L 11 KR 648/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 587/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 648/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.01.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob der Kläger ab dem 01.10.2010 bei der Beklagten Mitglied in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) ist.

Der 1972 geborene Kläger hat nach dem Erwerb der mittleren Reife von 1993 bis 1996 eine Ausbildung zum Hotelfachmann absolviert. Im Anschluss war er Zivildienstleistender bzw arbeitete in seinem Beruf. Ab 1999 nahm er an einer Weiterbildung zum Hotelbetriebswirt teil, die er im Mai 2001 mit der erfolgreichen Prüfung zum Hotelbetriebswirt (HMA) abschloss. Danach arbeitete er in diesem Beruf. Zum 01.10.2010 nahm der Kläger ein Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule in K. auf.

Im August 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagte die Aufnahme in die KVdS ab dem 01.10.2010. Mit Bescheid vom 04.11.2010 lehnte dies die Beklagte ab. Studenten nach Vollendung des 30. Lebensjahres seien nur ausnahmsweise versicherungspflichtig. Voraussetzung seien Hinderungsgründe, die für den späten Studienbeginn ursächlich gewesen seien. Solche Hinderungsgründe lägen nicht vor. Der Kläger habe bereits im Mai 2001 die Zugangsvoraussetzungen erworben. Der Umstand, dass erst aufgrund der Gesetzesänderung zum 20.04.2006 die Möglichkeit geschaffen worden sei, mit den Bildungsnachweisen des Klägers ein Studium an der Pädagogischen Hochschule aufzunehmen, stelle keinen Hinderungsgrund im gesetzlichen Sinne dar. Hiergegen legte der Kläger am 30.11.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Weiterbildung sei nicht mit dem Ziel der Aufnahme eines Studiums erfolgt. Er sei damals fest in seinem Beruf verankert gewesen. Auch im Jahr 2006 sei er einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Erwerbstätigkeit nachgegangen. Für eine berufliche Neuorientierung habe damals keine Notwendigkeit bestanden. Er habe sich damals auf einem dem Arbeitsmarkt und seinem persönlichen Empfinden ausreichenden Arbeits- und Erwerbsniveau befunden. Dies habe sich nach Phasen der Arbeitslosigkeit in den Jahren 2008 bis 2010 geändert. Er habe das Studium aufgenommen, um nie wieder arbeitslos zu sein. Es müsse berücksichtigt werden, dass der Wandel am Arbeitsmarkt und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, verbunden mit der Notwendigkeit lebenslangen Lernens, einen gesteigerten Bedarf an Weiterbildung im Alter mit sich brächten. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die verspätete Aufnahme des Studiums sei nicht durch den Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung begründet, sondern durch die langjährige Berufsausübung. Diese gelte nach der Rechtsprechung nicht als Hinderungsgrund für die Aufnahme eines Studiums. Die veränderte Arbeitsmarktsituation könne keine Berücksichtigung finden.

Am 08.02.2011 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und zur Begründung seine Argumente aus dem Vorverfahren wiederholt. Ergänzend hat er ausgeführt, die Beklagte begründe ihre Entscheidung mit nicht mehr zeitgemäßer Rechtsprechung. Neben dem Arbeitsmarkt habe sich auch die Situation an den Universitäten geändert. Nach Einführung des Bachelors gebe es das Problem der Langzeitstudenten nicht mehr. Aufgrund der knappen Studienzeiten könne auch nicht mehr nebenher gearbeitet werden. Der Arbeitsmarkt erfordere heute mehr Flexibilität und Eigenverantwortung. Er habe sich den Erfordernissen stets angepasst. Die durch den Erwerb des Hotelbetriebswirts verbesserte Qualifikation habe er über acht Jahre am Arbeitsmarkt ausnutzen können. Zudem hätten sich die Kosten der Weiterbildung amortisieren müssen. In der gesamten Zeit habe er Beiträge in die Sozialkassen einbezahlt. Nach zweimaliger Arbeitslosigkeit habe er dann reagiert und das Studium aufgenommen, um künftig den Sozialkassen nicht mehr zur Last zu fallen. Eine missbräuchliche Inanspruchnahme der KVdS könne nicht angenommen werden. Wie Personen für die die KVdS gedacht sei, habe er keine familienversicherten Angehörigen und sei in einem altersbedingt guten Gesundheitszustand. Schließlich sei als Hinderungszeit die gesamte Ausbildungszeit bis zum Erwerb der Zulassungsvoraussetzungen für das Studium zu berücksichtigen. Insgesamt seien damit sieben Jahre anzurechnen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es lägen keine Gründe vor, die eine Überschreitung der Altersgrenze von 30 Jahren rechtfertigten. Zwar habe der Kläger erst nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2006 ein Studium aufnehmen können. Der Kläger habe aber erst vier Jahre später mit dem Studium begonnen. Die Berufstätigkeit stelle keinen anerkannten Hinderungsgrund dar. Hätte der Kläger zum 01.10.2006 das Studium aufgenommen, hätte er dieses bei einer Regelstudienzeit von sechs Semestern bereits am 30.09.2009 abschließen können. Für ein Studium ab dem 01.10.2010 bestünde daher keine hinreichende Rechtfertigung.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.02.2012 beim SG, eingegangen beim Landessozialgericht (LSG) am 14.02.2012, Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das SG habe seine Ausführungen zur geänderten Arbeitsmarktsituation, den Forderungen der Wirtschaft nach lebenslangem Lernen und den geänderten Weiterbildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten nicht berücksichtigt. Mit der Gesetzesänderung im Jahr 2006 durch den Landesgesetzgeber sei damit zu rechnen gewesen, dass Personen mit einem Lebensalter von über 30 von der Möglichkeit eines Studiums Gebrauch machen werden. Die Altersgrenze sei willkürlich und entbehre jeder Grundlage.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.01.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger ab dem 01.10.2010 bei der Beklagten Mitglied in der Krankenversicherung der Studenten ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 5 Abs 1 Nr 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der seit 01.01.1992 unveränderten Fassung sind Studenten versicherungspflichtig, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, bis zum Abschluss des vierzehnten Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres; Studenten nach Abschluss des vierzehnten Fachsemesters oder nach Vollendung des dreißigsten Lebensjahres sind nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen.

Der Kläger hatte bei Aufnahme seines Studiums die Altersgrenze von 30 Lebensjahren bereits überschritten, so dass unter Anwendung des ersten Halbsatzes der Rechtsgrundlage keine Versicherungspflicht in der KVdS begründet wurde. Auch ein Fall des § 5 Abs 1 Nr 9, 2. HS SGB V lag nicht vor.

Grundsätzlich besteht bei Überschreiten der Altersgrenze keine Versicherungspflicht in der KVdS. Nur ausnahmsweise sieht der zweite Halbsatz der Regelung Versicherungspflicht vor, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigen. Um den Ausnahmecharakter dieser Regelung zu wahren, müssen die dort genannten Gründe von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme des Studiums oder seinen Abschluss verhindern oder als unzumutbar erscheinen lassen (BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150). Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn das Studium erst nach Überschreiten der Altersgrenze begonnen wird. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass innerhalb des Altersbereichs von etwa 20 und 30 Jahren ein Studium vollendet werden kann. Es sollte der Tendenz, das Hochschulstudium zu verlängern, entgegengewirkt werden (BT-Drucks 11/2237). Da dieser Altersbereich bei Aufnahme eines Studiums erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres vollkommen verlassen wird, kommt ein Beginn der Versicherungspflicht in der KVdS nach Überschreiten der Altersgrenze nur dann in Betracht, wenn im Alter zwischen etwa 20 Jahren und der Altersgrenze von 30 Jahren sowie weiter bis zum Beginn des Studiums Hinderungsgründe bestanden haben, die für einen so späten Studienbeginn ursächlich waren und damit das Überschreiten der Altersgrenze rechtfertigen (BSG 30.09.1992, 12 RK 3/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 8).

Solche Hinderungsgründe haben beim Kläger jedenfalls nicht durchgehend bis zum Beginn des Studiums vorgelegen. Zumindest ab Änderung der gesetzlichen Zugangsbestimmungen im Jahr 2006 war der Kläger in der Lage das Studium an der Pädagogischen Hochschule aufzunehmen. Tatsächlich begann er sein Studium erst im Jahr 2010. Die dazwischen liegende Berufstätigkeit kommt als Hinderungsgrund nicht in Betracht (BSG 30.01.1997, 12 RK 39/96, SozR 3-2500 § 5 Nr 32). Sofern ein Studium damals nicht zweckmäßig oder sinnvoll gewesen sein sollte, würde dies ebenfalls nicht ausreichen (BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150).

Das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen ist zudem abzulehnen, weil der Kläger an der früheren Aufnahme des Studiums nicht "gehindert" war. Die "Hinderung" ein Studium aufzunehmen, setzt denknotwendig den Willen zur Aufnahme eines solchen voraus. Der Kläger hat aber frühestens im Alter von etwa 36 Jahren, nachdem er erstmals arbeitslos geworden war, den Entschluss gefasst, zu studieren. Zuvor hatte er nicht nur eine Ausbildung und eine Weiterbildung durchlaufen, sondern auch schon eine siebenjährige Berufserfahrung in seinem Weiterbildungsberuf gesammelt. Nach seinem eigenen Vortrag war sein Werdegang bis zur Arbeitslosigkeit im Jahr 2008 nicht auf ein Studium ausgerichtet. Die Aufnahme des Studiums war vielmehr Folge einer beruflichen Neuorientierung, um künftig Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Der Kläger war mithin nicht wegen Durchlaufens eines zweiten Bildungsweges an der früheren Aufnahme des Studiums gehindert. Er hatte einen "zweiten" Bildungsweg überhaupt nicht beschritten, sondern mit seiner Weiterbildung zum Hotelbetriebswirt seinen eingeschlagenen beruflichen Werdegang fortgeführt. Lediglich zufällig, nämlich durch die Gesetzesänderung auf Landesebene im Jahr 2006, wurde ihm nachträglich die Möglichkeit eröffnet, mit seinem erworbenen Ausbildungsstand ein Studium aufzunehmen.

Ungeachtet dessen, rechtfertigt die Schaffung neuer Zugangsmöglichkeiten zu einem Hochschulstudium ohnehin kein Überschreiten der Altersgrenze. Wie auch die Einrichtung neuer Studiengänge (BSG 30.01.1997, 12 RK 39/96, SozR 3-2500 § 5 Nr 32) liefe es mit der Zielsetzung der Vorschrift zuwider, einen solchen Rechtfertigungsgrund anzuerkennen, weil die Schaffung neuer Zugangswege zu einem Hochschulstudium zur Folge hätte, dass Personen auch in höherem Alter Eingang in die KVdS fänden. Der Gesetzgeber wollte die günstige KVdS auf ein Altersabschnitt begrenzen, in dem Leistungen der Krankenversicherung altersbedingt in unterdurchschnittlichem Maße in Anspruch genommen werden und beitragsfrei versicherte Familienangehörige (§ 10 SGB V) seltener und erst im Laufe der Zeit hinzukommen (BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150; BSG 30.09.1992, 12 RK 3/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 8). Dieser Intention widerspräche es, wenn in der Schaffung neuer Zugangsmöglichkeiten ein in der "Art der Ausbildung" liegender Rechtfertigungsgrund gesehen würde.

Dabei kann keine Berücksichtigung finden, dass der Kläger selbst – wie er vorträgt – altersbedingt in einem guten Gesundheitszustand ist und keine Familienangehörigen im Sinne des § 10 SGB V hat. Der Gesetzgeber durfte ohne Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz (GG) typisierend die Altersgrenze auf 30 Jahre festlegen. Denn ein Studium kann in diesem Zeitraum regelmäßig durchgeführt werden und wird typischerweise entweder erfolgreich abgeschlossen oder endgültig aufgegeben (BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150). Dies gilt erst Recht in Zeiten einer gewandelten Bildungs- und Arbeitsmarktsituation mit achtjährigem Gymnasium und Bachelorstudiengängen. Anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf die (heutzutage möglicherweise vermehrte) Notwendigkeit lebenslangen Lernens. Art 3 GG gebietet es nicht, eine berufliche Neuorientierung jenseits des 30. Lebensjahres durch die Aufnahme in die günstige KVdS zu erleichtern. Der Gesetzgeber hält sich mit der Altersgrenze vielmehr in dem ihm zustehenden Rahmen zur Ausgestaltung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (allg zum Gestaltungsspielraum: BVerfG 4.2.2004, 1 BvR 1103/03, SozR 4-2500 § 5 Nr 1, mwN), zumal er Härtefallregelungen getroffen hat (zur Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze: BSG 30.09.1992, 12 RK 35/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 5).

Eine Ausnahme von der Altersgrenze kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass eine missbräuchliche Nutzung der Versicherungspflicht nicht vorliegt. Die Begrenzung der KVdS ist nicht auf Missbrauchsabwehr beschränkt und trifft daher auch solche Studenten, die aus verständlichen menschlichen oder wirtschaftlichen Gründen so spät mit ihrem Studium beginnen, dass damit die Altersgrenze überschritten wird (BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150; BSG 30.01.1997, 12 RK 39/96, SozR 3-2500 § 5 Nr 32).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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