L 7 R 3907/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 3346/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 3907/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. August 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt im vorliegenden Verfahren Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1957 in der Provinz B. (I.) geborene Kläger, i. Staatsangehöriger, gelangte im September 1973 in das Bundesgebiet. Nach seiner Übersiedelung arbeitete er zunächst etwa ein Jahr in einem Marmorwerk, danach mehrere Jahre in einer Metallfabrik. Ab dem Jahr 1978 war er als Bauhelfer bei der R. L. Bauunternehmung (i.F. R.L. Bauunternehmung) in W.-Ö. beschäftigt. Am 21. September 1990 erlitt der Kläger dort einen Arbeitsunfall, als sich bei Kaminbrucharbeiten Material löste und ihn schwer am Kopf verletzte; er zog sich hierbei u.a. eine Schädelimpressionsfraktur links parieto-occipital zu. Wegen der Unfallfolgen bezieht er von der zuständigen Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. Nach längerer Zeit der Arbeitsunfähigkeit wurde der Kläger schließlich ab 1994 bei der früheren Arbeitgeberin als Hausmeister eingesetzt. Zu einem zweiten Arbeitsunfall kam es am 19. Juli 2004, als dem Kläger beim Kranabbau ein schweres Gewicht auf den rechten Zeigefinger fiel; infolge der schweren Quetschverletzung wurde ihm zunächst allerdings nur die Zeigefingerkuppe amputiert; nach mehrfachen Nachoperationen erfolgte schließlich am 3. Januar 2007 die komplette Amputation des Zeigefingers. Nach nochmaliger längerer Arbeitsunfähigkeit war der Kläger ab Juni 2007 bei der R.L. Bauunternehmung wieder als Hausmeister tätig. Seit 1. Juli 2011 arbeitet er als Fahrzeugpolierer bei der Fa. Karosserie Sch. in W. am R ...

Ein erster im Jahr 1992 gestellter Rentenantrag war erfolglos geblieben (Bescheid vom 12. März 1992). Am 16. Januar 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung, wobei er den Antrag mit Restbeschwerden nach operativ behandelter Schädelimpressionsfraktur mit Einschluss eines Knochendefekts, einem Rippenbruch, einer Knieverletzung rechts sowie der Amputation des rechten Zeigefingers im Januar 2007 begründete; er hielt sich allerdings für leichtere Tätigkeiten noch sechs Stunden täglich leistungsfähig. Außerdem gab der Kläger an, dass er an fünf Tagen in der Woche jeweils sechs Stunden bei der R.L. Bauunternehmung arbeite. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch die Sozialmedizinerin Dr. P.; diese gelangte im Gutachten vom 6. Februar 2007 zum Ergebnis, dass der Kläger körperlich mittelschwere Arbeiten ohne Nachtschicht und ohne Zeitdruck, ohne Absturzgefahr, nicht an laufenden ungeschützten Maschinen sowie ohne volle Kraftentfaltung mit der rechten Hand, d.h. ohne schwere Greif-, Hebe- oder Haltetätigkeiten, noch mehr als sechs Stunden täglich verrichten könne. Mit Bescheid vom 16. Februar 2007 lehnte die Beklagte darauf den Rentenantrag ab, weil der Kläger mit dem vorhandenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2007 zurückgewiesen.

Deswegen hat der Kläger am 14. Juni 2007 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, infolge der beiden Arbeitsunfälle unter persistierenden starken Kopfschmerzen sowie nach wie vor unter Phantomschmerzen zu leiden. Das SG hat die behandelnden Ärzte, Allgemeinmediziner Dr. Sch., Chirurg Dr. B. und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K., als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Dr. Sch. (Schreiben vom 3. August 2007) hat lediglich mitgeteilt, dass er den Kläger letztmals am 15. November 2004 behandelt habe. Dr. B. hat im Schreiben vom 14. August 2007 körperlich leichte Tätigkeiten auch sechs Stunden täglich für möglich gehalten. Demgegenüber hat Dr. K. (Schreiben vom 28. November 2007) die Leistungsfähigkeit des Klägers auf drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschätzt. Das SG hat darauf Facharzt für Neurologie Dr. O. zum Sachverständigen bestellt und ferner Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. mit der Erstattung eines Zusatzgutachtens beauftragt. Dr. R. hat im Gutachten vom 11. März 2008 auf psychiatrischem Gebiet keine Diagnosen von Krankheitswert gesehen; der Kläger sei jedoch aufgrund der seit seinem Arbeitsunfall 1990 bestehenden Kopfschmerzen insgesamt vermindert belastbar, rasch erschöpft und im Wohlbefinden beeinträchtigt. Die Sachverständige ist zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten, auch in dauerndem oder überwiegendem Stehen, Gehen, Sitzen und häufigem Bücken, noch mindestens sechs Stunden täglich ausführen könne; Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen, im Akkord und am Fließband, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeiten in Kälte, Nässe, im Freien, unter Wärmeeinfluss, unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen sowie Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung und erhöhter psychosozialer Belastung, wie Publikumsverkehr, ferner Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Beanspruchung seien zu vermeiden. Dr. O., der ausweislich seines Gutachtens vom 15. April 2008 auch das vorgenannte Sachverständigengutachten ausgewertet hat, ist - bei den neurologischen Diagnosen eines postkontusionellen Syndroms mit chronischen Kopfschmerzen, Drehschwindelattacken, einer psycho-physischen Minderbelastbarkeit sowie einer leichten hirnorganischen Wesensänderung bei leichtem Schädelhirntrauma 9/1990 mit Impressionsfraktur links parieto-occipital, Kalottenfraktur links bis zur Schädelbasis und kleinem Epiduralhämatom/Subduralhämatom links - ebenfalls zu einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen, und zwar für körperlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, gekommen. In qualitativer Hinsicht hat der Sachverständige Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Gleichgewichtssystem, wie z.B. auf Leitern und Gerüsten, ferner schwere Greif-, Hebe- oder Haltetätigkeiten mit besonderer Anforderung an die rechte Hand sowie Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten für nicht mehr möglich gehalten; zu vermeiden seien außerdem mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art, Publikumsverkehr und besondere nervliche Belastungen sowie Tätigkeiten an laufenden ungeschützten Maschinen, während sich Witterungs- und Umweltfaktoren nur bei extremer Konstellation einschränkend auswirkten. Dem Kläger seien allerdings ?betriebsunübliche? Pausen von fünf Minuten je 60 Minuten Arbeitszeit zuzugestehen. Das SG hat anschließend von der R.L. Bauunternehmung noch die Auskunft vom 24. Juni 2008 eingeholt; dort hat die frühere Arbeitgeberin des Klägers mitgeteilt, dass dieser als Hofmeister täglich sechs Stunden arbeite. Hierzu hat der Kläger eingewandt, dass er nur 5,30 Stunden täglich arbeite; in der Arbeitgeberauskunft sei die täglich halbstündige Pause übersehen worden. Er leiste diese Arbeit unter Aufopferung seiner Restgesundheit, weil ihm wirtschaftlich nach rund 30-jähriger Tätigkeit nichts anderes übrig bleibe. Aufgrund der 30-jährigen Betriebszugehörigkeit sei ihm ferner Berufsschutz zuzugestehen; außerdem seien die Pausen zu je fünf Minuten pro 60 Minuten Arbeitszeit - entgegen der Auffassung der Beklagten - betriebsunüblich. Mit Gerichtsbescheid vom 3. August 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, auch nicht im Sinne einer Berufsunfähigkeit; betriebsunübliche Pausen lägen nicht vor, denn diese Arbeitsunterbrechungen seien als so genannte persönliche Verteilzeiten anzusehen, die nicht als die Arbeitszeit verkürzende Pausen zu betrachten seien.

Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 6. August 2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 26. August 2009 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung des Klägers. In der Berufungsbegründung hat er weiterhin die Auffassung vertreten, dass Pausen in der von Dr. O. für notwendig erachteten engen Frequenz deutlich betriebsunüblich seien. Mit Schriftsatz vom 2. August 2010 hat der Kläger ferner dargetan, dass er an den Wochentagen von Montag bis Freitag täglich 5,75 Stunden arbeite, und zwar zulasten seiner Restgesundheit. In den Schriftsätzen vom 14. Juni und 3. Juli 2012 hat der Kläger außerdem vorgebracht, dass er nunmehr bis zu acht Stunden täglich als Autopolierer bei der Fa. Karosserie Sch. tätig sei; die tägliche Arbeitszeit erstrecke sich montags bis donnerstags von 7.30 Uhr bis 8.45 Uhr, sodann von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und nachmittags von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr, außerdem freitags von 7.30 Uhr bis 8.45 Uhr, von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr sowie von 13.00 Uhr bis 14.45 Uhr. Auch dieses Beschäftigungsverhältnis habe er allein aus finanzieller Not zulasten seiner Restgesundheit aufgenommen.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. August 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2007 zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 2007 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. J. vom 17. August 2010 vorgelegt und vorgebracht, die sachverständigerseits für erforderlich gehaltenen zusätzlichen Pausen pro Stunde stellten keine betriebsunüblichen Arbeitszeitunterbrechungen dar. Die Beklagte hat ferner eine fiktive Rentenberechnung vorgenommen; bei einem unterstellten Eintritt der Erwerbsminderung am 27. August 2012 ergebe sich unter Berücksichtigung des vom Kläger in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts, dass eine Erwerbsminderungsrente aufgrund des unzulässigen Überschreitens sämtlicher Hinzuverdienstgrenzen des § 96a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht zu leisten wäre.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Facharzt für Neurologie Dr. W. zum Sachverständigen bestellt; dieser hat im Gutachten vom 14. Februar 2010 einen Zustand nach Schädelhirntrauma 9/2004 mit Impressionsfraktur links parieto-occipital sowie kleinem Epiduralhämatom und Subduralhämatom links, eine somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia sowie eine Zustand nach Quetschungstrauma des Fingers II rechts am 19.02.2004 mit der Folge einer Amputation des Fingers im Grundgelenk diagnostiziert. Aufgrund dieser Erkrankungen sei der Kläger noch in der Lage, mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung sowie mit Tragen und Heben von Lasten bis zu 10 kg bis zu sechs Stunden täglich zu verrichten; nicht zumutbar seien Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Gleichgewicht, d.h. Arbeiten auf Dächern, Gerüsten oder Leitern, ferner Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck, insbesondere Akkord- und Fließbandarbeit sowie eine Nachtschichttätigkeit. Außerdem sei die Greif- und Haltefunktion der rechten Hand gemindert, was bei der Bedienung von Arbeitsgeräten und Maschinen zu berücksichtigen sei. Die Erkrankungen führten zu einer rascheren Ermüdung, weshalb zusätzliche Pausen von fünf Minuten je 60 Minuten Arbeitszeit zuzugestehen seien. Ebenfalls auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat außerdem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. als Sachverständigen beauftragt. Im Gutachten vom 22. Juli 2010 hat der Arzt das Leistungsvermögen des Klägers - bei den Diagnosen eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma, einer Dysthymia, eines Zustandes nach Schädelhirntrauma 9/1990 mit Impressionsfraktur links parieto-occipital, kleinem Epiduralhämatom und Subduralhämatom links sowie eines Zustandes nach Quetschungstrauma Digitus II rechts 2/2004 mit der Folge einer Amputation des Fingers am Grundgelenk - nur noch auf maximal drei Stunden täglich eingeschätzt; zusätzliche Pausen von fünf Minuten je 60 Minuten Arbeitszeit seien einzuhalten. Der Senat hat ferner von der Fa. Karosserie Sch. die schriftliche Auskunft vom 8. August 2012 eingeholt; darin hat diese mitgeteilt, dass die tägliche Arbeitszeit des Klägers 7,8 Stunden bei einer 39 Stundenwoche betrage; dieser gelte als vollwertige Arbeitskraft.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Rentenakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm im Haupt- und Hilfsantrag begehrten Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2 a.a.O.). Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB VI haben Versicherte - bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Satzes 1 Nrn. 2 und 3 a.a.O. - Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu allgemein Bundessozialgericht (BSG) BSGE 80, 24 ff. = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) hat der Kläger erfüllt. Ferner wären die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Renten wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI) ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 27. August 2012 gegeben, wenn eine Erwerbsminderung - wie vom Kläger geltend gemacht - schon weit vor der Rentenantragstellung oder aber auch erst mit dieser eingetreten wäre. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Kläger indes keinen Anspruch auf die begehrten Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, weil er in der streitbefangenen Zeit nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI gewesen ist. Ebenso wenig vermag der Kläger, der als ungelernter Arbeitnehmer zum Kreis der Versicherten gehört, für die bei einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen grundsätzlich keine Verweisungstätigkeiten zu benennen sind (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10 S. 33) und die deshalb keinen Berufsschutz genießen, eine - im Berufungsverfahren im Übrigen nicht mehr angesprochene - Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) zu beanspruchen.

Die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers berühren vorwiegend das neurologisch-psychiatrische Gebiet; sie führen jedoch zu keinen einen Rentenanspruch auslösenden Leistungseinschränkungen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme leidet der Kläger an den Restfolgen des am 21. September 1990 erlittenen Schädeltraumas mit einer Fraktur der Schädelkalotte sowie Blutungen zwischen den Schädelknochen, den Hirnhäuten und dem Gehirn (Impressionsfraktur links parieto-occipital, Kalottenfraktur links bis zur Schädelbasis, kleines Epiduralhämatom und Subduralhämatom links); er klagt insoweit über chronische Kopfschmerzen, rasche Erschöpfung, verminderte Belastbarkeit, Gereiztheit sowie Drehschwindelattacken, wobei sich die Schwindelsymptomatik freilich neurologischerseits sowohl anlässlich der Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. O. als auch bei Dr. W. nicht reproduzieren ließ. Beide Sachverständige haben aufgrund der mehrfach durchgeführten bildgebenden Verfahren (Computertomographie vom 1. März 2007, Kernspintomographie vom 22. Februar 2005) eine Schädigung der Hirnsubstanz ausgeschlossen; auch die von beiden jeweils aktuell durchgeführte Elektroenzephalographie war - bis auf einen von Dr. O. gesehenen leichten Herdbefund infolge des Knochenlückedefekts - unauffällig. Dr. W. hat im Gegensatz zu Dr. O. sogar ein postkontusionelles Syndrom ausgeschlossen, weil eine Gehirnerschütterung zu keinem Zeitpunkt habe gesichert werden können. Beide Sachverständige haben eine demonstrative Beschwerdeschilderung beschrieben und daraus resultierend eine Verdeutlichungstendenz hervorgehoben; die Sachverständige Dr. R. hat sogar Aggravationstendenzen nicht ausschließen möchten. Eine Zunahme der Beschwerden hat sich auch in der Folgezeit nicht gezeigt; hierauf hat die Sozialmedizinerin Dr. J. in ihrer vom Senat als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen zu verwertenden Stellungnahme vom 17. August 2008 zu Recht hingewiesen. Ein von Dr. R. angeführtes mittelgradiges depressives Syndrom, das er deswegen nicht bei der Aufzählung der Diagnosen, sondern erst im Rahmen der Beantwortung der Beweisfragen aufgeführt haben will, weil das Syndrom ?wahrscheinlich einer deskriptiven Querschnittssituation? entspreche, lässt sich nach den Ausführungen der Sozialmedizinerin bereits anhand der anamnestischen Angaben des Klägers nicht nachvollziehen. Der vom Kläger gegenüber Dr. R. - wie schon zuvor bei Dr. R. - beschriebene Tagesablauf war strukturiert mit (damals) täglicher Arbeitszeit von 7.00 Uhr morgens bis 12.00 oder gar 13.00 Uhr mittags; die tägliche Arbeitszeit hat der Kläger nach Wechsel des Arbeitgebers zwischenzeitlich sogar noch erweitert. Eine akute Arbeitsunfähigkeit, die eine depressive Erkrankung mit mittelgradigen Episoden in der Regel nach sich ziehen würde, ist nirgends beschrieben. Eine Dysthymia (ICD 10 F.34.1), d.h. eine chronische depressive Verstimmung, die nach Schweregrad und Dauer der einzelnen Episoden nicht die Kriterien einer leichten oder gar mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung erfüllt, erscheint - wie von Dr. J. dargestellt - eher unwahrscheinlich. Eine ambulante Psychotherapie findet nicht statt, ebenso wenig eine antidepressive Medikation im engeren Sinn; die verordneten Medikamente sind in der angegebenen Dosierung lediglich von schmerzmodulierender und distanzierender Wirkungsweise. Das von Dr. R. außerdem diagnostizierte organische Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma, das ausweislich der Codierung (ICD 10 F.07.2) ein - vom Praxiskollegen dieses Sachverständigen, dem Neurologen Dr. W., beim Kläger im Übrigen gerade ausgeschlossenes - postkontusionelles Syndrom inkludiert, ist, worauf Dr. J. zutreffend hingewiesen hat, weder durch ergänzende testpsychologische Diagnostik noch durch apparative Zusatzuntersuchungen untermauert. Ebenso wenig ist die von Dr. W. fachfremd diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD 10 F45.4) nachvollziehbar; selbst Dr. R. hat die Auffassung geäußert, dass sich die vom Kläger angegebenen Beschwerden einer solchen Schmerzstörung nicht zuordnen lassen. Schon die Sachverständige Dr. R. hatte keinerlei Hinweise für eine manifeste Depression oder rezidivierende depressive Episoden gesehen; sie hat deshalb aufgrund der Untersuchung am 10. März 2008 auf psychiatrischem Gebiet in sich schlüssig keine Diagnose von Krankheitswert zu stellen vermocht. Auch der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. K. - im Übrigen früherer Praxiskollege des Sachverständigen Dr. W. und Praxisvorgänger von Dr. R. - hat im Schreiben vom 28. November 2007 lediglich Kopfschmerzen beschrieben und den neurologischen Befund als altersentsprechend unauffällig bezeichnet. Bezüglich der am 19. Juli 2004 erlittenen Quetschverletzung des rechten Zeigefingers mit nachfolgender Amputation war der neurologische Untersuchungsbefund sowohl bei Dr. O. als auch bei Dr. W. ebenfalls unauffällig; das Schmerzsyndrom an der rechten Hand ist - nach der Vollamputation des rechten Zeigefingers - mittlerweile in den Hintergrund getreten.

Die beim Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen schränken seine Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht nicht ein. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens einschließlich aller Beweismittel, zu deren Verwertung er im Rahmen der in freier richterlicher Beweiswürdigung zu treffenden Entscheidung verpflichtet ist (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Kläger ist nach der schlüssig begründeten Beurteilung der Sachverständigen Dr. O. und Dr. R. noch in der Lage, mindestens Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zur selben Einschätzung ist bereits Dr. P. gelangt, deren Rentengutachten vom 6. Februar 2007 vom Senat urkundenbeweislich zu verwerten ist. Selbst der nach § 109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. W. und der als sachverständiger Zeuge gehörte Chirurg Dr. B. sind zu einem quantitativen Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich gelangt. Auch der Kläger hat sich im Übrigen ausweislich der Anlage zum Rentenantrag vom 16. Januar 2007 leichtere Arbeiten noch sechs Stunden täglich zugetraut. Soweit der nach § 109 SGG bestellte Sachverständige Dr. R. die Leistungsfähigkeit des Klägers nur noch auf ?maximal? drei Stunden täglich einschätzt hat, vermag dem der Senat in Anbetracht von Art und Ausmaß der vorhandenen Gesundheitsstörungen nicht zu folgen. Ohnehin ist nicht auszuschließen, dass sich Dr. R. in seiner Beurteilung nicht davon hat freimachen können, dass der Kläger in seiner Praxis auch behandelt wird. Das gilt ferner für Dr. K., der den Kläger - nicht nachvollziehbar - lediglich für drei- bis unter sechsstündig täglich leistungsfähig gehalten hat.

Hinsichtlich des zu beachtenden positiven und negativen Leistungsbildes würdigt der Senat die ärztlichen Äußerungen dahingehend, dass der Kläger jedenfalls körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Zu vermeiden sind Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und mit Absturzgefahr, an laufenden ungeschützten Maschinen, Tätigkeiten ohne volle Kraftentfaltung der rechten Hand, d.h. ohne schwere Greif-, Hebe- oder Haltetätigkeiten, Arbeiten unter Zeitdruck sowie unter Schicht-, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeitsbedingungen, Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Beanspruchung sowie Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung und erhöhter psychosozialer Belastung wie Publikumsverkehr. Dagegen wirken sich Witterungs- und Umweltfaktoren nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. O. nur bei extremer Konstellation einschränkend aus; Dr. W. und Dr. R. haben demgegenüber sowohl Arbeiten im Freien als auch in geschlossenen Räumen für zumutbar gehalten und auch bezüglich von Nässe und Staubeinwirkung keine speziellen Einschränkungen gemacht. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Gehfähigkeit (vgl. hierzu etwa BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10) haben alle insoweit befragten Sachverständigen - Dr. O., Dr. R., Dr. W. und Dr. R. - nicht gesehen. Die Notwendigkeit zu Arbeitsunterbrechungen in einem das betriebliche Maß übersteigenden Rahmen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 11/96 - (juris)) haben die Sachverständige Dr. R. sowie Dr. J. verneint. Arbeitsunterbrechungen in einem betriebsunüblichen Maß stellen im Übrigen auch für die von den Sachverständigen Dr. O., Dr. W. und Dr. R. für erforderlich gehaltenen fünf Minuten Pause pro Stunde nicht dar. Selbst wenn derartige Unterbrechungen entgegen der Beurteilung der vorgenannten Ärztinnen für notwendig zu erachten wären, handelte es sich nicht um betriebsunübliche Pausen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt verengten. Darauf hat bereits das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend hingewiesen. Nach § 4 Arbeitszeitgesetz (AZG) sind bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden Ruhepausen von mindestens 30 Minuten einzuhalten, die in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden können. Über die nach dem AZG vorgeschriebenen Pausen hinaus werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang arbeitgeberseits noch so genannte Verteilzeiten zugestanden (z.B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten bzw. Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte; vgl. Urteil des Bayer. LSG vom 6. September 2012 - L 13 R 709/09 - (juris)). Auch gelten beispielsweise Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 30. März 1989 - 6 AZR 326/86 - EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung Nr. 11 und vom 27. April 2000 - 6 AZR 861/98 - NZA 2001, 274; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. August 2003 - L 14 R 137/01 - (juris); Senatsurteil vom 21. Oktober 2010 - L 7 R 2478/07 -). Für Büroarbeiten wird vom Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie die von den Arbeitgebern den Arbeitnehmern zugestandene persönliche Verteilzeit mit etwa 12 % der tariflich festgesetzten Arbeitszeit angesetzt, sodass etwa sieben Minuten je Arbeitsstunde an persönlicher Verteilzeit kalkuliert werden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. August 2003 a.a.O.). Der Kläger kann mithin neben den durch das AZG vorgeschriebenen Pausen auch noch die Verteilzeiten für eine Erholung nutzen, sodass schon aus diesem Grund ein unüblicher Pausenbedarf nicht vorliegt.

Der Kläger ist nach allem weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, auch nicht im Sinne einer Berufsunfähigkeit. Leistungseinschränkungen, die trotz eines mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens zu einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen könnten (vgl. hierzu zuletzt BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 16; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr. 18), liegen nicht vor. Ohnehin stellt der Kläger seine Leistungsfähigkeit täglich eindrucksvoll unter Beweis. Nachdem er nach den Arbeitsunfällen bei der R.L. Bauunternehmung als Hausmeister bzw. Hofmeister eingesetzt worden war, und zwar schon nach seinem eigenen Eingeständnis im Rentenantrag im Umfang von etwa sechs Stunden täglich (so auch die Arbeitgeberauskunft vom 24. Juni 2008), ist er seit 1. Juli 2011 als Fahrzeugpolierer bei der Fa. Karosserie Sch. im Rahmen einer 39 Stunden-Woche durchschnittlich arbeitstäglich 7,8 Stunden beschäftigt (vgl. Arbeitgeberauskunft vom 8. August 2012). Die Arbeit umfasst das Polieren der lackierten Fahrzeugteile nach der Trocknungszeit sowie die Entfernung von Staubeinschlüssen auf der Lackoberfläche; die körperlichen Anforderungen der Arbeit beinhalten ständiges Bücken, Knien, langes Stehen und erfordern ständige Konzentration, damit auch kleinste Staubeinschlüsse und Lackunebenheiten entfernt werden können. Der Kläger gilt im Betrieb als vollwertige Arbeitskraft. Unterbrechungen wegen Arbeitsunfähigkeit gab es ausweislich der vorgenannten Arbeitgeberauskunft keine; auch dem Versicherungsverlauf vom 27. August 2012 lassen sich seit Juni 2007, d.h. seit erneuter Arbeitsaufnahme nach Vollamputation des rechten Zeigefingers, keine Zeiten der Arbeitsunfähigkeit entnehmen. Von einer Arbeit auf Kosten der Restgesundheit (vgl. hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 30; BSGE 51, 133 = SozR 2200 § 1247 Nr. 31; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 89) kann nach allem keine Rede sein. Darauf, dass der Kläger zumindest seit seiner Beschäftigung bei der Fa. Karosserie Sch. mit seinem Arbeitsverdienst sämtliche Hinzuverdienstgrenzen des § 96a SGB VI überschreiten dürfte, kommt es nach allem nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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