L 3 SB 4289/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 462/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4289/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird entsprechend seinem Anerkenntnis vom 27. Juni 2012 verurteilt, bei der Klägerin ab dem 01. November 2010 einen GdB von 50 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 bereits ab dem 01.04.2010 hat.

Auf den Antrag der 1950 geborenen Klägerin vom 10.11.2006 stellte das Landratsamt E. (LRA), gestützt auf die am 08.02.3007 von Dr. B. erstattete Versorgungsärztliche Stellungnahme, mit Bescheid vom 13.02.2007 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Schwindel, Gleichge¬wichtsstörungen, Hirndurchblutungsstörungen, Bluthochdruck (Teil-GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 20) und Knorpelschäden am rechten Kniegelenk (Teil-GdB 10) einen GdB von 30 seit Antrag¬stellung fest.

Am 03.06.2008 stellte die Klägerin einen Erhöhungsantrag, in dem sie als weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Schilddrüsenveränderung rechtsbetont, einen Bruch des zweiten Mittelfußknochens und ein seit Jahren bestehendes Lipödem beider Beine sowie Lymphödeme geltend machte. Mit Bescheid vom 23.07.2008 lehnte das LRA den Antrag auf Neufeststellung des GdB ab. Die neu geltend gemachten Gesundheitsstörungen bedingten keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Hiergegen erhob die Klägerin am 31.07.2008 Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin als weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Daumensattelgelenksarthrose, ein Carpaltunnel-syndrom sowie einen Zustand nach Netzhautrissen in den 80er bzw. 90er-Jahren geltend. Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte wies der Beklagte mit Wider-spruchsbescheid vom 29.01.2009 den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 05.02.2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen gehört. Der Facharzt für Neurochirurgie Dr. O. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 18.05.2009 mitgeteilt, er teile die Auffassung des Versorgungsärztlichen Dienstes hinsichtlich der von ihm festgestellten Erkrankungen eines Carpaltunnelsyndroms rechts mehr als links und einer Tendovaginosis stenosans (Sehnenscheidenentzündung) Dig. 1 rechts. Der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K. hat unter dem 19.05.2009 angegeben, bei einer einmaligen Untersuchung der Klägerin am 14.04.2009 habe er nur eine geringfügige Einschränkung der Vitalkapazität festgestellt. Er teile die Beurteilung des Versorgungsärztlichen Dienstes. Der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. O., bei dem die Klägerin seit 2003 in regelmäßiger Behandlung stand, hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 15.05.2009 folgende Befunde mitgeteilt: Steil-/Fehlhaltung der LWS, Osteochondrose BWK 12 bis SWK 1, erosive Osteochondrose LWK 1/2, Bandscheibenvorfall LWK 2/3, Protrusio LWK 3/4 mit fraglicher Wurzelirritation L 3 links, Protrusio L 4/5 und L 5/S1, Hallux valgus, Rhizarthrose links, Chondromalazia patellae Grad III-IV linkes Kniegelenk, Chondromalazie bzw. Gonarthrose Grad I-II linkes Kniegelenk, Beinödeme beidseits. Er teile die Auffassung des Versorgungsärztlichen Dienstes hinsichtlich der von ihm behandelten Gesundheitsstörungen. Der Internist Dr. T. hat unter dem 19.06.2009 mitgeteilt, bezüglich der Erkrankungen des Bewegungsapparates sei der GdB von 20 als nicht ausreichend anzusehen und eine Höherstufung auf 40 durchzuführen. Die Klägerin hat weiter einen Entlassungsbericht des S.Klinikums P. vom 31.07.2009 über eine stationäre Behandlung vom 21.07.2009 bis 31.07.2009 mit den Diagnosen Proktosigmoiditis (Entzündung des Mastdarms), Divertikel am Coecalpol, Hysterektomie 1990 sowie Verdacht auf ACE-Hemmer-induzierten Reizhusten vorgelegt. In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.12.2009 hat Dr. R. hierzu ausgeführt, nachdem Gleichgewichtsstörungen sowie Hirndurchblutungsstörungen oder Schwindel fachneurologisch bzw. HNO-ärztlich nicht bestätigt würden, entfalle der Tenor insoweit ersatzlos. Auch seien die Gang- und Standprüfungen regelrecht gewesen. In Verbindung mit dem Bluthochdruck sei ein Einzel-GdB von 20 sachgerecht, da die Augenärztin Dr. Z. Augenhintergrundveränderungen bestätigt habe. Insgesamt verbleibe es bei einem Gesamt-GdB von 30.

Mit Urteil vom 07.07.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird insoweit Bezug genommen.

Gegen das am 03.08.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.09.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie mit Schreiben vom 09.12.2010 zunächst vorgetragen, der Zustand des linken Kniegelenks habe sich verschlechtert, zudem sei es zu einem Wiederaufleben eines Magengeschwüres gekommen. Hierzu hat sie Arztbriefe von Dr. K. vom 13.07.2009 (Diagnosen: Chronische Tracheobronchitis und gastroösophagealer Reflux, ohne Diffu¬sionsstörung und ohne Obstruktion) sowie des Arztes für Diagnostische Radiologie Dr. G. vom 03.12.2010 über eine Kernspintomographie des linken Kniegelenkes vom 02.12.2010 vorgelegt. Unter Vorlage des Arztbriefes des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie Dr. L. vom 01.08.2003 hat sie vorgetragen, dass sie nach wie vor unter Schwindelerscheinungen leide. Sie hat weiter einen Arztbrief von Dr. O. über eine ambulante Operation des linken Kniegelenks am 16.12.2010 vorgelegt. Als Diagnosen werden darin eine Gonarthrose, degenerative Meniskopathie, Retropatellararthrose sowie Synovialitis mit freien Gelenkkörpern links genannt, die Klägerin habe seit ein paar Wochen verstärkte Schmerzen im linken Knie. Gestützt auf die Versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf vom 22.12.2010 hat der Beklagte das Vergleichsangebot eines GdB von 40 ab 12/2010 unterbreitet, das die Klägerin nicht angenommen hat.

Der als sachverständiger Zeuge gehörte Dr. T. hat mit Schreiben vom 16.02.2011 folgende Diagnosen mitgeteilt: Arterielle Hypertonie, Lipödem beidseits, degeneratives HWS-Syndrom, degeneratives LWS-Syndrom mit Bandscheibenprotrusion L 2/3, Zustand nach Fraktur des Os metatarsale II, Zustand nach Operation Tendovaginitis stenosans, Zustand nach Operation des Carpaltunnelsyndroms rechts, Zustand nach Innenmeniskus-Außenmeniskus-Teilresektion links 12/2010, Gonarthrose links, Verdacht auf Bonebruise. Bezüglich einer Beurteilung des GdB sei die abschließende Diagnostik abzuwarten. Dr. O. hat in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 11.04.2011 angegeben, er teile die Auffassung des Versorgungsärztlichen Dienstes.

Die Klägerin hat weitere aktuelle ärztliche Befundberichte bezüglich des linken Kniegelenks vorgelegt. Vom 18.05.2011 bis 23.05.2011 befand sie sich in der A.klinik P. zur Implantation einer unicondylären Schlittenprothese im linken Kniegelenk. Im Arztbrief vom 21.06.2011 hat der behandelnde Facharzt für Orthopädie Dr. N. hierzu mitgeteilt, die Therapie sei gut vertragen worden, die Wundklammern zeitgerecht entfernt worden, der Verlauf sei ungestört. Im Arztbrief vom 04.07.2011 hat der Orthopäde Dr. Ö. eine Implantatlockerung links ausgeschlossen.

Im Arztbrief vom 21.11.2011 hat Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie Dr. A. die Diagnose des Verdachts auf Innenmeniskus-Läsion rechts gestellt. Die Klägerin habe anamnestisch Beschwerden im rechten Knie seit einigen Jahren angegeben. Im Arztbrief vom 16.01.2012 hat Dr. A. unter Auswertung einer Kernspintomographie des rechten Kniegelenkes vom 16.01.2012 die Diagnose einer Überlastung bei Gonarthrose rechts mitgeteilt. Es sei eine konservative Therapie mit Krankengymnastik und Elektrotherapie durchzuführen.

Die Klägerin hat weiter vorgetragen, zu berücksichtigen sei ein erheblicher Hallux valgus an beiden Großzehen mit entzündlichen Prozessen, eine Narbengeschwulst am rechten Bauch nach Blinddarmoperation in der Kindheit sowie eine nahezu handgroße Fettgeschwulst auf dem linken Schulterblatt sowie ein beidseitiges Lipödem an den Beinen.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 11.05.2012 zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Ein vom Beklagten unter dem 24.05.2012 unterbreitetes Vergleichsangebot, den GdB unter Zugrundelegung eines Teil-GdB von 30 für Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, Kniegelenksteilendoprothese links, Funktionsstörung durch Zehenfehlform und Lipödem beider Beine ab Dezember 2010 mit 50 festzustellen, hat die Klägerin nicht angenommen und vorgetragen, der GdB sei bereits ab dem 01.04.2010 mit 50 festzustellen, da die Beschwerden nahezu allesamt in Art und Schwere bereits vor 2010 vorgelegen hätten.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass der GdB der Klägerin ab November 2010 mit 50 festzustellen ist.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07. Juli 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2009 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 01. April 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückzuweisen.

Sie trägt vor, vor November 2010 sei ein GdB von 50 nicht festzustellen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, er-gänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, obwohl die Klägerin an der nach einer Wartezeit von 20 Minuten eröffneten mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat, da ihr mit der am 11.05.2012 zur Post gegebenen Terminsbestimmung Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind und sie darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl. BSG, Beschluss v. 07.07.2011 - B 14 AS 35/11 B - juris).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungs-ausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Klägerin hat das Angebot des Beklagten vom 24.05.2012 auf Abschluss eines außer-gerichtlichen Vergleichs, in welchem dieser einen GdB von 50 ab 12/2010 zugrunde gelegt hatte, nicht angenommen. Denn sie hat in ihrer Annahmeerklärung angegeben, ein GdB von 50 sei zumindest ab dem 01.04.2010 festzustellen und damit dem Vergleichsangebot des Beklagten in einem wesentlichen Punkt nicht zugestimmt.

1. Die Berufung ist nur insoweit begründet, als der GdB der Klägerin ab dem 01.11.2010 entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Teilanerkenntnis des Beklagten mit 50 festzustellen ist. Da die Klägerin das Teilanerkenntnis des Beklagten nicht angenommen hat, hat im Umfang dieses Teilanerkenntnisses gem. § 202 SGG i.V.m. § 307 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ein Teilanerkenntnisurteil zu ergehen, ohne dass hierbei zu prüfen ist, ob der Anspruch besteht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 101 Rn. 19) und ohne dass es eines entsprechenden Antrags bedarf (Hk-SGG/Roller, § 101 Rn. 35).

2. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.

Zur Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB sowie der für die Ermittlung des konkreten GdB relevanten Vorgaben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) sowie der ab dem 01.01.2009 anzuwendenden Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen vor November 2010 keinen höheren GdB als 30.

a) Die dem Bescheid vom 13.02.2007 zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Hirndurchblutungsstörungen liegen - jedenfalls zwischenzeitlich - nicht mehr vor. Lediglich im Arztbrief des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie Dr. L. vom 01.08.2003 werden anamnestisch leichte Schwindelerscheinungen, ins-besondere beim Vorbeugen und Wiederaufrichten, genannt. In der Folgezeit haben die zahl-reichen die Klägerin untersuchenden Ärzte jedoch keine entsprechende Diagnosen mehr gestellt. Insbesondere hat auch Dr. T. weder in der sachverständigen Zeugenaussage vom 16.02.2011 entsprechende Diagnosen genannt noch sind solche den vorgelegten Arztbriefen zu entnehmen. Lediglich Dr. O. hat in der Aussage vom 11.04.2011 mitgeteilt, bei der Untersuchung am 01.04.2010 sei ein schnelles Drehen des Kopfes schwindelauslösend gewesen. Bei der Klägerin besteht darüber hinaus ein Bluthochdruck. Dieser ist zusammen mit den Augen¬hintergrundveränderungen, die die Ärztin für Augenheilkunde Z. im Arztbrief vom 22.01.2007 mitgeteilt hat, mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.

b) Bezüglich der unteren Extremitäten haben vor November 2010 keine Funktions-beeinträchtigungen vorgelegen, die einen höheren GdB als 10 bedingen.

aa) Bei der Untersuchung durch Dr. O. im 05.03.2009 betrugen die Bewegungsmaße des linken Knies bzgl. Extension/Flexion 0-0-130. Ein am 31.03.2009 erstelltes MRT des linken Kniegelenks (Bl. 44 RS LSG) ergab eine kranial betonte Chondromalazia patellae Grad III bis IV ohne signifikante Ergussbildung in der Bursa suprapatellaris bei geringer Gonarthrose, regelhaftem Innen- und Außenmeniskus und intakten Kreuz- und Seitenbändern. bei der Untersuchung durch Dr. O. am 23.04.2009 war der Befund am linken Knie gleichgeblieben. Bezüglich des rechten Kniegelenks hat Dr. O. erstmals am 07.08.2006 eine minimale periartikuläre Schwellung ohne Ergussbildung festgestellt bei freier Beweglichkeit und röntgenologisch festgestellten beginnenden Arthrosezeichen. Eine am 16.08.2006 durchgeführte Kernspintomographie des rechten Kniegelenks ergab keine Hinweise auf eine Gonarthrose oder einen Meniskusriss sowie unauffällige ligamentäre Strukturen sowie eine retropatellare Chondromalazie Grad III medialseitig betont. Am 05.09.2006 und 26.10.2006 bestanden Schmerzen lediglich bei tiefer Hocke und Belastung bei weiterhin freier Beweglichkeit. In der Folgezeit war die Klägerin wegen des rechten Knies in der Zeit bis November 2010 nicht mehr in ärztlicher Behandlung. Nach Teil B 18.14 VG bedingt eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) einseitig einen GdB von 0-10, bei beidseitigem Vorliegen von 10-20. Eine Bewegungseinschränkung diesen Ausmaßes hat bis November 2010 nicht vorgelegen. Auch sind bis dahin keine anhaltende Reizerscheinungen wegen ausgeprägter Knorpelschäden der Kniegelenke nachgewiesen, die - bei fehlender Bewegungseinschränkung - gem. Teil B 18.14. VG einen GdB von 10-30 begründen könnten. Ein Einzel-GdB von 10 für die Knorpelschäden am rechten Kniegelenk ist deshalb angemessen.

Erst am 25.11.2010 hat die Klägerin wegen Kniebeschwerden links wieder Dr. O. aufgesucht, der eine mäßige Ergussbildung sowie einen Patellaschiebeschmerz bei positivem Innen-meniskuszeichen festgestellt hat. Gegenüber Dr. G. hat die Klägerin ausweislich dessen Arzt-brief vom 03.12.2010 eine Zunahme der Beschwerden seit 3 Monaten, insbesondere deutlich seit 2 Wochen, angegeben; dieser hat aufgrund einer am 02.12.2010 gefertigten Kernspin-tomographie des linken Kniegelenks eine Progredienz der Befunde festgestellt. Zur Überzeugung des Senats ist damit erst im November 2010 eine wesentliche Verschlimmerung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten.

bb) Bei der Klägerin bestehen weiter Schmerzen im Bereich des rechten Vorfußes, sowie ein Hallux valgus mit entsprechender Arthrose im Großzehengrundgelenk, wie Dr. O. am 25.04.2008 diagnostiziert hat. Nach B 18.14 VG bedingen andere Fußdeformitäten (außer Klumpfuß) ohne wesentliche statische Auswirkungen sowie Versteifungen oder Ver-krümmungen aller Zehen eines Fußes noch keinen GdB. Erst eine Versteifung der Großzehen-gelenke in günstiger Stellung bedingt einen GdB von 0 bis 10, eine Fußdeformität mit statischer Auswirkung geringen Grades bedingt einen GdB von 10. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes bedingt die Gesundheitsbeeinträchtigung keine Erhöhung des GdB.

cc) Darüber hinaus besteht bei der Klägerin ein erstmals am 29.04.2008 diagnostiziertes Lipödem beider Beine sowie ein Lymphödem, das zu Schwellungen vor allem des rechten Beines führt, wie dem Arztbrief Dr. J. vom 29.04.2008 entnommen werden kann. Die hierdurch bedingten Schmerzen und Beschwerden im Fußrücken konnten jedoch durch Lymphdrainage (Arztbrief Dr. Schwarz vom 30.06.2008) bzw. eine Kompressionstherapie (Arztbrief Dr. J. vom 08.07.2008) gebessert werden. Gem. Teil B 9.2.3 VG ist ein Lymphödem an einer Gliedmaße ohne wesentliche Funktionsbehinderung, jedoch mit dem Erfordernis einer Kompressions-bandage, mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Der Senat erachtet die Feststellung eines GdB von 10 hierfür als ausreichend, zumal gem. Teil A 2 Abs. f VG Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen ist. Darüber hinaus ist für die weiter vorliegende Lipohypertrophie beider Beine kein GdB festzustellen. Es besteht insbesondere keine relevante Varikosis und auch keine periphere arterielle Verschlusskrankheit.

c) Die bei der Klägerin vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden und Schulter-Arm-Syndrom bedingen einen GdB von 20. Eine Cervikobrachialgie beidseits ohne zervikalen Bandscheibenschaden (ICD-10: M. 53.1) hat Dr. L. ausweislich des Arztbriefs vom 08.12.2006 und Dr. O. bei der Untersuchung am 18.09.2007 festgestellt. Ein am 25.04.2008 festgestellter Klopfschmerz über der HWS bestand am 07.10.2008 nicht mehr, jedoch wieder am 04.02.2010 und 01.04.2010. Dabei bestand eine endgradige Bewegungseinschränkung der HWS, die Reklination und Seitdrehung war beidseitig endgradig eingeschränkt. Dies entspricht allenfalls Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidi¬vierende und über Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome), die gem. Teil B 18.9 VG mit einem GdB von 20 zu bewerten sind.

d) Ein Zustand nach Bauchnarbenbruch bedingt, wie Dr. R. in der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.03.2012 ausgeführt hat, gem. Teil B 11.2 VG einen Teil-GdB von 10.

e) Ein Carpaltunnelsyndrom rechts mehr als links bedingt nach einer am 20.01.2009 durchgeführten Operation keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 mehr. Eine nach der Operation aufgetretene Bewegungseinschränkung des rechten Daumens wurde am 25.08.2009 wiederum operativ behandelt. Dr. T. hat hierzu am 16.02.2011 mitgeteilt, es bestehe ein Zustand nach Operation Tendovaginitis stenosans, ohne Funktionsbeeinträchtigungen zu benennen, so dass auch insoweit kein GdB von wenigstens 10 anzusetzen ist.

f) Die Proktosigmoiditis, wegen der sich die Klägerin vom 21.07.2009 bis 31.07.2009 in stationärer Behandlung befunden hat, stellt keine sich über mehr als sechs Monate erstreckende Gesundheitsstörung dar und ist deshalb bei der Bemessung des GdB nicht zu berücksichtigen (Teil A 2 f) VG). Ebenso bedingt eine Tracheobronchitis nach Atemwegsinfekt, die Dr. K. im April 2009 diagnostiziert hat, als vorübergehende Erkrankung keinen GdB.

Der vom Beklagten bis Oktober 2010 unter Zugrundelegung von zwei Einzel-GdB von 20 gebildete Gesamt-GdB von 30 ist danach nicht zu beanstanden. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Gesundheitsbeeinträchtigungen führen nicht zu einer weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB, da nach Teil A 3 d) ee) VG zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Ein Ausnahmefall (die VG nennen beispielhaft die hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit), der eine ausnahmsweise Erhöhung bedingen könnte, liegt nicht vor.

Eine Zunahme der Funktionsbeeinträchtigungen ist damit erst ab November 2010 nachgewiesen, so dass erst ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Erhöhung des GdB auf 50 erfüllt sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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