Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 415/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3820/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.06.2010 und der Bescheid der Beklagten vom 11.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2009 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Wegfall der Versicherungspflicht des Klägers nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Der 1954 geborene Kläger ist Keramiker. Mit Bescheid vom 29.11.1983 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit ab dem 24.01.1983 der Versicherungspflicht nach dem KSVG in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung unterliege.
Nachdem der Kläger im Jahr 2002 mit der Beitragszahlung in Rückstand geraten war, schloss die Beklagte auf eine Aufgabe der künstlerischen Tätigkeit des Klägers und stellte mit Bescheid vom 22.08.2002 erstmals das Ende der Versicherungspflicht nach dem KSVG ab dem 31.08.2002 fest. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Im Berufungsverfahren einigten sich die Beteiligten auf einen Fortbestand der Versicherungspflicht, nachdem der Kläger Einkommenssteuerbescheide der Jahre 2000 bis 2003 vorgelegt hatte (L 11 KR 3580/03). Aus dem Bescheid für 2003 gehen Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 5.743,00 EUR hervor.
Als der Kläger erneut in Rückstand mit der Beitragszahlung geriet, schätzte die Beklagte das voraussichtliche Einkommen für das Jahr 2005 in Höhe der Geringfügigkeitsgrenze von 3.900,00 EUR ein. Nachdem der Kläger die Einkommenssteuerbescheide für 2004 (Einkünfte iHv 5.521,00 EUR) und 2005 (Einkünfte iHv 5.241,00 EUR) vorlegt hatte, half die Beklagte dem hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers ab. Auch für die Jahre 2006 und 2007 schätzte die Beklagte die voraussichtlichen Einkünfte auf 3.900,00 EUR. Auf den Widerspruch des Klägers setzte sie das voraussichtliche Einkommen für 2007 auf 4.000,00 EUR fest. Zugleich forderte sie den Kläger auf, bis zum 30.09.2007 eine Gewinn- und Verlustmitteilung für 2006 vorzulegen. Auf ein Erinnerungsschreiben der Beklagten teilte der Kläger mit, dass sein Kind einen schweren Unfall hatte, weshalb er das Schreiben der Beklagten nicht weiter habe bearbeiten können. Auf ein weiteres Mahnschreiben teilte er im Dezember 2007 mit, dass er zusätzlich zu den Unfallfolgen mit einem Umzug in eine rollstuhlgerechte Wohnung beschäftigt sei.
Ab dem 27.12.2007 bezog der Kläger Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 22.02.2008 stellte die Beklagte daraufhin die Versicherungsfreiheit nach dem KSVG in der Kranken- und Pflegeversicherung fest.
Als der Kläger erneut in Zahlungsverzug geriet, hörte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 23.05.2008 und 02.06.2008 zu der Absicht an, das Ende der Versicherungspflicht nach dem KSVG "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" festzustellen. Da er seit Januar 2008 keine Beiträge entrichtet habe, sei davon auszugehen, dass er nicht mehr erwerbsmäßig künstlerisch tätig sei.
Mit Bescheid vom 11.06.2008 stellte die Beklagte die Beendigung der Versicherungspflicht in der KSVG zum 30.06.2008 fest. Hiergegen legte der Kläger am 27.06.2008 Widerspruch ein. Der Beitragsrückstand habe seine Ursache nicht in einem Aussetzen seiner künstlerischen Tätigkeit, sondern sei durch den Unfall seines Kindes bedingt. Deshalb beziehe er vorübergehend Arbeitslosengeld II. Der Schwerpunkt seiner Einnahmen liege im Weihnachtsgeschäft. Im September 2008 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2006 vor, aus dem Einnahmen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 4.837,00 EUR hervorgehen. Den Beitragsrückstand glich der Kläger in voller Höhe aus. Im Schreiben vom 17.11.2008 führte der Kläger aus, seit Beginn des Jahres 2008 keine Verkäufe oder Umsätze getätigt zu haben. Er sei zu einem relativ großen Anteil mit der Betreuung seines Kindes beschäftigt. Der Schwerpunkt seiner Einkünfte liege aber beim Weihnachtsgeschäft, das abzuwarten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde angegeben, aufgrund der Betreuung seines Kindes ruhe die künstlerische Tätigkeit des Klägers seit ca einem Jahr. Da keine Belege über die Erzielung von Einnahmen für das Jahr 2008 vorgelegt worden seien, sei der Fortbestand der Versicherungspflicht nach dem KSVG nicht möglich.
Am 12.02.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, es sei zwar zutreffend, dass er im Jahr 2008 vorübergehend nicht in der Lage gewesen sei, Einkünfte aus seiner künstlerischen Tätigkeit zu erzielen. Dies habe an der nahezu vollschichtigen Betreuung seines verunglückten Kindes gelegen. Er sei jedoch künstlerisch tätig gewesen. Er habe lediglich nicht an Verkaufsveranstaltungen, Märkten und Messen teilgenommen. In den Vorjahren habe er immer Einkünfte oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze erreicht, zuletzt im Jahr 2007 in Höhe von 4.630,00 EUR. Auch ab 2009 – die Betreuung sei mittlerweile abgeschlossen – würden wieder Einkünfte erzielt. Allerdings habe er aufgrund der Betreuung und seiner eigenen Erkrankung im Jahr 2009 Einkünfte nur in Höhe von 1.219,50 EUR erzielt. Er habe keine Arbeiten in der erforderlichen Menge zum Verkauf herstellen können. Das Weihnachtsgeschäft sei deutlich schwächer ausgefallen als in den Vorjahren. Am Weihnachtsmarkt 2008 habe er teilnehmen wollen, sei aber wegen eines Motorschadens an seinem Fahrzeug daran gehindert gewesen. Für das Jahr 2010 schätze er seine Einkünfte auf mindestens 4.500,00 EUR ein.
Mit Urteil vom 24.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe im Jahr 2008 keine erwerbsmäßige künstlerische Tätigkeit ausgeübt. Der Kläger habe keine auf Einkünfte gerichteten Unternehmungen entfaltet. Er habe sich vielmehr der Betreuung seines Kindes angenommen. Der ersthafte Erwerbswillen sei komplett entfallen. Die Tätigkeit sei in den Bereich der Liebhaberei abgeglitten. Es mangele an einer Gewinnerzielungsabsicht. Der versicherungsrechtliche Status sei damit komplett entfallen. Der Kläger könne sich nicht auf die Einkünfte in den Jahren 2009 und 2010 berufen. Die Entscheidung der Beklagten sei zudem vor dem Hintergrund zutreffend, dass die Kammer der Überzeugung sei, dass der Kläger noch nie Künstler im Sinne des KSVG gewesen sei. Er sei vielmehr Kunsthandwerker, die nicht den Künstlern zuzuordnen seien. Dem Kläger stünde kein Vertrauensschutz zu, da ein solcher jedenfalls mit der Unterbrechung seiner Tätigkeit im Jahr 2008 entfallen sei. Die Unterbrechung stelle eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) dar, die losgelöst von der falschen statusrechtlichen Beurteilung im Jahr 1983 eine Beendigung der Versicherungspflicht rechtfertige. Ein Wiederaufleben des Vertrauensschutzes sei nicht möglich.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27.07.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.07.2010 Berufung beim SG eingelegt, die am 12.08.2010 beim Landessozialgericht (LSG) einging. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, er habe seinen Erwerbswillen nie aufgegeben, auch wenn er tatsächlich vorübergehend wegen der Pflege seines Kindes an der Vermarktung seiner Werke gehindert gewesen sei. Zudem handele es sich um eine künstlerische Tätigkeit. Diese Streitfrage sei Inhalt des letzten Verfahrens vor dem LSG (L 11 KR 3580/03) gewesen, welches durch einen Vergleich geendet habe. Die Frage der Versicherungspflicht der Tätigkeit des Klägers sei rechtskräftig entschieden. Der Versicherungspflicht stünde des Weiteren nicht entgegen, dass vorübergehend geringfügige Einkünfte erzielt worden seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.06.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der Bescheid vom 11.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2009 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Seit Erlass des Bescheides vom 29.11.1983, mit dem die Beklagte in Form eines Dauerverwaltungsaktes feststellte, dass der Kläger aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt, ist im Zeitpunkt der Neufeststellung keine wesentliche Änderung eingetreten. Die Erwerbsmäßigkeit seiner künstlerischen Tätigkeit war nicht entfallen.
Gemäß § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie (1.) die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und (2.) im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Künstler im Sinne dieses Gesetzes ist gemäß § 2 Satz 1 KSVG, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Versicherungsfrei ist gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 KSVG in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des KSVG vom 13.06.2001 (BGBl I S 1027), wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 EUR nicht übersteigt (bis 31.12.2001 galt ein Siebtel der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV als Geringfügigkeitsgrenze). Wird die selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit nur während eines Teils des Kalenderjahres ausgeübt, ist die in Satz 1 genannte Grenze gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 KSVG entsprechend herabzusetzen. Gemäß § 3 Abs 3 KSVG bleibt abweichend von Absatz 1 die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt. Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit (vgl § 15 Abs 1 Satz 1 SGB IV).
Das Merkmal der Erwerbsmäßigkeit liegt vor, wenn eine selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts und nicht nur aus Liebhaberei ausgeübt, also mit der Absicht verfolgt wird, ein über der Geringfügigkeitsgrenze des § 3 Abs 1 Satz 1 KSVG liegendes Arbeitseinkommen zu erzielen (BSG 30.01.2001, B 3 KR 7/00 R, SozR 3-5425 § 2 Nr 12; BSG 21.07.2011, B 3 KS 5/10 R, juris).
Unter Anwendung dieser Kriterien führte allein der Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht zu einem Entfallen des Merkmals der Erwerbsmäßigkeit. Es kommt nicht darauf an, ob das - angestrebte - Einkommen aus der künstlerischen oder publizistische Tätigkeit allein ausreicht, um die Kosten des Lebensunterhalts zu decken. Denn wie sich aus § 3 Abs 1 Satz 1 KSVG ergibt, ist Versicherungspflicht nach dem KSVG grundsätzlich bereits ab einem jährlichen Arbeitseinkommen von über 3.900,00 EUR möglich. Dieser Betrag liegt unter dem durch die §§ 20 ff Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) definierten Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sogar ein "Nulleinkommen" steht einer erwerbsmäßigen Tätigkeit nach dem KSVG nicht entgegen (vgl § 3 Abs 2 Satz 1 KSVG; Finke in Finke/Bachmann/Nordhausen, KSVG, § 3 RdNr 17).
Die Tätigkeit des Klägers war auch nicht in eine bloße Liebhaberei übergegangen. Der Kläger hatte vor den Ereignissen im Jahr 2007 bereits langjährig Keramik hergestellt und vertrieben. Seine Tätigkeit war unbestritten über Jahrzehnte hinweg auf die Erzielung von Erwerbseinkommen gerichtet. Sein Berufsleben war ausschließlich der Keramik gewidmet. Einer weiteren Erwerbstätigkeit ging er nicht nach. Diese langjährig unter Beweis gestellte Zweckrichtung seiner Tätigkeit ist nicht dadurch entfallen, dass der Kläger im Jahr 2008 vorübergehend an dem Verkauf der von ihm hergestellten Keramik gehindert war. Der Kläger hatte seine Tätigkeit nicht aufgegeben und auch nicht nur als Hobby betrieben. Er hatte nach wie vor die Absicht, damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er war allein aufgrund äußerer Umstände gehindert, Einkünfte aus seiner Tätigkeit zu erzielen. Dem Verkauf auf Messen, Märkten und anderen Verkaufsgelegenheiten standen vorübergehend schicksalshafte Begebenheiten (Unfall des Kindes, Krankheit, Motorschaden) entgegen, die aber an der Absicht des Klägers, mit den von ihm hergestellten Keramikgegenständen Erwerbseinkommen zu erzielen, nichts änderten. Dies wird neben den glaubhaften Angaben des Klägers auch daran deutlich, dass er auch im Jahr 2008 den Vertrieb seiner Keramik im – für seinen Jahresumsatz maßgeblichen – Weihnachtsgeschäft geplant hatte. Entsprechendes hatte er gegenüber der Beklagten im Juni 2008 vorgetragen und geht aus den in der mündlichen Verhandlung beim SG vorgelegten Unterlagen hervor, wonach er einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt in T. gemietet hatte, wegen eines Motorschadens seines Transportfahrzeugs aber letztlich nicht teilnehmen konnte.
Dass vorübergehende, äußere Umstände, die eine Einkommenserzielung erschweren oder verhindern, allein nicht zum Wegfall der Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit führen, wird am Rechtsgedanken des § 3 Abs 3 KSVG deutlich, wonach die Versicherungspflicht bestehen bleibt, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Geringfügigkeitsgrenze von 3.900,00 EUR nicht übersteigt. Die Regelung wurde mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des KSVG eingefügt, um der besonderen Situation der selbständigen Künstler und Publizisten und ihren oft schwankenden Einkommen zB infolge von Auftragsausfällen, Rückgängen des steuerlichen Gewinns infolge von Investitionen oder zeitweisem Aufbringen des Lebensunterhalts durch steuerfreie Stipendien oder Preise Rechnung zu tragen (vgl BT-Drucks 14/5066, S 11, 12). Auch der Kläger war durch äußere Einflüsse vorübergehend gehindert, Einkommen aus seiner Tätigkeit als Keramiker zu erzielen. Er hatte ausweislich der aktenkundigen Einkommenssteuerbescheide in den letzten fünf Jahren vor 2008 auch nie die Geringfügigkeitsgrenze unterschritten.
Die Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit des Klägers war mithin nicht entfallen. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X war daher nicht eingetreten. Dies gilt auch hinsichtlich der Bewertung der Tätigkeit als künstlerisch im Sinne des KSVG. Der Kläger war seit Erlass des Ausgangsbescheids vom 29.11.1983 unverändert als Keramiker tätig. Mit der Begründung, es handele sich nicht um eine künstlerische Tätigkeit, könnte die Versicherungspflicht nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X beendet werden, da der damalige Verwaltungsakt mangels Änderung der tatsächlichen Verhältnisse von Anfang an rechtswidrig wäre. Eine Aufhebung nach § 45 Abs 1 SGB X setzt die Berücksichtigung schutzwürdigen Vertrauens und die Ausübung von Ermessen voraus. Der streitgegenständliche Bescheid genügt diesen Vorgaben nicht. Ob die Tätigkeit des Klägers als künstlerisch im Sinne des KSVG zu werten ist, kann daher dahin gestellt bleiben. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Beklagte selbst über Jahrzehnte hinweg von einer künstlerischen Tätigkeit ausgegangen ist und auch in den hier angefochtenen Bescheiden das Vorliegen einer solchen Tätigkeit annimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Wegfall der Versicherungspflicht des Klägers nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Der 1954 geborene Kläger ist Keramiker. Mit Bescheid vom 29.11.1983 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit ab dem 24.01.1983 der Versicherungspflicht nach dem KSVG in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung unterliege.
Nachdem der Kläger im Jahr 2002 mit der Beitragszahlung in Rückstand geraten war, schloss die Beklagte auf eine Aufgabe der künstlerischen Tätigkeit des Klägers und stellte mit Bescheid vom 22.08.2002 erstmals das Ende der Versicherungspflicht nach dem KSVG ab dem 31.08.2002 fest. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Im Berufungsverfahren einigten sich die Beteiligten auf einen Fortbestand der Versicherungspflicht, nachdem der Kläger Einkommenssteuerbescheide der Jahre 2000 bis 2003 vorgelegt hatte (L 11 KR 3580/03). Aus dem Bescheid für 2003 gehen Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 5.743,00 EUR hervor.
Als der Kläger erneut in Rückstand mit der Beitragszahlung geriet, schätzte die Beklagte das voraussichtliche Einkommen für das Jahr 2005 in Höhe der Geringfügigkeitsgrenze von 3.900,00 EUR ein. Nachdem der Kläger die Einkommenssteuerbescheide für 2004 (Einkünfte iHv 5.521,00 EUR) und 2005 (Einkünfte iHv 5.241,00 EUR) vorlegt hatte, half die Beklagte dem hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers ab. Auch für die Jahre 2006 und 2007 schätzte die Beklagte die voraussichtlichen Einkünfte auf 3.900,00 EUR. Auf den Widerspruch des Klägers setzte sie das voraussichtliche Einkommen für 2007 auf 4.000,00 EUR fest. Zugleich forderte sie den Kläger auf, bis zum 30.09.2007 eine Gewinn- und Verlustmitteilung für 2006 vorzulegen. Auf ein Erinnerungsschreiben der Beklagten teilte der Kläger mit, dass sein Kind einen schweren Unfall hatte, weshalb er das Schreiben der Beklagten nicht weiter habe bearbeiten können. Auf ein weiteres Mahnschreiben teilte er im Dezember 2007 mit, dass er zusätzlich zu den Unfallfolgen mit einem Umzug in eine rollstuhlgerechte Wohnung beschäftigt sei.
Ab dem 27.12.2007 bezog der Kläger Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 22.02.2008 stellte die Beklagte daraufhin die Versicherungsfreiheit nach dem KSVG in der Kranken- und Pflegeversicherung fest.
Als der Kläger erneut in Zahlungsverzug geriet, hörte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 23.05.2008 und 02.06.2008 zu der Absicht an, das Ende der Versicherungspflicht nach dem KSVG "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" festzustellen. Da er seit Januar 2008 keine Beiträge entrichtet habe, sei davon auszugehen, dass er nicht mehr erwerbsmäßig künstlerisch tätig sei.
Mit Bescheid vom 11.06.2008 stellte die Beklagte die Beendigung der Versicherungspflicht in der KSVG zum 30.06.2008 fest. Hiergegen legte der Kläger am 27.06.2008 Widerspruch ein. Der Beitragsrückstand habe seine Ursache nicht in einem Aussetzen seiner künstlerischen Tätigkeit, sondern sei durch den Unfall seines Kindes bedingt. Deshalb beziehe er vorübergehend Arbeitslosengeld II. Der Schwerpunkt seiner Einnahmen liege im Weihnachtsgeschäft. Im September 2008 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2006 vor, aus dem Einnahmen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 4.837,00 EUR hervorgehen. Den Beitragsrückstand glich der Kläger in voller Höhe aus. Im Schreiben vom 17.11.2008 führte der Kläger aus, seit Beginn des Jahres 2008 keine Verkäufe oder Umsätze getätigt zu haben. Er sei zu einem relativ großen Anteil mit der Betreuung seines Kindes beschäftigt. Der Schwerpunkt seiner Einkünfte liege aber beim Weihnachtsgeschäft, das abzuwarten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde angegeben, aufgrund der Betreuung seines Kindes ruhe die künstlerische Tätigkeit des Klägers seit ca einem Jahr. Da keine Belege über die Erzielung von Einnahmen für das Jahr 2008 vorgelegt worden seien, sei der Fortbestand der Versicherungspflicht nach dem KSVG nicht möglich.
Am 12.02.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, es sei zwar zutreffend, dass er im Jahr 2008 vorübergehend nicht in der Lage gewesen sei, Einkünfte aus seiner künstlerischen Tätigkeit zu erzielen. Dies habe an der nahezu vollschichtigen Betreuung seines verunglückten Kindes gelegen. Er sei jedoch künstlerisch tätig gewesen. Er habe lediglich nicht an Verkaufsveranstaltungen, Märkten und Messen teilgenommen. In den Vorjahren habe er immer Einkünfte oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze erreicht, zuletzt im Jahr 2007 in Höhe von 4.630,00 EUR. Auch ab 2009 – die Betreuung sei mittlerweile abgeschlossen – würden wieder Einkünfte erzielt. Allerdings habe er aufgrund der Betreuung und seiner eigenen Erkrankung im Jahr 2009 Einkünfte nur in Höhe von 1.219,50 EUR erzielt. Er habe keine Arbeiten in der erforderlichen Menge zum Verkauf herstellen können. Das Weihnachtsgeschäft sei deutlich schwächer ausgefallen als in den Vorjahren. Am Weihnachtsmarkt 2008 habe er teilnehmen wollen, sei aber wegen eines Motorschadens an seinem Fahrzeug daran gehindert gewesen. Für das Jahr 2010 schätze er seine Einkünfte auf mindestens 4.500,00 EUR ein.
Mit Urteil vom 24.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe im Jahr 2008 keine erwerbsmäßige künstlerische Tätigkeit ausgeübt. Der Kläger habe keine auf Einkünfte gerichteten Unternehmungen entfaltet. Er habe sich vielmehr der Betreuung seines Kindes angenommen. Der ersthafte Erwerbswillen sei komplett entfallen. Die Tätigkeit sei in den Bereich der Liebhaberei abgeglitten. Es mangele an einer Gewinnerzielungsabsicht. Der versicherungsrechtliche Status sei damit komplett entfallen. Der Kläger könne sich nicht auf die Einkünfte in den Jahren 2009 und 2010 berufen. Die Entscheidung der Beklagten sei zudem vor dem Hintergrund zutreffend, dass die Kammer der Überzeugung sei, dass der Kläger noch nie Künstler im Sinne des KSVG gewesen sei. Er sei vielmehr Kunsthandwerker, die nicht den Künstlern zuzuordnen seien. Dem Kläger stünde kein Vertrauensschutz zu, da ein solcher jedenfalls mit der Unterbrechung seiner Tätigkeit im Jahr 2008 entfallen sei. Die Unterbrechung stelle eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) dar, die losgelöst von der falschen statusrechtlichen Beurteilung im Jahr 1983 eine Beendigung der Versicherungspflicht rechtfertige. Ein Wiederaufleben des Vertrauensschutzes sei nicht möglich.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27.07.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.07.2010 Berufung beim SG eingelegt, die am 12.08.2010 beim Landessozialgericht (LSG) einging. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, er habe seinen Erwerbswillen nie aufgegeben, auch wenn er tatsächlich vorübergehend wegen der Pflege seines Kindes an der Vermarktung seiner Werke gehindert gewesen sei. Zudem handele es sich um eine künstlerische Tätigkeit. Diese Streitfrage sei Inhalt des letzten Verfahrens vor dem LSG (L 11 KR 3580/03) gewesen, welches durch einen Vergleich geendet habe. Die Frage der Versicherungspflicht der Tätigkeit des Klägers sei rechtskräftig entschieden. Der Versicherungspflicht stünde des Weiteren nicht entgegen, dass vorübergehend geringfügige Einkünfte erzielt worden seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.06.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der Bescheid vom 11.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2009 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Seit Erlass des Bescheides vom 29.11.1983, mit dem die Beklagte in Form eines Dauerverwaltungsaktes feststellte, dass der Kläger aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt, ist im Zeitpunkt der Neufeststellung keine wesentliche Änderung eingetreten. Die Erwerbsmäßigkeit seiner künstlerischen Tätigkeit war nicht entfallen.
Gemäß § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie (1.) die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und (2.) im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Künstler im Sinne dieses Gesetzes ist gemäß § 2 Satz 1 KSVG, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Versicherungsfrei ist gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 KSVG in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des KSVG vom 13.06.2001 (BGBl I S 1027), wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 EUR nicht übersteigt (bis 31.12.2001 galt ein Siebtel der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV als Geringfügigkeitsgrenze). Wird die selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit nur während eines Teils des Kalenderjahres ausgeübt, ist die in Satz 1 genannte Grenze gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 KSVG entsprechend herabzusetzen. Gemäß § 3 Abs 3 KSVG bleibt abweichend von Absatz 1 die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt. Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit (vgl § 15 Abs 1 Satz 1 SGB IV).
Das Merkmal der Erwerbsmäßigkeit liegt vor, wenn eine selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts und nicht nur aus Liebhaberei ausgeübt, also mit der Absicht verfolgt wird, ein über der Geringfügigkeitsgrenze des § 3 Abs 1 Satz 1 KSVG liegendes Arbeitseinkommen zu erzielen (BSG 30.01.2001, B 3 KR 7/00 R, SozR 3-5425 § 2 Nr 12; BSG 21.07.2011, B 3 KS 5/10 R, juris).
Unter Anwendung dieser Kriterien führte allein der Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht zu einem Entfallen des Merkmals der Erwerbsmäßigkeit. Es kommt nicht darauf an, ob das - angestrebte - Einkommen aus der künstlerischen oder publizistische Tätigkeit allein ausreicht, um die Kosten des Lebensunterhalts zu decken. Denn wie sich aus § 3 Abs 1 Satz 1 KSVG ergibt, ist Versicherungspflicht nach dem KSVG grundsätzlich bereits ab einem jährlichen Arbeitseinkommen von über 3.900,00 EUR möglich. Dieser Betrag liegt unter dem durch die §§ 20 ff Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) definierten Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sogar ein "Nulleinkommen" steht einer erwerbsmäßigen Tätigkeit nach dem KSVG nicht entgegen (vgl § 3 Abs 2 Satz 1 KSVG; Finke in Finke/Bachmann/Nordhausen, KSVG, § 3 RdNr 17).
Die Tätigkeit des Klägers war auch nicht in eine bloße Liebhaberei übergegangen. Der Kläger hatte vor den Ereignissen im Jahr 2007 bereits langjährig Keramik hergestellt und vertrieben. Seine Tätigkeit war unbestritten über Jahrzehnte hinweg auf die Erzielung von Erwerbseinkommen gerichtet. Sein Berufsleben war ausschließlich der Keramik gewidmet. Einer weiteren Erwerbstätigkeit ging er nicht nach. Diese langjährig unter Beweis gestellte Zweckrichtung seiner Tätigkeit ist nicht dadurch entfallen, dass der Kläger im Jahr 2008 vorübergehend an dem Verkauf der von ihm hergestellten Keramik gehindert war. Der Kläger hatte seine Tätigkeit nicht aufgegeben und auch nicht nur als Hobby betrieben. Er hatte nach wie vor die Absicht, damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er war allein aufgrund äußerer Umstände gehindert, Einkünfte aus seiner Tätigkeit zu erzielen. Dem Verkauf auf Messen, Märkten und anderen Verkaufsgelegenheiten standen vorübergehend schicksalshafte Begebenheiten (Unfall des Kindes, Krankheit, Motorschaden) entgegen, die aber an der Absicht des Klägers, mit den von ihm hergestellten Keramikgegenständen Erwerbseinkommen zu erzielen, nichts änderten. Dies wird neben den glaubhaften Angaben des Klägers auch daran deutlich, dass er auch im Jahr 2008 den Vertrieb seiner Keramik im – für seinen Jahresumsatz maßgeblichen – Weihnachtsgeschäft geplant hatte. Entsprechendes hatte er gegenüber der Beklagten im Juni 2008 vorgetragen und geht aus den in der mündlichen Verhandlung beim SG vorgelegten Unterlagen hervor, wonach er einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt in T. gemietet hatte, wegen eines Motorschadens seines Transportfahrzeugs aber letztlich nicht teilnehmen konnte.
Dass vorübergehende, äußere Umstände, die eine Einkommenserzielung erschweren oder verhindern, allein nicht zum Wegfall der Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit führen, wird am Rechtsgedanken des § 3 Abs 3 KSVG deutlich, wonach die Versicherungspflicht bestehen bleibt, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Geringfügigkeitsgrenze von 3.900,00 EUR nicht übersteigt. Die Regelung wurde mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des KSVG eingefügt, um der besonderen Situation der selbständigen Künstler und Publizisten und ihren oft schwankenden Einkommen zB infolge von Auftragsausfällen, Rückgängen des steuerlichen Gewinns infolge von Investitionen oder zeitweisem Aufbringen des Lebensunterhalts durch steuerfreie Stipendien oder Preise Rechnung zu tragen (vgl BT-Drucks 14/5066, S 11, 12). Auch der Kläger war durch äußere Einflüsse vorübergehend gehindert, Einkommen aus seiner Tätigkeit als Keramiker zu erzielen. Er hatte ausweislich der aktenkundigen Einkommenssteuerbescheide in den letzten fünf Jahren vor 2008 auch nie die Geringfügigkeitsgrenze unterschritten.
Die Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit des Klägers war mithin nicht entfallen. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X war daher nicht eingetreten. Dies gilt auch hinsichtlich der Bewertung der Tätigkeit als künstlerisch im Sinne des KSVG. Der Kläger war seit Erlass des Ausgangsbescheids vom 29.11.1983 unverändert als Keramiker tätig. Mit der Begründung, es handele sich nicht um eine künstlerische Tätigkeit, könnte die Versicherungspflicht nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X beendet werden, da der damalige Verwaltungsakt mangels Änderung der tatsächlichen Verhältnisse von Anfang an rechtswidrig wäre. Eine Aufhebung nach § 45 Abs 1 SGB X setzt die Berücksichtigung schutzwürdigen Vertrauens und die Ausübung von Ermessen voraus. Der streitgegenständliche Bescheid genügt diesen Vorgaben nicht. Ob die Tätigkeit des Klägers als künstlerisch im Sinne des KSVG zu werten ist, kann daher dahin gestellt bleiben. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Beklagte selbst über Jahrzehnte hinweg von einer künstlerischen Tätigkeit ausgegangen ist und auch in den hier angefochtenen Bescheiden das Vorliegen einer solchen Tätigkeit annimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
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