L 5 KR 2726/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 4640/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 2726/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30.05.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Kontaktlinsen.

Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie bat die Beklagte um Prüfung der Übernahme von Kosten für Kontaktlinsen und legte einen augenärztlichen Befundbericht über eine allergiebedingte Brillenunverträglichkeit vor. Die Beklagte teilte ihr mit Schreiben vom 31.05.2010 mit, eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse scheide leider aus, da die Voraussetzungen für die Verordnung von Sehhilfen nicht erfüllt seien. Brillen bzw. Kontaktlinsen seien als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 14.06.2010 Widerspruch und wies darauf hin, sie leide an einer sehr starken Hornhautverkrümmung und sei, da sie wegen verschiedener Allergien ein Brillengestell nicht tragen könne, auf eine "Alternativsehhilfe" angewiesen. Zu den Akten gelangte in der Folgezeit ein Befundbericht von Dr. R. von der Augenklinik der Universitätsmedizin M., der im Zusammenhang mit der Abklärung eines Glaukoms ausführte, da die Klägerin anamnestisch unter einer Allergie gegen Nickel, Titan und Gold leide und deshalb keine Brille tragen könne, werde die Anpassung formstabiler Kontaktlinsen zu Lasten der Krankenkasse empfohlen.

Nach Auswertung der aktenkundigen Befundberichte teilte der MDK in einem sozialmedizinischen Gutachten vom 03.09.2010 mit, die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung seien nicht erfüllt. Brillen und Kontaktlinsen gehörten bei erwachsenen Versicherten in die Eigenverantwortlichkeit, eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung sei vom Gesetzgeber für den Regelfall nicht mehr vorgesehen. Eine Kontaktlinsenversorgung sei nur dann verordnungsfähig, wenn es sich aus besonderen medizinischen Gründen um eine therapeutische Versorgung handele (bspw. bei Keratokonus mit einem Hornhautradius applical ( 7mm). Ein solcher Befund liege bei der Klägerin nicht vor, so dass eine Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unabhängig von den geltend gemachten Allergien nicht vorliege.

Daraufhin erteilte die Beklagte am 06.09.2010 einen förmlichen Ablehnungsbescheid und führte ergänzend aus, dass Sehhilfen für volljährige Versicherte seit dem 01.01.2004 nur noch verordnungsfähig seien, wenn nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation auf beiden Augen eine schwere Sehbehinderung mindestens der Stufe eins vorliege. Hiervon könne nur dann ausgegangen werden, wenn die Sehschärfe (Visus) bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder möglichen Kontaktlinsenkorrektur auf dem besseren Auge maximal 0,3 betrage. Hiergegen erhob die Klägerin am 13.09.2010 Widerspruch und trug nochmals vor, sie könne wegen verschiedener Allergien weder ein Brillengestell aus Kunststoffen noch ein Brillengestell aus Metall tragen. Daher benötige sie zum Ausgleich ihrer Sehminderung eine Versorgung mit Kontaktlinsen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2010 zurück.

Am 28.12.2010 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht und machte ergänzend geltend, sie sei wegen einer angeborenen, extremen Hornhautverkrümmung seit der Kindheit auf eine Sehhilfe angewiesen. In den 80er Jahren seien verschiedene Allergien, insbesondere auf Gold, Nickel und Titan sowie auf Kunststoffweichmacher festgestellt worden. Daher könne sie eine Brille nicht benutzen und benötige Kontaktlinsen. Ihr Anliegen sei, dass ihre Metallunverträglichkeit dem "Bundessonderausschuss" zur endgültigen Entscheidung vorgelegt werde. Im Übrigen verstehe sie nicht, weshalb das Gericht im Vorfeld den Allergiepass und Angaben zu den Behandlungen bei einem Hautdermatologen angefordert habe.

Das Sozialgericht befragte die behandelnden Ärzte der Augenklinik des Klinikums M. als sachverständige Zeugen und teilte die in der Hilfsmittelrichtlinie vom Gemeinsamen Bundesausschuss zusammengefassten Voraussetzungen für die Verordnung einer Sehhilfe oder von Kontaktlinsen mit. Dr. H. berichtete mit Schreiben vom 04.03.2011 über eine ambulante Behandlung der Klägerin am 23.08.2010 sowie einen stationären Aufenthalt vom 06.12.2010 bis zum 08.12.2010. Als Diagnosen nannte er Hyperopie, Astigmatismus, vitale Papille. Ein Glaukom sei nicht diagnostiziert worden. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in der Hilfsmittelrichtlinie zusammengefassten Voraussetzungen für die Verordnung einer Sehhilfe oder einer Kontaktlinse erfülle die Klägerin nicht.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.05.2011 zurück. § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V schränke den Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen für volljährige Versicherte ein. Diese Versicherten könnten eine Sehhilfe nur dann beanspruchen, wenn sie aufgrund ihrer Sehschwäche oder Blindheit entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung auf beiden Augen einer Schweresehbeeinträchtigung mindestens der Stufe eins aufwiesen. Darüber hinaus könnten therapeutische Sehhilfen nur dann beansprucht werden, wenn diese zur Behandlung einer Augenverletzung oder einer Augenerkrankung erforderlich seien. Die weiteren Einzelheiten seien durch eine Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses festgelegt. Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben stehe fest, dass die Klägerin nicht einmal die Versorgung mit einer Brille beanspruchen könne. Denn eine therapeutische Sehhilfe zur Behandlung einer Augenverletzung oder einer Augenerkrankung sei nicht erforderlich. Vielmehr ziele die Sehhilfe vorliegend einzig auf den Ausgleich der vorliegenden Sehminderung ab, ohne einen therapeutischen (also die Sehschwäche verbessernden) Effekt zu haben. Darüber hinaus stehe fest, dass die Sehminderung der Klägerin nach den maßgeblichen Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation nicht das Ausmaß der Stufe eins erreiche. Dies werde von Dr. H. in seiner Zeugenauskunft vom 04.03.2011 ausdrücklich bestätigt. Vor diesem Hintergrund scheide ein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen von vornherein aus. Denn ein solcher Anspruch könne nach § 33 Abs. 3 SGB V nur in zwingenden medizinischen Fällen bestehen und beschränke sich auf Versicherte, die die Voraussetzungen für eine Versorgung mit einer Sehhilfe nach § 33 Abs. 2 SGB V erfüllten. Vor diesem Hintergrund sei nicht zu überprüfen, ob die Klägerin tatsächlich aus medizinischen Gründen wegen ihrer Allergien nicht in der Lage ist, ein Brillengestell zu tragen. Denn sie erfülle nicht einmal die Voraussetzungen für die Versorgung mit einer Brille. Es würde deshalb eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung der Klägerin darstellen, wenn sie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung mit Kontaktlinsen versorgt würde. Hieran könnten auch die Argumente der Klägerin nichts ändern: Wenn sie eine Vorlage an den Gemeinsamen Bundesausschuss anrege, müsse dem entgegengehalten werden, dass ein solches Initiativrecht für das Gericht nicht vorgesehen sei. Darüber hinaus habe das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 ausdrücklich bestätigt, dass die Beschränkung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auf einen fest definierten Leistungskatalog rechtmäßig sei. Wegen des Grundrechtes auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG) könne etwas anderes nur in besonderen Ausnahmefällen für schwere, also regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen gelten (Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98). Hiervon könne vorliegend jedoch offenkundig keine Rede sein. Es wäre deshalb gar nicht erforderlich gewesen, Unterlagen bzw. Auskünfte zu ihren Allergien und zu den hautärztlichen Behandlungen anzufordern. Auf das Prozessergebnis wirke sich die dennoch erfolgte Anfrage des Gerichts aber nicht aus.

Gegen den ihr am 03.06.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.06.2011 Berufung eingelegt, die sie im Wesentlichen damit begründet hat, dass von der Augenklinik in M. (Dr. R.) aufgrund der bestehenden Allergien die Versorgung mit Kontaktlinsen "zu Lasten der Krankenkasse" empfohlen worden sei. Im Übrigen wünsche sie erneut eine Sonderregelung durch den "Bundessonderausschuss in Karlsruhe".

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30.05.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 06.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer Kontaktlinsenversorgung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Mit Beschluss vom 31.07.2012 hat der Senat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz auf die Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 07.08.2012 und vom 13.09.2012 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG - ohne mündliche Verhandlung und in der Besetzung mit der Berichterstatterin als Vorsitzender und den ehrenamtlichen Richtern, da der Rechtsstreit durch Beschluss des Senats vom 31.07.2012 nach § 153 Abs. 5 SGG auf die Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden ist. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden.

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Übernahme der Kosten für eine Kontaktlinsenversorgung abgelehnt. Die Klägerin hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend darauf abgestellt, dass die Voraussetzungen für die Versorgung mit Kontaktlinsen für die Klägerin schon deshalb nicht gegeben sind, weil sie die Voraussetzungen für die Kostenerstattung für eine Brille nicht erfüllt.

Nach § 33 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Fünftes Buch - SGB V - besteht ein Anspruch auf Versorgung mit einer Sehhilfe nur für Versicherte, die aufgrund ihrer Sehschwäche oder Blindheit auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung aufweisen. Hierzu hat das Sozialgericht mit der Anfrage bei der Augenklinik in M. Ermittlungen angestellt. In der Stellungnahme von Dr. H. vom 04.03.2011 ist ausdrücklich ausgeführt worden, dass die Voraussetzungen für die Verordnung einer Sehhilfe oder einer Kontaktlinse, wie sie sich aus den Hilfsmittelrichtlinien ergeben, bei der Klägerin nicht erfüllt sind. Schon aus diesem Grund besteht kein Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen, ohne dass es dabei auf die weitergehende Frage der allergiebedingten Unverträglichkeit einer Brille ankommt.

Auf die Empfehlung von Dr. R. vom 15.10.2009 kann sich die Klägerin nicht berufen. Seine Empfehlung zur Anpassung von formstabilen Kontaktlinsen "zur Lasten der Krankenkasse" berücksichtigt nicht, dass die Voraussetzungen dafür eben gerade nicht vorliegen. Dies ergibt sich aber eindeutig aus dem späteren Schreiben der Augenklinik der Universität M. vom 04.03.2012. Wenn Dr. R. unzutreffend davon ausgegangen ist, dass eine Kostenübernahme durch die beklagte Krankenkasse erfolgen kann, begründet dies als solches für die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenübernahme. Ein solcher Anspruch richtet sich allein nach den gesetzlichen Zahlungspflichten der beklagten Krankenkasse. Diese erstrecken sich im Fall der Klägerin schon aufgrund der - nur geringeren - Fehlsichtigkeit nicht auf die Versorgung mit einer Sehhilfe oder mit Kontaktlinsen. Die dafür entstehenden Kosten unterfallen - wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat - der Eigenvorsorge und sind deshalb von der Klägerin selbst zu tragen.

Dass - wie die Klägerin vorträgt - vom Sozialgericht beabsichtigt gewesen sei, eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses -GBA- zur Kostenübernahme von Kontaktlinsen bei allergiebedingter Brillenunverträglichkeit anzufordern, ist den Akten des Sozialgerichts nicht zu entnehmen. Vielmehr hat die Klägerin selbst dies in ihrem Schreiben vom 18.04.2011 angeregt, und zwar nachdem ihr der rechtliche Hinweis des Sozialgerichts auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage vom 12.04.2011 zugegangen war. Abgesehen davon, dass eine Befassung des GBA im gerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist, gibt der vorliegende Sachverhalt schon deshalb keine Veranlassung für eine solche Befassung, da bereits die Grundvoraussetzung einer schweren Sehbeeinträchtigung für die Versorgung mit Sehhilfen nicht vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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