Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 3738/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5503/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. November 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse) vorliegen.
Bei der am 21.06.1930 geborenen Klägerin ist seit dem 02.03.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt (Bescheid des Landratsamts N. [LRA] vom 12.05.2005). Das LRA berücksichtigte hierbei, entsprechend einer gutachterlichen Stellungnahme des Versor-gungsarztes Dr. B. vom 28.04.2005 eine "chronisch-venöse Insuffizienz, wiederkehrende Bein-geschwüre, Hüftgelenksprothese rechts, Gebrauchseinschränkung des rechten Beins" mit einen Einzel-GdB von 80, eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule" mit einem Einzel-GdB von 40, eine "entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke" mit einem solchen von 30 sowie eine "Hauterkrankung", eine "depressive Verstimmung", eine "Harninkontinenz" und "Blut-hochdruck, Kopfschmerschmerzsyndrom, Herzrhythmusstörung" jeweils mit einem Einzel-GdB von 20. Bei der Klägerin sind daneben die gesundheitlichen Merkmale der Nachteils-ausgleiche "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (Freifahrt für eine Begleitperson, wenn eine Berechtigung zur Mitnahme besteht) und "aG" (außerge¬wöhnliche Gehbehinderung) festgestellt.
Am 11.05.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF". Hierzu verwies sie auf den bereits festgestellten GdB von 100. Das LRA forderte daraufhin einen Befundschein beim behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. T., an, der unter dem 17.06.2009 u.a. berichtete, dass bei der Klägerin ein Z.n. Implantation einer Hüft TEP rechts nach fünffacher Revision bestehe. Ferner bestehe eine rheumatische Erkrankung, wegen derer schmerhafte Bewegungseinschränkungen der großen Gelenke bestünden. Die Klägerin könne selbst mit Hilfsmitteln nur wenige Meter gehen. Mit seiner Stellungnahme legte Dr. T. zahlreiche Befundunterlagen vor, u.a. ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg. vom 30.04.2008, in dem die Pflegefachkraft Bischoff die Einschätzung vertrat, der zeitliche Aufwand für pflegerische Maßnahmen im Bereich der Grundpflege belaufe sich auf insg. 35 Minuten täglich. Hierbei berücksichtigte sie für den Bereich der Mobilität einen Zeitaufwand von 16 Minuten täglich, der für das An- und Entkleiden anfalle. Ferner legte Dr. T. Entlassungsberichte über stationäre Aufenthalte der Klägerin im Rheuma-Zentrum Baden-Baden vom 31.03. - 18.04.2009, in den N. Kliniken (Kreiskrankenhaus B.) vom 05. - 09.12.2008, vom 16.09. - 06.10.2008 und vom 12.09. - 15.09.2008 sowie den Entlassungsbericht einer in der Zeit vom 14.01. - 04.02.2008 in der V.-Klinik, R., durchgeführten Anschlussheil¬behandlung vor.
Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. M. vom 04.09.2009, die die Einschätzung vertrat, die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei mit Hilfsmitteln und einer Begleitperson weiterhin zumutbar möglich, lehnte das LRA den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 08.09.2009 ab. Es führte begründend aus, nach den Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages seien Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Die Klägerin erfülle diese Voraus¬setzungen nicht.
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung sie vortrug, sie könne u.a. wegen eines Blasenleidens nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, da sie jede halbe Stunde die Toilette aufsuchen müsse, wies der Beklagte, nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. H. vom 15.10.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2009 zurück. Der Beklagte führte zur Begründung an, die Klägerin sei nicht dem anspruchsberechtigten Personenkreis zuzuordnen, da sie trotz der Schwere der bestehenden Behinderungen noch in der Lage sei, ggf. mit Hilfe einer Begleitperson oder technischen Hilfsmitteln zumindest gelegentlich öffentliche Veranstaltungen besuchen zu können und sich dort etwa eine bis zwei Stunden sitzend aufzuhalten. Das Tragen von Inkontinenzartikeln sei hierbei zumutbar.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.11.2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, sie könne nur noch in gebückter Haltung mit dem Rollator gehen. Sie sei an der Blase erkrankt und könne das Wasser nicht mehr halten. Daran würde auch eine Begleitperson oder ein Rollstuhl nichts ändern. Sie fahre nicht mit einem Rollstuhl zu öffentlichen Veranstaltungen, da sie alle 30 bis 40 Minuten eine Toilette aufsuchen müsse und zum größten Teil eingenässt sei. Dies sei ihr nicht zuzumuten.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu, unter Vorlage einer versor-gungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 19.04.2010, vorgetragen, der Klägerin sei der Besuch öffentlicher Veranstaltungen mit einem Rollstuhl und mit einer Begleitperson möglich. Die Harninkontinenz sei mit den üblichen Inkontinenzmitteln in zumutbarer Weise behandelbar.
Das SG hat Dr T. schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 11.01.2010 mitgeteilt, die Klägerin leide u.a. an einer kardial bedingten Inkontinenz, die mit Windeln versorgt werde. Sie könne wegen Inkontinenzproblemen, ihren orthopädischen Erkrankungen und der fehlenden kardialen Belastbarkeit ständig nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen.
Das SG hat sodann Dr. B. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. B., Arzt für Innere Medizin, hat in seinem fachinternistischen Gutachten vom 30.05.2011 bei der Klägerin ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom, einen Z.n. TEP-Implantation rechts mit mehrfachem Prothesenwechsel, Coxarthrose links, Gonarthrose beidseits, chronisch-venöse Insuffizienz, periarthropathia humeroscapularis beidseitig, Finger-polyarthrose, Sensibilitätsstörungen der linken Hand, Harninkontinenz, eine Herzinsuffizienz bei chronischem Vorhofflimmern, eine hypertensive Herzerkrankung und pulmonale Hypertonie, Dauerantikoagulation mit Marcumar, chronische Niereninsuffizienz im Stadium der kompen¬sierten Retention, eine depressive Anpassungsstörung und multiple Allergien sowie rezidi¬vierende allergische Ekzeme diagnostiziert. Gegenüber dem Gutachter hat die Klägerin angegeben, sie gehe gelegentlich Einkaufen. Dies dauere in der Regel 30 - 45 Minuten. Sie benutze rund um die Uhr große Einlagen. Da sie den Harndrang praktisch nicht spüre, gehe sie tagsüber regelmäßig alle 30 - 45 Minuten auf die Toilette, sie müsse jedoch trotzdem die Einlage 4 - 5 mal täglich wechseln. Nachts trage sie zwei große Einlagen übereinander. In fachärztlicher urologischer Behandlung stehe sie seit vielen Jahren nicht mehr. Dr. B. hat angeführt, die Fähigkeit der Klägerin, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, sei sicherlich einge¬schränkt. Zwar sei ihre Gehfähigkeit auf maximal 100 - 150 Meter eingeschränkt, sie sei jedoch ohne erkennbare Probleme in der Lage, von einer anderen Person zu einem Veranstaltungsort gefahren zu werden. Die Harninkontinenz, die von der Klägerin als Hauptproblem betreffend der Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen empfunden werde, sei zwar relativ ausgeprägt, sie sei jedoch mit Inkontinenzartikeln mit hoher Saugleistung soweit beherrschbar, so dass die Klägerin nicht ständig an das Haus gebunden sei. So sei sie in der Lage, das Haus für 30 - 45 Minuten zu verlassen, um Einkäufe zu tätigen.
Mit Gerichtsbescheid vom 14.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, von der Rundfunkgebühr seien u.a. behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, zu befreien. Dies sei dann der Fall, wenn der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden und deshalb ständig, d. h. allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Hierbei komme es auf das objektive Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen an. Die Klägerin sei hiernach nicht von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Zwar bestünden bei der Klägerin teilweise schwere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von 100 sowie die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "aG" rechtfertigten, hieraus lasse sich jedoch nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" begründen. Die bei der Klägerin bestehende Inkontinenz, deren Auswirkungen mit entsprechenden Hilfsmitteln behandelt werde, begründe die Feststellung, dass die Klägerin ständig und generell vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei, nicht, da die Klägerin bei Benutzung von Windeln, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für die Umwelt für die Dauer von zwei Stunden auffangen, objektiv in der Lage sei, den meisten öffentlichen Veranstaltungen beizuwohnen. Das Tragen von Windeln und ähnlichen Hilfsmitteln sei der Klägerin zumutbar.
Gegen den am 21.11.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 05.12.2011 beim SG Berufung eingelegt. Sie bringt vor, die Begründung des SG, zwei Stunden im Rollstuhl sitzen zu können, sei diskriminierend und menschenverachtend. In zwei Stunden sei nicht nur die Windel, sondern alles eingenässt. Ihr körperliche Verfassung lasse die Teilnahme an einer Veranstaltung nicht zu.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. November 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 08. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2009 zu verurteilen, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzu¬stellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages bringt er vor, der Klägerin sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit einer Begleitperson und einem Rollstuhl möglich und zumutbar. Die Harn-inkontinenz sei mit den üblichen Inkontinenzmitteln behandelbar.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2012 wurden, sowie die Nieder-schrift der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, obschon die Klägerin, deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, zur mündlichen Verhandlung am 27.06.2012 nicht erschienen ist. Die Klägerin wurde im Rahmen der Ladung vom 11.05.2012 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (vgl. §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der von der Tochter der Klägerin unter dem 10.06.2012 verfasste Schriftsatz gibt jedoch Veranlassung darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Ladung ausdrücklich und unzweideutig ausgeführt wurde, dass es der Klägerin frei stehe, zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Der Vortrag, kein Verständnis dafür zu haben, wie "man so rücksichtslos sein" könne, "von einer 82-jährigen kranken Frau zu verlangen, eine Reise nach Stuttgart" anzutreten die Klägerin würde "in die Enge" getrieben und sei deswegen "stark depressiv geworden", entbehrt daher jeglicher Grundlage.
Der Bescheid vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nach-teilsausgleichs "RF" festzustellen sind.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" - streitgegenständlich ist nicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, sondern die Feststellung ihrer gesundheitlichen Voraussetzungen, die dann für die Rundfunkanstalt, die über eine Befreiung zu entscheiden hat, bindend ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 06.10.1981 - 9 RVs 3/81 - veröffentlicht in juris) - ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehin¬dertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbe¬hindertenausweisverordnung) (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - veröffentlicht in juris). Für die in Baden-Württemberg wohnhafte Klägerin ist Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, 189) heranzuziehen (Urteil des erkennenden Senats vom 07.03.2012 - L 3 SB 809/11 - m.w.N.) Danach werden auf Antrag Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - und Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - jew. veröffentlicht in juris). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, das heißt allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann; mithin muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Hiermit wird gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zu Gute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.
Nach diesen Grundsätzen, von denen auch der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung (u.a. Urteil vom 07.03.2012, a.a.O.) ausgeht, liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin ist weder blind bzw. sehbehindert noch gehörlos bzw. hörbehindert. Sie ist zur Überzeugung des Senat, auch nicht ständig wegen ihrer Leiden vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen. Die Klägerin kann trotz der bei ihr bestehenden, sich auf ihre Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsbeeinträchtigungen öffentliche Veranstaltungen aufsuchen und an ihnen teilnehmen. Nach den Bekundungen des im erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehörten Arztes für Innere Medizin B. kann die Klägerin nach ihrer eigenen Darstellung zwar lediglich kurze Gehstrecken (100 - 150 Meter) bewältigen, sie sei jedoch in der Lage, sich ohne erkennbare Probleme von einer anderen Person in einem Kraftfahrzeug zu einem Veranstaltungsort chauffieren zu lassen. Da ihr überdies der Nachteilsausgleich "B" zuerkannt ist, ist ihr im Hinblick auf ihre eingeschränkte Gehfähigkeit auch die Möglichkeit eröffnet, sich kostenneutral von einer Person im öffentlichen Personennahverkehr begleiten zu lassen. Da die Klägerin mithin mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist sie von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (vgl. nur BSG, Urteil vom 03. 06.1987 - 9a RVs 27/85 - veröffentlicht in juris). Für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durch gehbehinderte Personen sind im Übrigen in den meisten Fällen entsprechende bauliche Vorkehrungen getroffen worden (Rampen, verbreiterte Türen, geeignete Toiletten), die die Teilnahme erleichtern.
Dass die Klägerin, infolge der bestehenden Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet, namentlich nach Dr. U. eine Herzinsuffizienz bei chronischen Vorhofflimmern, eine hypertensive Herzerkrankung, pulmonale Hypertonie, eine chronische Niereninsuffizienz, multiple Allergien oder der depressiven Anpassungsstörung, daran gehindert wäre, ständig öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, ist weder vorgetragen noch dem Senat anderweitig ersichtlich.
Auch die von der Klägerin den Vordergrund gestellte Harninkontinenz kann die Annahme einer ständigen Unfähigkeit, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, nicht begründen. Die Klägerin ist insoweit auf das Tragen von Windelhosen oder anderen Inkontinenzartikel, die von ihr nach ihren eigenen Bekundungen genutzt werden, zu verweisen, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9a RVs 1/90 - veröffentlicht in juris). Nach den Ausführungen des Gutachters U. ist die Klägerin unter Nutzung solcher Mittel in der Lage, das Haus zu verlassen, um bspw. ihre Einkäufe zu erledigen. Der Gutachter hat hieraus nachvollziehbar gefolgert, dass der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen bis zu einer Dauer von zwei Stunden möglich sei. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung an.
Der Klägerin ist das Tragen von Inkontinenzhilfsmittel auch zumutbar. Es verstößt im Besonderen nicht gegen die Würde des Menschen (Artikel 1 des Grundgesetzes). Die Klägerin wird durch das Tragen von Inkontinenzeinlagen nicht zum Objekt des Staates gemacht oder einer Behandlung ausgesetzt, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. Bundes-verfassungsgericht, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - veröffentlicht in juris). Die Klägerin wird vielmehr mit ihrer schweren Behinderung anerkannt, die schicksalhafter Teil des menschlichen Lebens ist und als solche ebenso wenig gegen die Menschenwürde verstößt wie das Leben unter anderen beschwerlichen Umständen. Die Notwendigkeit, Inkontinenzartikel zu tragen, ist nur eine Auswirkung dieser Behinderung. Es handelt sich dabei um ein übliches, behindertengerechtes Hilfsmittel, dessen funktionsgerechte Benutzung als solche keine Ver-letzung der Menschenwürde darstellen kann, weil sie den behinderten Menschen nicht zusätzlich herabmindert, sondern im Rahmen des Möglichen die Auswirkungen seiner Behinderung mildert. Das subjektive Empfinden des Behinderten, der dies als unangenehm empfinden mag, ist eine verständliche Begleiterscheinung seiner Erkrankung, hat aber nicht zur Folge, ihm deswegen überhaupt nicht mehr den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zuzumuten. Allenfalls das Bekanntwerden oder die Auffälligkeit eines solchen Hilfsmittels könnte seine Benutzung bei öffentlichen Veranstaltungen im Hinblick auf vielerorts anzutreffende Intoleranz als subjektiv unzumutbar erscheinen lassen. Dafür, dass solches zu befürchten ist, bestehen aber keine Anhaltspunkte (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 3/95 - veröffentlich in juris).
Die Klägerin ist mithin durch die bestehende Harninkontinenz nicht ständig daran gehindert, an öffentlicher Veranstaltungen teilzunehmen.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" liegen hiernach bei der Klägerin nicht vor.
Das SG hat die Klage gegen Bescheid vom 08.09.2009 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 26.10.2009 zu Recht abgewiesen. Die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse) vorliegen.
Bei der am 21.06.1930 geborenen Klägerin ist seit dem 02.03.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt (Bescheid des Landratsamts N. [LRA] vom 12.05.2005). Das LRA berücksichtigte hierbei, entsprechend einer gutachterlichen Stellungnahme des Versor-gungsarztes Dr. B. vom 28.04.2005 eine "chronisch-venöse Insuffizienz, wiederkehrende Bein-geschwüre, Hüftgelenksprothese rechts, Gebrauchseinschränkung des rechten Beins" mit einen Einzel-GdB von 80, eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule" mit einem Einzel-GdB von 40, eine "entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke" mit einem solchen von 30 sowie eine "Hauterkrankung", eine "depressive Verstimmung", eine "Harninkontinenz" und "Blut-hochdruck, Kopfschmerschmerzsyndrom, Herzrhythmusstörung" jeweils mit einem Einzel-GdB von 20. Bei der Klägerin sind daneben die gesundheitlichen Merkmale der Nachteils-ausgleiche "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (Freifahrt für eine Begleitperson, wenn eine Berechtigung zur Mitnahme besteht) und "aG" (außerge¬wöhnliche Gehbehinderung) festgestellt.
Am 11.05.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF". Hierzu verwies sie auf den bereits festgestellten GdB von 100. Das LRA forderte daraufhin einen Befundschein beim behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. T., an, der unter dem 17.06.2009 u.a. berichtete, dass bei der Klägerin ein Z.n. Implantation einer Hüft TEP rechts nach fünffacher Revision bestehe. Ferner bestehe eine rheumatische Erkrankung, wegen derer schmerhafte Bewegungseinschränkungen der großen Gelenke bestünden. Die Klägerin könne selbst mit Hilfsmitteln nur wenige Meter gehen. Mit seiner Stellungnahme legte Dr. T. zahlreiche Befundunterlagen vor, u.a. ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg. vom 30.04.2008, in dem die Pflegefachkraft Bischoff die Einschätzung vertrat, der zeitliche Aufwand für pflegerische Maßnahmen im Bereich der Grundpflege belaufe sich auf insg. 35 Minuten täglich. Hierbei berücksichtigte sie für den Bereich der Mobilität einen Zeitaufwand von 16 Minuten täglich, der für das An- und Entkleiden anfalle. Ferner legte Dr. T. Entlassungsberichte über stationäre Aufenthalte der Klägerin im Rheuma-Zentrum Baden-Baden vom 31.03. - 18.04.2009, in den N. Kliniken (Kreiskrankenhaus B.) vom 05. - 09.12.2008, vom 16.09. - 06.10.2008 und vom 12.09. - 15.09.2008 sowie den Entlassungsbericht einer in der Zeit vom 14.01. - 04.02.2008 in der V.-Klinik, R., durchgeführten Anschlussheil¬behandlung vor.
Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. M. vom 04.09.2009, die die Einschätzung vertrat, die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei mit Hilfsmitteln und einer Begleitperson weiterhin zumutbar möglich, lehnte das LRA den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 08.09.2009 ab. Es führte begründend aus, nach den Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages seien Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Die Klägerin erfülle diese Voraus¬setzungen nicht.
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung sie vortrug, sie könne u.a. wegen eines Blasenleidens nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, da sie jede halbe Stunde die Toilette aufsuchen müsse, wies der Beklagte, nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. H. vom 15.10.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2009 zurück. Der Beklagte führte zur Begründung an, die Klägerin sei nicht dem anspruchsberechtigten Personenkreis zuzuordnen, da sie trotz der Schwere der bestehenden Behinderungen noch in der Lage sei, ggf. mit Hilfe einer Begleitperson oder technischen Hilfsmitteln zumindest gelegentlich öffentliche Veranstaltungen besuchen zu können und sich dort etwa eine bis zwei Stunden sitzend aufzuhalten. Das Tragen von Inkontinenzartikeln sei hierbei zumutbar.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.11.2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, sie könne nur noch in gebückter Haltung mit dem Rollator gehen. Sie sei an der Blase erkrankt und könne das Wasser nicht mehr halten. Daran würde auch eine Begleitperson oder ein Rollstuhl nichts ändern. Sie fahre nicht mit einem Rollstuhl zu öffentlichen Veranstaltungen, da sie alle 30 bis 40 Minuten eine Toilette aufsuchen müsse und zum größten Teil eingenässt sei. Dies sei ihr nicht zuzumuten.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu, unter Vorlage einer versor-gungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 19.04.2010, vorgetragen, der Klägerin sei der Besuch öffentlicher Veranstaltungen mit einem Rollstuhl und mit einer Begleitperson möglich. Die Harninkontinenz sei mit den üblichen Inkontinenzmitteln in zumutbarer Weise behandelbar.
Das SG hat Dr T. schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 11.01.2010 mitgeteilt, die Klägerin leide u.a. an einer kardial bedingten Inkontinenz, die mit Windeln versorgt werde. Sie könne wegen Inkontinenzproblemen, ihren orthopädischen Erkrankungen und der fehlenden kardialen Belastbarkeit ständig nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen.
Das SG hat sodann Dr. B. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. B., Arzt für Innere Medizin, hat in seinem fachinternistischen Gutachten vom 30.05.2011 bei der Klägerin ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom, einen Z.n. TEP-Implantation rechts mit mehrfachem Prothesenwechsel, Coxarthrose links, Gonarthrose beidseits, chronisch-venöse Insuffizienz, periarthropathia humeroscapularis beidseitig, Finger-polyarthrose, Sensibilitätsstörungen der linken Hand, Harninkontinenz, eine Herzinsuffizienz bei chronischem Vorhofflimmern, eine hypertensive Herzerkrankung und pulmonale Hypertonie, Dauerantikoagulation mit Marcumar, chronische Niereninsuffizienz im Stadium der kompen¬sierten Retention, eine depressive Anpassungsstörung und multiple Allergien sowie rezidi¬vierende allergische Ekzeme diagnostiziert. Gegenüber dem Gutachter hat die Klägerin angegeben, sie gehe gelegentlich Einkaufen. Dies dauere in der Regel 30 - 45 Minuten. Sie benutze rund um die Uhr große Einlagen. Da sie den Harndrang praktisch nicht spüre, gehe sie tagsüber regelmäßig alle 30 - 45 Minuten auf die Toilette, sie müsse jedoch trotzdem die Einlage 4 - 5 mal täglich wechseln. Nachts trage sie zwei große Einlagen übereinander. In fachärztlicher urologischer Behandlung stehe sie seit vielen Jahren nicht mehr. Dr. B. hat angeführt, die Fähigkeit der Klägerin, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, sei sicherlich einge¬schränkt. Zwar sei ihre Gehfähigkeit auf maximal 100 - 150 Meter eingeschränkt, sie sei jedoch ohne erkennbare Probleme in der Lage, von einer anderen Person zu einem Veranstaltungsort gefahren zu werden. Die Harninkontinenz, die von der Klägerin als Hauptproblem betreffend der Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen empfunden werde, sei zwar relativ ausgeprägt, sie sei jedoch mit Inkontinenzartikeln mit hoher Saugleistung soweit beherrschbar, so dass die Klägerin nicht ständig an das Haus gebunden sei. So sei sie in der Lage, das Haus für 30 - 45 Minuten zu verlassen, um Einkäufe zu tätigen.
Mit Gerichtsbescheid vom 14.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, von der Rundfunkgebühr seien u.a. behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, zu befreien. Dies sei dann der Fall, wenn der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden und deshalb ständig, d. h. allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Hierbei komme es auf das objektive Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen an. Die Klägerin sei hiernach nicht von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Zwar bestünden bei der Klägerin teilweise schwere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von 100 sowie die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "aG" rechtfertigten, hieraus lasse sich jedoch nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" begründen. Die bei der Klägerin bestehende Inkontinenz, deren Auswirkungen mit entsprechenden Hilfsmitteln behandelt werde, begründe die Feststellung, dass die Klägerin ständig und generell vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei, nicht, da die Klägerin bei Benutzung von Windeln, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für die Umwelt für die Dauer von zwei Stunden auffangen, objektiv in der Lage sei, den meisten öffentlichen Veranstaltungen beizuwohnen. Das Tragen von Windeln und ähnlichen Hilfsmitteln sei der Klägerin zumutbar.
Gegen den am 21.11.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 05.12.2011 beim SG Berufung eingelegt. Sie bringt vor, die Begründung des SG, zwei Stunden im Rollstuhl sitzen zu können, sei diskriminierend und menschenverachtend. In zwei Stunden sei nicht nur die Windel, sondern alles eingenässt. Ihr körperliche Verfassung lasse die Teilnahme an einer Veranstaltung nicht zu.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. November 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 08. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2009 zu verurteilen, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzu¬stellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages bringt er vor, der Klägerin sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit einer Begleitperson und einem Rollstuhl möglich und zumutbar. Die Harn-inkontinenz sei mit den üblichen Inkontinenzmitteln behandelbar.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2012 wurden, sowie die Nieder-schrift der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, obschon die Klägerin, deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, zur mündlichen Verhandlung am 27.06.2012 nicht erschienen ist. Die Klägerin wurde im Rahmen der Ladung vom 11.05.2012 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (vgl. §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der von der Tochter der Klägerin unter dem 10.06.2012 verfasste Schriftsatz gibt jedoch Veranlassung darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Ladung ausdrücklich und unzweideutig ausgeführt wurde, dass es der Klägerin frei stehe, zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Der Vortrag, kein Verständnis dafür zu haben, wie "man so rücksichtslos sein" könne, "von einer 82-jährigen kranken Frau zu verlangen, eine Reise nach Stuttgart" anzutreten die Klägerin würde "in die Enge" getrieben und sei deswegen "stark depressiv geworden", entbehrt daher jeglicher Grundlage.
Der Bescheid vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nach-teilsausgleichs "RF" festzustellen sind.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" - streitgegenständlich ist nicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, sondern die Feststellung ihrer gesundheitlichen Voraussetzungen, die dann für die Rundfunkanstalt, die über eine Befreiung zu entscheiden hat, bindend ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 06.10.1981 - 9 RVs 3/81 - veröffentlicht in juris) - ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehin¬dertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbe¬hindertenausweisverordnung) (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - veröffentlicht in juris). Für die in Baden-Württemberg wohnhafte Klägerin ist Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, 189) heranzuziehen (Urteil des erkennenden Senats vom 07.03.2012 - L 3 SB 809/11 - m.w.N.) Danach werden auf Antrag Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - und Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - jew. veröffentlicht in juris). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, das heißt allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann; mithin muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Hiermit wird gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zu Gute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.
Nach diesen Grundsätzen, von denen auch der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung (u.a. Urteil vom 07.03.2012, a.a.O.) ausgeht, liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin ist weder blind bzw. sehbehindert noch gehörlos bzw. hörbehindert. Sie ist zur Überzeugung des Senat, auch nicht ständig wegen ihrer Leiden vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen. Die Klägerin kann trotz der bei ihr bestehenden, sich auf ihre Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsbeeinträchtigungen öffentliche Veranstaltungen aufsuchen und an ihnen teilnehmen. Nach den Bekundungen des im erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehörten Arztes für Innere Medizin B. kann die Klägerin nach ihrer eigenen Darstellung zwar lediglich kurze Gehstrecken (100 - 150 Meter) bewältigen, sie sei jedoch in der Lage, sich ohne erkennbare Probleme von einer anderen Person in einem Kraftfahrzeug zu einem Veranstaltungsort chauffieren zu lassen. Da ihr überdies der Nachteilsausgleich "B" zuerkannt ist, ist ihr im Hinblick auf ihre eingeschränkte Gehfähigkeit auch die Möglichkeit eröffnet, sich kostenneutral von einer Person im öffentlichen Personennahverkehr begleiten zu lassen. Da die Klägerin mithin mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist sie von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (vgl. nur BSG, Urteil vom 03. 06.1987 - 9a RVs 27/85 - veröffentlicht in juris). Für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durch gehbehinderte Personen sind im Übrigen in den meisten Fällen entsprechende bauliche Vorkehrungen getroffen worden (Rampen, verbreiterte Türen, geeignete Toiletten), die die Teilnahme erleichtern.
Dass die Klägerin, infolge der bestehenden Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet, namentlich nach Dr. U. eine Herzinsuffizienz bei chronischen Vorhofflimmern, eine hypertensive Herzerkrankung, pulmonale Hypertonie, eine chronische Niereninsuffizienz, multiple Allergien oder der depressiven Anpassungsstörung, daran gehindert wäre, ständig öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, ist weder vorgetragen noch dem Senat anderweitig ersichtlich.
Auch die von der Klägerin den Vordergrund gestellte Harninkontinenz kann die Annahme einer ständigen Unfähigkeit, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, nicht begründen. Die Klägerin ist insoweit auf das Tragen von Windelhosen oder anderen Inkontinenzartikel, die von ihr nach ihren eigenen Bekundungen genutzt werden, zu verweisen, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9a RVs 1/90 - veröffentlicht in juris). Nach den Ausführungen des Gutachters U. ist die Klägerin unter Nutzung solcher Mittel in der Lage, das Haus zu verlassen, um bspw. ihre Einkäufe zu erledigen. Der Gutachter hat hieraus nachvollziehbar gefolgert, dass der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen bis zu einer Dauer von zwei Stunden möglich sei. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung an.
Der Klägerin ist das Tragen von Inkontinenzhilfsmittel auch zumutbar. Es verstößt im Besonderen nicht gegen die Würde des Menschen (Artikel 1 des Grundgesetzes). Die Klägerin wird durch das Tragen von Inkontinenzeinlagen nicht zum Objekt des Staates gemacht oder einer Behandlung ausgesetzt, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. Bundes-verfassungsgericht, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - veröffentlicht in juris). Die Klägerin wird vielmehr mit ihrer schweren Behinderung anerkannt, die schicksalhafter Teil des menschlichen Lebens ist und als solche ebenso wenig gegen die Menschenwürde verstößt wie das Leben unter anderen beschwerlichen Umständen. Die Notwendigkeit, Inkontinenzartikel zu tragen, ist nur eine Auswirkung dieser Behinderung. Es handelt sich dabei um ein übliches, behindertengerechtes Hilfsmittel, dessen funktionsgerechte Benutzung als solche keine Ver-letzung der Menschenwürde darstellen kann, weil sie den behinderten Menschen nicht zusätzlich herabmindert, sondern im Rahmen des Möglichen die Auswirkungen seiner Behinderung mildert. Das subjektive Empfinden des Behinderten, der dies als unangenehm empfinden mag, ist eine verständliche Begleiterscheinung seiner Erkrankung, hat aber nicht zur Folge, ihm deswegen überhaupt nicht mehr den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zuzumuten. Allenfalls das Bekanntwerden oder die Auffälligkeit eines solchen Hilfsmittels könnte seine Benutzung bei öffentlichen Veranstaltungen im Hinblick auf vielerorts anzutreffende Intoleranz als subjektiv unzumutbar erscheinen lassen. Dafür, dass solches zu befürchten ist, bestehen aber keine Anhaltspunkte (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 3/95 - veröffentlich in juris).
Die Klägerin ist mithin durch die bestehende Harninkontinenz nicht ständig daran gehindert, an öffentlicher Veranstaltungen teilzunehmen.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" liegen hiernach bei der Klägerin nicht vor.
Das SG hat die Klage gegen Bescheid vom 08.09.2009 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 26.10.2009 zu Recht abgewiesen. Die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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