Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 51/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4025/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. September 2011 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 90 statt des zuerkannten von 70 sowie die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (au-ßer¬ge¬wöhn¬lich gehbehindert).
Dem am 21.09.1944 geborenen Kläger deutscher Staatsangehörigkeit hatte das Landratsamt Ravensburg (LRA) als Versorgungsamt zuletzt mit Bescheid vom 18.09.2007 einen GdB von 60 sowie das Merkzeichen "G" (gehbehindert) zuerkannt. Jener Feststellung lagen eine Kniegelenks-Totalendoprothese (TEP) rechts und eine Funktionsbehinderung beider Knie-gelenke (Einzel-GdB nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von OMedR N. vom 17.09.2007: 40), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (WS), Nervenwurzel-reizerscheinun¬gen, Instabilität der WS und Versteifung von WS-Abschnitten (30) sowie eine erektile Dysfunktion (10) und eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (10) zu Grunde.
Am 22.12.2008 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "a.G.". Er trug vor, er habe nunmehr – auch – am linken Knie eine TEP erhalten, ferner habe er bei einem Motorradunfall am 16.09.2007 einen Sehnenabriss in der rechten Schulter erlitten. Er legte ärztliche Unterlagen vor, darunter den Entlassungsbericht der F.klinik B., Dr. M., vom 07.03.2008 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 18.02. bis 10.03.2008 (jeweils Gonarthrose und Zustand nach [Z.n.] Implantation einer Knie-TEP rechts im Jahre 2000 und links am 08.02.2008, Z.n Berstungsfraktur LWK2 [2. Lendenwirbelkörper] 1998 bei Spondy¬lo¬dese L1/L3, Fortbewegung mit Gehstützen, hinkendes Gangbild unter Vollbelastung, deutliche Schwellung u. a. am operierten Kniegelenk) und den Entlassungsbericht der W.-Kliniken Bad Waldsee, Dr. F., vom 15.12.2008 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 19.11. bis 10.12.2008 (Z.n. Patellektomie 03.11.2008 wegen Dislokation des Rückflächenersatzes und Fragmentierung der Kniescheibe bei Z.n. Knie-TEP 2/08 li., Z.n. Spondylodese L1 bis L3 1994 wegen L2-Berstungs¬fraktur, Beweglichkeitseinschränkung rechte Schulter bei Z.n. Rotatoren¬man¬schet¬ten- und Bizepssehnenruptur, Hypercholesterinämie). Unter Auswertung dieser Unterlagen schlug OMedR N. in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 09.02.2009 vor, für eine Knie¬gelenks-TEP rechts mit Funktionsbehinderung beider Kniegelenke einen GdB von 50 und bei unveränderter Bewertung im Übrigen weiterhin einen Gesamt-GdB von 60 anzunehmen. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" lägen nicht vor. Hierauf lehnte das LRA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 10.02.2009 ab.
Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger weitere Unterlagen vor, darunter das unfallchirurgisch-orthopädische Gutachten von Prof. Dr. A., O.-Klinik, vom 13.10.2008, das von einem privaten Versicherungsunternehmen anlässlich des genannten Verkehrsunfalls am 16.09.2007 in Auftrag gegeben worden war. Darin ist ausgeführt, es bestünden eine Beweglichkeitseinschränkung der rechten Schulter nach operativer Luxation, eine fortgeschrittene Arthrose des rechten Schultergelenks und Defektbildungen der Rotatorenmanschette. Die Funktionsbeeinträchtigung betrage 4/10 des Armwertes. Gestützt auf diese Unterlagen sowie den Bericht über eine stationäre Anschlussheilbehandlung vom 04.09.2009 schlug Versorgungsarzt Dr. R. in seiner Stellungnahme vom 26.11.2009 vor, Einzel-GdB von 50 für eine Kniegelenks-TEP bds., von 30 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bei Versteifung von WS-Abschnitten, von 10 für eine erektile Dysfunktion und von 20 für die Schulterbeeinträchtigungen rechts anzuerkennen; der Gesamt-GdB betrage nunmehr 70 ab dem 22.12.2008. Entsprechend diesem Vorschlag erließ das Landesversorgungsamt des beklagten Landes am 10.12.2009 einen (Teil-Abhilfe- und) Widerspruchsbescheid, in dem dieser GdB ab 22.12.2008 festgestellt und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat der Kläger am 11.01.2010 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und hierbei die Verpflichtung des Beklagten zur Zuerkennung eines GdB von 90 sowie des Merkzeichens "a.G." (außergewöhnlich gehbehindert) begehrt. Er hat vorgetragen, der Z.n. Implantation zweier künstlicher Kniegelenke sei höher als mit einem GdB von 50 zu bewerten, da sich bei ihm – dem Kläger – nach den Operationen keine optimalen Verhältnisse eingestellt hätten.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Orthopäde Dr. L. hat unter dem 27.09.2010 mitgeteilt, auch nach einer weiteren Korrekturoperation am 15./29.07.2009 habe der Kläger über Beschwerden am linken Kniegelenk und vor allem Probleme beim Laufen bergab oder bergauf geklagt. Ebenso habe er wegen Schmerzen lumbosacral sowie in Höhe des rechten Kreuzdarmbeingelenks geklagt. Der GdB für den Stütz- und Bewegungsapparat sei auf 40 bis 50 zu schätzen, eine außergewöhnliche Gehbehinderung liegt nicht vor. Dr. U. vom Klinikum G. hat unter dem 21.10.2010 bekundet, bei der letzten Nachuntersuchung am 09.11.2009 habe ein endgradiger Bewegungsschmerz im Knie links bestanden. Der GdB auf orthopädischem Gebiet betrage 40, eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege nicht vor. Prof. Dr. I vom Klinikum Friedrichshafen hat in seinem Schreiben vom 18.10.2010 ausgeführt, der Kläger habe sich dort zuletzt im April 2009 vorgestellt.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat unter Berufung auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 09.03.2011 vorgetragen, wegen der zwischenzeitlichen Änderungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (3. VersMedV-ÄndV) vom 17.12.2010 sei für die beidseitige Knie-TEP bei normalem Bewegungsumfang wie beim Kläger nur noch ein GdB von 30 festzustellen. Unter Berücksichtigung der weiteren Einzel-GdB ergebe sich nur noch ein Gesamt-GdB von 50. Über die Herabsetzung des bislang anerkannten Gesamt-GdB von 70 müsse das LRA nach Abschluss des Gerichtsverfahrens entscheiden.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, für die beidseitige Knie-TEP sei – nur noch – ein GdB von 30 anzusetzen. Eine Bewegungs-einschränkung bestehe nicht. Das linke Bein könne stabilisiert werden, der Einbeinstand links sei gut möglich, Motorik und Sensibilität des linken Beins seien regulär gewesen. Unter Einbe-ziehung der Einzel-GdB von 30 für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und von 20 für die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks sei der Gesamt-GdB mit 50, allen¬falls mit 60, zu bilden. Das vom Kläger begehrte Ziel eines GdB von 90 werde nicht erreicht. Hinsichtlich des Merkzeichens "a.G." sei die Klage unzulässig. Dieses Begehren habe der Kläger im Widerspruchsverfahren nicht verfolgt, daher sei die Ablehnung seines Antrags in diesem Punkt bestandskräftig geworden. Unabhängig hiervon liege auch keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der seinem Prozessbevollmächtigten am 14.09.2011 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 15.09.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Auf eine Präklusionsankündigung des Senats (§ 106a SGG) vom 06.12.2011 hin hat er in seiner Berufungsbegründung vom 02.01.2012 vorgetragen, die Knie-TEP hätten bei ihm kein bestmögliches Behandlungsergebnis erbracht, so dass insoweit ein höherer Einzel-GdB festzustellen sei, außerdem hat er dort die Einholung eines Sachver-ständigengutachtens nach § 109 SGG beantragt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. September 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10. Februar 2009 in Gestalt des Teil-Abhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2009 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von 90 sowie die Voraussetzungen des Merkzeichens "a.G." ab Antragstellung festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Der Beklagte hat unter dem 02.02.2012 auf mündliche Verhandlung verzichtet, der Kläger desgleichen mit Schriftsatz vom 29.02.2012.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat konnte nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG über die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Beide Beteiligte haben zugestimmt. Mit seinem Verzicht auf eine Verhandlung in dem Schriftsatz vom 29.02.2012 hat sich der zuvor gestellte Antrag des Klägers nach § 109 SGG erledigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 01.09.1999, B 9 V 42/99 B, Juris).
2. Gegenstand des Verfahrens - einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) - ist nur ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Heraufsetzung des festgestellten GdB von 70 auf 90 sowie auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "a.G.". Ein Herabsetzungsbescheid, gegen den sich der Kläger ggfs. mit einer Anfechtungsklage wenden müsste, ist bislang nicht ergangen. Es ist daher in diesem Verfahren auch nur zu entscheiden, ob bei dem Kläger ein höherer GdB als 70 vorliegt und ob das Merkzeichen "a.G." gegeben ist. Ob der GdB des Klägers tatsächlich 70 oder - inzwischen - weniger beträgt, ist dagegen irrelevant.
3. Mit diesen Maßgaben ist die Berufung des Klägers zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat seine Klage zu Recht abgewiesen.
Allerdings war die gesamte Klage entgegen der Ansicht des SG zulässig, auch soweit sie auf Feststellung des Merkzeichens "a.G." gerichtet war. Insoweit war der Ablehnungsbescheid des LRA nicht bestandskräftig geworden. Zwar trifft es zu, dass der Kläger im Wider-spruchsverfahren keine - inhaltlichen - Ausführungen zum Merkzeichen "a.G." gemacht hat. Aber dadurch hat er seinen diesbezüglichen Feststellungsantrag nicht zurückgenommen. Eine Antragsrücknahme als Verfahrenshandlung kann zwar auch konkludent erfolgen, muss aber eindeutig sein, da sie weitreichende Folgen haben kann. Eine solche Erklärung kann dem Vor-bringen des Klägers im Widerspruchsverfahren nicht entnommen werden.
Jedoch ist die Klage insgesamt unbegründet. Dem Kläger stehen keine Ansprüche auf Fest-stellung eines höheren GdB als 70 oder des Merkzeichens "aG" zu.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen einer Neufeststellung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie der für die Ermittlung des konkreten GdB relevanten Vorgaben der VG aus der Anl. zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen VersMedV vom 10.12.2008 mitsamt späteren Änderungsverordnungen bzw. - bis zum 31.12.2008 - der im Wesentlichen gleichlautenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP)" hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargestellt. Das Gleiche gilt für die Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "a.G." nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften zu § 46 StVG. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Bei dem Kläger besteht kein GdB von mehr als 70.
aa) Allerdings war der bislang angenommene Einzel-GdB von 50 für die beidseitige Kniegelenks-TEP zunächst angemessen. Einen solchen GdB hatte Teil B Nr. 18.12 VG in der Fassung der VersMedV für eine beidseitige Kniegelenks-TEP vorgesehen.
bb) Seit den Änderungen durch die 3. VersMedV-ÄndV, die am 23.12.2010 in Kraft getreten sind (vgl. Art. 2 der 3. VersMedV-ÄndV), kann jedoch insoweit nur noch ein GdB von allenfalls 40 angenommen werden.
Seitdem nennen die VG für eine beidseitige Kniegelenks-TEP nur noch einen GdB von 30, der allerdings als Mindest-GdB gilt und bei einer mangelhaften Versorgungsqualität zu erhöhen ist, wobei hierzu Beweglichkeits- und Belastungseinschränkungen, Nervenschädigungen, eine deutliche Muskelminderung oder eine ausgeprägte Narbenbildung gehören.
Am rechten Knie des Klägers, an dem er die TEP bereits 2000 erhalten hatte, besteht eine solche mangelhafte Versorgungsqualität nicht. Keiner der behandelnden Ärzte und auch nicht der Kläger selbst berichtet von Funktionseinbußen am rechten Knie.
Dagegen kann nach der Operation links im Februar 2008 eine mangelhafte Versorgungsqualität angenommen werden, die auch länger als sechs Monate andauert. Nachdem sich die Prothese gelockert hatte und erhebliche Schmerzen entstanden waren, ist es zu Korrekturoperationen im November 2008 und im Juli 2009 gekommen. Diese Operationen haben die Beschwerden - zunächst - etwas verringert. So hat Prof. Dr. I in seiner Zeugenaussage vom 18.10.2010 gegen-über dem SG - nur - von einer reizlosen Operationsnarbe, einer Beweglichkeit des linken Kniegelenks von 0-0-125° und einem stabilen Kapselbandapparat bei einer Untersuchung am 02.04.2009 berichtet. Ähnlich hat Dr. U. unter dem 21.10.2010 - bezogen auf den 09.11.2009, also die Zeit nach der letzten OP - berichtet, es liege ein postoperativ funktionell gutes Ergebnis vor, es beständen reizlose Narbenverhältnisse, keine wesentliche Ergussbildung und eine Beweglichkeit von 0-0-120° bei endgradigem Bewegungsschmerz. Danach ist es jedoch zu einer erneuten Verschlechterung gekommen. Dr. L. hat unter dem 27.09.2010 mitgeteilt, der Kläger habe am 29.09.2010 über Beschwerden im linken Kniegelenk und Probleme beim Laufen bergab und bergauf berichtet. Zu berücksichtigen ist auch die dauerhafte Narbenbildung, die ebenfalls zu einer Erhöhung des Mindest-GdB beiträgt.
cc) Für die Funktionsbehinderung der rechten Schulter ist ein GdB von 20 anzusetzen. Dieser GdB besteht nach Teil A Nr. 18.13 VG bei einer Einschränkung der Armhebung bis zu 90° bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Eine solche Einschränkung liegt bei dem Kläger vor. Nach dem Bericht der W.-Kliniken vom 15.12.2008 war die Armhebung nur bis 90° möglich. Der Kläger konnte sich damals auch nur mit Krücken und hinkend fortbewegen. Ähnliche Restbeweglichkeiten, nämlich eine Armhebung seitwärts nur bis 45° und vorwärts bis 70°, hat auch Prof. Dr. A. in seinem Gutachten vom 08.09.2008 ermittelt.
dd) Für die Beeinträchtigungen der WS wird im Augenblick ein Einzel-GdB von 30 zu Grunde gelegt. Hierdurch ist der Kläger nicht beschwert. Ein solcher GdB ist nach Teil B Nr. 18.9 VG entweder bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem oder bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei WS-Abschnitten anzunehmen, wobei hierzu eine Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltenden Bewegungseinschränkungen schweren bzw. mittleren Grades und häufig rezidivierende und über Wochen bzw. Tage anhaltende WS-Syndrome gehören. Es erscheint zweifelhaft, ob an der WS des Klägers heute noch solche Beeinträchtigungen vorhanden sind. Der Entlassungsbericht der W.-Kliniken vom 15.12.2008 führt aus, es lägen keine Schmerzen im Nacken, Schultergürtel oder Rücken vor, es seien keine wesentlichen Muskelverspannungen in diesem Bereich zu ertasten, die Beweglichkeit der HWS sei uneingeschränkt, die Beweglichkeit der BWS/LWS sei "erstaunlich gut", der Finger-Boden-Abstand betrage 0 cm. Vor diesem Hintergrund ist eher allenfalls von mittelgradigen Auswirkungen in einem WS-Ab¬schnitt auszugehen, die nur einen GdB von 20 bedingen.
ee) Für die erektile Dysfunktion ist im Augenblick ein Einzel-GdB von 10 angesetzt. Auch hierdurch ist der Kläger nicht beschwert, nachdem Teil B Nr. 13.2 VG überhaupt erst bei einer vollständigen Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung einen GdB vorsieht, der dann allerdings 20 beträgt.
ff) Der Gesamt-GdB ist sodann nach Teil A Nr. 3 Buchst. c VG zu bilden, indem der GdB für die am höchsten bewertete Behinderung ggfs. um 10 oder 20 oder mehr Punkte erhöht wird, wobei die Voraussetzungen von Teil A Nr. 3 Buchst. d VG beachtet werden müssen. Nach Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchs. ee VG sind hierbei von Ausnahmefällen abgesehen Einzel-GdB von 10 nicht und solche von 20, wenn sie leichte Gesundheitsstörungen betreffen, vielfach nicht zu berücksichtigen. Bei dem Kläger war danach der GdB für die Kniegelenks-TEP, der zunächst 50 und seit den Änderungen durch die 3. VersMedV-ÄndV allenfalls 40 beträgt, zweimal um je 10 Punkte zu erhöhen. Die Schulterbeschwerden ergeben genau einen GdB von 20, sodass hierfür eine Erhöhung von 10 angezeigt ist. Das Gleiche gilt aber auch für die WS-Beschwerden, nachdem der für sie bislang angenommene GdB von 30 grenzwertig hoch ist. Der GdB für die erektile Dysfunktion von 10 ist nicht einzubeziehen. Hiernach ergibt sich jeweils ein Gesamt-GdB, der jedenfalls 70 nicht übersteigt.
c) Die Voraussetzungen des Merkzeichens "a.G." sind nicht gegeben. Der Kläger kann sich nicht nur mit fremder Hilfe oder nur mit großen Anstrengungen außerhalb eines Kfz bewegen. Er ist keinem querschnittgelähmten, doppeloberschenkelamputierten, doppelunterschenkelamputierten, hüftexartikulierten oder einseitig oberschenkelamputierten Menschen, der dauernd kein Kunst¬bein tragen kann, gleichzustellen. Der jüngste insoweit aussagekräftige Bericht, die Zeugen¬aussage von Prof. Dr. I, spricht von freier Beweglichkeit des linken Kniegelenks, guter Stabilisierung des linken Beins, gut möglichem Einbeinstand links und intakter Motorik und Sensibilität des linken Beins. Eine derart gravierende Verschlechterung, wie sie das Merkzeichen "a.G." voraussetzt, ist auch aus der Zeugenaussage von Dr. L. über die Vorstellung des Klägers am 29.09.2010 nicht zu entnehmen. Insofern übernimmt der Senat auch die Einschätzungen der Behandler Dr. L. und Dr. U., eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege nicht vor.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 90 statt des zuerkannten von 70 sowie die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (au-ßer¬ge¬wöhn¬lich gehbehindert).
Dem am 21.09.1944 geborenen Kläger deutscher Staatsangehörigkeit hatte das Landratsamt Ravensburg (LRA) als Versorgungsamt zuletzt mit Bescheid vom 18.09.2007 einen GdB von 60 sowie das Merkzeichen "G" (gehbehindert) zuerkannt. Jener Feststellung lagen eine Kniegelenks-Totalendoprothese (TEP) rechts und eine Funktionsbehinderung beider Knie-gelenke (Einzel-GdB nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von OMedR N. vom 17.09.2007: 40), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (WS), Nervenwurzel-reizerscheinun¬gen, Instabilität der WS und Versteifung von WS-Abschnitten (30) sowie eine erektile Dysfunktion (10) und eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (10) zu Grunde.
Am 22.12.2008 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "a.G.". Er trug vor, er habe nunmehr – auch – am linken Knie eine TEP erhalten, ferner habe er bei einem Motorradunfall am 16.09.2007 einen Sehnenabriss in der rechten Schulter erlitten. Er legte ärztliche Unterlagen vor, darunter den Entlassungsbericht der F.klinik B., Dr. M., vom 07.03.2008 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 18.02. bis 10.03.2008 (jeweils Gonarthrose und Zustand nach [Z.n.] Implantation einer Knie-TEP rechts im Jahre 2000 und links am 08.02.2008, Z.n Berstungsfraktur LWK2 [2. Lendenwirbelkörper] 1998 bei Spondy¬lo¬dese L1/L3, Fortbewegung mit Gehstützen, hinkendes Gangbild unter Vollbelastung, deutliche Schwellung u. a. am operierten Kniegelenk) und den Entlassungsbericht der W.-Kliniken Bad Waldsee, Dr. F., vom 15.12.2008 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 19.11. bis 10.12.2008 (Z.n. Patellektomie 03.11.2008 wegen Dislokation des Rückflächenersatzes und Fragmentierung der Kniescheibe bei Z.n. Knie-TEP 2/08 li., Z.n. Spondylodese L1 bis L3 1994 wegen L2-Berstungs¬fraktur, Beweglichkeitseinschränkung rechte Schulter bei Z.n. Rotatoren¬man¬schet¬ten- und Bizepssehnenruptur, Hypercholesterinämie). Unter Auswertung dieser Unterlagen schlug OMedR N. in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 09.02.2009 vor, für eine Knie¬gelenks-TEP rechts mit Funktionsbehinderung beider Kniegelenke einen GdB von 50 und bei unveränderter Bewertung im Übrigen weiterhin einen Gesamt-GdB von 60 anzunehmen. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" lägen nicht vor. Hierauf lehnte das LRA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 10.02.2009 ab.
Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger weitere Unterlagen vor, darunter das unfallchirurgisch-orthopädische Gutachten von Prof. Dr. A., O.-Klinik, vom 13.10.2008, das von einem privaten Versicherungsunternehmen anlässlich des genannten Verkehrsunfalls am 16.09.2007 in Auftrag gegeben worden war. Darin ist ausgeführt, es bestünden eine Beweglichkeitseinschränkung der rechten Schulter nach operativer Luxation, eine fortgeschrittene Arthrose des rechten Schultergelenks und Defektbildungen der Rotatorenmanschette. Die Funktionsbeeinträchtigung betrage 4/10 des Armwertes. Gestützt auf diese Unterlagen sowie den Bericht über eine stationäre Anschlussheilbehandlung vom 04.09.2009 schlug Versorgungsarzt Dr. R. in seiner Stellungnahme vom 26.11.2009 vor, Einzel-GdB von 50 für eine Kniegelenks-TEP bds., von 30 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bei Versteifung von WS-Abschnitten, von 10 für eine erektile Dysfunktion und von 20 für die Schulterbeeinträchtigungen rechts anzuerkennen; der Gesamt-GdB betrage nunmehr 70 ab dem 22.12.2008. Entsprechend diesem Vorschlag erließ das Landesversorgungsamt des beklagten Landes am 10.12.2009 einen (Teil-Abhilfe- und) Widerspruchsbescheid, in dem dieser GdB ab 22.12.2008 festgestellt und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat der Kläger am 11.01.2010 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und hierbei die Verpflichtung des Beklagten zur Zuerkennung eines GdB von 90 sowie des Merkzeichens "a.G." (außergewöhnlich gehbehindert) begehrt. Er hat vorgetragen, der Z.n. Implantation zweier künstlicher Kniegelenke sei höher als mit einem GdB von 50 zu bewerten, da sich bei ihm – dem Kläger – nach den Operationen keine optimalen Verhältnisse eingestellt hätten.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Orthopäde Dr. L. hat unter dem 27.09.2010 mitgeteilt, auch nach einer weiteren Korrekturoperation am 15./29.07.2009 habe der Kläger über Beschwerden am linken Kniegelenk und vor allem Probleme beim Laufen bergab oder bergauf geklagt. Ebenso habe er wegen Schmerzen lumbosacral sowie in Höhe des rechten Kreuzdarmbeingelenks geklagt. Der GdB für den Stütz- und Bewegungsapparat sei auf 40 bis 50 zu schätzen, eine außergewöhnliche Gehbehinderung liegt nicht vor. Dr. U. vom Klinikum G. hat unter dem 21.10.2010 bekundet, bei der letzten Nachuntersuchung am 09.11.2009 habe ein endgradiger Bewegungsschmerz im Knie links bestanden. Der GdB auf orthopädischem Gebiet betrage 40, eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege nicht vor. Prof. Dr. I vom Klinikum Friedrichshafen hat in seinem Schreiben vom 18.10.2010 ausgeführt, der Kläger habe sich dort zuletzt im April 2009 vorgestellt.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat unter Berufung auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 09.03.2011 vorgetragen, wegen der zwischenzeitlichen Änderungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (3. VersMedV-ÄndV) vom 17.12.2010 sei für die beidseitige Knie-TEP bei normalem Bewegungsumfang wie beim Kläger nur noch ein GdB von 30 festzustellen. Unter Berücksichtigung der weiteren Einzel-GdB ergebe sich nur noch ein Gesamt-GdB von 50. Über die Herabsetzung des bislang anerkannten Gesamt-GdB von 70 müsse das LRA nach Abschluss des Gerichtsverfahrens entscheiden.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, für die beidseitige Knie-TEP sei – nur noch – ein GdB von 30 anzusetzen. Eine Bewegungs-einschränkung bestehe nicht. Das linke Bein könne stabilisiert werden, der Einbeinstand links sei gut möglich, Motorik und Sensibilität des linken Beins seien regulär gewesen. Unter Einbe-ziehung der Einzel-GdB von 30 für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und von 20 für die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks sei der Gesamt-GdB mit 50, allen¬falls mit 60, zu bilden. Das vom Kläger begehrte Ziel eines GdB von 90 werde nicht erreicht. Hinsichtlich des Merkzeichens "a.G." sei die Klage unzulässig. Dieses Begehren habe der Kläger im Widerspruchsverfahren nicht verfolgt, daher sei die Ablehnung seines Antrags in diesem Punkt bestandskräftig geworden. Unabhängig hiervon liege auch keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der seinem Prozessbevollmächtigten am 14.09.2011 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 15.09.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Auf eine Präklusionsankündigung des Senats (§ 106a SGG) vom 06.12.2011 hin hat er in seiner Berufungsbegründung vom 02.01.2012 vorgetragen, die Knie-TEP hätten bei ihm kein bestmögliches Behandlungsergebnis erbracht, so dass insoweit ein höherer Einzel-GdB festzustellen sei, außerdem hat er dort die Einholung eines Sachver-ständigengutachtens nach § 109 SGG beantragt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. September 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10. Februar 2009 in Gestalt des Teil-Abhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2009 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von 90 sowie die Voraussetzungen des Merkzeichens "a.G." ab Antragstellung festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Der Beklagte hat unter dem 02.02.2012 auf mündliche Verhandlung verzichtet, der Kläger desgleichen mit Schriftsatz vom 29.02.2012.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat konnte nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG über die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Beide Beteiligte haben zugestimmt. Mit seinem Verzicht auf eine Verhandlung in dem Schriftsatz vom 29.02.2012 hat sich der zuvor gestellte Antrag des Klägers nach § 109 SGG erledigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 01.09.1999, B 9 V 42/99 B, Juris).
2. Gegenstand des Verfahrens - einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) - ist nur ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Heraufsetzung des festgestellten GdB von 70 auf 90 sowie auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "a.G.". Ein Herabsetzungsbescheid, gegen den sich der Kläger ggfs. mit einer Anfechtungsklage wenden müsste, ist bislang nicht ergangen. Es ist daher in diesem Verfahren auch nur zu entscheiden, ob bei dem Kläger ein höherer GdB als 70 vorliegt und ob das Merkzeichen "a.G." gegeben ist. Ob der GdB des Klägers tatsächlich 70 oder - inzwischen - weniger beträgt, ist dagegen irrelevant.
3. Mit diesen Maßgaben ist die Berufung des Klägers zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat seine Klage zu Recht abgewiesen.
Allerdings war die gesamte Klage entgegen der Ansicht des SG zulässig, auch soweit sie auf Feststellung des Merkzeichens "a.G." gerichtet war. Insoweit war der Ablehnungsbescheid des LRA nicht bestandskräftig geworden. Zwar trifft es zu, dass der Kläger im Wider-spruchsverfahren keine - inhaltlichen - Ausführungen zum Merkzeichen "a.G." gemacht hat. Aber dadurch hat er seinen diesbezüglichen Feststellungsantrag nicht zurückgenommen. Eine Antragsrücknahme als Verfahrenshandlung kann zwar auch konkludent erfolgen, muss aber eindeutig sein, da sie weitreichende Folgen haben kann. Eine solche Erklärung kann dem Vor-bringen des Klägers im Widerspruchsverfahren nicht entnommen werden.
Jedoch ist die Klage insgesamt unbegründet. Dem Kläger stehen keine Ansprüche auf Fest-stellung eines höheren GdB als 70 oder des Merkzeichens "aG" zu.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen einer Neufeststellung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie der für die Ermittlung des konkreten GdB relevanten Vorgaben der VG aus der Anl. zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen VersMedV vom 10.12.2008 mitsamt späteren Änderungsverordnungen bzw. - bis zum 31.12.2008 - der im Wesentlichen gleichlautenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP)" hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargestellt. Das Gleiche gilt für die Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "a.G." nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften zu § 46 StVG. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Bei dem Kläger besteht kein GdB von mehr als 70.
aa) Allerdings war der bislang angenommene Einzel-GdB von 50 für die beidseitige Kniegelenks-TEP zunächst angemessen. Einen solchen GdB hatte Teil B Nr. 18.12 VG in der Fassung der VersMedV für eine beidseitige Kniegelenks-TEP vorgesehen.
bb) Seit den Änderungen durch die 3. VersMedV-ÄndV, die am 23.12.2010 in Kraft getreten sind (vgl. Art. 2 der 3. VersMedV-ÄndV), kann jedoch insoweit nur noch ein GdB von allenfalls 40 angenommen werden.
Seitdem nennen die VG für eine beidseitige Kniegelenks-TEP nur noch einen GdB von 30, der allerdings als Mindest-GdB gilt und bei einer mangelhaften Versorgungsqualität zu erhöhen ist, wobei hierzu Beweglichkeits- und Belastungseinschränkungen, Nervenschädigungen, eine deutliche Muskelminderung oder eine ausgeprägte Narbenbildung gehören.
Am rechten Knie des Klägers, an dem er die TEP bereits 2000 erhalten hatte, besteht eine solche mangelhafte Versorgungsqualität nicht. Keiner der behandelnden Ärzte und auch nicht der Kläger selbst berichtet von Funktionseinbußen am rechten Knie.
Dagegen kann nach der Operation links im Februar 2008 eine mangelhafte Versorgungsqualität angenommen werden, die auch länger als sechs Monate andauert. Nachdem sich die Prothese gelockert hatte und erhebliche Schmerzen entstanden waren, ist es zu Korrekturoperationen im November 2008 und im Juli 2009 gekommen. Diese Operationen haben die Beschwerden - zunächst - etwas verringert. So hat Prof. Dr. I in seiner Zeugenaussage vom 18.10.2010 gegen-über dem SG - nur - von einer reizlosen Operationsnarbe, einer Beweglichkeit des linken Kniegelenks von 0-0-125° und einem stabilen Kapselbandapparat bei einer Untersuchung am 02.04.2009 berichtet. Ähnlich hat Dr. U. unter dem 21.10.2010 - bezogen auf den 09.11.2009, also die Zeit nach der letzten OP - berichtet, es liege ein postoperativ funktionell gutes Ergebnis vor, es beständen reizlose Narbenverhältnisse, keine wesentliche Ergussbildung und eine Beweglichkeit von 0-0-120° bei endgradigem Bewegungsschmerz. Danach ist es jedoch zu einer erneuten Verschlechterung gekommen. Dr. L. hat unter dem 27.09.2010 mitgeteilt, der Kläger habe am 29.09.2010 über Beschwerden im linken Kniegelenk und Probleme beim Laufen bergab und bergauf berichtet. Zu berücksichtigen ist auch die dauerhafte Narbenbildung, die ebenfalls zu einer Erhöhung des Mindest-GdB beiträgt.
cc) Für die Funktionsbehinderung der rechten Schulter ist ein GdB von 20 anzusetzen. Dieser GdB besteht nach Teil A Nr. 18.13 VG bei einer Einschränkung der Armhebung bis zu 90° bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Eine solche Einschränkung liegt bei dem Kläger vor. Nach dem Bericht der W.-Kliniken vom 15.12.2008 war die Armhebung nur bis 90° möglich. Der Kläger konnte sich damals auch nur mit Krücken und hinkend fortbewegen. Ähnliche Restbeweglichkeiten, nämlich eine Armhebung seitwärts nur bis 45° und vorwärts bis 70°, hat auch Prof. Dr. A. in seinem Gutachten vom 08.09.2008 ermittelt.
dd) Für die Beeinträchtigungen der WS wird im Augenblick ein Einzel-GdB von 30 zu Grunde gelegt. Hierdurch ist der Kläger nicht beschwert. Ein solcher GdB ist nach Teil B Nr. 18.9 VG entweder bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem oder bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei WS-Abschnitten anzunehmen, wobei hierzu eine Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltenden Bewegungseinschränkungen schweren bzw. mittleren Grades und häufig rezidivierende und über Wochen bzw. Tage anhaltende WS-Syndrome gehören. Es erscheint zweifelhaft, ob an der WS des Klägers heute noch solche Beeinträchtigungen vorhanden sind. Der Entlassungsbericht der W.-Kliniken vom 15.12.2008 führt aus, es lägen keine Schmerzen im Nacken, Schultergürtel oder Rücken vor, es seien keine wesentlichen Muskelverspannungen in diesem Bereich zu ertasten, die Beweglichkeit der HWS sei uneingeschränkt, die Beweglichkeit der BWS/LWS sei "erstaunlich gut", der Finger-Boden-Abstand betrage 0 cm. Vor diesem Hintergrund ist eher allenfalls von mittelgradigen Auswirkungen in einem WS-Ab¬schnitt auszugehen, die nur einen GdB von 20 bedingen.
ee) Für die erektile Dysfunktion ist im Augenblick ein Einzel-GdB von 10 angesetzt. Auch hierdurch ist der Kläger nicht beschwert, nachdem Teil B Nr. 13.2 VG überhaupt erst bei einer vollständigen Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung einen GdB vorsieht, der dann allerdings 20 beträgt.
ff) Der Gesamt-GdB ist sodann nach Teil A Nr. 3 Buchst. c VG zu bilden, indem der GdB für die am höchsten bewertete Behinderung ggfs. um 10 oder 20 oder mehr Punkte erhöht wird, wobei die Voraussetzungen von Teil A Nr. 3 Buchst. d VG beachtet werden müssen. Nach Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchs. ee VG sind hierbei von Ausnahmefällen abgesehen Einzel-GdB von 10 nicht und solche von 20, wenn sie leichte Gesundheitsstörungen betreffen, vielfach nicht zu berücksichtigen. Bei dem Kläger war danach der GdB für die Kniegelenks-TEP, der zunächst 50 und seit den Änderungen durch die 3. VersMedV-ÄndV allenfalls 40 beträgt, zweimal um je 10 Punkte zu erhöhen. Die Schulterbeschwerden ergeben genau einen GdB von 20, sodass hierfür eine Erhöhung von 10 angezeigt ist. Das Gleiche gilt aber auch für die WS-Beschwerden, nachdem der für sie bislang angenommene GdB von 30 grenzwertig hoch ist. Der GdB für die erektile Dysfunktion von 10 ist nicht einzubeziehen. Hiernach ergibt sich jeweils ein Gesamt-GdB, der jedenfalls 70 nicht übersteigt.
c) Die Voraussetzungen des Merkzeichens "a.G." sind nicht gegeben. Der Kläger kann sich nicht nur mit fremder Hilfe oder nur mit großen Anstrengungen außerhalb eines Kfz bewegen. Er ist keinem querschnittgelähmten, doppeloberschenkelamputierten, doppelunterschenkelamputierten, hüftexartikulierten oder einseitig oberschenkelamputierten Menschen, der dauernd kein Kunst¬bein tragen kann, gleichzustellen. Der jüngste insoweit aussagekräftige Bericht, die Zeugen¬aussage von Prof. Dr. I, spricht von freier Beweglichkeit des linken Kniegelenks, guter Stabilisierung des linken Beins, gut möglichem Einbeinstand links und intakter Motorik und Sensibilität des linken Beins. Eine derart gravierende Verschlechterung, wie sie das Merkzeichen "a.G." voraussetzt, ist auch aus der Zeugenaussage von Dr. L. über die Vorstellung des Klägers am 29.09.2010 nicht zu entnehmen. Insofern übernimmt der Senat auch die Einschätzungen der Behandler Dr. L. und Dr. U., eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege nicht vor.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
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