Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 4256/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1489/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 05. März 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Der am 1973 geborene Kläger ist Mitglied bei der beklagten Pflegekasse. Er leidet unter einer frühkindlichen spastischen Cerebralparese bei Schwerhörigkeit beidseits. Er besuchte die Schule für Körperbehinderte in E., absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Bürofachkraft und arbeitete in diesem Beruf. Seit ca. 2010 bezieht er Rente wegen Erwerbsminderung. Er kann lesen, rechnen und schreiben, ist vollständig orientiert. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung liegt nicht vor. Der Kläger lebt allein und wird von seiner in der Nachbarschaft lebenden Mutter und von seiner Tante gepflegt. Er ist mit einem Hörgerät, Unterarmgehstützen, Handgehstock und WC-Sitzerhöhung versorgt sowie mit einem Rollstuhl, den er außer Haus verwendet. Der Kläger fährt ein auf Handbetrieb umgerüstetes Auto. Eine Reha-Maßnahme in den Kliniken S. führte er 2005 durch.
Am 09. Februar 2010 beantragte er bei der Beklagten Geldleistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch Pflegefachkraft Se., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Diese schätzte in ihrem Gutachten vom 05. März 2010 aufgrund eines Hausbesuches am Vortag den Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 35 Minuten (Körperpflege 21 Minuten, Ernährung drei Minuten, Mobilität elf Minuten).
Ganzkörperwäsche Fünfmal wöchentlich Teilübernahme 10 Minuten Baden Zweimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 6 Minuten Kämmen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Rasieren dreimal wöchentlich Teilübernahme 3 Minuten Stuhlgang Einmal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute mundgerechte Zubereitung der Nahrung Dreimal täglich Volle Übernahme, Teilübernahme 3 Minuten Aufstehen und Zubettgehen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Ankleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 6 Minuten Auskleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 3 Minuten Stehen (Transfer) Zweimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 1 Minute
Es bestünden Spastiken vor allem der Beine, aber auch der Arme, teilweise in den Fingern und in den Zehen mit erschwertem Anziehen der Schuhe, ab und zu Zittern der rechten Hand, teilweise einschießende Spastiken. Aufstehen von Stuhl und Bett sei selbständig möglich, an schlechten Tagen werde Hilfe benötigt. Gehen sei nur mit zwei Handstützen möglich, die Knie könnten nicht durchgebeugt werden. Der Händedruck sei gut, Nacken- und Schürzengriff eingeschränkt, die Feinmotorik sei reduziert, es bestünden Koordinationsstörungen. Der Kläger könne selbständig die Toilette aufsuchen, leide selten unter Inkontinenz, wenn er ca. einmal wöchentlich Durchfall habe oder falls er außer Haus nicht rechtzeitig eine Toilette aufsuchen könne. Der Kläger suche eine Arztpraxis und zweimal wöchentlich eine physikalische Therapie selbständig auf.
Mit Bescheid vom 26. März 2010 lehnte die Beklagte Pflegeleistungen ab. Auf den Widerspruch des Klägers, der einen Pflegebedarf von über 45 Minuten am Tag als gegeben sah und eine erneute Begutachtung erbat, veranlasste die Beklagte das Gutachten der Pflegefachkraft Kn., MDK, vom 21. Juni 2010. Auch Pflegefachkraft Kn. ermittelte einen Grundpflegebedarf von täglich 35 Minuten.
Ganzkörperwäsche Fünfmal wöchentlich Teilübernahme 10 Minuten Baden Zweimal wöchentlich Teilübernahme 6 Minuten Kämmen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Rasieren Einmal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute Stuhlgang Einmal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute Richten der Bekleidung Zweimal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute mundgerechte Zubereitung der Nahrung Dreimal täglich Teilübernahme 3 Minuten Ankleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 7 Minuten Auskleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 4 Minuten Stehen (Transfer) Viermal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute
Der Kläger leide unter rechts- und beinbetonten Spastiken, das Gangbild sei beschwerlich, teilweise unter Benutzung von zwei Handgehstöcken, teilweise unter Benutzung des Rollstuhls. In der Regel komme der Kläger selbständig vom Sitzen und Liegen zum Stehen, zum Teil beschwerlich und zeitverlängert. Der Händedruck sei gut, die Feinmotorik aufgrund der Spastik etwas eingeschränkt. Nacken- und Schürzengriff seien endgradig eingeschränkt durch Spastik und Koordinationsstörungen. Hilfe werde benötigt beim Badtransfer und ca. einmal wöchentlich, wenn die Toilette nicht rechtzeitig erreicht werde. Dann benötige der Kläger Hilfe bei Intimhygiene und Umkleiden. Der Kläger benötige Hilfe beim Waschen der Haare, des Rückens, des Gesäßes und der Beine, beim An- und Auskleiden des Unterkörpers sowie beim Öffnen und Schließen von Knöpfen, beim Stehen und beim Badtransfer. Beim Kämmen benötige er eine Korrektur am Hinterkopf. Der Kläger berichte, ab Juli 2010 einen ? 400-Job in Aussicht zu haben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03. August 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der MDK habe in zwei Gutachten nach Hausbesuchen festgestellt, dass die Voraussetzung der erheblichen Pflegebedürftigkeit beim Kläger nicht vorliege, weil kein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich bestehe.
Der Kläger erhob am 19. August 2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Zur Begründung trug er vor, er benötige bei sämtlichen Körperpflegemaßnahmen Hilfe, da er unter demenzbedingten Fähigkeitsstörungen leide. Die Toilettengänge seien nur teilweise selbständig möglich. Laufende Unterstützung sei notwendig, um Durchfall bei nicht rechtzeitigem Erreichen der Toilette zu vermeiden. Wegen der Mobilitätseinschränkungen sei Hilfe bei zahlreichen Transfers nötig.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und befragte erneut Pflegefachkraft Kn., die in ihrer Stellungnahme vom 28. April 2011 am Gutachten im Widerspruchsverfahren vom 21. Juni 2010 festhielt.
Im Auftrag des SG erstattete Pflegeberaterin und Fachwirtin für Sozialwesen B. nach Hausbesuch am 27. Juli 2010 ihr Gutachten vom 04. August 2011. Darin stellte sie einen täglichen Grundpflegebedarf von 42 Minuten fest (25 Minuten für Körperpflege, drei für Ernährung, 24 Minuten für Mobilität).
Ganzkörperwäsche Fünfmal wöchentlich Teilübernahme 10 Minuten Baden Zweimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 8 Minuten Kämmen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Rasieren einmal wöchentlich Volle Übernahme 2 Minuten Intimhygiene nach Stuhlgang Einmal wöchentlich Volle Übernahme 2 Minuten Richten der Bekleidung Zweimal wöchentlich Volle Übernahme 2 Minuten mundgerechte Zubereitung der Nahrung Dreimal täglich Teilübernahme 3 Minuten An- und Auskleiden gesamt Zweimal täglich Teilweise Übernahme 11 Minuten Stehen (Transfer) Beim Baden Dreimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 3 Minuten
Der Kläger sei stark in seiner Mobilität eingeschränkt mit einschießenden Spastiken in beide Beine, Deformationen und Gefühlsausfällen an den Füßen sowie Störungen der Feinmotorik in den Händen, rechts mehr als links. Die Alltagskompetenzen seien nicht eingeschränkt. Im Innenbereich benötige der Kläger keine Hilfsmittel zur Mobilisation, im Außenbereich benutze er Gehstöcke oder einen Rollstuhl, den er selbständig bewege. Im Bereich der Körperpflege benötige der Kläger am Morgen Unterstützung und Teilübernahme. Mehrmals wöchentlich werde in der Badewanne geduscht oder gebadet. Beim Ein- und Ausstieg sei jeweils Unterstützung erforderlich. Einmal wöchentlich werde beim Friseur eine Nassrasur durchgeführt, unter der Woche rasiere der Kläger sich selbständig elektrisch. Zweimal wöchentlich müsse Kleidung bereitgelegt und teilweise an- und ausgezogen werden. Die Ausscheidungen würden bei erhaltener Kontinenz selbständig erfolgen. Durchschnittlich einmal wöchentlich werde die Toilette zum Stuhlgang nicht rechtzeitig erreicht. Dann bestehe Bedarf für volle Übernahme der Intimpflege und des Wechselns der Bekleidung. Feste Nahrung müsse zerkleinert werden.
Mit Gerichtsbescheid vom 05. März 2012 wies das SG die Klage nach Anhörung der Beteiligten ab. Zur Begründung führte es aus, nach allen drei insoweit übereinstimmenden Gutachten sei das gesetzlich erforderliche Ausmaß von Hilfebedarf für die Pflegestufe I nicht erreicht. Das Gutachten der Sachverständigen B. erscheine hinsichtlich des Hilfebedarfs für Intimreinigung und Bekleidungswechsel mit je 15 Minuten pro Woche jedenfalls für Letzteres recht wohlwollend. Auch sei der Kläger keinesfalls dement und in seinen Alltagskompetenzen nicht eingeschränkt.
Gegen den über seinen Bevollmächtigten am 07. März 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. April 2012, dem Dienstag nach Ostern, Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen.
Der Kläger hat zunächst ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt und eine Pflegefachkraft als Sachverständige benannt. Auf Hinweis der damaligen Berichterstatterin vom 12. Juni 2012, dass zur Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG nur ein Arzt als Sachverständiger benannt werden könne und weiterer Fristsetzung zur Benennung bis 15. Juli 2012, hat er auf gerichtliche Anfrage vom 30. Juli 2012 mit Schriftsatz vom 02. August 2012 zunächst mitgeteilt, einen Pflegesachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt zu haben, sowie mit Schriftsatz vom 08. August 2012 sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Mit Schriftsatz vom 09. Oktober 2012 hat der Kläger beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG von Dr. Z. in H. einzuholen.
Der Kläger beantragt sachgerecht gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 05. März 2012 und den Bescheid vom 26. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. August 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Februar 2010 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu zahlen, hilfsweise nach § 109 SGG ein Gutachten bei Dr. Z. einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Gutachten für zutreffend und das Vorbringen des Klägers in diesen für hinreichend berücksichtigt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG (S 5 P 4256/10) und den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist mit Schriftsatz vom 10. April 2012, eingegangen am selben Tag, form- und fristgerecht erhoben. Die Berufungsfrist gemäß § 151 Abs. 1 SGG von einem Monat nach Zustellung des Urteils vom 05. März 2012 am 07. März 2012 ist gewahrt. Der 07. April 2012 war (Oster-)Sonnabend, so dass gemäß § 64 Abs. 3 SGG die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages, des 10. April (Dienstag), ablief. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben, denn der Kläger begehrt eine unbefristete Zahlung von Pflegegeld, mithin für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide, mit denen die Beklagte die Gewährung von Geldleistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung ablehnte, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch liegen nicht vor.
1. Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 4).
2. Beim Kläger besteht ein täglicher Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von 35 bis 40 Minuten, wobei der Senat - mit dem SG - die von der Sachverständigen B. angenommenen 42 Minuten für eher überhöht hält.
Beim Kläger besteht eine frühkindliche spastische Zerebralparese und Schwerhörigkeit. Der Kläger trägt Hörgeräte und wegen einer Sehminderung eine Brille. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen werden sowohl im Gutachten der Sachverständigen B. als auch der Gutachter des MDK übereinstimmend beschrieben. Der Kläger kann Nacken- und Schürzengriff endgradig eingeschränkt durchführen. Faustschluss und Pinzettengriff der rechten Hand sind unvollständig, der linken Hand möglich. An der rechten Hand bestehen zusätzlich Spastiken und Sensibilitätsstörungen. Im Sitzen ist Bücken bis zu den Knien möglich. Der Kläger kann mit schlenkerndem Gang an der Wand entlang selbständig gehen. Aufstehen und Hinsetzen sind selbständig mühsam möglich.
a) Aufgrund dieser Fähigkeitsstörungen ist ein Hilfebedarf von 20 bis 23 Minuten für Körperpflege plausibel mit Teilübernahme einer Ganzkörperwäsche fünfmal wöchentlich und zweimal wöchentlichem Baden mit Teilübernahme und Beaufsichtigung, zweimal täglichem Kämmen mit Teilübernahme und einmal wöchentlichem Rasieren bei Vollübernahme.
b) Hinsichtlich Darm- und Blasenentleerung besteht allenfalls durchschnittlich einmal pro Woche Hilfebedarf für Intimreinigung infolge des nicht rechtzeitigen Erreichens der Toilette von einer Minute. Hierfür erscheint allerdings die Schätzung von Frau B. mit zwei Minuten täglich überhöht, da die Intimreinigung, also Reinigung des Unterkörpers, dann jeweils 14 Minuten in Anspruch nähme, deutlich mehr als die tägliche Ganzkörperwäsche, bei der nach den übereinstimmenden Einschätzungen der Gutachterinnen Se. und Kn. und der Sachverständigen B. nur eine Teilübernahme beim Waschen von Rücken, Gesäß und Beinen erforderlich ist, die zehn Minuten in Anspruch nimmt. Überhöht erscheint auch die Schätzung für das anschließende Richten der Bekleidung, da die Pflegekraft dies zweimal pro Woche für erforderlich hält, obwohl die Inkontinenz nur einmal pro Woche auftritt.
c) Hinsichtlich des Hilfebedarfs für Ernährung ist angesichts der eingeschränkten Motorik der rechten Hand von einem täglichen Hilfebedarf für das mundgerechte Zerkleinern von drei Hauptmahlzeiten in Teilübernahme von insgesamt drei Minuten auszugehen, was der übereinstimmenden Schätzung der Sachverständigen und Gutachterinnen entspricht.
d) Für Mobilität besteht ein täglicher Hilfebedarf von elf bis 13 Minuten. Der Kläger benötigt Hilfe beim An- und Auskleiden in Form der Teilübernahme, die täglich neun bis elf Minuten in Anspruch nimmt. Der von der Sachverständigen B. angenommene Hilfebedarf für dreimal wöchentlich Stehen (Transfers) beim Baden sind deswegen nicht plausibel, weil die Sachverständige im Rahmen der Körperpflege (nur) zweimal wöchentliches Baden zugrunde legt.
e) Nicht nachvollziehbar sind die Angaben des Klägers in der Klagebegründung, die ersichtlich von falschen Voraussetzungen, nämlich Demenz und Inkontinenz des Klägers ausgehen. Beides liegt nach den übereinstimmenden Feststellungen der Gutachter und Sachverständigen nicht vor.
III.
Der mit Schriftsatz vom 09. Oktober 2012 gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG war abzulehnen, weil er die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte und der Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG).
Durch das Einholen des Gutachtens aufgrund des Antrags vom 09. Oktober 2012 verzögert sich die Erledigung des Rechtsstreits, denn der Senat könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berufung entscheiden. Der Antrag ist auch nicht innerhalb angemessener Frist gestellt worden, was auf grober Nachlässigkeit beruht. Eine grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 109 Rn. 11). Der Kläger hat zwar mit Schriftsatz vom 08. Juni 2012 eine Pflegesachverständige, bei der das Gutachten nach § 109 SGG eingeholt werden soll, benannt. Bei dieser handelte es sich jedoch nicht um eine Ärztin, die allein nach § 109 Abs. 1 SGG als Sachverständige benannt werden kann. Der Wortlaut des § 109 Abs. 1 SGG ist eindeutig, weil er lediglich von einem Arzt spricht (vgl. Urteil des Senats vom 23. Mai 2012 - L 4 P 872/10 - in juris; Revision beim BSG anhängig B 3 P 3/12 R). Als Ausnahmevorschrift ist § 109 Abs. 1 SGG keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der Senat hat den Kläger auf diese Rechtsauffassung hingewiesen und die Frist zur Benennung eines Arztes zweimal bis 23. Juli 2012 verlängert. Der Kläger hat danach zunächst keinen Arzt benannt, der mit der Begutachtung nach § 109 SGG beauftragt werden soll, sondern mitgeteilt, selbst einen Pflegesachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt zu haben, sowie ferner auf entsprechende Anfrage des Senats, mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein, ohne den Antrag nach § 109 SGG wiederholt zu haben. Damit war der Antrag, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, nicht mehr aufrechterhalten (vgl. BSG, Beschluss vom 06. März 2008 - B 5a R 426/07 B - in juris). Der nunmehr am 09. Oktober 2012 gestellte Antrag ist deshalb ein neuer Antrag.
Eine grobe Nachlässigkeit entfällt nicht deshalb, weil nach Behauptung des Klägers sich kein Arzt bereit erklärt habe, ein Gutachten zu erstatten. Dies hätte der Kläger dem Senat rechtzeitig mitteilen müssen und er hätte nicht sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung vorbehaltlos erklären dürfen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
V.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Der am 1973 geborene Kläger ist Mitglied bei der beklagten Pflegekasse. Er leidet unter einer frühkindlichen spastischen Cerebralparese bei Schwerhörigkeit beidseits. Er besuchte die Schule für Körperbehinderte in E., absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Bürofachkraft und arbeitete in diesem Beruf. Seit ca. 2010 bezieht er Rente wegen Erwerbsminderung. Er kann lesen, rechnen und schreiben, ist vollständig orientiert. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung liegt nicht vor. Der Kläger lebt allein und wird von seiner in der Nachbarschaft lebenden Mutter und von seiner Tante gepflegt. Er ist mit einem Hörgerät, Unterarmgehstützen, Handgehstock und WC-Sitzerhöhung versorgt sowie mit einem Rollstuhl, den er außer Haus verwendet. Der Kläger fährt ein auf Handbetrieb umgerüstetes Auto. Eine Reha-Maßnahme in den Kliniken S. führte er 2005 durch.
Am 09. Februar 2010 beantragte er bei der Beklagten Geldleistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch Pflegefachkraft Se., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Diese schätzte in ihrem Gutachten vom 05. März 2010 aufgrund eines Hausbesuches am Vortag den Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 35 Minuten (Körperpflege 21 Minuten, Ernährung drei Minuten, Mobilität elf Minuten).
Ganzkörperwäsche Fünfmal wöchentlich Teilübernahme 10 Minuten Baden Zweimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 6 Minuten Kämmen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Rasieren dreimal wöchentlich Teilübernahme 3 Minuten Stuhlgang Einmal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute mundgerechte Zubereitung der Nahrung Dreimal täglich Volle Übernahme, Teilübernahme 3 Minuten Aufstehen und Zubettgehen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Ankleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 6 Minuten Auskleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 3 Minuten Stehen (Transfer) Zweimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 1 Minute
Es bestünden Spastiken vor allem der Beine, aber auch der Arme, teilweise in den Fingern und in den Zehen mit erschwertem Anziehen der Schuhe, ab und zu Zittern der rechten Hand, teilweise einschießende Spastiken. Aufstehen von Stuhl und Bett sei selbständig möglich, an schlechten Tagen werde Hilfe benötigt. Gehen sei nur mit zwei Handstützen möglich, die Knie könnten nicht durchgebeugt werden. Der Händedruck sei gut, Nacken- und Schürzengriff eingeschränkt, die Feinmotorik sei reduziert, es bestünden Koordinationsstörungen. Der Kläger könne selbständig die Toilette aufsuchen, leide selten unter Inkontinenz, wenn er ca. einmal wöchentlich Durchfall habe oder falls er außer Haus nicht rechtzeitig eine Toilette aufsuchen könne. Der Kläger suche eine Arztpraxis und zweimal wöchentlich eine physikalische Therapie selbständig auf.
Mit Bescheid vom 26. März 2010 lehnte die Beklagte Pflegeleistungen ab. Auf den Widerspruch des Klägers, der einen Pflegebedarf von über 45 Minuten am Tag als gegeben sah und eine erneute Begutachtung erbat, veranlasste die Beklagte das Gutachten der Pflegefachkraft Kn., MDK, vom 21. Juni 2010. Auch Pflegefachkraft Kn. ermittelte einen Grundpflegebedarf von täglich 35 Minuten.
Ganzkörperwäsche Fünfmal wöchentlich Teilübernahme 10 Minuten Baden Zweimal wöchentlich Teilübernahme 6 Minuten Kämmen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Rasieren Einmal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute Stuhlgang Einmal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute Richten der Bekleidung Zweimal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute mundgerechte Zubereitung der Nahrung Dreimal täglich Teilübernahme 3 Minuten Ankleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 7 Minuten Auskleiden gesamt Einmal täglich Teilweise Übernahme 4 Minuten Stehen (Transfer) Viermal wöchentlich Volle Übernahme 1 Minute
Der Kläger leide unter rechts- und beinbetonten Spastiken, das Gangbild sei beschwerlich, teilweise unter Benutzung von zwei Handgehstöcken, teilweise unter Benutzung des Rollstuhls. In der Regel komme der Kläger selbständig vom Sitzen und Liegen zum Stehen, zum Teil beschwerlich und zeitverlängert. Der Händedruck sei gut, die Feinmotorik aufgrund der Spastik etwas eingeschränkt. Nacken- und Schürzengriff seien endgradig eingeschränkt durch Spastik und Koordinationsstörungen. Hilfe werde benötigt beim Badtransfer und ca. einmal wöchentlich, wenn die Toilette nicht rechtzeitig erreicht werde. Dann benötige der Kläger Hilfe bei Intimhygiene und Umkleiden. Der Kläger benötige Hilfe beim Waschen der Haare, des Rückens, des Gesäßes und der Beine, beim An- und Auskleiden des Unterkörpers sowie beim Öffnen und Schließen von Knöpfen, beim Stehen und beim Badtransfer. Beim Kämmen benötige er eine Korrektur am Hinterkopf. Der Kläger berichte, ab Juli 2010 einen ? 400-Job in Aussicht zu haben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03. August 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der MDK habe in zwei Gutachten nach Hausbesuchen festgestellt, dass die Voraussetzung der erheblichen Pflegebedürftigkeit beim Kläger nicht vorliege, weil kein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich bestehe.
Der Kläger erhob am 19. August 2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Zur Begründung trug er vor, er benötige bei sämtlichen Körperpflegemaßnahmen Hilfe, da er unter demenzbedingten Fähigkeitsstörungen leide. Die Toilettengänge seien nur teilweise selbständig möglich. Laufende Unterstützung sei notwendig, um Durchfall bei nicht rechtzeitigem Erreichen der Toilette zu vermeiden. Wegen der Mobilitätseinschränkungen sei Hilfe bei zahlreichen Transfers nötig.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und befragte erneut Pflegefachkraft Kn., die in ihrer Stellungnahme vom 28. April 2011 am Gutachten im Widerspruchsverfahren vom 21. Juni 2010 festhielt.
Im Auftrag des SG erstattete Pflegeberaterin und Fachwirtin für Sozialwesen B. nach Hausbesuch am 27. Juli 2010 ihr Gutachten vom 04. August 2011. Darin stellte sie einen täglichen Grundpflegebedarf von 42 Minuten fest (25 Minuten für Körperpflege, drei für Ernährung, 24 Minuten für Mobilität).
Ganzkörperwäsche Fünfmal wöchentlich Teilübernahme 10 Minuten Baden Zweimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 8 Minuten Kämmen Zweimal täglich Teilübernahme 1 Minute Rasieren einmal wöchentlich Volle Übernahme 2 Minuten Intimhygiene nach Stuhlgang Einmal wöchentlich Volle Übernahme 2 Minuten Richten der Bekleidung Zweimal wöchentlich Volle Übernahme 2 Minuten mundgerechte Zubereitung der Nahrung Dreimal täglich Teilübernahme 3 Minuten An- und Auskleiden gesamt Zweimal täglich Teilweise Übernahme 11 Minuten Stehen (Transfer) Beim Baden Dreimal wöchentlich Teilübernahme, Beaufsichtigung 3 Minuten
Der Kläger sei stark in seiner Mobilität eingeschränkt mit einschießenden Spastiken in beide Beine, Deformationen und Gefühlsausfällen an den Füßen sowie Störungen der Feinmotorik in den Händen, rechts mehr als links. Die Alltagskompetenzen seien nicht eingeschränkt. Im Innenbereich benötige der Kläger keine Hilfsmittel zur Mobilisation, im Außenbereich benutze er Gehstöcke oder einen Rollstuhl, den er selbständig bewege. Im Bereich der Körperpflege benötige der Kläger am Morgen Unterstützung und Teilübernahme. Mehrmals wöchentlich werde in der Badewanne geduscht oder gebadet. Beim Ein- und Ausstieg sei jeweils Unterstützung erforderlich. Einmal wöchentlich werde beim Friseur eine Nassrasur durchgeführt, unter der Woche rasiere der Kläger sich selbständig elektrisch. Zweimal wöchentlich müsse Kleidung bereitgelegt und teilweise an- und ausgezogen werden. Die Ausscheidungen würden bei erhaltener Kontinenz selbständig erfolgen. Durchschnittlich einmal wöchentlich werde die Toilette zum Stuhlgang nicht rechtzeitig erreicht. Dann bestehe Bedarf für volle Übernahme der Intimpflege und des Wechselns der Bekleidung. Feste Nahrung müsse zerkleinert werden.
Mit Gerichtsbescheid vom 05. März 2012 wies das SG die Klage nach Anhörung der Beteiligten ab. Zur Begründung führte es aus, nach allen drei insoweit übereinstimmenden Gutachten sei das gesetzlich erforderliche Ausmaß von Hilfebedarf für die Pflegestufe I nicht erreicht. Das Gutachten der Sachverständigen B. erscheine hinsichtlich des Hilfebedarfs für Intimreinigung und Bekleidungswechsel mit je 15 Minuten pro Woche jedenfalls für Letzteres recht wohlwollend. Auch sei der Kläger keinesfalls dement und in seinen Alltagskompetenzen nicht eingeschränkt.
Gegen den über seinen Bevollmächtigten am 07. März 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. April 2012, dem Dienstag nach Ostern, Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen.
Der Kläger hat zunächst ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt und eine Pflegefachkraft als Sachverständige benannt. Auf Hinweis der damaligen Berichterstatterin vom 12. Juni 2012, dass zur Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG nur ein Arzt als Sachverständiger benannt werden könne und weiterer Fristsetzung zur Benennung bis 15. Juli 2012, hat er auf gerichtliche Anfrage vom 30. Juli 2012 mit Schriftsatz vom 02. August 2012 zunächst mitgeteilt, einen Pflegesachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt zu haben, sowie mit Schriftsatz vom 08. August 2012 sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Mit Schriftsatz vom 09. Oktober 2012 hat der Kläger beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG von Dr. Z. in H. einzuholen.
Der Kläger beantragt sachgerecht gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 05. März 2012 und den Bescheid vom 26. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. August 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Februar 2010 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu zahlen, hilfsweise nach § 109 SGG ein Gutachten bei Dr. Z. einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Gutachten für zutreffend und das Vorbringen des Klägers in diesen für hinreichend berücksichtigt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG (S 5 P 4256/10) und den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist mit Schriftsatz vom 10. April 2012, eingegangen am selben Tag, form- und fristgerecht erhoben. Die Berufungsfrist gemäß § 151 Abs. 1 SGG von einem Monat nach Zustellung des Urteils vom 05. März 2012 am 07. März 2012 ist gewahrt. Der 07. April 2012 war (Oster-)Sonnabend, so dass gemäß § 64 Abs. 3 SGG die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages, des 10. April (Dienstag), ablief. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben, denn der Kläger begehrt eine unbefristete Zahlung von Pflegegeld, mithin für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide, mit denen die Beklagte die Gewährung von Geldleistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung ablehnte, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch liegen nicht vor.
1. Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 4).
2. Beim Kläger besteht ein täglicher Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von 35 bis 40 Minuten, wobei der Senat - mit dem SG - die von der Sachverständigen B. angenommenen 42 Minuten für eher überhöht hält.
Beim Kläger besteht eine frühkindliche spastische Zerebralparese und Schwerhörigkeit. Der Kläger trägt Hörgeräte und wegen einer Sehminderung eine Brille. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen werden sowohl im Gutachten der Sachverständigen B. als auch der Gutachter des MDK übereinstimmend beschrieben. Der Kläger kann Nacken- und Schürzengriff endgradig eingeschränkt durchführen. Faustschluss und Pinzettengriff der rechten Hand sind unvollständig, der linken Hand möglich. An der rechten Hand bestehen zusätzlich Spastiken und Sensibilitätsstörungen. Im Sitzen ist Bücken bis zu den Knien möglich. Der Kläger kann mit schlenkerndem Gang an der Wand entlang selbständig gehen. Aufstehen und Hinsetzen sind selbständig mühsam möglich.
a) Aufgrund dieser Fähigkeitsstörungen ist ein Hilfebedarf von 20 bis 23 Minuten für Körperpflege plausibel mit Teilübernahme einer Ganzkörperwäsche fünfmal wöchentlich und zweimal wöchentlichem Baden mit Teilübernahme und Beaufsichtigung, zweimal täglichem Kämmen mit Teilübernahme und einmal wöchentlichem Rasieren bei Vollübernahme.
b) Hinsichtlich Darm- und Blasenentleerung besteht allenfalls durchschnittlich einmal pro Woche Hilfebedarf für Intimreinigung infolge des nicht rechtzeitigen Erreichens der Toilette von einer Minute. Hierfür erscheint allerdings die Schätzung von Frau B. mit zwei Minuten täglich überhöht, da die Intimreinigung, also Reinigung des Unterkörpers, dann jeweils 14 Minuten in Anspruch nähme, deutlich mehr als die tägliche Ganzkörperwäsche, bei der nach den übereinstimmenden Einschätzungen der Gutachterinnen Se. und Kn. und der Sachverständigen B. nur eine Teilübernahme beim Waschen von Rücken, Gesäß und Beinen erforderlich ist, die zehn Minuten in Anspruch nimmt. Überhöht erscheint auch die Schätzung für das anschließende Richten der Bekleidung, da die Pflegekraft dies zweimal pro Woche für erforderlich hält, obwohl die Inkontinenz nur einmal pro Woche auftritt.
c) Hinsichtlich des Hilfebedarfs für Ernährung ist angesichts der eingeschränkten Motorik der rechten Hand von einem täglichen Hilfebedarf für das mundgerechte Zerkleinern von drei Hauptmahlzeiten in Teilübernahme von insgesamt drei Minuten auszugehen, was der übereinstimmenden Schätzung der Sachverständigen und Gutachterinnen entspricht.
d) Für Mobilität besteht ein täglicher Hilfebedarf von elf bis 13 Minuten. Der Kläger benötigt Hilfe beim An- und Auskleiden in Form der Teilübernahme, die täglich neun bis elf Minuten in Anspruch nimmt. Der von der Sachverständigen B. angenommene Hilfebedarf für dreimal wöchentlich Stehen (Transfers) beim Baden sind deswegen nicht plausibel, weil die Sachverständige im Rahmen der Körperpflege (nur) zweimal wöchentliches Baden zugrunde legt.
e) Nicht nachvollziehbar sind die Angaben des Klägers in der Klagebegründung, die ersichtlich von falschen Voraussetzungen, nämlich Demenz und Inkontinenz des Klägers ausgehen. Beides liegt nach den übereinstimmenden Feststellungen der Gutachter und Sachverständigen nicht vor.
III.
Der mit Schriftsatz vom 09. Oktober 2012 gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG war abzulehnen, weil er die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte und der Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG).
Durch das Einholen des Gutachtens aufgrund des Antrags vom 09. Oktober 2012 verzögert sich die Erledigung des Rechtsstreits, denn der Senat könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berufung entscheiden. Der Antrag ist auch nicht innerhalb angemessener Frist gestellt worden, was auf grober Nachlässigkeit beruht. Eine grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 109 Rn. 11). Der Kläger hat zwar mit Schriftsatz vom 08. Juni 2012 eine Pflegesachverständige, bei der das Gutachten nach § 109 SGG eingeholt werden soll, benannt. Bei dieser handelte es sich jedoch nicht um eine Ärztin, die allein nach § 109 Abs. 1 SGG als Sachverständige benannt werden kann. Der Wortlaut des § 109 Abs. 1 SGG ist eindeutig, weil er lediglich von einem Arzt spricht (vgl. Urteil des Senats vom 23. Mai 2012 - L 4 P 872/10 - in juris; Revision beim BSG anhängig B 3 P 3/12 R). Als Ausnahmevorschrift ist § 109 Abs. 1 SGG keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der Senat hat den Kläger auf diese Rechtsauffassung hingewiesen und die Frist zur Benennung eines Arztes zweimal bis 23. Juli 2012 verlängert. Der Kläger hat danach zunächst keinen Arzt benannt, der mit der Begutachtung nach § 109 SGG beauftragt werden soll, sondern mitgeteilt, selbst einen Pflegesachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt zu haben, sowie ferner auf entsprechende Anfrage des Senats, mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein, ohne den Antrag nach § 109 SGG wiederholt zu haben. Damit war der Antrag, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, nicht mehr aufrechterhalten (vgl. BSG, Beschluss vom 06. März 2008 - B 5a R 426/07 B - in juris). Der nunmehr am 09. Oktober 2012 gestellte Antrag ist deshalb ein neuer Antrag.
Eine grobe Nachlässigkeit entfällt nicht deshalb, weil nach Behauptung des Klägers sich kein Arzt bereit erklärt habe, ein Gutachten zu erstatten. Dies hätte der Kläger dem Senat rechtzeitig mitteilen müssen und er hätte nicht sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung vorbehaltlos erklären dürfen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
V.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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