Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2512/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5965/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.09.2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.06.2007 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, die Bescheide vom 27.07.2005, mit denen sie festgestellt hatte, der Kläger zu 2 in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 1 nicht abhängig beschäftigt und somit nicht sozialversicherungspflichtig sei, zurückzunehmen.
Die Klägerin zu 1 ist eine GmbH, deren Geschäftsinhalt die Durchführung von Stukkateurarbeiten ist. Sie wurde von B. M., dem Vater des Klägers zu 2, und H. M., dem Onkel des Klägers zu 2, gegründet. Mit am 06.12.1989 notariell beurkundetem Gesellschaftsvertrag wurde der Kläger zu 2 als Gesellschafter aufgenommen. Das Stammkapital von 50.000,00 DM wurde wie folgt aufgebracht: B. M.: 20.000,00 DM, H. M.: 25.000,00 DM, Kläger zu 2: 5.000,00 DM. Zu Geschäftsführern waren B. M. und H. M. bestellt. Nach § 13 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags bedürfen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer Mehrheit von Zweidrittel der abgegeben Stimmen des vertretenen Stammkapitals (§ 14 Abs 1).
Der 1969 geborene Kläger zu 2 ist gelernter Stuckateur. Er absolvierte die Lehre in einem anderen Betrieb und arbeitete anschließend einige Zeit dort. 1988 trat er als angestellter Gipser in das Unternehmen seines Vaters und seines Onkels ein. In den Jahren 1992 und 1993 absolvierte der Kläger zu 2 die Meisterausbildung, die er mit bestandener Meisterprüfung abschloss, 1993 dann in einem anderen Betreib eine Zusatzausbildung. Seit dem 01.03.1994 ist er wieder im Familienunternehmen tätig. Das monatliche Entgelt betrug zuletzt 6.050,00 Euro. Dieses wurde auf ein privates Konto des Klägers zu 2 überwiesen, es wurde als Betriebsausgabe gebucht und Lohnsteuer davon abgeführt. Ein schriftlicher Arbeits- oder Anstellungsvertrag wurde nicht geschlossen. Am 31.12.1994 vereinbarten die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 schriftlich, dass dieser berechtigt sei, die Gesellschaft zu vertreten, soweit dies im Rahmen seiner Tätigkeit und seines Aufgabengebietes erforderlich und zweckmäßig ist. Eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erfolgte nicht. In der Folgezeit schloss der Kläger zu 2 eine Weiterbildung zum Betriebswirt im Handwerk erfolgreich ab.
Der Gesellschaftsanteil des Klägers zu 2 wurde im Laufe der Zeit auf 20 vH des Stammkapitals der Klägerin zu 1 (1999), zuletzt auf 30 vH des Stammkapitals aufgestockt.
Der Kläger zu 2 hat der Klägerin zu 1 mittlerweile Darlehen im fünfstelligen Bereich gewährt, vor allem durch darlehensweise Belassung von nichtabgeschöpften Gewinnanteilen in der Gesellschaft. Seit August 2008 ist der Kläger zu 2 zum Geschäftsführer der Klägerin zu 1 bestellt und wird seitdem von dieser als nicht mehr sozialversicherungspflichtig eingestuft. H. M. ist seit dem 30.07.2008 nicht mehr Geschäftsführer.
Am 11.07 2005 beantragte der Kläger zu 2 bei der Beklagten die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status. Ihm sei bekannt geworden, dass die Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 3) in letzter Zeit in einigen Fällen die Zahlung von Arbeitslosengeld an Angehörige der Inhaber eines Unternehmens verweigert habe. Dies sei damit begründet worden, dass die Sozialversicherungspflicht von Angehörigen nicht nur durch die Beteiligungsverhältnisse bestimmt werde.
Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung wurde ua angegeben, der Kläger zu 2 sei in den Betrieb wie eine fremde Arbeitskraft eingegliedert. Er habe eine Fünf- Tage-Woche und arbeite fünfzig Stunden. Es bestünden feste Arbeitszeiten. Ohne seine Mitarbeit müsste eine andere Arbeitskraft eingestellt werden. Der Kläger zu 2 sei an Weisungen des Betriebsinhabers nicht gebunden, er könne seine Tätigkeit auch frei bestimmen und gestalten. Darüber hinaus wirke er bei der Führung des Betriebes mit und seine Mitarbeit sei durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt. Es sei ein Urlaubsanspruch von dreißig Tagen im Jahr vereinbart. Bei Arbeitsunfähigkeit sei das Arbeitsentgelt mindestens sechs Wochen fortzuzahlen. Eine Kündigungsfrist sei nicht vereinbart. Das Arbeitsentgelt entspreche nicht dem tariflichen bzw ortsüblichen Lohn/Gehalt. Als sonstige Bezüge würden Gewinnausschüttungen gewährt. Die Tätigkeit des Klägers zu 2 umfasse das Erstellen von Angeboten, Organisieren, Controlling, Abwicklung und bauleiterische Tätigkeiten, Mitarbeiterführung usw.
Mit Bescheiden vom 27.07.2005 stellte die Beklagte jeweils gegenüber den Klägern fest, dass seit dem 01.03.1994 kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliege und somit die Voraussetzungen für die Sozialversicherungspflicht fehlten.
Mit Schreiben vom 04.03.2006 unterrichtete die Beklagte daraufhin die Beigeladene zu 1 über die Bescheide vom 27.07.2005 und die Erstattungsanträge der Kläger. Mit Schreiben vom 14.03.2006, das bei der Beklagten am 22.03.2006 einging, teilte die Beigeladene zu 1 der Beklagten mit, der Bescheid vom 27.07.2005 sei rechtswidrig und deswegen zurückzunehmen. Die Beigeladene zu 3 erstattete mit Bescheiden vom 27.03.2006 die geleisteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 01.03.1994 bis zum 28.02.2006.
Mit Schreiben vom 05.07.2006 teilte die Beklagte dem Kläger zu 2 mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 27.05.2005 aufzuheben.
Mit an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid vom 14.10.2006 hob die Beklagte den Bescheid vom 27.07.2005 ?nach Abstimmung mit der Deutschen Rentenversicherung? auf und stellte mit dem in der Anlage beigefügten, an die Klägerin zu 1 gerichteten Bescheid gleichen Datums fest, seit dem 01.03.1994 habe ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen und somit seien auch die Voraussetzungen für die Sozialversicherungspflicht gegeben.
Mit einem von beiden Klägern getragenen Widerspruch vom 10.11.2006 machten diese ua geltend, der Kläger zu 2 sei nicht weisungsgebunden. Innerhalb des väterlichen Betriebs obliege ihm die Materialbeschaffung, das Controlling, die Organisation sowie die Vertragsverhandlung mit Kunden. Bezüglich Arbeitsort, -zeit, -dauer und - umfang bestehe vollständige Eigenverantwortlichkeit. Darüber hinaus sei der Kläger zu 2 berechtigt, selbständig Personal einzustellen und zu entlassen. Er beeinflusse maßgebliche Unternehmensentscheidungen, sowohl was die zukünftige Firmenausrichtung als auch wesentliche Investitionsvorhaben betreffe. Im Hinblick auf die Umsetzung der danach getroffenen Entscheidungen sei er alleinvertretungsberechtigt. Mit der Gewährung von Darlehen von mehr als 15.000,00 Euro trage er ein erhebliches unternehmerisches Risiko. Außerdem habe er zum Wohle des väterlichen Betriebs schon auf seine Tätigkeitsvergütung verzichtet. Seine Arbeitszeit betrage mehr als fünfzig Stunden pro Woche. Ein festgelegter Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung bestehe nicht. Urlaub könne vielmehr nur genommen werden, wenn es die betrieblichen Erfordernisse zuließen. Insgesamt sei das betriebliche Verhältnis auf gleicher Augenhöhe durch gegenseitige Rücksichtnahme geprägt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Tatsache, dass das Arbeitsentgelt des Klägers zu 2 als Betriebsausgabe gebucht und davon Lohnsteuer entrichtet werde sowie über die gesamte Zeit entsprechende Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, nicht Ursache oder Auslöser eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern vielmehr allein dessen gesetzlich vorgeschriebene Folge.
Mit einheitlichem Widerspruchsbescheid vom 27.06.2007 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Kläger zurück. Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses stehe grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit in der Familie im Allgemeinen etwas weniger stark ausgeprägt sei und deshalb das Weisungsrecht möglicherweise nur mit gewissen Einschränkungen ausgeübt werde. Dass das Arbeitsverhältnis im Innenbereich durch familienhafte Rücksichtnahme gekennzeichnet sei und daher das Weisungsrecht verfeinert ausgeübt werde, stehe dieser Feststellung nicht entgegen, sondern sei bei familienhafter Mitarbeit geradezu symptomatisch. Die Funktion des Klägers zu 2 sei mit der eines leitenden Angestellten vergleichbar. Im Übrigen verfügten Vater und Onkel des Klägers zu 2 sowohl bezüglich der handwerklichen als auch der kaufmännischen Tätigkeit über einschlägige Fachkenntnisse, sodass die Fachkenntnisse des Klägers zu 2 nicht als Indiz für eine selbständige Tätigkeit zu werten seien. Schließlich habe die Klägerin zu 1 den Kläger zu 2 im Zuge der Arbeitgeberpflichten seit dem 01.03.1994 als sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gemeldet. In dem streitigen Zeitraum habe es auch mehrere Betriebsprüfungen gegeben, bei denen dieses Beschäftigungsverhältnis zu keiner Zeit angezweifelt worden sei. Es handle sich demnach um ein langjährig gelebtes Beschäftigungsverhältnis.
Am 05.07.2007 haben die Kläger beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Zu der überdurchschnittlichen Arbeitszeit des Klägers zu 2 komme noch hinzu, dass geleistete Überstunden und nicht genommene Urlaubstage nicht vergütet würden. Wenn es aus betrieblichen Gründen erforderlich sei, arbeite der Kläger zu 2 auch an Sonn- und Feiertagen. Seinen Urlaub müsse er sich nicht genehmigen lassen, er müsse im Krankheitsfall auch kein Attest vorlegen. Er trage ein erhebliches unternehmerisches Risiko. Derzeit habe er eigenes Kapital als Betriebsdarlehen iHv 30.053,48 Euro gewährt. Ein fremdbestimmter, beliebig austauschbarer Arbeitnehmer würde ein derartiges unternehmerisches Risiko für seinen Arbeitgeber aber niemals eingehen. Die Baustellen seien zwischen dem Kläger zu 2 und seinem Vater zu gleichen Teilen aufgeteilt. Dagegen sei der Onkel für das Kaufmännische zuständig. Das Personal werde von ihm, dem Kläger zu 2, und seinem Vater eingestellt. Insgesamt habe er nach seiner Aus- und Weiterbildung frischen Wind in das Unternehmen gebracht. Er habe neue Geschäftsideen entwickelt, so dass zwischen ihm und seinem Vater die jeweiligen Erfahrungen hätten ausgetauscht werden können und jeder von dem Wissen des anderen profitiert habe. Im Übrigen habe jeder der drei Gesellschafter seine Entscheidungen selbst getroffen. Unternehmensweisende Entscheidungen habe man allerdings stets gemeinsam beschlossen. Hierbei habe immer Einstimmigkeit geherrscht. Insgesamt übe er jetzt als Geschäftsführer nach wie vor die gleiche Tätigkeit aus und habe dieselbe Funktion wie zu der Zeit, als er nach bestandener Meisterprüfung in den Betrieb eingestiegen sei.
Das SG hat mit Urteil vom 30.09.2010 die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid sei § 45 SGB X. Der Bescheid vom 27.07.2005 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Gemessen an den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen sei die Tätigkeit des Klägers zu 2 im streitigen Zeitraum sozialversicherungspflichtig gewesen. Bei dem niedrigen Kapitalanteil (10 bzw 20 %) sei im Regelfall ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis anzunehmen. Ausnahmen seien nur dann anerkannt, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebe, dass der Minderheitsgesellschafter über eine Sperrminorität verfüge, durch die er Beschlüsse der Gesellschafterversammlung in allen wesentlichen Angelegenheiten verhindern könne, was hier nicht der Fall sei. Allein aus der Tatsache, dass Gesellschafterbeschlüsse bislang im Einvernehmen mit dem Kläger zu 2 getroffen worden seien, könne nicht geschlossen werden, die Klägerin zu 1 wolle von ihren rechtlichen Befugnissen gegenüber dem Kläger zu 2 generell keinen Gebrauch machen und diesem vielmehr ?freie Hand? lassen Auch die vom Kläger zu 2 übernommenen Tätigkeitsbereiche und Funktionen ließen sich mit der Stellung eines abhängig beschäftigten leitenden Angestellten in Einklang bringen, bei der das Weisungsrecht des Arbeitgebers zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein könne, wenn der Versicherte nur in den Betrieb eingegliedert sei. Insoweit komme auch das enge Verwandtschaftsverhältnis zwischen den drei Gesellschaftern zum Tragen. Zwar könne eine persönliche Abhängigkeit von den tatsächlichen Verhältnissen überlagert sein, doch sei vorliegend nicht von einer derart beherrschenden Stellung des Klägers zu 2 auszugehen. Eine das Unternehmen dominierende Stellung lasse sich auch nicht aufgrund der während der Weiterbildung zum Betriebswirt im Handwerk erworbenen Kenntnisse ableiten. Der Kläger zu 2 habe als Gesellschafter der Klägerin zu 1 kein unternehmerisches Risiko getragen, da angesichts seines geringfügigen Anteils am Stammkapital die allgemeine Gefahr eines GmbH-Gesellschafters, in einer Krisensituation der Gesellschaft faktisch gezwungen zu sein, in erheblichem Umfang Kapital nachzuschießen eher gering gewesen sei. Eine konsequent erfolgsabhängige Vergütung sei darüber hinaus nicht vorgenommen worden, vielmehr sei ein Fixgehalt zugesagt gewesen. Auch die Tatsache, dass der Kläger zu 2 der Klägerin zu 1 eigenes Kapital als Betriebsdarlehen gewährt habe, führe zu keiner anderen Beurteilung. Die Darlehensbeträge seien größtenteils aus den jährlichen Gewinnausschüttungen gewährt worden, wobei die vom Kläger zu 2 zur Verfügung gestellten Beträge im Vergleich zu denen seines Vaters und Onkels den mit Abstand geringsten Anteil der Gesellschafter-Darlehen ausmachten. Hinzu komme, dass die Mithaftung von Familienangehörigen mit der Haftung fremder Arbeitnehmer für Verbindlichkeiten des Unternehmens nicht zu vergleichen sei. Denn Familienangehörige hätten in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Hieraus ergebe sich aber noch nicht, dass der Kläger zu 2 ein wesentliches Unternehmensrisiko eingegangen sei. Die von ihm eingesetzte Arbeitskraft könne dem Wagniskapital eines Unternehmers nicht gleichgesetzt werden. Die zusätzlich gewährte Gewinnbeteiligung führe zu keinem Unternehmerrisiko, denn diese sei angesichts des dem Kläger zustehenden festen Monatsgehalts dem Wagniskapital nicht gleichzusetzen, sondern Ausdruck auch bei Arbeitnehmern verbreiteter leistungsorientierter Vergütungsbestandteile. Es habe für den Kläger zu 2 nie die Gefahr bestanden, die Arbeitskraft ohne Gegenleistung einsetzen zu müssen. Die Gewinnbeteiligung sei nicht mit einem Verlustrisiko verbunden und im Übrigen bei Angestellten mit herausgehobener Verantwortungsposition nicht unüblich. Das Vertrauen der Kläger auf den Bestand des Bescheids vom 27.07.2005 sei nicht nach § 45 Abs 1 bis 4 SGB X geschützt. Denn diese Regelung gelte nach § 49 SGB X nicht.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 03.12.2010 zugestellte Urteil haben die Kläger am 30.12.2010 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers zu 2 bei der Klägerin zu 1 sei nach ihrem Gesamtbild als selbstständige Erwerbstätigkeit einzustufen, so dass der Kläger zu 2 im streitgegenständlichen Zeitraum zwischen dem 01.03.1994 bis zum 31.07.2008 nicht in einem dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die Ausführungen des SG ließen deutlich werden, dass dieses in der mündlichen Verhandlung zu einem falschen Schluss gekommen sei. Der Kläger zu 2 habe im betrieblichen Alltag einen derart großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum gehabt, dass er sowohl weisungsfrei sei als auch aktiv Einfluss auf die betrieblichen Strukturen habe nehmen können und dies auch getan habe. Wende man die höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend sei, auf die betriebliche Wirklichkeit an, so müsse man vorliegend zu einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gelangen. Der Kläger zu 2 führe die Geschäfte des väterlichen Unternehmens selbstständig und sei dabei weder an eine feste Arbeitszeit noch an einen festen Arbeitsplatz bzw -umfang gebunden, darüber hinaus sogar von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Maßgeblich seien nicht die Beteiligungsverhältnisse, sondern hauptsächlich die Einflussnahmemöglichkeiten innerhalb des Unternehmens. Der Kläger zu 2 sei seit vielen Jahren im Unternehmen seines Vaters tätig. Die für den Stukkateur-Betrieb notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse habe er somit über einen äußerst langen Zeitraum erworben und dabei einen überobligatorischen Arbeitseinsatz, 60 Stunden-Wochen und mehr seien an der Tagesordnung gewesen, erbracht. Die von ihm zuhauf geleisteten Überstunden seien selbstverständlich nicht vergütet worden; einen Urlaubsanspruch besitze er nicht. Wenn er überhaupt Urlaub nehme, so erfolge dies ausschließlich nach Maßgabe und unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse. Angesichts der Tatsache, dass er mittlerweile selbst seit über 16 Jahren im väterlichen Unternehmen tätig sei, ginge im Falle des wirtschaftlichen Misserfolgs des Betriebs für ihn weit mehr verloren, als lediglich der eigene Arbeitsplatz. Von einem typischen Arbeitnehmerrisiko könne angesichts dieses Umstands keine Rede sein. Die Verbuchung des Arbeitsentgelts als Betriebsausgabe entspreche gängiger betrieblicher Praxis und könne nicht als Argument für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung und damit für eine Ablehnung eines Befreiungsantrages dienen. Im Übrigen sei vorliegend von einer Innengesellschaft gemäß § 705 ff BGB auszugehen, da vorliegend Vater und Sohn einvernehmlich bewusst und gewollt zusammengewirkt hätten, um mit dem Betrieb einen Gewinn zu erwirtschaften und somit auch ein gemeinsames Ziel verfolgt hätten. Der Vater lasse dem Kläger zu 2 vollständig freie Hand, da er sich mehr und mehr aus dem Geschäft zurückgezogen habe.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.09.2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie habe gemäß § 45 SGB X den Bescheid vom 27.07.2005, in dem fälschlicherweise die Sozialversicherungsfreiheit festgestellt worden sei, zurücknehmen dürfen. Aufgrund der vorliegenden Umstände habe der Kläger zu 2 in dem streitigen Zeitraum in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden. Auch die Umstände, dass der Kläger zu 2 im Betrieb seines Onkels und Vaters beschäftigt gewesen sei und Gesellschafteranteile iHv 10 % gehalten habe, ändere nichts an der Bewertung. Unstreitig sei in einem Familienunternehmen das Weisungsrecht oftmals weniger ausgeprägt als in anderen Unternehmen. Allerdings führe dies nicht automatisch dazu, eine abhängige Beschäftigung zu verneinen. Soweit der Kläger zu 2 vortrage, er habe von Anfang an in bestimmten Bereichen wie ua Vertragsverhandlungen, der Einstellung, Anweisung und Entlassung von Mitarbeitern weisungsfrei gehandelt, so sei dies kein Grund, das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu verneinen. Vielmehr habe der Kläger zu 2 wie ein leitender Angestellter fungiert, bei dem das Weisungsrecht eingeschränkt sei.
Die Beigeladene zu 1 hat ausgeführt, sie halte das angefochtene Urteil für zutreffend. Einen Antrag haben weder sie noch die weiteren Beigeladenen gestellt.
Der Sachverhalt ist mit den Beteiligten in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage besprochen worden; zugleich ist Beweis erhoben worden durch Befragung von B. M. als Zeuge. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Erörterungs-/Beweisaufnahmetermins vom 29.06.2012 wird auf Blatt 143 bis 148 der Senatsakten Bezug genommen. Im Termin sind die Beteiligten auch auf die Entscheidung des Senats vom 05.04.2011 (L 11 KR 965/09) hingewiesen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Kläger sind gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG statthaft, zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Gegenstand der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) sind die Bescheide der Beklagten vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.06.2007 (§ 95 SGG), mit denen die Beklagte ihre Bescheide vom 27.07.2005 aufgehoben und zugleich die Sozialversicherungspflicht des Klägers zu 2 in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 1 seit 01.03.1994 festgestellt hat.
Soweit die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1 mit Bescheid vom 14.10.2006 lediglich die neue sozialversicherungsrechtliche Feststellung getroffen hat, dass der Kläger zu 2 seit dem 01.03.1994 in seiner Beschäftigung bei der Klägerin zu 1 wegen abhängiger Beschäftigung in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sozialversicherungspflichtig sei, erscheint nicht unproblematisch, ob sie insoweit den zuvor ergangenen Bescheid vom 27.07.2005 wirksam aufgehoben hat. Denn insoweit fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung, dass dieser auch gegenüber der Klägerin zu 1 ergangene Bescheid aufgehoben wird. Auch aus dem Widerspruchsbescheid vom 27.062007 ergibt sich nichts dergleichen; dort wird lediglich angeführt, der Bescheid vom 27.07.2005 sei am 14.10.2006 zurückgenommen worden. Dies genügt aber grds nicht für eine wirksame Aufhebung. Vorliegend war aber aus den Umständen des Einzelfalles auch für die Klägerin zu 1 erkennbar - und sie hat es auch erkannt - dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 14.10.2006 den Bescheid vom 27.07.2005 aufgehoben hatte, sodass vorliegend auch gegenüber der Klägerin zu 1 eine Aufhebungsentscheidung ergangen war.
Offen bleiben kann, ob die Bescheide vom 27.07.2005 deswegen formell rechtswidrig sind, weil die Beigeladene zu 1 entgegen § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X vom Verwaltungsverfahren nicht rechtzeitig benachrichtigt worden war und sich infolgedessen am Verwaltungsverfahren nicht beteiligen konnte (vgl hierzu BSG 09.08.2006, B 12 KR 3/06 R, SozR 4-2600 § 229 Nr 1 RdNr 14; BSG 01.07.1999, B 12 KR 2/99 R, SozR 3-2400 § 28h Nr 9), denn die Bescheide vom 27.07.2005 sind jedenfalls materiell rechtswidrig.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterlagen im streitgegenständlichen Zeitraum in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 25 Abs 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Nach Auffassung des Senats war der Kläger zu 2 - wie das SG insoweit inhaltlich zutreffend ausgeführt hat und worauf der Senat Bezug nimmt - im streitigen Zeitraum in seiner Tätigkeit bei der Klägerin zu 1 abhängig beschäftigt iSd § 7 Abs 1 SGB IV und mithin in der Kranken-, Pflege und Rentenversicherung sowie nachdem Recht der Arbeitsförderung sozialversicherungspflichtig gewesen. Zu dieser Feststellung war die Beklagte verpflichtet gewesen, denn diese stellt als Einzugsstelle auch die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest (§ 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV); eine Feststellung der Beklagten als Einzugsstelle hatte der Kläger zu 2 auch beantragt.
Auch wenn daher die in den Bescheiden vom 27.07.2005 getroffene Feststellung, der Kläger zu 2 sei in seiner Tätigkeit bei der Klägerin zu 1 seit dem 01.03.1994 nicht abhängig beschäftigt und daher nicht sozialversicherungspflichtig, unzutreffend und mithin rechtswidrig ist, hat die Beklagte diese Bescheide mit den angefochtenen Bescheiden vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 27.06.2007 nicht rechtmäßig aufgehoben.
Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Aufhebungsentscheidung ist nicht nur die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsakts. Denn Rechtsgrundlage für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Bescheide ist § 45 SGB X. Insoweit gilt auch nicht deshalb etwas anderes, weil ein Dritter, hier die Beigeladene zu 1 sich gegen die Bescheide der Beklagten vom 27.07.2005 gewandt hat.
Nach § 49 SGB X gelten ua § 45 Abs 1 bis 4 SGB X ?nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgeben wird?. § 49 SGB X greift aber vorliegend nicht ein (so auch schon Senatsurteil vom 05.04.2011, L 11 KR 965/09, NZS 2011, 868 = juris, dort Rdnr 28 ff mit weiteren Ausführungen zum Ganzen). Vorliegend kommt § 49 SGB X schon deshalb nicht zur Anwendung, weil die Beklagte ihre Bescheide vom 27.07.2005 nicht aufgrund eines Widerspruchs oder einer Klage der Beigeladenen zu 1 aufgehoben hat. Das Schreiben der Beigeladenen zu 1 vom 15.03.2006 stellt keinen Widerspruch (§§ 83, 84 SGG) und damit auch keine Anfechtung im Sinne des § 49 SGB X dar. Es handelt sich bei diesem Schreiben lediglich um einen Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 27.07.2005 iSd §§ 44 bzw 45 SGB X. Das Schreiben kann auch nicht im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes (dazu BSG, Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 89/09 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 29) dahingehend ausgelegt werden, dass die Beigeladene zu 1 inhaltlich Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2005 hätte einlegen wollen. Denn die Beigeladene zu 1 kennt als Sozialversicherungsträger die entsprechende Diktion und damit den Unterschied zwischen einem Überprüfungsantrag und einem Widerspruch. Insoweit hatte die Beigeladene Ziff 1 lediglich dargelegt, dass sie den Bescheid vom 27.07.2005 für rechtswidrig erachtet und eine Rücknahme seitens der Beklagten erwartet.
Selbst wenn man dennoch davon ausgegangen wollte, dass die Beigeladene zu 1 am 22.03.2006 (Eingang des Schreibens vom 14.03.2006 bei der Beklagten) Widerspruch eingelegt hätte, würde dies nicht zur Anwendbarkeit des § 49 SGB X führen. Denn § 49 SGB X erfasst nur den Teil eines Verwaltungsaktes, der zulässigerweise angefochten worden ist. Ein Widerspruch der Beigeladenen zu 1 wäre jedoch unzulässig. Denn nach § 78 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGG bedarf es eines Vorverfahrens nicht, wenn ein Versicherungsträger klagen will. Aus dieser Vorschrift folgt nicht nur die Zulässigkeit der (Anfechtungs-)Klage ohne Vorverfahren, sondern im Umkehrschluss auch die generelle Unzulässigkeit des Vorverfahrens in den dort geregelten Fällen (BSG 23.06.1994, 4 RK 3/93 = SozR 3-1500 § 87 Nr 1; Senatsurteil vom 05.04.2011 aaO). Die Beigeladene zu 1 hatte mithin auch kein Wahlrecht zwischen Widerspruch und Klage (Senatsurteil vom 05.04.211 aaO). Auch unter diesem Gesichtspunkt kann das Schreiben der Beigeladenen zu 1 vom 15.03.2006 nicht als Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2005 gewertet werden; auch eine (Anfechtungs-)Klage hat sie in dem genannten Schreiben nicht erhoben.
Greift damit § 49 SGB X nicht zugunsten der Beigeladenen zu 1 ein, so sind die Voraussetzungen der Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes aus § 45 Abs 1 bis 4 SGB X zu entnehmen; eine nachträgliche Änderung, die nach § 48 SGB X zu berücksichtigen wäre, ist nicht eingetreten. Die Aufhebung des Bescheids vom 27.07.2005 war daher nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 1 bis 4 SGB X zulässig.
Die Aufhebung des Bescheids vom 27.07.2005 war, soweit es um die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit geht, nach § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X liegen nicht vor. Die Kläger haben in ihrem Antrag vom 13.07.2005 und auch sonst im Zusammenhang mit dem Feststellungsverfahren weder Angaben vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht noch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt; auch waren die Bescheide vom 27.07.2005 nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden. Des Weiteren liegen auch die Voraussetzungen des § 45 Abs 3 Satz 2 SGB X nicht vor. Anderes haben auch weder die Beklagte noch die Beigeladene zu 1 behauptet. Damit kommt eine Rücknahme der Bescheide vom 27.07.205 für die Vergangenheit nicht mehr in Betracht (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X).
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft wäre zwar grundsätzlich möglich gewesen. Doch hätte die Beklagte hierzu Ermessen ausüben müssen (zur Pflicht auch bei Anwendung des § 49 SGB X Ermessen auszuüben: LSG Hamburg 28.06.2012, L 1 KR 92/10, juirs). Zwar könnte sich anhand des vorausgegangenen Schriftwechsels ergeben, dass die Beklagte erkannt haben könnte, dass eine Vertrauensschutzprüfung durchzuführen ist (vgl zB das Schreiben an den Beklagten an die Beigeladene Ziff 1 vom 05.07.2006), doch zeigen die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und im Widerspruchsbescheid, dass die Beklagte zumindest nicht erkannt hat, dass Ermessen auszuüben war (§ 45 Abs 1 Satz 1 SGB X ?darf?). Denn nur so kann die Formulierung in dem an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid vom 14.10.2006 verstanden werden, wo die Beklagte ausgeführt hat: ?Dies hat nun in Abstimmung mit der Deutschen Rentenversicherung dazu geführt, dass der Bescheid vom 27.07.2005 hiermit zurückgenommen wird?. Auch aus dem an die Klägerin zu 1 gerichteten Bescheid vom 14.10.2006 sowie dem an beide Kläger gerichteten Widerspruchsbescheid, in denen sich die Beklagte nur mit der materiellen Rechtslage im Hinblick auf § 7 SGB IV, also dem Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befasst hat, lassen sich keinerlei Ermessenerwägungen entnehmen. Dies wäre aber nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X erforderlich gewesen. Insgesamt ist daher die Rücknahme der Bescheide vom 27.07.2005 wegen fehlender und nicht wirksam nachgeholter Ermessensausübung rechtswidrig.
Die Beklagte hat die Ermessensausübung auch nicht während des Klage- oder Berufungsverfahrens nach § 41 Abs 2 SGB X wirksam nachgeholt. Es kann daher offen bleiben, ob nach § 41 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 2 SGB X die Nachholung der Mitteilung der bei Erlass des Bescheids und Widerspruchsbescheids maßgebenden Ermessensgründe zulässig ist. Dies ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn der Versicherungsträger - wie vorliegend - im streitgegenständlichen Bescheid überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat, weil hier kein Fehler der Ermessensbegründung, sondern der Ermessensbetätigung vorliegt (Senatsurteil vom 05.04.2011, aaO). Die Ausführungen der Beklagten in den Schriftsätzen vom 12.09.2007 an das SG bzw vom 07.03.2011 an den Senat befassen sich alleine mit Fragen des sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers zu 2 und gehen auf die Voraussetzungen - und damit auch nicht auf Ermessensgesichtspunkte - des § 45 SGB X nicht ein. Der bloße Hinweis darauf (vgl Schriftsatz vom 07.03.2011), man habe den Bescheid gemäß § 45 SGB X aufheben dürfen, enthält keine Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung. Vielmehr wird aus den Ausführungen der Beklagten insgesamt deutlich, dass diese seinerzeit davon ausging, kein Ermessen ausüben zu müssen. Im Übrigen hätte eine - unter Nachholung der erforderlichen Ermessensausübung erfolgende - Rücknahme der Bescheide vom 27.07.2005 mit Wirkung für die Zukunft nicht mehr weiterhelfen können, da der Kläger zu 2 im Jahr 2008 aus anderen Gründen nicht mehr als sozialversicherungspflichtig angesehen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auf das vorliegende Verfahren ist das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anwendbar. Der Kläger zu 2, über dessen Status als Versicherter gestritten wurde, ist nach § 183 SGG kostenprivilegiert. Die für ihn bestehende Gerichtskostenfreiheit erstreckt sich wegen der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch auf die ansonsten gerichtskostenpflichtige Klägerin zu 1). Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine objektive Klagehäufung verschiedener, voneinander zu trennender Streitgegenstände vorliegt. Das ist hier jedoch nicht der Fall (zum ganzen LSG Nordrhein-Westfalen 24.03.2011, L 8 R 1107/10 B, juris; Beschluss des Senats vom 02.02.2012, L 11 KR 748/11 ER).
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, die Bescheide vom 27.07.2005, mit denen sie festgestellt hatte, der Kläger zu 2 in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 1 nicht abhängig beschäftigt und somit nicht sozialversicherungspflichtig sei, zurückzunehmen.
Die Klägerin zu 1 ist eine GmbH, deren Geschäftsinhalt die Durchführung von Stukkateurarbeiten ist. Sie wurde von B. M., dem Vater des Klägers zu 2, und H. M., dem Onkel des Klägers zu 2, gegründet. Mit am 06.12.1989 notariell beurkundetem Gesellschaftsvertrag wurde der Kläger zu 2 als Gesellschafter aufgenommen. Das Stammkapital von 50.000,00 DM wurde wie folgt aufgebracht: B. M.: 20.000,00 DM, H. M.: 25.000,00 DM, Kläger zu 2: 5.000,00 DM. Zu Geschäftsführern waren B. M. und H. M. bestellt. Nach § 13 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags bedürfen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer Mehrheit von Zweidrittel der abgegeben Stimmen des vertretenen Stammkapitals (§ 14 Abs 1).
Der 1969 geborene Kläger zu 2 ist gelernter Stuckateur. Er absolvierte die Lehre in einem anderen Betrieb und arbeitete anschließend einige Zeit dort. 1988 trat er als angestellter Gipser in das Unternehmen seines Vaters und seines Onkels ein. In den Jahren 1992 und 1993 absolvierte der Kläger zu 2 die Meisterausbildung, die er mit bestandener Meisterprüfung abschloss, 1993 dann in einem anderen Betreib eine Zusatzausbildung. Seit dem 01.03.1994 ist er wieder im Familienunternehmen tätig. Das monatliche Entgelt betrug zuletzt 6.050,00 Euro. Dieses wurde auf ein privates Konto des Klägers zu 2 überwiesen, es wurde als Betriebsausgabe gebucht und Lohnsteuer davon abgeführt. Ein schriftlicher Arbeits- oder Anstellungsvertrag wurde nicht geschlossen. Am 31.12.1994 vereinbarten die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 schriftlich, dass dieser berechtigt sei, die Gesellschaft zu vertreten, soweit dies im Rahmen seiner Tätigkeit und seines Aufgabengebietes erforderlich und zweckmäßig ist. Eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erfolgte nicht. In der Folgezeit schloss der Kläger zu 2 eine Weiterbildung zum Betriebswirt im Handwerk erfolgreich ab.
Der Gesellschaftsanteil des Klägers zu 2 wurde im Laufe der Zeit auf 20 vH des Stammkapitals der Klägerin zu 1 (1999), zuletzt auf 30 vH des Stammkapitals aufgestockt.
Der Kläger zu 2 hat der Klägerin zu 1 mittlerweile Darlehen im fünfstelligen Bereich gewährt, vor allem durch darlehensweise Belassung von nichtabgeschöpften Gewinnanteilen in der Gesellschaft. Seit August 2008 ist der Kläger zu 2 zum Geschäftsführer der Klägerin zu 1 bestellt und wird seitdem von dieser als nicht mehr sozialversicherungspflichtig eingestuft. H. M. ist seit dem 30.07.2008 nicht mehr Geschäftsführer.
Am 11.07 2005 beantragte der Kläger zu 2 bei der Beklagten die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status. Ihm sei bekannt geworden, dass die Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 3) in letzter Zeit in einigen Fällen die Zahlung von Arbeitslosengeld an Angehörige der Inhaber eines Unternehmens verweigert habe. Dies sei damit begründet worden, dass die Sozialversicherungspflicht von Angehörigen nicht nur durch die Beteiligungsverhältnisse bestimmt werde.
Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung wurde ua angegeben, der Kläger zu 2 sei in den Betrieb wie eine fremde Arbeitskraft eingegliedert. Er habe eine Fünf- Tage-Woche und arbeite fünfzig Stunden. Es bestünden feste Arbeitszeiten. Ohne seine Mitarbeit müsste eine andere Arbeitskraft eingestellt werden. Der Kläger zu 2 sei an Weisungen des Betriebsinhabers nicht gebunden, er könne seine Tätigkeit auch frei bestimmen und gestalten. Darüber hinaus wirke er bei der Führung des Betriebes mit und seine Mitarbeit sei durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt. Es sei ein Urlaubsanspruch von dreißig Tagen im Jahr vereinbart. Bei Arbeitsunfähigkeit sei das Arbeitsentgelt mindestens sechs Wochen fortzuzahlen. Eine Kündigungsfrist sei nicht vereinbart. Das Arbeitsentgelt entspreche nicht dem tariflichen bzw ortsüblichen Lohn/Gehalt. Als sonstige Bezüge würden Gewinnausschüttungen gewährt. Die Tätigkeit des Klägers zu 2 umfasse das Erstellen von Angeboten, Organisieren, Controlling, Abwicklung und bauleiterische Tätigkeiten, Mitarbeiterführung usw.
Mit Bescheiden vom 27.07.2005 stellte die Beklagte jeweils gegenüber den Klägern fest, dass seit dem 01.03.1994 kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliege und somit die Voraussetzungen für die Sozialversicherungspflicht fehlten.
Mit Schreiben vom 04.03.2006 unterrichtete die Beklagte daraufhin die Beigeladene zu 1 über die Bescheide vom 27.07.2005 und die Erstattungsanträge der Kläger. Mit Schreiben vom 14.03.2006, das bei der Beklagten am 22.03.2006 einging, teilte die Beigeladene zu 1 der Beklagten mit, der Bescheid vom 27.07.2005 sei rechtswidrig und deswegen zurückzunehmen. Die Beigeladene zu 3 erstattete mit Bescheiden vom 27.03.2006 die geleisteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 01.03.1994 bis zum 28.02.2006.
Mit Schreiben vom 05.07.2006 teilte die Beklagte dem Kläger zu 2 mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 27.05.2005 aufzuheben.
Mit an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid vom 14.10.2006 hob die Beklagte den Bescheid vom 27.07.2005 ?nach Abstimmung mit der Deutschen Rentenversicherung? auf und stellte mit dem in der Anlage beigefügten, an die Klägerin zu 1 gerichteten Bescheid gleichen Datums fest, seit dem 01.03.1994 habe ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen und somit seien auch die Voraussetzungen für die Sozialversicherungspflicht gegeben.
Mit einem von beiden Klägern getragenen Widerspruch vom 10.11.2006 machten diese ua geltend, der Kläger zu 2 sei nicht weisungsgebunden. Innerhalb des väterlichen Betriebs obliege ihm die Materialbeschaffung, das Controlling, die Organisation sowie die Vertragsverhandlung mit Kunden. Bezüglich Arbeitsort, -zeit, -dauer und - umfang bestehe vollständige Eigenverantwortlichkeit. Darüber hinaus sei der Kläger zu 2 berechtigt, selbständig Personal einzustellen und zu entlassen. Er beeinflusse maßgebliche Unternehmensentscheidungen, sowohl was die zukünftige Firmenausrichtung als auch wesentliche Investitionsvorhaben betreffe. Im Hinblick auf die Umsetzung der danach getroffenen Entscheidungen sei er alleinvertretungsberechtigt. Mit der Gewährung von Darlehen von mehr als 15.000,00 Euro trage er ein erhebliches unternehmerisches Risiko. Außerdem habe er zum Wohle des väterlichen Betriebs schon auf seine Tätigkeitsvergütung verzichtet. Seine Arbeitszeit betrage mehr als fünfzig Stunden pro Woche. Ein festgelegter Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung bestehe nicht. Urlaub könne vielmehr nur genommen werden, wenn es die betrieblichen Erfordernisse zuließen. Insgesamt sei das betriebliche Verhältnis auf gleicher Augenhöhe durch gegenseitige Rücksichtnahme geprägt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Tatsache, dass das Arbeitsentgelt des Klägers zu 2 als Betriebsausgabe gebucht und davon Lohnsteuer entrichtet werde sowie über die gesamte Zeit entsprechende Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, nicht Ursache oder Auslöser eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern vielmehr allein dessen gesetzlich vorgeschriebene Folge.
Mit einheitlichem Widerspruchsbescheid vom 27.06.2007 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Kläger zurück. Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses stehe grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit in der Familie im Allgemeinen etwas weniger stark ausgeprägt sei und deshalb das Weisungsrecht möglicherweise nur mit gewissen Einschränkungen ausgeübt werde. Dass das Arbeitsverhältnis im Innenbereich durch familienhafte Rücksichtnahme gekennzeichnet sei und daher das Weisungsrecht verfeinert ausgeübt werde, stehe dieser Feststellung nicht entgegen, sondern sei bei familienhafter Mitarbeit geradezu symptomatisch. Die Funktion des Klägers zu 2 sei mit der eines leitenden Angestellten vergleichbar. Im Übrigen verfügten Vater und Onkel des Klägers zu 2 sowohl bezüglich der handwerklichen als auch der kaufmännischen Tätigkeit über einschlägige Fachkenntnisse, sodass die Fachkenntnisse des Klägers zu 2 nicht als Indiz für eine selbständige Tätigkeit zu werten seien. Schließlich habe die Klägerin zu 1 den Kläger zu 2 im Zuge der Arbeitgeberpflichten seit dem 01.03.1994 als sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gemeldet. In dem streitigen Zeitraum habe es auch mehrere Betriebsprüfungen gegeben, bei denen dieses Beschäftigungsverhältnis zu keiner Zeit angezweifelt worden sei. Es handle sich demnach um ein langjährig gelebtes Beschäftigungsverhältnis.
Am 05.07.2007 haben die Kläger beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Zu der überdurchschnittlichen Arbeitszeit des Klägers zu 2 komme noch hinzu, dass geleistete Überstunden und nicht genommene Urlaubstage nicht vergütet würden. Wenn es aus betrieblichen Gründen erforderlich sei, arbeite der Kläger zu 2 auch an Sonn- und Feiertagen. Seinen Urlaub müsse er sich nicht genehmigen lassen, er müsse im Krankheitsfall auch kein Attest vorlegen. Er trage ein erhebliches unternehmerisches Risiko. Derzeit habe er eigenes Kapital als Betriebsdarlehen iHv 30.053,48 Euro gewährt. Ein fremdbestimmter, beliebig austauschbarer Arbeitnehmer würde ein derartiges unternehmerisches Risiko für seinen Arbeitgeber aber niemals eingehen. Die Baustellen seien zwischen dem Kläger zu 2 und seinem Vater zu gleichen Teilen aufgeteilt. Dagegen sei der Onkel für das Kaufmännische zuständig. Das Personal werde von ihm, dem Kläger zu 2, und seinem Vater eingestellt. Insgesamt habe er nach seiner Aus- und Weiterbildung frischen Wind in das Unternehmen gebracht. Er habe neue Geschäftsideen entwickelt, so dass zwischen ihm und seinem Vater die jeweiligen Erfahrungen hätten ausgetauscht werden können und jeder von dem Wissen des anderen profitiert habe. Im Übrigen habe jeder der drei Gesellschafter seine Entscheidungen selbst getroffen. Unternehmensweisende Entscheidungen habe man allerdings stets gemeinsam beschlossen. Hierbei habe immer Einstimmigkeit geherrscht. Insgesamt übe er jetzt als Geschäftsführer nach wie vor die gleiche Tätigkeit aus und habe dieselbe Funktion wie zu der Zeit, als er nach bestandener Meisterprüfung in den Betrieb eingestiegen sei.
Das SG hat mit Urteil vom 30.09.2010 die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid sei § 45 SGB X. Der Bescheid vom 27.07.2005 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Gemessen an den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen sei die Tätigkeit des Klägers zu 2 im streitigen Zeitraum sozialversicherungspflichtig gewesen. Bei dem niedrigen Kapitalanteil (10 bzw 20 %) sei im Regelfall ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis anzunehmen. Ausnahmen seien nur dann anerkannt, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebe, dass der Minderheitsgesellschafter über eine Sperrminorität verfüge, durch die er Beschlüsse der Gesellschafterversammlung in allen wesentlichen Angelegenheiten verhindern könne, was hier nicht der Fall sei. Allein aus der Tatsache, dass Gesellschafterbeschlüsse bislang im Einvernehmen mit dem Kläger zu 2 getroffen worden seien, könne nicht geschlossen werden, die Klägerin zu 1 wolle von ihren rechtlichen Befugnissen gegenüber dem Kläger zu 2 generell keinen Gebrauch machen und diesem vielmehr ?freie Hand? lassen Auch die vom Kläger zu 2 übernommenen Tätigkeitsbereiche und Funktionen ließen sich mit der Stellung eines abhängig beschäftigten leitenden Angestellten in Einklang bringen, bei der das Weisungsrecht des Arbeitgebers zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein könne, wenn der Versicherte nur in den Betrieb eingegliedert sei. Insoweit komme auch das enge Verwandtschaftsverhältnis zwischen den drei Gesellschaftern zum Tragen. Zwar könne eine persönliche Abhängigkeit von den tatsächlichen Verhältnissen überlagert sein, doch sei vorliegend nicht von einer derart beherrschenden Stellung des Klägers zu 2 auszugehen. Eine das Unternehmen dominierende Stellung lasse sich auch nicht aufgrund der während der Weiterbildung zum Betriebswirt im Handwerk erworbenen Kenntnisse ableiten. Der Kläger zu 2 habe als Gesellschafter der Klägerin zu 1 kein unternehmerisches Risiko getragen, da angesichts seines geringfügigen Anteils am Stammkapital die allgemeine Gefahr eines GmbH-Gesellschafters, in einer Krisensituation der Gesellschaft faktisch gezwungen zu sein, in erheblichem Umfang Kapital nachzuschießen eher gering gewesen sei. Eine konsequent erfolgsabhängige Vergütung sei darüber hinaus nicht vorgenommen worden, vielmehr sei ein Fixgehalt zugesagt gewesen. Auch die Tatsache, dass der Kläger zu 2 der Klägerin zu 1 eigenes Kapital als Betriebsdarlehen gewährt habe, führe zu keiner anderen Beurteilung. Die Darlehensbeträge seien größtenteils aus den jährlichen Gewinnausschüttungen gewährt worden, wobei die vom Kläger zu 2 zur Verfügung gestellten Beträge im Vergleich zu denen seines Vaters und Onkels den mit Abstand geringsten Anteil der Gesellschafter-Darlehen ausmachten. Hinzu komme, dass die Mithaftung von Familienangehörigen mit der Haftung fremder Arbeitnehmer für Verbindlichkeiten des Unternehmens nicht zu vergleichen sei. Denn Familienangehörige hätten in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Hieraus ergebe sich aber noch nicht, dass der Kläger zu 2 ein wesentliches Unternehmensrisiko eingegangen sei. Die von ihm eingesetzte Arbeitskraft könne dem Wagniskapital eines Unternehmers nicht gleichgesetzt werden. Die zusätzlich gewährte Gewinnbeteiligung führe zu keinem Unternehmerrisiko, denn diese sei angesichts des dem Kläger zustehenden festen Monatsgehalts dem Wagniskapital nicht gleichzusetzen, sondern Ausdruck auch bei Arbeitnehmern verbreiteter leistungsorientierter Vergütungsbestandteile. Es habe für den Kläger zu 2 nie die Gefahr bestanden, die Arbeitskraft ohne Gegenleistung einsetzen zu müssen. Die Gewinnbeteiligung sei nicht mit einem Verlustrisiko verbunden und im Übrigen bei Angestellten mit herausgehobener Verantwortungsposition nicht unüblich. Das Vertrauen der Kläger auf den Bestand des Bescheids vom 27.07.2005 sei nicht nach § 45 Abs 1 bis 4 SGB X geschützt. Denn diese Regelung gelte nach § 49 SGB X nicht.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 03.12.2010 zugestellte Urteil haben die Kläger am 30.12.2010 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers zu 2 bei der Klägerin zu 1 sei nach ihrem Gesamtbild als selbstständige Erwerbstätigkeit einzustufen, so dass der Kläger zu 2 im streitgegenständlichen Zeitraum zwischen dem 01.03.1994 bis zum 31.07.2008 nicht in einem dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die Ausführungen des SG ließen deutlich werden, dass dieses in der mündlichen Verhandlung zu einem falschen Schluss gekommen sei. Der Kläger zu 2 habe im betrieblichen Alltag einen derart großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum gehabt, dass er sowohl weisungsfrei sei als auch aktiv Einfluss auf die betrieblichen Strukturen habe nehmen können und dies auch getan habe. Wende man die höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend sei, auf die betriebliche Wirklichkeit an, so müsse man vorliegend zu einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gelangen. Der Kläger zu 2 führe die Geschäfte des väterlichen Unternehmens selbstständig und sei dabei weder an eine feste Arbeitszeit noch an einen festen Arbeitsplatz bzw -umfang gebunden, darüber hinaus sogar von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Maßgeblich seien nicht die Beteiligungsverhältnisse, sondern hauptsächlich die Einflussnahmemöglichkeiten innerhalb des Unternehmens. Der Kläger zu 2 sei seit vielen Jahren im Unternehmen seines Vaters tätig. Die für den Stukkateur-Betrieb notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse habe er somit über einen äußerst langen Zeitraum erworben und dabei einen überobligatorischen Arbeitseinsatz, 60 Stunden-Wochen und mehr seien an der Tagesordnung gewesen, erbracht. Die von ihm zuhauf geleisteten Überstunden seien selbstverständlich nicht vergütet worden; einen Urlaubsanspruch besitze er nicht. Wenn er überhaupt Urlaub nehme, so erfolge dies ausschließlich nach Maßgabe und unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse. Angesichts der Tatsache, dass er mittlerweile selbst seit über 16 Jahren im väterlichen Unternehmen tätig sei, ginge im Falle des wirtschaftlichen Misserfolgs des Betriebs für ihn weit mehr verloren, als lediglich der eigene Arbeitsplatz. Von einem typischen Arbeitnehmerrisiko könne angesichts dieses Umstands keine Rede sein. Die Verbuchung des Arbeitsentgelts als Betriebsausgabe entspreche gängiger betrieblicher Praxis und könne nicht als Argument für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung und damit für eine Ablehnung eines Befreiungsantrages dienen. Im Übrigen sei vorliegend von einer Innengesellschaft gemäß § 705 ff BGB auszugehen, da vorliegend Vater und Sohn einvernehmlich bewusst und gewollt zusammengewirkt hätten, um mit dem Betrieb einen Gewinn zu erwirtschaften und somit auch ein gemeinsames Ziel verfolgt hätten. Der Vater lasse dem Kläger zu 2 vollständig freie Hand, da er sich mehr und mehr aus dem Geschäft zurückgezogen habe.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.09.2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie habe gemäß § 45 SGB X den Bescheid vom 27.07.2005, in dem fälschlicherweise die Sozialversicherungsfreiheit festgestellt worden sei, zurücknehmen dürfen. Aufgrund der vorliegenden Umstände habe der Kläger zu 2 in dem streitigen Zeitraum in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden. Auch die Umstände, dass der Kläger zu 2 im Betrieb seines Onkels und Vaters beschäftigt gewesen sei und Gesellschafteranteile iHv 10 % gehalten habe, ändere nichts an der Bewertung. Unstreitig sei in einem Familienunternehmen das Weisungsrecht oftmals weniger ausgeprägt als in anderen Unternehmen. Allerdings führe dies nicht automatisch dazu, eine abhängige Beschäftigung zu verneinen. Soweit der Kläger zu 2 vortrage, er habe von Anfang an in bestimmten Bereichen wie ua Vertragsverhandlungen, der Einstellung, Anweisung und Entlassung von Mitarbeitern weisungsfrei gehandelt, so sei dies kein Grund, das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu verneinen. Vielmehr habe der Kläger zu 2 wie ein leitender Angestellter fungiert, bei dem das Weisungsrecht eingeschränkt sei.
Die Beigeladene zu 1 hat ausgeführt, sie halte das angefochtene Urteil für zutreffend. Einen Antrag haben weder sie noch die weiteren Beigeladenen gestellt.
Der Sachverhalt ist mit den Beteiligten in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage besprochen worden; zugleich ist Beweis erhoben worden durch Befragung von B. M. als Zeuge. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Erörterungs-/Beweisaufnahmetermins vom 29.06.2012 wird auf Blatt 143 bis 148 der Senatsakten Bezug genommen. Im Termin sind die Beteiligten auch auf die Entscheidung des Senats vom 05.04.2011 (L 11 KR 965/09) hingewiesen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Kläger sind gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG statthaft, zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Gegenstand der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) sind die Bescheide der Beklagten vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.06.2007 (§ 95 SGG), mit denen die Beklagte ihre Bescheide vom 27.07.2005 aufgehoben und zugleich die Sozialversicherungspflicht des Klägers zu 2 in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 1 seit 01.03.1994 festgestellt hat.
Soweit die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1 mit Bescheid vom 14.10.2006 lediglich die neue sozialversicherungsrechtliche Feststellung getroffen hat, dass der Kläger zu 2 seit dem 01.03.1994 in seiner Beschäftigung bei der Klägerin zu 1 wegen abhängiger Beschäftigung in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sozialversicherungspflichtig sei, erscheint nicht unproblematisch, ob sie insoweit den zuvor ergangenen Bescheid vom 27.07.2005 wirksam aufgehoben hat. Denn insoweit fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung, dass dieser auch gegenüber der Klägerin zu 1 ergangene Bescheid aufgehoben wird. Auch aus dem Widerspruchsbescheid vom 27.062007 ergibt sich nichts dergleichen; dort wird lediglich angeführt, der Bescheid vom 27.07.2005 sei am 14.10.2006 zurückgenommen worden. Dies genügt aber grds nicht für eine wirksame Aufhebung. Vorliegend war aber aus den Umständen des Einzelfalles auch für die Klägerin zu 1 erkennbar - und sie hat es auch erkannt - dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 14.10.2006 den Bescheid vom 27.07.2005 aufgehoben hatte, sodass vorliegend auch gegenüber der Klägerin zu 1 eine Aufhebungsentscheidung ergangen war.
Offen bleiben kann, ob die Bescheide vom 27.07.2005 deswegen formell rechtswidrig sind, weil die Beigeladene zu 1 entgegen § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X vom Verwaltungsverfahren nicht rechtzeitig benachrichtigt worden war und sich infolgedessen am Verwaltungsverfahren nicht beteiligen konnte (vgl hierzu BSG 09.08.2006, B 12 KR 3/06 R, SozR 4-2600 § 229 Nr 1 RdNr 14; BSG 01.07.1999, B 12 KR 2/99 R, SozR 3-2400 § 28h Nr 9), denn die Bescheide vom 27.07.2005 sind jedenfalls materiell rechtswidrig.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterlagen im streitgegenständlichen Zeitraum in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 25 Abs 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Nach Auffassung des Senats war der Kläger zu 2 - wie das SG insoweit inhaltlich zutreffend ausgeführt hat und worauf der Senat Bezug nimmt - im streitigen Zeitraum in seiner Tätigkeit bei der Klägerin zu 1 abhängig beschäftigt iSd § 7 Abs 1 SGB IV und mithin in der Kranken-, Pflege und Rentenversicherung sowie nachdem Recht der Arbeitsförderung sozialversicherungspflichtig gewesen. Zu dieser Feststellung war die Beklagte verpflichtet gewesen, denn diese stellt als Einzugsstelle auch die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest (§ 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV); eine Feststellung der Beklagten als Einzugsstelle hatte der Kläger zu 2 auch beantragt.
Auch wenn daher die in den Bescheiden vom 27.07.2005 getroffene Feststellung, der Kläger zu 2 sei in seiner Tätigkeit bei der Klägerin zu 1 seit dem 01.03.1994 nicht abhängig beschäftigt und daher nicht sozialversicherungspflichtig, unzutreffend und mithin rechtswidrig ist, hat die Beklagte diese Bescheide mit den angefochtenen Bescheiden vom 14.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 27.06.2007 nicht rechtmäßig aufgehoben.
Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Aufhebungsentscheidung ist nicht nur die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsakts. Denn Rechtsgrundlage für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Bescheide ist § 45 SGB X. Insoweit gilt auch nicht deshalb etwas anderes, weil ein Dritter, hier die Beigeladene zu 1 sich gegen die Bescheide der Beklagten vom 27.07.2005 gewandt hat.
Nach § 49 SGB X gelten ua § 45 Abs 1 bis 4 SGB X ?nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgeben wird?. § 49 SGB X greift aber vorliegend nicht ein (so auch schon Senatsurteil vom 05.04.2011, L 11 KR 965/09, NZS 2011, 868 = juris, dort Rdnr 28 ff mit weiteren Ausführungen zum Ganzen). Vorliegend kommt § 49 SGB X schon deshalb nicht zur Anwendung, weil die Beklagte ihre Bescheide vom 27.07.2005 nicht aufgrund eines Widerspruchs oder einer Klage der Beigeladenen zu 1 aufgehoben hat. Das Schreiben der Beigeladenen zu 1 vom 15.03.2006 stellt keinen Widerspruch (§§ 83, 84 SGG) und damit auch keine Anfechtung im Sinne des § 49 SGB X dar. Es handelt sich bei diesem Schreiben lediglich um einen Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 27.07.2005 iSd §§ 44 bzw 45 SGB X. Das Schreiben kann auch nicht im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes (dazu BSG, Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 89/09 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 29) dahingehend ausgelegt werden, dass die Beigeladene zu 1 inhaltlich Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2005 hätte einlegen wollen. Denn die Beigeladene zu 1 kennt als Sozialversicherungsträger die entsprechende Diktion und damit den Unterschied zwischen einem Überprüfungsantrag und einem Widerspruch. Insoweit hatte die Beigeladene Ziff 1 lediglich dargelegt, dass sie den Bescheid vom 27.07.2005 für rechtswidrig erachtet und eine Rücknahme seitens der Beklagten erwartet.
Selbst wenn man dennoch davon ausgegangen wollte, dass die Beigeladene zu 1 am 22.03.2006 (Eingang des Schreibens vom 14.03.2006 bei der Beklagten) Widerspruch eingelegt hätte, würde dies nicht zur Anwendbarkeit des § 49 SGB X führen. Denn § 49 SGB X erfasst nur den Teil eines Verwaltungsaktes, der zulässigerweise angefochten worden ist. Ein Widerspruch der Beigeladenen zu 1 wäre jedoch unzulässig. Denn nach § 78 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGG bedarf es eines Vorverfahrens nicht, wenn ein Versicherungsträger klagen will. Aus dieser Vorschrift folgt nicht nur die Zulässigkeit der (Anfechtungs-)Klage ohne Vorverfahren, sondern im Umkehrschluss auch die generelle Unzulässigkeit des Vorverfahrens in den dort geregelten Fällen (BSG 23.06.1994, 4 RK 3/93 = SozR 3-1500 § 87 Nr 1; Senatsurteil vom 05.04.2011 aaO). Die Beigeladene zu 1 hatte mithin auch kein Wahlrecht zwischen Widerspruch und Klage (Senatsurteil vom 05.04.211 aaO). Auch unter diesem Gesichtspunkt kann das Schreiben der Beigeladenen zu 1 vom 15.03.2006 nicht als Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2005 gewertet werden; auch eine (Anfechtungs-)Klage hat sie in dem genannten Schreiben nicht erhoben.
Greift damit § 49 SGB X nicht zugunsten der Beigeladenen zu 1 ein, so sind die Voraussetzungen der Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes aus § 45 Abs 1 bis 4 SGB X zu entnehmen; eine nachträgliche Änderung, die nach § 48 SGB X zu berücksichtigen wäre, ist nicht eingetreten. Die Aufhebung des Bescheids vom 27.07.2005 war daher nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 1 bis 4 SGB X zulässig.
Die Aufhebung des Bescheids vom 27.07.2005 war, soweit es um die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit geht, nach § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X liegen nicht vor. Die Kläger haben in ihrem Antrag vom 13.07.2005 und auch sonst im Zusammenhang mit dem Feststellungsverfahren weder Angaben vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht noch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt; auch waren die Bescheide vom 27.07.2005 nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden. Des Weiteren liegen auch die Voraussetzungen des § 45 Abs 3 Satz 2 SGB X nicht vor. Anderes haben auch weder die Beklagte noch die Beigeladene zu 1 behauptet. Damit kommt eine Rücknahme der Bescheide vom 27.07.205 für die Vergangenheit nicht mehr in Betracht (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X).
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft wäre zwar grundsätzlich möglich gewesen. Doch hätte die Beklagte hierzu Ermessen ausüben müssen (zur Pflicht auch bei Anwendung des § 49 SGB X Ermessen auszuüben: LSG Hamburg 28.06.2012, L 1 KR 92/10, juirs). Zwar könnte sich anhand des vorausgegangenen Schriftwechsels ergeben, dass die Beklagte erkannt haben könnte, dass eine Vertrauensschutzprüfung durchzuführen ist (vgl zB das Schreiben an den Beklagten an die Beigeladene Ziff 1 vom 05.07.2006), doch zeigen die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und im Widerspruchsbescheid, dass die Beklagte zumindest nicht erkannt hat, dass Ermessen auszuüben war (§ 45 Abs 1 Satz 1 SGB X ?darf?). Denn nur so kann die Formulierung in dem an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid vom 14.10.2006 verstanden werden, wo die Beklagte ausgeführt hat: ?Dies hat nun in Abstimmung mit der Deutschen Rentenversicherung dazu geführt, dass der Bescheid vom 27.07.2005 hiermit zurückgenommen wird?. Auch aus dem an die Klägerin zu 1 gerichteten Bescheid vom 14.10.2006 sowie dem an beide Kläger gerichteten Widerspruchsbescheid, in denen sich die Beklagte nur mit der materiellen Rechtslage im Hinblick auf § 7 SGB IV, also dem Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befasst hat, lassen sich keinerlei Ermessenerwägungen entnehmen. Dies wäre aber nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X erforderlich gewesen. Insgesamt ist daher die Rücknahme der Bescheide vom 27.07.2005 wegen fehlender und nicht wirksam nachgeholter Ermessensausübung rechtswidrig.
Die Beklagte hat die Ermessensausübung auch nicht während des Klage- oder Berufungsverfahrens nach § 41 Abs 2 SGB X wirksam nachgeholt. Es kann daher offen bleiben, ob nach § 41 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 2 SGB X die Nachholung der Mitteilung der bei Erlass des Bescheids und Widerspruchsbescheids maßgebenden Ermessensgründe zulässig ist. Dies ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn der Versicherungsträger - wie vorliegend - im streitgegenständlichen Bescheid überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat, weil hier kein Fehler der Ermessensbegründung, sondern der Ermessensbetätigung vorliegt (Senatsurteil vom 05.04.2011, aaO). Die Ausführungen der Beklagten in den Schriftsätzen vom 12.09.2007 an das SG bzw vom 07.03.2011 an den Senat befassen sich alleine mit Fragen des sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers zu 2 und gehen auf die Voraussetzungen - und damit auch nicht auf Ermessensgesichtspunkte - des § 45 SGB X nicht ein. Der bloße Hinweis darauf (vgl Schriftsatz vom 07.03.2011), man habe den Bescheid gemäß § 45 SGB X aufheben dürfen, enthält keine Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung. Vielmehr wird aus den Ausführungen der Beklagten insgesamt deutlich, dass diese seinerzeit davon ausging, kein Ermessen ausüben zu müssen. Im Übrigen hätte eine - unter Nachholung der erforderlichen Ermessensausübung erfolgende - Rücknahme der Bescheide vom 27.07.2005 mit Wirkung für die Zukunft nicht mehr weiterhelfen können, da der Kläger zu 2 im Jahr 2008 aus anderen Gründen nicht mehr als sozialversicherungspflichtig angesehen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auf das vorliegende Verfahren ist das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anwendbar. Der Kläger zu 2, über dessen Status als Versicherter gestritten wurde, ist nach § 183 SGG kostenprivilegiert. Die für ihn bestehende Gerichtskostenfreiheit erstreckt sich wegen der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch auf die ansonsten gerichtskostenpflichtige Klägerin zu 1). Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine objektive Klagehäufung verschiedener, voneinander zu trennender Streitgegenstände vorliegt. Das ist hier jedoch nicht der Fall (zum ganzen LSG Nordrhein-Westfalen 24.03.2011, L 8 R 1107/10 B, juris; Beschluss des Senats vom 02.02.2012, L 11 KR 748/11 ER).
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved