Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 4259/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5005/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.09.2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 46.318,86 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten eine Erstattungsforderung in Höhe von 46.318,86 EUR geltend.
Der 1996 geborene D. K. (D) ist der leibliche Sohn des N. Y. (N), der bei der beklagten Betriebskrankenkasse pflichtversichertes Mitglied ist. Bis zum 26.02.2005 wohnte D zusammen mit seiner Mutter Susann G. (geb 23.05.1976, im Folgenden S) bei seinem Stiefvater L. G. (L). Dieser war pflichtversichertes Mitglied der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse. Da D bis zum 26.02.2005 überwiegend von seinem Stiefvater unterhalten wurde, war er über diesen bei der Klägerin familienversichert. Ab dem 27.02.2005 lebten die Eheleute G. getrennt. D lebte ab diesem Zeitpunkt bei seiner Mutter, die ab dem 01.03.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) bezog. Bei der beklagten Betriebskrankenkasse war D als familienversichert ab dem 27.02.2005 über seinen leiblichen Vater N registriert. Vom 08.03.2005 bis zum 28.07.2005 befand D sich in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in stationärer Behandlung. Die Kosten der Behandlung in Höhe von 46.318,86 EUR trug die Klägerin.
Über die Tatsache, dass D bei ihr familienversichert ist, machte die Beklagte keine schriftliche Meldung an die Klägerin. Ob eine Mitarbeiterin der Beklagten hierüber mit einem Mitarbeiter der Klägerin am 11.07.2006 ein Telefongespräch führte, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Am 05.04.2005 erfuhr die Klägerin aufgrund der in einem Fragebogen gemachten Angaben der Mutter von D, dass dieser seit 27.02.2005 nicht mehr bei seinem Stiefvater wohnt und die Eheleute G. seit diesem Zeitpunkt getrennt leben. Sie forderte die Mutter von D mit Schreiben vom 04.04.2005 und 26.04.2005 auf, eine Kopie der Geburtsurkunde vorzulegen und, sofern hieraus nicht ersichtlich, Angaben über den Geburtsnamen, den Geburtsort und die Staatsangehörigkeit von D zu machen. Schließlich teilte sie der Mutter von D mit, D wohne seit dem 27.02.2005 nicht mehr bei seinem Stiefvater und werde daher von diesem nicht mehr überwiegend unterhalten. Aus diesem Grund müsse sie die Familienversicherung von D zum 26.02.2005 beenden. Das Schreiben enthält den handschriftlichen Vermerk: "Abmeldung z. 26.2.05 im Bestand". Auch unter dem Datum vom 29.10.2005 machte die Mutter von D auf einem Formular der Klägerin Angaben zur Feststellung der Familienversicherung. Sie teilte mit, ihr Ehemann L sei bei der Klägerin versichert. Sie lebe seit 27.02.2005 von L getrennt. Dieses Formular ging am 02.11.2005 bei der Klägerin ein. Mit Schreiben vom 03.07.2006 forderte die Klägerin D auf, seine Versichertenkarte zurückzugeben, da er nicht mehr bei ihr versichert sei. Im Juli 2006 gab die Mutter von D gegenüber der Klägerin erneut an, seit Februar 2005 von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Im Fragebogen vom 08.08.2009, der am 10.08.2009 bei der Klägerin einging, gab die Mutter von D dann erstmals an, D sei über seinen (leiblichen) Vater N bei der Beklagten versichert.
Mit Schreiben vom 23.10.2009 machte die Klägerin bei der Beklagten die hier streitige Erstattungsforderung über 46.318,86 EUR geltend. Sie wies darauf hin, dass D seit 2005 bei der Beklagten versichert sei. Dies habe sie erst im Rahmen der Überprüfung der Familienversicherung mit den Angaben im Fragebogen vom 08.08.2009 erfahren. Die Beklagte sei offensichtlich ihrer Verpflichtung im Rahmen des einheitlichen Meldeverfahrens zur Durchführung der Familienversicherung (Nr 8 Pkt 1) bis heute nicht nachgekommen. Nachdem die Beklagte eine Erstattung abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 11.12.2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.
Das SG hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 15.06.2010 erörtert. Die Beklagte hat in diesem Termin vorgebracht, die Klägerin habe D mit Schreiben vom 03.07.2006 aufgefordert, seine Versichertenkarte an die Klägerin zurückzugeben. Dieses Schreiben der Klägerin habe N der Beklagten vorgelegt. Daraufhin habe eine Mitarbeiterin der Beklagten die Klägerin in einem am 11.07.2006 geführten Telefongespräch darüber informiert, dass nunmehr eine Familienversicherung für D bei der Beklagten bestehe. Am 11.10.2006 sei der Fragebogen zur Feststellung der Familienversicherung bei ihr eingegangen. Damals sei nicht bekannt gewesen, dass noch eine Krankenbehandlung aus dem Jahr 2005 offen gewesen sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Erörterung wird auf die hierüber angefertigte Niederschrift (Bl 38/40 der SG-Akte) verwiesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 08.07.2010 bestritten, dass am 11.07.2006 ein Telefongespräch zwischen ihr und der Beklagten stattgefunden hat.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.09.2010 abgewiesen. Zwar stehe fest, dass die Klägerin Kosten der Krankenhausbehandlung von D getragen habe, obwohl hierfür eine Zuständigkeit der Beklagten vorgelegen habe. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehe dennoch nicht, da die Klägerin den Erstattungsanspruch nicht fristgerecht geltend gemacht habe. Die im vorliegenden Fall geltende einjährige Frist des § 111 Satz 1 SGB X habe am 29.07.2005 zu laufen begonnen und am 28.07.2006 geendet. Die Frist sei eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, nach deren Ablauf ein Erstattungsanspruch kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Die Regelung in § 111 Satz 2 SGB X, die für den Fristbeginn darauf abstelle, wann der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers Kenntnis erlangt habe, gelte bei sachleistungsbezogenen Erstattungsansprüchen nicht, da in diesen Fällen grundsätzlich keine Entscheidung des Leistungsträgers ergehe. Die Klägerin könne sich auch nicht auf eine unzulässige Rechtsausübung durch die Beklagte berufen. § 111 Satz 1 beinhalte eine gesetzliche Ausschlussrist, so dass ein "Berufen hierauf" nicht erforderlich sei. Hinweise auf grob rechtswidriges Verhalten der Beklagten lägen nicht vor. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte schriftlich darauf hinzuweisen, dass D nunmehr bei ihr familienversichert sei. Nach dem Wortlaut des damals geltenden Einheitlichen Meldeverfahrens zur Durchführung der Familienversicherung (Meldeverfahren-FV) habe für die Beklagte keine Pflicht zur Meldung bestanden.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 29.09.2010 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 27.10.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, nach dem Urteil des BSG vom 10.05.2007 (B 10 KR 1/05 R) könne der Fristablauf unbeachtlich sein, wenn der erstattungsberechtigte Leistungsträger die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X versäumt habe, weil der erstattungspflichtige Leistungsträger gegen seine Pflicht zur engen Zusammenarbeit verstoßen habe. Vorliegend sei die Beklagte ihrer Verpflichtung zum Meldeverfahren-FV nicht nachgekommen. Wenn bereits beim Übergang einer Familienversicherung in eine Mitgliedschaft und bei der Ausübung des Wahlrechts eine Meldeverpflichtung bestehe, gelte dies erst recht in Fällen, bei denen eine Familienversicherung bei einer anderen Krankenkasse weitergeführt werde, ohne dass ein Wahlrecht nach § 10 Abs 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gegeben sei. Im Übrigen bestreite sie weiterhin, von der Beklagten am 11.07.2006 über die bei dieser geführten Familienversicherung von D informiert worden zu sein.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 46.318,86 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.09.2010 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen in Bezug auf das mit der Klägerin geführte Telefonat am 11.07.2006. Entgegen der Auffassung der Klägerin finde das Meldeverfahren-FV auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Die bei der Klägerin bestehende Familienversicherung von D sei kraft Gesetzes weggefallen, ein Wahlrecht habe insoweit nicht bestanden. Unabhängig davon könne in der Nichtverwendung des Vordrucks keinesfalls ein grob rechtswidriges und erst recht kein vorsätzliches Verhalten der Beklagten gesehen werden. Ein fahrlässiges Abweichen von der im Meldeverfahren-FV vereinbarten Form führe weder zur Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X noch könne es einen sonstigen finanziellen Ausgleichsanspruch der Klägerin auslösen. Die Klägerin versuche lediglich, ihre eigenen Ermittlungsversäumnisse durch die konstruierte Verletzung einer Meldepflicht durch die Beklagte im Rahmend des Meldeverfahrens-FV auszugleichen. So habe die Klägerin erst ein Jahr, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass kein Anspruch auf Familienversicherung bei D bestehe, diesen aufgefordert, seine Krankenversicherungskarte zurückzugeben. Ferner sei davon auszugehen, dass der Klägerin über den damals bestehenden Risikopool ein Teil der Behandlungskosten ausgeglichen worden sei. Diesen Betrag könne sie gegenüber der Beklagten nicht noch einmal geltend machen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat den zutreffend mit einer Leistungsklage gemäß § 54 Abs 5 SGG geltend gemachten Erstattungsanspruch zu Recht abgelehnt.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X sind allerdings erfüllt. Die Klägerin hat als unzuständiger Leistungsträger die Kosten der vom 08.03. bis 28.07.2005 dauernden stationären Krankenhausbehandlung von D in Höhe von 46.318,86 EUR getragen. D war bereits ab dem 27.02.2005 nicht mehr bei der Klägerin familienversichert. Seit diesem Zeitpunkt lebten die Eheleute L und S getrennt. D lebte ab diesem Zeitpunkt bei seiner Mutter, die ab dem 01.03.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) bezog. Da D nicht der leibliche Sohn von L ist, endete mit dem Zeitpunkt des Getrenntlebens die über das bei der Klägerin pflichtversicherte Mitglied L vermittelte Familienversicherung von D bei der Klägerin. Denn ab diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass D nicht mehr von seinem Stiefvater überwiegend unterhalten wurde, also kein Kind des L im Sinne des § 10 Abs 4 Satz 1 SGB V mehr war. Dagegen blieb die Familienversicherung der Mutter des D erhalten. Sie war trotz des Getrenntlebens von L weiterhin über dessen Mitgliedschaft bei der Klägerin pflichtversichert. Zwar bezog sie ab März 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die dadurch grundsätzlich mögliche Pflichtversicherung wurde jedoch durch die in diesem Fall vorrangige Familienversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 2a SGB V) verdrängt. Zuständig für die Tragung der Krankenhauskosten war die Beklagte. Der leibliche Vater von D war zu diesem Zeitpunkt pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Daraus ergab sich eine Familienversicherung von D bei der Beklagten spätestens ab dem 27.02.2005.
Der Erstattungsanspruch ist aber nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen, weil ihn die Klägerin nicht innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht hat. Die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X findet auf den vorliegenden Fall, dem eine Erstattungsforderung aufgrund einer dem Versicherten erbrachten Sachleistung zugrundeliegt, keine Anwendung. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung ausgeführt; hierauf nimmt der Senat Bezug.
Die in § 111 Satz 1 SGB X normierte Frist ist eine materielle Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist. Deshalb ist es dem Erstattungsberechtigten zwar regelmäßig verwehrt, dem Erstattungsverpflichteten, dem die Ausschlussfrist zugutekommt, unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenzuhalten. Dieser Grundsatz findet aber dann keine Anwendung, wenn die Versäumung der Ausschlussfrist auf ein grob rechtswidriges, zB vorsätzliches Verhalten dessen zurückzuführen ist, der durch die Ausschlussfrist begünstigt wird (BSG 10.05.2007, B 10 KR 1/05 R, SozR 4-1300 § 111 Nr 4). Zu Recht hat das SG entschieden, dass ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. Anders als das SG geht der Senat aber davon aus, dass die Beklagte verpflichtet war, der Klägerin das Bestehen und den Beginn der Familienversicherung von D mitzuteilen. Dies folgt aus Sinn und Zweck der damals gültigen Regelungen im Meldeverfahren-FV, das vor allem auch dazu diente, die Familienversicherten für den Risikostrukturausgleich vollständig zu erfassen (vgl Nr 1 Meldeverfahren-FV, Bl 9 der SG-Akte). Ob hierfür eine formlose Meldung genügte, lässt der Senat ebenso offen wie die Frage, ob die Beklagte die Klägerin am 11.07.2006 über das Bestehen einer Familienversicherung telefonisch informiert hat. Darauf kommt es nicht an. Denn selbst wenn die Beklagte ihre Pflicht zur Meldung der Familienversicherung des D an die Klägerin verletzt hat, ließe dieser Pflichtverstoß die Berufung auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Nach dem bereits erwähnten Urteil des BSG vom 10.05.2007 ist maßgeblich, ob zB eine verzögerte Meldung auf der Absicht beruhte, im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X die Realisierung der Erstattungsforderung zu verhindern. Dies ist nach Ansicht des Senats nicht der Fall. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, von der Krankenhausbehandlung des D keine Kenntnis gehabt zu haben und Umstände, aus denen die Beklagte von dieser Krankenhausbehandlung hätte wissen können oder müssen, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die Verletzung der Meldepflichten aus dem Meldeverfahren-FV allein rechtfertigt es noch nicht, das Verhalten der Beklagten als rechtsmissbräuchlich zu werten. Folglich kommt ihr in diesem Fall zugute, dass die Klägerin die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X versäumt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 Gerichtskostengesetz.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 46.318,86 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten eine Erstattungsforderung in Höhe von 46.318,86 EUR geltend.
Der 1996 geborene D. K. (D) ist der leibliche Sohn des N. Y. (N), der bei der beklagten Betriebskrankenkasse pflichtversichertes Mitglied ist. Bis zum 26.02.2005 wohnte D zusammen mit seiner Mutter Susann G. (geb 23.05.1976, im Folgenden S) bei seinem Stiefvater L. G. (L). Dieser war pflichtversichertes Mitglied der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse. Da D bis zum 26.02.2005 überwiegend von seinem Stiefvater unterhalten wurde, war er über diesen bei der Klägerin familienversichert. Ab dem 27.02.2005 lebten die Eheleute G. getrennt. D lebte ab diesem Zeitpunkt bei seiner Mutter, die ab dem 01.03.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) bezog. Bei der beklagten Betriebskrankenkasse war D als familienversichert ab dem 27.02.2005 über seinen leiblichen Vater N registriert. Vom 08.03.2005 bis zum 28.07.2005 befand D sich in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in stationärer Behandlung. Die Kosten der Behandlung in Höhe von 46.318,86 EUR trug die Klägerin.
Über die Tatsache, dass D bei ihr familienversichert ist, machte die Beklagte keine schriftliche Meldung an die Klägerin. Ob eine Mitarbeiterin der Beklagten hierüber mit einem Mitarbeiter der Klägerin am 11.07.2006 ein Telefongespräch führte, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Am 05.04.2005 erfuhr die Klägerin aufgrund der in einem Fragebogen gemachten Angaben der Mutter von D, dass dieser seit 27.02.2005 nicht mehr bei seinem Stiefvater wohnt und die Eheleute G. seit diesem Zeitpunkt getrennt leben. Sie forderte die Mutter von D mit Schreiben vom 04.04.2005 und 26.04.2005 auf, eine Kopie der Geburtsurkunde vorzulegen und, sofern hieraus nicht ersichtlich, Angaben über den Geburtsnamen, den Geburtsort und die Staatsangehörigkeit von D zu machen. Schließlich teilte sie der Mutter von D mit, D wohne seit dem 27.02.2005 nicht mehr bei seinem Stiefvater und werde daher von diesem nicht mehr überwiegend unterhalten. Aus diesem Grund müsse sie die Familienversicherung von D zum 26.02.2005 beenden. Das Schreiben enthält den handschriftlichen Vermerk: "Abmeldung z. 26.2.05 im Bestand". Auch unter dem Datum vom 29.10.2005 machte die Mutter von D auf einem Formular der Klägerin Angaben zur Feststellung der Familienversicherung. Sie teilte mit, ihr Ehemann L sei bei der Klägerin versichert. Sie lebe seit 27.02.2005 von L getrennt. Dieses Formular ging am 02.11.2005 bei der Klägerin ein. Mit Schreiben vom 03.07.2006 forderte die Klägerin D auf, seine Versichertenkarte zurückzugeben, da er nicht mehr bei ihr versichert sei. Im Juli 2006 gab die Mutter von D gegenüber der Klägerin erneut an, seit Februar 2005 von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Im Fragebogen vom 08.08.2009, der am 10.08.2009 bei der Klägerin einging, gab die Mutter von D dann erstmals an, D sei über seinen (leiblichen) Vater N bei der Beklagten versichert.
Mit Schreiben vom 23.10.2009 machte die Klägerin bei der Beklagten die hier streitige Erstattungsforderung über 46.318,86 EUR geltend. Sie wies darauf hin, dass D seit 2005 bei der Beklagten versichert sei. Dies habe sie erst im Rahmen der Überprüfung der Familienversicherung mit den Angaben im Fragebogen vom 08.08.2009 erfahren. Die Beklagte sei offensichtlich ihrer Verpflichtung im Rahmen des einheitlichen Meldeverfahrens zur Durchführung der Familienversicherung (Nr 8 Pkt 1) bis heute nicht nachgekommen. Nachdem die Beklagte eine Erstattung abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 11.12.2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.
Das SG hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 15.06.2010 erörtert. Die Beklagte hat in diesem Termin vorgebracht, die Klägerin habe D mit Schreiben vom 03.07.2006 aufgefordert, seine Versichertenkarte an die Klägerin zurückzugeben. Dieses Schreiben der Klägerin habe N der Beklagten vorgelegt. Daraufhin habe eine Mitarbeiterin der Beklagten die Klägerin in einem am 11.07.2006 geführten Telefongespräch darüber informiert, dass nunmehr eine Familienversicherung für D bei der Beklagten bestehe. Am 11.10.2006 sei der Fragebogen zur Feststellung der Familienversicherung bei ihr eingegangen. Damals sei nicht bekannt gewesen, dass noch eine Krankenbehandlung aus dem Jahr 2005 offen gewesen sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Erörterung wird auf die hierüber angefertigte Niederschrift (Bl 38/40 der SG-Akte) verwiesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 08.07.2010 bestritten, dass am 11.07.2006 ein Telefongespräch zwischen ihr und der Beklagten stattgefunden hat.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.09.2010 abgewiesen. Zwar stehe fest, dass die Klägerin Kosten der Krankenhausbehandlung von D getragen habe, obwohl hierfür eine Zuständigkeit der Beklagten vorgelegen habe. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehe dennoch nicht, da die Klägerin den Erstattungsanspruch nicht fristgerecht geltend gemacht habe. Die im vorliegenden Fall geltende einjährige Frist des § 111 Satz 1 SGB X habe am 29.07.2005 zu laufen begonnen und am 28.07.2006 geendet. Die Frist sei eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, nach deren Ablauf ein Erstattungsanspruch kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Die Regelung in § 111 Satz 2 SGB X, die für den Fristbeginn darauf abstelle, wann der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers Kenntnis erlangt habe, gelte bei sachleistungsbezogenen Erstattungsansprüchen nicht, da in diesen Fällen grundsätzlich keine Entscheidung des Leistungsträgers ergehe. Die Klägerin könne sich auch nicht auf eine unzulässige Rechtsausübung durch die Beklagte berufen. § 111 Satz 1 beinhalte eine gesetzliche Ausschlussrist, so dass ein "Berufen hierauf" nicht erforderlich sei. Hinweise auf grob rechtswidriges Verhalten der Beklagten lägen nicht vor. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte schriftlich darauf hinzuweisen, dass D nunmehr bei ihr familienversichert sei. Nach dem Wortlaut des damals geltenden Einheitlichen Meldeverfahrens zur Durchführung der Familienversicherung (Meldeverfahren-FV) habe für die Beklagte keine Pflicht zur Meldung bestanden.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 29.09.2010 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 27.10.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, nach dem Urteil des BSG vom 10.05.2007 (B 10 KR 1/05 R) könne der Fristablauf unbeachtlich sein, wenn der erstattungsberechtigte Leistungsträger die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X versäumt habe, weil der erstattungspflichtige Leistungsträger gegen seine Pflicht zur engen Zusammenarbeit verstoßen habe. Vorliegend sei die Beklagte ihrer Verpflichtung zum Meldeverfahren-FV nicht nachgekommen. Wenn bereits beim Übergang einer Familienversicherung in eine Mitgliedschaft und bei der Ausübung des Wahlrechts eine Meldeverpflichtung bestehe, gelte dies erst recht in Fällen, bei denen eine Familienversicherung bei einer anderen Krankenkasse weitergeführt werde, ohne dass ein Wahlrecht nach § 10 Abs 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gegeben sei. Im Übrigen bestreite sie weiterhin, von der Beklagten am 11.07.2006 über die bei dieser geführten Familienversicherung von D informiert worden zu sein.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 46.318,86 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.09.2010 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen in Bezug auf das mit der Klägerin geführte Telefonat am 11.07.2006. Entgegen der Auffassung der Klägerin finde das Meldeverfahren-FV auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Die bei der Klägerin bestehende Familienversicherung von D sei kraft Gesetzes weggefallen, ein Wahlrecht habe insoweit nicht bestanden. Unabhängig davon könne in der Nichtverwendung des Vordrucks keinesfalls ein grob rechtswidriges und erst recht kein vorsätzliches Verhalten der Beklagten gesehen werden. Ein fahrlässiges Abweichen von der im Meldeverfahren-FV vereinbarten Form führe weder zur Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X noch könne es einen sonstigen finanziellen Ausgleichsanspruch der Klägerin auslösen. Die Klägerin versuche lediglich, ihre eigenen Ermittlungsversäumnisse durch die konstruierte Verletzung einer Meldepflicht durch die Beklagte im Rahmend des Meldeverfahrens-FV auszugleichen. So habe die Klägerin erst ein Jahr, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass kein Anspruch auf Familienversicherung bei D bestehe, diesen aufgefordert, seine Krankenversicherungskarte zurückzugeben. Ferner sei davon auszugehen, dass der Klägerin über den damals bestehenden Risikopool ein Teil der Behandlungskosten ausgeglichen worden sei. Diesen Betrag könne sie gegenüber der Beklagten nicht noch einmal geltend machen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat den zutreffend mit einer Leistungsklage gemäß § 54 Abs 5 SGG geltend gemachten Erstattungsanspruch zu Recht abgelehnt.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X sind allerdings erfüllt. Die Klägerin hat als unzuständiger Leistungsträger die Kosten der vom 08.03. bis 28.07.2005 dauernden stationären Krankenhausbehandlung von D in Höhe von 46.318,86 EUR getragen. D war bereits ab dem 27.02.2005 nicht mehr bei der Klägerin familienversichert. Seit diesem Zeitpunkt lebten die Eheleute L und S getrennt. D lebte ab diesem Zeitpunkt bei seiner Mutter, die ab dem 01.03.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) bezog. Da D nicht der leibliche Sohn von L ist, endete mit dem Zeitpunkt des Getrenntlebens die über das bei der Klägerin pflichtversicherte Mitglied L vermittelte Familienversicherung von D bei der Klägerin. Denn ab diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass D nicht mehr von seinem Stiefvater überwiegend unterhalten wurde, also kein Kind des L im Sinne des § 10 Abs 4 Satz 1 SGB V mehr war. Dagegen blieb die Familienversicherung der Mutter des D erhalten. Sie war trotz des Getrenntlebens von L weiterhin über dessen Mitgliedschaft bei der Klägerin pflichtversichert. Zwar bezog sie ab März 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die dadurch grundsätzlich mögliche Pflichtversicherung wurde jedoch durch die in diesem Fall vorrangige Familienversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 2a SGB V) verdrängt. Zuständig für die Tragung der Krankenhauskosten war die Beklagte. Der leibliche Vater von D war zu diesem Zeitpunkt pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Daraus ergab sich eine Familienversicherung von D bei der Beklagten spätestens ab dem 27.02.2005.
Der Erstattungsanspruch ist aber nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen, weil ihn die Klägerin nicht innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht hat. Die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X findet auf den vorliegenden Fall, dem eine Erstattungsforderung aufgrund einer dem Versicherten erbrachten Sachleistung zugrundeliegt, keine Anwendung. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung ausgeführt; hierauf nimmt der Senat Bezug.
Die in § 111 Satz 1 SGB X normierte Frist ist eine materielle Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist. Deshalb ist es dem Erstattungsberechtigten zwar regelmäßig verwehrt, dem Erstattungsverpflichteten, dem die Ausschlussfrist zugutekommt, unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenzuhalten. Dieser Grundsatz findet aber dann keine Anwendung, wenn die Versäumung der Ausschlussfrist auf ein grob rechtswidriges, zB vorsätzliches Verhalten dessen zurückzuführen ist, der durch die Ausschlussfrist begünstigt wird (BSG 10.05.2007, B 10 KR 1/05 R, SozR 4-1300 § 111 Nr 4). Zu Recht hat das SG entschieden, dass ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. Anders als das SG geht der Senat aber davon aus, dass die Beklagte verpflichtet war, der Klägerin das Bestehen und den Beginn der Familienversicherung von D mitzuteilen. Dies folgt aus Sinn und Zweck der damals gültigen Regelungen im Meldeverfahren-FV, das vor allem auch dazu diente, die Familienversicherten für den Risikostrukturausgleich vollständig zu erfassen (vgl Nr 1 Meldeverfahren-FV, Bl 9 der SG-Akte). Ob hierfür eine formlose Meldung genügte, lässt der Senat ebenso offen wie die Frage, ob die Beklagte die Klägerin am 11.07.2006 über das Bestehen einer Familienversicherung telefonisch informiert hat. Darauf kommt es nicht an. Denn selbst wenn die Beklagte ihre Pflicht zur Meldung der Familienversicherung des D an die Klägerin verletzt hat, ließe dieser Pflichtverstoß die Berufung auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Nach dem bereits erwähnten Urteil des BSG vom 10.05.2007 ist maßgeblich, ob zB eine verzögerte Meldung auf der Absicht beruhte, im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X die Realisierung der Erstattungsforderung zu verhindern. Dies ist nach Ansicht des Senats nicht der Fall. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, von der Krankenhausbehandlung des D keine Kenntnis gehabt zu haben und Umstände, aus denen die Beklagte von dieser Krankenhausbehandlung hätte wissen können oder müssen, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die Verletzung der Meldepflichten aus dem Meldeverfahren-FV allein rechtfertigt es noch nicht, das Verhalten der Beklagten als rechtsmissbräuchlich zu werten. Folglich kommt ihr in diesem Fall zugute, dass die Klägerin die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X versäumt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 Gerichtskostengesetz.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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