L 5 R 3551/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 70/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3551/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.06.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente.

Die 1946 geborene Klägerin, die im Jahr 2007 aus selbständiger Tätigkeit im Bereich der Büroorganisation zu versteuernde Einkünfte in Höhe von 12.387 Euro erzielte, lebte nach eigenen Angaben seit 1996 mit dem 1927 geborenen, am 05.05.2008 verstorbenen J. M. (Versicherter) zusammen. Der Versicherte bezog seit dem 01.10.1989 Altersruhegeld von der L. Württemberg (1.398,49 Euro monatlich seit dem 01.07.2007).

Beim Versicherten war erstmals im Jahr 2005 ein Bronchialkarzinom (pleurarandständiger Tumor im rechten Oberlappen) erkannt worden. Eine Operation hatte der Versicherte zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt.

In der Zeit vom 31.01.2007 bis zum 15.02.2007 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung der Kreiskliniken R ... Ausweislich des Behandlungsberichts vom 21.02./22.02.2007 wurde er mit bekanntem rechtsseitigem Lungenrundherd im Oberlappen und aufgetretenem Bluthusten unter dem Verdacht auf ein Bronchialkarzinom aufgenommen. Bei der radiologischen Untersuchung zeigte sich eine deutlich vergrößerte Raumforderung im rechten Oberlappen, so dass der dringende Verdacht auf ein peripheres Bronchialkarzinom geäußert wurde. Die Computertomographie des Thorax erbrachte keinen eindeutigen Hinweis auf eine knöcherne Infiltration. Eine histologische Untersuchung ergab die Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms mit dem Malignitätsgrad G2. Ein Termin für die Tumorresektion wurde für den 21.02.2007 vereinbart.

Der Versicherte befand sich erneut vom 21.02.2007 bis 13.03.2007 in stationärer Behandlung der Kreiskliniken R., wo er am 26.02.2007 operiert wurde (Lobektomie mit partieller Resektion der rechten Brustwand). Nach dem Arztbrief vom 15.03.2007 habe der Versicherte nach zunächst weiterhin ablehnender Haltung der Operation zugestimmt, allerdings mit der Maßgabe, keine brustwandresizierenden Erweiterungen vorzunehmen. Der postoperative Behandlungsverlauf sei unauffällig gewesen. In der histologische Untersuchung sei festgestellt worden, dass das Karzinoms in die Skelettmuskulatur eingewachsen gewesen sei. Der Versicherte und seine Familie seien hierüber aufgeklärt und ein Termin zur ambulanten Vorstellung in der Strahlenklinik der Universität T. zu Nachbestrahlung vereinbart worden. Am 13.03.2007 sei der Versicherte bei abgeschlossener Wundheilung sowie Fieber- und Beschwerdefreiheit und bei guter Belastbarkeit nach Hause entlassen worden.

Die Strahlentherapie mit 30 Behandlungen an der Universitätsklinik T. endete am 30.05.2007.

Der Versicherte stellte sich am 20.06.2007 zur Verlaufskontrolle in den Kreiskliniken R. vor. Es wurde ein ordentliches Allgemeinbefinden festgestellt und eine Wiedervorstellung nach den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag vereinbart. Ein CT wurde nicht durchgeführt.

Am 06.07.2007 haben die Klägerin und der Versicherte vor dem Standesbeamten des Standesamtes H. die Ehe geschlossen. Sechs Tage später, am 13.7.2007, schlossen die Klägerin und ihr Ehemann einen notariellen Ehe- und Erbvertrag, in dem Gütertrennung vereinbart und die Klägerin ihre Kinder als ihre Erben und der Ehemann der Klägerin seine Kinder als seine Erben eingesetzt hat. Für den Fall, dass der Ehemann zuerst verstirbt, wurde der Klägerin ein lebenslanges Wohnrecht im Haus des Ehemannes eingeräumt.

Am 30.07.2007 wurde im Rahmen einer weiteren Verlaufskontrolle ein CT durchgeführt, bei dem sich eine tumoröse Gewebsvermehrung zeigte und ein lokaler Progress des Bronchialkarzinoms für möglich gehalten wurde. Bei einer weiteren Verlaufskontrolle am 08.11.2007 bestätigte sich dieser Verdacht. Der Befund wurde ausweislich des Arztbriefes vom 14.11.2007 ausführlich mit dem Versicherten und der Klägerin besprochen und die Möglichkeit einer palliativen Schmerztherapie, alternativ einer symptomorientierten Therapie mit Intensivierung der Schmerztherapie besprochen.

Der Versicherte befand sich erneut vom 11.03.2008 bis zum 01.04.2008 sowie vom 10.04.2008 bis zum 23.04.2008 in stationärer Behandlung der Kreiskliniken R ... Die Diagnosen lauteten metastasierendes Bronchialkarzinom rechts (ED 2005) mit Zustand nach Ober-lappenresektion, metastasierendes Bronchialkarzinom mit Brustwandinfiltration (Erstdiagnose 2007), Zustand nach Radio-Therapie (Chemotherapie abgelehnt), Desorientiertheit und Prostatahypertrophie. Zuletzt wurde mit der Klägerin und den Angehörigen über die weitere häusliche Versorgung des Versicherten, die Versorgung mit häuslichen Hilfsmitteln und die Aufnahme eines Kontaktes zur Brückenpflege gesprochen. Am 23.04.2008 wurde der Versicherte ausweislich des Arztbriefes vom 19./22.05.2008 in gebessertem Allgemeinzustand nach Hause entlassen. Dort ist er am 05.05.2008 verstorben.

Am 15.05.2008 stellte die Klägerin einen Antrag auf große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. In der Anlage zum Antrag gab die Klägerin an, dass der Versicherte plötzlich und unvermutet an einer Infektionskrankheit verstorben sei und dass die tödlichen Folgen einer Krankheit bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten waren.

Die Beklagte holte Arztberichte ein, die sie ihrem Ärztlichen Dienst zur Stellungnahme vorlegte. Die Internistin Dr. M. gelangte unter dem 14.07.2008 zu dem Ergebnis, dass die histologische Untersuchung der Operationspräparate vom Februar 2007 ein Einwachsen des Bronchialtumors in die Brustwandmuskulatur ergeben habe. Dieser Befund entspreche einem unheilbaren Krankheitsverlauf. Der Versicherte sei ausweislich des Arztbriefes vom 15.03.2007 hierüber aufgeklärt worden. Der Umstand, dass dieser Befund bereits vier Monate vor der Eheschließung vorgelegen habe, spreche eindeutig für eine Versorgungsehe.

Mit Bescheid vom 18.07.2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung der Witwenrente ab. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Versicherte innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstorben sei und daher eine sog. Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2 a SGB VI unterstellt werde. Nach Überprüfung durch den Ärztlichen Dienst sei davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Heirat die Schwere der Erkrankung bekannt gewesen sei. Bereits an diesem Tag sei die rasch fortschreitende Erkrankung abzusehen und mit deren tödlichen Folgen zu rechnen gewesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 29.07.2008 Widerspruch. Zur Begründung ließ sie ausführen, dass sie bereits seit 1996 zusammen mit ihrem verstorbenen Ehemann in dessen Haus gelebt habe. Im Jahr 2006 sei bei dem Versicherten Lungenkrebs diagnostiziert worden. Die Operation in R. sei gut verlaufen, so dass der Versicherte die Klägerin, wenn er alles überstanden habe, habe heiraten wollen. Der Versicherte habe trotz der langen Beziehung mit einer Heirat gezögert, weil er seiner vorverstorbenen Ehefrau ein entsprechendes Versprechen gegeben habe. Die im Anschluss an die Operation vorgenommenen Bestrahlungen habe der Versicherte gut vertragen. Der Heiratsantrag sei der Klägerin in der Annahme gemacht worden, die Krankheit überstanden zu haben und wieder gesund zu sein. Für 2008 hätten der Versicherte und die Klägerin noch eine Reise nach Ägypten oder die Türkei geplant. Von einer Versorgungsehe sei nicht auszugehen, obwohl eine Krebserkrankung vorgelegen habe. Trotz seines Alters sei der Versicherte bis zu seinem Tode sportlich und agil gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei vorliegend nicht widerlegt. Aufgrund der Schwere der Erkrankung sei davon auszugehen, dass der Klägerin und dem Versicherten die ungünstige Krankheitsprognose bei der Eheschließung bekannt gewesen sei. Besondere Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen könnten, würden nicht vorliegen. Nach den Umständen des Einzelfalles sei die Annahme gerechtfertigt, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente zu begründen.

Am 09.01.2009 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen, zu deren Begründung sie vortragen ließ, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht davon ausgegangen sei, auf absehbare Zeit an dieser Erkrankung zu versterben. Die Klägerin habe bereits jahrelang mit dem verstorbenen Versicherten zusammengelebt und diesen versorgt. Weder für die Klägerin noch für den Versicherten sei es vorhersehbar gewesen, dass dieser so schnell seiner Erkrankung erliegen könne.

Das Sozialgericht befragte den behandelnden Arzt des Versicherten Prof. Dr. Z. von den Kreiskliniken R. als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte mit Schreiben vom 27.05.2009 mit, dass er sich aufgrund der ihm obliegenden Schweigepflicht außerstande sehe, die Anfrage zu beantworten.

Die Klägerin legte ein Schreiben vom 02.10.2009 vor, mit dem sich Prof. Dr. Z. an sie wandte und ihr den Arztbrief vom 15.03.2007 über die stationäre Behandlung des Versicherten vom 21.02.2007 bis zum 13.03.2007 übersandte. Prof. Dr. Z. teilte der Klägerin mit, nach seiner Erinnerung habe er den Versicherten unmittelbar nach der Operation gesprochen und ihm gesagt, dass nach seiner Empfindung der Tumor in Gänze entfernt worden sei. Unter diesen Umständen hätte eine realistische Chance auf Heilung bestanden. Das Ergebnis der histologischen Untersuchung habe sodann gezeigt, dass winzige Tumorreste im Bereich der Brustwand verblieben wären. Im Rahmen des Aufklärungsgesprächs habe der Versicherte eine Entfernung der Brustwand in diesem Bereich nicht gewollt. Aus ärztlicher Sicht sei man sich darüber bewusst gewesen, dass bei einer solchen Konstellation das Risiko, an einem Tumorleiden zu versterben, hoch gewesen sei. Dennoch habe man dem Versicherten nicht die Hoffnung genommen, durch eine Bestrahlung der Tumorreste eine Heilung zu erzielen. Er halte es daher durchaus für wahrscheinlich, dass der Versicherte große Hoffnung gehabt habe, nach der Operation und der Bestrahlung von seinem Krebsleiden geheilt zu sein. Hierzu nahm Dr. J. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten am 07.12.2009 Stellung. Es sei anzunehmen, dass dem Versicherte und seinen Angehörigen im März 2007 bekannt gewesen sei, dass ein fortgeschrittenes Krebsleiden vorliege. Eine realistische Heilungschance habe bei dem vorliegenden Befund nicht mehr bestanden. Die noch durchgeführte Strahlentherapie habe in erster Linie palliativen Charakter gehabt. Nach objektiven Kriterien sei das Ableben des Versicherten in absehbarer Zeit wahrscheinlich gewesen. Ob dieser Umstand dem Versicherten und seinen Angehörigen in dieser Deutlichkeit bewusst gewesen sei, lasse sich allerdings nicht beantworten.

Eine weitere Anfrage des Sozialgerichts lehnte Prof. Dr. Z. mit Schreiben vom 07.04.2011 erneut mit der Begründung ab, dass ihm eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht vorliege.

Das Sozialgericht hörte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2011 zu den Umständen der Eheschließung an und wies die Klage mit Urteil vom selben Tag ab.

Die Beklagte habe die Gewährung einer Witwenrente zu Recht abgelehnt, weil die Ehe mit der Klägerin nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt sei. Der Anspruch auf Witwenrente nach § 46 Abs. 1 und 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei nach § 46 Abs. 2 a SGB VI ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert habe, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Allein an diese zeitliche Vorgabe habe der Gesetzgeber die widerlegbare Vermutung geknüpft, es handele sich bei allen seit Inkrafttreten der Vorschrift am 01.01.2002 geschlossenen Ehen bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung um eine sogenannte Versorgungsehe. Bei einer Ehezeit von weniger als einem Jahr bedürfe es keiner weiteren Anhaltspunkte, um das Vorliegen einer Versorgungsehe anzunehmen und die Witwenrente zu versagen. Die Regelung begegne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009, Az.: B 13 R 53/08 R).

Die Klägerin habe nicht zur vollen Überzeugung der Kammer nachgewiesen, die Ehe mit dem Versicherten aus anderen als aus Versorgungsgründen geschlossen zu haben. Dabei werde die Einlassung der Klägerin, es habe sich um eine Liebesheirat gehandelt, nicht in Frage gestellt. Das Bestehen einer Liebesbeziehung schließe aber die Eingehung einer Versorgungsehe nicht aus (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.12.2010, Az. L 3 R 282/09). Allgemeine Gesichtspunkte, die bei der Mehrzahl der Eheschließungen als Motiv eine Rolle spielen, rechtfertigen als solche nicht die Annahme von ?besonderen Umständen? im Sinne des § 46 Abs. 2 a SGB VI. Die schwere Krebserkrankung des Versicherten deute auf eine Versorgungsehe hin. Die Heirat eines offenkundig an einer lebensbedrohlichen Krankheit erkrankten Versicherten sei als ein Umstand anzusehen, der die gesetzliche Vermutung bestätige, weil nach allgemeiner Lebenserfahrung vieles dafür spreche, dass die Ehe zu Versorgungszwecken geschlossen worden sei (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.12.2010, Az.: L 3 R 282/09), wobei aber nicht ausgeschlossen sei, dass dennoch aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet worden sei. Bei der abschließenden Gesamtbewertung müssten diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen sei. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit der Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit dieses Umstands zum Zeitpunkt der Eheschließung steige deshalb zugleich der Grad des Zweifels am Vorliegen solcher ?besonderen Umstände?, die vom hinterbliebenen Ehepartner zu beweisen seien (BSG, Urteil vom 05.05.2009, Az.: B 13 R 55/08 R). Dem Versicherten und der Klägerin sei die schwere Krebserkrankung im Zeitpunkt der Eheschließung bekannt gewesen. Bereits im Jahr 2005 sei beim Versicherten ein Tumor im rechten Lungenoberlappen festgestellt worden. Eine operative Sanierung habe der Versicherte zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt. Nach mittlerweile aufgetretenem Bluthusten habe sich eine deutliche Größenzunahme des Tumors ergeben. Der am 26.02.2007 durchgeführten Operation habe der Versicherte nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt zugestimmt, dass keine brustwandresezierenden Erweiterungen durchgeführt würden. Die histologische Aufarbeitung habe den Nachweis für ein Einwachsen des Bronchialtumors in die Skelettmuskulatur erbracht. Die Befunde und die therapeutischen Möglichkeiten seien mit dem Versicherten vor der Eheschließung ausdrücklich besprochen worden. Damit bestehe zwischen dem stationären Aufenthalt des Klägers bzw. dem Ergebnis der histologischen Untersuchung und der standesamtlichen Trauung ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang, der die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe stütze. Prof. Dr. Z. habe in seinem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 02.10.2009 bestätigt, dass beim Versicherten das Risiko, an seinem Tumorleiden zu versterben, hoch gewesen sei. Das Vorbringen der Klägerin, man habe in dem Bewusstsein geheiratet, die Krankheit überstanden zu haben, sei vor diesem Hintergrund für die Kammer nicht glaubhaft. Hierfür spreche, dass die Krebserkrankung bereits im Jahr 2005 diagnostiziert worden sei und es bis zur Heirat immer wieder zu längeren stationären Aufenthalten und ambulanten Verlaufskontrollen gekommen sei. Noch wenige Tage vor der Eheschließung sei am 20.06.2007 trotz Radiotherapie im Bereich der Lunge bis zum 30.05.2007 ein fortgeschrittenes Karzinom diagnostiziert worden. Im Anschluss daran sei dem Versicherten aufgrund rezidivierender Brustschmerzen eine regelmäßige Schmerztherapie empfohlen worden. Aufgrund des Verlaufs der Erkrankung erscheine es als lebensfremd, dass sowohl der Versicherte wie auch die Klägerin am 06.07.2007 die Ehe in der Annahme eingingen, dass der Versicherte die Krebserkrankung überwunden habe.

Der Nachweis einer hinreichend konkreten Hochzeitsabsicht vor Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung bzw. des diesbezüglichen Verdachtes sei nicht geführt worden. Konkrete Hochzeitspläne seien nicht nachgewiesen. Erst nach Kenntnis der schweren Krebserkrankung seien Heiratsaktivitäten nach außen entfaltet worden. Dies lege den Schluss nahe, dass die schwere Erkrankung des Versicherten die entscheidende Ursache für die Eheschließung gewesen sei. Das vorgebrachte Versprechen des Versicherten gegenüber seiner vorverstorbenen Ehefrau vermöge nicht zu erklären, weshalb dieses Versprechen einer Heirat am 06.07.2007 nicht mehr entgegen gestanden habe. Auch das von der Klägerin geschilderte langjährige Zusammenleben mit dem Versicherten vor der Eheschließung sei nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass einem langjährigen Zusammenleben ?ohne Trauschein? die bewusste Entscheidung zu Grunde liegt, eben nicht zu heiraten. Dies unterstreiche die Rechtsvermutung, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat sei, der späteren Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Letzteres gelte umso mehr, wenn nach jahrlangem Zusammenleben ?ohne Trauschein? kurz nach dem Bekanntwerden eines dringenden Verdachts auf eine lebensbedrohliche Erkrankung die Ehe geschlossen werde. Aus welchen Gründen die Eheschließung des zum damaligen Zeitpunkt nahezu 80-jährigen Versicherten nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sei, sei nicht erkennbar. Dass die Klägerin über hinreichend eigene Einkünfte verfüge, könne die Vermutung einer Versorgungsehe ebenfalls nicht widerlegen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe gilt auch dann, wenn die Hinterbliebenenversorgung die wirtschaftliche Situation der Witwe merklich verbessere. Die sei in Anbetracht der Höhe der Altersrente des Versicherten für die Klägerin der Fall. Die Versorgungsvermutung trete im Vergleich zu anderen Motiven umso mehr in den Vordergrund, je bedeutsamer materielle Vorteile durch die Hinterbliebenenrente seien (vgl. LSG Schleswig- Holstein, Urteil vom 07.03.2007, Az.: L 8 R 207/06). Auch die Voraussetzungen für eine sogenannte Pflegeehe würden nicht vorliegen. Habe die Ehe offenkundig den Zweck, die häusliche Pflege eines Schwerstbeschädigten sicherzustellen, sei es im allgemeinen nicht vertretbar, diese Ehe zugleich als ?Versorgungsehe? anzusehen und einen Hinterbliebenenanspruch zu versagen. Von einer ?Pflegeehe? sei im Gegensatz zur Versorgungsehe auszugehen, wenn im Zeitpunkt der Eheschließung der Pflegefall schon eingetreten sei und die tödlichen Folgen der Krankheit nicht vorhersehbar gewesen seien (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.11.2010, Az.: L 11 R 3292/09). Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da die Klägerin angegeben habe, dass der Versicherte im Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht pflegebedürftig gewesen sei. Angesichts der mehrjährigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft sei im Übrigen auch eine Einstandsgemeinschaft gegeben mit der Folge, dass eine Heirat zur Sicherstellung der Pflege nicht erforderlich gewesen wäre, da die Anerkennung als Pflegekraft keine Heirat mit dem zu Pflegenden voraussetze.

Gegen das ihrer Bevollmächtigten am 27.07.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.08.2011 Berufung eingelegt. Sie hat zunächst ein Schreiben von Prof. Dr. Z. vom 10.08.2011 an ihre Bevollmächtigte vorgelegt, in dem dieser die vom Sozialgericht im Rahmen der Anhörung als sachverständiger Zeuge gestellten Fragen beantwortet hat. Er führt aus, da bei dem Versicherten keine vollständige Tumorentfernung möglich gewesen sei, sei das Risiko eines Tumorprogresses hoch gewesen. Allerdings habe prinzipiell die Möglichkeit bestanden, durch eine Nachbestrahlung etwa vorhandene Tumorreste vollständig zu beseitigen. Eine prinzipielle Heilungschance habe also vorgelegen. In den entfernten Lymphknoten sei kein Tumor nachgewiesen worden, ebenfalls habe kein Tumorbefall der angrenzenden Gefäße oder Lymphbahnen vorgelegen. Auch Fernmetastasen seien zum Zeitpunkt der Operation nicht bekannt gewesen. Zweifelsohne sei jedoch das Risiko auf einen Tumorprogess bei einer Größe des Tumors bei der Operation von 8 cm im Durchmesser hoch gewesen. Über die genaue Prognose habe zum Zeitpunkt der Entlassung keine sichere Aussage gemacht werden können. Das Datum des von ihm mit dem Versicherten geführten Gespräches gehe aus den Krankenunterlagen nicht hervor. Er könne sich an die Details des Gespräches auch nicht erinnern. Prinzipiell lege er in diesen Fällen den Patienten dar, dass der Tumor bei der Operation nicht vollständig habe entfernt werden können, dass jedoch nur noch sehr kleine Tumorreste, die mit dem Auge nicht wahrzunehmen seien, belassen worden seien, die prinzipiell durch eine Strahlentherapie beseitigt werden könnten. Da es sich bei einem Bronchialkarzinom um einen aggressiven Tumor handele und gleichzeitig zum Zeitpunkt der Operation der Tumor bereits sehr groß gewesen sei, sei das Risiko eines Rückfalls hoch. Dennoch bestehe die Chance auf Heilung bzw. auf ein längerfristiges progessfreies Intervall. Zu der Frage, aus welchen Gründen der Versicherte eine Entfernung der von Tumorresten befallenen Bereiche der Brustwand abgelehnt habe, führte Prof. Dr. Z. aus, bereits bei der Erstdiagnose im Jahr 2005 habe der Versicherte die vorgeschlagene operative Sanierung abgelehnt. Es sei dann im weiteren Verlauf Bluthusten aufgetreten, Verlaufskontrollen hätten eine deutliche Größenzunahme des Tumors gezeigt. Nach ausführlichen Gesprächen habe der Versicherte der Operation zugestimmt, allerdings explizit eine brustwandresezierende Erweiterung (die Mitnahme der möglicherweise von dem Tumor infiltrierten Rippen) abgelehnt. Bei der Operation sei deshalb die innere Brustwandmuskulatur bei Erhalt der Rippen entfernt worden. Hierbei seien offenbar die durch die feingewebliche Untersuchung festgestellten Tumorreste verblieben. Der Stellungnahme war der histologische Befundbericht vom 02.03.2007 beigefügt, aus dem sich ergibt, dass ein Malignitätsgrad von G3 festgestellt wurde.

Die Klägerin hat hierzu in ihrer Berufungsbegründung ausgeführt, aus dem Schreiben von Prof. Dr. Z. gehe hervor, dass eine prinzipielle Heilungschance bei einem potentiell kura-tiven Ansatz der Strahlentherapie bestanden habe. Der Anspruch gemäß § 46 Abs. 1 und 2 SGB VI sei nicht ausgeschlossen, weil besondere Umstände vorliegen würden, weswegen die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu Gunsten der Klägerin zu begründen. Sie habe in der mündlichen Verhandlung angegeben, mit dem Kläger eine langjährige Lebensgemeinschaft geführt und eine Liebesheirat geschlossen zu haben, als aus Sicht beider Eheleute die schwere Erkrankung überwunden gewesen sei. Hätten sie eine Versorgungsehe schließen wollen, so hätte es näher gelegen, die Ehe nach der ersten Diagnose oder gegebenenfalls vor der Operation zu schließen. Das Vorbringen der Klägerin, man habe in dem Bewusstsein geheiratet, die Krankheit überstanden zu haben, sei vor dem Hintergrund der schriftlichen Einlassung des Herrn Prof. Dr. Z. durchaus glaubhaft. Dagegen seien die Voraussetzungen für eine so genannte Pflegeehe von der Klägerin nicht behauptet worden. Dies stünde auch im Widerspruch zu ihrer Einlassung, dass ihr verstorbener Ehemann nach überstandener Operation von seiner Heilung ausgegangen sei. Der verstorbene Ehemann habe sich in dem gemeinsamen Heiratswunsch blockiert gesehen vom Widerstand seines Sohnes H. und durch sein Versprechen gegenüber seiner verstorbenen Ehefrau, nicht mehr zu heiraten. Es könne jedoch durch (von der Klägerin namentlich benannte) Zeuginnen bestätigt werden, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann geäußert hätten, eine Liebesbeziehung zu führen, in welcher nicht der Versorgungsgesichtspunkt im Vordergrund habe stehen sollen. Diesen Zeuginnen habe ihr verstorbener Ehemann vor der Eheschließung mitgeteilt, ihm gehe es gut, der Krebs sei besiegt. Der Sohn des verstorbenen Ehemannes. T. M., habe dem Versicherten empfohlen, die Klägerin aus religiösen Gründen und auch wegen der Witwenrente zu heiraten, während der andere Sohn, H. M., wohl aus Furcht um sein Erbteil gegen eine Eheschließung gewesen sei. Letzterer habe jedoch bekundet, dass er seinen Vater zu sich nehmen werde, falls dieser irgendwann einmal nicht mehr alleine leben könne. Zum Zeitpunkt dieser Äußerung sei der verstorbene Ehemann der Klägerin zwar davon ausgegangen, dass er den Krebs besiegt habe, doch sei ihm hierdurch klar geworden, dass die rechtliche Position der Klägerin durch eine Eheschließung gestärkt werden solle. Die Eheschließung sei durch die Klägerin und ihren verstorbenen Ehemann alleine erfolgt - um Streitigkeiten gerade mit den Söhnen des verstorbenen Ehemannes aus dem Weg zu gehen. Wäre es der Klägerin ausschließlich um die Witwenrente gegangen, hätte sie ihren verstorbenen Mann nach dem ersten Aufenthalt in R., d.h. 2006, zur Ehe drängen können oder müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.06.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 18.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.06.2008 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sei nicht widerlegt. Sie beruft sich auf eine erneute Stellungnahme von Dr. J. vom ärztlichen Dienst, die am 04.11.2011 ausgeführt hat, aus der Beantwortung der Beweisfragen durch Prof. Dr. Z. vom 10.08.2011 und dem beigefügten histologischen Befund vom 02.03.2007 ergebe sich kein grundlegend neuer medizinischer Aspekt. Auch Prof. Dr. Z. beschreibe, dass bei der Operation eines 8 cm im Durchmesser großen Bronchialkarzinoms, das die Pleura und die Thoraxwandmuskulatur infiltriert habe und das operativ nicht vollständig entfernt worden sei, das Risiko der Tumorprogression trotz nach-folgender Bestrahlung hoch gewesen sei. Absolut sichere Aussagen zur Prognose könnten im konkreten Einzelfall nie gestellt werden, überraschende Krankheitsverläufe seien entgegen statistischer Wahrscheinlichkeiten und Erwartungen durchaus möglich. Insofern habe prinzipiell die Chance bestanden, dass die postoperative Bestrahlung die Tumorreste soweit reduzieren könne, dass eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufes oder sogar eine Heilung eintrete. Die Wahrscheinlichkeit für einen derart günstigen Verlauf habe aber nach der ärztlichen Erfahrung als gering eingestuft werden müssen. Die Hoffnung auf einen günstigen Verlauf habe man dem Versicherten aber natürlich nicht genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten des Sozialgerichts Stuttgart sowie auf die Akten des Senats zum vorliegenden Berufungsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine Witwenrente nach § 46 Abs. 2 SGB VI zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch. Denn es greift die gesetzliche Vermutung einer diesen Anspruch ausschließenden Versorgungsehe, ohne dass besondere Umstände zur Widerlegung dieser gesetzlichen Vermutung vorliegen. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet haben.

Nach § 46 Abs. 2a SGB VI ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert (vom 06.07.2007 bis 05.05.2008), so dass der Tatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 1 SGB VI erfüllt ist.

Der Senat vermag - wie bereits das Sozialgericht - keine Tatsachen dafür festzustellen, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat darin bestand, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI). Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist nicht widerlegt.

Die Frage, ob besondere Umstände im Sinne des Ausnahmetatbestands vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten (§ 103 SGG) auf tatsächlicher Ebene zu beantworten (BSG, zuletzt im Urteil vom 19.11.2011 - B 13 R 33/11 R mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.09.2009 - B 5 R 282/09 B -, jeweils in Juris). Dabei ist nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und unter Würdigung aller Indizien zur Überzeugung des Gerichts festzustellen, ob im Einzelfall die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass die Erlangung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war (BSG, Urteil vom 27.08.2009 - B 13 R 101/08 R - in Juris). Eine abschließende Typisierung und Bewertung einzelner von den Tatsacheninstanzen festgestellter Ehemotive hat das Bundessozialgericht abgelehnt. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI sind als "besondere Umstände des Falles" alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls zu prüfen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Die vom Gesetzgeber selbst intendierte Einzelfallprüfung lässt eine abschließende abstrakt-generelle (normgleiche) Einordnung einzelner denkbarer Ehemotive nicht zu. Vielmehr kommt es nach dem Gesetz auf die - gegebenenfalls auch voneinander abweichenden - Beweggründe beider Ehegatten im konkreten Einzelfall an. Dabei sind die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu bewerten (BSG, Urteil vom 06.05.2010 - B 13 R 134/08 R - in Juris).

Der Senat geht im Rahmen dieser Gesamtwürdigung davon aus, dass bei der Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt ist (hierzu BSG, Urteil vom 06.05.2010, a.a.O.; vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 08.08.2012 - L 13 R 555/10 - in Juris). Zwar ist bei einer schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet worden ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt jedoch der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die zu einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung führen (BSG, a.a.O).

Der Senat teilt insoweit die Auffassung des Sozialgerichts, dass der Klägerin und dem Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung des Versicherten bewusst war und dass sie die Ehe im Hinblick darauf geschlossen haben, dass der Versicherte an dieser Erkrankung versterben werde. Dafür spricht insbesondere der objektive Krankheitsverlauf, wie er sich aus dem Arztbericht vom 15.03.2007 über den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 21.02. bis 13.03.2007 mit der Tumorresektions-Operation und den Schreiben von Prof. Dr. Z. vom 02.10.2009 an die Klägerin und vom 10.08.2011 an deren Bevollmächtigte ergibt. Danach hatte der Versicherte nach Feststellung des Bronchialkarzinoms im Jahr 2005 eine operative Behandlung abgelehnt; nach den Angaben der Klägerin in der Widerspruchsbegründung sei man damals von einer Verkapselung des Tumors ausgegangen. In der Folgezeit vergrößerte sich jedoch der Tumor, so dass zu Beginn des Jahres 2007 ein Durchmesser von 8 cm erreicht war. Da der Versicherte unter blutigem Husten litt, begab er sich erneut in stationäre Behandlung und stimmte dann auch der operativen Entfernung des Karzinoms zu. Prof. Dr. Z. berichtet in diesem Zusammenhang davon, dass der Versicherte eine Zustimmung zur Resektionserweiterung bezüglich der Brustwand und der Rippen nicht zugestimmt habe. Aus diesem Umstand ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Frage einer Ausdehnung des Tumors an die Brustwand und ein Knochenbefall bereits im Vorfeld der Operation erörtert worden ist und diese Gefahr gesehen wurde, weshalb der Versicherte auch insoweit nach seiner Einwilligung befragt wurde. Ausweislich der Stellungnahme von Frau Dr. M. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten vom 14.07.2008 lag in dieser Frage des Einwachsens in die Brustwand die entscheidende, für die Beurteilung der Heilbarkeit des Bronchialkarzinoms maßgebliche Bedeutung. Prof. Dr. Z. hat bestätigt, dass gerade wegen des Einwachsens in die Skelettmuskulatur das Risiko, an dem Tumorleiden zu versterben, hoch gewesen sei und die Bestrahlung der Tumorreste zwar prinzipiell geeignet sei, die Tumorreste zu beseitigen, dass die Gefahr eines Rezidivs wegen der Größe des Karzinoms aber hoch gewesen sei.

Nach den Angaben im Arztbericht vom 15.03.2007 ist auch davon auszugehen, dass der Versicherte und die Klägerin über diese Umstände informiert gewesen sind. Der Verbleib von Tumorresten in der Skelettmuskulatur hatte sich in der histologischen Untersuchung bestätigt. In dem histologischen Befundbericht vom 02.03.2007 wurde zudem ein Malignitätsgrad von G3 angegeben, also ein gegenüber der voroperativ durchgeführten Histologie verschlechterter Befund. Im Rahmen des vorangegangenen stationären Aufenthaltes vom 31.01. bis zum 15.02.2007 hatte sich bei der histologischen Untersuchung ein Malignitätsgrad von G2 ergeben (vgl. Arztbrief vom 21.02./22.02.2007). Der Versicherte und seine Angehörigen sind nach Vorliegen des Histologiebefundes vom 02.03.2007 über dessen Ergebnis und die Möglichkeit der Bestrahlung ausführlich aufgeklärt worden. Es ist nach Auffassung des Senats lebensfremd anzunehmen, dass dem Versicherten dabei die Gefahr eines Tumorrezidivs trotz Bestrahlung nicht eröffnet worden ist. Auch wenn sich Prof. Dr. Z. dahingehend geäußert hat, dass bei der Entlassung des Versicherten keine genaue Prognose habe gemacht werden können und auch Dr. J. vom medizinischen Dienst der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 04.11.2011 bestätigt hat, dass absolut sichere Prognosen im konkreten Einzelfall nie gestellt werden könnten, da es auch überraschende Krankheitsverläufe gebe, so führt dies nicht daran vorbei, dass der Klägerin und dem Versicherten klar gewesen sein muss, dass die Gefahr eines Tumorrezidivs hoch gewesen ist. Die Aufklärung über ein solches Risiko gehört zum Kern der medizinischen Aufklärung und es ist fernliegend, dass diese Information dem Versicherten vorenthalten worden wäre. Prof. Dr. Z. hat in seinem Schreiben vom 10.08.2011 ausgeführt, dass er Patienten in dieser Situation generell auf das hohe Rückfallrisiko hinweise, auch wenn prinzipiell die Möglichkeit einer Ausheilung durch Bestrahlung im Raum stehe. Wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht angegeben hat, sie sei bei dem Aufklärungsgespräch nicht dabei gewesen, sondern habe nur kurz nach der Operation mit Prof. Z. gesprochen, der ihr gesagt habe der Tumor sei gänzlich entfernt worden, es seien nur noch einige Bestrahlungen notwendig, so ist dies schon deshalb nicht überzeugend, weil sich die Notwendigkeit der Bestrahlung erst aufgrund des Histologiebefundes ergeben hat. Sollte die Klägerin tatsächlich nicht bei dem Aufklärungsgespräch mit den Angehörigen des Versicherten zugegen gewesen sein, so würde dies bereits Zweifel an der Intensität der Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und dem Versicherten erwecken, was wiederum erheblich für eine reine Versorgungsehe sprechen würde. Dass der Versicherte nach dem Ende der Bestrahlung von einem vollständigen Ausheilen der Krebserkrankung ausgegangen und sich der Gefahr eines Tumorrezidivs nicht mehr bewusst gewesen sein soll, erscheint vor diesem Hintergrund als sehr unwahrscheinlich.

Nachdem Prof. Dr. Z. die Beweisfragen des SG gegenüber der Klägerin schriftlich beantwortet und diese sein Schreiben vom 10.8.2011 als Teil der Berufungsbegründung vorgelegt hat, sah der Senat keine Notwendigkeit für eine erneute förmliche Befragung als sachverständiger Zeuge. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, in welchen Punkten seine Aussage unvollständig oder unrichtig gewesen sein soll, weswegen der Senat auch bei seiner eigenen Würdigung von der Richtigkeit dieser Angaben ausgegangen ist.

Es ist somit davon auszugehen, dass sich der Versicherte in Folge der nur teilweise erfolgreichen Tumorresektion im März 2007 und der damit verbundenen Gefahr, an dem Bronchialkarzinom zu versterben, gemeinsam mit der Klägerin zur Heirat entschlossen hat. Dies ergibt sich auch aus der Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht, wo sie auf die Frage nach dem Zeitpunkt des Heiratsentschlusses angegeben hat, dies müsse ungefähr nach der Operation im März 2007 gewesen sein. Das Sozialgericht hat insoweit zutreffend des Schluss gezogen, dass zwischen der Erkrankung, dem Ergebnis der histologischen Untersuchung und dem nachfolgenden Heiratsentschluss ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang bestanden habe. Die Angaben der Klägerin zur Motivation für die Eheschließung in der Berufungsbegründung lassen zudem deutlich erkennen, dass der Versorgungsgedanke die tragende Erwägung für die Heirat gewesen ist. So wird zum einen darauf hingewiesen, dass jedenfalls der Sohn T. M. den Gedanken an die Witwenrente im Zusammenhang mit den Gesprächen über die Eheschließungsabsicht aufgeworfen hat. Aus dem Ansinnen des Sohnes H. M., den Versicherten zu sich zu nehmen, falls er nicht mehr alleine leben könne, habe der Versicherte dann jedenfalls die Erkenntnis gewonnen, dass die rechtliche Position der Klägerin durch die Heirat gestärkt werde. Die geschilderte Absicht des Sohnes H. lässt im Übrigen erneut Zweifel daran zu, wie eng die Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und dem Versicherten überhaupt gewesen ist, wenn die Klägerin offenbar nicht als die den Versicherten auch im betagten Alter maßgeblich betreuende Person angesehen wurde. Jedenfalls wird vor dem Hintergrund, dass der Versicherte sich über Jahre hinweg gegen eine Heirat entschieden und sich an ein Versprechen gegenüber seiner ersten Ehefrau, nicht wieder zu heiraten, gebunden gefühlt hat, erkennbar, dass er diese moralische Hürde nach der Operation im Hinblick darauf überwunden hat, dass er der Absicherung der Klägerin nunmehr eine höhere und entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Dies charakterisiert gerade den Versorgungsgedanken. Selbst wenn der Versicherte nicht konkret an eine Hinterbliebenenrente nach § 46 SGB VI gedacht haben sollte, so genügt bereits die allgemeine und auch nicht auf eine Hinterbliebenenrente nach dem SGB VI bezogene Absicht, die Klägerin nach dem Tod des Versicherten zu versorgen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.04.2011 - L 13 R 203/11 -, in Juris). Die Versorgung der Klägerin war demzufolge der maßgebliche Beweggrund der Heirat.

Die Angabe der Klägerin, sie hätten eine Liebesbeziehung geführt, in der der Versorgungsgesichtspunkt nicht im Vordergrund habe stehen sollen, sagt nichts aus über besondere Umstände, die zur Widerlegung der gesetzlich vermuteten Versorgungsehe geeignet wären. Denn diese Aussage betrifft die Beziehung der Klägerin und des Versicherten unabhängig von dem Heiratsentschluss. Dass beim gemeinsamen Zusammenleben zunächst nicht an eine Versorgung der Klägerin gedacht worden ist, kann der Klägerin durchaus abgenommen werden, so dass es der Befragung der benannten Zeuginnen nicht bedarf. Dass der Gedanke der Absicherung der Klägerin aber letztlich ausschlaggebend für den Entschluss zu heiraten war, steht dem nicht entgegen, sondern ergibt sich - wie dargelegt - aus den weiteren Angaben der Klägerin zu den Überlegungen innerhalb der Familie. Diese Überlegungen zur Absicherung der Klägerin wurden von ihrem Ehemann auch in dem nur sechs Tage nach der Trauung abgeschlossenen Ehe- und Erbvertrag (zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Klägerin) konkretisiert, der der Klägerin im Falle des Vorversterbens ihres Ehemannes ein Wohnrecht im Hause ihres Ehemannes auf Lebenszeit einräumt und sie damit hinsichtlich des Wohnraums bis zu ihrem Tode gesichert versorgt.

Auf eine Pflegeehe will sich die Klägerin nach ihren insoweit eindeutigen Angaben in der Berufungsbegründung vom 06.10.2011 gerade nicht berufen. An ihrer Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht, sie habe den Versicherten geheiratet, damit dieser versorgt sei, hat sie damit nicht mehr festgehalten. Sie hat dies damit begründet, dass das Argument der Pflegeehe ihrem Vortrag entgegenstehe, der Versicherte sei nach überstandener Operation von seiner Heilung ausgegangen. Dies ist nicht von der Hand zu weisen, ändert aber letztlich nichts daran, dass der Senat es nicht für überzeugend hält, dass der Versicherte - wie dargelegt - trotz der ärztlichen Aufklärung über das hohe Rezidivrisiko sich dessen beim Heiratsentschluss nicht bewusst gewesen sein soll.

Ist die Vermutung des § 46 Abs. 2a 1. Halbsatz SGB VI damit im Ergebnis nicht widerlegt, konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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