Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3063/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 960/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.01.2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der außergerichtlichen Kosten in erster Instanz zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Tatbestand:
Im Streit steht die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008.
Die 1970 geborene Klägerin ist gelernte Kinderkrankenschwester. Sie übte in der Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008 diesen Beruf selbständig aus. Sie schloss mit den Eltern kranker oder behinderter Kinder Pflegeverträge über eine ambulante Intensivbehandlungspflege ab.
Am 30.03.2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als arbeitnehmerähnliche Selbständige in der Existenzgründung. Mit Bescheid vom 10.10.2000 lehnte die Beklagte den Antrag mangels Mitwirkung der Klägerin ab. Mit Schreiben vom 16.11.2000 leitete die Beklagte ein Verfahren zur Prüfung der Versicherungspflicht ein. Im Rahmen dieses Verfahrens beantragte die Klägerin am 12.07.2001 erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht. Mit Bescheid vom 15.11.2001 lehnte die Beklagte eine Befreiung wieder mangels Mitwirkung der Klägerin ab. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2004 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 12.02.2004 machte die Klägerin weiter ihr Begehren, von der Versicherungspflicht befreit zu werden, geltend. Hilfsweise wurde beantragt, bei der Beitragsbemessung den halben Regelbeitrag anzusetzen. Mit Bescheid vom 23.06.2004 lehnte die Beklagte eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Selbständige ab. Die Klägerin gehöre zum Kreis der Versicherungspflichtigen nach § 2 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart wurde mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 02.07.2008 zurückgewiesen (L 5 R 3940/06).
Mit Bescheid vom 30.01.2009 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.08.1999 fest. In der Anlage des Bescheids wird die Berechnung der Höhe des Monatsbeitrags und der bisher fälligen Beiträge aufgeführt. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 27.02.2009 Widerspruch ein. Mit weiterem Bescheid vom 13.03.2009 forderte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung rückständiger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.08.1999 bis 28.02.2009 zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 65.862,96 EUR (davon Säumniszuschläge in Höhe von 21.406,51 EUR). Die Beklagte führte darin ua aus, dass die Klägerin als Selbständige der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege und demgemäß die aufgeführten Beträge zu zahlen habe. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20.03.2009 Widerspruch ein. Eine Begründung des Widerspruchs ist nicht bei der Verwaltungsakte. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 21.09.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, die vor dem 01.01.2005 liegenden Beiträge seien verjährt. Die Beklagte habe jedenfalls seit Juni 2004 über alle Informationen verfügt, die zur Beitragsfestsetzung erforderlich seien. Zudem sei die Erhebung von Säumniszuschlägen rechtswidrig. Schließlich habe die Klägerin zum 30.06.2008 ihre selbständige Tätigkeit aufgegeben.
Während des Klageverfahrens erhob die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2009 weitere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.03.2009 bis 30.11.2009 nebst Säumniszuschlägen. Mit Bescheid vom 06.01.2010 erließ die Beklagte der Klägerin die Säumniszuschläge und Mahngebühren für die Beiträge aus der Zeit vom 01.08.1999 bis 28.02.2009. Mit weiterem Bescheid vom 20.05.2010 stellte sie das Ende der Versicherungspflicht zum 30.06.2008 fest und reduzierte die Beitragsforderung auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 40.486,37 EUR.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte klargestellt, dass für die ausstehende Beitragsforderung keine Säumniszuschläge mehr erhoben werden.
Mit Urteil vom 26.01.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid vom 13.03.2009 sei formal und in der Sache rechtmäßig. Verjährung sei nicht eingetreten. Diese sei durch das Verfahren auf Befreiung von der Versicherungspflicht gehemmt gewesen. Der Begriff des Beitragsverfahrens in § 198 Abs 1 SGB VI sei weit auszulegen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.02.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.03.2011 beim LSG Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es fehle an einer hinreichenden Begründung des Bescheids vom 13.03.2009. Die Frage von Art und Umfang der Beitragsverpflichtung sei in dem vorangegangenen jahrelangen Rechtsstreit nicht streitgegenständlich gewesen. Die Beklagte habe daher die Beitragspflicht näher erläutern und die Ermächtigungsgrundlage nennen müssen. Die Klägerin sei nicht in die Lage versetzt worden, zu erkennen, weshalb sie versicherungspflichtig sei, weshalb eine Beitragspflicht bestehe und weshalb die Beiträge beispielsweise ab 2003 sich in etwa auf das Doppelte beliefen im Vergleich zu den Beiträgen für die vorangegangenen Jahre. Eine Heilung sei auch im Widerspruchsverfahren nicht eingetreten. Die Beklagte habe den Widerspruch unter Hinweis auf die fehlende Begründung der Klägerin zurückgewiesen, obwohl mit Schreiben vom 28.07.2009 der Widerspruch zunächst mit Hinweis auf die Rechtswidrigkeit der Säumniszuschläge begründet worden sei. Zudem seien die Beiträge aus der Zeit vor 2005 verjährt. Der Rechtsstreit über die Befreiung von der Versicherungspflicht habe nicht zur Hemmung geführt. Die Beklagte habe ausreichend Zeit gehabt, hinsichtlich der Verbeitragung der Klägerin tätig zu werden. Eine Ausnahme zur gesetzlichen Verjährungsregelung liege nicht vor. Ein Verfahren im Sinne des § 198 Abs 1 SGB VI habe nicht vorgelegen. Es habe sich um ein Statusklärungsverfahren dahingehend gehandelt, ob die Klägerin als Selbständige gesetzlich rentenpflichtversichert oder jedenfalls ihrem Befreiungsantrag folgend versicherungsfrei gewesen sei.
Die Klägerin beantragt – sachdienlich gefasst –,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.01.2011 und die Bescheide der Beklagten vom 30.01.2009 und 13.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2009 und die Bescheide vom 16.12.2009 und 20.05.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 30.01.2009 und 13.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2009 und die Bescheide vom 16.12.2009 und 20.05.2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 06.01.2010 die Säumniszuschläge und Mahngebühren erlassen und mit Bescheid vom 20.05.2010 das Ende der Versicherungspflicht zum 30.06.2008 festgestellt hat, war noch über die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008 in Höhe von insgesamt 40.486,37 EUR zu entscheiden.
Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere genügt der Bescheid vom 13.03.2009 den Vorgaben des § 35 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). § 35 SGB X verlangt nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Vielmehr sind nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X dem Betroffenen nur die wesentlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dabei richten sich Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und nach den Umständen des einzelnen Falles. Die Begründung braucht sich nicht ausdrücklich mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinander zu setzen. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (im Ganzen: BSG 09.12.2004, B 6 KA 40/03 R, juris mwN). Aus dem vorausgegangenen Rechtsstreit über die Befreiung von der Versicherungspflicht sowie dem Bescheid vom 30.01.2009 waren der Klägerin hinreichend die Erwägungen der Beklagten bekannt, die zur Beitragserhebung in ausgewiesener Höhe geführt haben. Es werden der Rechtsgrund der Versicherungspflicht und die Grundlagen für die Berechnung der sich daraus ergebenden Verbeitragung benannt. Auch der Umstand, warum in den ersten drei Kalenderjahren nach der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit geringere Beiträge anfallen, wird erklärt. Im Übrigen hatte die Klägerin selbst schon im Jahr 2004 einen entsprechenden Hilfsantrag bei der Beklagten gestellt. Der Klägerin waren mithin die tragenden Gesichtspunkte, die zur angefochtenen Entscheidung führten, bekannt.
Auch in der Sache sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden.
Die Verpflichtung der Klägerin für die Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten, ergibt sich aus ihrer Versicherungspflicht als in der Kinderpflege selbständige Person. Die Beklagte hat die Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI bereits im Bescheid vom 23.06.2004 festgestellt und eine Befreiung abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Rechtskraft des Berufungsurteils in der Sache L 5 R 3940/06 bestandskräftig.
Die Verjährungseinrede greift nicht durch. Nach § 25 Abs 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen und der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt entstanden ist. Nach der bis 31.12.2005 gültigen Fassung des § 23 Abs 1 Satz 2 SGB IV wurden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen waren, spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung ausgeübt worden ist. Die Beitragsforderung für den ersten Monat (August 1999) wurde demnach am 15.09.1999 fällig und wäre mit Ablauf des 31.12.2003 verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Verjährungsfrist bereits gehemmt.
Nach § 25 Abs 2 Satz 1 SGB IV gelten für die Hemmung, Ablaufhemmung und den Neubeginn (bis 31.12.2001: Hemmung und Unterbrechung) sowie die Wirkung der Verjährung die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend. Für Verjährungsfristen, die wie vorliegend am 01.01.2002 (Zeitpunkt der Änderung der Verjährungsvorschriften) noch nicht abgelaufen waren, bestimmt Art 229 § 6 Abs 2 Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB), dass, soweit die Vorschriften des BGB ab 01.01.2002 anstelle der Unterbrechung der Verjährung deren Hemmung vorsehen, eine eingetretene, aber noch nicht beendete Unterbrechung ab 01.01.2002 als Hemmung der Verjährung fortwirkt (BSG 27.04.2010, B 5 R 8/08 R, juris).
Für Ansprüche auf Zahlung von Beiträgen sieht § 198 Satz 2 SGB VI als spezielle Regelung vor, dass die Hemmung der Verjährung durch ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch eintritt. Wie weitreichend der Begriff des "Beitragsverfahrens" im Sinne des § 198 SGB VI auszulegen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben (zum Meinungsstand in der Literatur: BSG 27.04.2010, B 5 R 8/08 R, SozR 4-2600 § 233a Nr 1). Denn jedenfalls fallen unter diesen Begriff Verwaltungsverfahren, die auf die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die ordnungsgemäße Beitragserhebung abzielen (BSG 27.07.2011, B 12 R 19/09 R, juris). Auch nach der in der Literatur vertretenen engen Auffassung führen Verwaltungsverfahren über die Versicherungsberechtigung, die Beitragszahlung, Beitragstragung und Beitragshöhe und in Bezug auf die Statusfeststellung zur Unterbrechung bzw Hemmung nach § 198 SGB VI (Mutschler in jurisPK-SGB VI, § 198 RdNr 24 u 31). Im Fall der Klägerin fanden Verfahren zur Prüfung der Versicherungspflicht bzw Befreiung von der Versicherungspflicht vom 30.03.2000 bis 10.10.2000, vom 16.11.2000 bis 22.01.2004 und vom 12.02.2004 bis 02.07.2008 statt. Während dieser Verfahren lief die Verjährungsfrist aufgrund der eingetretenen Hemmung nicht weiter. Die Hemmung endete erst sechs Monate nach Abschluss der jeweiligen Verfahren (§ 198 Satz 2, 2. Halbsatz SGB VI). Hinsichtlich des seit 15.09.1999 fälligen Beitrags für August 1999 war bei Erlass der streitgegenständlichen Bescheide somit die vierjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen. Verjährung liegt damit insgesamt nicht vor.
Die Beklagte hat die Höhe der Beitragsforderungen unter Anwendung des § 165 SGB VI in den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt. Auch insoweit sind die Bescheide rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass zwar nicht die Berufung, aber die Klage teilweise Erfolg hatte. Denn mit den von der Beklagten während des Klageverfahrens erlassenen Bescheiden vom 06.01.2010 und 20.05.2010 reduzierte sich die Nachforderung um rund ein Drittel.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der außergerichtlichen Kosten in erster Instanz zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Tatbestand:
Im Streit steht die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008.
Die 1970 geborene Klägerin ist gelernte Kinderkrankenschwester. Sie übte in der Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008 diesen Beruf selbständig aus. Sie schloss mit den Eltern kranker oder behinderter Kinder Pflegeverträge über eine ambulante Intensivbehandlungspflege ab.
Am 30.03.2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als arbeitnehmerähnliche Selbständige in der Existenzgründung. Mit Bescheid vom 10.10.2000 lehnte die Beklagte den Antrag mangels Mitwirkung der Klägerin ab. Mit Schreiben vom 16.11.2000 leitete die Beklagte ein Verfahren zur Prüfung der Versicherungspflicht ein. Im Rahmen dieses Verfahrens beantragte die Klägerin am 12.07.2001 erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht. Mit Bescheid vom 15.11.2001 lehnte die Beklagte eine Befreiung wieder mangels Mitwirkung der Klägerin ab. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2004 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 12.02.2004 machte die Klägerin weiter ihr Begehren, von der Versicherungspflicht befreit zu werden, geltend. Hilfsweise wurde beantragt, bei der Beitragsbemessung den halben Regelbeitrag anzusetzen. Mit Bescheid vom 23.06.2004 lehnte die Beklagte eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Selbständige ab. Die Klägerin gehöre zum Kreis der Versicherungspflichtigen nach § 2 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart wurde mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 02.07.2008 zurückgewiesen (L 5 R 3940/06).
Mit Bescheid vom 30.01.2009 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.08.1999 fest. In der Anlage des Bescheids wird die Berechnung der Höhe des Monatsbeitrags und der bisher fälligen Beiträge aufgeführt. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 27.02.2009 Widerspruch ein. Mit weiterem Bescheid vom 13.03.2009 forderte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung rückständiger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.08.1999 bis 28.02.2009 zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 65.862,96 EUR (davon Säumniszuschläge in Höhe von 21.406,51 EUR). Die Beklagte führte darin ua aus, dass die Klägerin als Selbständige der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege und demgemäß die aufgeführten Beträge zu zahlen habe. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20.03.2009 Widerspruch ein. Eine Begründung des Widerspruchs ist nicht bei der Verwaltungsakte. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 21.09.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, die vor dem 01.01.2005 liegenden Beiträge seien verjährt. Die Beklagte habe jedenfalls seit Juni 2004 über alle Informationen verfügt, die zur Beitragsfestsetzung erforderlich seien. Zudem sei die Erhebung von Säumniszuschlägen rechtswidrig. Schließlich habe die Klägerin zum 30.06.2008 ihre selbständige Tätigkeit aufgegeben.
Während des Klageverfahrens erhob die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2009 weitere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.03.2009 bis 30.11.2009 nebst Säumniszuschlägen. Mit Bescheid vom 06.01.2010 erließ die Beklagte der Klägerin die Säumniszuschläge und Mahngebühren für die Beiträge aus der Zeit vom 01.08.1999 bis 28.02.2009. Mit weiterem Bescheid vom 20.05.2010 stellte sie das Ende der Versicherungspflicht zum 30.06.2008 fest und reduzierte die Beitragsforderung auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 40.486,37 EUR.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte klargestellt, dass für die ausstehende Beitragsforderung keine Säumniszuschläge mehr erhoben werden.
Mit Urteil vom 26.01.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid vom 13.03.2009 sei formal und in der Sache rechtmäßig. Verjährung sei nicht eingetreten. Diese sei durch das Verfahren auf Befreiung von der Versicherungspflicht gehemmt gewesen. Der Begriff des Beitragsverfahrens in § 198 Abs 1 SGB VI sei weit auszulegen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.02.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.03.2011 beim LSG Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es fehle an einer hinreichenden Begründung des Bescheids vom 13.03.2009. Die Frage von Art und Umfang der Beitragsverpflichtung sei in dem vorangegangenen jahrelangen Rechtsstreit nicht streitgegenständlich gewesen. Die Beklagte habe daher die Beitragspflicht näher erläutern und die Ermächtigungsgrundlage nennen müssen. Die Klägerin sei nicht in die Lage versetzt worden, zu erkennen, weshalb sie versicherungspflichtig sei, weshalb eine Beitragspflicht bestehe und weshalb die Beiträge beispielsweise ab 2003 sich in etwa auf das Doppelte beliefen im Vergleich zu den Beiträgen für die vorangegangenen Jahre. Eine Heilung sei auch im Widerspruchsverfahren nicht eingetreten. Die Beklagte habe den Widerspruch unter Hinweis auf die fehlende Begründung der Klägerin zurückgewiesen, obwohl mit Schreiben vom 28.07.2009 der Widerspruch zunächst mit Hinweis auf die Rechtswidrigkeit der Säumniszuschläge begründet worden sei. Zudem seien die Beiträge aus der Zeit vor 2005 verjährt. Der Rechtsstreit über die Befreiung von der Versicherungspflicht habe nicht zur Hemmung geführt. Die Beklagte habe ausreichend Zeit gehabt, hinsichtlich der Verbeitragung der Klägerin tätig zu werden. Eine Ausnahme zur gesetzlichen Verjährungsregelung liege nicht vor. Ein Verfahren im Sinne des § 198 Abs 1 SGB VI habe nicht vorgelegen. Es habe sich um ein Statusklärungsverfahren dahingehend gehandelt, ob die Klägerin als Selbständige gesetzlich rentenpflichtversichert oder jedenfalls ihrem Befreiungsantrag folgend versicherungsfrei gewesen sei.
Die Klägerin beantragt – sachdienlich gefasst –,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.01.2011 und die Bescheide der Beklagten vom 30.01.2009 und 13.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2009 und die Bescheide vom 16.12.2009 und 20.05.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 30.01.2009 und 13.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2009 und die Bescheide vom 16.12.2009 und 20.05.2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 06.01.2010 die Säumniszuschläge und Mahngebühren erlassen und mit Bescheid vom 20.05.2010 das Ende der Versicherungspflicht zum 30.06.2008 festgestellt hat, war noch über die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008 in Höhe von insgesamt 40.486,37 EUR zu entscheiden.
Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere genügt der Bescheid vom 13.03.2009 den Vorgaben des § 35 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). § 35 SGB X verlangt nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Vielmehr sind nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X dem Betroffenen nur die wesentlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dabei richten sich Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und nach den Umständen des einzelnen Falles. Die Begründung braucht sich nicht ausdrücklich mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinander zu setzen. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (im Ganzen: BSG 09.12.2004, B 6 KA 40/03 R, juris mwN). Aus dem vorausgegangenen Rechtsstreit über die Befreiung von der Versicherungspflicht sowie dem Bescheid vom 30.01.2009 waren der Klägerin hinreichend die Erwägungen der Beklagten bekannt, die zur Beitragserhebung in ausgewiesener Höhe geführt haben. Es werden der Rechtsgrund der Versicherungspflicht und die Grundlagen für die Berechnung der sich daraus ergebenden Verbeitragung benannt. Auch der Umstand, warum in den ersten drei Kalenderjahren nach der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit geringere Beiträge anfallen, wird erklärt. Im Übrigen hatte die Klägerin selbst schon im Jahr 2004 einen entsprechenden Hilfsantrag bei der Beklagten gestellt. Der Klägerin waren mithin die tragenden Gesichtspunkte, die zur angefochtenen Entscheidung führten, bekannt.
Auch in der Sache sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden.
Die Verpflichtung der Klägerin für die Zeit vom 01.08.1999 bis 30.06.2008 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten, ergibt sich aus ihrer Versicherungspflicht als in der Kinderpflege selbständige Person. Die Beklagte hat die Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI bereits im Bescheid vom 23.06.2004 festgestellt und eine Befreiung abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Rechtskraft des Berufungsurteils in der Sache L 5 R 3940/06 bestandskräftig.
Die Verjährungseinrede greift nicht durch. Nach § 25 Abs 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen und der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt entstanden ist. Nach der bis 31.12.2005 gültigen Fassung des § 23 Abs 1 Satz 2 SGB IV wurden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen waren, spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung ausgeübt worden ist. Die Beitragsforderung für den ersten Monat (August 1999) wurde demnach am 15.09.1999 fällig und wäre mit Ablauf des 31.12.2003 verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Verjährungsfrist bereits gehemmt.
Nach § 25 Abs 2 Satz 1 SGB IV gelten für die Hemmung, Ablaufhemmung und den Neubeginn (bis 31.12.2001: Hemmung und Unterbrechung) sowie die Wirkung der Verjährung die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend. Für Verjährungsfristen, die wie vorliegend am 01.01.2002 (Zeitpunkt der Änderung der Verjährungsvorschriften) noch nicht abgelaufen waren, bestimmt Art 229 § 6 Abs 2 Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB), dass, soweit die Vorschriften des BGB ab 01.01.2002 anstelle der Unterbrechung der Verjährung deren Hemmung vorsehen, eine eingetretene, aber noch nicht beendete Unterbrechung ab 01.01.2002 als Hemmung der Verjährung fortwirkt (BSG 27.04.2010, B 5 R 8/08 R, juris).
Für Ansprüche auf Zahlung von Beiträgen sieht § 198 Satz 2 SGB VI als spezielle Regelung vor, dass die Hemmung der Verjährung durch ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch eintritt. Wie weitreichend der Begriff des "Beitragsverfahrens" im Sinne des § 198 SGB VI auszulegen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben (zum Meinungsstand in der Literatur: BSG 27.04.2010, B 5 R 8/08 R, SozR 4-2600 § 233a Nr 1). Denn jedenfalls fallen unter diesen Begriff Verwaltungsverfahren, die auf die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die ordnungsgemäße Beitragserhebung abzielen (BSG 27.07.2011, B 12 R 19/09 R, juris). Auch nach der in der Literatur vertretenen engen Auffassung führen Verwaltungsverfahren über die Versicherungsberechtigung, die Beitragszahlung, Beitragstragung und Beitragshöhe und in Bezug auf die Statusfeststellung zur Unterbrechung bzw Hemmung nach § 198 SGB VI (Mutschler in jurisPK-SGB VI, § 198 RdNr 24 u 31). Im Fall der Klägerin fanden Verfahren zur Prüfung der Versicherungspflicht bzw Befreiung von der Versicherungspflicht vom 30.03.2000 bis 10.10.2000, vom 16.11.2000 bis 22.01.2004 und vom 12.02.2004 bis 02.07.2008 statt. Während dieser Verfahren lief die Verjährungsfrist aufgrund der eingetretenen Hemmung nicht weiter. Die Hemmung endete erst sechs Monate nach Abschluss der jeweiligen Verfahren (§ 198 Satz 2, 2. Halbsatz SGB VI). Hinsichtlich des seit 15.09.1999 fälligen Beitrags für August 1999 war bei Erlass der streitgegenständlichen Bescheide somit die vierjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen. Verjährung liegt damit insgesamt nicht vor.
Die Beklagte hat die Höhe der Beitragsforderungen unter Anwendung des § 165 SGB VI in den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt. Auch insoweit sind die Bescheide rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass zwar nicht die Berufung, aber die Klage teilweise Erfolg hatte. Denn mit den von der Beklagten während des Klageverfahrens erlassenen Bescheiden vom 06.01.2010 und 20.05.2010 reduzierte sich die Nachforderung um rund ein Drittel.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved