L 4 R 1877/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4037/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1877/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 und 1. März bis 31. Dezember 2007 sowie die Rückforderung gezahlter Leistungen in Höhe von insgesamt EUR 54.495,56.

Die am 1946 geborene Klägerin war ab 1. Januar 1991 als Kranken- und Altenpflegerin selbstständig tätig. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte) stellte die Versicherungspflicht der Klägerin in der Rentenversicherung der Angestellten während ihrer selbstständigen Tätigkeit fest (Bescheid vom 1. August 1991) sowie, nachdem die Klägerin weitere Personen beschäftigte, das Entfallen dieser Versicherungspflicht zum 30. September 1991 (Bescheid vom 3. Mai 1993).

Die Klägerin beantragte am 24. April 1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit und gab an, sie werde ihre Tätigkeit als selbstständige Krankenschwester weiterhin ausüben. Die Beklagte lehnte diesen Rentenantrag ab (Bescheid vom 15. Oktober 1998). Die Klägerin erhob Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens machte die Klägerin auf Anforderung der Beklagten unter dem 9. Juni 1999 Angaben zu ihrer selbstständigen Tätigkeit sowie unter dem 29. Juni 1999 zu ihrem Arbeitseinkommen in den Jahren 1997 bis 1999 (1997: - DM 50.366,00 [Verweis auf den vorgelegten Bescheid für 1997 über Einkommensteuer und Solidaritätszu¬schlag vom 3. Juni 1998]; 1998 - DM 63.000,00 laut Buchhaltung; 1999 voraussichtlich DM 63.000,00). Sie teilte weiter mit, aus der selbstständigen Tätigkeit werde sie kein monatliches Arbeitseinkommen erzielen. Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab 1. November 1998 Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 18. November 1999; in der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte auch handschriftlich mit dem Datum 2. Dezember 1999 versehen). In diesem Bescheid führte die Beklagte unter der Überschrift "Mitteilungspflichten" aus: "Liegt bei Aufnahme bzw. Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tä-tigkeit weiterhin Berufsunfähigkeit vor, wird die Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht oder in verminderter Höhe geleistet, sofern die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird."

Anschließend erläuterte die Beklagte die Berechnung der Hinzuverdienstgrenze, die sie für den Beginn der laufenden Zahlung (ab 1. Januar 2002) mit EUR 648,12 monatlich bezifferte, und führte weiter aus: " ... Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns die Aufnahme oder Ausübung einer über diesen Rahmen hinausgehenden Beschäftigung oder selbstständigen Tä-tigkeit unverzüglich mitzuteilen ..."

Die Anrechnung eines Hinzuverdiensts unterblieb wegen des angegebenen Minuseinkommens. Die Beklagte zahlte der Klägerin die Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe. Ferner be-willigte die Beklagte der Klägerin ab 1. November 1998 einen Zuschuss zu den Beiträgen zur Krankenversicherung und bis 31. März 2004 auch zu den Beiträgen zur Pflegeversicherung, weshalb die Beklagte die bewilligte Rente, in der Folgezeit auch wegen Änderungen, jeweils neu berechnete (Bescheide vom 24. Januar 2001, 30. November 2001, 8. März 2004, 27. April 2004, 5. Februar 2007 und 9. Dezember 2008). Die Beklagte zahlte der Klägerin folgende Beträge (Rente einschließlich Zuschüssen zum Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung): ab 1. November 1998 DM 1.253,87, ab 1. Juli 1999 DM 1.273,58, ab 1. Juli 2000 DM 1.288,20, ab 1. Juli 2001 DM 1.312,86, ab 1. Januar 2002 EUR 671,26, ab 1. Juli 2002 EUR 687,32, ab 1. Juli 2003 EUR 695,47, ab 1. April 2004 EUR 691,93, ab 1. Juli 2004 EUR 691,28, ab 1. Juli 2005 EUR 688,39, ab 1. Januar 2006 EUR 688,39, ab 1. April 2007 EUR 690,32, ab 1. Juli 2007 EUR 694,02, ab 1. Juli 2008 EUR 701,68, ab 1. Januar 2009 EUR 702,33 und ab 1. Juli 2009 EUR 717,24.

Die Klägerin beantragte am 10. Juni 2009 Altersrente für Frauen ab 1. August 2009. Sie verneinte im Antrag, ab Rentenbeginn steuerliche Gewinne (Einkünfte aus Land- oder Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit) zu erzielen und gab weiter an, ihre selbstständige Tätigkeit seit 1. Januar 2004 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 13,5 Stunden ausgeübt zu haben. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. November 2009 ab, weil nach Vollendung des 40. Lebensjahres nur insgesamt 44 Pflichtbeiträge nachgewiesen seien. Ein Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Men¬schen habe nicht geprüft werden können, weil die Klägerin auf von ihr (der Beklagten) gegebene Informationen nicht reagiert habe. Auf den Widerspruch der Klägerin bewilligte die Beklagte ab 1. August 2009 Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem anfänglichen monatlichen Zahlbetrag von EUR 1.075,81 (Bescheid vom 7. Mai 2010).

Während der Bearbeitung des Antrags der Klägerin auf Altersrente forderte die Beklagte die Klägerin auf (Schreiben vom 18. August 2009) Angaben mit Nachweisen über den Hinzuverdienst seit Januar 1998 neben dem Bezug der Rente wegen Berufsunfähigkeit zu machen. Dem kam die Klägerin nicht nach. Daraufhin forderte die Beklagte beim Finanzamt Schwetzingen die Steuerbescheide ab dem Jahr 1998 an. Dieses übersandte die Bescheide für 1998 vom 28. September 1999, für 1999 vom 28. August 2000, für 2000 vom 3. Juli 2001, für 2001 vom 13. November 2002, für 2002 vom 4. September 2003, für 2003 vom 6. September 2004, für 2004 vom 12. Juli 2005, für 2005 vom 20. Juli 2006, für 2006 vom 26. Oktober 2007, für 2007 vom 31. August 2009 und für 2008 vom 28. August 2009 (Eingang bei der Beklagten am 16. November 2009). In diesen Steuerbescheiden sind folgende Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit genannt:

1998 - DM 154.169,00 (= - EUR 78.825,36) 1999 DM 3.349,00 (= EUR 1.712,32) 2000 DM 27.236,00 (= EUR 13.925,55) 2001 DM 106.416,00 (= EUR 54.409,64) 2002 EUR 27.635,00 2003 EUR 39.691,00 2004 EUR 16.922,00 2005 EUR 39.171,00 2006 EUR 1.453,00 2007 EUR 14.040,00 2008 - EUR 39.197,00

Die Beklagte hörte die Klägerin zu der beabsichtigten Aufhebung des Bescheids vom 18. November 1999 für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2007 sowie zur Rückforderung einer Überzahlung in Höhe von EUR 54.495,56 an (Schreiben vom 9. Dezember 2009). Nach Eingang mehrerer Stellungnahmen der Klägerin berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 2010 die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. März 2009 neu und verfügte, der für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Juli 2009 überzahlte Betrag in Höhe von EUR 54.495,56 sei zu erstatten. Sie verwies zur Berechnung der Rente darauf, dass die Rente für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 sowie vom 1. März bis 31. Dezember 2007 nicht zustehe. Für Zeiten, für die die Rente nicht zu zahlen sei, sei auch kein Zuschuss (zu den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung) zu zahlen. Weiter führte sie aus, der zuletzt erteilte Bescheid über die Höhe des Zuschusses zur Krankenversicherung werde mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben. In Anlage 10 zu diesem Bescheid führte sie schließlich aus, der Rentenbescheid vom 18. November 1999 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die zuvor genannten Zeiten nach § 48 SGB X wegen Überschreitens der zulässigen Hinzuverdienstgrenze aufgehoben. Die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Die im Anhörungsverfahren vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu bewirken und von einer Aufhebung des Bescheids abzusehen. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids habe sich die Klägerin nicht berufen können, weil sie durch die im Bescheid gegebenen Erläuterungen hinreichend über die Leistungsvoraussetzungen und auch über die mit einer eventuellen Änderung der Verhältnisse verbundenen Rechtsfolgen informiert worden sei. Sie (die Klägerin) sei ihrer Verpflichtung zur Meldung nicht nachgekommen. Im Wege des Ermessens lasse sich keine anders lautende Entscheidung treffen, da sie (die Beklagte) am Eintreten der Überzahlung kein Verschulden treffe und eine detaillierte Aufstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse unterblieben sei. Die Beklagte verrechnete die Nachzahlung der bewilligten Altersrente in Höhe von EUR 3.944,27 mit dem zurückgeforderten Betrag. Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2010). Mit ihrem Erwerbseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit in der Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 und 1. März bis 31. Dezember 2007 habe die Klägerin alle zulässigen Hinzuverdienstgrenzen für die Rente wegen Berufsunfähigkeit überschritten, so dass für diese Zeiträume keine Rentenzahlung zugestanden habe. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X seien gegeben. Im Bescheid vom 18. November 1999 sei der Klägerin ausdrücklich die Verpflichtung auferlegt worden, bei Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit und der Erzielung von Einkünften dies ihr (der Beklagten) mitzuteilen. Die Rücknahme mit Bescheid vom 25. Juni 2010 sei auch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erfolgt. Die Rückäußerung der Klägerin auf das Anhörungsschreiben vom 9. Dezember 2009 sei am 28. Dezember 2009 eingegangen. Auch im Wege des Ermessens lasse sich keine anders lautende Entscheidung treffen, da sie (die Beklagte) am Eintreten der Überzahlung keinerlei Verschulden treffe und eine detaillierte Aufstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse unterblieben sei und deshalb keine Gründe erkennbar seien, die einer Aufhebung des Bescheids entgegenstünden oder eine Minderung der Höhe der Forderung begründen könnten. Da der Bescheid aufgehoben worden sei, seien erbrachte Leistungen zu erstatten, weshalb die Rückforderung in Höhe von "EUR 50.551,29" zu Recht erfolge.

Die Klägerin erhob am 12. November 2010 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Sie machte – wie im Wesentlichen bereits in ihren Stellungnahmen zum Anhörungsschreiben und ihrer Begründung des Widerspruchs – geltend, sie habe im Rentenantrag angegeben, weiterhin selbstständig tätig zu sein. Durch diese Mitteilung sei die Beklagte in die Lage versetzt worden, die Rechtmäßigkeit der Zahlung der Rente regelmäßig zu überprüfen. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, jährliche Anfragen an sie (die Klägerin) bezüglich ihres Einkommens zu richten. Da diese Anfragen unterblieben seien, habe sie (die Klägerin), die ihrer Verpflichtung zur Mitteilung rentenrechtlich bedeutsamer Tatsachen bereits im Rentenantrag nachgekommen sei, davon ausgehen können, die Zahlung der Rente erfolge zu Recht. Deshalb sei die Überzahlung ausschließlich aufgrund einer Pflichtverletzung der Beklagten zu Stande gekommen, so dass sie (die Beklagte) nicht berechtigt sei, von ihr (der Klägerin) Beträge zurückzufordern. Eine Rückzahlung überzahlter Rentenbeträge könne nur erfolgen, wenn Versicherte die Auszahlung dieser Beträge durch wissentlich falsche Angaben erschlichen hätten (Verweis auf Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 29. Februar 2008 - L 5 R 195/06 - in juris). Der Bescheid vom 18. November 1999 habe nur nach § 45 SGB X aufgehoben werden können (Verweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juli 2009 - L 4 R 1499/08 -, nicht veröffentlicht). Denn eine Änderung der Verhältnisse sei nicht eingetreten, da sie Einkommen schon zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit erzielt habe. Zum Zeitpunkt der Mitteilung im Juni 1999 sei es nicht absehbar gewesen, wann es hinsichtlich der Erzielung von Einkommen besser werden würde. Sie verfüge derzeit als Einkommen über die Altersrente sowie über Mieteinnahmen in Höhe von monatlich EUR 900,00, von denen sie monatlich EUR 750,00 zur Tilgung eines Kredits verwende.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 26. April 2011 ab. Die Beklagte habe zu Recht die Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit von März 2000 bis Dezember 2005 und März bis Dezember 2007 aufgehoben sowie die insoweit überzahlten Leistungen erstattet verlangt. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB X seien erfüllt. Der Bescheid vom 18. November 1999 sei ein Dauerverwaltungsakt, der zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig gewesen sei. Denn der Klägerin sei ab dem 1. November 1998 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe zu zahlen gewesen, da sie die maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen (November 1998 bis Juni 1999 DM 1.250,81; Juli bis Dezember 1999 DM 1.267,61) bei einem Verlust im Jahre 1998 sowie einem monatlichen Einkommen von DM 279,08 im Jahre 1999 nicht überschritten habe. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen sei eingetreten, weil die Klägerin die Hinzuverdienstgrenzen von März 2000 bis Dezember 2005 und März bis Dezember 2007 überschritten habe und ihr deswegen in diesen Zeiträumen keine Rente wegen Berufsunfähigkeit zugestanden habe. Es werde auf die Berechnung der Beklagten verwiesen, die nach ausdrücklicher Bestätigung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung richtig und daher zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Die Klägerin habe nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt, das zum Wegfall des Anspruchs geführt haben würde, so dass es irrelevant sei, ob sie (die Klägerin) oder die Beklagte ein Verschulden an der erfolgten Auszahlung der Rente treffe. Ein so genannter atypischer Fall, der die Ausübung von Ermessen durch die Beklagte erforderlich mache, liege nicht vor. Es sei keinerlei Verschulden der Beklagten zu erkennen. Die Klägerin habe, bestätigt durch den Steuerberater, am 29. Juni 1999 angegeben, in den Jahren 1997 bis 1999 einen erheblichen Verlust erwirtschaftet zu haben und auch zukünftig kein Einkommen zu erzielen. Da die Beklagte Kenntnis von der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 11. Juli 1995 gehabt habe, habe sie (die Beklagte) keinerlei Anhaltspunkte gehabt, regelmäßig nach den Einkünften der Klägerin aus Gewerbebetrieb zu fragen. Aufgrund der eindeutigen Hinweise im Bescheid vom 18. November 1999 sei die Klägerin verpflichtet gewesen, höheres als das bisherige, insbesondere die Hinzuverdienstgrenzen übersteigendes Einkommen der Beklagten mitzuteilen. In der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin erklärt, die Hinweise verstanden zu haben. Deshalb könne auch nicht der gegebenenfalls irreversible Verbrauch der überzahlten Rentenleistungen, den die Klägerin bislang nicht nachgewiesen habe, einen atypischen Fall ergeben. Ein atypischer Fall liege schließlich nicht darin, dass bei gutgläubigem Verbrauch der Leistungen aufgrund behördlich veranlassten Vertrauens die ursprünglichen Leistungen nicht mehr zur Verfügung stünden und die Rückzahlung aus laufenden Bezügen erfolgen müsse. Dass die Beklagte gleichwohl - wohl unter der Annahme eines atypischen Falls - Ermessen ausgeübt habe, rechtfertige nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Die Beklagte habe die Zehnjahresfrist des § 48 Abs. 4 in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB X eingehalten, weil die Geldleistung laufend bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt worden sei, sowie auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Die von der Klägerin genannten Urteile beträfen die Rücknahme nach § 45 SGB X oder die Frage der groben Fahrlässigkeit der Leistungsempfänger, worauf es vorliegend nicht ankommen. Da die Aufhebung des Bescheids vom 18. November 1999 zu Recht erfolgt sei, habe die Klägerin die zu Unrecht erhaltenen Leistungen zu erstatten. Hinsichtlich der Höhe bestehe kein Streit.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 3. Mai 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. Mai 2011 Berufung eingelegt. Sie verweist wiederum darauf, die Beklagte habe von Anfang an gewusst, dass sie (die Klägerin) auch nach der Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente weiterhin einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen und auch weiterhin Einkommen erzielen werde, weshalb die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Höhe ihres (der Klägerin) Einkommens regelmäßig zu erfragen. Sie meint, es liege damit ein so genannter atypischer Fall vor. Denn der typische Fall einer Rentenüberzahlung aufgrund des erzielten Einkommens entstehe dadurch, dass ein Rentenbezieher nach der Bewilligung der Rente Einkommen erzielt habe, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruches führen würde und von dem der Versicherungsträger nichts wisse und auch nichts wissen könne. Es liege ein ähnlicher Fall vor, wie er dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31. Januar 2008 - B 13 R 23/07 R - (in juris) zugrunde gelegen habe. Die Auffassung des SG, dass die Beklagte keinerlei Verschulden am Zustandekommen der Rentenüberzahlung treffe, leuchte nicht ein. Die Tätigkeiten von Selbstständigen seien dadurch gekennzeichnet, dass sie Schwankungen im Arbeitseinkommen erzeugten. Jahren mit Verlust folgten nicht selten Jahre deutlicher Gewinne. Dass die Rentenversicherungsträger - nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse - verpflichtet seien, jährlich die Einkünfte von Beziehern von Renten wegen Erwerbsminderung zu überprüfen, wenn diese weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgingen, ergebe sich aus § 18e Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), wonach die Bezieher von Arbeitseinkommen verpflichtet seien, auf Verlangen der Rentenversicherungsträger ihr im letzten Jahr erzieltes Einkommen mitzuteilen. Dies werde in der Praxis auch so gehandhabt und durch ein (vorgelegtes) Formschreiben der Beklagten belegt. Durch das Versäumnis der Beklagten sei ihr die Möglichkeit genommen worden, rechtzeitig auf Rentenüberzahlungen zu reagieren. Zu erfolgen habe eine Regelung, die das Verschulden beider Beteiligter am Zustandekommen der Überzahlung in zutreffendem Maße berücksichtige. Außerdem habe sie die ihr von der Beklagten zu Unrecht gezahlten Beträge längst vollständig verbraucht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26. April 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Selbst wenn es für die Prüfung eines atypischen Falles auf ein Verschulden ankomme, liege weder Verschulden ihrerseits noch ein überwiegendes Verschulden ihrerseits vor.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von EUR 750,00 ist überschritten. Denn die Klägerin wendet sich gegen eine Rückforderung in Höhe von EUR 54.495,56.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat die Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit und des Zuschusses zu den Beiträgen zur Krankenversicherung und bis 31. März 2004 auch zur Pflegeversicherung für die Zeiträume vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 und 1. März bis 31. Dezember 2007 zu Recht aufgehoben und gezahlte Leistungen in Höhe von insgesamt EUR 54.495,56 zurückgefordert. Denn die Klägerin hatte wegen des erzielten Arbeitseinkommens in diesen Zeiträumen keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, weil diese Rente in vollem Umfang ruhte, und damit auch keinen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.

1. Zulässige Klage ist die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Einer zusätzlichen Feststellung, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, den geforderten Betrag von EUR 54.495,56 zurückzuzahlen – wie dies in dem in der Berufungsschrift vom 5. Mai 2011 formulierten Antrag enthalten ist –, bedarf es nicht. Demgemäß war der Antrag der Klägerin sachgerecht (§ 123 SGG) dahin zu fassen, dass allein die Aufhebung des Bescheids vom 25. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2010 beantragt wird.

2. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2010 ist formell rechtmäßig. Denn die Beklagte hat die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung vor Erlass dieses Bescheides durchgeführt.

3. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2010 ist auch materiell rechtmäßig.

a) Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2010 ist hinreichend bestimmt, soweit mit ihm die mit Bescheid vom 18. November 1999 erfolgte Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeiträume vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 und 1. März bis 31. Dezember 2007 aufgehoben wurde. Diese Aufhebung ergibt sich aus der Anlage 10 zum Bescheid vom 25. Juni 2010. Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligung der durch verschiedene Bescheide erfolgten Bewilligung von Zuschüssen zum Beitrag zur Krankenversicherung und bis 31. März 2004 auch zur Pflegeversicherung. Diese Aufhebung verfügte die Beklagte auf Seite 2 des Bescheids unter der Überschrift "Gründe für die Neuberechnung Ihrer Rente".

b) Rechtsgrundlage für die (teilweise) Aufhebung der mit Bescheid vom 18. November 1999 erfolgten Bewilligung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ist § 48 SGB X und nicht – wie die Klägerin im Klageverfahren meinte – § 45 SGB X, so dass das von ihr genannte Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juli 2009 - L 4 R 1499/08 - einen anderer Sachverhalt betrifft. Die Anwendungsbereiche der §§ 45 und 48 SGB X grenzen sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab. § 45 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen zurückgenommen werden soll; dagegen kommt eine Aufhebung nach § 48 SGB X in Betracht, wenn nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist. Erlassen ist ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekanntgegeben und damit wirksam wurde (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 48/07 R - m.w.N., in juris). Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, war der Bescheid vom 18. November 1999 zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, weil der Klägerin die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. November 1998 in voller Höhe zustand. Denn sie überschritt in den Jahren 1998 (kein positives Einkommen) und 1999 (durchschnittliches monatliches Einkommen DM 297,00) nicht die (niedrigste) Hinzuverdienstgrenze von DM 1.250,81 bis 30. Juni 1999 und von DM 1.267,61 ab 1. Juli 1999. Ein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze erfolgte erst ab Januar 2000 (dazu sogleich).

c) Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich - zugunsten oder zu Lasten des Betroffenen - auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 9. August 2001 - B 11 AL 17/01 R - SozR 3-4300 § 119 Nr. 4).

Gegenüber dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 18. November 1999 ist mit Wirkung zum 1. Januar 2000 eine wesentliche Änderung eingetreten. Denn die Klägerin bezog in den Jahren 2000 bis 2005 und 2007 Arbeitseinkommen, das die Hinzuverdienstgrenzen überschritt.

Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird nach § 96a Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nach § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit im Monat die in Absatz 2 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Beide Regelungen sind seit ihrer Einfügung mit Wirkung zum 1. Januar 1996 durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze (SGB VI-ÄndG) vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I, S. 1824) unverändert. Die Regelungen über den Hinzuverdienst waren auf die der Klägerin bewilligte Rente wegen Berufsunfähigkeit anzuwenden.

aa) Für die Zeit bis 31. Dezember 2000 ergab sich dies aus § 302b Abs. 1 SGB VI, eingefügt mit Wirkung zum 1. Januar 1996 durch Art. 1 Nr. 61 SGB VI-ÄndG. Danach galt für Versicherte, deren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Januar 1996 begonnen hatte, für diese Rente die Hinzuverdienstgrenze (§ 96a SGB VI) bis 31. Dezember 2000 nicht. Die Rente der Klägerin wegen Berufsunfähigkeit begann nach dem 1. Januar 1996, nämlich am 1. November 1998.

Nach § 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der Fassung des SGB VI-ÄndG betrug die Hinzuverdienstgrenze bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit a) in Höhe von einem Drittel das 87,5fache, b) in Höhe von zwei Dritteln das 70fache, c) in voller Höhe das 52,5fache des aktuellen Rentenwerts (§ 68 SGB VI), vervielfältigt mit den Entgeltpunkten (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI) des letzten Kalenderjahres vor Eintritt der Berufsunfähigkeit, mindestens jedoch mit 0,5 Entgeltpunkten. Die höchste Hinzuverdienstgrenze für die Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von einem Drittel betrug monatlich danach ab 1. Januar 2000 DM 2.112,69 und ab 1. Juli 2000 DM 2.125,38. Auf die zutreffenden Berechnungen der Beklagten (Bl. 321 Rückseite der Verwaltungsakte) wird Bezug genommen. Diese Grenze überschritt das monatliche Arbeitseinkommen der Klägerin im Jahr 2000 von DM 2.269,00 (DM 27.236,00: 12).

bb) Für die Zeit ab 1. Januar 2001 ergibt sich dies aus § 313 Abs. 1 SGB VI, eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 2001 durch Art. 1 Nr. 58 des Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I, S. 1827). Bestand - wie im vorliegenden Fall - am 31. Dezember 2000 u.a. Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, ist nach § 313 Abs. 1 SGB VI § 96a SGB VI unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen des Absatzes 3 u.a. mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Regelungen zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Rente wegen Berufsunfähigkeit entsprechend gelten. Abhängig vom erzielten Hinzuverdienst wird nach § 313 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe, in Höhe von zwei Dritteln oder in Höhe von einem Drittel geleistet. Die Hinzuverdienstgrenze beträgt nach § 313 Abs. 3 Nr. 2 SGB VI bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in der hier maßgeblichen, vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung des RRErwerbG a) in voller Höhe das 52,5fache, b) in Höhe von zwei Dritteln das 70fache, c) in Höhe von einem Drittel das 87,5fache des aktuellen Rentenwerts (§ 68 SGB VI), vervielfältigt mit den Entgeltpunkten (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI) des letzten Kalenderjahres vor Eintritt der Berufsunfähigkeit, mindestens jedoch mit 0,5 Entgeltpunkten. Danach betrug – auch insoweit wird auf die zutreffenden Berechnungen der Beklagten (Bl. 321/324 der Verwaltungsakte) Bezug genommen – die höchste monatliche Hinzuverdienstgrenze für die Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von einem Drittel ab 1. Januar 2001 DM 2.125,38, ab 1. Juli 2001 DM 2.166,06, ab 1. Januar 2002 EUR 1.107,49, ab 1. Juli 2002 EUR 1.131,38, ab 1. Juli 2003 EUR 1.143,19 und ab 1. Juli 2007 EUR 1.167,95. Diese Hinzuverdienstgrenzen überschritt das monatliche Arbeitseinkommen der Klägerin in den Jahren 2000 bis 2005 und 2007. Das monatliche Arbeitseinkommen der Klägerin betrug (die in den Einkommensteuerbescheiden genannten Jahresbeträge geteilt durch 12) im Jahre 2001 DM 8.868,00, im Jahre 2002 EUR 2.302,92, im Jahre 2003 EUR 3.307,58, im Jahre 2004 EUR 1.410,17, im Jahre 2005 EUR 3.264,25 und im Jahre 2007 EUR 1.170,00. Für die beiden ersten Monate der Jahre 2002 und 2007 ging die Beklagte zudem davon aus, dass das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze für die Rente wegen Berufsunfähigkeit in einem Kalenderjahr als zweimaliges Überschreiten unschädlich ist (vgl. § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

d) Eine wesentliche Änderung ist weiter eingetreten, da der Klägerin kein Zuschuss zu den Beiträgen zur Kranken- und (bis 31. März 2004) Pflegeversicherung im Zeitraum von 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 und 1. März bis 31. Dezember 2007 zustand. Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI und (bis 31. März 2004) § 106a Abs. 1 Satz 1 SGB VI erhalten u.a. Rentenbezieher, die – wie die Klägerin – freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung. Da der Klägerin in den genannten Zeiträumen eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht zu zahlen war, hatte sie in diesen Zeiträumen auch keinen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.

e) Die Beklagte durfte die Bewilligung der Rente und des Zuschusses auch für die Vergangenheit vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse am 1. Januar 2000 an aufheben, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gegeben sind. Denn die Klägerin erzielte Einkommen, das zum teilweisen Wegfall des Anspruchs führte. Maßgeblich ist allein, dass die Klägerin Einkommen tatsächlich erzielte. Auf ein Verschulden oder eine Bösglaubigkeit der Klägerin kommt es insoweit nicht an. Die Rechtslage, dass es allein auf das tatsächliche Erzielen von Einkommen ankommt, würde sich im Übrigen durch ein – auch möglicherweise fehlerhaftes Verhalten der Beklagten nicht ändern.

f) Die Beklagte hat ferner zu Recht die Bewilligung nur in dem Umfang aufgehoben, um den der Hinzuverdienst die relevante Grenze tatsächlich überschritten hat. In den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X darf eine Bewilligung nur in dieser Höhe aufgehoben werden (BSG, Urteil vom 23. März 1995 - 13 RJ 39/94 - SozR 3-1300 § 48 Nr. 37; Urteil vom 12. Dezember 1995 10 RKg 9/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr. 42; Urteil vom 17. Februar 2011 - B 10 KG 5/09 R - SozR 4-5870 § 2 Nr. 1). Das von der Klägerin erzielte Arbeitseinkommen lag in der Zeit in den Jahren 2000 bis 2005 und 2007 immer über dem gezahlten Betrag der Rente wegen Berufsunfähigkeit und der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung.

g) Die Beklagte war nicht verpflichtet, bei der Aufhebung Ermessen auszuüben. Liegen die Aufhebungsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vor, kann die Behörde grundsätzlich die Bewilligung aufheben. Nur in Ausnahmefällen, wenn ein so genannter atypischer Fall gegeben ist, hat die Behörde Ermessen auszuüben, ob ausnahmsweise von einer (ganzen oder teilweisen) Aufhebung der Bewilligung abzusehen ist. Die Frage, wann es sich um einen atypischen Fall handelt, in dem eine Ermessensentscheidung getroffen werden muss, ist nach dem Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Diese müssen im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere der aus § 50 Abs. 1 SGB X folgenden Erstattungspflicht, vom Normalfall in besonderer Weise abweichen (BSG, Urteil vom 24. September 1986 - 10 RKg 9/85 - SozR 5870 § 2 Nr. 47).

Ein atypischer Fall liegt nicht vor. Vielmehr liegt der typische Fall vor, dass ein Versicherter eine Sozialleistung erhalten hat, auf die er wegen eigenen Einkommens keinen Anspruch hatte. Allein die Höhe der Rückforderung, die sich aus der Aufhebung der Bewilligung ergibt, ist als Folge der Aufhebung kein Kriterium für die Feststellung eines typischen oder atypischen Falls.

Ein Fehlverhalten oder ein Verschulden der Beklagten, welches ursächlich zu der Zahlung der der Klägerin nicht zustehenden Leistungen führte und deshalb einen atypischen Fall begründen könnte, vermag – wie bereits das SG – auch der Senat nicht festzustellen. Soweit die Klägerin darauf abstellt, der Beklagten sei ihre (der Klägerin) selbstständige Tätigkeit bekannt gewesen und die Beklagte sei deshalb verpflichtet gewesen, jährlich nach dem Arbeitseinkommen bei ihr (der Klägerin) nachzufragen, geht sie fehl. Es ist nicht Sache der Beklagten, für jedes Jahr zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, sondern es ist vielmehr Sache der Klägerin, die für den Anspruch maßgeblichen Tatsachen und gegebenenfalls eingetretene Veränderungen in den für den Anspruch maßgeblichen Tatsachen unaufgefordert der Beklagten mitzuteilen. Die Klägerin übersieht ihre sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergebenden Mitteilungspflichten, auf die sie die Beklagte in allgemeiner Form in dem Bescheid vom 18. November 1999 hingewiesen hatte. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, 2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, 3. Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Regelung in § 60 SGB I über die Verpflichtung zur Angabe der entscheidungserheblichen Tatsachen und Bezeichnung von Beweismitteln hat vor allem die Funktion, den Leistungsträger überhaupt in die Lage zu versetzen, seiner in § 20 SGB X normierten Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen nachkommen zu können (Kampe in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 60 SGB I Rn. 19). Gerade wenn entsprechend dem Vortrag der Klägerin die Tätigkeiten von Selbstständigen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie Schwankungen im Arbeitseinkommen erzeugen, ist sich der selbstständig Tätige dessen bewusst, so dass es insbesondere deshalb nahe liegt, dass er Kenntnis davon hat, dass das unterschiedliche jährliche Arbeitseinkommen Auswirkungen auf bewilligte Sozialleistungen haben kann.

Eine Verpflichtung der Beklagten, jährlich das Arbeitseinkommen zu überprüfen, ergibt sich auch nicht aus § 18e SGB IV, der regelt, wie Einkommensänderungen durch den Versicherungsträger zu ermitteln sind und welche Mitwirkungspflichten die dort genannten Betroffenen haben. § 18e SGB IV suspendiert nicht den Versicherten von den ihm aus § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I auferlegten Mitteilungspflichten.

Im Übrigen ist die Klägerin der Anfrage der Beklagten vom 18. August 2009 wegen ihres Arbeitseinkommens nicht nachgekommen, sondern die Beklagte musste sich die notwendigen Informationen über das Arbeitseinkommen der Klägerin auf dem Wege der Amtshilfe vom zuständigen Finanzamt beschaffen.

Auch unter Berücksichtigung des Urteils des BSG von 31. Januar 2008 - B 13 R 23/07 R - (a.a.O.) lässt sich vorliegend ein atypischer Fall nicht annehmen. Der Sachverhalt, der diesem Urteil des BSG zugrundelag, war ein anderer. In jenem Verfahren war überhaupt nicht streitig, ob ein atypischer Fall vorlag. Denn der in jenem Verfahren beklagte Rentenversicherungsträger nahm wegen eines ihm zuzurechnenden Bearbeitungsfehlers, der zu einer unterbliebenen Berücksichtigung eines anzurechnenden Einkommens auf die bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung führte, von sich aus einen atypischen Fall an und reduzierte deshalb die Höhe der Rückforderung. Das BSG prüfte deshalb nicht mehr, ob ein atypischer Fall vorlag, sondern überprüfte nur, ob der in jenem Verfahren beklagte Rentenversicherungsträger sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hatte.

Da ein atypischer Fall nicht vorliegt, musste die Beklagte kein Ermessen ausüben. Dass sie es nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid dennoch getan hat, ändert daran nichts. Es ist deshalb auch unerheblich, ob die im Widerspruchsbescheid genannten Ermessenserwägungen ausreichend sind oder nicht.

h) Schließlich hat die Beklagte auch die weiteren Voraussetzungen einer rückwirkenden Aufhebung beachtet. Sie hat die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Kenntnis davon, dass die Klägerin ab 1. Januar 2000 Arbeitseinkommen, das die Grenze des Hinzuverdienstes überschritt, erzielt hatte, hatte sie frühestens mit dem Eingang der vom Finanzamt übersandten Einkommensteuerbescheide am 16. November 2009. Der Aufhebungsbescheid ist am 25. Juni 2010, mithin innerhalb eines Jahres ergangen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Jahresfrist möglicherweise erst nach Eingang der Stellungnahmen der Klägerin auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 9. Dezember 2009 zu laufen begonnen hat.

Die Aufhebung war nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X auch jenseits der Zehnjahresfrist möglich. Denn die Beklagte zahlte die Geldleistung (Rente und Zuschuss) mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme.

Eine "Verjährung" - wie von der Klägerin im Widerspruchsverfahren geltend gemacht - ist deshalb nicht eingetreten.

i) Da die Beklagte zu Recht die Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit sowie des Zuschusses zu den Beiträgen zur Kranken- und (bis 31. März 2004) Pflegeversicherung für die Zeiträume vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2005 und 1. März bis 31. Dezember 2007 aufgehoben hat, ist die Klägerin nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die zu Unrecht erhaltenen Rentenzahlungen und Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten. Dies sind EUR 54.495,56. Hinsichtlich der Berechnung des Rückforderungsbetrags schließt der Senat sich nach eigener Prüfung der Berechnung der Beklagten (Bl. 331 Rückseite/332) an. Die Klägerin hat insoweit auch keine Einwendungen gegen die Höhe der Rückforderung erhoben, sondern sie in der mündlichen Verhandlung beim SG ausdrücklich als zutreffend bezeichnet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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