Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 3390/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3207/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist unter beide Regelungen zu fassen. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Wie vom Sozialgericht Freiburg zutreffend erkannt, ist die mit dem Eilantrag des Antragstellers zur vorläufigen Überprüfung gestellte Zeit vom 1. bis 31. März 2012 unter § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, die sich daran anschließende Zeit ab 1. April 2012 unter die Vorschrift über die Regelungsanordnung in § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu fassen.
Der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, eine nur vorläufige Regelung bis zur endgültigen Hauptsacheentscheidung zu treffen, sowie die lediglich geringe für die Entscheidung zur Verfügung stehende Zeit bedingen, dass regelmäßig nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage durchgeführt werden kann. Drohen jedoch nicht nur erhebliche, sondern schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, scheidet eine summarische Prüfung aus. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, ist in solchen Fällen eine Entscheidung allein anhand einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn besonders folgenschwere Beeinträchtigungen von grundrechtlicher Relevanz im Raume stehen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365; Binder in Hk-SGG, 4. Aufl., § 86b Rdnr. 4). Eine derartige Folgenabwägung nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung nicht nur in den Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern auch in Verfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - und vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - (beide juris)) insbesondere dann vor, wenn - wie bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Fragen der menschenwürdigen Existenz ernsthaft berührt sind.
Im Rahmen dieser auch hier vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegen die zu besorgenden Nachteile des Antragstellers eindeutig gegenüber denen des Antragsgegners. In dem auf den Antrag des Antragsgegners (damals Antragsteller) nach § 199 Abs. 2 SGG ergangenen Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung vom 8. August 2012 ist bereits folgendes ausgeführt:
" Im Beschwerdeverfahren geht es im Wesentlichen darum, ob der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig verpflichtet werden kann, für einen bestimmten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig zu gewähren. Es bedarf keiner weiteren Darlegungen, dass durch den vollständigen Entzug der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II gravierende Rechtsbeeinträchtigungen des Antragsgegners im Raum stehen. Dies gilt umso mehr, als nach wie vor höchst umstritten ist, ob der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bei dem dem Anwendungsbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) unterfallenden Personenkreis, und zwar trotz des von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 zu Art. 16 Buchst. b Satz 2 EFA abgegebenen Vorbehalts, überhaupt greifen kann oder ob - so auch das SG Freiburg im Beschluss vom 17. Juli 2012 - etwa das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als sekundäres Gemeinschaftsrecht einem Leistungsausschluss entgegensteht (vgl. zum Meinungsstand etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 23. Mai 2012 - L 25 AS 837/12 B ER -, vom 21. Juni 2012 - L 20 AS 1322/12 B ER - und vom 29. Juni 2012 - L 14 AS 1460/12 B ER -; SG Berlin, Beschluss vom 14. Mai 2012 - S 124 AS 7164/12 ER -; SG Nürnberg, Beschluss vom 4. Juli 2012 - S 10 AS 494/12 ER - (alle juris)). Im Hinblick auf diese ungeklärte Rechtlage nimmt der Senat in den Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG regelmäßig eine Folgenabwägung zugunsten des Leistungsempfängers vor (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - (juris) und vom 20. September 2011 - L 7 AS 3428/11 ER-B -; ferner z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Juli 2012 - L 1 AS 2751/12 ER-B -). "
Diesen Erörterungen schließt sich der Senat auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren an, sodass die Folgenabwägung zu Gunsten des Antragstellers den Ausschlag zu geben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist unter beide Regelungen zu fassen. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Wie vom Sozialgericht Freiburg zutreffend erkannt, ist die mit dem Eilantrag des Antragstellers zur vorläufigen Überprüfung gestellte Zeit vom 1. bis 31. März 2012 unter § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, die sich daran anschließende Zeit ab 1. April 2012 unter die Vorschrift über die Regelungsanordnung in § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu fassen.
Der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, eine nur vorläufige Regelung bis zur endgültigen Hauptsacheentscheidung zu treffen, sowie die lediglich geringe für die Entscheidung zur Verfügung stehende Zeit bedingen, dass regelmäßig nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage durchgeführt werden kann. Drohen jedoch nicht nur erhebliche, sondern schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, scheidet eine summarische Prüfung aus. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, ist in solchen Fällen eine Entscheidung allein anhand einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn besonders folgenschwere Beeinträchtigungen von grundrechtlicher Relevanz im Raume stehen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365; Binder in Hk-SGG, 4. Aufl., § 86b Rdnr. 4). Eine derartige Folgenabwägung nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung nicht nur in den Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern auch in Verfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - und vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - (beide juris)) insbesondere dann vor, wenn - wie bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Fragen der menschenwürdigen Existenz ernsthaft berührt sind.
Im Rahmen dieser auch hier vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegen die zu besorgenden Nachteile des Antragstellers eindeutig gegenüber denen des Antragsgegners. In dem auf den Antrag des Antragsgegners (damals Antragsteller) nach § 199 Abs. 2 SGG ergangenen Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung vom 8. August 2012 ist bereits folgendes ausgeführt:
" Im Beschwerdeverfahren geht es im Wesentlichen darum, ob der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig verpflichtet werden kann, für einen bestimmten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig zu gewähren. Es bedarf keiner weiteren Darlegungen, dass durch den vollständigen Entzug der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II gravierende Rechtsbeeinträchtigungen des Antragsgegners im Raum stehen. Dies gilt umso mehr, als nach wie vor höchst umstritten ist, ob der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bei dem dem Anwendungsbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) unterfallenden Personenkreis, und zwar trotz des von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 zu Art. 16 Buchst. b Satz 2 EFA abgegebenen Vorbehalts, überhaupt greifen kann oder ob - so auch das SG Freiburg im Beschluss vom 17. Juli 2012 - etwa das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als sekundäres Gemeinschaftsrecht einem Leistungsausschluss entgegensteht (vgl. zum Meinungsstand etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 23. Mai 2012 - L 25 AS 837/12 B ER -, vom 21. Juni 2012 - L 20 AS 1322/12 B ER - und vom 29. Juni 2012 - L 14 AS 1460/12 B ER -; SG Berlin, Beschluss vom 14. Mai 2012 - S 124 AS 7164/12 ER -; SG Nürnberg, Beschluss vom 4. Juli 2012 - S 10 AS 494/12 ER - (alle juris)). Im Hinblick auf diese ungeklärte Rechtlage nimmt der Senat in den Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG regelmäßig eine Folgenabwägung zugunsten des Leistungsempfängers vor (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - (juris) und vom 20. September 2011 - L 7 AS 3428/11 ER-B -; ferner z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Juli 2012 - L 1 AS 2751/12 ER-B -). "
Diesen Erörterungen schließt sich der Senat auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren an, sodass die Folgenabwägung zu Gunsten des Antragstellers den Ausschlag zu geben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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