Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 4064/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3457/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB 8 dürfen medizinische Rehabilitationsmaßnahmen nur von solchen Leistungserbringern erbracht werden, die auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Leistungserbringung zugelassen sind.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.06.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.725,94 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Der klagende Jugendhilfeträger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung der Kosten einer dem Beigeladenen gewährten Verhaltenstherapie in einer Privatpraxis.
Der Beigeladene wurde 1994 geboren und ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens in Form eines Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS).
Bereits im Zeitraum von 2002 bis 2004 fand eine – vorliegend nicht streitgegenständliche – heilpädagogische Entwicklungsmaßnahme im Psychologischen Institut Sch. (PIA) statt. Der Kläger bewilligte dem Beigeladenen diese Maßnahme und übernahm die Kosten, nachdem die Beklagte eine Kostenübernahme mit dem Argument ablehnte, eine solche Maßnahme gehöre nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Am 03.05.2005 beantragten die Eltern des Beigeladenen bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Verhaltenstherapie in der psychotherapeutischen Privatpraxis Dr. N. in Sch ... Zur Begründung gaben sie an, sie seien seit Ende 2004 – bislang ohne Erfolg – bemüht, einen Platz bei einem Verhaltenstherapeuten mit Kassenzulassung zu finden. Um einer Chronifizierung vorzubeugen, benötige der Beigeladene sobald wie möglich therapeutische Hilfe. Mit Schreiben vom 03.05.2005 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Die Kosten für eine Therapie außerhalb der geltenden Verträge sei nicht möglich. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) habe drei zugelassene Ärzte mit freien Therapieplätzen benannt. Dort könne eine Behandlung zulasten der Beklagten erfolgen. Nachdem die Eltern des Beigeladenen der Beklagten mitgeteilt hatten, dass sie einen Therapieplatz bei einem zugelassenen Therapeuten nicht bekommen könnten, leitete die Beklagte die Antragsunterlagen mit Schreiben vom 07.06.2005 an den Kläger weiter.
Der Kläger ließ den Beigeladenen daraufhin begutachten. Die Gutachter, Dipl. Psych. U. und Prof. d. B., gelangten im Gutachten vom 11.07.2005 zu dem Ergebnis, dass ein dringender Therapiebedarf bestünde. Verhaltenstherapie erscheine aufgrund des ausgeprägten ADHS besonders geeignet, wobei ein reines Verhaltens- und Strategietraining nicht ausreichend sei, sondern auch die familiäre Problematik wichtiger Therapieinhalt sein solle. Andere anerkannte Therapieverfahren für die Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen kämen ebenso in Frage, wobei die empfohlene Psychotherapie eine Leistung der Krankenkasse sei. Die Voraussetzungen für Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) iVm § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) seien gegeben.
Am 22.07.2005 ging dem Kläger – auf seine Veranlassung hin – ein von den Eltern des Beigeladenen ausgefülltes Formular zur Beantragung von ambulanter Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zu.
Mit Bescheid vom 26.07.2005 bewilligte der Kläger dem Beigeladenen die Kostenübernahme für eine Verhaltenstherapie bei Dr. N. als Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Der Kläger begrenzte die Kostenübernahme vorläufig auf 60 Therapieeinheiten. Der Therapeutin teilte der Kläger zugleich mit, es sei ein Antragsverfahren nach der Psychotherapie-Richtlinie erforderlich.
In der Zeit vom 02.08.2005 bis 04.10.2005 führte Dr. N. fünf probatorische Sitzungen mit dem Beigeladenen durch. Mit Rechnung vom 14.10.2005 forderte Dr. N. hierfür von dem Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 231,15 EUR. Sie rechnete auf Grundlage des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM) und der Punktwertermittlung der KVBW ab. Der Kläger zahlte diesen Betrag.
Mit Schreiben vom 21.10.2005 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der Kosten für die probatorischen Sitzungen geltend. Hierauf antwortete die Beklagte, dass sich ihre Auffassung zur außervertraglichen Psychotherapie nicht geändert habe. Sie schlug vor, die bereits anhängigen Gerichtsverfahren in parallelen Streitigkeiten abzuwarten.
Am 25.10.2005 übermittelte Dr. N. der Beklagten einen Antrag nach Formblatt "PTV 2a" der Psychotherapie-Richtlinie.
Vom 11.10.2005 bis 18.07.2006 erbrachte Dr. N. insgesamt 31 verhaltenstherapeutische Einzelbehandlungen zu 50 min nach Gebührennummer (GNR) 35221 EBM und zwei Leistungen nach GNR 870 EBM (Einbeziehung von Bezugspersonen zu 50 min). Mit Rechnungen vom 10.01.2006, 03.03.2006, 01.05.2006, 08.07.2006 und 21.09.2006 machte sie insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.726,79 EUR gegenüber dem Kläger geltend. Der Kläger zahlte diesen Betrag.
Am 25.04.2006 wurde Dr. N. von der KVBW zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung mit Sitz in Ravensburg zugelassen. Die Privatpraxis in Sch. wurde von der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin D. R. fortgeführt. Die Therapeutin führte vom 18.10.2006 bis 21.11.2008 insgesamt 41 psychotherapeutische Leistungen nach der GNR 35221 EBM (teilweise mit Bezugsperson) durch. Mit Rechnungen vom 20.12.2006, 02.04.2007, 30.06.2007, 10.01.2008, 27.03.2008, 03.06.2008, 10.10.2008 und 05.01.2009 machte sie insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.987,00 EUR gegenüber dem Kläger geltend (73,00 EUR pro Leistung). Der Kläger zahlte diesen Betrag mit Ausnahme zweier Leistungen in Höhe von jeweils 73,00 EUR.
Am 23.05.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zuletzt beantragt, dem Kläger einen Betrag in Höhe von 5.725,94 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe die Kosten für die Psychotherapie des Beigeladenen im Zeitraum vom 02.08.2005 bis 21.11.2008 in vollem Umfang zu erstatten. Es habe sich sowohl um eine Leistung der GKV als auch um eine Eingliederungsmaßnahme nach dem Kinder- und Jugendhilferecht gehandelt. Der Kläger sei jedoch nur nachrangig verpflichtet und hätte bei einer rechtzeitigen Leistung der Beklagten selbst keine Leistungen erbringen müssen. Trotz Leistungspflicht der Beklagten habe der Kläger als nachrangiger Träger von medizinischen Rehabilitationsleistungen seine entsprechende Leistung in eigener Zuständigkeit zu erbringen. Der Kläger sei insbesondere leistungsverpflichtet, wenn Leistungen der Krankenversicherung nicht oder zu spät erbracht werden. Dies sei der Fall, da es im Landkreis R.-M. keine niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und keine Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten der verhaltenstherapeutischen Fachrichtung gäbe. In den angrenzenden Gebieten seien die Therapieplätze mit Wartezeiten von über sechs Monaten verbunden. Aufgrund des dringenden Therapiebedürfnisses des Beigeladenen sei der Kläger zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Der Nachrang der Jugendhilfe könne dann nur über die Kostenerstattung wieder hergestellt werden. Die Beklagte könne dem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegenhalten, dass sie die Maßnahme nicht rechtmäßig hätte erbringen dürfen, weil die Therapeutin keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung besitze. Außervertragliche Behandlungskosten seien nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu erbringen, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht werden könne.
Während des Klageverfahrens bewilligte der Kläger mit Bescheid vom 24.10.2007 die Weitergewährung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form von 15 weiteren psychotherapeutischen Einzelsitzungen und 4 Sitzungen mit Bezugsperson, nachdem ein weiteres Gutachten von Prof. d. B. und Dipl. Psych. Sch. vom 20.09.2007 ergeben hatte, dass weiterhin Bedarf für eine Psychotherapie bestand.
Mit Urteil vom 15.06.2010 hat das SG der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Erstattungsanspruch des Klägers folge aus § 104 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Für einen solchen Erstattungsanspruch reiche es aus, dass die Leistung des nachrangigen Trägers rechtmäßig sei und die Leistung, die der vorrangige Träger hätte erbringen müssen, in gleichartiger Form und gleichzeitig hätte erbracht werden müssen. Es genüge, dass ein Anspruch dem Grunde nach gegen den vorrangig Verpflichteten bestanden habe. Es sei nicht maßgeblich, ob der vorrangige Träger die konkrete Leistung hätte erbringen dürfen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in einer ähnlichen Konstellation entschieden, ein Erstattungsanspruch dürfe nicht daran scheitern, dass die Maßnahme in einer Einrichtung durchgeführt worden sei, mit der die Krankenkasse keinen Versorgungsvertrag abgeschlossen habe, obwohl die Krankenkasse selbst nur eine Maßnahme in einer Vertragseinrichtung hätte erbringen dürfen (B 1 KR 36/06 R). Dem sei zuzustimmen, da letztlich dem Träger die Kosten zur Last fallen sollten, der im Allgemeinen zuständig gewesen sei. Ansonsten seien diesem Aufwendungen erspart geblieben. Der Beigeladene habe gegen die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf eine verhaltenstherapeutische Behandlung gehabt. Zugleich seien die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Eingliederungshilfe erfüllt gewesen. Die durchgeführte Maßnahme sei zudem eine Krankenbehandlung gewesen, für die die Beklagte zuständig gewesen sei. Die Therapie habe schwerpunktmäßig einen medizinischen Charakter gehabt. Der Erstattungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass die Behandlerinnen keine nach dem SGB V zugelassenen Leistungserbringer gewesen seien. Der Kläger habe die Leistung als nachrangig Verpflichteter in einer nach seinen Regelungen zugelassenen Einrichtung erbringen dürfen. Für das Jugendhilferecht reiche die Approbation als Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus.
Gegen das der Beklagten am 19.07.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.07.2010 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung hat die Beklagte im Wesentlichen vorgetragen, der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe in der Psychotherapie-Richtlinie zwingende Vorgaben zur Durchführung einer Psychotherapie gemacht. Fänden diese Regelungen keine Anwendung, würden die Entscheidungen des GBA unterlaufen. Für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bestünde ein Genehmigungsvorbehalt. Diese Bestimmungen könnten im Rahmen eines Erstattungsanspruchs nicht ignoriert werden. Bei den von der Einrichtung PIA erbrachten Leistungen handele es sich nicht um anerkannte Psychotherapieverfahren. Eine Gleichartigkeit der Leistungen sei daher nicht gegeben. § 104 SGB X finde zudem keine Anwendung, wenn der Gesetzgeber die Zuständigkeit unter mehreren konkurrierenden Leistungsträgern ausdrücklich bestimmt habe, also bereits dem Grunde nach nur einer der beteiligten Leistungsträger zuständig sein könne. Die Zuständigkeit sei im Fall der Eingliederungshilfe - hier in Form einer multimodalen Therapie des PIA - klar geregelt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 15.06.2010 aufzuheben und die Klage abzu- weisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Klägers und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für die psychotherapeutische Behandlung des Beigeladenen im Zeitraum vom 02.08.2005 bis 21.11.2008.
Die §§ 102 und 103 SGB X scheiden als Anspruchsgrundlagen von vornherein aus. Der Kläger erbrachte keine vorläufigen Leistungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften (§ 102 SGB X). Seine Leistungsverpflichtung ist auch nicht nachträglich entfallen (§ 103 SGB X).
Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). Erläuternd führt § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Voraussetzung des Erstattungsanspruchs ist, dass vergleichbare und zeitlich kongruente Leistungspflichten des leistenden, Erstattung begehrenden Trägers einerseits und des als erstattungspflichtig in Anspruch genommenen Trägers andererseits bestanden haben (BSG 17.02.2010, B 1 KR 23/09 R, BSGE 105, 271 mwN).
Ein Anspruch des Klägers aus § 104 SGB X scheitert schon daran, dass der Kläger hinsichtlich der dem Beigeladenen gewährten Verhaltenstherapie in einer Privatpraxis selbst nicht leistungsverpflichtet war.
Nach § 35a Abs 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr 1), und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr 2). Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs 1 Satz 2 SGB VIII). Die Beteiligten gehen übereinstimmend vom Vorliegen dieser Voraussetzungen, insbesondere einer seelischen Störung des Beigeladenen, aus. Bestätigt wird dies durch das Gutachten von Dipl. Psych. U. und Prof. du B. vom 11.07.2005, wonach eine seelische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichten, dass die Fähigkeiten zur Eingliederung in die Gesellschaft deutlich gefährdet waren. Der Beigeladene hatte unter Zugrundelegung dieser Feststellungen dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe. Eingliederungshilfe kann als medizinische Rehabilitationsleistung in Form einer Psychotherapie gewährt werden (§ 35a Abs 3 VIII iVm § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 26 Abs 2 Nr 5 SGB IX).
Die Leistungsverpflichtung des Klägers scheitert jedoch daran, dass nach § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe den Rehabilitationsleistungen der GKV entsprechen. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe keine geringeren, aber auch keine weitergehenden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erbringen sind als in der GKV (LSG Nordrhein-Westfalen 27.08.2009, L 9 SO 5/08, juris; vgl auch BSG 29.09.2009, B 8 SO 19/08 R, juris RdNr 20). Es soll eine Besserstellung der Empfänger der Eingliederungshilfe und ergänzender Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber Berechtigten der Krankenversicherung vermieden werden (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 54 RdNr 56; Wehrhahn in: jurisPK-SGB XII, § 54 RdNr 17; vgl BT-Drucks 14/5074, S 124 zu § 40). Damit dürfen medizinische Rehabilitationsleistungen nur von solchen Leistungserbringern erbracht werden, die auch von den gesetzlichen Krankenkassen zur Leistungserbringung zugelassen sind (Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, § 54 RdNr 13). Der Träger der Kinder- und Jugendhilfe darf keine medizinischen Rehabilitationsleistungen bewilligen, die über den Leistungsanspruch des Versicherten gegenüber der GKV hinausgehen, also auch keine Leistungen in Privatpraxen.
Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des BSG vom 26.06.2007 (B 1 KR 36/06 R, BSGE 98, 277). Das BSG hat darin ausgeführt, dass ein Erstattungsanspruch nicht allein daran scheitere, dass der Erstattungspflichtige keinen Versorgungsvertrag mit dem Leistungserbringer habe, da der Erstattungsanspruch andernfalls zweckwidrig über Gebühr eingeschränkt würde. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Erstattung begehrende Träger keine Veranlassung für die Inanspruchnahme der Einrichtungen des ersatzpflichtigen Leistungsträgers hat (vgl BSG 30.05.1978, 1 RA 81/77, SozR 3100 § 18c Nr 9). Der dort nachrangig verpflichtete Rehabilitationsträger hatte keine Veranlassung die Einrichtungen des vorrangig Verpflichteten in Anspruch zu nehmen und erbrachte Leistungen in einer nach seinem Recht zugelassenen Einrichtung. Hiervon abweichend, war der Kläger vorliegend nach § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII verpflichtet, Leistungserbringer der GKV in Anspruch zu nehmen.
Es bestand seitens des Klägers somit keine Leistungsverpflichtung für eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Form einer Psychotherapie in einer nicht nach dem Recht der GKV zugelassenen Praxis. Bereits aus diesem Grund scheidet ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X aus.
Ein Erstattungsanspruch über § 104 SGB X besteht auch nicht für den Fall, dass der bewilligten Maßnahme vorrangig Ziele der sozialen Rehabilitation anhafteten. Denn für Eingliederungsmaßnahmen in Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 35a Abs 3 VIII iVm § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 SGB IX) ist der Kläger ohnehin vorrangig zuständig. Eine kongruente Leistungsverpflichtung der Beklagten ergibt sich für derartige Maßnahmen nicht.
Ein Erstattungsanspruch kann auch nicht auf § 14 Abs 4 SGB IX gestützt werden. Danach erstattet der nach materiellem Recht zuständige Rehabilitationsträger dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Denn ungeachtet der Frage, ob der Kläger hier überhaupt als zweitangegangener Rehabilitationsträger gehandelt hat (das aber wäre Voraussetzung, vgl BSG 26.06.2007, B 1 KR 34/06 R, juris RdNr 21), scheitert ein Erstattungsanspruch hier ebenfalls an dem Umstand, dass der Kläger Leistungen bei einem nicht nach dem Recht der GKV zugelassenen Leistungsträger bewilligt hat bzw die Beklagte nicht zuständiger Träger für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist.
Auch § 105 SGB X begründet keinen Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Psychotherapie gegen die Beklagte. Nach dieser Regelung ist der zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, soweit der zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Voraussetzung von § 105 SGB X ist es, dass der erstattungsberechtigte Leistungsträger wegen Unzuständigkeit Leistungen rechtswidrig erbracht hat. Die Anwendung der Erstattungsnorm scheidet aus, wenn die Rechtswidrigkeit der Leistung nicht nur aus der Unzuständigkeit, sondern aus einem Widerspruch zum materiellen Recht folgt (Klattenhoff in Hauck/Noftz, § 105 SGB X RdNr 6). Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger hat Leistungen bewilligt, die nicht mit dem für ihn maßgeblichen Rechtsvorschriften vereinbar sind (vgl oben). Der zu Unrecht leistende Träger ist in einem solchen Fall darauf beschränkt, die Leistungen gemäß § 50 SGB X vom Empfänger zurückzufordern. Er kann sich nicht bei einem anderen Leistungsträger schadlos halten (vgl BSG 25.01.1994, 7 Rar 42/93, juris mwN).
Ein Erstattungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 13 SGB V. Diese Regelung begründet keine Anspruchsgrundlage zwischen Leistungsträgern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der streitigen Rechtsfragen zugelassen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.725,94 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Der klagende Jugendhilfeträger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung der Kosten einer dem Beigeladenen gewährten Verhaltenstherapie in einer Privatpraxis.
Der Beigeladene wurde 1994 geboren und ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens in Form eines Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS).
Bereits im Zeitraum von 2002 bis 2004 fand eine – vorliegend nicht streitgegenständliche – heilpädagogische Entwicklungsmaßnahme im Psychologischen Institut Sch. (PIA) statt. Der Kläger bewilligte dem Beigeladenen diese Maßnahme und übernahm die Kosten, nachdem die Beklagte eine Kostenübernahme mit dem Argument ablehnte, eine solche Maßnahme gehöre nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Am 03.05.2005 beantragten die Eltern des Beigeladenen bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Verhaltenstherapie in der psychotherapeutischen Privatpraxis Dr. N. in Sch ... Zur Begründung gaben sie an, sie seien seit Ende 2004 – bislang ohne Erfolg – bemüht, einen Platz bei einem Verhaltenstherapeuten mit Kassenzulassung zu finden. Um einer Chronifizierung vorzubeugen, benötige der Beigeladene sobald wie möglich therapeutische Hilfe. Mit Schreiben vom 03.05.2005 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Die Kosten für eine Therapie außerhalb der geltenden Verträge sei nicht möglich. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) habe drei zugelassene Ärzte mit freien Therapieplätzen benannt. Dort könne eine Behandlung zulasten der Beklagten erfolgen. Nachdem die Eltern des Beigeladenen der Beklagten mitgeteilt hatten, dass sie einen Therapieplatz bei einem zugelassenen Therapeuten nicht bekommen könnten, leitete die Beklagte die Antragsunterlagen mit Schreiben vom 07.06.2005 an den Kläger weiter.
Der Kläger ließ den Beigeladenen daraufhin begutachten. Die Gutachter, Dipl. Psych. U. und Prof. d. B., gelangten im Gutachten vom 11.07.2005 zu dem Ergebnis, dass ein dringender Therapiebedarf bestünde. Verhaltenstherapie erscheine aufgrund des ausgeprägten ADHS besonders geeignet, wobei ein reines Verhaltens- und Strategietraining nicht ausreichend sei, sondern auch die familiäre Problematik wichtiger Therapieinhalt sein solle. Andere anerkannte Therapieverfahren für die Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen kämen ebenso in Frage, wobei die empfohlene Psychotherapie eine Leistung der Krankenkasse sei. Die Voraussetzungen für Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) iVm § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) seien gegeben.
Am 22.07.2005 ging dem Kläger – auf seine Veranlassung hin – ein von den Eltern des Beigeladenen ausgefülltes Formular zur Beantragung von ambulanter Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zu.
Mit Bescheid vom 26.07.2005 bewilligte der Kläger dem Beigeladenen die Kostenübernahme für eine Verhaltenstherapie bei Dr. N. als Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Der Kläger begrenzte die Kostenübernahme vorläufig auf 60 Therapieeinheiten. Der Therapeutin teilte der Kläger zugleich mit, es sei ein Antragsverfahren nach der Psychotherapie-Richtlinie erforderlich.
In der Zeit vom 02.08.2005 bis 04.10.2005 führte Dr. N. fünf probatorische Sitzungen mit dem Beigeladenen durch. Mit Rechnung vom 14.10.2005 forderte Dr. N. hierfür von dem Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 231,15 EUR. Sie rechnete auf Grundlage des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM) und der Punktwertermittlung der KVBW ab. Der Kläger zahlte diesen Betrag.
Mit Schreiben vom 21.10.2005 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der Kosten für die probatorischen Sitzungen geltend. Hierauf antwortete die Beklagte, dass sich ihre Auffassung zur außervertraglichen Psychotherapie nicht geändert habe. Sie schlug vor, die bereits anhängigen Gerichtsverfahren in parallelen Streitigkeiten abzuwarten.
Am 25.10.2005 übermittelte Dr. N. der Beklagten einen Antrag nach Formblatt "PTV 2a" der Psychotherapie-Richtlinie.
Vom 11.10.2005 bis 18.07.2006 erbrachte Dr. N. insgesamt 31 verhaltenstherapeutische Einzelbehandlungen zu 50 min nach Gebührennummer (GNR) 35221 EBM und zwei Leistungen nach GNR 870 EBM (Einbeziehung von Bezugspersonen zu 50 min). Mit Rechnungen vom 10.01.2006, 03.03.2006, 01.05.2006, 08.07.2006 und 21.09.2006 machte sie insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.726,79 EUR gegenüber dem Kläger geltend. Der Kläger zahlte diesen Betrag.
Am 25.04.2006 wurde Dr. N. von der KVBW zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung mit Sitz in Ravensburg zugelassen. Die Privatpraxis in Sch. wurde von der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin D. R. fortgeführt. Die Therapeutin führte vom 18.10.2006 bis 21.11.2008 insgesamt 41 psychotherapeutische Leistungen nach der GNR 35221 EBM (teilweise mit Bezugsperson) durch. Mit Rechnungen vom 20.12.2006, 02.04.2007, 30.06.2007, 10.01.2008, 27.03.2008, 03.06.2008, 10.10.2008 und 05.01.2009 machte sie insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.987,00 EUR gegenüber dem Kläger geltend (73,00 EUR pro Leistung). Der Kläger zahlte diesen Betrag mit Ausnahme zweier Leistungen in Höhe von jeweils 73,00 EUR.
Am 23.05.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zuletzt beantragt, dem Kläger einen Betrag in Höhe von 5.725,94 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe die Kosten für die Psychotherapie des Beigeladenen im Zeitraum vom 02.08.2005 bis 21.11.2008 in vollem Umfang zu erstatten. Es habe sich sowohl um eine Leistung der GKV als auch um eine Eingliederungsmaßnahme nach dem Kinder- und Jugendhilferecht gehandelt. Der Kläger sei jedoch nur nachrangig verpflichtet und hätte bei einer rechtzeitigen Leistung der Beklagten selbst keine Leistungen erbringen müssen. Trotz Leistungspflicht der Beklagten habe der Kläger als nachrangiger Träger von medizinischen Rehabilitationsleistungen seine entsprechende Leistung in eigener Zuständigkeit zu erbringen. Der Kläger sei insbesondere leistungsverpflichtet, wenn Leistungen der Krankenversicherung nicht oder zu spät erbracht werden. Dies sei der Fall, da es im Landkreis R.-M. keine niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und keine Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten der verhaltenstherapeutischen Fachrichtung gäbe. In den angrenzenden Gebieten seien die Therapieplätze mit Wartezeiten von über sechs Monaten verbunden. Aufgrund des dringenden Therapiebedürfnisses des Beigeladenen sei der Kläger zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Der Nachrang der Jugendhilfe könne dann nur über die Kostenerstattung wieder hergestellt werden. Die Beklagte könne dem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegenhalten, dass sie die Maßnahme nicht rechtmäßig hätte erbringen dürfen, weil die Therapeutin keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung besitze. Außervertragliche Behandlungskosten seien nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu erbringen, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht werden könne.
Während des Klageverfahrens bewilligte der Kläger mit Bescheid vom 24.10.2007 die Weitergewährung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form von 15 weiteren psychotherapeutischen Einzelsitzungen und 4 Sitzungen mit Bezugsperson, nachdem ein weiteres Gutachten von Prof. d. B. und Dipl. Psych. Sch. vom 20.09.2007 ergeben hatte, dass weiterhin Bedarf für eine Psychotherapie bestand.
Mit Urteil vom 15.06.2010 hat das SG der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Erstattungsanspruch des Klägers folge aus § 104 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Für einen solchen Erstattungsanspruch reiche es aus, dass die Leistung des nachrangigen Trägers rechtmäßig sei und die Leistung, die der vorrangige Träger hätte erbringen müssen, in gleichartiger Form und gleichzeitig hätte erbracht werden müssen. Es genüge, dass ein Anspruch dem Grunde nach gegen den vorrangig Verpflichteten bestanden habe. Es sei nicht maßgeblich, ob der vorrangige Träger die konkrete Leistung hätte erbringen dürfen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in einer ähnlichen Konstellation entschieden, ein Erstattungsanspruch dürfe nicht daran scheitern, dass die Maßnahme in einer Einrichtung durchgeführt worden sei, mit der die Krankenkasse keinen Versorgungsvertrag abgeschlossen habe, obwohl die Krankenkasse selbst nur eine Maßnahme in einer Vertragseinrichtung hätte erbringen dürfen (B 1 KR 36/06 R). Dem sei zuzustimmen, da letztlich dem Träger die Kosten zur Last fallen sollten, der im Allgemeinen zuständig gewesen sei. Ansonsten seien diesem Aufwendungen erspart geblieben. Der Beigeladene habe gegen die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf eine verhaltenstherapeutische Behandlung gehabt. Zugleich seien die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Eingliederungshilfe erfüllt gewesen. Die durchgeführte Maßnahme sei zudem eine Krankenbehandlung gewesen, für die die Beklagte zuständig gewesen sei. Die Therapie habe schwerpunktmäßig einen medizinischen Charakter gehabt. Der Erstattungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass die Behandlerinnen keine nach dem SGB V zugelassenen Leistungserbringer gewesen seien. Der Kläger habe die Leistung als nachrangig Verpflichteter in einer nach seinen Regelungen zugelassenen Einrichtung erbringen dürfen. Für das Jugendhilferecht reiche die Approbation als Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus.
Gegen das der Beklagten am 19.07.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.07.2010 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung hat die Beklagte im Wesentlichen vorgetragen, der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe in der Psychotherapie-Richtlinie zwingende Vorgaben zur Durchführung einer Psychotherapie gemacht. Fänden diese Regelungen keine Anwendung, würden die Entscheidungen des GBA unterlaufen. Für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bestünde ein Genehmigungsvorbehalt. Diese Bestimmungen könnten im Rahmen eines Erstattungsanspruchs nicht ignoriert werden. Bei den von der Einrichtung PIA erbrachten Leistungen handele es sich nicht um anerkannte Psychotherapieverfahren. Eine Gleichartigkeit der Leistungen sei daher nicht gegeben. § 104 SGB X finde zudem keine Anwendung, wenn der Gesetzgeber die Zuständigkeit unter mehreren konkurrierenden Leistungsträgern ausdrücklich bestimmt habe, also bereits dem Grunde nach nur einer der beteiligten Leistungsträger zuständig sein könne. Die Zuständigkeit sei im Fall der Eingliederungshilfe - hier in Form einer multimodalen Therapie des PIA - klar geregelt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 15.06.2010 aufzuheben und die Klage abzu- weisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Klägers und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für die psychotherapeutische Behandlung des Beigeladenen im Zeitraum vom 02.08.2005 bis 21.11.2008.
Die §§ 102 und 103 SGB X scheiden als Anspruchsgrundlagen von vornherein aus. Der Kläger erbrachte keine vorläufigen Leistungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften (§ 102 SGB X). Seine Leistungsverpflichtung ist auch nicht nachträglich entfallen (§ 103 SGB X).
Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). Erläuternd führt § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Voraussetzung des Erstattungsanspruchs ist, dass vergleichbare und zeitlich kongruente Leistungspflichten des leistenden, Erstattung begehrenden Trägers einerseits und des als erstattungspflichtig in Anspruch genommenen Trägers andererseits bestanden haben (BSG 17.02.2010, B 1 KR 23/09 R, BSGE 105, 271 mwN).
Ein Anspruch des Klägers aus § 104 SGB X scheitert schon daran, dass der Kläger hinsichtlich der dem Beigeladenen gewährten Verhaltenstherapie in einer Privatpraxis selbst nicht leistungsverpflichtet war.
Nach § 35a Abs 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr 1), und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr 2). Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs 1 Satz 2 SGB VIII). Die Beteiligten gehen übereinstimmend vom Vorliegen dieser Voraussetzungen, insbesondere einer seelischen Störung des Beigeladenen, aus. Bestätigt wird dies durch das Gutachten von Dipl. Psych. U. und Prof. du B. vom 11.07.2005, wonach eine seelische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichten, dass die Fähigkeiten zur Eingliederung in die Gesellschaft deutlich gefährdet waren. Der Beigeladene hatte unter Zugrundelegung dieser Feststellungen dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe. Eingliederungshilfe kann als medizinische Rehabilitationsleistung in Form einer Psychotherapie gewährt werden (§ 35a Abs 3 VIII iVm § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 26 Abs 2 Nr 5 SGB IX).
Die Leistungsverpflichtung des Klägers scheitert jedoch daran, dass nach § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe den Rehabilitationsleistungen der GKV entsprechen. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe keine geringeren, aber auch keine weitergehenden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erbringen sind als in der GKV (LSG Nordrhein-Westfalen 27.08.2009, L 9 SO 5/08, juris; vgl auch BSG 29.09.2009, B 8 SO 19/08 R, juris RdNr 20). Es soll eine Besserstellung der Empfänger der Eingliederungshilfe und ergänzender Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber Berechtigten der Krankenversicherung vermieden werden (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 54 RdNr 56; Wehrhahn in: jurisPK-SGB XII, § 54 RdNr 17; vgl BT-Drucks 14/5074, S 124 zu § 40). Damit dürfen medizinische Rehabilitationsleistungen nur von solchen Leistungserbringern erbracht werden, die auch von den gesetzlichen Krankenkassen zur Leistungserbringung zugelassen sind (Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, § 54 RdNr 13). Der Träger der Kinder- und Jugendhilfe darf keine medizinischen Rehabilitationsleistungen bewilligen, die über den Leistungsanspruch des Versicherten gegenüber der GKV hinausgehen, also auch keine Leistungen in Privatpraxen.
Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des BSG vom 26.06.2007 (B 1 KR 36/06 R, BSGE 98, 277). Das BSG hat darin ausgeführt, dass ein Erstattungsanspruch nicht allein daran scheitere, dass der Erstattungspflichtige keinen Versorgungsvertrag mit dem Leistungserbringer habe, da der Erstattungsanspruch andernfalls zweckwidrig über Gebühr eingeschränkt würde. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Erstattung begehrende Träger keine Veranlassung für die Inanspruchnahme der Einrichtungen des ersatzpflichtigen Leistungsträgers hat (vgl BSG 30.05.1978, 1 RA 81/77, SozR 3100 § 18c Nr 9). Der dort nachrangig verpflichtete Rehabilitationsträger hatte keine Veranlassung die Einrichtungen des vorrangig Verpflichteten in Anspruch zu nehmen und erbrachte Leistungen in einer nach seinem Recht zugelassenen Einrichtung. Hiervon abweichend, war der Kläger vorliegend nach § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII verpflichtet, Leistungserbringer der GKV in Anspruch zu nehmen.
Es bestand seitens des Klägers somit keine Leistungsverpflichtung für eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Form einer Psychotherapie in einer nicht nach dem Recht der GKV zugelassenen Praxis. Bereits aus diesem Grund scheidet ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X aus.
Ein Erstattungsanspruch über § 104 SGB X besteht auch nicht für den Fall, dass der bewilligten Maßnahme vorrangig Ziele der sozialen Rehabilitation anhafteten. Denn für Eingliederungsmaßnahmen in Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 35a Abs 3 VIII iVm § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 SGB IX) ist der Kläger ohnehin vorrangig zuständig. Eine kongruente Leistungsverpflichtung der Beklagten ergibt sich für derartige Maßnahmen nicht.
Ein Erstattungsanspruch kann auch nicht auf § 14 Abs 4 SGB IX gestützt werden. Danach erstattet der nach materiellem Recht zuständige Rehabilitationsträger dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Denn ungeachtet der Frage, ob der Kläger hier überhaupt als zweitangegangener Rehabilitationsträger gehandelt hat (das aber wäre Voraussetzung, vgl BSG 26.06.2007, B 1 KR 34/06 R, juris RdNr 21), scheitert ein Erstattungsanspruch hier ebenfalls an dem Umstand, dass der Kläger Leistungen bei einem nicht nach dem Recht der GKV zugelassenen Leistungsträger bewilligt hat bzw die Beklagte nicht zuständiger Träger für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist.
Auch § 105 SGB X begründet keinen Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Psychotherapie gegen die Beklagte. Nach dieser Regelung ist der zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, soweit der zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Voraussetzung von § 105 SGB X ist es, dass der erstattungsberechtigte Leistungsträger wegen Unzuständigkeit Leistungen rechtswidrig erbracht hat. Die Anwendung der Erstattungsnorm scheidet aus, wenn die Rechtswidrigkeit der Leistung nicht nur aus der Unzuständigkeit, sondern aus einem Widerspruch zum materiellen Recht folgt (Klattenhoff in Hauck/Noftz, § 105 SGB X RdNr 6). Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger hat Leistungen bewilligt, die nicht mit dem für ihn maßgeblichen Rechtsvorschriften vereinbar sind (vgl oben). Der zu Unrecht leistende Träger ist in einem solchen Fall darauf beschränkt, die Leistungen gemäß § 50 SGB X vom Empfänger zurückzufordern. Er kann sich nicht bei einem anderen Leistungsträger schadlos halten (vgl BSG 25.01.1994, 7 Rar 42/93, juris mwN).
Ein Erstattungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 13 SGB V. Diese Regelung begründet keine Anspruchsgrundlage zwischen Leistungsträgern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der streitigen Rechtsfragen zugelassen.
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