L 4 KR 4438/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4847/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4438/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. August 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Dezember 2008 und 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009 aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 2009 versicherungspflichtig nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) war.

Die 1973 geborene Klägerin ist staatlich anerkannte Erzieherin - Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung -. Seit April 1998 war sie selbstständige Musiklehrerin. Sie erteilt Unterricht zur musikalischen Früherziehung von Kindern. Mit Bescheid vom 30. April 1998 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG in der Rentenversicherung, gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung ab 1. April 1998 fest. Der Beitragsberechnung legte sie ein Jahreseinkommen für das Jahr 1998 von DM 8.000,00 (= monatlich DM 666,66) für die Rentenversicherung sowie von DM 8.680,00 (= monatlich DM 723,33) für die gesetzliche Krankenversicherung oder soziale Pflegeversicherung zugrunde.

Nachdem die Klägerin in den Jahren 2007 und 2008 der Beklagten ein voraussichtliches Arbeitseinkommen nicht gemeldet hatte, hörte die Beklagte die Klägerin zur Beendigung der Versicherungspflicht nach dem KSVG zum frühestmöglichen Zeitpunkt an und gab Gelegenheit zur Äußerung innerhalb von zwei Wochen nach Zugang (Schreiben vom 4. Dezember 2008). Eine Äußerung der Klägerin erfolgte nicht. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 20. Dezember 2008 - nach Behauptung der Beklagten am 22. Dezember 2008 zur Post gegeben, nach Behauptung der Klägerin ihr am 29. Dezember 2008 zugegangen - fest, dass die Versicherungspflicht nach § 1 KSVG am 31. Dezember 2008 ende. Wegen fehlender Meldung des voraussichtlichen Arbeitseinkommens trotz Aufforderung auch für das Jahr 2008 müsse sie (die Beklagte) davon ausgehen, dass eine selbstständige künstlerische/publizistische Tätigkeit nicht mehr in berufsmäßigem Umfang ausgeübt werde und deshalb die Voraussetzungen für eine Versicherung nach dem KSVG nicht mehr vorlägen.

Die Klägerin erhob am 28. Januar 2009 Widerspruch. Sie gab an, aus künstlerischer Tätigkeit monatlich Euro 108,00, mithin voraussichtlich im Jahr Euro 1.296,00 zu erhalten. Sie sei in den vergangenen Jahren in einer Musikschule und auch privat tätig gewesen. Aufgrund einer gesundheitlichen und psychischen Krise (Verweis auf das vorgelegte Attest des Diplom-Psychologen R. vom 4. Oktober 2008 mit der Diagnose Anpassungsstörung) sei sie im Sommer 2008 aus der Musikschule ausgeschieden und habe lediglich beschränkt auf ein Minimum Privatschüler unterrichtet. Ab März 2009 habe sie wieder neue Schüler aufgenommen, weshalb ihr geschätztes Arbeitseinkommen für das Jahr 2009 bei Euro 2.806,00 liege. Sie reichte den Bescheid der Agentur für Arbeit Karlsruhe vom 22. Oktober 2008 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von Euro 344,60 monatlich vom 1. Oktober 2008 bis 28. Februar 2009, den Bescheid des Landkreises Karlsruhe - Sozialamt - vom 31. Oktober 2008 über die Bewilligung von Kosten der Unterkunft vom 1. September bis 31. Dezember 2008 in Höhe von Euro 400,00 monatlich, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 (vom 13. Oktober 2006) und 2006 (vom 25. Juni 2008), in denen Einkünfte aus selbstständiger Arbeit von Euro 4.029,00 (2005) und Euro 2.579,00 (2006) genannt sind, sowie eine handschriftliche Einnahme-Überschuss-Rechnung für das Jahr 2007, in der als Gewinn der Betrag von Euro 2.764,60 genannt ist, ein.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 30. April 2009 auf den "Antrag vom 28. Januar 2009" fest, dass die Klägerin nach dem KSVG nicht versichert werde, weil die Versicherungsvoraussetzungen nach §§ 1 und 3 KSVG ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht erfüllt seien. Für das Kalenderjahr 2009 bestehe bei einem zu erwartenden Jahreseinkommen von bis zu Euro 3.900,00 keine Versicherungspflicht. Das von der Klägerin angegebene Arbeitseinkommen sei geringfügig im Sinne der genannten Regelung. Die Klägerin erhob am 26. Mai 2009 auch gegen den Bescheid vom 30. April 2009 Widerspruch. Da bislang innerhalb von sechs Kalenderjahren nur für zwei Kalenderjahre das Unterschreiten der Grenze von Euro 3.900,00 nachgewiesen sei, sei die Versicherungspflicht bestehen geblieben (§ 3 Abs. 3 KSVG). Sie legte zunächst eine Einnahme-Überschuss-Rechnung für das Jahr 2008 vor, in der als Gewinn der Betrag von Euro 4.244,00 genannt ist. Während des Widerspruchsverfahrens forderte die Beklagte die Klägerin auf (Schreiben vom 20. August 2009), geeignete Nachweise vorzulegen sowie ihr zu erwartendes Einkommen für das laufende Jahr zu schätzen, wobei das Schreiben den handschriftlichen Zusatz enthält "(sofern Änderung)". Die Klägerin legte den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 11. September 2009, in dem Einkünfte aus selbstständiger Arbeit von Euro 4.244,00 genannt sind, sowie sechs Bescheinigungen von Eltern, wonach deren Kinder bei der Klägerin Flötenunterricht erhielten, vor. Sie trat auch der Auffassung der Beklagten entgegen, der Widerspruch vom 28. Januar 2009 sei verfristet. Wenn dies zuträfe, hätte er als Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gewertet werden müssen. Auf Anfrage der Beklagten gab das Finanzamt P. an, die Klägerin habe im Jahr 2004 Euro 6.147,00, im Jahr 2005 Euro 4.029,00, im Jahr 2006 Euro 2.579,00, im Jahr 2007 Euro 2.764,00 und im Jahr 2008 Euro 4.244,00 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin vom 28. Januar 2009 als unzulässig und den Widerspruch vom "25." (gemeint 26.) Mai 2009 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009). Der erst am 28. Januar 2009 eingegangene Widerspruch sei verspätet, da die Widerspruchsfrist bei Aufgabe des Bescheids (vom 20. Dezember 2009) am 22. Dezember 2009 zur Post mit Ablauf des 26. Januar 2009 verstrichen gewesen sei. Gründe, die für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Der verfristete Widerspruch vom 28. Januar 2009 sei von Amts wegen als erneute Meldung auf Überprüfung der Versicherungsvoraussetzungen gemäß § 1 KSVG betrachtet worden. Die Überprüfung des in § 3 Abs. 3 KSVG geregelten Sechsjahreszeitraums sei jedoch aufgrund der bereits beendeten Versicherungspflicht nicht möglich, da sich diese Regelung auf eine bestehende Versicherungspflicht beziehe. Einschlägig für die erneute Überprüfung der Versicherungsvoraussetzungen sei § 3 Abs. 1 KSVG. In den Jahren 2006 und 2007 habe das tatsächlich erzielte Jahresarbeitseinkommen unterhalb der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze des § 3 KSVG gelegen. Für das Jahr 2009 habe die Klägerin ein voraussichtliches Jahresarbeitseinkommen in Höhe von Euro 1.296,00 geschätzt, weshalb zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid (vom 30. April 2009) Versicherungsfreiheit gemäß § 3 Abs. 1 KSVG festgestellt worden sei. Die eingereichten Bestätigungen der Eltern von Musikschülern der Klägerin sei nicht ausreichend, um ein Jahreseinkommen über Euro 3.900,00 im Jahr 2009 zu verifizieren, weshalb die erneute Feststellung der Versicherungspflicht ab dem 28. Januar 2009 nicht habe erfolgen können. Eine Überprüfung auf Rücknahme des Bescheids vom 20. Dezember 2008 nach § 44 SGB X erfolge noch.

Die Beklagte lehnte den Antrag vom 28. Januar 2009, den Bescheid vom 20. Dezember 2009 aufzuheben, ab und verwies auf die Begründung des Widerspruchsbescheids (Bescheid vom 3. November 2009).

Gegen den am 14. Oktober 2009 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am Montag, 16. November 2009 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) und begehrte die Aufhebung der Bescheide vom 20. Dezember 2008 und 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009. Ihr Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Dezember 2008 sei rechtzeitig gewesen, weil dieser Bescheid ihr erst am 29. Dezember 2008 zugegangen sei. Sie sei weiterhin als Musiklehrerin künstlerisch tätig (Verweis auf die vorgelegten Bestätigungen). Im Jahre 2008 habe sie das Jahresarbeitseinkommen von Euro 3.900,00 überschritten. Der Bescheid vom 20. Dezember 2008 enthalte keine Prognose und der Widerspruchsbescheid nehme keine entsprechende Prognose zu diesem Bescheid vor. Im Bescheid vom 30. April 2009 habe die Beklagte über einen vermeintlichen, tatsächlich jedoch nicht vorliegenden Antrag entschieden, den sie (die Beklagte) nur konstruiert habe, weil sie davon ausgegangen sei, ihr (der Klägerin) Widerspruch sei verfristet gewesen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie ging aufgrund des Vortrags der Klägerin nunmehr davon aus, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Dezember 2008 innerhalb der Widerspruchsfrist erfolgt sei, so dass dieser Bescheid keine bestandskräftige Beendigung der Versicherungspflicht zum 31. Dezember 2008 bewirkt habe und die Privilegierung des § 3 Abs. 3 KSVG zu Gunsten der Klägerin wirke. Sie (die Beklagte) habe bei der vorzunehmenden Prognose eines Arbeitseinkommens oberhalb der Grenze der Geringfügigkeit des § 3 Abs. 1 KSVG bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009 spätestens infolge der Auskunft des Finanzamts P. davon ausgehen müssen, dass die Klägerin bereits in den Jahren 2006 und 2007, in denen sie aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit kein Arbeitseinkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze erzielt habe, die Privilegierung des § 3 Abs. 3 KSVG ausgeschöpft habe. Für das Jahr 2009 habe die Klägerin kein neues Arbeitseinkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze gemeldet. Die vorgelegten Bestätigungen enthielten keine Angaben zur Höhe der Unterrichtsgebühren.

Den mit der Klage gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die angefochtenen Bescheide anzuordnen, lehnte das SG mit Beschluss vom 27. November 2009 ab (S 5 KR 4848/09 ER). Im anschließenden Beschwerdeverfahren beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 11 KR 5996/09 ER-B) verpflichtete sich die Beklagte, die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG ab 1. November 2009 (Eingang der höheren Prognose im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beim SG) festzustellen. Die Klägerin begrenzte daraufhin den Rechtsstreit auf die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 2009.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. August 2010 ab. Der Bescheid vom 20. Dezember 2008 sei nicht zu beanstanden, weil die Beklagte zu Recht ihre Feststellung, die Klägerin unterliege der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X aufgehoben habe. Da die Klägerin bis zum 1. Dezember 2008 keine Meldung erstattet habe, sei die daraufhin von der Beklagten vorgenommene Prognose, wonach das Einkommen der Klägerin aus ihrer künstlerischen Tätigkeit die Grenze von Euro 3.900,00 nicht übersteigen werde, nicht zu beanstanden. Grundlage für diese Schätzung seien im Wesentlichen die eigenen Angaben der Klägerin zu ihrem voraussichtlichen jährlichen Arbeitseinkommen am 28. Januar 2009 von Euro 1.296,00 und am 11. März 2009 von Euro 2.806,00 gewesen. Nicht zu überzeugen vermöge der Vortrag der Klägerin, das im Einkommensteuerbescheid für 2008 ausgewiesene Arbeitseinkommen in Höhe von Euro 4.244,00 sei grundsätzlich auch im Jahr 2009 zu erwarten gewesen. Die im Rahmen des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes am 16. November 2009 vorgelegte Einnahme-Überschuss-Rechnung für die Monate August bis Oktober 2009 sei nicht geeignet, die Einkommensprognose der Beklagten infrage zu stellen, weil diese Rechnung erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids erfolgt sei. Im Jahre 2009 sei (prognostisch) zum dritten Mal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Grenze von Euro 3.900,00 nicht überschritten worden. Für den Antrag, den Bescheid vom 30. April 2009 aufzuheben, fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Zwar erscheine es fraglich, dass die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 28. Januar 2009 als neuen Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG werte. Die isolierte Aufhebung des Bescheids würde die Rechtsstellung der Klägerin aber nicht verbessern, weil hierfür die Kombination der erhobenen Anfechtungsklage mit einer Verpflichtungs- oder Feststellungsklage erforderlich sei. Eine Auslegung des Klageantrags in diese Richtung scheide aus, weil die Klägerin vortrage, sie habe keinen erneuten Antrag auf Feststellung von Versicherungspflicht nach dem KSVG gestellt.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 18. August 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am Montag, 20. September 2010 Berufung eingelegt. Das SG gehe fehlerhaft davon aus, die Beklagte habe im Bescheid vom 20. Dezember 2008 eine Prognoseentscheidung getroffen, dass sie (die Klägerin) im Jahr 2008 voraussichtlich Arbeitseinkommen unter Euro 3.900,00 erzielen werde. Die Beklagte habe vielmehr festgestellt, sie (die Klägerin) übe keine künstlerische Tätigkeit mehr aus und damit eine Entscheidung nach § 1 KSVG, nicht aber nach § 3 KSVG getroffen. Sie habe auch einen Anspruch auf "sozialrechtliche Wiederherstellung". Denn das Verfahren, mit welchem die Beklagte ihre Prognose vorgenommen habe, die im Widerspruchsverfahren erstmals tatsächlich vorgenommen worden sei, sei unter Verletzung der allgemeinen Beratungspflicht ergangen. Soweit die Prognoseprüfung im Widerspruchsverfahren zu beachten sei, habe der Widerspruchsausschuss dieses Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Bereits der Vergleich ihrer Schätzung im Vergleich zu den sich nachträglich ergebenden Einkünften aus dem Jahre 2008 mache deutlich, dass sie ihre eigene Einschätzung viel zu gering angesetzt gehabt habe. Hätte die Beklagte mitgeteilt, welche Einkommenschätzung sie zugrunde zu legen beabsichtige, hätte sie (die Klägerin) diese Einschätzung entsprechend korrigiert. Auch sei eine Anhörung, dass Einkommen nicht in gesetzlichem Umfang vorliege und bereits in zwei Jahren unterschritten worden sei, nicht erfolgt. Nach ihrer Auffassung sei bei der Prüfung des § 3 Abs. 3 KSVG nur das jeweils nachträgliche Einkommen zu berücksichtigen und nicht bereits die Prognoseentscheidung für das dritte Jahr. Sei der Bescheid vom 20. Dezember 2008 aufzuheben, müsse auch zwangsläufig der Bescheid vom 30. April 2009 aufgehoben werden, da dieser nachträglich ergangen sei und inzident die Feststellung enthalte, dass ab dem 28. Januar 2009 die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht nicht bestünden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. August 2010 und die Bescheide der Beklagten vom 20. Dezember 2008 und 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, im Zeitraum vom 28. Januar bis 30. Oktober 2009 Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Da die Klägerin mit ihren Einkünften in den Jahren 2006, 2007 und 2009 die Grenze von Euro 3.900,00 nicht überschritten habe, habe spätestens ab 1. Januar 2009 Versicherungsfreiheit nach § 3 KSVG bestanden. Die Feststellung des Endes der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG im Bescheid vom 20. Dezember 2008 enthalte konkludent die Aufhebung des entgegenstehenden Bescheids vom 30. April 1998 (Verweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. Juli 2007 - L 5 KR 140/06 -).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten L 11 KR 5985/09 ER-B und L 11 KR 207/10 B, die Akten des SG (S 5 KR 4847/09 und S 5 KR 4848/09) sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) entschieden hat, ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung ist auch statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben, insbesondere nicht der Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn die Berufung betrifft die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG und nicht eine Klage auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt.

2. Gegenstand des Rechtsstreits sind die Bescheide der Beklagten vom 20. Dezember 2008 und 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009. Diese Bescheide hat die Klägerin mit ihrer Klage angefochten.

Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 3. November 2009, mit welchem die Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin nach § 44 SGB X hinsichtlich des Bescheids vom 20. Dezember 2008 ablehnte. Weder hat die Klägerin diesen Bescheid mit der beim SG erhobenen Klage angefochten noch ist er nach § 96 Abs. 1 SGG in der seit 1. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I, S. 444) Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Nach dieser Vorschrift wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Eine Überprüfungsbescheid nach § 44 SGB X ändert oder ersetzt den ursprünglichen, vom den Antrag nach § 44 SGB X stellenden Beteiligten als rechtswidrig angesehenen Bescheid nicht ab (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 30. September 2009 - B 9 SB 19/09 B -; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 10. Juli 2011 - L 12 AS 1077/11 - und 8. Oktober 2003 - L 5 AL 4123/02 -; alle in juris).

3. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 20. Dezember 2008 und 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat den die Versicherungspflicht in der KSVG feststellenden Bescheid vom 30. April 1998 mit den genannten, von der Klägerin angefochtenen Bescheiden nicht aufgehoben und damit die Versicherungspflicht der Klägerin in der Künstlersozialversicherung in der noch streitigen Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 2009 nicht wirksam beendet.

a) Hinsichtlich des Bescheids vom 20. Dezember 2008 ist richtige Klageart die isolierte Anfechtungsklage. Mit dem Bescheid vom 20. Dezember 2008 verfügte die Beklagte das Ende der Versicherungspflicht der Klägerin als selbstständige Künstlerin in der Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung zum 31. Dezember 2008. Zur Begründung stützte sie sich darauf, die Klägerin übe keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des § 1 KSVG mehr aus. Der Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 änderte weder den Verfügungssatz (Ende der Versicherungspflicht zum 31. Dezember 2008) noch die Begründung (keine künstlerische Tätigkeit) des Bescheids vom 20. Dezember 2008, weil der Widerspruchsausschuss der Beklagten den gegen diesen Bescheid von der Klägerin eingelegten Widerspruch vom 28. Januar 2009 als verfristet ansah. Das Klageziel der Klägerin hinsichtlich dieses Bescheides ist, dass sie auch ab 1. Januar 2009 als Künstlerin versicherungspflichtig in der Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ist. Dieses Klageziel kann die Klägerin mit der isolierten Anfechtungsklage erreichen. Denn mit der Aufhebung des Bescheids vom 20. Dezember 2008 bestünde die mit dem früheren Bescheid vom 30. April 1998 getroffene Feststellung der Versicherungspflicht fort.

b) Rechtsgrundlage für die im Bescheid vom 20. Dezember 2008 geregelte Feststellung, die Klägerin sei nicht mehr versicherungspflichtig, ist § 8 Abs. 2 Satz 2 KSVG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 SGB X. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KSVG ist im Übrigen (soweit nicht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 KSVG nach § 4 Nr. 1 oder 3 bis 7 KSVG oder nach § 5 KSVG Versicherungsfreiheit eintritt) der Bescheid über die Versicherungspflicht bei Änderung der Verhältnisse nur mit Wirkung vom Ersten des Monats an aufzuheben, der auf den Monat folgt, in dem die Beklagte von der Änderung Kenntnis erhält; § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X bleibt unberührt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Entscheidung über die Versicherungspflicht nach dem KSVG ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet bzw. inhaltlich verändert (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 16. Februar 1984 - 1 RA 15/83 - SozR 1300 § 45 Nr. 6 und vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Bescheids der Beklagten vom 30. April 1998, mit welchem die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG feststellte, erfüllt. Diese Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin wirkte auf Dauer.

Um diese auf Dauer wirkende Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin zu beenden, war es notwendig, den feststellenden Bescheid vom 30. April 1998 aufzuheben. Dies hat die Beklagte nicht getan. Weder aus dem Bescheid vom 20. Dezember 2008 noch aus dem Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 ergibt sich, dass die Beklagte sich bewusst war, den Bescheid vom 30. April 1998 aufheben zu müssen. Er wird in keinem dieser Bescheide genannt, ebenso wenig § 8 Abs. 2 Satz 2 KSVG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 SGB X als Rechtsgrundlage für die Feststellung des Endes der Versicherungspflicht. Aufgrund dessen geht der Senat davon aus, dass sich die Beklagte nicht bewusst war, einen früher erlassenen Bescheid aufheben zu müssen. Deshalb vermag der Senat den Bescheid vom 20. Dezember 2008 auch nicht dahin auszulegen, dass mit ihm konkludent der frühere Feststellungsbescheid vom 30. April 1998 aufgehoben worden ist.

c) Da der Bescheid vom 20. Dezember 2008 die Versicherungspflicht der Klägerin nicht wirksam zum 31. Dezember 2008 beendete, bestand die Versicherungspflicht fort. Eine Feststellung der Beklagten über das Ende der Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG hätte deshalb in einem weiteren Aufhebungsbescheid gestützt auf § 8 Abs. 2 Satz 2 KSVG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 SGB X erfolgen müssen. Als solcher kommt der Bescheid vom 30. April 2009 in Betracht.

Hinsichtlich des Bescheids vom 30. April 2009 ist der richtige Klageart ebenfalls die isolierte Anfechtungsklage. Mit diesem Bescheid verfügte die Beklagte, dass keine Versicherungspflicht der Klägerin als Künstlerin bestehe. Zur Begründung stützte sie sich darauf, dass die Klägerin ihre künstlerische Tätigkeit im Jahr 2009 nur in einem geringfügigen Umfang ausübe. Aufgrund der Entscheidungsgründe ist davon auszugehen, dass die Beklagte auch in diesem Bescheid die fehlende Versicherungspflicht ab 1. Januar 2009 regelte. Der Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 änderte weder den Verfügungssatz (keine Versicherungspflicht ab 1. Januar 2009) noch die Begründung (künstlerische Tätigkeit nur in einem geringfügigen Umfang) des Bescheids vom 30. April 2009. Auch hinsichtlich dieses Bescheides ist Klageziel der Klägerin, dass sie ab 1. Januar 2009 als Künstlerin versicherungspflichtig in der Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ist.

Aber auch der Bescheid vom 30. April 2009 hob aus den zuvor genannten Gründen den feststellenden Bescheid vom 30. April 1998 nicht auf. Die Annahme, dass die Beklagte sich nicht bewusst war, einen früheren Bescheid aufheben zu müssen, wird hinsichtlich des Bescheides vom 30. April 2009 zusätzlich bekräftigt, dass die Beklagte ursprünglich davon ausging, die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG sei durch den Bescheid vom 20. Dezember 2008 beendet und sie müsse nunmehr aufgrund eines neuen Antrags der Klägerin, den sie im Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 20. Dezember 2008 sah, die Versicherungspflicht neu feststellen. Bereits dies verbietet auch die Auslegung des Bescheides dahin, er hebe konkludent einen entgegenstehenden früheren Feststellungsbescheid auf.

d) Da die Bescheide vom 20. Dezember 2008 und 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2009 aufzuheben waren, ist der die Versicherungspflicht der Klägerin in der KSVG feststellende Bescheid vom 30. April 1998 weiterhin wirksam (§ 39 Abs. 2 SGB X). Es kommt damit nicht darauf an, ob die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG gemäß § 3 Abs. 3 KSVG entfallen ist, weil die Klägerin mit ihrem Arbeitseinkommen innerhalb von sechs Jahren zweimal die Geringfügigkeitsgrenze von Euro 3.900,00 unterschritten hat.

Da die Klägerin mit ihrem Hauptantrag bereits erfolgreich war, bedarf es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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