L 11 R 1367/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 1637/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1367/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig und hierbei insbesondere die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Die am 1950 geborene Klägerin erlernte von 1968 bis 1971 den Beruf einer Handelskauffrau und übte diese Tätigkeit versicherungspflichtig bis April 1986 aus. Seither ist die Klägerin Hausfrau und nicht mehr versicherungspflichtig tätig. Sie hat Versicherungszeiten in der allgemeinen Rentenversicherung vom 01.09.1968 bis 14.04.1986 (Pflichtbeitragszeiten) sowie vom 15.04.1986 bis 30.06.1987 (Pflichtbeitragszeiten wegen Schwangerschaft/Mutterschutz bzw für Kindererziehung). Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung liegen vom 01.06.1986 bis 31.05.1996 vor (Versicherungsverlauf vom 31.05.2012). Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit dem 19.11.2009 anerkannt (Schwerbehindertenausweis vom 24.03.2010).

Vom 02. bis 09.04.2003 wurde die Klägerin in der Neurologischen Klinik am Klinikum L. wegen einfach-fokalen Anfällen der linken Körperhälfte bei äthiologisch unklarer Läsion im prämotorischen Kortex rechts (hochfrontal) stationär behandelt. Prof. Dr. S. gab im Arztbrief vom 17.04.2003 an, bei der Klägerin bestünden seit Ende 2002 einfache fokale Anfälle mit motorischen Entäußerungen der linken Körperhälfte. Unter Medikation seien zunächst keine Anfälle mehr aufgetreten. Allerdings habe die Medikamentation wegen Schwindel und Gangunsicherheit reduziert werden müssen. Seither komme es links wieder zu fokalen Anfällen. Die Klägerin wurde sodann vom 29.04. bis 07.05.2003 in der Neurochirurgischen Universitätsklinik in F. stationär wegen einer kortikalen Dysplasie rechts prämotorisch, eines fokal-komplexen epileptischen Anfalls und einer chronischen Virushepatitis B behandelt. Das vorläufige histologische Gutachten zeige keine Hinweise auf das Vorliegen eines Tumors.

Am 26.01.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide seit dem Jahr 2000 an Epilepsie, an Gelenk- und Skelettschmerzen, an einem gestörten Gleichgewicht und einer Gehbehinderung, an Osteoporose sowie an starker Abnutzung. Mit Bescheid vom 13.02.2009 lehnte die Beklagte die beantragte Rente wegen Erwerbsminderung ab, da der letzte Pflichtbeitrag für Juni 1987 als entrichtet gelte (Kindererziehungszeit) und für die Zeit danach keine Zeiten geltend gemacht worden seien. Bei diesem Sachverhalt sei nicht geprüft worden, ob eine volle bzw teilweise Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vorliege. Diesen Bescheid hat die Klägerin nach eigenen Angaben nicht erhalten. Der Ehemann der Klägerin erkundigte sich telefonisch am 30.04.2009 nach dem Stand des Verfahrens. Mit Schreiben vom 06.05.2009 übermittelte die Beklagte der Klägerin nochmals den Bescheid vom 13.02.2009.

Gegen den Bescheid vom 13.02.2009 legte die Klägerin am 19.05.2009 Widerspruch ein und trug vor, den Bescheid vom 13.02.2009 zuvor nicht erhalten zu haben. Des Weiteren legte sie zur Begründung den Arztbrief des Facharztes für Neurologie Dr. W. vom 17.09.2009 vor. Darin wird mitgeteilt, dass die Klägerin unter der Medikation weiterhin anfallsfrei sei. Die Beklagte zog daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie Krankenhausberichte bei. Dr. W. teilte mit (Befundbericht vom 19.10.2009), die Klägerin sei unter der laufenden Medikation anfallsfrei. Es bestünde jedoch eine seit Jahren stark verminderte Belastbarkeit und eine ausgeprägte gemischte Sprachstörung mit deutlichen Perseverationen. Die Merk- und Kritikfähigkeit sowie die Aufmerksamkeit und die Auffassungsgabe seien deutlich vermindert. Seit September 2002 komme es phasenweise zu plötzlichen, unwillkürlichen, kurzzeitigen, wegschleudernden Bewegungen des linken Armes und/oder des linken Beines. In der ärztlichen Bescheinigung vom 22.09.2009 gab Dr. W. an, diagnostisch handle es sich um eine ebenfalls mindestens seit September 2002 organische psychische Störung, sodass auf Dauer keine relevante berufliche Leistungsfähigkeit mehr bestehe. Arzt für Orthopädie Dr. P. führte aus (Befundbericht vom 08.10.2009), eine deutliche gesundheitliche Verschlechterung habe sich in den letzten 16 bis 18 Monaten gezeigt. Die Klägerin leide an einem chronischen therapieresistenten Wirbelsäulensyndrom, an einer therapieresistenten Periarthropathia humero scapularis beidseits, an einer Hüftgelenkarthralgie beidseits, an einer Kniegelenkarthralgie beidseits, an einer Polyarthralgie beider Hände und Füße, an einer Polyneuropathie beider Beine, an einer ausgeprägten generalisierten Osteoporose und an einer venösen Umlaufstörung beider Beine. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, im maßgeblichen Zeitraum vom 26.01.2004 bis 25.01.2009 seien keine Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Auch die Voraussetzungen des § 241 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien nicht erfüllt, da von Juni 1996 bis laufend keine rentenrechtlichen Zeiten mehr vorlägen. Unabhängig davon bestünden auch keine medizinischen Anhaltspunkte, die einen Leistungsfall vor dem 30.06.1998 belegen würden.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.03.2010 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und hierbei vorgebracht, sie habe den Widerspruchsbescheid erst am 20.02.2010 erhalten. Zur weiteren Begründung hat sie die Bescheinigung des Dr. P. vom 16.09.2010 vorgelegt, wonach die Klägerin am 31.05.1995 untersucht und behandelt worden sei. Bei der Anamneseerhebung habe die Klägerin über eine neurogene Problematik geklagt, weshalb ihr dringend angeraten worden sei, hausärztliche bzw neuropsychiatrische Kontrolluntersuchungen vorzunehmen. Aufgrund dieses Rates habe sie sich in die neurologische Behandlung bei Dr. W. begeben. Darüber hinaus hat sie das ärztliche Attest des Facharztes für Neurologie Dr. S. vom 17.02.2011 vorgelegt. Die Klägerin habe sich am 11.02.2011 bei ihm vorgestellt und anamnestisch angegeben, dass seit etwa 1995 Krampfanfälle aufgetreten seien, die sie dissimuliert habe. Erst 2002 sei eine neurologische Diagnose erfolgt. Die bei der Klägerin vorliegende Läsion trete natürlich nicht plötzlich auf, diese sei mit Sicherheit entweder angeboren oder habe eine lange Vorlaufzeit. Aus den vorliegenden Unterlagen müsse geschlossen werden, dass das Anfallsleiden nachvollziehbar mindestens auf 1995 zurückdatiert werden müsse. Die Grunderkrankung, die zum Anfallsleiden führe, liege aber sicherlich schon wesentlich länger vor.

Das SG hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung von sachverständigen Zeugen. Dr. P. hat mitgeteilt (Auskunft vom 17.05.2010), er behandle die Klägerin seit 1995. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes allenfalls zwei bis drei Stunden täglich ausüben. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.06.2010 hat er angegeben, eine "die Rentenfrage relevante Erkrankung" sei von ihm vor dem 1. Juli 1998 nicht behandelt worden. Rentenrelevante Behandlungen hätten erst nach einem Trauma im Oktober 2007 stattgefunden. Dr. W. hat mitgeteilt (Auskunft vom 22.12.2010), die Klägerin sei erstmals im Januar 2003 zur Behandlung erschienen. Seither befinde sie sich in regelmäßiger ambulanter Kontrolle (ein- bis zweimal pro Quartal). Bei der Erstvorstellung habe die Klägerin angegeben, seit ca September 2002 phasenweise an unwillkürlichen kurzzeitigen und wegschleudernden Bewegungen des linken Armes und/oder des linken Beines zu leiden. Im Verlauf der Behandlung seit Januar 2003 sei es zu einer fortschreitenden und mittlerweile deutlichen kognitiven Beeinträchtigung im Sinne einer organischen psychischen Störung gekommen. Über Gesundheitsstörungen vor 1998 könnten keine Aussagen gemacht werden. Diagnostisch bestehe seit mindestens September 2002 eine initial schwer einzustellende fokale symptomatische Epilepsie mit einfachen fokalen Anfällen bei unklarer Signalanhebung rechts kortikal. Mittlerweile sei die Klägerin unter antiepileptischer Dreifachmedikation anfallsfrei. Es bestünde auf Dauer keine relevante berufliche Leistungsfähigkeit mehr. Dies gelte auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Dr. W. hat seiner Auskunft die Arztbriefe des Neurologen Prof. Dr. O. vom 07.05.2003, des Neurologen Prof. Dr. E. vom 08.03.2004, des Neurologen Prof. Dr. S. vom 17.04.2003 sowie des Neurologen Prof. Dr. V. vom 08.05.2003 vorgelegt. Hierauf wird Bezug genommen (Bl 48 bis 57 der LSG-Akte).

Mit Urteil vom 19.03.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig am 30.06.1998. Es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt oder im Zeitraum davor erwerbsgemindert gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Befundbericht des Dr. W. vom 17.09.2009, der ausgeführt habe, dass die Klägerin ihm gegenüber mitgeteilt habe, dass sie seit September 2002 phasenweise an unwillkürlichen Bewegungen des linken Armes und/oder des linken Beines leide. Auch sei die Klägerin bei ihm erst seit dem 20.01.2003 in Behandlung gewesen. Aus der Bescheinigung des Dr. P. vom 08.10.2009 ließe sich kein Zeitpunkt des Eintretens einer Erwerbsminderung bereits am 30.06.1998 oder davor erkennen. Auch dem Bericht der Klinik für Neurologie des Klinikums L. könne nicht entnommen werden, dass bereits vor dem September 2002 eine erwerbsmindernde Erkrankung vorgelegen habe. Dasselbe gelte für den Bericht der Neurochirurgischen Klinik F. vom 29.04.2003. Prof. Dr. E. habe in seiner Stellungnahme vom 08.03.2004 keine Aussage über den Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens der Erkrankung getroffen. Dasselbe gelte für das histologische Gutachten vom 08.05.2003. Auch die im Klageverfahren eingereichten medizinischen Unterlagen könnten eine Erwerbsminderung der Klägerin bereits im Juni 1998 bzw davor nicht belegen. Dr. P. habe in diesem Zusammenhang angegeben, dass eine für die rentenrechtliche Frage relevante Symptomatik erst ab dem 01.07.2010 angenommen werden könne. Des Weiteren habe Dr. W. keine relevanten Vorerkrankungen, bis auf die von der Klägerin selbst angegebene Epilepsie seit ca September 2002, genannt. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin gegenüber Dr. W. nicht angegeben habe, bereits vor September 2002 an einer derartigen Symptomatik zu leiden. Insofern überzeuge auch nicht das Attest des Dr. S. vom 17.02.2011, zumal sich die Klägerin bei ihm nur einmal vorgestellt habe.

Hiergegen richtet sich die am 29.03.2012 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung wird geltend gemacht, sie sei bei Dr. W. erst seit Februar 2003 in Behandlung. Diesem sei die Krankheitsgeschichte daher nur aus ihren Schilderungen bekannt. Dr. S. habe jedoch bestätigt, dass sie ihm gegenüber angegeben habe, seit 1995 auftretende Krampfanfälle dissimuliert zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass sie die relevante Erkrankung nicht nur verdrängt, sondern dass diese tatsächlich nicht vorgelegen habe, seien den ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen. Die Äußerungen des Dr. S. seien keinesfalls rein hypothetischer Natur. Das SG hätte den Sachverhalt durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aufklären müssen.

Die Klägerin beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.02.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.01.2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat auf Aufforderung des Senats einen aktuellen Versicherungsverlauf vom 31.05.2012 vorgelegt. Befunde, die einen früheren Leistungsfall vor dem Jahr 2002 belegen könnten, lägen nicht vor. Allein die Annahme, dass ein Anfallsleiden schon im Jahr 1995 vorgelegen habe, belege keine Leistungsminderung in diesem Zeitraum. Für die Beurteilung des Leistungsvermögens seien nicht Diagnosen maßgeblich, sondern die Funktionsstörungen.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 25.05.2012 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss als unbegründet zurückzuweisen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin hat sich am 19./26.06.2012 und die Beklagte am 11.06.2012 geäußert. Hierauf wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 13.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.02.2010 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder ab dem 01.01.2009 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung, da sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

Der Senat entscheidet über die Berufung gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Die Klägerin ist darauf hingewiesen worden, dass der Senat diese Verfahrensweise beabsichtigt. Das Vorbringen der Klägerin macht eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich, sie hat die Durchführung einer Verhandlung auch nicht verlangt.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Gemäß § 43 Abs 4 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit setzt nach § 240 SGB VI für Versicherte, die - wie die Klägerin - vor dem 02.01.1961 geboren sind, Berufsunfähigkeit und ebenfalls die besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung der Drei-fünftel-Belegung voraus.

Die Klägerin hat zwar die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI), wie sich aus dem Versicherungsverlauf vom 31.05.2012 ergibt. Sie hat jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 SGB VI nicht erfüllt, da nicht nachgewiesen ist, dass eine Erwerbsminderung bis spätestens 30.06.1998 (spätester Zeitpunkt im Hinblick auf das Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) eingetreten ist.

Nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten Befunden und der im Klageverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Eintritt einer leistungsrelevanten Erwerbsminderung vor September 2002 nicht nachgewiesen ist. Der Senat stützt sich hierbei zum einen auf den Befundbericht des Dr. W. vom 19.10.2009, der angegeben hat, dass die Klägerin seit ca September 2002 an plötzlichen, unwillkürlichen, kurzzeitigen, wegschleudernden Bewegungen des linken Armes und/oder des linken Beines wegen einer fokalen symptomatischen Epilepsie mit einfachen fokalen Anfällen leidet. Bereits in seinem Arztbrief vom 22.09.2009 ist er davon ausgegangen, dass die genannten Gesundheitsstörungen seit ca September 2002 vorliegen. In diesem Zusammenhang hat er auch eine mindestens seit September 2002 bestehende organische psychische Störung diagnostiziert. Prof. Dr. O. hat in seinem Arztbrief vom 07.05.2003 angegeben, dass die Klägerin seit Dezember 2002 an fokal-komplexen epileptischen Anfällen linksbetont leidet. Auch Prof. Dr. S. hat in seinem Arztbrief vom 17.04.2003 bei der Anamnese festgehalten, dass bei der Klägerin seit Ende 2002 einfache fokale Anfälle mit motorischen Entäußerungen der linken Körperhälfte aufgetreten seien. Den Arztbriefen des Prof. Dr. V. vom 08.05.2003 bzw des Prof. Dr. E. vom 08.03.2004 lassen sich hingegen keine Anhaltspunkte für den zeitlichen Eintritt einer Leistungsminderung entnehmen. Im Übrigen hat Dr. W. in seiner Auskunft vom 22.12.2002 im Klageverfahren nochmals bestätigt, dass die Klägerin ihm gegenüber angegeben habe, seit ca September 2002 an unkontrollierten Bewegungen des linken Armes und/oder des linken Beines zu leiden. Mittlerweile ist die Klägerin sogar unter antiepileptischer Dreifachmedikation anfallsfrei. Dies ergibt sich aus der eben genannten Auskunft des Dr. W ... Diese Aussage hat er jedoch auch bereits in seinem Arztbrief vom 17.09.2009 getätigt. Dr. P. hat hingegen in seiner Auskunft vom 30.06.2009 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine rentenrelevante Erkrankung bzw Behandlung erst seit dem 01.07.2007 angenommen werden könne.

Keinesfalls lässt sich – entgegen der Auffassung der Klägerin – mit dem von ihr vorgelegten Attest des Dr. S. vom 17.02.2011 ein früherer Eintritt der Erwerbsminderung begründen. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin Dr. S. nur einmalig am 11.02.2011 aufgesucht hat und dieser mithin keine - von den anamnestischen Angaben der Klägerin - unabhängige Einschätzung des gesundheitlichen Zustandes vor diesem Zeitpunkt fertigen kann. Der Senat misst vielmehr den vorliegenden, zeitlich früher erstellten ärztlichen Unterlagen eine höhere Bedeutung bei. Hierzu zählen ua der Arztbrief des Prof. Dr. O. vom 07.05.2003 und der des Prof. Dr. S. vom 17.04.2003, die beide berichtet haben, dass die hier vorliegende Epilepsie-Erkrankung seit Ende 2002 besteht.

Auch wenn die Klägerin vorträgt, sie habe ihre Erkrankung dissimuliert und verdrängt, geht der Senat davon aus, dass Funktionseinschränkungen, die sich auf die zeitliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auswirken könnten, nicht vor September 2002 nachgewiesen sind. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass allein die Feststellung einer Erkrankung bzw Erhebung einer Diagnose keine Schlüsse darauf zulässt, inwieweit die Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht eingeschränkt ist. Wie bereits dargelegt, fehlen jedoch objektivierbare Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin in quantitativer Hinsicht vor September 2002 eingeschränkt war. Auch der subjektive Leidensdruck scheint nicht derart schwer gewesen zu sein, als dass die Klägerin bereits vor Januar 2009 einen Rentenantrag gestellt hätte.

Der Senat hält weitere Ermittlungen, insbesondere die Einholung eines Gutachtens, nicht für erforderlich. Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Denn die im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befundberichte und Arztauskünfte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt.

Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin seit September 2002 an einer initial schwer einzustellenden fokalen symptomatischen Epilepsie mit einfachen fokalen Anfällen bei unklarer Signalanhebung rechts kortikal leidet. Soweit zugunsten der Klägerin von einer Erwerbsminderung auszugehen ist, beläuft sich mithin der maßgebliche Zeitraum vom 01.09.1997 bis 01.09.2002. In diesem Zeitraum sind jedoch keine Pflichtbeiträge vorhanden. Auch zu keinem sonstigen Zeitpunkt nach dem 01.09.2002 hat die Klägerin in einem Fünf-Jahreszeitraum 36 Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erworben. Der Senat entnimmt dies dem Versicherungsverlauf vom 31.05.2012. Anhaltspunkte für Verlängerungstatbestände im Sinne von § 43 Abs 4 SGB VI sind nicht ersichtlich. Denn die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung haben schon im Juni 1987 geendet. Auch Verlängerungstatbestände im Sinne von § 42 Abs 4 Nr 1, 3 oder 4 SGB VI liegen nicht vor. Die Klägerin erfüllt schließlich nicht alternativ die Voraussetzung des § 241 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn ua jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Im Versicherungsverlauf der Klägerin besteht jedoch seit dem 01.07.1987 eine Lücke und es sind bis dato keine weiteren rentenrechtlichen Zeiten vorhanden. Für diese Lücke greift auch die Ausnahme gemäß § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI nicht ein. Danach ist für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich. Hier kommt zur Schließung der Lücken lediglich die Entrichtung freiwilliger Beiträge in Betracht. Freiwillige Beiträge sind gemäß § 197 Abs 2 SGB VI jedoch nur wirksam, wenn sie bis zum 31.03. des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollten, gezahlt werden. Die Frist wird zwar gemäß § 198 Satz 1 SGBVI durch ein Verfahren über den Rentenanspruch unterbrochen. Jedoch war selbst zum Zeitpunkt des Rentenantrags am 26.01.2009 die Frist zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Jahre 1997 bis 2002 schon abgelaufen, sodass eine Unterbrechung der Frist nicht mehr in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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