L 1 AS 1026/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 4824/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 1026/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 06.02.2012 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung von Einkommen während des Bezugs von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit.

Der 1945 geborene Kläger übte bis zum 15.06.2000 eine selbstständige Tätigkeit im Bereich Montage-Trockenbau aus. Danach war er bis November 2006 als Angestellter der Firma M. R. H. Trockenbau tätig, deren Inhaberin seine Lebensgefährtin M.-G. W. war. Mit Bescheid vom 25.01.2007 wurde ihm und seiner mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Lebensgefährtin und deren 1995 geborenen Sohn Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe von 559,02 EUR monatlich für die Zeit vom 01.12.2006 bis zum 31.05.2007 gewährt, wobei ein regelmäßiger Arbeitslohn der Lebensgefährtin angerechnet wurde. Mit Folgebescheid vom 09.05.2007 wurde Alg II in Höhe von monatlich 558,47 EUR für die Zeit vom 01.06.2007 bis 30.11.2007 (modifiziert durch Änderungsbescheide vom 26.07.2007 und 17.01.2008 auf 516,77 EUR für Juni 2007, 471,80 EUR Juli 2007, 609,45 EUR für August 2007, 695,34 EUR für September 2007, 667,62 EUR für Oktober 2007 und 157,36 EUR für November 2007 aufgrund einer Erhöhung der Nebenkostenpauschale und schwankenden Einkommens der Lebensgefährtin) und durch weiteren Folgebescheid vom 13.12.2007 Alg II in Höhe von 558,87 EUR monatlich für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.05.2008 bewilligt.

Am 28.01.2010 erfuhr der Beklagte durch die Polizeidirektion L., dass der Kläger im März Zahlungseingänge der Firma W. & M. GmbH und Co. KG (fortan: Firma W.& M.) aus S. gehabt habe. In einer im März 2007 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung habe der Kläger dies nicht angegeben, weswegen die Staatsanwaltschaft H. ein Ermittlungsverfahren wegen falscher eidesstattlicher Versicherung u.a. einleitete (Az. 52 Js 14105/09). Beigefügt waren Kontoauszüge, in denen ein Zahlungseingang seitens der Firma W. & M. GmbH und Co.KG am 27.03.2007 (Wertstellung) über Beträge von 255,- EUR, 434,60 EUR, 510,- EUR sowie 3.230,- EUR zu Gunsten der Firma M. R. H. Trockenbau hervorging.

Der Beklagte hörte den Kläger dazu an, dass von zurückgewährten Sicherheitsleistungen für Bauleistungen in Höhe von 4.429,60 EUR ausgegangen werde und beabsichtigt sei, diese als Einkommen auf das bereits gewährte Alg II für die Zeitdauer von 10 Monaten in Höhe von 442,96 EUR monatlich unter Anrechnung eines Freibetrags von 30,- EUR anzurechnen. Der Kläger habe Einkommen oder Vermögen erzielt, dass zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hätte, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Weitere volljährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhielten eine gesonderte Anhörung.

Der Kläger äußerte sich am 24.03.2010 dahingehend, dass ihm der Vorgang nicht bekannt sei.

Mit zwei Bescheiden von 14.04.2010 hob der Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Monate März bis Dezember 2007 wegen geringerer Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 SGB II teilweise auf, wobei er für den Erstattungszeitraum 01.03.2007 bis 31.05.2007 (1. Bescheid) eine Forderung von 493,44 EUR nach §§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X wegen zusätzlichen Einkommens und für den Erstattungszeitraum vom 01.06.2007 bis zum 31.12.2007 (2. Bescheid) eine Forderung von 1.041,37 EUR nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X wegen grob fahrlässig unvollständiger Angaben geltend machte.

Mit weiteren Bescheiden vom 14.04.2010 machte der Beklagte Erstattungsforderungen auch gegenüber der Lebensgefährtin des Klägers und ihrem Sohn aufgrund desselben Lebenssachverhalts geltend.

Ein Widerspruch des Klägers gegen die an ihn gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide wurde zunächst nicht aktenkundig. Mit Schreiben vom 20.10.2010 behauptete der Kläger, Widerspruch gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide eingelegt zu haben, wobei er eine Kopie eines Widerspruchsschreibens vom 23.04.2010 der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gegen sämtliche Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vorlegte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2010 wurde der Widerspruch des Klägers wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien nicht ersichtlich. Im anschließenden Klageverfahren S 22 AS 7810/10 vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) wurde am 17.05.2011 ein Vergleich dahingehend geschlossen, dass der Kläger die Klagerücknahme erklärte und der Beklagte sich verpflichtete, das Schreiben des Klägers als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X zu werten.

Mit Bescheid vom 07.06.2011 lehnte der Beklagte eine Korrektur "des Bescheides" vom 14.04.2010 mit der Begründung ab, dass die im März 2007 zugeflossenen Einkünfte aus Sicherheitsleistungen kein Vermögen nach § 12 SGB II darstellten, da es sich nicht um freiwillig angesparte Mittel handele. Es handele sich um einmaliges Einkommen nach § 11 SGB II, welches auf die Leistungen anzurechnen sei. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 14.04.2010 sei somit zu Recht ergangen.

Der Kläger begründete seinen Widerspruch am 01.07.2011 damit, dass es sich bei den im März zugeflossenen Einkünften aus Sicherheitsleistungen sehr wohl um freiwillig angesparte Mittel im Sinne von § 12 SGB II handele. Die Mittel seien von den Firmen, für die damals die Firma W. Montagebau tätig gewesen sei (Zeitraum 2000 bis 2002) zur Sicherheit auf fünf Jahre zurückgelegt worden. Dies habe auf der Vorschrift des § 13 b der VOB beruht. Weil dieses Geld dann aber über diesen Zeitraum nicht zur Verfügung gestanden habe, handele es sich um freiwillig angesparte Mittel.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2011 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Der Bescheid vom 07.06.2011 entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Das Zuflussprinzip besage, dass als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II grundsätzlich alles zu berücksichtigen sei, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhalte. Für den Einsatz von Einkommen (und Vermögen) sei deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit ausschlaggebend, nicht notwendig dagegen eine Zweckbestimmung. Allein entscheidend sei, ob mit den eingehenden Geldwertmitteln ein notwendiger Hilfebedarf gedeckt werden könne (mit Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 16.12.2008 - B 4 AS 70/07 R -, vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R - und - B 4 AS 57/07 R -, vom 30.07.2008 - B 14 AS 26/07 R - und vom 18.02.2010 - B 14 AS 86/08 R -). Die Zuordnung eines Einkommenszuflusses zu einem bestimmten Bedarfszeitraum hänge grundsätzlich nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Bedarfszeitraums das Einkommen zufließe (mit Hinweis auf BVerwG 5 C 68/03). Das Einkommen bzw. die Einnahmen würden in dem Monat berücksichtigt, in dem sie den Hilfebedürftigen zuflössen.

Am 18.08.2011 hat der Kläger erneut beim SG Klage erhoben. Tatsächlich habe er im März 2007 einen Betrag von der Firma W. & M. GmbH Bauunternehmung S. in Höhe von 4.429,60 EUR erhalten. Dieser Betrag habe sich aus Sicherheitsleistungen in den Jahren 2000 bis 2002 ergeben und resultiere aus einer "früheren Selbstständigkeit der Firma W. Montagebau". In § 12 SGB II werde dieser Betrag als verwertbares Vermögen bewertet. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte die Einkünfte aus Sicherheitsleistungen nicht als Vermögen qualifiziere. Es stelle sich die Frage, wie man als normaler Mensch etwas ansparen könne, wenn nicht durch der Hände Arbeit, und der genannte Betrag sei nun einmal mit den Händen erarbeitet worden. Dementsprechend seien auch die Vermögensfreibeträge vom Beklagten zu berücksichtigen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.02.2012 abgewiesen. Der Beklagte habe die Eingänge auf dem Konto des Klägers zutreffend als Einkommen bewertet und in nicht zu beanstandender Weise auf dessen Alg II-Leistungen angerechnet. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 08.02.2012 zugestellt.

Der Kläger hat am 07.03.2012 beim SG Berufung eingelegt. Er habe sein selbständiges Gewerbe im Bereich Montage-Trockenbau bereits zum Juli 2000 aufgegeben und danach als Angestellter für die Firma W. Montagebau weitergearbeitet. Deswegen seien die ausbezahlten Sicherheitsleistungen eindeutig der ehemaligen Geschäftsbeziehung zwischen den Firmen W. Montagebau und W. & M. zuzuordnen. Dass die Firma W. & M. den Betrag dann fälschlicherweise an ihn persönlich ausgezahlt habe, sei auf sein kaufmännisches Missverständnis zurückzuführen, woran er sicherlich die Hauptschuld trage und was er auch sehr bedauere. Die ausgezahlte Sicherheitsleistung sei auch deswegen als Vermögen und nicht als Einkommen zu bewerten, da üblicherweise der Einbehalt in der Regel von 5 % der Bankbürgschaft umgehend nach Stellung der Endrechnung ausbezahlt werde. Auf diesen Vorgang habe die Firma W. damals mit Rücksprache mit der Firma W. & M. bewusst verzichtet, um die Geldbeträge für später anzusparen. Bereits hieraus ergebe es sich, dass es sich um Vermögen handele. Mit Schriftsatz vom 22.08.2012 führte der Kläger zum Hintergrund der ihm überwiesenen Beträge aus, dass es sich um fällige Forderungen aus Bauleistungen gegenüber der Firma W. & M. gehandelt habe, die vorübergehend bewusst nicht geltend gemacht worden seien, um etwas Vermögen anzusparen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 06.02.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 07.06.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.07.2011 zu verurteilen, die ihn betreffenden Bescheide vom 14.04.2010 aufzuheben und entsprechende höhere Leistungen wieder zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Zufluss der streitgegenständlichen 4.429,60 EUR sei unstreitig im März 2007 erfolgt. Damit sei die zugrundeliegende Forderung erst im März 2007 realisiert bzw. fällig gestellt worden und als zu diesem Zeitpunkt erzieltes Einkommen zu behandeln.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 SGG statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage zulässig, weil der Beklagte im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X rückwirkend die erneute Gewährung höherer Leistungen abgelehnt hat (BSG, Urteil vom 09.06.2011 - B 8 AY 1/10 R BSG - SozR 4-1300 § 44 Nr. 22; BSG SozR 4-4200 § 122 Nr. 8 Rn. 9).

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb u.a. Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Über die Rücknahme entscheidet (nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts) die zuständige Behörde (§ 44 Abs. 3 SGB X); es gelten dabei die allgemeinen Regelungen (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 44 Rn. 37).

Die den Kläger betreffenden bestandskräftigen teilweisen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 14.04.2010 sind jedoch rechtmäßig und waren daher nicht zu korrigieren.

Die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14.04.2010 betreffend die Rückforderung für die Zeit vom 01.03.2007 bis zum 31.05.2007 (Leistungsbescheid vom 25.01.2007 für die Zeit vom 01.12.2006 bis zum 31.05.2007) beurteilt sich nach § 40 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also die Bescheide vom 25.01.2007, 09.05.2007, 26.07.2007 und vom 13.12.2007, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wegen § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (in der vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung) i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III (in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung) ist diese Rechtsfolge zwingend (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 132/11 R -). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, da der Kläger nach der Bewilligung von Alg II Einkommen erzielt hat, welches auf den Leistungsanspruch anzurechnen ist.

Die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14.04.2010 betreffend die Rückforderung für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 31.12.2007 (Leistungsbescheide vom 09.05.2007, vom 26.07.2007 und vom 13.12.2007) beurteilt sich nach § 40 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach Abs. 2 Satz 2 in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach Abs. 2 Satz 3 indes unter anderem dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2 der Vorschrift). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift in Verbindung mit den § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (in der vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung) i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III (in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung) sind erfüllt, weil der Kläger während des Alg II-Bezugs nicht davon ausgehen konnte, dass die ihm zuteil gewordene erhebliche Kontogutschrift nicht auf seinen Bedarf anzurechnen sein könnte. Auch hier ist die Aufhebungsentscheidung eine zwingende Entscheidung, bei der ein Ermessen nicht auszuüben ist.

Der Kläger hat unstreitig am 27.03.2007 auf seinem persönlichen Girokonto eine Gutschrift aufgrund einer Überweisung der Firma W. & M. in Höhe von insgesamt 4.429,60 EUR erhalten. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass es sich hierbei um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II handelte, so dass die höheren Freibeträge des § 12 SGB II keine Anwendung fanden.

Insoweit ist es zunächst irrelevant, ob die zugrundeliegenden Sicherheitsleistungen dem Kläger, der Firma M. R. H. Trockenbau oder der Firma W. zustanden, denn der Geldbetrag ist auf dem Konto des Klägers als ihm zustehend und zu seiner Verfügung eingegangen und auch von ihm verwendet worden. Offen bleiben kann daher, wem die der Sicherheitsleistung zugrundeliegenden Werkforderungen zustanden, dem Kläger selbst, der Firma W. oder der Firma M. R. H. zumal auch in allen Fällen über die vorliegende Bedarfsgemeinschaft eine Anrechnung als verfügbares Einkommen erfolgen müsste, vgl. § 9 Abs. 2 SGB II.

Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen, was er bereits vor Antragstellung hatte. Dabei ist nach § 11 SGB II im Falle der Erfüllung einer (Geld-)Forderung grundsätzlich nicht ihr Schicksal von Bedeutung, sondern es ist allein die Erzielung von Einnahmen in Geld oder Geldeswert maßgebend. Auch für Rückerstattungen von Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen ist nicht etwa von dieser Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen abzuweichen (BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 139/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 55, Rn. 16 m.w.N.; BSG SozR 4-4200 § 9 Nr. 5, Rn. 37).

Das BSG hat auch bereits entschieden, dass nach einem allgemeinen Grundsatz während der Hilfebedürftigkeit zugeflossenes Einkommen zur Bedarfsdeckung heranzuziehen ist und bei der Anrechnung von Einkommen regelmäßig auf den Zeitraum des Erzielens von Einkommen in Geld oder Geldeswert und nicht auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem es "erwirtschaftet" wurde (zuletzt BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 132/11 R -, für SozR 4-0000 vorgesehen; BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15, jeweils Rn. 18; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr. 17, Rn. 23 ff.). Demgemäß kann der Kläger auch nicht mit seinem Argument durchdringen, dass die früheren Zeiträume, in denen er die als Sicherheit einbehaltenen Werklöhne erarbeitet hat, maßgeblich seien und deswegen ein vor dem Alg II-Bezug erwirtschaftetes Vermögen vorliege. Maßgeblich ist demnach, dass der Kläger vor dem 27.03.2007 keinen Zufluss dieser Gelder zu verzeichnen hatte und erst mit der erstmaligen Realisierung der Forderungen am 27.03.2007 ein Zufluss erfolgt ist, der als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II zu bewerten ist.

Zwar ist als Ausnahme von diesem Grundsatz anerkannt, dass ein auf längere Zeit angelegtes Sparguthaben auch bei seiner Auszahlung Vermögen bleibt (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr. 16, Rn. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R -, sowie BVerwG, Urteile vom 18.02.1999 - 5 C 16/98, NJW 1999, 3210 f. = juris Rn. 16, und 5 C 14/98, NJW 1999, 3137 f. = juris Rn. 15). Hierfür erforderlich wäre aber, dass mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde.

Anders verhielt es sich aber bei dem Geldzufluss des Klägers, da das Geld mit der Wertstellung auf seinem Girokonto am 27.03.2007 erstmalig in seinen Verfügungsbereich gelangte und die Einkünfte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht "erlangt" waren. Da der Überweisung eine Sicherungsabrede für Bauleistungen zugrunde lag, kann nicht davon ausgegangen werden, dass vor diesem Zeitpunkt ein dem Kläger zustehendes, ihm grundsätzlich nicht mehr entziehbares Vermögen vorlag. Zwar erscheint es entsprechend dem klägerischen Vortrag denkbar, dass der Kläger mit der Fa. W. & M. eine entsprechende Vereinbarung, wonach das Geld bei der Fa. W. & M. angespart werden solle, getroffen hat. Eine Gleichstellung mit Vermögen im Sinne des § 12 SGB II wäre aber hierdurch nicht veranlasst. Eine Treuhandvereinbarung, die dem Kläger eine Position vergleichbar einem Vermögensinhaber verschafft hätte, wäre hierdurch noch nicht entstanden. Aufgrund der Geschäftsbeziehung mit der Fa. W. & M. musste der Kläger befürchten, dass das von der Fa. W. & M. zurückgehaltene und auf ihren Namen angelegte Geld seinem Zugriff entzogen werden konnte, was durch vielerlei Fallgestaltungen denkbar gewesen wäre (Aufrechnung durch die Fa. W. & M. aus Gründen der Gewährleistung, Insolvenz oder Kontenpfändung bei der Fa. W. & M., etc.). Eine Erzielung von Einkommen aufgrund der erbrachten Bauleistungen hinsichtlich des streitgegenständlich Geldbetrags lag damit erstmalig am 27.03.2007 vor. Der Kläger musste und konnte auch wissen, dass das an ihn überwiesene und von ihm verwendete Geld nicht ohne Auswirkungen auf die Berechnung seiner Bedürftigkeit nach dem SGB II bleiben würde.

Eine entsprechende Bewertung wird durch das BSG auch für den Erbfall angenommen, bei dem aufgrund der in § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelten Gesamtrechtsnachfolge ein unmittelbarer Einkommenszufluss angenommen wird; anderes gilt aber, wenn lediglich eine Forderung gegen den Nachlass entsteht, welche erst dann als zugeflossen gilt, wenn die Forderung tatsächlich auch realisiert wird (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 45/09 R -, SozR 4-4200 § 11 Nr. 36; BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R -, veröffentlicht in juris). Auch der Kläger hatte vorliegend seine Forderungen bzw. die Forderungen des Betriebes seiner Lebensgefährtin erst am 27.03.2007 realisiert.

Auch für Nachzahlungen von Arbeitsentgelt und Abfindungen in Raten aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich, die nach Antragstellung zugeflossen sind, gilt, dass diese erst im jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen sind, obwohl sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt erwirtschaftet worden sind. Diese Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen nach dem Zeitpunkt der Antragstellung begründet auch keine unzulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 86/08 R -, veröffentlicht in juris).

Diese Bewertung dient insbesondere auch dem Schutz der Hilfebedürftigen. Denn wie schon das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zur Sozialhilfe entschieden hat, darf der Hilfesuchende wegen seines gegenwärtigen Bedarfs nicht auf Mittel verwiesen werden, die ihm erst in der Zukunft tatsächlich zur Verfügung stehen (BVerwG, Urteil vom 22.04.2004 - 5 C 68.03 - BVerwGE 120, 343). Auch im SGB II ist das Erfordernis der aktuellen Verfügbarkeit von Mitteln zur Bedarfsdeckung gesetzlich verankert. § 9 Abs. 1 SGB II bringt zum Ausdruck, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für denjenigen erbracht werden sollen, der sich nach seiner tatsächlichen Lage selbst helfen kann. Entscheidend ist daher der tatsächliche Zufluss "bereiter Mittel" (BSG, Urteil vom 25.01.2012 - B 14 AS 101/11 R -, BSGE 101, 291; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr. 9 Rn. 20; BSG, Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 39 Rn. 29). Dementsprechend hätte der Kläger im Rahmen eines SGB II-Verfahrens zu einem Zeitpunkt vor dem 27.03.2007 auch nicht auf die Verwertbarkeit der noch nicht ausgezahlten Sicherungseinbehalte verwiesen werden können.

Es handelt sich auch nicht um eine privilegierte zweckbestimmte Leistung im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II in der vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, worauf der Vortrag des Klägers hindeuten könnte, es handele sich um absprachegemäß einbehaltene Zahlungen für seine Altersvorsorge. Denn eine auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung ist nur dann im Sinne dieser Vorschrift zweckbestimmt und privilegiert, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen ist (BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 86/08 R -, veröffentlicht in juris, m.w.N.). Dies war vorliegend nicht der Fall. Sonstige Vorschriften, wonach das Einkommen des Klägers ganz oder teilweise nicht als Einkommen anzurechnen wäre, sind nicht ersichtlich.

Der Beklagte hat auch die Anrechnung des festgestellten Einkommens in zutreffender Weise vorgenommen. Eine einmalige Einnahme, die nach der Antragstellung zufließt, ist grundsätzlich bis zu ihrem Verbrauch als Einkommen bei der Berechnung der Alg II - Leistung zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R -, BSGE 101, 291).

Hiervon ausgehend hat der Beklagte auch zutreffend den Gesamtbetrag in Höhe von 4429,60 EUR zur Anrechnung herangezogen, wobei zunächst eine monatliche Versicherungspauschale von 30 EUR abzusetzen war, § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Alg II-Verordnung (Alg II-V) in der im Jahr 2007 geltenden Fassung. Der Beklagte hat diesen Betrag auch zutreffend für die Anrechnung auf einen Anrechnungszeitraum von 10 Monaten verteilt. Das Einkommen war monatlich im Verhältnis zum Bedarf des Klägers in der Bedarfsgemeinschaft auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen, § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung; damit verblieb ein auf den Kläger entfallender Anteil von anzurechnendem Einkommen in Höhe von 1.534,81 EUR (vgl. die Berechnungen des Beklagten auf Bl. 276 ff. der Verwaltungsakte und die ergänzend vorgelegten Erläuterungen vom 17.10.2012, Bl. 45 ff. der LSG-Akte). Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Beklagten vorgenommene Anrechnung rechnerisch unzutreffend ist, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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