L 11 KR 1072/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 4068/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1072/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 09.02.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin weitere Kosten zweier Widerspruchsverfahren zu erstatten hat, wobei insbesondere der Erlass von Überprüfungsbescheiden nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) streitig ist.

Die 1947 geborene Klägerin, die bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, ist gelernte Verlagskauffrau und war zuletzt bei einem Verlag im Außendienst in Vollzeit beschäftigt. Seit dem 01.07.2008 war sie aufgrund eines psychovegetativen Erschöpfungssyndroms bei Belastung am Arbeitsplatz arbeitsunfähig. Sie bezog deswegen ab dem 12.08.2008 Krankengeld (Krg). Die Beklagte holte die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 23.07.2008 ein, wonach aus medizinischer Sicht auf Zeit Arbeitsunfähigkeit bestehe. Eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit könne nicht abschließend beurteilt werden. Zunächst sei eine fachpsychiatrische Mitbehandlung angezeigt. Mit Schreiben vom 26.08.2008 beantragte die Klägerin unter Beifügung des ärztlichen Befundberichts des Facharztes für Innere Medizin Dr. K. vom 20.08.2008 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme. Mit Schreiben vom 25.09.2008 forderte die Beklagte die Klägerin "nachgehend" auf, ihren bereits gestellten Rehabilitationsantrag nicht zurückzunehmen. Anderenfalls werde die Krg-Zahlung eingestellt werden. Die DRV lehnte den Antrag zunächst ab. Nachdem die Beklagte das weitere Gutachten des MDK vom 22.09.2008 eingeholt hatte, in dem dieser von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ausging, genehmigte die DRV auf den Widerspruch der Klägerin hin die beantragte Rehabilitationsmaßnahme, die vom 05.01. bis 16.02.2009 in der Rehaklinik G. stattfand. Laut Mitteilung der Rehaklinik G. vom 16.02.2009 wurde die Klägerin arbeitsunfähig entlassen. Daraufhin bat die Beklagte den MDK um eine weitere Stellungnahme. In seinem Gutachten vom 24.03.2009 teilte dieser mit, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin erheblich gemindert sei, weshalb ein Arbeitsplatzwechsel zu prüfen sei. Hierüber unterrichtete die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 06.05.2009, die daraufhin mitteilte, der Arbeitgeber solle über den vorgeschlagenen Arbeitsplatzwechsel nicht informiert werden. Mit weiterem Schreiben vom 06.05.2009 forderte die Beklagte die Klägerin auf, einen Antrag auf Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme beim Rentenversicherungsträger zu beantragen und die Stellung des Antrags bis spätestens 17.07.2009 ihr gegenüber zu bestätigen. Andernfalls werde die Krg-Zahlung eingestellt. Am 15.06.2009 erkundigte sich die Beklagte nach dem Zwischenstand und kündigte telefonisch gegenüber der Klägerin den am 16.06.2009 erlassenen Bescheid an. Darin wurde die Klägerin unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht aufgefordert, den Arbeitsplatzwechsel selbst mit ihrem Arbeitgeber zu klären. Der Klägerin wurde eine Frist bis zum 07.07.2009 gesetzt und sie wurde darauf hingewiesen, dass die Beklagte bei Nichteinhaltung der Frist kein Krankengeld mehr zahle.

Der klägerische Bevollmächtigte legte am 17.06.2009 gegen das "als Verwaltungsakt zu qualifizierende Handeln" vom 15.06.2009 und am 22.06.2009 gegen den Bescheid vom 16.06.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte sei nicht befugt, sich in die arbeitsrechtlichen Verhältnisse seiner Mandantin einzumischen. Hierfür bestehe ebenso wenig eine Rechtsgrundlage im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wie für die daraufhin angekündigte Nichtzahlung von Krankengeld. Mit Bescheid vom 26.06.2009 hob die Beklagte den "Verwaltungsakt vom 15.06.2009 sowie 16.06.2009" auf, sodass den Widersprüchen abgeholfen sei.

Am 22.06.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, vertreten durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, die Überprüfung der Bescheide vom 25.09.2008 und 06.05.2009 gemäß § 44 SGB X. In beiden Bescheiden habe die Beklagte ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Sie seien daher rechtswidrig. Dies folge bereits daraus, dass bereits ein Rehabilitationsantrag aus "freien Stücken" gestellt worden sei. Mit Bescheiden vom 07.07.2009 lehnte die Beklagte die Rücknahme der Bescheide vom 25.09.2008 und 06.05.2009 ab. Sämtliche vorliegende Informationen, insbesondere die Ergebnisse des MDK, seien genutzt worden, um das Ermessen auszuüben. Die Bescheide seien daher nicht rechtswidrig. Hiergegen erhob die Klägerin jeweils mit Schreiben vom 10.07.2009 und 13.07.2009 Widerspruch. Mit Bescheid vom 10.11.2009 half die Beklagte den Widersprüchen ab und hob die Überprüfungsbescheide vom 07.07.2009 und die zugrundeliegenden Bescheide vom 25.09.2008 und 06.05.2009 auf. Auf Antrag erstatte die Beklagte die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen, die der Klägerin durch die beiden Widerspruchsverfahren jeweils entstanden seien. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines Bevollmächtigten sei erforderlich gewesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die nachträgliche Aufforderung, einen Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme oder Rente zu stellen, sei rechtswidrig gewesen. Denn im Bescheid vom 25.09.2008 sei kein Ermessen ausgeübt worden. Die zweite Aufforderung vom 06.05.2009 sei rechtswidrig, da die Klägerin aus einer vorangegangenen Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig entlassen worden sei, so dass sich die entsprechende Aufforderung als ungeeignet und daher rechtswidrig darstelle.

Daraufhin beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Kostennoten vom 17.11.2009 (im Hinblick auf den Widerspruch vom 10.07.2009) nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zum einen die Erstattung der Summe von 1.261,40 EUR ("Vergütungsrechnung I", die sich wie folgt zusammensetzte: Geschäftsgebühr nach § 3 RVG iVm Nr 2400 des Vergütungsverzeichnisses [VV] iHv 520,- EUR, Einigungsgebühr nach Nr 1005 VV iHv 520,- EUR und Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV iHv 20,- EUR sowie die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV iHv 201,40 EUR) und "alternativ" die Erstattung der Summe von 642,60 EUR für das Überprüfungsverfahren ("Vergütungsrechnung II", die sich wie folgt zusammensetzte: Geschäftsgebühr nach § 3 RVG iVm Nr 2400 VV iHv 520,- EUR, Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV iHv 20,- EUR sowie die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV iHv 102,60 EUR) bzw von 499,80 EUR für das Widerspruchsverfahren ("Vergütungsrechnung II", die sich wie folgt zusammensetzte: Geschäftsgebühr nach § 3 RVG iVm Nr 2400 VV iHv 120,- EUR, Einigungsgebühr nach Nr 1005 VV iHv 120,- EUR und Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV iHv 20,- EUR sowie die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV iHv 79,80 EUR). Mit Kostennoten vom 18.11.2009 (im Hinblick auf den Widerspruch vom 13.07.2009) beantragte er zum einen die Erstattung der Summe von insgesamt 1.259,02 EUR ("Vergütungsrechnung I", die sich wie folgt zusammensetzte: Geschäftsgebühr nach Nr 2400 VV iHv 519,- EUR, eine Erledigungsgebühr nach Nr 1005 VV iHv 519,- EUR, eine Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV iHv 20,- EUR sowie die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV iHv 201,02 EUR) und "alternativ" die Erstattung der Summe von 641,41 EUR für das Überprüfungsverfahren ("Vergütungsrechnung II", die sich wie folgt zusammensetzte: Geschäftsgebühr nach § 3 RVG iVm Nr 2400 VV iHv 519,- EUR, Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV iHv 20,- EUR sowie die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV iHv 102,41 EUR) bzw 497,42 EUR für das Widerspruchsverfahren ("Vergütungsrechnung II", die sich wie folgt zusammensetzte: Geschäftsgebühr nach § 3 RVG iVm Nr 2400 VV iHv 119,- EUR, Einigungsgebühr nach Nr 1005 VV iHv 119,- EUR und Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV iHv 20,- EUR sowie die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV iHv 79,42 EUR). Die Vergütungsrechnungen I gingen davon aus, dass die Beklagte die Kosten für das Vorverfahren nicht trage und die Beklagte deshalb im Widerspruchsverfahren nicht kostenprivilegiert sei. Die Vergütungsrechnungen II gingen davon aus, dass die Beklagte die Kosten für das Verwaltungsverfahren trage und deshalb im Widerspruchsverfahren kostenprivilegiert sei.

Die Beklagte teilte dem Bevollmächtigten der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 10.12.2009 mit, dass sie beabsichtigte, einen Betrag von insgesamt 166,60 EUR (bestehend aus Geschäftsgebühr von 120,- EUR, Auslagenpauschale von 20,- EUR sowie Umsatzsteuer von 26,60 EUR) bzw 165,41 EUR (bestehend aus Geschäftsgebühr von 119 EUR, Auslagenpauschale 20,- EUR sowie Umsatzsteuer von 26,41 EUR) zur Erstattung festzusetzen, da er bereits im Antragsverfahren nach § 44 SGB X tätig geworden sei. Die Erledigungsgebühr sei nicht angefallen. Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin hierauf nicht reagiert hatte, setzte die Beklagte mit Bescheiden vom 28.12.2009 die zu erstattenden Kosten wie angekündigt fest. Die Bescheide wurden den Bevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 31.12.2009 zugestellt.

Am 01.02.2010 erhob der Klägervertreter zwei Widersprüche "gegen den Bescheid vom 10.11.2009" und gegen den "Abhilfebescheid vom 10.11.2009". Die Widersprüche enthielten keine Begründung. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin gegen "den Bescheid vom 10.11.2009" zurück. Der Widerspruch sei nicht zulässig, da eine Beschwer aufgrund des Abhilfebescheids nicht mehr vorgelegen habe. Der Klägerin fehle mithin auch das Rechtsschutzbedürfnis. Darüber hinaus sei der Widerspruch auch unbegründet.

Am 22.04.2010 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin schriftlich die Überprüfung der Bescheide vom 28.12.2010. In diesem Zusammenhang gab er an, dass es doch wohl klar gewesen sei, dass sich seine Widersprüche vom 01.02.2010 gegen die Bescheide vom 28.12.2012 gerichtet hätten. Mit Schreiben vom 19.07.2010 teilte die Beklagte dem Bevollmächtigten der Klägerin mit, nachdem weder neue sachliche oder rechtliche Tatsachen vorgebracht worden seien, bestünde kein Anlass, die Kostenfestsetzungsbescheide vom 28.12.2009 erneut materiell zu prüfen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten die Schreiben nicht. Sie wurden dem Bevollmächtigten der Klägerin allerdings mit Postzustellungsurkunde am 21.07.2010 zugestellt.

Gegen die beiden Bescheide vom 19.07.2010 legte der Bevollmächtigte der Klägerin am 09.08.2010 jeweils getrennt Widerspruch ein. Die Beklagte habe keine Überprüfung vorgenommen. Damit sei die Klägerin nicht einverstanden. Die Beklagte sei verpflichtet, über einen Antrag nach § 44 SGB X in der Sache zu entscheiden.

Am 09.08.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) zwei Untätigkeitsklagen erhoben (S 14 KR 4068/10 und S 14 KR 4069/10), die das SG mit Beschluss vom 08.02.2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az: S 14 KR 4068/10 verbunden hat.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 hat die Beklagte die Widersprüche vom 09.08.2010 gegen die Bescheide vom 19.07.2010 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Kostenfestsetzungsbescheide seien nach § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unanfechtbar, da sie bestandskräftig geworden seien. Hierauf habe sich die Beklagte auch berufen dürfen. Denn die Klägerin habe keine Anhaltspunkte vorgetragen, die bei einer Ermessensentscheidung im Rahmen des § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X zu einer anderen Entscheidung hätten führen können. Soweit sich aus einem Überprüfungsantrag nichts ergebe, was für die Unrichtigkeit der ursprünglichen Entscheidung sprechen könne, dürfe sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung der ursprünglichen Entscheidung berufen. Eine erneute Entscheidung in der Sache sei nicht notwendig gewesen, da die Klägerin neue Tatsachen, Erkenntnisse oder Beweismittel weder vorgebracht habe noch seien sie anderweitig bekannt geworden. Im Übrigen seien die Kostenfestsetzungsbescheide formell und materiell rechtmäßig. Dies hat die Beklagte in der Widerspruchsbegründung weiter ausgeführt. Dagegen hat die Klägerin am 23.12.2010 beim SG zwei weitere Klagen erhoben (S 14 KR 6548/10 und S 14 KR 6549/10).

Zur Begründung ihrer Untätigkeitsklagen hat die Klägerin ausgeführt, sie habe am 01.02.2010 veranlasst durch das Sekretariat ihres Prozessbevollmächtigten Widerspruch erhoben, der sich eigentlich gegen die Kostenbescheide vom 28.12.2009 habe richten sollen. Leider sei formuliert worden, dass gegen den Abhilfebescheid mit Datum vom 10.11.2009 Widerspruch erhoben werde. Die Beklagte habe jedoch mit Schreiben vom 19.07.2010 unmissverständlich mitgeteilt, dass sie eine Überprüfung der Kostenbescheide nicht vorgenommen habe. Da sich die Beklagte weigere, eine materiell-rechtliche Prüfung vorzunehmen, sei die Klage geboten. Die Beklagte müsse daher über die am 22.04.2010 gestellten Überprüfungsanträge entscheiden.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2011 hat das SG die Klage (gemeint: die Klagen) abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Nach § 88 Abs 1 SGG sei die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden sei. Diese Voraussetzungen hätten bei Klageerhebung erkennbar schon deshalb nicht vorgelegen, da die Anträge auf Überprüfung der Bescheide vom 28.12.2009 nach dem Vortrag der Klägerin erst am 25.04.2010 gestellt worden seien, so dass die Frist von sechs Monaten bei Klageerhebung am 09.08.2010 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Klage sei auch nicht durch Ablauf der Frist von sechs Monaten zulässig geworden, da die Beklagte am 19.07.2010 Bescheide über die Anträge der Klägerin vom 22.04.2010 erlassen habe. Hierbei sei es unschädlich, dass die Bescheide vom 19.07.2010 keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt habe, ermögliche § 88 SGG lediglich die Klage zur Erzwingung eines Bescheids als solchen, nicht aber die Klage zur Erzwingung eines Bescheids mit einem bestimmten materiellen Inhalt. Insofern müsse die Klägerin sich hiergegen ggf mit der Anfechtungs- bzw Verpflichtungsklage wehren. Jedenfalls aber sei die Klage spätestens mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2010 unzulässig geworden, denn in diesem Widerspruchsbescheid habe die Beklagte sich ausführlich mit der Bestandskraft der Bescheide vom 28.11.2009 auseinandergesetzt und zudem noch eine materielle Überprüfung der genannten Bescheide vorgenommen. Der Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 sei auch nicht nichtig. Denn die Bezeichnung eines Erstbescheids als Widerspruchsbescheid sei kein schwerwiegender offenkundiger Fehler im Sinne dieser Vorschrift, sondern führe allenfalls zu einer Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung. Die Klage könne auch nicht als Klage gegen die Bescheide vom 19.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2010 ausgelegt werden, da die Klägerin gegen diese zwischenzeitlich gesondert Klage erhoben habe. Schließlich sei die Untätigkeitsklage auch nicht nach § 88 Abs 2 SGG zulässig. Die Klägerin habe zwar vorgetragen, dass sie am 01.02.2010 gegen die Bescheide vom 28.12.2009 Widerspruch erhoben habe und die Beklagte dies auch hätte erkennen müssen. Dem sei jedoch nicht zu folgen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe seine Widersprüche vom 01.02.2010 ausdrücklich gegen den Bescheid vom 10.11.2009 und den Abhilfebescheid vom 10.11.2009 gerichtet.

Hiergegen richtet sich die am 15.03.2011 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, die Untätigkeitsklagen seien zulässig gewesen. Denn die Sperrfrist müsse bei einer endgültigen Weigerung der Behörde, einen entsprechenden Bescheid bekanntzugeben, nicht abgewartet werden. Dies sei gültiges Recht. Entgegen der Auffassung des SG habe die Beklagte am 19.07.2010 keine Bescheide über die Anträge der Klägerin vom 22.04.2010 erlassen. Sie habe es vielmehr ausdrücklich abgelehnt, die angegriffenen Bescheide zu überprüfen. Die Ablehnung der Überprüfung sei zwar sicherlich auch ein Bescheid, aber keine Durchführung eines Überprüfungsverfahrens. Diese Ablehnungsbescheide seien vielmehr gesondert mit Widerspruch anzufechten und seien dann im weiteren Verlauf aufzuheben. Die Untätigkeitsklage sei im vorliegenden Fall jedoch rechtsschutzintensiver, da auf diesem Weg schneller ein Überprüfungsbescheid zustande komme. Hinzu komme, dass die Beklagte bei Erlass der Bescheide vom 19.07.2010 auch kein Ermessen ausgeübt habe. Auch durch den Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 seien die Klagen nicht unzulässig geworden. Denn es liege weiterhin keine Überprüfung der angefochtenen Bescheide vor.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 09.02.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über die am 22.04.2010 gegen die Kostenbescheide vom 28.12.2009 gerichteten Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X einen Bescheid bekanntzugeben, hilfsweise, die Angelegenheit im Rahmen von § 159 SGG an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Es liege weder eine "Nichtbescheidung" noch eine Untätigkeit vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung des SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Untätigkeitsklagen waren unzulässig, da eine Untätigkeit der Beklagten nicht vorlag. Die Bescheide vom 19.07.2010 beinhalten eine Entscheidung über die Überprüfungsanträge vom 22.04.2010.

Nach § 88 Abs 1 SGG gilt, dass - soweit ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist - die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann. Wird innerhalb dieser Frist dem Antrag stattgegeben, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären. Das gleiche gilt nach § 88 Abs 2 SGG, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt.

Vorliegend richtet sich die Zulässigkeit der am 09.08.2010 beim SG erhobenen Untätigkeitsklagen nach § 88 Abs 1 SGG, da die Klägerin geltend macht, dass die Beklagte über ihre Überprüfungsanträge vom 22.04.2010 noch nicht entschieden habe. Unabhängig davon, dass - bei Zugrundlegung der Rechtsauffassung der Klägerin - zum Zeitpunkt der Klageeinreichung die Sechsmonatsfrist (Sperrfrist) noch nicht verstrichen war (vgl hierzu allg hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 88 RdNr 5c), ist Zulässigkeitsvoraussetzung weiter, dass die Beklagte die Überprüfungsanträge sachlich nicht beschieden hat, die Behörde also nicht eine abschließende Entscheidung zur Hauptsache getroffen hat (Leitherer, aaO, RdNr 4 mwN). Eine solche Entscheidung ist jedoch in den Schreiben der Beklagten vom 19.07.2010 zu sehen. Die Beklagte hat darin der Klägerin unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Überprüfungsanträge vom 22.04.2010 mitgeteilt, dass kein Anlass besteht, die Kostenfestsetzungsbescheide vom 28.12.2009 erneut materiell zu prüfen, nachdem die Klägerin weder neue sachliche noch rechtliche Tatsachen vorgebracht hatte.

Durch die Schreiben vom 19.07.2010 wurde damit über die Überprüfungsanträge der Klägerin vom 22.04.2010 entschieden. Entgegen der Auffassung der Klägerin musste die Beklagte die Kostenfestsetzungsbescheide vom 28.12.2009 nicht erneut materiell prüfen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Nach § 44 Abs 2 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach der Rechtsprechung des BSG darf sich die zuständige Behörde ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung (§ 77 SGG) berufen, wenn sich im Verlauf des Überprüfungsverfahrens nichts ergibt, was für die Unrichtigkeit der Ausgangsentscheidung sprechen könnte (vgl BSGE 63, 33; 79, 297; 88, 75; ebenso Merten in Hauck/Noftz, § 44 SGB X RdNr 37 ff, 40 f, Stand 8/2011; kritisch Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 40). Werden keine neue Tatsachen oder rechtliche Hinweise vorgebracht, hat danach eine erneute Sachprüfung zu unterbleiben. Die das Überprüfungsverfahren durchführende Behörde darf sich deshalb darauf beschränken, in eine Sachprüfung erst dann einzusteigen, wenn Tatsachen oder rechtliche Hinweise vorgebracht werden, die im Rahmen der Ausgangsentscheidung übersehen worden sind und die Berücksichtigung der neuen Umstände zu einer anderen Sachentscheidung führen würde (Merten, aaO, RdNr 40).

So liegt der Fall hier. Die Kostenfestsetzungsbescheide vom 28.12.2009, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten, sind bestandskräftig geworden. Sie wurden dem Bevollmächtigten der Klägerin am 31.12.2009 zugestellt. Dies ergibt sich aus der Postzustellungsurkunde vom 31.12.2009. Einen Rechtsbehelf hiergegen hat die Klägerin innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist nicht eingelegt. Die Klägerin hat mit ihren Überprüfungsanträgen vom 22.04.2010 im Wesentlichen nur angegeben, dass es doch wohl klar gewesen sei, dass sich ihre Widersprüche vom 01.02.2010 gegen die Bescheide vom 28.12.2012 gerichtet hätten. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die Widersprüche vom 01.02.2010 bezogen sich ausdrücklich und eindeutig auf den Bescheid vom 10.11.2009. Eine Begründung, weshalb die Entscheidungen vom 28.12.2009 rechtswidrig sein sollten, wurde von der Klägerin im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nicht vorgelegt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den zu überprüfenden Bescheiden fehlt mithin völlig. In einer solchen Situation kann die Behörde - wie vorliegend durch die Bescheide vom 19.07.2010 geschehen - eine erneute materielle Prüfung ablehnen. Daraus folgt, dass die Überprüfungsanträge vom 22.04.2010 durch die Bescheide vom 19.07.2010 beschieden wurden und mithin keine Untätigkeit der Beklagten vorlag. Hierbei ist unschädlich, dass die Rechtsbehelfsbelehrung (vgl § 36 SGB X) fehlte. Dies wirkt sich lediglich auf den Lauf von Rechtsbehelfsfristen aus (§ 66 Abs 2 SGG). Entscheidend ist der Regelungsgehalt. Die Schreiben vom 19.07.2010 sind dem Bevollmächtigten der Klägerin im Übrigen auch zugegangen, was sich aus der Postzustellungsurkunde vom 21.07.2010 ergibt.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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