L 7 SO 2418/11 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 1973/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2418/11 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.414,01 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist auch im Übrigen statthaft (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht gegeben sind.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 Euro nicht übersteigt. Die Berufung ist hier in Anbetracht des Beschwerdewerts von 6.414,01 Euro nicht bereits kraft Gesetzes statthaft. Das Sozialgericht Ulm (SG) hat die Berufung im angefochtenen Urteil vom 14. Februar 2011 auch weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen zugelassen.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt ersichtlich nicht vor und wird auch vom Beklagten nicht geltend gemacht. Der Beklagte beruft sich in seiner Beschwerdebegründung auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) in Bezug auf die Frage der Auslegung des Interessenwahrungsgrundsatzes und rügt die Abweichung des beanstandeten Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2003 (Aktenzeichen: 12 A 3945/01). Damit macht er den Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG geltend. Beide Zulassungsgründe liegen jedoch nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle die notwendige Klärung erfolgt (so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seit BSGE 2, 129, 132). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rdnrn. 28, 29; § 160 Rdnrn. 6 ff. (jeweils m.w.N.)). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes eindeutig beantwortet werden kann (vgl. BSG SozR 3-4100 § 111 Nr. 1 Seite 2). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit, d.h. die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, d.h. die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage hinzutreten (vgl. dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr. 53; SozR 1500 § 160a Nr. 54). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nrn. 7 und 67). Hinsichtlich von Tatsachenfragen kann über § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG eine Klärung nicht verlangt werden.

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich hier nicht; sie sind vom Beklagten weder dargetan noch anderweitig ersichtlich. Der Beklagte macht sinngemäß geltend, dass die Klägerin nach dem aus § 111 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - (vgl. jetzt § 110 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)) herzuleitenden Interessenwahrungsgrundsatz verpflichtet gewesen wäre, zu prüfen, ob die Eltern des Sozialhilfeempfängers R. unterhaltsverpflichtet waren, ferner, dass die Gewährung der Leistungen als Darlehen gemäß § 15b BSHG ohne spätere Umwandlung in eine Beihilfe erfolgt sei und schließlich, dass die Verpflichtung des Hilfeempfängers, sich selbst um Arbeit zu bemühen, missachtet worden sei. Dieses Vorbringen zeigt indes eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung nicht auf. Das BSHG ist mit dem 31. Dezember 2004 außer Kraft getreten und mit Wirkung vom 1. Januar 2005 durch das SGB XII abgelöst worden (vgl. Art. 1, Art. 68 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 sowie Art. 70 Abs. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S.3022)). Die Vorschrift des § 107 Abs. 1 BSHG, auf welche das SG den Erstattungsanspruch der Klägerin gestützt hat und auf den diese sich beruft, hat aber im SGB XII keine Nachfolgeregelung (vgl. §§ 106 bis 108 SGB XII) gefunden, sodass bereits unter dem Gesichtspunkt ausgelaufenen Rechts die Klärungsbedürftigkeit der mit dem Interessenwahrungsgrundsatz begründeten Rechtsfrage nicht ersichtlich ist, zumal der Beklagte nicht dargetan hat, dass die Vorschrift des § 107 Abs. 1 BSHG noch in einer Vielzahl von Streitfällen heranzuziehen wäre oder sich gleichartige Rechtsfragen auch unter der Geltung der §§ 106 ff. SGB XII stellen würden (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Februar 2007 - L 7 SO 5792/06 NZB -). Darüber hinaus hat der Beklagte auch nicht aufgezeigt, dass der im Rahmen des § 111 Abs. 1 BSHG zu beachtende Sorgfaltsmaßstab (vgl. hierzu Schoch in LPK-BSHG, 6. Auflage, § 111 Rdnr. 11; W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Auflage, § 111 Rdnr. 8; ferner Schoch in LPK-SBG XII, 9. Auflage, § 110 Rdnr. 6) vorliegend zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsanwendung einer allgemeinen Klärung bedarf. Denn das SG hat eine Verletzung des Interessenwahrungsgrundsatzes geprüft und unter Würdigung der Gesamtumstände verneint. Letzteres ist indessen eine tatrichterliche Würdigung des konkreten Einzelfalls und betrifft nicht die Anwendung eines klärungsbedürftigen allgemeinen Rechtssatzes (vgl. hierzu BSG, Beschlüsse vom 4. Juli 2000 - B 7 AL 4/00 B - und vom 27. Februar 2001 - B 7 AL 184/00 B - (beide juris); ferner Senatsbeschluss vom 23. Februar 2007, a.a.O.).

Eine Abweichung der Entscheidung des SG von einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte (Divergenz) liegt nicht vor. Divergenz bedeutet einen Widerspruch im Rechtssatz oder das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt worden sind. Dies setzt begrifflich voraus, dass das SG einen entsprechenden abstrakten Rechtssatz gebildet hat. Es muss die Rechtsfrage entschieden und nicht etwa übersehen haben. Eine Abweichung liegt daher nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung nicht den vom Obergericht aufgestellten Kriterien entspricht, sondern erst, wenn diesen Kriterien widersprochen wird, also andere Maßstäbe entwickelt werden. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung wegen Divergenz (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 67; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 144 Rdnr. 30).

Ein derartiger Widerspruch wird vom Beklagten nicht aufgezeigt, er ist auch nicht ersichtlich. Zwar rügt der Beklagte eine Divergenz zum Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2003 (Aktenzeichen: 12 A 3945/01), doch kann die Frage offen bleiben, ob eine solche Divergenz wirklich besteht. Denn die Zulassung der Berufung kann schon deswegen hierauf nicht gestützt werden, weil das OVG Nordrhein-Westfalen nicht zu den in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichten gehört. Die Regelung in Nr. 2 zählt die Fälle abschließend auf, in denen bei einer Abweichung von anderen Gerichtsentscheidungen die Berufung zuzulassen ist (vgl. Leitherer, a.a.O., Rdnr. 30; Littmann in HK-SGG, 4. Aufl., § 144 Rdnr. 17). Im Übrigen enthält der Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2003 (12 A 3945/01) zwar Ausführungen zum Interessenwahrungsgrundsatz, doch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das SG von einem dort genannten abstrakten Rechtssatz abgewichen wäre. Vielmehr erfolgte im Urteil des SG eine tatrichterliche Subsumtion der Umstände des Einzelfalles unter die auf dem Grundsatz der Interessenwahrung beruhenden Tatbestandsmerkmale. Dass der Beklagte diese Subsumtion für falsch hält, kann die Zulassung der Berufung - wie bereits dargestellt - nicht begründen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung; die Regelung über die Kostenfreiheit der Sozialhilfeträger (§ 64 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch) gilt in Erstattungsstreitigkeiten - wie hier - nicht (vgl. Halbsatz 2 a.a.O.). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Das angefochtene Urteil vom 14. Februar 2011 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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