Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 KR 2930/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 2797/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 4.6.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten für eine Harnblasenbehandlung durch die Injektion von Botulinumtoxin in Höhe von 936,24 EUR im Wege vorläufigen Rechtsschutzes.
Bei dem 1937 geborenen Kläger wurde im Jahr 2005 wegen eines Prostatakarzinoms eine Prostataektomie sowie eine adjuvante Strahlentherapie durchgeführt. Diese Behandlung verursachte eine radiogene Zystitis, die eine Blasenaugmentation mittels Ileozystoplastik und die Anlage eines kontinenten Nabelstomas am 18.11.2009 notwendig machte. Zur zusätzlichen Blasenkapazitätserweiterung (durch Lähmung der glatten Blasenmuskulatur) erhielt der Antragsteller in der Universitätsklinik T. Botulinumtoxin-Injektionen, zuletzt am 24.10.2011.
Im Februar 2012 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten einer weiteren Botulinumtoxin-Injektion in die Harnblase. Er legte ein Schreiben der Universitätsklinik T. (Dr. A.) vom 3.2.2012 vor. Darin heißt es, man habe schon vor längerer Zeit eine Augmentierung der initial kleinkapazitären Blase vorgenommen, wobei die Entleerung über Einmalkatheter durch den Bauchnabelzugang zur Harnblase erfolge. Der Antragsteller könne in dieser augmentierten Blase 200 bis 250 ml Flüssigkeitsvolumen speichern, wobei allerdings ein Kathederverbrauch von 10 Kathetern pro Tag notwendig sei. In der Vergangenheit seien Botulinumtoxin-Injektionen zur Erweiterung des Blasenvolumens durch Lähmung der glatten Muskulatur sehr hilfreich gewesen. Aktuell liege die Zulassung für Botulinumtoxin bei neurogener Blasenentleerung für Querschnittspatienten sowie Patienten mit multipler Sklerose vor. Somit sei die Wirksamkeit bei diesem sehr ähnlichen Krankheitsbild erwiesen. Man bitte daher um die Zusage der Kostenübernahme für 300 IE Botulinumtoxin. Der Eingriff werde ambulant durchgeführt (Medikamentenkosten 936,23 EUR). Nach Zunahme des Blasenvolumens seien eine Reduktion der Kathederfrequenz und damit auch der Heilmittelkosten für die Katheter zu erwarten.
Die Antragsgegnerin befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. W. führte im MDK-Gutachten vom 15.2.2012 aus, die Anwendung von Botulinumtoxin bei kleinkapazitärer Blase zur Volumenerweiterung liege außerhalb der zugelassenen Indikation, weshalb ein Off-Label-Use vorliege. Die hierfür in § 30 Arzneimittel-Richtlinien (AM-RL) festgelegten Voraussetzungen seien nicht erfüllt. In Deutschland sei für die genannte Indikation kein wirkstoffidentisches Präparat zugelassen. Bei der Verkleinerung der Blase bzw. der chronischen Entzündung und beim Endstadium der Strahlenzystitis mit einem Restharnvolumen von ca. 200 - 250 ml handele es sich nicht um eine Erkrankung, die mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes einen tödlichen Verlauf nehmen werde. Das Leiden des Antragstellers sei einer solchen Erkrankung auch nicht gleichzustellen; der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder herausgehobener Körperfunktionen drohe nicht. Außerdem sei ein Off-Label-Use nur zulässig, wenn hinreichende Erfolgsaussichten bestünden. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die die Zulassung des konkreten Arzneimittels für die betreffende Indikation erwarten ließen. Die Anforderungen an eine Phase-III-Studie müssten erfüllt sein. Eine solche Studie sei für Botulinumtoxin A in der hier streitigen Indikation nicht veröffentlicht.
Mit Bescheid vom 21.2.2012 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs machte der Antragsteller (unter Vorlage eines Zytoskopie-Berichts der Universitätsklinik T. vom 3.2.2012: intravesikal kein Anhalt für Raumforderungen; prinzipiell bei Therapieversagen der letzten Botulinumtoxin-Injektion erneute Injektion indiziert) u.a. geltend, sein soziales Leben habe sich erst seit der Legung des Stomas positiv verändert. Er benötige daher jährlich die Botulinumtoxin-Injektion.
Die Antragsgegnerin befragte erneut den MDK. Dr. B. führte im MDK-Gutachten vom 27.3.2012 aus, bei der Verkleinerung des Blasenvolumens infolge einer strahlungsbedingten Entzündung mit einem aktuellen Restharnvolumen von ca. 200 - 250 ml sei durch den häufigeren Gang zur Toilette die Lebensqualität eingeschränkt, die Intervalle seien aber bei diesem Restvolumen zu einer adäquaten Teilhabe am sozialen Leben ausreichend. Eine notstandsartige Behandlungssituation als eine in überschaubarer Zeit regelmäßig ohne Behandlung tödlich verlaufende Erkrankung liege nicht vor. Die Behandlung bei der eingetretenen Blasenschrumpfung sei symptomatisch. Zum einen könne der Harndrang medikamentös gelindert werden. Bei Inkontinenzproblemen komme das Tragen eines Urinkondoms als nicht-invasive Harnableitungsmethode in Betracht. Offenbar sei eine Harnableitung durch ein Stoma über den Bauchnabel möglich. Es lägen keine aussagekräftigen Phase-III-Studien vor, die eine Zulassung der Botulinumtoxin-Injektion bei der in Rede stehenden Indikation erwarten ließen. Eine Erweiterung der arzneimittelrechtlichen Zulassung sei nicht absehbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.4.2012 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück, worauf der Antragsteller am 8.5.2012 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhob (Verfahren S 26 KR 2655/12), über die noch nicht entschieden ist. Am 22.5.2012 suchte er außerdem um vorläufigen Rechtsschutz nach.
Zur Begründung trug der Antragsteller vor, nach der Operation an der Harnblase habe man ihm eine künstliche Blase eingesetzt. Zunächst habe er mit einem Beinbeutel zurechtkommen müssen. Nach Schaffung einer künstlichen Körperöffnung über den Bauchnabel habe sich sein soziales Leben in der Gesellschaft ein wenig verbessert. Wegen des Harnfassungsvermögens von nur 200 - 250 ml sei er aber noch wesentlich eingeschränkt. Die Behandlung mit Botulinumtoxin habe ihm geholfen, wenngleich er körperlich und seelisch nach wie vor stark belastet sei. Ruhephasen seien nur mit Schlafmitteln möglich, da er das Austreten von Urin befürchte. Bei Nacht müsse er mindestens viermal aufstehen und die Harnblase entleeren. Tagsüber bestimme der Katheter den Lebensrhythmus (300 bis 320 Katheter/Monat). Die Antragsgegnerin habe die streitige Leistung zunächst erbracht, sei dazu aber jetzt nicht mehr bereit.
Mit Beschluss vom 4.6.2012 wies das Sozialgericht den vorläufigen Rechtsschutzantrag zurück. Zur Begründung führte es aus, die begehrte einstweilige Anordnung (§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG) sei mangels Anordnungsanspruchs nicht zu erlassen. Bei Arzneimitteln ohne arzneimittelrechtliche Zulassung für die infrage stehende Indikation fehle es in der Regel an der gem. § 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erforderlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung (BSG, Urt. v. 19.3.2002, - B 1 KR 37/00 R -). Nach der Rechtsprechung des BSG komme die Verordnung eines Arzneimittels in einem von der (arzneimittelrechtlichen) Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wobei nur solche Erkrankungen gemeint seien, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhöben (BSG, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 14/06 R -). Außerdem dürfe keine andere Therapie verfügbar sein und aufgrund der Datenlage müsse die begründete Aussicht bestehen, dass ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Das sei der Fall, wenn die Erweiterung der arzneimittelrechtlichen Zulassung bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht seien und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbarem Risiko belegt werde oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen, aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im genannten Sinn bestehe. Daran fehle es hier. Eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebe, liege ungeachtet der erheblichen Einschränkungen des Antragstellers nicht vor. Zudem gebe es keine Phase-III-Studie zur Anwendung von Botulinumtoxin in der streitigen Indikation. Die Injektion von Botulinumtoxin sei arzneimittelrechtlich nur bei neurogener Blasenentleerungsstörung für Querschnittspatienten sowie für Patienten mit multipler Sklerose zugelassen. Eine Zulassungserweiterung werde nicht betrieben. Nach den Erkenntnissen des MDK gebe es keine validen Daten zum Erfolg der Behandlung bei einer Schrumpfblase zur Harnvolumenerweiterung. Ob beim Antragsteller tatsächlich alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien, könne danach offen bleiben. Eine etwaige Folgenabwägung müsste ebenfalls zu Lasten des Antragstellers ausfallen; das Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei zumutbar. Lebensgefahr oder irreversible Schäden drohten nicht, zumal - so der Bericht der Universitätsklinik T. vom 3.2.2012 - die letzte Botulinumtoxin-Injektion nicht zum gewünschten Erfolg geführt habe und damit ein künftiger Behandlungserfolg nicht sicher sei.
Auf den ihm am 6.6.2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 2.7.2012 Beschwerde eingelegt. Er bekräftigt sein bisheriges Vorbringen. Die begehrte Behandlung sei in der Vergangenheit erfolgreich gewesen; er sei mit 50% weniger Kathetern und Einlagen ausgekommen. Das Scheitern der Injektionsbehandlung 2011 habe daran gelegen, dass die Injektion wegen Schmerzen habe unterbrochen und sodann letztendlich in 2 Etappen habe durchgeführt werden müssen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 4.6.2012 aufzuheben und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Kosten einer Harnblasenbehandlung durch die Injektion von Botulinumtoxin vorläufig zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Antragsgegnerin, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist gem. §§ 172 ff. SGG statthaft, bei in Rede stehenden Kosten der Botulinumtoxin-Injektion von etwa 930 EUR, also über 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), insbesondere nicht gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
1.) Vorläufiger Rechtsschutz ist vorliegend gem. § 86b Abs. 2 SGG statthaft. Danach kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1, Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2, Regelungsanordnung). Mit der Sicherungsanordnung soll die Rechtsstellung des Antragstellers (vorläufig) gesichert, mit der Regelungsanordnung soll sie (vorläufig) erweitert werden. Voraussetzung ist jeweils die Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds. Unter dem Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch zu verstehen, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend macht. Der Anordnungsgrund besteht in der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss gerechtfertigt sein. Daher müssen Gründe vorliegen, aus denen sich ihre besondere Dringlichkeit ergibt.
Bei Auslegung und Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG sind das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und die Pflicht zum Schutz betroffener Grundrechte zu beachten, namentlich dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes Grundrechte des Antragstellers erheblich, über den Randbereich hinaus und womöglich in nicht wieder gut zu machender Weise verletzen könnte. Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde. Schließlich kann im Wege einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung getroffen und dem Antragsteller daher nicht schon in vollem Umfang, und sei es nur für eine vorübergehende Zeit, gewährt werden, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Auch in solchen Fällen ist der Erlass einer einstweiliger Anordnung freilich möglich, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist (zu alledem etwa Puttler, in NK-VwGO § 123 Rdnr. 94 ff.; Kopp/Schenke, VwGO § 123 Rdnr.12 ff. m.N. zur Rechtsprechung).
Hinsichtlich des Umfangs der Ermittlungen sind - unbeschadet der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren - der Eilcharakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens und das Risiko einer etwaigen Abweichung von der künftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Das gilt auch für die Prüfungsdichte des Gerichts. Regelmäßig genügt danach eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage auf der Grundlage unstreitiger oder glaubhaft gemachter Tatsachen bzw. auf der Grundlage der von den Beteiligten vorgelegten oder in angemessener Zeit erreichbaren Beweismittel. Drohen besonders schwerwiegende Eingriffe in grundrechtlich geschützte Güter, die nur schwer oder gar nicht mehr rückgängig gemacht werden können, ist eine besonders eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, wenn möglich eine Vollprüfung, geboten. Geht es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung ist eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ausgeschlossen und eine abschließende Prüfung notwendig. Kommt das in solchen Fällen aus Zeitgründen im Hinblick auf den Eilcharakter des Verfahrens nicht in Betracht, ist eine Folgenbetrachtung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Güter des Antragstellers und der diesen drohenden Beeinträchtigungen ausschlaggebend. Das Gericht muss sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.2.2007, - 1 BvR 3101/06 -; auch Senatsbeschluss vom 9.8.2011, - L 5 KR 2470/11 -).
2.) Grundlage eines Anordnungsanspruchs i. S. d. § 86b Abs. 2 SGG ist § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V) auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung bzw. Arzneimittelversorgung unterliegt den für alle Leistungsansprüche (§ 11 SGB V) geltenden allgemeinen Maßgaben der §§ 2, 12 SGB V. Gem. § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Versicherten erhalten die ihnen danach zustehenden Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V nichts anderes vorsieht. Kostenerstattung findet (insbesondere) nach § 13 Abs. 3 SGB V (nur dann) statt, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
a.) Näheres zur Arzneimittelversorgung der Versicherten ist in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V geregelt. Danach besteht Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der (krankenversicherungsrechtliche) Arzneimittelbegriff in §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 SGB V knüpft an den (verwaltungsrechtlichen) Arzneimittelbegriff des AMG an. Dieser ist in der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG festgelegt. Arzneimittel im Sinne des AMG sind namentlich die Fertigarzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), also Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. (Fertig-)Arzneimittel (§§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 AMG) bedürfen gem. § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen Zulassung; sie stellen Arzneimittel auch im Sinne des Krankenversicherungsrechts dar. Da das Krankenversicherungsrecht hinsichtlich der Arzneimittelversorgung der Versicherten - anders als bei ärztlichen Behandlungsmethoden (§ 135 Abs. 1 SGB V) - weitgehend auf eigenständige Vorschriften zur Qualitätssicherung verzichtet (vgl. BSG, Urt. v. 1.3.2011, - B 1 KR 7/10 R -; Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -), ist - sofern die arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt und damit Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nach § 1 AMG im dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren nachgewiesen worden sind - von der gesetzlich geforderten Arzneimittelsicherheit bzw. von der Qualität und Wirksamkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und regelmäßig auch von der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs. 1 SGB V) des Arzneimittels auszugehen (zur Wirtschaftlichkeit näher und einschränkend auch etwa BSG, Urt. v. 1.3.2011, - B 1 KR 7/10 R -). Ist die arzneimittelrechtliche Zulassung hingegen nicht erteilt, ist das Arzneimittel vom Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich nicht umfasst (BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -). Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels müssen nämlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne vorliegen, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Da der Wirksamkeitsnachweis im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen ist, ist aus einer nicht bestehenden Zulassung (auch) auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu schließen (vgl. BSG, Urt. v. 28.2.2008, - B 1 KR 15/07 R -; Urt. v. 18.5.2004, - B 1 KR 21/02 R -; Urt. v. 27.9.2005, - B 1 KR 6/04 R -). Außerdem wäre das nicht zugelassene Arzneimittel nur unter Verletzung des Arzneimittelrechts und damit durch rechtswidriges Handeln zu beschaffen (vgl. BSG, Urt. v.23.5.2000, B 1 KR 2/99 R -); hierauf kann sich der Leistungsanspruch des Versicherten nicht erstrecken.
Die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt anwendungsbezogen (vgl. etwa §§ 22 Abs. 1 Nr. 6, 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG). Die Anwendung des Arzneimittels außerhalb des von der arzneimittelrechtlichen Zulassung erfassten Anwendungsbereichs (Off-Label-Use) ist vom Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich nicht umfasst. Wirksamkeit und Risiken des Arzneimittels in noch nicht zugelassenen Anwendungsbereichen sind im arzneimittelrechtlichen Verfahren (vgl. § 29 Abs. 3 Mr. 3 AMG), und nicht in krankenversicherungsrechtlichen Verfahren, etwa vom Gemeinsamen Bundesausschuss gem. § 135 Abs. 1 SGB V, zu untersuchen. Werden die arzneimittelrechtlichen Verfahren zur Erweiterung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels nicht betrieben, darf den Versicherten deswegen (auch aus verfassungsrechtlichen Gründen) eine im Einzelfall unabdingbar notwendige Behandlung aber nicht vorenthalten bleiben. Aus diesem Grund besteht unter engen Voraussetzungen eine Leistungspflicht der Krankenkasse zur Gewährung von Arzneimitteln im Off-Label-Use. Der Off-Label-Use ist in Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinien (in der Fassung des Beschlusses vom 14.4.2011, BAnz. Nr. 86 S. 2052) auf der Grundlage der § 35b und 35c SGB V näher geregelt worden (richtlinienrechtlicher Off-Label-Use). Daneben gelten die in der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben für den Off-Label-Use fort (richterrechtlicher Off-Label-Use).
Gem. § 35b Abs. 3 SGB V (in Kraft seit 1.1.2004) beruft das Bundesministerium für Gesundheit Expertengruppen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Diese geben Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem AMG nicht zugelassen sind, ab. Die Bewertungen werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Empfehlung zur (nach Maßgabe des § 91 Abs. 6 SGB V verbindlichen) Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zugeleitet. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Arzneimittel-Richtlinien durch den Abschnitt K (Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, so genannter Off-Label-Use) um den § 30 bzw. den Abschnitt L (Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien gem. § 35c SGB V) um die §§ 31-39 ergänzt. Gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Arzneimittel-Richtlinien setzt die Verordnung zugelassener Arzneimittel in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten voraus, dass die Expertengruppen nach § 35b Abs. 3 Satz 1 SGB V – mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers - eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben, die der Gemeinsame Bundesausschuss in die Arzneimittel-Richtlinien übernommen hat. Die entsprechende Positivliste findet sich in Anlage 6 Teil A der Arzneimittel-Richtlinien. Arzneimittel zur Anwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, die nach Bewertung der Expertengruppen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen oder die medizinisch nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, werden ebenfalls indikationsbezogen aufgeführt. Die entsprechende Negativliste findet sich in Anlage 6 Teil B der Arzneimittel-Richtlinien (§ 30 Abs. 5 der Arzneimittel-Richtlinien).
Mit der Regelung des Off-Label-Use in den Arzneimittel-Richtlinien ist der (auch verfassungsrechtlich fundierte) Leistungsanspruch der Versicherten auf Gewährung von Arzneimitteln im Off-Label-Use nicht abschließend normiert (vgl. auch Fn. 2 zur Überschrift des Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinien). Ergänzend sind nach wie vor die Rechtsgrundsätze heranzuziehen, die das BSG hierzu in seiner Rechtsprechung entwickelt hat (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 30.6.2008, - 1 BvR 1665/07 -; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.2.2010, - L 9 KR 2/08 -; zuletzt zum Off-Label-Use BSG, Urt. v. 1.3.2011, - B 1 KR 7/10 R -; Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -, auch zur Anwendung des § 73 Abs. 3 AMG in so genannten Seltenheitsfällen), zumal der Leistungsanspruch der Versicherten nicht von einer Zustimmung des Arzneimittelherstellers zum Off-Label-Use (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 der Arzneimittel-Richtlinien) abhängen kann.
Die Verordnung eines Arzneimittels in einem anderen von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt danach in Betracht, wenn (1.) es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, (2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die Anforderungen an das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung bleiben zwar hinter den Anforderungen des Krankheitskriteriums bei der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (dazu noch im Folgenden unter c) zurück, sind aber gleichwohl erheblich. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt (BSG, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 14/06 R -). Auch ein Off-Label-Use bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen und unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (vgl. auch dazu Senatsbeschluss vom 9.8.2011, - L 5 KR 2470/11 -). Für die Erfüllung der unter 3. genannten Voraussetzung müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urt. v. 19.3.2002, - B 1 KR 37/00 R -, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 1/06 R – und - B 1 KR 14/06 R -; Urt. v. 28.2.2008, - B 1 KR 15/07 R -). In beiden Fällen (innerhalb und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens) ist das Schutzniveau aber gleich; Maßstab sind jeweils die qualitativen Anforderungen an Phase-III-Studien (insoweit klarstellend: BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -). Leitlinien und Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften genügen für sich allein grundsätzlich nicht (BSG, a. a. O.).
b) Bei der Versorgung der Versicherten mit ärztlicher Heilbehandlung ist hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 7.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (vgl. BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R - m.w.N.). Ohne befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht (zu alledem auch Senatsurteil vom 30.8.2006, - L 5 KR 281/06 -). Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst "Methoden", also Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden (BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -); dazu können ggf. auch über die bloße Verabreichung von Arzneimitteln hinausgehende Pharmakotherapien (dazu noch im Folgenden) zählen.
Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (zur Maßgeblichkeit des EBM auch BSG, Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Behandlungsmethode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V erklärt hatte (BSG; Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -). Eine Behandlungsmethode kann auch dann als "neu" zu beurteilen und deshalb der besonderen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätskontrolle zu unterwerfen sein, wenn sie sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener - für sich jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammensetzt (BSG; Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -).
c.) Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG können sich schließlich (ansonsten nicht bestehende) Leistungsansprüche auch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben. In seinem Beschluss vom 6.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig.
Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach – so etwa BSG Urt. v. 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht bei BSG, Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es muss eine durch nahe Lebensgefahr individuelle Notlage gegeben sein, wobei das BVerfG es in einer speziellen Situation (Apharesebehandlung in einem besonderen Fall) hat ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschl. 6.2.2007, - 1 BvR 3101/06 -).
Diese Grundsätze sind auf die Arzneimittelversorgung übertragen worden. Sie können ggf. einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln begründen, die arzneimittelrechtlich noch gar nicht oder nicht für den in Rede stehenden Anwendungsbereich zugelassen sind. Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln - aber dargelegt, dass an das Krankheits-Kriterium (im Sinne der vorstehend unter 1. genannten Voraussetzung) strengere Anforderungen zu stellen sind als an das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use (vgl. BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -; auch BSG, Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -).
In der seit 1.1.2012 geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG entwickelten Rechtgrundsätze zu grundrechtsfundierten Leistungsansprüchen in das SGB V aufgenommen. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind die Maßgaben der genannten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG heranzuziehen (Senatsurteil vom 14.3.2012, - L 5 KR 5406/11 -).
3.) Davon ausgehend kann eine einstweilige Anordnung nicht erlassen werden, da ein Anordnungsanspruch nicht vorliegt. Dabei kann der Senat offen lassen, ob vorliegend allein die arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbote anzuwenden sind oder zusätzlich der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V einschlägig ist.
Sollte es sich bei der Injektion von Botulinumtoxin in die Harnblase (nur) um die Verabreichung eines (Fertig-)Arzneimittels handeln, wären im Ausgangspunkt (allein) die Maßgaben des Arzneimittelrechts (für die Arzneimittelversorgung gesetzlich Versicherter) zu beachten. Hierzu hat das Sozialgericht in seinem Beschluss zutreffend dargelegt, dass eine Anwendung jenseits der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Botulinumtoxin (als Fertigarzneimittel) in Rede steht und die hier erforderlichen Voraussetzungen des richterrechtlichen Off-Label-Use nicht erfüllt sind, da es insbesondere an einer Phase-III-Studie zur klinischen Wirksamkeit bzw. zum klinisch relevanten Nutzen und den Risiken der Botulinumtoxin-Injektion in die Harnblase beim Krankheitsbild des Klägers fehlt und auch keine außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnenen, den Anforderungen an Phase-III-Studien genügenden Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit von Botulinumtoxin in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Der Senat kann hierfür auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug nehmen (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Voraussetzungen eines richtlinienrechtlichen Off-Label-Use sind ebenfalls (unstreitig) nicht erfüllt.
Vorliegend kommt aber auch in Betracht, die Blasenaugmentation durch Injektion von Botulinumtoxin zur (zeitweiligen) Lähmung der glatten Blasenmuskulatur nicht (nur) dem arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbot und seinen Folgewirkungen für das Krankenversicherungsrecht, sondern – zusätzlich – dem krankenversicherungsrechtlichen Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer ärztlicher Behandlungsmethoden zu unterwerfen.
Für die Abgrenzung der Pharmakotherapie durch bloße Verabreichung eines Arzneimittels - auch im Wege der Injektion – von der Pharmakotherapie als ärztliche Behandlungsmethode kommt es darauf an, welches Gewicht der ärztlichen Tätigkeit für den Therapieerfolg zukommt (vgl. näher BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -, LSG Baden-Württemberg, Urt. v. Urt. v. 15.5.2012, - L 11 KR 5817/10 -). Ist diese im Rahmen eines Zusammenspiels von ärztlicher Kunst und Arzneimittelgabe ebenso wichtig wie das Wirkprinzip des in den Körper eingebrachten Stoffes, liegt in jedem Fall eine über die schlichte Verabreichung eines Arzneimittels hinausgehende ärztliche Behandlungsmethode vor. Die Anforderungen des Krankenversicherungsrechts sind dann ggf. im Erlaubnisverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu prüfen. Dessen krankenversicherungsrechtliche Prüfung kommt zur (bei Fertigarzneimitteln notwendigen - zu Behandlungen mit zulassungsfreien Rezepturarzneimitteln auch BSG, Urt. v. 13.10.2012, - B 6 KA 48/09 R -) arzneimittelrechtlichen Prüfung durch die hierfür zuständige Verwaltungsbehörde hinzu (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -). Eine als ärztliche Behandlung ambulant durchgeführte Pharmakotherapie mit zulassungspflichtigen (Fertig)Arzneimitteln unterliegt, sofern es sich um eine neue Behandlungsmethode i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V handelt, daher auch dem in dieser Vorschrift festgelegten Erlaubnisvorbehalt. Für solche Pharmakotherapien besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse erst dann, wenn die aus dem Arzneimittelrecht folgenden leistungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen und die krankenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine neue Behandlungsmethode kumulativ erfüllt sind, wenn also weder das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot noch der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt das verwendete Arzneimittel erfasst (BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 -).
Sofern danach die Blasenaugmentation durch Botulinumtoxid-Injektion als neue Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V einzustufen ist, wofür einiges spricht, kommt eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin auch wegen der fehlenden Erlaubnis durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht in Betracht; für so genanntes "Systemversagen" oder andere Ausnahmefälle zu § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. dazu etwa LSG; Baden-Württemberg, Urt. v. 15.5.2012, - L 11 KR 5817/10 m. Nachw. zur Rspr. des BSG) ist nichts ersichtlich. Weitere Ermittlungen hierzu sind nicht anzustellen, da das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers schon aus den dargelegten arzneimittelrechtlichen Gründen scheitern muss. Deswegen kommt es auch auf eine Folgenbetrachtung ausschlaggebend nicht an; diese müsste - wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend dargelegt hat - zu Lasten des Antragstellers ausgehen, zumal eine lebenserhaltende oder lebensverlängernde Leistung nicht in Rede steht.
Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers ändert nichts. Der Antragsteller leidet unbestritten an belastenden Krankheitsfolgen, wobei ihm die Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin in der Vergangenheit offenbar Linderung verschaffen konnte. Das genügt nach den vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätzen für sich allein jedoch nicht, um die Krankenkasse zur Gewährung von Leistungen zu verpflichten, die den einschlägigen Gesetzesbestimmungen des Arzneimittel- bzw. des Krankenversicherungsrechts widersprechen. Um eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine mit solchen Erkrankungen wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung i. S. d. § 2 Abs. 1a SGB V handelt es sich bei dem Blasenleiden des Antragstellers nicht. Unbeachtlich wäre schließlich auch, wenn die Behandlung von der Hochschulambulanz der Universitätsklinik T. (§ 117 SGB V) erbracht würde, da dies auf den Leistungsanspruch des Versicherten keine Auswirkungen hat (BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -).
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten für eine Harnblasenbehandlung durch die Injektion von Botulinumtoxin in Höhe von 936,24 EUR im Wege vorläufigen Rechtsschutzes.
Bei dem 1937 geborenen Kläger wurde im Jahr 2005 wegen eines Prostatakarzinoms eine Prostataektomie sowie eine adjuvante Strahlentherapie durchgeführt. Diese Behandlung verursachte eine radiogene Zystitis, die eine Blasenaugmentation mittels Ileozystoplastik und die Anlage eines kontinenten Nabelstomas am 18.11.2009 notwendig machte. Zur zusätzlichen Blasenkapazitätserweiterung (durch Lähmung der glatten Blasenmuskulatur) erhielt der Antragsteller in der Universitätsklinik T. Botulinumtoxin-Injektionen, zuletzt am 24.10.2011.
Im Februar 2012 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten einer weiteren Botulinumtoxin-Injektion in die Harnblase. Er legte ein Schreiben der Universitätsklinik T. (Dr. A.) vom 3.2.2012 vor. Darin heißt es, man habe schon vor längerer Zeit eine Augmentierung der initial kleinkapazitären Blase vorgenommen, wobei die Entleerung über Einmalkatheter durch den Bauchnabelzugang zur Harnblase erfolge. Der Antragsteller könne in dieser augmentierten Blase 200 bis 250 ml Flüssigkeitsvolumen speichern, wobei allerdings ein Kathederverbrauch von 10 Kathetern pro Tag notwendig sei. In der Vergangenheit seien Botulinumtoxin-Injektionen zur Erweiterung des Blasenvolumens durch Lähmung der glatten Muskulatur sehr hilfreich gewesen. Aktuell liege die Zulassung für Botulinumtoxin bei neurogener Blasenentleerung für Querschnittspatienten sowie Patienten mit multipler Sklerose vor. Somit sei die Wirksamkeit bei diesem sehr ähnlichen Krankheitsbild erwiesen. Man bitte daher um die Zusage der Kostenübernahme für 300 IE Botulinumtoxin. Der Eingriff werde ambulant durchgeführt (Medikamentenkosten 936,23 EUR). Nach Zunahme des Blasenvolumens seien eine Reduktion der Kathederfrequenz und damit auch der Heilmittelkosten für die Katheter zu erwarten.
Die Antragsgegnerin befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. W. führte im MDK-Gutachten vom 15.2.2012 aus, die Anwendung von Botulinumtoxin bei kleinkapazitärer Blase zur Volumenerweiterung liege außerhalb der zugelassenen Indikation, weshalb ein Off-Label-Use vorliege. Die hierfür in § 30 Arzneimittel-Richtlinien (AM-RL) festgelegten Voraussetzungen seien nicht erfüllt. In Deutschland sei für die genannte Indikation kein wirkstoffidentisches Präparat zugelassen. Bei der Verkleinerung der Blase bzw. der chronischen Entzündung und beim Endstadium der Strahlenzystitis mit einem Restharnvolumen von ca. 200 - 250 ml handele es sich nicht um eine Erkrankung, die mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes einen tödlichen Verlauf nehmen werde. Das Leiden des Antragstellers sei einer solchen Erkrankung auch nicht gleichzustellen; der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder herausgehobener Körperfunktionen drohe nicht. Außerdem sei ein Off-Label-Use nur zulässig, wenn hinreichende Erfolgsaussichten bestünden. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die die Zulassung des konkreten Arzneimittels für die betreffende Indikation erwarten ließen. Die Anforderungen an eine Phase-III-Studie müssten erfüllt sein. Eine solche Studie sei für Botulinumtoxin A in der hier streitigen Indikation nicht veröffentlicht.
Mit Bescheid vom 21.2.2012 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs machte der Antragsteller (unter Vorlage eines Zytoskopie-Berichts der Universitätsklinik T. vom 3.2.2012: intravesikal kein Anhalt für Raumforderungen; prinzipiell bei Therapieversagen der letzten Botulinumtoxin-Injektion erneute Injektion indiziert) u.a. geltend, sein soziales Leben habe sich erst seit der Legung des Stomas positiv verändert. Er benötige daher jährlich die Botulinumtoxin-Injektion.
Die Antragsgegnerin befragte erneut den MDK. Dr. B. führte im MDK-Gutachten vom 27.3.2012 aus, bei der Verkleinerung des Blasenvolumens infolge einer strahlungsbedingten Entzündung mit einem aktuellen Restharnvolumen von ca. 200 - 250 ml sei durch den häufigeren Gang zur Toilette die Lebensqualität eingeschränkt, die Intervalle seien aber bei diesem Restvolumen zu einer adäquaten Teilhabe am sozialen Leben ausreichend. Eine notstandsartige Behandlungssituation als eine in überschaubarer Zeit regelmäßig ohne Behandlung tödlich verlaufende Erkrankung liege nicht vor. Die Behandlung bei der eingetretenen Blasenschrumpfung sei symptomatisch. Zum einen könne der Harndrang medikamentös gelindert werden. Bei Inkontinenzproblemen komme das Tragen eines Urinkondoms als nicht-invasive Harnableitungsmethode in Betracht. Offenbar sei eine Harnableitung durch ein Stoma über den Bauchnabel möglich. Es lägen keine aussagekräftigen Phase-III-Studien vor, die eine Zulassung der Botulinumtoxin-Injektion bei der in Rede stehenden Indikation erwarten ließen. Eine Erweiterung der arzneimittelrechtlichen Zulassung sei nicht absehbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.4.2012 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück, worauf der Antragsteller am 8.5.2012 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhob (Verfahren S 26 KR 2655/12), über die noch nicht entschieden ist. Am 22.5.2012 suchte er außerdem um vorläufigen Rechtsschutz nach.
Zur Begründung trug der Antragsteller vor, nach der Operation an der Harnblase habe man ihm eine künstliche Blase eingesetzt. Zunächst habe er mit einem Beinbeutel zurechtkommen müssen. Nach Schaffung einer künstlichen Körperöffnung über den Bauchnabel habe sich sein soziales Leben in der Gesellschaft ein wenig verbessert. Wegen des Harnfassungsvermögens von nur 200 - 250 ml sei er aber noch wesentlich eingeschränkt. Die Behandlung mit Botulinumtoxin habe ihm geholfen, wenngleich er körperlich und seelisch nach wie vor stark belastet sei. Ruhephasen seien nur mit Schlafmitteln möglich, da er das Austreten von Urin befürchte. Bei Nacht müsse er mindestens viermal aufstehen und die Harnblase entleeren. Tagsüber bestimme der Katheter den Lebensrhythmus (300 bis 320 Katheter/Monat). Die Antragsgegnerin habe die streitige Leistung zunächst erbracht, sei dazu aber jetzt nicht mehr bereit.
Mit Beschluss vom 4.6.2012 wies das Sozialgericht den vorläufigen Rechtsschutzantrag zurück. Zur Begründung führte es aus, die begehrte einstweilige Anordnung (§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG) sei mangels Anordnungsanspruchs nicht zu erlassen. Bei Arzneimitteln ohne arzneimittelrechtliche Zulassung für die infrage stehende Indikation fehle es in der Regel an der gem. § 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erforderlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung (BSG, Urt. v. 19.3.2002, - B 1 KR 37/00 R -). Nach der Rechtsprechung des BSG komme die Verordnung eines Arzneimittels in einem von der (arzneimittelrechtlichen) Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wobei nur solche Erkrankungen gemeint seien, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhöben (BSG, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 14/06 R -). Außerdem dürfe keine andere Therapie verfügbar sein und aufgrund der Datenlage müsse die begründete Aussicht bestehen, dass ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Das sei der Fall, wenn die Erweiterung der arzneimittelrechtlichen Zulassung bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht seien und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbarem Risiko belegt werde oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen, aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im genannten Sinn bestehe. Daran fehle es hier. Eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebe, liege ungeachtet der erheblichen Einschränkungen des Antragstellers nicht vor. Zudem gebe es keine Phase-III-Studie zur Anwendung von Botulinumtoxin in der streitigen Indikation. Die Injektion von Botulinumtoxin sei arzneimittelrechtlich nur bei neurogener Blasenentleerungsstörung für Querschnittspatienten sowie für Patienten mit multipler Sklerose zugelassen. Eine Zulassungserweiterung werde nicht betrieben. Nach den Erkenntnissen des MDK gebe es keine validen Daten zum Erfolg der Behandlung bei einer Schrumpfblase zur Harnvolumenerweiterung. Ob beim Antragsteller tatsächlich alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien, könne danach offen bleiben. Eine etwaige Folgenabwägung müsste ebenfalls zu Lasten des Antragstellers ausfallen; das Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei zumutbar. Lebensgefahr oder irreversible Schäden drohten nicht, zumal - so der Bericht der Universitätsklinik T. vom 3.2.2012 - die letzte Botulinumtoxin-Injektion nicht zum gewünschten Erfolg geführt habe und damit ein künftiger Behandlungserfolg nicht sicher sei.
Auf den ihm am 6.6.2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 2.7.2012 Beschwerde eingelegt. Er bekräftigt sein bisheriges Vorbringen. Die begehrte Behandlung sei in der Vergangenheit erfolgreich gewesen; er sei mit 50% weniger Kathetern und Einlagen ausgekommen. Das Scheitern der Injektionsbehandlung 2011 habe daran gelegen, dass die Injektion wegen Schmerzen habe unterbrochen und sodann letztendlich in 2 Etappen habe durchgeführt werden müssen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 4.6.2012 aufzuheben und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Kosten einer Harnblasenbehandlung durch die Injektion von Botulinumtoxin vorläufig zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Antragsgegnerin, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist gem. §§ 172 ff. SGG statthaft, bei in Rede stehenden Kosten der Botulinumtoxin-Injektion von etwa 930 EUR, also über 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), insbesondere nicht gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
1.) Vorläufiger Rechtsschutz ist vorliegend gem. § 86b Abs. 2 SGG statthaft. Danach kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1, Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2, Regelungsanordnung). Mit der Sicherungsanordnung soll die Rechtsstellung des Antragstellers (vorläufig) gesichert, mit der Regelungsanordnung soll sie (vorläufig) erweitert werden. Voraussetzung ist jeweils die Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds. Unter dem Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch zu verstehen, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend macht. Der Anordnungsgrund besteht in der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss gerechtfertigt sein. Daher müssen Gründe vorliegen, aus denen sich ihre besondere Dringlichkeit ergibt.
Bei Auslegung und Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG sind das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und die Pflicht zum Schutz betroffener Grundrechte zu beachten, namentlich dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes Grundrechte des Antragstellers erheblich, über den Randbereich hinaus und womöglich in nicht wieder gut zu machender Weise verletzen könnte. Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde. Schließlich kann im Wege einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung getroffen und dem Antragsteller daher nicht schon in vollem Umfang, und sei es nur für eine vorübergehende Zeit, gewährt werden, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Auch in solchen Fällen ist der Erlass einer einstweiliger Anordnung freilich möglich, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist (zu alledem etwa Puttler, in NK-VwGO § 123 Rdnr. 94 ff.; Kopp/Schenke, VwGO § 123 Rdnr.12 ff. m.N. zur Rechtsprechung).
Hinsichtlich des Umfangs der Ermittlungen sind - unbeschadet der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren - der Eilcharakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens und das Risiko einer etwaigen Abweichung von der künftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Das gilt auch für die Prüfungsdichte des Gerichts. Regelmäßig genügt danach eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage auf der Grundlage unstreitiger oder glaubhaft gemachter Tatsachen bzw. auf der Grundlage der von den Beteiligten vorgelegten oder in angemessener Zeit erreichbaren Beweismittel. Drohen besonders schwerwiegende Eingriffe in grundrechtlich geschützte Güter, die nur schwer oder gar nicht mehr rückgängig gemacht werden können, ist eine besonders eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, wenn möglich eine Vollprüfung, geboten. Geht es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung ist eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ausgeschlossen und eine abschließende Prüfung notwendig. Kommt das in solchen Fällen aus Zeitgründen im Hinblick auf den Eilcharakter des Verfahrens nicht in Betracht, ist eine Folgenbetrachtung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Güter des Antragstellers und der diesen drohenden Beeinträchtigungen ausschlaggebend. Das Gericht muss sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.2.2007, - 1 BvR 3101/06 -; auch Senatsbeschluss vom 9.8.2011, - L 5 KR 2470/11 -).
2.) Grundlage eines Anordnungsanspruchs i. S. d. § 86b Abs. 2 SGG ist § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V) auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung bzw. Arzneimittelversorgung unterliegt den für alle Leistungsansprüche (§ 11 SGB V) geltenden allgemeinen Maßgaben der §§ 2, 12 SGB V. Gem. § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Versicherten erhalten die ihnen danach zustehenden Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V nichts anderes vorsieht. Kostenerstattung findet (insbesondere) nach § 13 Abs. 3 SGB V (nur dann) statt, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
a.) Näheres zur Arzneimittelversorgung der Versicherten ist in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V geregelt. Danach besteht Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der (krankenversicherungsrechtliche) Arzneimittelbegriff in §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 SGB V knüpft an den (verwaltungsrechtlichen) Arzneimittelbegriff des AMG an. Dieser ist in der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG festgelegt. Arzneimittel im Sinne des AMG sind namentlich die Fertigarzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), also Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. (Fertig-)Arzneimittel (§§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 AMG) bedürfen gem. § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen Zulassung; sie stellen Arzneimittel auch im Sinne des Krankenversicherungsrechts dar. Da das Krankenversicherungsrecht hinsichtlich der Arzneimittelversorgung der Versicherten - anders als bei ärztlichen Behandlungsmethoden (§ 135 Abs. 1 SGB V) - weitgehend auf eigenständige Vorschriften zur Qualitätssicherung verzichtet (vgl. BSG, Urt. v. 1.3.2011, - B 1 KR 7/10 R -; Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -), ist - sofern die arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt und damit Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nach § 1 AMG im dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren nachgewiesen worden sind - von der gesetzlich geforderten Arzneimittelsicherheit bzw. von der Qualität und Wirksamkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und regelmäßig auch von der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs. 1 SGB V) des Arzneimittels auszugehen (zur Wirtschaftlichkeit näher und einschränkend auch etwa BSG, Urt. v. 1.3.2011, - B 1 KR 7/10 R -). Ist die arzneimittelrechtliche Zulassung hingegen nicht erteilt, ist das Arzneimittel vom Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich nicht umfasst (BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -). Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels müssen nämlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne vorliegen, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Da der Wirksamkeitsnachweis im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen ist, ist aus einer nicht bestehenden Zulassung (auch) auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu schließen (vgl. BSG, Urt. v. 28.2.2008, - B 1 KR 15/07 R -; Urt. v. 18.5.2004, - B 1 KR 21/02 R -; Urt. v. 27.9.2005, - B 1 KR 6/04 R -). Außerdem wäre das nicht zugelassene Arzneimittel nur unter Verletzung des Arzneimittelrechts und damit durch rechtswidriges Handeln zu beschaffen (vgl. BSG, Urt. v.23.5.2000, B 1 KR 2/99 R -); hierauf kann sich der Leistungsanspruch des Versicherten nicht erstrecken.
Die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt anwendungsbezogen (vgl. etwa §§ 22 Abs. 1 Nr. 6, 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG). Die Anwendung des Arzneimittels außerhalb des von der arzneimittelrechtlichen Zulassung erfassten Anwendungsbereichs (Off-Label-Use) ist vom Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich nicht umfasst. Wirksamkeit und Risiken des Arzneimittels in noch nicht zugelassenen Anwendungsbereichen sind im arzneimittelrechtlichen Verfahren (vgl. § 29 Abs. 3 Mr. 3 AMG), und nicht in krankenversicherungsrechtlichen Verfahren, etwa vom Gemeinsamen Bundesausschuss gem. § 135 Abs. 1 SGB V, zu untersuchen. Werden die arzneimittelrechtlichen Verfahren zur Erweiterung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels nicht betrieben, darf den Versicherten deswegen (auch aus verfassungsrechtlichen Gründen) eine im Einzelfall unabdingbar notwendige Behandlung aber nicht vorenthalten bleiben. Aus diesem Grund besteht unter engen Voraussetzungen eine Leistungspflicht der Krankenkasse zur Gewährung von Arzneimitteln im Off-Label-Use. Der Off-Label-Use ist in Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinien (in der Fassung des Beschlusses vom 14.4.2011, BAnz. Nr. 86 S. 2052) auf der Grundlage der § 35b und 35c SGB V näher geregelt worden (richtlinienrechtlicher Off-Label-Use). Daneben gelten die in der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben für den Off-Label-Use fort (richterrechtlicher Off-Label-Use).
Gem. § 35b Abs. 3 SGB V (in Kraft seit 1.1.2004) beruft das Bundesministerium für Gesundheit Expertengruppen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Diese geben Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem AMG nicht zugelassen sind, ab. Die Bewertungen werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Empfehlung zur (nach Maßgabe des § 91 Abs. 6 SGB V verbindlichen) Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zugeleitet. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Arzneimittel-Richtlinien durch den Abschnitt K (Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, so genannter Off-Label-Use) um den § 30 bzw. den Abschnitt L (Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien gem. § 35c SGB V) um die §§ 31-39 ergänzt. Gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Arzneimittel-Richtlinien setzt die Verordnung zugelassener Arzneimittel in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten voraus, dass die Expertengruppen nach § 35b Abs. 3 Satz 1 SGB V – mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers - eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben, die der Gemeinsame Bundesausschuss in die Arzneimittel-Richtlinien übernommen hat. Die entsprechende Positivliste findet sich in Anlage 6 Teil A der Arzneimittel-Richtlinien. Arzneimittel zur Anwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, die nach Bewertung der Expertengruppen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen oder die medizinisch nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, werden ebenfalls indikationsbezogen aufgeführt. Die entsprechende Negativliste findet sich in Anlage 6 Teil B der Arzneimittel-Richtlinien (§ 30 Abs. 5 der Arzneimittel-Richtlinien).
Mit der Regelung des Off-Label-Use in den Arzneimittel-Richtlinien ist der (auch verfassungsrechtlich fundierte) Leistungsanspruch der Versicherten auf Gewährung von Arzneimitteln im Off-Label-Use nicht abschließend normiert (vgl. auch Fn. 2 zur Überschrift des Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinien). Ergänzend sind nach wie vor die Rechtsgrundsätze heranzuziehen, die das BSG hierzu in seiner Rechtsprechung entwickelt hat (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 30.6.2008, - 1 BvR 1665/07 -; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.2.2010, - L 9 KR 2/08 -; zuletzt zum Off-Label-Use BSG, Urt. v. 1.3.2011, - B 1 KR 7/10 R -; Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -, auch zur Anwendung des § 73 Abs. 3 AMG in so genannten Seltenheitsfällen), zumal der Leistungsanspruch der Versicherten nicht von einer Zustimmung des Arzneimittelherstellers zum Off-Label-Use (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 der Arzneimittel-Richtlinien) abhängen kann.
Die Verordnung eines Arzneimittels in einem anderen von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt danach in Betracht, wenn (1.) es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, (2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die Anforderungen an das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung bleiben zwar hinter den Anforderungen des Krankheitskriteriums bei der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (dazu noch im Folgenden unter c) zurück, sind aber gleichwohl erheblich. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt (BSG, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 14/06 R -). Auch ein Off-Label-Use bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen und unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (vgl. auch dazu Senatsbeschluss vom 9.8.2011, - L 5 KR 2470/11 -). Für die Erfüllung der unter 3. genannten Voraussetzung müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urt. v. 19.3.2002, - B 1 KR 37/00 R -, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 1/06 R – und - B 1 KR 14/06 R -; Urt. v. 28.2.2008, - B 1 KR 15/07 R -). In beiden Fällen (innerhalb und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens) ist das Schutzniveau aber gleich; Maßstab sind jeweils die qualitativen Anforderungen an Phase-III-Studien (insoweit klarstellend: BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -). Leitlinien und Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften genügen für sich allein grundsätzlich nicht (BSG, a. a. O.).
b) Bei der Versorgung der Versicherten mit ärztlicher Heilbehandlung ist hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 7.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (vgl. BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R - m.w.N.). Ohne befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht (zu alledem auch Senatsurteil vom 30.8.2006, - L 5 KR 281/06 -). Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst "Methoden", also Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden (BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -); dazu können ggf. auch über die bloße Verabreichung von Arzneimitteln hinausgehende Pharmakotherapien (dazu noch im Folgenden) zählen.
Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (zur Maßgeblichkeit des EBM auch BSG, Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Behandlungsmethode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V erklärt hatte (BSG; Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -). Eine Behandlungsmethode kann auch dann als "neu" zu beurteilen und deshalb der besonderen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätskontrolle zu unterwerfen sein, wenn sie sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener - für sich jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammensetzt (BSG; Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -).
c.) Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG können sich schließlich (ansonsten nicht bestehende) Leistungsansprüche auch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben. In seinem Beschluss vom 6.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig.
Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach – so etwa BSG Urt. v. 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht bei BSG, Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es muss eine durch nahe Lebensgefahr individuelle Notlage gegeben sein, wobei das BVerfG es in einer speziellen Situation (Apharesebehandlung in einem besonderen Fall) hat ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschl. 6.2.2007, - 1 BvR 3101/06 -).
Diese Grundsätze sind auf die Arzneimittelversorgung übertragen worden. Sie können ggf. einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln begründen, die arzneimittelrechtlich noch gar nicht oder nicht für den in Rede stehenden Anwendungsbereich zugelassen sind. Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln - aber dargelegt, dass an das Krankheits-Kriterium (im Sinne der vorstehend unter 1. genannten Voraussetzung) strengere Anforderungen zu stellen sind als an das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use (vgl. BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -; auch BSG, Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -).
In der seit 1.1.2012 geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG entwickelten Rechtgrundsätze zu grundrechtsfundierten Leistungsansprüchen in das SGB V aufgenommen. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind die Maßgaben der genannten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG heranzuziehen (Senatsurteil vom 14.3.2012, - L 5 KR 5406/11 -).
3.) Davon ausgehend kann eine einstweilige Anordnung nicht erlassen werden, da ein Anordnungsanspruch nicht vorliegt. Dabei kann der Senat offen lassen, ob vorliegend allein die arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbote anzuwenden sind oder zusätzlich der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V einschlägig ist.
Sollte es sich bei der Injektion von Botulinumtoxin in die Harnblase (nur) um die Verabreichung eines (Fertig-)Arzneimittels handeln, wären im Ausgangspunkt (allein) die Maßgaben des Arzneimittelrechts (für die Arzneimittelversorgung gesetzlich Versicherter) zu beachten. Hierzu hat das Sozialgericht in seinem Beschluss zutreffend dargelegt, dass eine Anwendung jenseits der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Botulinumtoxin (als Fertigarzneimittel) in Rede steht und die hier erforderlichen Voraussetzungen des richterrechtlichen Off-Label-Use nicht erfüllt sind, da es insbesondere an einer Phase-III-Studie zur klinischen Wirksamkeit bzw. zum klinisch relevanten Nutzen und den Risiken der Botulinumtoxin-Injektion in die Harnblase beim Krankheitsbild des Klägers fehlt und auch keine außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnenen, den Anforderungen an Phase-III-Studien genügenden Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit von Botulinumtoxin in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Der Senat kann hierfür auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug nehmen (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Voraussetzungen eines richtlinienrechtlichen Off-Label-Use sind ebenfalls (unstreitig) nicht erfüllt.
Vorliegend kommt aber auch in Betracht, die Blasenaugmentation durch Injektion von Botulinumtoxin zur (zeitweiligen) Lähmung der glatten Blasenmuskulatur nicht (nur) dem arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbot und seinen Folgewirkungen für das Krankenversicherungsrecht, sondern – zusätzlich – dem krankenversicherungsrechtlichen Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer ärztlicher Behandlungsmethoden zu unterwerfen.
Für die Abgrenzung der Pharmakotherapie durch bloße Verabreichung eines Arzneimittels - auch im Wege der Injektion – von der Pharmakotherapie als ärztliche Behandlungsmethode kommt es darauf an, welches Gewicht der ärztlichen Tätigkeit für den Therapieerfolg zukommt (vgl. näher BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -, LSG Baden-Württemberg, Urt. v. Urt. v. 15.5.2012, - L 11 KR 5817/10 -). Ist diese im Rahmen eines Zusammenspiels von ärztlicher Kunst und Arzneimittelgabe ebenso wichtig wie das Wirkprinzip des in den Körper eingebrachten Stoffes, liegt in jedem Fall eine über die schlichte Verabreichung eines Arzneimittels hinausgehende ärztliche Behandlungsmethode vor. Die Anforderungen des Krankenversicherungsrechts sind dann ggf. im Erlaubnisverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu prüfen. Dessen krankenversicherungsrechtliche Prüfung kommt zur (bei Fertigarzneimitteln notwendigen - zu Behandlungen mit zulassungsfreien Rezepturarzneimitteln auch BSG, Urt. v. 13.10.2012, - B 6 KA 48/09 R -) arzneimittelrechtlichen Prüfung durch die hierfür zuständige Verwaltungsbehörde hinzu (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -). Eine als ärztliche Behandlung ambulant durchgeführte Pharmakotherapie mit zulassungspflichtigen (Fertig)Arzneimitteln unterliegt, sofern es sich um eine neue Behandlungsmethode i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V handelt, daher auch dem in dieser Vorschrift festgelegten Erlaubnisvorbehalt. Für solche Pharmakotherapien besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse erst dann, wenn die aus dem Arzneimittelrecht folgenden leistungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen und die krankenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine neue Behandlungsmethode kumulativ erfüllt sind, wenn also weder das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot noch der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt das verwendete Arzneimittel erfasst (BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 -).
Sofern danach die Blasenaugmentation durch Botulinumtoxid-Injektion als neue Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V einzustufen ist, wofür einiges spricht, kommt eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin auch wegen der fehlenden Erlaubnis durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht in Betracht; für so genanntes "Systemversagen" oder andere Ausnahmefälle zu § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. dazu etwa LSG; Baden-Württemberg, Urt. v. 15.5.2012, - L 11 KR 5817/10 m. Nachw. zur Rspr. des BSG) ist nichts ersichtlich. Weitere Ermittlungen hierzu sind nicht anzustellen, da das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers schon aus den dargelegten arzneimittelrechtlichen Gründen scheitern muss. Deswegen kommt es auch auf eine Folgenbetrachtung ausschlaggebend nicht an; diese müsste - wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend dargelegt hat - zu Lasten des Antragstellers ausgehen, zumal eine lebenserhaltende oder lebensverlängernde Leistung nicht in Rede steht.
Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers ändert nichts. Der Antragsteller leidet unbestritten an belastenden Krankheitsfolgen, wobei ihm die Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin in der Vergangenheit offenbar Linderung verschaffen konnte. Das genügt nach den vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätzen für sich allein jedoch nicht, um die Krankenkasse zur Gewährung von Leistungen zu verpflichten, die den einschlägigen Gesetzesbestimmungen des Arzneimittel- bzw. des Krankenversicherungsrechts widersprechen. Um eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine mit solchen Erkrankungen wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung i. S. d. § 2 Abs. 1a SGB V handelt es sich bei dem Blasenleiden des Antragstellers nicht. Unbeachtlich wäre schließlich auch, wenn die Behandlung von der Hochschulambulanz der Universitätsklinik T. (§ 117 SGB V) erbracht würde, da dies auf den Leistungsanspruch des Versicherten keine Auswirkungen hat (BSG, Urt. v. 8.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -).
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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