L 10 R 1764/12 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 1755/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1764/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das Ausmaß des Erfolges im Klageverfahren stellt - jedenfalls bei einheitlichem Streitgegenstand und im Regelfall - kein geeignetes Kriterium bei der Entscheidung über die Übernahme der Kosten eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachten dar. Eine teilweise Kostenübernahme entsprechend dem Erfolg des Klageverfahrens kommt daher nicht in Betracht.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 05.04.2012 abgeändert. Die Kosten des vom Sozialgericht gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im erstinstanz-lichen Verfahren eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. B. werden in vollem Umfang auf die Staatskasse übernommen.

Die Staatskasse hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des Klageverfahrens war die bis zum 31.12.2011 befristete Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zu Grunde lag u.a. das von der Beklagten eingeholte nervenärztlich Gutachten des Dr. W. , der im Dezember 2008 wegen einer schweren depressiven Episode ein unter dreistündiges Leistungsvermögen angenommen, eine Besserung des Gesundheitszustandes aber als nicht unwahrscheinlich angesehen hatte. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG holte das Sozialgericht Anfang 2011 das nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. B. (schwere depressive Episode, Panikstörung; Leistungsvermögen unter drei Stunden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dauerhafte Minderung der Leistungsfähigkeit) und im Herbst 2011 das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M. (Agoraphobie mit Panik, anhaltende depressive Störung, Schweregrad kooperationsbedingt schwer einschätzbar; mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig) ein. Der Rechtsstreit endete durch gerichtlichen Vergleich vom März 2012, in dem sich die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit über den 31.12.2011 hinaus, befristet bis 30.06.2013, verpflichtete. Hintergrund war die Einschätzung der Kammer, wonach die erfolgte Befristung nicht zu beanstanden, eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Rechts-streits eingetreten und wegen der vom Kläger beabsichtigten Psychotherapie und der eingeleiteten Medikation eine Besserung zu erwarten sei.

Mit Beschluss vom 05.04.2012 hat das Sozialgericht die Kosten der Begutachtung durch Prof. Dr. B. zur Hälfte auf die Staatskasse übernommen und eine weitere Übernahme abgelehnt. Das Gutachten habe insoweit zur Sachaufklärung beigetragen, als der Sachverständige eine schwere depressive Episode und eine Panikstörung festgestellt und plausibel ein zeitlich auf unter drei Stunden abgesunkenes Leistungsvermögen angenommen habe. Damit komme dem Gutachten im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch Bedeutung zu, weil dieses Leistungsvermögen einen Anspruch auf befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung begründe. Dies rechtfertige die Kostenübernahme zur Hälfte. Soweit der Sachverständige von einem auf Dauer eingeschränkten Leistungsvermögen ausgehe, könne ihm nicht gefolgt werden. Damit sei der Sachverhalt, der für den in erster Linie vom Kläger verfolgen Anspruch relevant gewesen sei, durch das Gutachten nicht weiter aufgeklärt worden. Hiergegen richtet sich die am 20.04.2012 eingelegte Beschwerde. Der Kläger meint, eine Übernahme eines Teils der Kosten nach Erfolgsquote sei nicht möglich.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten wird auf die vorgelegten Akten Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 172, 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Gutachten von Prof. Dr. B. durch die Staatskasse.

Nach § 109 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden, wobei die Anhörung davon abhängig gemacht werden kann, dass der Antragsteller die Kosten vor-schießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Über diese endgültige Kostentragungspflicht entscheidet das Gericht nach Ermessen. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geht die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht über.

Bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt der Senat, ob das Gutachten für die verfahrensbe-endende gerichtliche Entscheidung bzw. - erging keine solche Entscheidung - im Falle eines Klageerfolges für die verfahrensbeendenden Erklärungen wesentliche Bedeutung gewann. Dies bejaht der Senat insbesondere dann, wenn das Gutachten die Aufklärung des Sachverhalts objektiv förderte. Dabei muss es sich, gemessen am Prozessziel und angesichts des Verfahrensausgangs, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt haben.

Hier bejaht der Senat eine zur Übernahme der Gutachtenskosten führende Relevanz des Gutachtens des Prof. Dr. B. für die vom Sozialgericht für entscheidungserheblich erachtete Sachaufklärung und die verfahrensbeendigenden Erklärungen.

Inhalt der gerichtlichen Prüfung war ursprünglich allein die Frage, ob die Beklagte zu Recht lediglich von einem Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ausgegangen war und dem entsprechend die Rente befristet hatte. Allerdings bedarf die Frage, nach welchen Kriterien diese Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristung zu erfolgen hat (s. hierzu BSG, Urteil vom 29.03.2006, B 13 RJ 31/05 R in SozR 4-2600 § 102 Nr. 2), keiner weiteren Erörterung. Denn nach Ende des Befristungszeitraumes am 31.12.2011 erstreckte sich die gerichtliche Prüfung (auch) auf die Frage, ob dem Kläger ab dem 01.01.2012 der bisher zuerkannte Rentenanspruch weiterhin zustand (BSG, Urteil vom 11.02.1988, 4/11a RA 10/87 in SozR 2200 § 1276 Nr. 11). Damit kam den vom Sachverständigen Prof. Dr. B. beantworteten Fragen des Sozialgerichts nach den beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und ihren Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits (März 2012) wesentliche Bedeutung zu. Hiervon geht auch das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss aus.

Soweit es allerdings eine nur teilweise Übernahme der Kosten vornimmt, weil der Kläger nur einen Teilerfolg erreichte, folgt ihm der Senat nicht. Richtig ist, dass die Annahme des Sachverständigen, es handle sich um eine dauerhafte Leistungsminderung, keinen Eingang in den gerichtlichen Vergleich fand, sich die Beteiligten vielmehr bei der vergleichsweisen Regelung an der Beurteilung der Kammer, eine Besserung sei zu erwarten, orientierten. Damit obsiegte der Kläger auf Grund des Gutachtens von Prof. Dr. B. teilweise, indem er eine Weitergewährung der Rente erreichte und er unterlag in Bezug auf die begehrte dauerhafte Rentengewährung. Eine Quotelung der Übernahme entsprechend diesem Erfolg lehnt der Senat ab. Das Ausmaß des Erfolges des Klägers im Rechtsstreit erscheint dem Senat - jedenfalls bei einheitlichem Streitgegenstand und im Regelfall - kein geeignetes Kriterium bei der Entscheidung über die Übernahme der Kosten für das Gutachten nach § 109 SGG. Denn das Ausmaß des Erfolges korrespondiert nicht notwendig mit den Kostenanteilen für die jeweiligen Ermittlungen. Entsprechend müssten deshalb ggf. nähere Betrachtungen zu den jeweils für den Teilerfolg oder teilweisen Misserfolg im Zusammenhang stehenden Kostenanteilen des Gutachtens angestellt werden. Im vorliegenden Fall hätte sich damit etwa die Frage gestellt, welche getrennt erfassbaren Kosten für die Prüfung des Sachverständigen, ob und welche Gesundheitsstörungen beim Kläger vorlagen und zu wel-chen Leistungsdefiziten sie führten, im Verhältnis zu jenen ggf. getrennt erfassbaren Kosten anfielen, die zur Klärung der Frage erforderlich waren, ob und ggf. wodurch eine Besserung dieser Situation erreichbar wäre. Nicht getrennt erfassbare Kosten wären, weil zum Erfolg führend, auch aus Sicht des Sozialgerichts zu übernehmen. Eine derartige Prüfung von getrennt erfassbaren Kostenanteilen des Gutachtens erscheint im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung unverhältnismäßig. Damit bleibt es bei den oben dargestellten Kriterien für die Ermessensentscheidung, wonach eine Übernahme der Kosten nach § 109 SGG erfolgt, wenn das Gutachten wesentlich zur Sachaufklärung beitrug; ein voller Erfolg des Rechtsstreits ist hierfür nicht erforderlich (im Ergebnis ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.10.2008, L 6 SB 4170/08 KO-B; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage, §109 Rdnr. 16a).

Die Kostenentscheidung beruht - hinsichtlich der Frage, ob eine Erstattung außergerichtlicher Kosten erfolgt - auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und - hinsichtlich der Frage, wer zu erstatten hat - auf einer entsprechenden Anwendung des § 46 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. § 467 der Strafprozessordnung (StPO). Ähnlich den Fällen der Ordnungsgeldbeschwerde (vgl. BFH, Beschluss vom 10.01.1986, VIIII B 5/85 in BFHE 145, 314) sind die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens damit von der Staatskasse zu tragen (s. zum Ganzen ausführlich Beschluss des Senats vom 17.03.2009, L 10 U 1056/09 KO-B).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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