Daher sei vorliegend der Beigeladene Nr. 1 als Träger der Eingliederungshilfe zuständig (vgl. auch SG Dresden, Beschl. v. 15.8.2008, - S 18 KR 397/08 ER -); Behandlungspflegeleistungen der Krankenkasse kämen nur in Betracht, wenn die Behandlungspflege nicht schon durch andere Träger sichergestellt sei.
Am 12.6.2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Reutlingen. Zur Begründung trug sie vor, alle in Betracht kommenden Leistungsträger hätten die Übernahme der Kosten für die Katheterisierung während des Werkstattbesuchs abgelehnt; sie könne die Kosten nicht selbst tragen. Die WfbM sehe sich nicht in der Lage, die Katheterisierung mit eigenem Personal durchzuführen.
Am 29.9.2009 suchte die Klägerin erneut um vorläufigen Rechtsschutz nach (Verfahren S 14 KR 3153/09 ER). Mit Beschluss vom 12.10.2009 gab das Sozialgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung auf, der Klägerin ab 29.9.2009 häusliche Krankenpflege in Form der einmal täglich an fünf Werktagen in der Woche während des Aufenthalts in der WfbM erforderlichen Katheterisierung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens, längstens bis 28.2.2010, zu gewähren. Ein weiteres vorläufiges Rechtsschutzverfahren (Verfahren S 14 KR 334/10 ER) wurde in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 25.2.2010 (im Klageverfahren) für erledigt erklärt. Die Beklagte verpflichtete sich, die streitige Leistung (vorläufig) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens (bei Vorlage entsprechender ärztlicher Verordnungen) weiterzugewähren.
Der Beigeladene Nr. 2 (Träger der WfbM) teilte (im Klageverfahren) unter dem 3.11.2009 ergänzend mit, die Katheterisierung durch Pflegekräfte der Sozialstation finde regelmäßig um 9.00 Uhr sowie um 11.30 Uhr statt. Die Arbeitszeit der Klägerin beginne um 7.45 Uhr und ende um 16.00 Uhr (5 Arbeitstage in der Woche).
Das Sozialgericht befragte zunächst den behandelnden Kinder- und Jugendarzt/Nephrologen Dr. A. (Universitätsklinikum T.). Dieser führte unter dem 7.12.2009 aus, bei der Klägerin liege (u.a.) eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung vor, die über die ungenügende Urinentleerung zu Harnwegsinfekten und durch einen hohen Innendruck in der Harnblase zum Hinaufpressen infizierten Urins in die Nierenbecken und von dort weiter in das Nierengewebe geführt habe, mit der Konsequenz einer schweren Schädigung zumindest der linken Niere. Um die Bildung von Harnwegsinfekten zu behindern und den hohen Druck aus der Harnblase zu nehmen, sei chirurgisch eine Blasenaugmentation durchgeführt worden. Gleichwohl müsse die Klägerin täglich Antibiotika einnehmen. Die Blasenentleerung sei auf natürlichem Wege nicht mehr möglich, weswegen eine regelmäßige Katheterisierung durch einen in der Bauchdecke angebrachten künstlichen Zugang zur Harnblase erforderlich sei. Mittlerweile müsse die Katheterisierung fünfmal täglich durchgeführt werden. Andernfalls würde sich zuviel Urin ansammeln, der in Richtung der Nieren gepresst werden könnte. Die Katheterisierung müsse unter strengen hygienischen Kautelen erfolgen, damit keine Bakterien von der Haut in die Harnblase verschleppt würden. Zwischen den Katheterisierungen müsse der Zugang zur Harnblase, der sich in der Bauchwand befinde, mit einer speziellen Platte steril abgedeckt werden. Da die Klägerin kleinwüchsig und rollstuhlpflichtig sei und außerdem eine Rückgratverkrümmung vorliege, seien sowohl die Katheterisierung und der Verband der Katheterisierungsstelle sowie der umgebenden Haut besonders schwierig. Daher sollten die Maßnahmen durch entsprechend medizinisch-pflegerisch ausgebildetes und geübtes Personal durchgeführt werden. Angelerntes Personal aus anderen (nicht medizinischen Bereichen) sei hierfür nicht ausreichend geeignet.
Die Beklagte legte die MDK-Stellungnahme des Dr. H. vom 20.1.2010 vor. Darin ist ausgeführt, bei der Katheterisierung handele es sich um eine gut planbare, behandlungspflegerische Maßnahme. Die verordnete Frequenz sei medizinisch begründet. Allerdings sei die Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Pflege nicht so hoch, dass das Ziel der ärztlichen Behandlung nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft gesichert werden könne.
Das Sozialgericht erhob sodann das Aktengutachten der Pflegedienstleiterin F. vom 16.2.2010 Diese führte aus, die Katheterisierung der Harnblase sei in der Krankenpflege-Richtlinie als verordnungsfähige Maßnahme der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) aufgeführt; dabei sei allerdings die deutlich risikoärmere Katheterisierung durch einen transurethalen Dauerkatheter in die Harnblase gemeint. Die streitige Verrichtung sei der Behandlungspflege zuzuordnen und damit Teil der ärztlichen Heilbehandlung. Behandlungspflege müsse grundsätzlich von entsprechend qualifizierten und erfahrenen Pflegefachkräften geleistet werden; diese müssten eine dreijährige Ausbildung absolvieren. Die Behandlungspflege sei zudem untrennbar mit der Krankenbeobachtung verbunden. Nicht medizinischem Personal fehle das geschulte Auge der Pflegefachkraft, um Indikatoren für Krankheitsbilder und gesundheitliche Veränderungen zu erkennen. Führe ein nicht medizinisch geschulter Helfer eine Behandlungspflegemaßnahme unsachgemäß aus, könne dies dazu führen, dass gesundheitlich bedenkliche Veränderungen nicht bzw. zu spät erkannt würden. Außerdem hafte die Krankenkasse nicht für etwaige Schäden.
Gerade die Katheterisierung gehöre zu den kompliziertesten pflegerischen Eingriffen. Sie berge zahlreiche Risiken und werde in der Kranken- und Altenpflegeausbildung als sehr spezifische und komplexe Tätigkeit grundsätzlich erst im dritten Ausbildungsjahr unterrichtet, nachdem die Auszubildenden bereits zwei Jahre theoretischen Unterricht, unter anderem in Anatomie, Physiologie, Hygiene und sterilem Arbeiten, absolviert hätten und über zwei Jahre Erfahrung in der pflegerischen Praxis verfügten. Für die streitige Pflegeleistung seien fundierte Kenntnisse der Grundsätze sterilen Arbeitens und der Katheterisierung im Allgemeinen sowie bei künstlichem Zugang zur augmentierten Harnblase notwendig. Außerdem müsse die Pflegekraft über hinreichend Übung und Erfahrung verfügen und regelmäßig fortgebildet sein. Die hohen Anforderungen an die Pflegekompetenz könnten nur in einer dreijährigen Ausbildung erworben werden. Bei der Klägerin bestehe außerdem aufgrund der mangelnden natürlichen Ausschwemmung von Krankheitserregern ein erhöhtes Infektionsrisiko, das durch die Antibiotikabehandlung nur gemildert sei. Das Risiko sei wegen der bereits vorliegenden Schädigung einer Niere potenziert. Deswegen bedeute schon eine minimale Abweichung von sterilem, hygienisch einwandfreiem Arbeiten ein deutliches Gesundheitsrisiko. Die notwendigen Anforderungen könnten mit angelerntem, nicht medizinischem Personal nicht gewährleistet werden.
Der Einschätzung des Dr. A. sei zuzustimmen. Die MDK-Stellungnahme des Dr. H. beruhe demgegenüber auf einer fraglichen Diagnose. Mittlerweile liege nicht mehr nur eine neurogene Blasenentleerungsstörung, sondern eine Blasenaugmentation vor. Die Blase und die Harnröhre seien also komplett verschlossen. Die Blase könne ausschließlich durch Katheterisierung über einen künstlichen Ausgang entleert werden. Die Frequenz der pflegerischen Maßnahme stehe in keinem Zusammenhang mit der erforderlichen Qualifikation der Pflegekraft.
Am 25.2.2010 führte das Sozialgericht eine mündliche Verhandlung durch. Die Betreuerin der Klägerin gab (offenbar) ergänzend an, die Klägerin wiege bei einer Körpergröße von 125 cm ca. 30 Kilogramm und sei auch hinsichtlich ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit schwer eingeschränkt.
Mit Urteil vom 25.2.2010 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.5.2009, der Klägerin während des Besuchs der WfbM entsprechend der ärztlichen Verordnung häusliche Krankenpflege in Form einer zweimal täglich erfolgenden Katheterisierung zu gewähren.
Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die Klägerin habe Anspruch auf die begehrte Leistung der Krankenpflege. Gem. § 37 Abs. 2 SGB V erhielten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei; der Anspruch umfasse verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14, 15 SGB XI zu berücksichtigen sei. § 10 Werkstättenverordnung (WVO) bleibe unberührt. Der Anspruch bestehe darüber hinaus ausnahmsweise auch für solche Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 SGB XI, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege hätten.
Die Katheterisierung bei der Klägerin sei angesichts der vorliegenden Gesundheitsstörungen unstreitig notwendig. Da die Klägerin mittellos sei, müsse (nur) geklärt werden, welcher Leistungsträger die Kosten hierfür zu tragen habe. Mitarbeiter der WfbM könnten die Katheterisierung nicht vornehmen. Gem. § 10 WVO müsse die WfbM zur pädagogischen, sozialen und medizinischen Betreuung der behinderten Menschen über begleitende Dienste verfügen, die den Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht würden. Für je 120 behinderte Menschen sollten in der Regel ein Sozialpädagoge oder ein Sozialarbeiter zur Verfügung stehen, darüber hinaus im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische, therapeutische und nach Art und Schwere der Behinderung sonst erforderliche Fachkräfte. Die Pflicht der WfbM zum Vorhalten pflegerischer Leistungen beschränke sich auf den gewöhnlich auftretenden oder auf den zwar ungewöhnlichen, aber dennoch leicht zu bewerkstelligenden Pflegebedarf. Das folge aus § 37 Abs. 2 SGB V, der bei besonders hohem Pflegebedarf Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch während des Besuchs einer WfbM vorsehe.
Bei der Katheterisierung der Klägerin handele es sich um einen besonders hohen Pflegebedarf, der von der Vorhaltepflicht der WfbM nicht umfasst werde. Das gehe aus dem Bericht des Dr. A. und dem Gutachter der Pflegedienstleiterin F. hervor. Dr. A. habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Katheterisierung zur Vermeidung von Harnwegsinfekten nebst einer weiteren Schädigung der Nieren unter strengen hygienischen Kautelen zu erfolgen habe. Zwischen den Katheterisierungen müsse der Zugang zur Harnblase in der Bauchwand mit einer speziellen Platte steril abgedeckt werden. Der ganze Vorgang werde durch die Kleinwüchsigkeit, die Rollstuhlpflichtigkeit, die Beleibtheit der Klägerin sowie durch ihre Rückgratverkrümmung erschwert. Daher sei angelerntes Pflegepersonal für die Durchführung der Maßnahmen nicht ausreichend geeignet. Die Pflegedienstleiterin F. habe dies bestätigt und ergänzend darauf abgestellt, dass medizinisch nicht ausgebildetes Personal zwar die Abläufe einzelner behandlungspflegerischer Leistungen erlernen könne, jedoch nicht über das für die Krankenbeobachtung geschulte Auge verfüge. Die Katheterisierung gehöre zu den kompliziertesten pflegerischen Eingriffen und berge zahlreiche Risiken, weswegen sie in der Kranken- und Altenpflegeausbildung grundsätzlich erst im dritten Ausbildungsjahr unterrichtet werde. Schon bei einer minimalen Abweichung von sterilem, hygienisch einwandfreiem Arbeiten bestehe ein deutliches Gesundheitsrisiko für die Klägerin. Daher sei es nicht zu verantworten, die Katheterisierung auf angelernte Mitarbeiter der WfbM zu übertragen.
Die Auffassung des Dr. H. im MDK-Gutachten vom 20.01.2010 könne demgegenüber nicht überzeugen. Die Katheterisierung sei zwar gut planbar und vorhersehbar, aber in der Durchführung gerade bei der Klägerin schwierig und von hoher Fachkompetenz abhängig. Dr. H. habe sich mit den konkreten Einzelfallumständen nicht hinreichend auseinandergesetzt. Der von der Beklagten angeführte Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 15.8.2008 (- S 18 KR 397/08 ER -) betreffe Insulininjektionen, was mit der Katheterisierung bei einem künstlichen Blasenausgang unter den hier gegebenen Einzelfallumständen nicht zu vergleichen sei. Auf die Leistung der Pflegekasse müsse sich die Klägerin nicht verweisen lassen, da sie sich während der fraglichen Zeit in einer WfbM und nicht in der über die Pflegekasse mitfinanzierten Einrichtung aufhalte. Die Wohneinrichtung erhalte für diese Zeit auch keine Zahlungen. Außerdem sehe § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V sogar neben stationären Pflegeversicherungsleistungen nach § 43 SGB XI ausnahmsweise einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege vor. Das müsse erst Recht gelten, wenn Versicherte in Einrichtungen gem. § 43a SGB XI lebten. Zu einer Doppelleistung der Beklagten - unter Einbeziehung der Pflegekasse – komme es nicht.
Auf das ihr am 23.3.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.4.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, seit April 2010 habe die Klägerin weitere ärztliche Verordnungen nicht mehr vorgelegt. Bei einer WfbM handele es sich grundsätzlich nur dann um einen Leistungsort für häusliche Krankenpflege i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wenn wegen des individuellen Pflegebedarfs das nach § 10 WVO vorzuhaltende Personal der WfbM zur medizinischen Betreuung nicht mehr ausreiche. Daraus folge, dass der medizinisch pflegerische Bedarf im Regelfall durch die Einrichtung selbst abgedeckt werden müsse (vgl. BT-Drs. 16/4247, S. 33 f.). Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts stelle die bei der Klägerin erforderliche Einmalkatheterisierung ungeachtet der hygienischen Anforderungen keinen besonders hohen Pflegebedarf dar.
Die Klägerin sei zudem in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen i. S. d. § 43a Satz 1 i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI untergebracht. Mit der Aufnahme in eine vollstationäre Behinderteneinrichtung könne die Führung eines "eigenen Haushalts" nicht mehr angenommen werden; der Klägerin sei weder eine eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich noch liege der Unterbringung ein frei ausgehandeltes und von ihr selbst finanziertes Mietverhältnis zu Grunde. Vielmehr erhalte die Klägerin Unterkunft und Verpflegung als Leistung der Eingliederungshilfe in einem Heim nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Heimgesetz. Die für eine betreute Wohnform kennzeichnende Eigenständigkeit der Betreuten fehle. Demzufolge stelle auch die WfbM, in der sich die Klägerin tagsüber vorübergehend aufhalte, keinen (im Rechtssinne) geeigneten Ort für die Erbringung häuslicher Krankenpflege dar. Für die in Rede stehende Leistung sei also der Beigeladene Nr. 1 als Sozialhilfeträger zuständig (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen. Urt. v. 23.4.2009, - L 8 SO 1/07 -).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.2.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Die Klägerin und der Beigeladene Nr. 1 verteidigen das angefochtene Urteil. Der Beigeladene Nr. 1 trägt vor, bei der Katheterisierung handele es sich um einen besonders hohen Pflegebedarf. Die Klägerin lebe im KBF M. und besuche von dort aus den Arbeitsbereich der WfbM. 2. Mit den Trägern dieser Einrichtungen würden für die dort erbrachten Leistungen Vergütungen auf der Grundlage des §§ 75 ff. SGB XII vereinbart. Davon seien auch die begleitenden Dienste zur medizinischen Betreuung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO erfasst. Damit komme man der gesetzlichen Leistungspflicht in vollem Umfang nach. Die Zahlung der Pflegeversicherung von monatlich 256 EUR stelle bezogen auf den Pflegeaufwand nur eine Teilleistung dar. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V sehe Leistungen bei besonders hohem Pflegebedarf nicht nur in einer WfbM, sondern auch in Pflegeeinrichtungen nach § 43 SGB XI vor; damit werde eine eigenständige (und den Leistungen der Eingliederungshilfe vorgehende) Leistungspflicht der Krankenkasse begründet, die auch mit den Leistungen der Pflegeversicherung nicht in Zusammenhang stehe.
Die Beklagte hat abschließend die MDK-Stellungnahme (nach Aktenlage) des Dr. P. vom 5.8.2010 vorgelegt; Dr. P. hat den Sachverhalt mit Dr. A. telefonisch erörtert. In der Stellungnahme ist ausgeführt, Dr. A. habe mitgeteilt, dass die Klägerin wegen ihrer Grunderkrankung die intermittierende Selbstkatheterisierung nicht selbst durchführen könne, würden normalerweise die Angehörigen von der Universitäts-Kinderklinik geschult. Das sei bei schwierigen familiären Verhältnissen hier nicht möglich gewesen. Die Durchführung einet aseptischen Katheterisierung sei – so Dr. A. - ausreichend. Eine sterile Katheterisierung mit steriler Abdeckung, sterilen Handschuhen, Mundschutz und Kopfhaube sei nicht notwendig. Die Einmalkatheterisierung werde 5 Mal pro Tag zu geplanten Zeiten durchgeführt. Nach den einschlägigen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie (AWMF-Leitlinienregister Nr. 043/043) habe sich die aseptische intermittierende Katheterisierung gegenüber dem sterilen durchgesetzt. Bei der aseptischen Katheterisierung würden ausschließlich sterile Utensilien verwendet. Im Gegensatz zur sterilen Katheterisierung werde auf sterile Abdeckung, sterile Handschuhe und Mundschutz verzichtet. Es sollten atraumatische Katheter eingesetzt werden. Die Verpackung des Katheters solle so beschaffen sein, dass ein Einführen ohne Berührung und ohne zusätzliche Handschuhe aseptisch erfolgen könne. Man solle (latexfreie) Kathetersysteme mit integrierten sterilen Gleitsubstanzen verwenden. Nach der urologischen Fachliteratur könnten die Patienten die Selbstkatheterisierung in der Regel erlernen. Seien sie dazu aus kognitiven oder manuellen Gründen nicht in der Lage, könnten Angehörige nach entsprechender Schulung die Aufgabe übernehmen.
Bei der Klägerin lägen besondere bzw. außergewöhnliche anatomische Verhältnisse, die die Einmalkatheterisierung durch speziell für diese Aufgabe geschulte Pflegefachkräfte erforderten, nicht vor. Die kontinente Ersatzblase mit künstlichem Ausgang am Bauch müsse 5 Mal täglich zu planbaren Zeiten entleert werden. Eine Katheterisierung zu nicht vorhersehbaren Zeiten sei nicht notwendig. Da die Versicherte die aseptische Einmalkatheterisierung der Harnblase krankheitsbedingt nicht selbständig durchführen könne und die Angehörigen aufgrund der schwierigen familiären Verhältnisse hierfür nicht geschult werden könnten, müssten geeignete Fachkräfte, wie examinierte Krankenschwestern oder Altenpfleger, die Katheterisierung durchführen. Es sei Aufgabe der WfbM, die medizinische Behandlungspflege durch geeignete Fachkräfte sicherzustellen. Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Pflege für die Klägerin seien nicht so hoch, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung sichergestellt werden könne.
Der Senat hat die (ergänzende) Stellungnahme des Dr. A. vom 22.3.2012 eingeholt Darin ist ausgeführt, dem MDK-Gutachten des Dr. P. könne in der Schlussfolgerung zugestimmt werden, wonach die Blasenkatheterisierung durch geeignete Fachkräfte durchzuführen sei. Geeignete Fachkräfte seien sicher 3jährig examinierte Krankenschwestern bzw. -pfleger. Er bezweifle aber, ob eine 3jährig examinierte Altenpflegerin geeignet sei, da sie für eine ganz andere Patientengruppe als die junge untergewichtige Klägerin mit dem Körpergewicht eines Kindes ausgebildet worden sei. In seiner Klinik würde eine Altenpflegerin zu den in Rede stehenden Maßnahmen nicht zugelassen, sondern nur extra ausgebildete Stoma-Schwestern.
Die Beklagte hat abschließend geltend gemacht, Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Behandlungspflege sei nicht so hoch, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft eine Krankenhausbehandlung vermieden werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Beigeladenen Nr. 1, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch Vornahme der ärztlich verordneten Blasenkatheterisierungen in der WfbM des Beigeladenen Nr. 2. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs ist § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 i. V. m. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst (u.a.) die häusliche Krankenpflege (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V). Diese stellt eine (akzessorische) Nebenleistung zur Krankenbehandlung dar und ist vom behandelnden Arzt nach Maßgabe der Krankenpflege-RL zu verordnen (§§ 73 Abs. 2 Nr. 8, 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 3 Krankenpflege-RL); durch die vertragsärztliche Verordnung wird das Rahmenrecht des Versicherten aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V konkretisiert. Außerdem ist die Bewilligung durch die Krankenkasse (vgl. § 15 Abs. 3 SGB V bzw. § 27 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä und § 6 Krankenpflege-RL) notwendig. Nach der allgemeinen Ausschlussklausel des § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann (dazu Senatsurteil vom 16.5.2012, - L 5 KR 5889/10 -).
Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege (§ 1 Abs. 3a Krankenpflege-RL), wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Sicherungspflege - § 2 Abs. 1 Satz 2 Krankenpflege-RL). Der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. Verrichtungsbezogene krankheitsspezifische (Behandlungs-)Pflegemaßnahmen sind (u.a.) die (Einmal-)Katheterisierung (§ 2 Abs. 6 Krankenpflege-RL; vgl. auch Becker/Kingreen, SGB V § 37 Rdnr. 9 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/3100 S. 104).
§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V legt (insbesondere) den Ort der Erbringung häuslicher Krankenpflege (Leistungsort) fest. Danach kann die Leistung im Haushalt oder in der Familie, aber auch an sonst geeigneten Orten (vgl. dazu die Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 2 Satz 2 ff. Krankenpflege-RL i. V. m. § 37 Abs. 6 SGB V) und auch in einer WfbM erbracht werden. Die sonst geeigneten Orte i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB V bzw. die WfbM sind dem Haushalt und der Familie als Leistungsort gleichgestellt und gleichwertig. Sie müssen daher nicht zusätzlich (insbesondere) als Haushalt (zum Haushaltsbegriff etwa BSG, Urt. v. 21.11.2002, - B 3 KR 13/02 R -; Urt. v. 1.9.2005, - B 3 KR 19/04 R -) qualifiziert werden können (vgl. Becker/Kingreen, SGB V § 37 Rdnr. 3).
Die Erbringung häuslicher Krankenpflege (auf Kosten der Krankenkasse) am Leistungsort WfbM setzt einen besonders hohen Pflegebedarf voraus. Dieser liegt bei Versicherten vor, deren Pflege mit den Einrichtungen und dem Personal einer WfbM (deren begleitenden Diensten) nicht ausreichend sichergestellt werden kann. Hierzu hat der Gemeinsame Bundesausschuss (gestützt auf § 37 Abs. 6 SGB V) in § 1 Abs. 7 Krankenpflege-RL konkretisierend festgelegt, dass die Intensität oder Häufigkeit der in der WfbM zu erbringenden Pflege so hoch sein muss, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung gesichert werden kann und die WfbM nicht auf Grund des § 10 WVO verpflichtet ist, die Leistung selbst zu erbringen. Gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO (der gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V unberührt bleibt) muss die WfbM zur pädagogischen, sozialen und medizinischen Betreuung der behinderten Menschen über begleitende Dienste verfügen, die den Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht werden (vgl. auch § 33 Abs. 6 SGB IX). Für je 120 behinderte Menschen sollen in der Regel ein Sozialpädagoge oder ein Sozialarbeiter zur Verfügung stehen, darüber hinaus im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische, therapeutische und nach Art und Schwere der Behinderung sonst erforderliche Fachkräfte (§ 10 Abs. 2 WVO). Die besondere ärztliche Betreuung der behinderten Menschen in der Werkstatt und die medizinische Beratung des Fachpersonals der Werkstatt durch einen Arzt, der möglichst auch die an einen Betriebsarzt zu stellenden Anforderungen erfüllen soll, müssen vertraglich sichergestellt sein (§ 10 Abs. 3 WVO).
Nach den genannten Vorschriften ist zu unterscheiden zwischen dem in einer WfbM üblichen Pflegebedarf und dem diesen Rahmen im Einzelfall überschreitenden besonders hohen Pflegebedarf der behinderten Menschen. Den üblichen Pflegebedarf muss die WfbM mit dem Personal ihrer begleitenden Diensten durch Maßnahmen der "kleinen Behandlungspflege" (selbst) decken; dazu gehört regelmäßig etwa die Gabe von Insulinspritzen (vgl. jurisPK-SGB V/Padé, § 37 Rdnr. 34). Bei besonders hohem Pflegebedarf muss die Krankenkasse (bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen im Übrigen) Leistungen der häuslichen Krankenpflege gewähren.
Die Leistungszuständigkeit der Krankenkasse nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bleibt bestehen, auch wenn der behinderte Versicherte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. §§ 33 ff. SGB IX vom hierfür zuständigen Leistungsträger erhält. Die nach näherer Maßgabe des § 41 Abs. 1 SGB IX im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM zu gewährenden Teilhabeleistungen schließen gem. § 33 Abs. 6 SGB IX zwar auch medizinische Hilfen ein. Diese verdrängen die Leistungszuständigkeit der Krankenkasse jedoch nicht (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 17.12.2007, - L 1 KR 110/06 -).
II. Davon ausgehend muss die Beklagte der Klägerin die Vornahme von Blasenkatheterisierungen in der WfbM des Beigeladenen Nr. 2 als Leistung der häuslichen Krankenpflege gewähren.
Die Klägerin ist (unstreitig) Versicherte der Beklagten; in der streitigen Zeit besteht Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V als in einer anerkannten WfbM tätige Behinderte. Die Blasenkatheterisierung stellt (ebenfalls unstreitig) eine Maßnahme der Behandlungspflege dar, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, §§ 1 Abs. 3a, 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 6 Krankenpflege-RL). Die Blasenkatheterisierung ist der Klägerin vertragsärztlich verordnet worden.
Die WfbM ist, wie sogleich noch im Einzelnen darzulegen sein wird, auch ein zulässiger Leistungsort i. S. d § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin - außerhalb der Arbeitszeit in der WfbM (7.45 Uhr bis 16.00 Uhr) - im Wohnhaus der KBF, einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe, lebt. Dort zu erbringende Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind nicht Streitgegenstand, weshalb der Senat auch nicht zu klären braucht, ob diese Einrichtung als sonst geeigneter Ort i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V eingestuft werden könnte (dazu etwa LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.8.2010, - L 8 SO 4/10 B-ER-; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 23.4.2009, - L 8 SO 1/07 -; LSG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2009, - L 1 B 202/09 ER KR -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.3.2011, - L 9 KR 284/10 B ER -). Sind die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V für die Erbringung häuslicher Krankenpflege in einer WfbM erfüllt, ist es nach dem Gesagten nicht (zusätzlich) notwendig, dass der Versicherte außerhalb der WfbM in einem Haushalt oder in einer Familie lebt. Der Leistungsort "WfbM" ist in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V dem Leistungsort "Haushalt" bzw. "Familie" gesetzlich gleichgestellt.
Bei der Klägerin besteht hinsichtlich der Durchführung der Blasenkatheterisierung in der WfbM (regelmäßig um 9.00 Uhr und um 11.30 Uhr) ein besonders hoher Pflegebedarf nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Dieser folgt aus besonderen anatomischen bzw. krankheits- und behinderungsbedingten Umständen.
Wie Dr. A. im Bericht vom 7.12.2009 dargelegt hat, besteht bei der Klägerin (u.a.) eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung, die über die ungenügende Urinentleerung zu Harnwegsinfekten und durch einen hohen Innendruck in der Harnblase zum Hinaufpressen infizierten Urins in die Nierenbecken und von dort weiter in das Nierengewebe geführt und bereits eine schwere Schädigung zumindest der linken Niere verursacht hat. Deswegen ist eine chirurgische Blasenaugmentation mit Anlage einer künstlichen Blase durchgeführt worden, mit der Folge, dass die regelmäßige Katheterisierung durch einen in der Bauchdecke angebrachten künstlichen Zugang zur Harnblase vorgenommen werden muss. Die Katheterisierung ist unter strengen hygienischen Kautelen durchzuführen, damit keine Bakterien von der Haut in die Harnblase verschleppt werden. Außerdem ist zusätzlich eine tägliche Antibiotikabehandlung erforderlich. Die Klägerin ist (auch) kleinwüchsig (125 cm Größe bei 30 kg Gewicht) und rollstuhlpflichtig und leidet zudem an einer Rückgratverkrümmung. Dr. A. hat im Hinblick darauf nachvollziehbar dargelegt, dass deswegen sowohl die Katheterisierung wie der Verband der Katheterisierungsstelle und der umgebenden Haut besonders schwierig ist und die Pflegemaßnahmen nur durch entsprechend medizinisch-pflegerisch ausgebildetes und geübtes Personal durchgeführt werden sollen. Angelerntes Personal aus anderen (nicht medizinischen Bereichen) hält er nicht für ausreichend geeignet.
Die Pflegedienstleiterin F. hat die medizinische Einschätzung des Dr. A. in ihrem Aktengutachten vom 16.2.2010 aus pflegerischer Sicht untermauert. Sie hat überzeugend zwischen den (allgemeinen) pflegerischen Anforderungen an die im Rahmen häuslicher Behandlungspflege regelmäßig durchgeführte und deutlich risikoärmere Katheterisierung durch einen transurethalen Dauerkatheter in die Harnblase und den hier vorliegenden (besonderen) pflegerischen Anforderungen an die Katheterisierung bei der Klägerin unterschieden und betont, dass schon die risikoärmere Katheterisierung zu den kompliziertesten pflegerischen Eingriffen mit zahlreichen Risiken gehört und in der Kranken- und Altenpflegeausbildung als sehr spezifische und komplexe Tätigkeit daher grundsätzlich erst im dritten Ausbildungsjahr (nach zweijährigem theoretischem Pflegeunterricht und zweijähriger Erfahrung) unterrichtet wird. Bei der Klägerin bestehen zudem besondere (Infektions-)Risiken, die durch die tägliche Antibiotikaanwendung nur verringert aber nicht ausgeschlossen werden können und bei einer bereits schweren Nierenschädigung (links) unabsehbare Gefahren bergen.
Die von der Beklagten vorgelegten MDK-Stellungnahmen tragen den besonderen medizinischen und pflegerischen Verhältnissen im Fall der Klägerin nicht ausreichend Rechnung. Dr. H. hat in der MDK-Stellungnahme vom 20.1.2010 auf die Planbarkeit und die Intensität bzw. Häufigkeit der Katheterisierung abgestellt und dabei nicht berücksichtigt, dass der besonders hohe Pflegebedarf i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nicht daraus, sondern aus den bei der Klägerin vorliegenden besonderen (pflege-)technischen Anforderungen und den mit der Pflegemaßnahme verbundenen besonderen Gesundheitsrisiken folgt. Entsprechendes gilt für die MDK-Stellungnahme des Dr. P. vom 5.8.2010. Die Unterscheidung zwischen steriler und aseptischer Katheterisierung, womit sich Dr. P. (neben der Planbarkeit der Pflegemaßnahme) im Wesentlichen befasst hat, ist für die Frage, ob die Katheterisierung gerade bei der Klägerin einen besonders hohen Pflegeaufwand erfordert, nicht ausschlaggebend. Außerdem hat Dr. P. besondere bzw. außergewöhnliche anatomische Verhältnisse verneint, was im Hinblick auf die Kleinwüchsigkeit und die Rückgratverkrümmung der Klägerin - die die Katheterisierung nach Auffassung des Dr. A. (Bericht vom 7.12.2009) besonders schwierig machen - so nicht zutrifft.
Dr. A. hat schließlich in der im Berufungsverfahren vorgelegten ergänzenden Stellungnahme vom 22.3.2012 an seiner Einschätzung im Bericht vom 7.12.2009 im Kern festgehalten. Er hat zwar der Schlussfolgerung des Dr. P. zugestimmt, wonach (naturgemäß) geeignete Fachkräfte die Blasenkatheterisierung bei der Klägerin durchführen können, freilich unter geeigneten Fachkräften 3jährig examinierte Krankenschwestern, nicht etwa 3jährig examinierte Altenpflegerinnen, verstanden und betont, in seiner Klinik würden (sogar) nur besonders ausgebildete Krankenschwestern (Stoma-Schwestern) für die Vornahme der in Rede stehenden Maßnahmen zugelassen.
Damit steht fest, dass das in der WfbM des Beigeladenen Nr. 2 für die begleitenden Dienste gem. § 10 WVO vorgehaltene Personal (im Wesentlichen Krankengymnasten, Ergotherapeuten und Arbeitserzieher) den Behandlungspflegebedarf der Klägerin nicht decken kann. Der Rahmen "kleiner" Behandlungspflegeleistungen ist klar überschritten und es liegt ein besonders hoher Pflegebedarf i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V vor. Das Vorhalten (etwa) von examinierten Krankenschwestern, die Katheterisierungen auch unter den bei der Klägerin bestehenden besonders erschwerten Verhältnissen durchführen können, gebietet § 10 WVO nicht.
Die Leistungen, die die Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) für die Unterbringung der Klägerin im Wohnhaus der KBF M. (einer voll stationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen) erbringt, schließen die Leistungszuständigkeit der Beklagten für die häusliche Krankenpflege in der WfbM nicht aus. Gleiches gilt für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 41 SGB IX durch den Beigeladenen Nr. 1. Schließlich ist die Klägerin - worüber die Beteiligten nicht streiten - auf die Erbringung der Pflegeleistung durch Familienmitglieder gem. § 37 Abs. 3 SGB V nicht zu verweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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Aus
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