L 11 R 1005/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 343/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1005/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.02.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit stehen die von der Klägerin ab dem 01.04.2007 aus der Rente zu zahlenden Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die 1952 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten seit Oktober 2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Im Bewilligungsbescheid vom 05.05.2003 setzte die Beklagte die monatliche (Brutto-)Rente ab 01.07.2003 auf 1.033,35 EUR fest. Der Beitragsanteil der Klägerin zur Krankenversicherung wurde mit 73,88 EUR ausgewiesen. Der Berechnung lag der allgemeine Beitragssatz der Beigeladenen von 14,3 % zugrunde.

Mit Bescheid vom 05.02.2007 nahm die Beklagte wegen der Änderung des Beitragssatzes zur GKV eine "Neuberechnung der Rente" ab dem 01.04.2007 vor. Die monatliche (Brutto-)Rente blieb unverändert. Der von der Klägerin zu zahlende Krankenversicherungsbeitrag wurde mit insgesamt 84,22 EUR ausgewiesen. Der Betrag errechnete sich bei einem allgemeinen Beitragssatz der Beigeladenen von 15,4 % aus dem hälftigen Anteil der Klägerin aus 14,5 % sowie zusätzlichen von der Klägerin allein zu tragenden 0,9 %. Hiergegen legte die Klägerin am 20.03.2007 ohne Begründung Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 21.01.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Ansatz eines individuellen Beitragssatzes anstatt eines Durchschnittsbeitragssatzes belaste die Versicherten. Bereits in der Vergangenheit seien unzählige belastende Maßnahmen erfolgt. Die ständigen zusätzlichen Belastungen im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung, speziell für Rentner, sei verfassungswidrig. Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) sei verletzt. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sei längst überschritten. Die Rentenkürzung sei nicht geeignet eine Konsolidierung der Krankenversicherungshaushalte herbeizuführen. Prognostisch sei mit weiteren Anhebungen der Beiträge zu rechnen. Der angefochtene Bescheid sei daher aufzuheben.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.02.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe den von der Klägerin zu tragenden Beitragsanteil in Anwendung der gesetzlichen Grundlagen zutreffend festgesetzt. Die gesetzlichen Regelungen begegneten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Am 07.03.2012 hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, trotz der geringen Mehrbelastungen infolge der Beitragssatzerhöhung liege unter Berücksichtigung sämtlicher Kürzungen der vergangen Jahre ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht aus Art 14 GG vor. Eine Gesamtbetrachtung sei bislang von der Rechtsprechung nicht vorgenommen worden. Der Argumentation, dass bei einer Beitragssatzerhöhung die "Bruttorente" nicht angetastet werde, könne nicht gefolgt werden. De facto führe dies zu einer fehlenden Justiziabilität. Die Rentenanwartschaften seien über die Dauer von 15 Jahren komplett ausgehöhlt worden, weshalb eine sinnvolle Privatnützigkeit nicht mehr gegeben sei. Alle Belastungen der vergangenen Jahre müssten in die Prüfung mit einfließen. Das Rentenniveau sei auf einen Status quo von 1995 eingefroren worden. Es seien Abschläge bei Altersrenten und Hinterbliebenenrenten, die Zulässigkeit der Erhebung von Zusatzbeiträgen, die Versteuerung der gesetzlichen Renten und ein zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag eingeführt und der Pflegeversicherungsbeitrag sowie der allgemeine Beitragssatz der Krankenversicherung angehoben worden. Prognostisch sei mit weiteren Anhebungen der Beiträge zu rechnen. Demgegenüber sei es unterlassen worden, eine Dynamisierung der Rentenansprüche im Sinne eines Inflationsausgleichs herbeizuführen. Eine Konsolidierung der Sozialversicherungssysteme sei durch Beitragssatzanhebungen offensichtlich nicht zu erreichen. Die Verhältnismäßigkeit sei nicht mehr gewahrt. Auch Art 19 Abs 4 GG sei tangiert. Durch die schrittweise Mehrbelastungen der Rentner sei ein sinnvoller Rechtsschutz nicht möglich. Schließlich zeige der derzeitige Überschuss in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung, dass die Beitragssatzanhebungen zwischenzeitlich vollkommen überflüssig geworden sei. Daran zeige sich auch, dass nur eine gute Konjunktur zur Konsolidierung führen könne und sämtliche Kürzungssysteme eher kontraproduktiv gewesen seien. Zur Konsolidierung der Konjunktur seien die Abgaben zu senken.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.02.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 05.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2010 aufzuheben und die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Gegenstand der Klage ist die mit Bescheid vom 05.02.2007 vorgenommene Festsetzung der ab dem 01.04.2007 von der Klägerin aus der Rente zu zahlenden Beiträge zur GKV. Nicht streitgegenständlich sind die Beiträge zur Pflegeversicherung. Die Ausführungen der Klägerin beziehen sich allein auf die Krankenversicherungsbeiträge. Auch die Höhe des Rentenstammrechts ("Bruttorente") steht nicht im Streit. Hierüber hat die Beklagte im Bescheid vom 05.02.2007 nicht entschieden. Entgegen der Bezeichnung als "Neuberechnung der Rente" erschöpfte sich der Regelungsgehalt des Bescheids in der Feststellung der zu zahlenden Beiträge. Der Wert des Rentenrechts blieb unverändert. Demgemäß hat die Klägerin auch lediglich die Aufhebung des Bescheids und nicht zugleich die Gewährung einer höheren Rente beantragt.

Die Beklagte hat als zuständige Behörde (vgl BSG 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1 mwN) die Höhe der von der Klägerin zu zahlenden Beiträge zur GKV in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgesetzt.

Nach § 247 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ((SGB V), in der Fassung vom 21.03.2005 gültig vom 01.07.2005 bis 31.12.2008) gilt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse sowie der zusätzliche Beitragssatz. Beitragssatzveränderungen gelten jeweils vom ersten Tag des dritten auf die Veränderung folgenden Kalendermonats an. Für Mitglieder gilt nach § 241a SGB V (in der Fassung vom 15.12.2004 gültig vom 01.07.2005 bis 31.12.2008) ein zusätzlicher Beitragssatz in Höhe von 0,9 vom Hundert; die übrigen Beitragssätze vermindern sich in demselben Umfang. Nach § 249a SGB V (in der Fassung vom 14.06.2007 gültig vom 01.04.2007 bis 31.12.2008) tragen Versicherungspflichtige, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, und die Träger der Rentenversicherung die nach der Rente zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte; den zusätzlichen Beitragssatz trägt der Rentner allein.

Diese Rechtsgrundlagen hat die Beklagte zutreffend angewandt. Nach der Satzung der Beigeladenen betrug der allgemeine Beitragssatz im Jahr 2007 15,4 %. Abzüglich des von der Klägerin zu tragenden Anteils in Höhe von 0,9 % ergibt sich ein Beitragssatz von 14,5 %, wovon die Klägerin die Hälfte zu tragen hatte. Ausgehend von einer monatlichen Bruttorente in Höhe von 1.033,35 EUR ergibt sich der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid festgesetzte Zahlbetrag von 84,22 EUR (8,15 % von 1.033,35 EUR).

Die von der Beklagten angewandten Normen verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden, dass die §§ 247 Abs 1 Satz 1, 241a und 249a SGB V (gültig von 01.07.2005 bis 31.12.2008) nicht gegen die Verfassung verstoßen (BSG 21.01.2009, B 12 R 1/07 R, juris; BSG 24.8.2005, B 12 KR 29/04 R, SozR 4-2500 § 248 Nr 1). Der Gesetzgeber durfte 0,9 % des Beitragssatzes allein den Rentnern auferlegen. Eine Verletzung von Art 14 GG folgte aus dieser damit verbundenen Verschiebung der Beitragslast um 0,45 % zulasten der Rentner nicht. Auch in der Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes anstatt des ermäßigten Beitragssatzes sah das BSG keine Grundrechtsverletzung. Der Senat schließt sich der Auffassung des BSG an und verweist auf die überzeugenden Ausführungen in den genannten Urteilen.

Ebenso hat das BSG entschieden, dass die mit den genannten Vorschriften verbundenen Belastungen der Rentner auch im Kontext anderer Beitragserhöhungen der vergangenen Jahre und weiterer "Einschnitte" im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung wie dem Unterbleiben der Rentenanpassung im Jahr 2005 sowie der ab 2005 schrittweise beginnenden Besteuerung von Renten keine Überforderung der Rentner darstellen (BSG 21.01.2009, B 12 R 1/07 R, juris). Das BSG hat die Minderung der monatlichen Nettorente infolge der Erhöhung der Beitragslast im Rahmen einer auch kumulative Effekte einbeziehenden verfassungsrechtlichen Betrachtungsweise als nicht so gewichtig angesehen, dass sie die Legitimation des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich in Frage stellt (BSG 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1). In der Summe senkten die Überbürdung der zweiten Beitragshälfte in der sozialen Pflegeversicherung zum 01.04.2004 und die Einführung eines zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags zum 01.07.2005 das Rentenniveau typischerweise nicht derart ab, dass die Rente ihre prinzipielle Struktur und ihre Funktion als freiheits- und existenzsichernde Leistung verliert (BSG 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1).

Bei additiver Betrachtungsweise folgt eine Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen auch nicht aus dem ab 01.01.2007 gültigen höheren Beitragssatz der Beigeladenen. Die im Vergleich zu 2003 erfolgte Erhöhung der Beitragslast der Klägerin betrug lediglich 1,00 % ihrer Bruttorente. Dadurch verlor die Rente weder ihre prinzipielle Struktur noch ihre Funktion als freiheits- und existenzsichernde Leistung.

Hinzu kommt, dass die Mehrbelastung ab dem 01.01.2007 nicht auf einer Änderung im Beitragsrecht beruhte. Die maßgeblichen Vorschriften galten bereits seit dem 01.07.2005. Nur Verschlechterungen im Beitragsrecht, die eine Änderung der Regelungen über die Beitragstragung bewirken, sind aber relevant im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht (vgl BSG 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1). Denn das Vermögen als solches ist durch Art 14 Abs 1 GG nicht gegen die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten geschützt (zur Künstlersozialabgabe: BVerfG 08.04.1987, 2 BvR 909/82 ua, BVerfGE 75, 108), soweit es dadurch nicht zu einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse kommt (vgl BVerfG 31.05.1999, 2 BvL 12/88 ua, BVerfGE 82, 159, 190; BSG 24.08.2005, B 12 KR 29/04 R, SozR 4-2500 § 248 Nr 1; BSG 10.05.2006, B 12 KR 6/05 R, SozR 4-2500 § 240 Nr 7, jeweils mwN; vgl auch: LSG Baden-Württemberg 16.12.2010, L 7 R 2804/10). Um eine solche grundlegende Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse handelt es sich vorliegend ersichtlich nicht. Ist eine Maßnahme demnach nicht von Bedeutung für das Eigentumsrecht aus Art 14 GG, ist sie auch nicht in die kumulative Betrachtungsweise mit einzubeziehen (BSG 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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