Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 1947/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 572/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Während eines laufenden Rentenverfahrens hat der Rentenversicherungsträger nach § 14 SGB 1 die Pflicht, auf die Möglichkeit einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) hinzuweisen. Diese Pflicht kann er dadurch erfüllen, dass er dem Versicherten ein Merkblatt (hier: R815) aushändigt, in dem sowohl über die grundsätzliche Befreiungsmöglichkeit als auch über die dreimonatige Frist zur Stellung des Befreiungsantrags informiert wird.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.11.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die 1942 geborene Klägerin ist seit 1977 Mitglied der Beklagten. Sie bezieht seit dem 01.06.2005 eine Hinterbliebenenversorgung der Wehrbereichsverwaltung. Am 16.05.2007 beantragte sie bei der Beigeladenen zu 2) die Gewährung einer Altersrente. Im Formular "Meldung zur Krankenversicherung der Rentner" bestätigte die Klägerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt des Merkblattes über die KVdR. Der Mitarbeiter der Beigeladenen zu 2) bestätigte mit seiner Unterschrift die Aushändigung des Merkblattes. Mit Bescheid vom 28.06.2007 bewilligte die Beigeladene zu 2) Regelaltersrente ab dem 01.09.2007. Seither wird die Klägerin in der KVdR geführt.
Mit Schreiben vom 14.10.2008, eingegangen bei der Beklagten am 15.10.2008, beantragte die Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht. Aufgrund der Witwenversorgung sei sie auch beihilfeberechtigt. Wären ihr die Regularien des § 8 Abs 1 Nr 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erläutert worden, hätte sie mit Beginn des Altersrentenbezugs die Befreiung in Anspruch genommen. Da ihr ehemaliger Arbeitgeber das sozialversicherungspflichtige Entgelt geändert habe, sei ihre Altersrente neu zu berechnen. In Anbetracht der geänderten Situation beantrage sie die Krankenversicherungspflicht zum nächstmöglichen Termin zu beenden.
Mit Bescheid vom 29.10.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wurde angegeben, ein nochmaliges Befreiungsrecht bestünde nur bei befristeten Renten. Durch einen zeitweisen Verzicht werde das Befreiungsrecht nicht erneut eröffnet. Am 22.05.2007 sei der Klägerin ein Informationsschreiben inklusive einer Broschüre zugesandt worden, in der auf die Möglichkeit der Befreiung von der KVdR hingewiesen werde. Der Antrag auf Befreiung sei innerhalb von drei Monaten zu stellen. Diese Frist sei überschritten. Ein Pflichtversäumnis der Beklagten sei nicht zu erkennen. Hiergegen legte die Klägerin am 11.11.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung ließ sie vortragen, eine Beratung über die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in der KVdR habe im Rahmen des Rentenantrags nicht stattgefunden. Da die Klägerin den Bezug der Hinterbliebenenversorgung angegeben habe, hätte es sich der Beigeladenen zu 2) aufdrängen müssen, dass die Klägerin beihilfeberechtigt ist. Auf die 3-Monatsfrist sei sie nicht hingewiesen worden. Es werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2009 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe den Antrag auf Befreiung zu spät gestellt. Selbst im Fall einer Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen könne keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide aus. Eine Beratungspflicht der Beklagten oder der Beigeladenen zu 2) habe nicht bestanden, da die Klägerin sie nicht um Auskunft ersucht habe. Außerdem sei der Klägerin ausweislich der Meldung zur KVdR das Merkblatt über die KVdR ausgehändigt worden. Dieses Merkblatt enthalte eindeutige und zutreffende Hinweise zur Pflichtversicherung und zur Möglichkeit der Befreiung innerhalb der 3-Monatsfrist. Ein weiteres Informationsblatt habe die Klägerin von der Beklagten erhalten.
Am 16.06.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie ausgeführt, die Beklagte habe mit den im Widerspruchsbescheid genannten Merkblättern nicht ihrer Beratungspflicht Genüge getan. Die Übersendung von Merkblättern reiche für eine ordnungsgemäße Beratung nicht aus, wenn der Versicherte in schwierigen Fragen um Beratung gebeten und seine Unsicherheit deutlich gemachte habe oder sich ein besonderer Beratungsbedarf anderweitig ergeben habe. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Klägerin das Merkblatt der Beigeladenen zu 2) nicht übergeben worden sei. Der Inhalt des Merkblattes sei zudem völlig unzureichend. Die Befreiungsmöglichkeit werde auf einer knappen halben Seite behandelt und sei so abstrakt gehalten, dass es für die Klägerin als Laie völlig abwegig sei, ihre Situation als Beihilfeberechtigte als einen der möglichen Anwendungsfälle auf die dortigen Formulierungen zu übertragen. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde nicht hingewiesen. Der Klägerin sei es daher nicht möglich gewesen, rechtzeitig einen entsprechenden Antrag binnen Jahresfrist nach § 27 Abs 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu stellen. Das Informationsblatt der Beklagten sei noch unzureichender.
Die Beklagte hat erwidert, ein Beratungsfehler liege nicht vor. Die Merkblätter seien ausreichend. Die Befreiung nach § 8 Abs 1 Nr 4 SGB V sei an keine Bedingungen geknüpft, so dass die betreffende Person für sich selbst entscheiden müsse, ob sie die gesetzliche Krankenversicherung verlassen wolle. Über ihre Beihilfeberechtigung und die Möglichkeit sich ggf privat zu versichern, dürfte die Klägerin informiert gewesen sein. Es sei daher nicht ersichtlich, welche darüber hinausgehende Aufklärung "von Amts wegen" hätte erfolgen müssen. Wenn die Klägerin die Aufklärung als unzureichend empfunden und weiteren Beratungsbedarf gehabt habe, hätte sie sich mit einem entsprechenden Begehren an die Beklagte wenden müssen.
Mit Urteil vom 16.11.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe die Frist zur Beantragung der Befreiung von der KVdR versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht. Die Klägerin habe den Erhalt des Merkblattes der Beigeladenen zu 2) mit ihrer Unterschrift bestätigt. Soweit die Klägerin vortrage, das Merkblatt sei unzureichend, sei ihr entgegenzuhalten, dass von der Möglichkeit einer entsprechenden Nachfrage bzw ergänzenden Beratung kein Gebrauch gemacht worden sei. Die Beklagte habe mit der Aushändigung des Merkblattes und den darin enthaltenen allgemein verständlichen Hinweisen ihrer Auskunfts- und Beratungspflicht Genüge getan.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.01.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.02.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, sie habe Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da die fehlende Kenntnis von der Befreiungsmöglichkeit auf dem unzutreffenden Merkblatt der Beklagten beruhe, das sie ohnehin nicht erhalten habe. Dort werde unzutreffend ausgeführt, dass es sich um eine Ausschlussfrist handele und eine Befreiung nach Ablauf der Frist nicht möglich sei. Zudem bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Selbst wenn unterstellt würde, dass sie das Merkblatt erhalten habe, sei die Beklagte ihren Aufklärungs- und Beratungspflichten mit diesem Merkblatt nicht nachgekommen. Der Klägerin könne auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie von der Beklagten nicht eine ergänzende Beratung verlangt habe. Aufgrund des Inhalts des Merkblattes habe die Klägerin nicht auf die Idee kommen können, dass die Befreiungsmöglichkeit sie betreffe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 16.11.2010 und des Bescheids der Beklagten vom 29.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2009 zu verurteilen, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Versicherungspflichtig in der Gesetzlichen Krankenversicherung sind Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert waren (§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB V). Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht für Rentenbezieher nach Maßgabe von § 8 Abs 1 Nr 4, Abs 2 SGB V (in der Fassung vom 19.6.2001). Danach wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch den Antrag auf Rente oder den Bezug von Rente oder die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Abs 1 Nr 6, 11 oder 12 SGB V). Der Antrag ist nach § 8 Abs 2 Satz 1 SGB V innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse zu stellen. Die Befreiung wirkt vom Beginn der Versicherungspflicht an, wenn seit diesem Zeitpunkt noch keine Leistungen in Anspruch genommen wurden, sonst vom Beginn des Kalendermonats an, der auf die Antragstellung folgt (§ 8 Abs 2 Satz 2 SGB V). Die Befreiung kann gemäß § 8 Abs 2 Satz 3 SGB V nicht widerrufen werden.
Die Klägerin hat nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht einen Antrag auf Befreiung gestellt. Auch dies steht nicht im Streit. Die Frist begann auch nicht deshalb von Neuem zu laufen, weil die Rente der Klägerin wegen einer Änderung des Arbeitsentgelts neu zu berechnen war. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Beginn des Fristlaufs ist nicht die Verbescheidung des Rentenantrags, sondern der Beginn der Versicherungspflicht.
Wiedereinsetzung ist wegen der versäumten Frist zur Beantragung der Befreiung nicht zu gewähren. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm gem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Unabhängig von der Frage, ob eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 8 Abs 2 Satz 1 SGB V überhaupt möglich ist (vgl § 27 Abs 5 SGB X, dazu: BSG 09.02.1993, 12 RK 28/92, SozR 3-1300 § 27 Nr 3; BSG 25.10.1988, 12 RK 22/87, BSGE 64, 153; BSG 10.06.1980, 11 RK 11/79, juris), scheidet die Wiedereinsetzung bereits deshalb aus, weil die Klägerin die versäumte Handlung nicht innerhalb eines Jahres nach Fristablauf nachgeholt hat. Denn nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 27 Abs 3 SGB X). Die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V begann mit der Beantragung der Altersrente am 16.05.2007. Damit endete die 3-Monatsfrist für den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht am 16.08.2007 (§ 26 Abs 1 iVm § 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Erst mit Schreiben vom 14.10.2008 holte die Klägerin die versäumte Handlung nach, also mehr als ein Jahr nach Fristablauf. Anhaltspunkte dafür, dass sie aus Gründen höherer Gewalt an der rechtzeitigen Nachholung gehindert war, liegen nicht vor. Die bloße Unkenntnis von der Jahresfrist genügt hierfür nicht.
Darüber hinaus scheitert eine Wiedereinsetzung auch daran, dass die Klägerin nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist des § 8 Abs 2 Satz 1 SGB V einzuhalten. Das folgt aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei Verkündung von Gesetzen, der besagt, dass diese mit ihrer Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt gelten, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie tatsächlich Kenntnis erlangt haben (BSG 25.07.2002, B 10 LW 7/02 R, juris; BSG 21.05.1996, 12 RK 43/95, SozR 3-5070 § 21 Nr 3; BSG 09.02.1993, 12 RK 28/92, SozR 3-1300 § 27 Nr 3).
Schließlich kann die Klägerin auch nicht nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verlangen, so gestellt zu werden, als habe sie den Befreiungsantrag fristgerecht gestellt. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15 und 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch ( SGB I )) verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat sowie ferner, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R, BSGE 92, 241). Auf seiner Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der Herstellungsanspruch kann einen Versicherungsträger somit nur zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten, das rechtlich zulässig ist (vgl BSG 12.10.1979, 12 RK 47/77, juris). Voraussetzung ist damit neben der Pflichtverletzung im Sinne einer fehlenden oder unvollständigen bzw unrichtigen Beratung, dass der dem Versicherten entstandene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Handlung, ausgeglichen werden kann (BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R, BSGE 92, 241).
Eine Pflichtverletzung der Beklagten oder der Beigeladenen zu 2) liegt nicht vor. Zwar entfällt eine Beratungspflicht der Beklagten nicht schon deshalb, weil die Klägerin nicht mit einem konkreten Auskunftsbegehren hinsichtlich der Befreiung von der Versicherungspflicht an die Beklagte oder die Beigeladene zu 2) herangetreten ist. Denn aufgrund des Rentenverfahrens bestand ein konkreter Anlass zur Beratung nach § 14 SGB I (allg zur Betreuungspflicht des Versicherungsträgers bei laufendem Rentenverfahren: BSG 25.04.1978, 5 RJ 18/77, BSGE 46, 124; BSG 22.11.1988, 5/4a RJ 79/87, SozR 5750 Art 2 § 6 Nr 4; BSG 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R, juris). Die Sozialleistungsträger haben nach § 2 SGB I im Rahmen eines laufenden Verwaltungsverfahrens sicherzustellen, dass die sozialen Rechte des Versicherten möglichst weitgehend gewahrt werden. Für die Träger der Rentenversicherung gilt darüber hinaus, dass sie die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen sollen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen (§ 115 Abs 6 SGB VI). Auf die Frage, ob sich der Behörde im konkreten Einzelfall eine Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht in der KVdR aufdrängen musste, kommt es nicht an. Im Rahmen eines Rentenverfahrens besteht grundsätzlich die Pflicht auf die Befreiungsmöglichkeit hinzuweisen. Dieser Verpflichtung hat die Beklagte bzw die Beigeladene zu 2) entsprochen, indem der Klägerin das Merkblatt zur KVdR (R815) ausgehändigt worden ist.
Die Klägerin hat zur Überzeugung des Senats das Merkblatt von der Beigeladenen zu 2) erhalten. Sie selbst und ein Mitarbeiter der Beigeladenen zu 2) haben auf dem Formular zur Meldung zur KVdR den Erhalt bzw die Aushändigung des Merkblattes mit ihren Unterschriften bestätigt. Der Senat sieht keinen Grund, an der Richtigkeit der damit verbundenen Erklärungen zu zweifeln. Aber selbst wenn von einem "non liquet" auszugehen wäre, ginge die Nichterweislichkeit zulasten der Klägerin. Die Folgen einer Beweislosigkeit trägt grundsätzlich der Beteiligte, der aus der behaupteten, jedoch nicht erweislichen Tatsache eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (ständige Rechtsprechung; vgl BSG 24.10.1957, 10 RV 945/55, BSGE 6, 70; BSG 24.05.2006, B 11a AL 7/05 R, BSGE 96, 238). Vorliegend behauptet die Klägerin eine Pflichtverletzung der Beklagten, für deren Vorliegen die Klägerin beweispflichtig ist. Für den Zugang eines Hinweisschreibens trägt allerdings grundsätzlich die Behörde die Beweislast (BSG 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, SozR 4-2600 § 115 Nr 2). Lässt sich der Sozialleistungsträger aber die Aushändigung eines Hinweisschreibens oder Merkblattes durch Unterschrift des Versicherten bestätigen, führt dies zur Beweislastumkehr hinsichtlich des Erhalts des Schriftstückes. Behauptet demnach der Versicherte, das Schriftstück trotz Quittierung nicht erhalten zu haben, trägt er hierfür die Beweislast. Der fehlende Nachweis dafür, dass die Klägerin das Merkblatt von der Beigeladenen zu 2) nicht erhalten hat, ginge daher zu ihren Lasten.
Das Merkblatt "R815" der Beigeladenen zu 2) erfüllt die Aufklärungs- und Beratungspflichten in Bezug auf die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR (so auch: Bayerisches LSG 21.03.2006, L 5 KR 41/05, juris; LSG Rheinland-Pfalz 08.02.2007, L 5 KR 141/06, juris; vgl auch LSG Nordrhein-Westfalen 16.06.2011, L 1 KR 548/10, juris). Es wird sowohl auf die grundsätzliche Möglichkeit der Befreiung als auch auf die dreimonatige Frist hingewiesen. Die Ausführungen sind im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen in § 8 SGB V weder unrichtig noch missverständlich. Als Befreiungsgrund wird lediglich beispielhaft eine private Krankenversicherung angegeben. Aus dieser offenen Formulierung ist hinreichend deutlich erkennbar, dass auch der Fall der Klägerin eine Befreiung ermöglichen kann. Etwaige Unklarheiten hätte die Klägerin durch Nachfragen bei der Beklagten ausräumen können und müssen (vgl Senatsurteil vom 29.08.2006, L 11 KR 202/06, juris). Eine Beratungspflicht über die Sozialleistungssysteme hinaus für eine private Krankenversicherung oder die Inanspruchnahme von Beihilfeleistungen bestand seitens der Beklagten bzw der Beigeladenen zu 2) nicht (vgl BSG 24.07.2003, B 4 RA 13/03 R, SozR 4-1200 § 46 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die 1942 geborene Klägerin ist seit 1977 Mitglied der Beklagten. Sie bezieht seit dem 01.06.2005 eine Hinterbliebenenversorgung der Wehrbereichsverwaltung. Am 16.05.2007 beantragte sie bei der Beigeladenen zu 2) die Gewährung einer Altersrente. Im Formular "Meldung zur Krankenversicherung der Rentner" bestätigte die Klägerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt des Merkblattes über die KVdR. Der Mitarbeiter der Beigeladenen zu 2) bestätigte mit seiner Unterschrift die Aushändigung des Merkblattes. Mit Bescheid vom 28.06.2007 bewilligte die Beigeladene zu 2) Regelaltersrente ab dem 01.09.2007. Seither wird die Klägerin in der KVdR geführt.
Mit Schreiben vom 14.10.2008, eingegangen bei der Beklagten am 15.10.2008, beantragte die Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht. Aufgrund der Witwenversorgung sei sie auch beihilfeberechtigt. Wären ihr die Regularien des § 8 Abs 1 Nr 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erläutert worden, hätte sie mit Beginn des Altersrentenbezugs die Befreiung in Anspruch genommen. Da ihr ehemaliger Arbeitgeber das sozialversicherungspflichtige Entgelt geändert habe, sei ihre Altersrente neu zu berechnen. In Anbetracht der geänderten Situation beantrage sie die Krankenversicherungspflicht zum nächstmöglichen Termin zu beenden.
Mit Bescheid vom 29.10.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wurde angegeben, ein nochmaliges Befreiungsrecht bestünde nur bei befristeten Renten. Durch einen zeitweisen Verzicht werde das Befreiungsrecht nicht erneut eröffnet. Am 22.05.2007 sei der Klägerin ein Informationsschreiben inklusive einer Broschüre zugesandt worden, in der auf die Möglichkeit der Befreiung von der KVdR hingewiesen werde. Der Antrag auf Befreiung sei innerhalb von drei Monaten zu stellen. Diese Frist sei überschritten. Ein Pflichtversäumnis der Beklagten sei nicht zu erkennen. Hiergegen legte die Klägerin am 11.11.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung ließ sie vortragen, eine Beratung über die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in der KVdR habe im Rahmen des Rentenantrags nicht stattgefunden. Da die Klägerin den Bezug der Hinterbliebenenversorgung angegeben habe, hätte es sich der Beigeladenen zu 2) aufdrängen müssen, dass die Klägerin beihilfeberechtigt ist. Auf die 3-Monatsfrist sei sie nicht hingewiesen worden. Es werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2009 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe den Antrag auf Befreiung zu spät gestellt. Selbst im Fall einer Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen könne keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide aus. Eine Beratungspflicht der Beklagten oder der Beigeladenen zu 2) habe nicht bestanden, da die Klägerin sie nicht um Auskunft ersucht habe. Außerdem sei der Klägerin ausweislich der Meldung zur KVdR das Merkblatt über die KVdR ausgehändigt worden. Dieses Merkblatt enthalte eindeutige und zutreffende Hinweise zur Pflichtversicherung und zur Möglichkeit der Befreiung innerhalb der 3-Monatsfrist. Ein weiteres Informationsblatt habe die Klägerin von der Beklagten erhalten.
Am 16.06.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie ausgeführt, die Beklagte habe mit den im Widerspruchsbescheid genannten Merkblättern nicht ihrer Beratungspflicht Genüge getan. Die Übersendung von Merkblättern reiche für eine ordnungsgemäße Beratung nicht aus, wenn der Versicherte in schwierigen Fragen um Beratung gebeten und seine Unsicherheit deutlich gemachte habe oder sich ein besonderer Beratungsbedarf anderweitig ergeben habe. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Klägerin das Merkblatt der Beigeladenen zu 2) nicht übergeben worden sei. Der Inhalt des Merkblattes sei zudem völlig unzureichend. Die Befreiungsmöglichkeit werde auf einer knappen halben Seite behandelt und sei so abstrakt gehalten, dass es für die Klägerin als Laie völlig abwegig sei, ihre Situation als Beihilfeberechtigte als einen der möglichen Anwendungsfälle auf die dortigen Formulierungen zu übertragen. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde nicht hingewiesen. Der Klägerin sei es daher nicht möglich gewesen, rechtzeitig einen entsprechenden Antrag binnen Jahresfrist nach § 27 Abs 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu stellen. Das Informationsblatt der Beklagten sei noch unzureichender.
Die Beklagte hat erwidert, ein Beratungsfehler liege nicht vor. Die Merkblätter seien ausreichend. Die Befreiung nach § 8 Abs 1 Nr 4 SGB V sei an keine Bedingungen geknüpft, so dass die betreffende Person für sich selbst entscheiden müsse, ob sie die gesetzliche Krankenversicherung verlassen wolle. Über ihre Beihilfeberechtigung und die Möglichkeit sich ggf privat zu versichern, dürfte die Klägerin informiert gewesen sein. Es sei daher nicht ersichtlich, welche darüber hinausgehende Aufklärung "von Amts wegen" hätte erfolgen müssen. Wenn die Klägerin die Aufklärung als unzureichend empfunden und weiteren Beratungsbedarf gehabt habe, hätte sie sich mit einem entsprechenden Begehren an die Beklagte wenden müssen.
Mit Urteil vom 16.11.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe die Frist zur Beantragung der Befreiung von der KVdR versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht. Die Klägerin habe den Erhalt des Merkblattes der Beigeladenen zu 2) mit ihrer Unterschrift bestätigt. Soweit die Klägerin vortrage, das Merkblatt sei unzureichend, sei ihr entgegenzuhalten, dass von der Möglichkeit einer entsprechenden Nachfrage bzw ergänzenden Beratung kein Gebrauch gemacht worden sei. Die Beklagte habe mit der Aushändigung des Merkblattes und den darin enthaltenen allgemein verständlichen Hinweisen ihrer Auskunfts- und Beratungspflicht Genüge getan.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.01.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.02.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, sie habe Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da die fehlende Kenntnis von der Befreiungsmöglichkeit auf dem unzutreffenden Merkblatt der Beklagten beruhe, das sie ohnehin nicht erhalten habe. Dort werde unzutreffend ausgeführt, dass es sich um eine Ausschlussfrist handele und eine Befreiung nach Ablauf der Frist nicht möglich sei. Zudem bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Selbst wenn unterstellt würde, dass sie das Merkblatt erhalten habe, sei die Beklagte ihren Aufklärungs- und Beratungspflichten mit diesem Merkblatt nicht nachgekommen. Der Klägerin könne auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie von der Beklagten nicht eine ergänzende Beratung verlangt habe. Aufgrund des Inhalts des Merkblattes habe die Klägerin nicht auf die Idee kommen können, dass die Befreiungsmöglichkeit sie betreffe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 16.11.2010 und des Bescheids der Beklagten vom 29.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2009 zu verurteilen, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Versicherungspflichtig in der Gesetzlichen Krankenversicherung sind Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert waren (§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB V). Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht für Rentenbezieher nach Maßgabe von § 8 Abs 1 Nr 4, Abs 2 SGB V (in der Fassung vom 19.6.2001). Danach wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch den Antrag auf Rente oder den Bezug von Rente oder die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Abs 1 Nr 6, 11 oder 12 SGB V). Der Antrag ist nach § 8 Abs 2 Satz 1 SGB V innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse zu stellen. Die Befreiung wirkt vom Beginn der Versicherungspflicht an, wenn seit diesem Zeitpunkt noch keine Leistungen in Anspruch genommen wurden, sonst vom Beginn des Kalendermonats an, der auf die Antragstellung folgt (§ 8 Abs 2 Satz 2 SGB V). Die Befreiung kann gemäß § 8 Abs 2 Satz 3 SGB V nicht widerrufen werden.
Die Klägerin hat nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht einen Antrag auf Befreiung gestellt. Auch dies steht nicht im Streit. Die Frist begann auch nicht deshalb von Neuem zu laufen, weil die Rente der Klägerin wegen einer Änderung des Arbeitsentgelts neu zu berechnen war. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Beginn des Fristlaufs ist nicht die Verbescheidung des Rentenantrags, sondern der Beginn der Versicherungspflicht.
Wiedereinsetzung ist wegen der versäumten Frist zur Beantragung der Befreiung nicht zu gewähren. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm gem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Unabhängig von der Frage, ob eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 8 Abs 2 Satz 1 SGB V überhaupt möglich ist (vgl § 27 Abs 5 SGB X, dazu: BSG 09.02.1993, 12 RK 28/92, SozR 3-1300 § 27 Nr 3; BSG 25.10.1988, 12 RK 22/87, BSGE 64, 153; BSG 10.06.1980, 11 RK 11/79, juris), scheidet die Wiedereinsetzung bereits deshalb aus, weil die Klägerin die versäumte Handlung nicht innerhalb eines Jahres nach Fristablauf nachgeholt hat. Denn nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 27 Abs 3 SGB X). Die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V begann mit der Beantragung der Altersrente am 16.05.2007. Damit endete die 3-Monatsfrist für den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht am 16.08.2007 (§ 26 Abs 1 iVm § 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Erst mit Schreiben vom 14.10.2008 holte die Klägerin die versäumte Handlung nach, also mehr als ein Jahr nach Fristablauf. Anhaltspunkte dafür, dass sie aus Gründen höherer Gewalt an der rechtzeitigen Nachholung gehindert war, liegen nicht vor. Die bloße Unkenntnis von der Jahresfrist genügt hierfür nicht.
Darüber hinaus scheitert eine Wiedereinsetzung auch daran, dass die Klägerin nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist des § 8 Abs 2 Satz 1 SGB V einzuhalten. Das folgt aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei Verkündung von Gesetzen, der besagt, dass diese mit ihrer Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt gelten, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie tatsächlich Kenntnis erlangt haben (BSG 25.07.2002, B 10 LW 7/02 R, juris; BSG 21.05.1996, 12 RK 43/95, SozR 3-5070 § 21 Nr 3; BSG 09.02.1993, 12 RK 28/92, SozR 3-1300 § 27 Nr 3).
Schließlich kann die Klägerin auch nicht nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verlangen, so gestellt zu werden, als habe sie den Befreiungsantrag fristgerecht gestellt. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15 und 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch ( SGB I )) verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat sowie ferner, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R, BSGE 92, 241). Auf seiner Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der Herstellungsanspruch kann einen Versicherungsträger somit nur zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten, das rechtlich zulässig ist (vgl BSG 12.10.1979, 12 RK 47/77, juris). Voraussetzung ist damit neben der Pflichtverletzung im Sinne einer fehlenden oder unvollständigen bzw unrichtigen Beratung, dass der dem Versicherten entstandene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Handlung, ausgeglichen werden kann (BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R, BSGE 92, 241).
Eine Pflichtverletzung der Beklagten oder der Beigeladenen zu 2) liegt nicht vor. Zwar entfällt eine Beratungspflicht der Beklagten nicht schon deshalb, weil die Klägerin nicht mit einem konkreten Auskunftsbegehren hinsichtlich der Befreiung von der Versicherungspflicht an die Beklagte oder die Beigeladene zu 2) herangetreten ist. Denn aufgrund des Rentenverfahrens bestand ein konkreter Anlass zur Beratung nach § 14 SGB I (allg zur Betreuungspflicht des Versicherungsträgers bei laufendem Rentenverfahren: BSG 25.04.1978, 5 RJ 18/77, BSGE 46, 124; BSG 22.11.1988, 5/4a RJ 79/87, SozR 5750 Art 2 § 6 Nr 4; BSG 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R, juris). Die Sozialleistungsträger haben nach § 2 SGB I im Rahmen eines laufenden Verwaltungsverfahrens sicherzustellen, dass die sozialen Rechte des Versicherten möglichst weitgehend gewahrt werden. Für die Träger der Rentenversicherung gilt darüber hinaus, dass sie die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen sollen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen (§ 115 Abs 6 SGB VI). Auf die Frage, ob sich der Behörde im konkreten Einzelfall eine Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht in der KVdR aufdrängen musste, kommt es nicht an. Im Rahmen eines Rentenverfahrens besteht grundsätzlich die Pflicht auf die Befreiungsmöglichkeit hinzuweisen. Dieser Verpflichtung hat die Beklagte bzw die Beigeladene zu 2) entsprochen, indem der Klägerin das Merkblatt zur KVdR (R815) ausgehändigt worden ist.
Die Klägerin hat zur Überzeugung des Senats das Merkblatt von der Beigeladenen zu 2) erhalten. Sie selbst und ein Mitarbeiter der Beigeladenen zu 2) haben auf dem Formular zur Meldung zur KVdR den Erhalt bzw die Aushändigung des Merkblattes mit ihren Unterschriften bestätigt. Der Senat sieht keinen Grund, an der Richtigkeit der damit verbundenen Erklärungen zu zweifeln. Aber selbst wenn von einem "non liquet" auszugehen wäre, ginge die Nichterweislichkeit zulasten der Klägerin. Die Folgen einer Beweislosigkeit trägt grundsätzlich der Beteiligte, der aus der behaupteten, jedoch nicht erweislichen Tatsache eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (ständige Rechtsprechung; vgl BSG 24.10.1957, 10 RV 945/55, BSGE 6, 70; BSG 24.05.2006, B 11a AL 7/05 R, BSGE 96, 238). Vorliegend behauptet die Klägerin eine Pflichtverletzung der Beklagten, für deren Vorliegen die Klägerin beweispflichtig ist. Für den Zugang eines Hinweisschreibens trägt allerdings grundsätzlich die Behörde die Beweislast (BSG 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, SozR 4-2600 § 115 Nr 2). Lässt sich der Sozialleistungsträger aber die Aushändigung eines Hinweisschreibens oder Merkblattes durch Unterschrift des Versicherten bestätigen, führt dies zur Beweislastumkehr hinsichtlich des Erhalts des Schriftstückes. Behauptet demnach der Versicherte, das Schriftstück trotz Quittierung nicht erhalten zu haben, trägt er hierfür die Beweislast. Der fehlende Nachweis dafür, dass die Klägerin das Merkblatt von der Beigeladenen zu 2) nicht erhalten hat, ginge daher zu ihren Lasten.
Das Merkblatt "R815" der Beigeladenen zu 2) erfüllt die Aufklärungs- und Beratungspflichten in Bezug auf die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR (so auch: Bayerisches LSG 21.03.2006, L 5 KR 41/05, juris; LSG Rheinland-Pfalz 08.02.2007, L 5 KR 141/06, juris; vgl auch LSG Nordrhein-Westfalen 16.06.2011, L 1 KR 548/10, juris). Es wird sowohl auf die grundsätzliche Möglichkeit der Befreiung als auch auf die dreimonatige Frist hingewiesen. Die Ausführungen sind im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen in § 8 SGB V weder unrichtig noch missverständlich. Als Befreiungsgrund wird lediglich beispielhaft eine private Krankenversicherung angegeben. Aus dieser offenen Formulierung ist hinreichend deutlich erkennbar, dass auch der Fall der Klägerin eine Befreiung ermöglichen kann. Etwaige Unklarheiten hätte die Klägerin durch Nachfragen bei der Beklagten ausräumen können und müssen (vgl Senatsurteil vom 29.08.2006, L 11 KR 202/06, juris). Eine Beratungspflicht über die Sozialleistungssysteme hinaus für eine private Krankenversicherung oder die Inanspruchnahme von Beihilfeleistungen bestand seitens der Beklagten bzw der Beigeladenen zu 2) nicht (vgl BSG 24.07.2003, B 4 RA 13/03 R, SozR 4-1200 § 46 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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