Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2618/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2332/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28.04.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 31.07.2007.
Der 1942 geborene Kläger ist ausgebildeter Konstruktionsingenieur und seit der Aufgabe seiner letzten beruflichen Tätigkeit bei der Firma MTU in Friedrichshafen im Jahre 1978 nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt. Seit November 1985 bis zum Bezug der Regelaltersrente ab dem 01.08.2007 hatte der Kläger freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.
Der Kläger hatte erstmals am 29.07.1986 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit beantragt und zur Begründung Fehlsichtigkeit der Augen und Akkomodationsschwierigkeiten wegen unterschiedlichem Sehvermögens beider Augen geltend gemacht. Wegen dieser Sehschwierigkeiten hatte die Beklagte im Rahmen eines zuvor vor dem Sozialgericht Konstanz geführten Klageverfahren (S 4 An 314/84) einen Zeitraum vom 01.01.1979 bis zum 31.10.1985 als Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit anerkannt. Der Kläger war in dem damaligen Klageverfahren von Prof. Dr. A. von der Universitäts-Augenklinik T. untersucht und begutachtet worden. Nachdem zunächst eine Brille verordnet worden war, mit der die Brechkraftunterschiede beider Augen voll auskorrigiert worden waren, hatte der Kläger der Gutachterin mit einem Schreiben vom 16.10.1985 mitgeteilt, seine Tätigkeit als Konstruktionsingenieur ohne Einschränkungen wieder aufnehmen zu können.
Der Rentenantrag wurde mit Bescheid vom 25.03.1987 abgelehnt, die nach erfolglosem Widerspruch vor dem Sozialgericht Konstanz erhobene Klage (Az.: S 4 An 382/87) erklärte der Kläger am 21.10.1987 für erledigt. Ein im Jahr 2005 vom Kläger angestrengtes Wiederaufnahmeverfahren beim Sozialgericht Konstanz (Az.: S 6 R 2945/05) blieb erfolglos, die dagegen eingelegte Berufung (L 10 R 3485/06) wurde durch Urteil vom 23.11.2006 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wurde, dass der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Konstanz S 4 An 382/87 durch Klagerücknahme erledigt sei.
In einem weiteren Verfahren vor dem Landessozialgericht (L 4 An 2043/93), in dem über die Frage weitergehender Ausfallzeiten nach dem 31.10.1985 gestritten wurde, hatte Prof. Dr. H. am 30.12.1994 ein augenärztliches Gutachten erstellt und eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgrund des bestehenden Brechkraftunterschiedes beider Augen nicht feststellen können und eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung angeregt.
Der Kläger stellte am 16.11.2005 (Vw-Akte Bd. IV Bl. 225) erneut einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung, den die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2007 ablehnte. Der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Die gegenüber dem Bescheid vom 25.03.1987 geltend gemachte Verschlechterung sei nicht plausibel. Es seien keine neuen medizinischen Sachverhalte vorgetragen worden. Eine ärztliche Behandlung erfolge langjährig nicht mehr. Medizinische Ermittlungen seien in Kenntnis des vorangegangenen Rechtstreits nicht erforderlich. Der Kläger sei in der Lage, seinen bisherigen Beruf mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Mit Schreiben vom 05.03.2007 erhob der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch. Er trug zur Begründung vor, dass im Verfahren vor dem Sozialgericht Konstanz medizinische Unterlagen vorgelegt worden seien. Die Beklagte lehnte eine erneute augenärztliche Untersuchung ab, da hierfür ohne Vorlage maßgeblicher Befunde keine Notwendigkeit gesehen werde. Einer von der Beklagten in Betracht gezogenen neurologisch-psychiatrischen Begutachtung stimmte der Kläger nicht zu. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2007 als unbegründet zurück. In den zurückliegenden Rentenverfahren seien mehrere Sachverständigengutachten eingeholt worden, die dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert hätten. Er habe keine aktuellen Befunde bezüglich einer Änderung des Gesundheitszustandes beibringen können. Daher habe kein Anlass für eine weitere Begutachtung bestanden, zumal der Kläger Ermittlungen auf immer spezielleren Fachbereichen der Augenheilkunde für die Begutachtung seiner vermeintlich seltenen Störung eingefordert habe. Dies habe von den Sachverständigen nicht nachvollzogen werden können.
Am 24.09.2007 erhob der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Konstanz. Er trug vor, dass das im Verfahren vor dem Landessozialgericht eingeholte Gutachten vorsätzlich gefälscht sei.
Das Sozialgericht sah keinen Anlass für weitere Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG beauftragte es mit Verfügung vom 19.11.2008 Prof. Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem unter Mitarbeit von Dr. J. erstatteten Gutachten vom 20.07.2009 Weitsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Brechkraftunterschied zwischen dem rechten und linken Auge, Alterssichtigkeit, latentes Außenschielen in die Ferne, latentes Innenschielen in der Nähe, latentes Höhenschielen in Ferne und Nähe, reduziertes räumliches Sehen, Kopflinksneigung, trockene Augen, Fundus hypertonicus, Deuteranomalie. Die allgemeine berufliche Leistungsfähigkeit sei durch den Brechkraftunterschied beider Augen reduziert. Als Konstruktionsingenieur müsse der Kläger überwiegend in der Nähe (ca. 25 cm) arbeiten, was mit regelmäßigen Pausen aus augenärztlicher Sicht möglich sei. Auch eine mögliche Abdeckung eines Auges mit Verlust des beidäugigen Sehens erlaube es, die Tätigkeit eines Konstruktionsingenieurs auszuüben. Die weiteren augenärztlichen Diagnosen und Befunde stellten keine wesentliche Einschränkung der allgemeinen beruflichen Leistungsfähigkeit dar. Der Kläger fahre auch nach seinen eigenen Angaben mit dem Auto regelmäßig 15 km zum Einkaufen und manchmal 115 km nach St. Der Kläger sei daher in der Lage sowohl die Tätigkeit als Konstruktionsingenieur, als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Anhaltspunkte dafür, dass die Umstellungsfähigkeit für andere Tätigkeiten eingeschränkt sei, bestünden nicht, solange die anderen Tätigkeiten kein hochwertiges beidäugiges Sehen verlangten. Der Kläger könne eine Wegstrecke von 500 m arbeitstäglich vierfach in jeweils 20 min zu Fuß zurücklegen. Es sei ihm gesundheitlich zumutbar, mit dem eigenen Kraftfahrzeug zu fahren. Bei beidäugiger Naharbeit benötige der Kläger regelmäßig, mindestens alle vier Stunden eine Pause von etwa 15 min.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2010 ab.
Eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI scheide für die Zeit nach dem 01.08.2007 schon wegen Vollendung des 65. Lebensjahres aus. Der Kläger erhalte seitdem eine Regelaltersrente. Sofern der Kläger für den davorliegenden Zeitraum eine Rente wegen Erwerbsminderung begehre, scheide ein Anspruch ebenfalls aus, weil der Kläger weder vollständig noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI sei. Gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. H. stellte das Sozialgericht fest, dass für die Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers die Erkrankungen auf dem augenärztlichen Fachgebiet, insbesondere der Brechkraftunterschied zwischen dem rechten und dem linken Auge, maßgeblich seien. Eine rentenrelevante quantitative, d.h. zeitliche Einschränkung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt lasse sich daraus nicht ableiten. Der Kläger könne zumindest noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens sechs Stunden am Tag im Rahmen einer 5- Tage- Woche ausüben. Qualitative Einschränkungen lägen nicht vor. Der Kläger benötige lediglich alle vier Stunden eine Pause von etwa 15 Minuten. Diese hielten sich im Rahmen der arbeitsrechtlich vorgegebenen Mindestruhezeiten. Weitere erforderliche Pausen könnten im Rahmen persönlicher Verteilzeiten wahrgenommen werden, so dass keine Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wegen betriebsunüblicher Pausen bestehe. Die vom Gutachter vertretene Einschätzung eines mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens habe der Kläger durch seine Alltagsbeschäftigung unter Beweis gestellt. Er habe angegeben, regelmäßig zum Einkaufen oder manchmal mit dem Auto nach Stuttgart zu fahren (115 km). Er könne zudem inzwischen drei Stunden ohne Pause lesen. Dem Kläger schienen daher im Alltag auch über längere Zeit Tätigkeiten, die eine hohe Anforderung an die Konzentration und eine größere Anstrengung für die Augen bedeuten, ohne Beschwerden möglich zu sein. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig i.S.v. § 240 Abs. 1 SGB VI, da er nach den Feststellungen des Gutachters Prof. Dr. H. seine Tätigkeit als Konstruktionsingenieur noch ausüben könne.
Gegen den ihm am 08.05.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18.05.2010 Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei wegen Rechtsverweigerung aufzuheben. Das Gutachten von Prof. Dr. H. sei vorsätzlich gefälscht. Es sei aus der Luft gegriffen, dass er vier Stunden ohne Pause im Nahbereich arbeiten könne. Aufgrund der von ihm vorgelegten Fachliteratur wäre dies eindeutig nachvollziehbar gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28.04.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 01.11.2005 bis zum 31.07.2007 Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und das Berufungsvorbringen nicht für geeignet, diese Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Insbesondere seien keine neuen medizinischen Aspekte mitgeteilt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf vier Bände Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Gerichtsakten des Sozialgerichts zu den Verfahren S 4 An 314/84, S 6 R 2945/05, S 9 R 2618/07 und S 9 R 2987/07 sowie auf die Akten des Landessozialgerichts zu den Verfahren L 4 An 2043/93, L 4 RA 3074/04, L 10 R 3485/06 und L 5 R 2939/10 sowie auf die Akten des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Berufung ist auch sonst gemäß § 151 SGG zulässig.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 31.07.2007. Denn es ist nicht nachgewiesen, dass er in diesem Zeitraum erwerbsgemindert gewesen ist.
Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Davon ausgehend steht dem Kläger Erwerbsminderungsrente für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu. Der Kläger war nicht erwerbsgemindert, denn er war im streitgegenständlichen Zeitraum noch dazu in der Lage, seine ursprünglich bis zum Jahr 1978 ausgeübte Tätigkeit als Konstruktionsingenieur unter qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Die maßgeblichen Beschwerden des Klägers, auf die er sein Rentenbegehren stützt, liegen auf augenärztlichem Fachgebiet. Aus der Zusammenschau der Gutachten von Prof. Dr. H. vom 30.12.1994 und von Prof. Dr. H. vom 20.07.2009 ergibt sich, dass die Sehkraft beider Augen in dem zwischen den Begutachtungen liegenden Zeitraum von ca. 15 Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Die Diagnosen stimmen nahezu vollständig überein. So haben beide Gutachter Weitsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Brechkraftunterschied zwischen dem rechten und linken Auge, Alterssichtigkeit, latentes Innenschielen in der Nähe und trockene Augen diagnostiziert. Aus den von Prof. Dr. H. zusätzlich genannten Diagnosen latentes Außenschielen in die Ferne, latentes Höhenschielen in Ferne und Nähe, reduziertes räumliches Sehen, Kopflinksneigung, Fundus hypertonicus, Deuteranomalie ergeben sich keine weitergehenden Funktionsbeeinträchtigungen die einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen könnten. Insbesondere ist der Kläger bei seiner Tätigkeit als Konstruktionsingenieur nicht auf räumliches Sehen angewiesen, wie bereits Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom Dezember 1994 ausgeführt hat. Prof. Dr. H. hat festgestellt, dass der Kläger die Tätigkeit als Konstruktionsingenieur trotz der Beeinträchtigungen durch den Brechkraftunterschied mit Pausen von 15 Minuten nach vier Stunden weiterhin ausüben kann und zwar auch dann, wenn er zur Behebung der Beschwerden aufgrund des Brechkraftunterschieds ein Auge vollständig abdeckt. Der Senat vermag auf der Grundlage dieser Gutachten eine rentenrelevante Einschränkung der Sehfähigkeit des Klägers nicht festzustellen. Gegen eine entsprechende gravierendere Beeinträchtigung seiner Sehfähigkeit spricht im Übrigen auch, dass der Kläger über die Jahre hinweg umfangreiche Korrespondenz mit den Gerichten zu führen in der Lage war, wobei seine Schreiben häufig zahlreiche, einzeilig geschriebene Seiten umfassten. Wer zur Abfassung derart umfangreicher Schriftstücke in der Lage ist, dürfte kaum maßgeblich in seiner Sehfähigkeit beeinträchtigt sein.
Eine fachärztliche Behandlung hat in der Zwischenzeit nicht stattgefunden, und zwar weder auf augenfachärztlichem noch auf orthopädischem Fachgebiet, so dass eine weitere Sachaufklärung sich nicht aufdrängt.
Die Berufung des Klägers konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 31.07.2007.
Der 1942 geborene Kläger ist ausgebildeter Konstruktionsingenieur und seit der Aufgabe seiner letzten beruflichen Tätigkeit bei der Firma MTU in Friedrichshafen im Jahre 1978 nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt. Seit November 1985 bis zum Bezug der Regelaltersrente ab dem 01.08.2007 hatte der Kläger freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.
Der Kläger hatte erstmals am 29.07.1986 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit beantragt und zur Begründung Fehlsichtigkeit der Augen und Akkomodationsschwierigkeiten wegen unterschiedlichem Sehvermögens beider Augen geltend gemacht. Wegen dieser Sehschwierigkeiten hatte die Beklagte im Rahmen eines zuvor vor dem Sozialgericht Konstanz geführten Klageverfahren (S 4 An 314/84) einen Zeitraum vom 01.01.1979 bis zum 31.10.1985 als Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit anerkannt. Der Kläger war in dem damaligen Klageverfahren von Prof. Dr. A. von der Universitäts-Augenklinik T. untersucht und begutachtet worden. Nachdem zunächst eine Brille verordnet worden war, mit der die Brechkraftunterschiede beider Augen voll auskorrigiert worden waren, hatte der Kläger der Gutachterin mit einem Schreiben vom 16.10.1985 mitgeteilt, seine Tätigkeit als Konstruktionsingenieur ohne Einschränkungen wieder aufnehmen zu können.
Der Rentenantrag wurde mit Bescheid vom 25.03.1987 abgelehnt, die nach erfolglosem Widerspruch vor dem Sozialgericht Konstanz erhobene Klage (Az.: S 4 An 382/87) erklärte der Kläger am 21.10.1987 für erledigt. Ein im Jahr 2005 vom Kläger angestrengtes Wiederaufnahmeverfahren beim Sozialgericht Konstanz (Az.: S 6 R 2945/05) blieb erfolglos, die dagegen eingelegte Berufung (L 10 R 3485/06) wurde durch Urteil vom 23.11.2006 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wurde, dass der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Konstanz S 4 An 382/87 durch Klagerücknahme erledigt sei.
In einem weiteren Verfahren vor dem Landessozialgericht (L 4 An 2043/93), in dem über die Frage weitergehender Ausfallzeiten nach dem 31.10.1985 gestritten wurde, hatte Prof. Dr. H. am 30.12.1994 ein augenärztliches Gutachten erstellt und eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgrund des bestehenden Brechkraftunterschiedes beider Augen nicht feststellen können und eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung angeregt.
Der Kläger stellte am 16.11.2005 (Vw-Akte Bd. IV Bl. 225) erneut einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung, den die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2007 ablehnte. Der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Die gegenüber dem Bescheid vom 25.03.1987 geltend gemachte Verschlechterung sei nicht plausibel. Es seien keine neuen medizinischen Sachverhalte vorgetragen worden. Eine ärztliche Behandlung erfolge langjährig nicht mehr. Medizinische Ermittlungen seien in Kenntnis des vorangegangenen Rechtstreits nicht erforderlich. Der Kläger sei in der Lage, seinen bisherigen Beruf mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Mit Schreiben vom 05.03.2007 erhob der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch. Er trug zur Begründung vor, dass im Verfahren vor dem Sozialgericht Konstanz medizinische Unterlagen vorgelegt worden seien. Die Beklagte lehnte eine erneute augenärztliche Untersuchung ab, da hierfür ohne Vorlage maßgeblicher Befunde keine Notwendigkeit gesehen werde. Einer von der Beklagten in Betracht gezogenen neurologisch-psychiatrischen Begutachtung stimmte der Kläger nicht zu. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2007 als unbegründet zurück. In den zurückliegenden Rentenverfahren seien mehrere Sachverständigengutachten eingeholt worden, die dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert hätten. Er habe keine aktuellen Befunde bezüglich einer Änderung des Gesundheitszustandes beibringen können. Daher habe kein Anlass für eine weitere Begutachtung bestanden, zumal der Kläger Ermittlungen auf immer spezielleren Fachbereichen der Augenheilkunde für die Begutachtung seiner vermeintlich seltenen Störung eingefordert habe. Dies habe von den Sachverständigen nicht nachvollzogen werden können.
Am 24.09.2007 erhob der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Konstanz. Er trug vor, dass das im Verfahren vor dem Landessozialgericht eingeholte Gutachten vorsätzlich gefälscht sei.
Das Sozialgericht sah keinen Anlass für weitere Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG beauftragte es mit Verfügung vom 19.11.2008 Prof. Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem unter Mitarbeit von Dr. J. erstatteten Gutachten vom 20.07.2009 Weitsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Brechkraftunterschied zwischen dem rechten und linken Auge, Alterssichtigkeit, latentes Außenschielen in die Ferne, latentes Innenschielen in der Nähe, latentes Höhenschielen in Ferne und Nähe, reduziertes räumliches Sehen, Kopflinksneigung, trockene Augen, Fundus hypertonicus, Deuteranomalie. Die allgemeine berufliche Leistungsfähigkeit sei durch den Brechkraftunterschied beider Augen reduziert. Als Konstruktionsingenieur müsse der Kläger überwiegend in der Nähe (ca. 25 cm) arbeiten, was mit regelmäßigen Pausen aus augenärztlicher Sicht möglich sei. Auch eine mögliche Abdeckung eines Auges mit Verlust des beidäugigen Sehens erlaube es, die Tätigkeit eines Konstruktionsingenieurs auszuüben. Die weiteren augenärztlichen Diagnosen und Befunde stellten keine wesentliche Einschränkung der allgemeinen beruflichen Leistungsfähigkeit dar. Der Kläger fahre auch nach seinen eigenen Angaben mit dem Auto regelmäßig 15 km zum Einkaufen und manchmal 115 km nach St. Der Kläger sei daher in der Lage sowohl die Tätigkeit als Konstruktionsingenieur, als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Anhaltspunkte dafür, dass die Umstellungsfähigkeit für andere Tätigkeiten eingeschränkt sei, bestünden nicht, solange die anderen Tätigkeiten kein hochwertiges beidäugiges Sehen verlangten. Der Kläger könne eine Wegstrecke von 500 m arbeitstäglich vierfach in jeweils 20 min zu Fuß zurücklegen. Es sei ihm gesundheitlich zumutbar, mit dem eigenen Kraftfahrzeug zu fahren. Bei beidäugiger Naharbeit benötige der Kläger regelmäßig, mindestens alle vier Stunden eine Pause von etwa 15 min.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2010 ab.
Eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI scheide für die Zeit nach dem 01.08.2007 schon wegen Vollendung des 65. Lebensjahres aus. Der Kläger erhalte seitdem eine Regelaltersrente. Sofern der Kläger für den davorliegenden Zeitraum eine Rente wegen Erwerbsminderung begehre, scheide ein Anspruch ebenfalls aus, weil der Kläger weder vollständig noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI sei. Gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. H. stellte das Sozialgericht fest, dass für die Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers die Erkrankungen auf dem augenärztlichen Fachgebiet, insbesondere der Brechkraftunterschied zwischen dem rechten und dem linken Auge, maßgeblich seien. Eine rentenrelevante quantitative, d.h. zeitliche Einschränkung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt lasse sich daraus nicht ableiten. Der Kläger könne zumindest noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens sechs Stunden am Tag im Rahmen einer 5- Tage- Woche ausüben. Qualitative Einschränkungen lägen nicht vor. Der Kläger benötige lediglich alle vier Stunden eine Pause von etwa 15 Minuten. Diese hielten sich im Rahmen der arbeitsrechtlich vorgegebenen Mindestruhezeiten. Weitere erforderliche Pausen könnten im Rahmen persönlicher Verteilzeiten wahrgenommen werden, so dass keine Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wegen betriebsunüblicher Pausen bestehe. Die vom Gutachter vertretene Einschätzung eines mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens habe der Kläger durch seine Alltagsbeschäftigung unter Beweis gestellt. Er habe angegeben, regelmäßig zum Einkaufen oder manchmal mit dem Auto nach Stuttgart zu fahren (115 km). Er könne zudem inzwischen drei Stunden ohne Pause lesen. Dem Kläger schienen daher im Alltag auch über längere Zeit Tätigkeiten, die eine hohe Anforderung an die Konzentration und eine größere Anstrengung für die Augen bedeuten, ohne Beschwerden möglich zu sein. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig i.S.v. § 240 Abs. 1 SGB VI, da er nach den Feststellungen des Gutachters Prof. Dr. H. seine Tätigkeit als Konstruktionsingenieur noch ausüben könne.
Gegen den ihm am 08.05.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18.05.2010 Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei wegen Rechtsverweigerung aufzuheben. Das Gutachten von Prof. Dr. H. sei vorsätzlich gefälscht. Es sei aus der Luft gegriffen, dass er vier Stunden ohne Pause im Nahbereich arbeiten könne. Aufgrund der von ihm vorgelegten Fachliteratur wäre dies eindeutig nachvollziehbar gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28.04.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 01.11.2005 bis zum 31.07.2007 Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und das Berufungsvorbringen nicht für geeignet, diese Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Insbesondere seien keine neuen medizinischen Aspekte mitgeteilt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf vier Bände Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Gerichtsakten des Sozialgerichts zu den Verfahren S 4 An 314/84, S 6 R 2945/05, S 9 R 2618/07 und S 9 R 2987/07 sowie auf die Akten des Landessozialgerichts zu den Verfahren L 4 An 2043/93, L 4 RA 3074/04, L 10 R 3485/06 und L 5 R 2939/10 sowie auf die Akten des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Berufung ist auch sonst gemäß § 151 SGG zulässig.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 31.07.2007. Denn es ist nicht nachgewiesen, dass er in diesem Zeitraum erwerbsgemindert gewesen ist.
Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Davon ausgehend steht dem Kläger Erwerbsminderungsrente für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu. Der Kläger war nicht erwerbsgemindert, denn er war im streitgegenständlichen Zeitraum noch dazu in der Lage, seine ursprünglich bis zum Jahr 1978 ausgeübte Tätigkeit als Konstruktionsingenieur unter qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Die maßgeblichen Beschwerden des Klägers, auf die er sein Rentenbegehren stützt, liegen auf augenärztlichem Fachgebiet. Aus der Zusammenschau der Gutachten von Prof. Dr. H. vom 30.12.1994 und von Prof. Dr. H. vom 20.07.2009 ergibt sich, dass die Sehkraft beider Augen in dem zwischen den Begutachtungen liegenden Zeitraum von ca. 15 Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Die Diagnosen stimmen nahezu vollständig überein. So haben beide Gutachter Weitsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Brechkraftunterschied zwischen dem rechten und linken Auge, Alterssichtigkeit, latentes Innenschielen in der Nähe und trockene Augen diagnostiziert. Aus den von Prof. Dr. H. zusätzlich genannten Diagnosen latentes Außenschielen in die Ferne, latentes Höhenschielen in Ferne und Nähe, reduziertes räumliches Sehen, Kopflinksneigung, Fundus hypertonicus, Deuteranomalie ergeben sich keine weitergehenden Funktionsbeeinträchtigungen die einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen könnten. Insbesondere ist der Kläger bei seiner Tätigkeit als Konstruktionsingenieur nicht auf räumliches Sehen angewiesen, wie bereits Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom Dezember 1994 ausgeführt hat. Prof. Dr. H. hat festgestellt, dass der Kläger die Tätigkeit als Konstruktionsingenieur trotz der Beeinträchtigungen durch den Brechkraftunterschied mit Pausen von 15 Minuten nach vier Stunden weiterhin ausüben kann und zwar auch dann, wenn er zur Behebung der Beschwerden aufgrund des Brechkraftunterschieds ein Auge vollständig abdeckt. Der Senat vermag auf der Grundlage dieser Gutachten eine rentenrelevante Einschränkung der Sehfähigkeit des Klägers nicht festzustellen. Gegen eine entsprechende gravierendere Beeinträchtigung seiner Sehfähigkeit spricht im Übrigen auch, dass der Kläger über die Jahre hinweg umfangreiche Korrespondenz mit den Gerichten zu führen in der Lage war, wobei seine Schreiben häufig zahlreiche, einzeilig geschriebene Seiten umfassten. Wer zur Abfassung derart umfangreicher Schriftstücke in der Lage ist, dürfte kaum maßgeblich in seiner Sehfähigkeit beeinträchtigt sein.
Eine fachärztliche Behandlung hat in der Zwischenzeit nicht stattgefunden, und zwar weder auf augenfachärztlichem noch auf orthopädischem Fachgebiet, so dass eine weitere Sachaufklärung sich nicht aufdrängt.
Die Berufung des Klägers konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved