L 9 R 1335/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 7666/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1335/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 03. Dezember 2009 abgeändert.

Der Bescheid vom 23. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2008 wird aufgehoben, soweit die Beklagte die Bewilligung des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Monate April 2002 bis Juli 2002 aufgehoben hat.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. Dezember 2009 im Übrigen aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte die Altersrente des Klägers unter Einbehalt von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung neu berechnen und rückständige Beiträge nacherheben sowie die Bewilligung des Beitragszuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung aufheben und diesen zurückfordern durfte.

Der 1940 geborene Kläger hat Großhandelskaufmann gelernt und war zuletzt bei B. als Personalreferent beschäftigt. Auf seinen Rentenantrag vom 24.10.2001 gewährte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, nunmehr Deutsche Rentenversicherung Bund – im Folgenden einheitlich Beklagte –, dem Kläger mit Bescheid vom 8.1.2002 ab 1.1.2002 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit von monatlich 1.780,09 EUR zuzüglich eines Zuschusses zum Pflegeversicherungsbeitrag von monatlich 15,13 EUR. Unter Mitteilungspflichten ist u.a. ausgeführt: "Der Anspruch auf Beitragszuschuss für die Pflegeversicherung entfällt bei Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sowie bei Eintritt von Beitragsfreiheit in der Pflegeversicherung. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen Soweit Änderungen Einfluss auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben, werden wir den Bescheid – auch rückwirkend – ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern". Mit Bescheid vom 28.1.2002 nahm die Beklagte ab 1.1.2002 eine Neuberechnung vor und gewährte dem Kläger zusätzlich einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag i.H.v. 109,48 EUR, so dass sich der monatliche Zahlbetrag der Rente auf 1.904,70 EUR belief. Hinsichtlich der Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten nahm sie auf den früheren Rentenbescheid Bezug.

Mit Schreiben vom 10.4.2002 teilte die Krankenkasse des Klägers, B., dem Kläger mit, dass er mit seinen Beiträgen für die freiwillige Krankenversicherung im Rückstand sei und erinnerte an die Bezahlung, worauf der Kläger ausweislich seines Vermerks am 15.4.2002 Beiträge für die Monate Februar bis April 2002 überwies. Ausweislich seines Vermerks über ein Telefongespräch mit der B. vom 24.6.2002 erfuhr der Kläger, dass er inzwischen rückwirkend ab 1.4.2002 in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) aufgenommen worden war. Durch den dort niedrigeren Beitrag ergebe sich eine Überzahlung von 249,- EUR, die ihm zurückerstattet werde. Zukünftig würden die Krankenversicherungsbeiträge direkt mit der Rentenversicherung verrechnet, er habe also nichts mehr damit zu tun.

Mit Schreiben vom 18.7.2002 bestätigte die B. Mitgliedsbeiträge als freiwilliges Mitglied zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.1.2002 bis 31.3.2002. Ferner führte sie aus: "Seit dem 1.4.2002 sind sie als Rentner pflichtversichert. Ihr Rentenversicherungsträger führt die Beiträge direkt von Ihrer Rente an uns ab. Die Höhe der Beiträge können Sie Ihrem Rentenbescheid entnehmen".

Ausweislich eines Schreibens der Beklagten vom 22.4.2004 hatte sich der Kläger gegen den Wegfall eines Zuschusses zu seinen Aufwendungen zur Pflegeversicherung gewandt. Mit Schreiben vom 10.8.2005 bestätigte die Beklagte den Eingang eines Widerspruchs gegen die Minderung des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung ab 1.7.2005.

Mit Schreiben vom 19.10.2007 teilte die B. der Beklagten mit, sie habe festgestellt, dass für den Kläger seit 1.4.2002 keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten worden seien; seit dem 1.4.2002 sei er versicherungspflichtig in der KVdR. Sofern in der Vergangenheit keine Beiträge einbehalten worden seien, werde um Vornahme des Beitrags-einbehalts gebeten. Der Kläger sei vorab über eventuelle Nachforderungen informiert worden. Die Beklagte teilte der B. daraufhin mit, eine maschinelle Meldung über die Änderung des Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsverhältnisses liege nicht vor. Sie bat um schnellstmöglichste Übermittlung einer korrigierten Meldung zur KVdR, da sonst eine Einbehaltung der Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht möglich sei.

Mit Bescheid vom 6.12.2007 (Poststempel 14.12.2007) nahm die Beklagte für die Zeit ab 1.4.2002 eine Neuberechnung der Altersrente des Klägers vor. Zur Begründung führte sie aus, die Rente werde neu berechnet, weil sich das Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsverhältnis geändert hätten und die Pflegeversicherungsbeiträge aus der Rente in anderer Höhe einzubehalten seien; die bisherige Feststellung über die Höhe der Beitragseinbehaltung zur Pflegeversicherung werde ab 1.4.2004 neu geregelt. Nach Mitteilung der Krankenkasse sei die Änderung bereits zum 1.4.2002 eingetreten. Bei der rückwirkenden Einbehaltung der Beiträge habe sie die Verjährung von Amts wegen zu beachten. Damit seien die Ansprüche auf Beiträge für die Zeit bis zum 31.12.2002 verjährt. Sie errechnete für die Zeit vom 1.4.2002 bis zum 31.1.2008 eine Überzahlung von 8.824,38 EUR. In Anl. 10 dieses Bescheides – Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) – Überzahlung Beitragszuschuss – führte die Beklagte u.a. aus, der bisherige Bescheid über die Bewilligung der Zuschüsse zur Krankenversicherung nach § 106 Sechstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) werde mit Wirkung für die Zukunft ab 1.2.2008 nach § 48 SGB X aufgehoben. Nach Mitteilung der Krankenkasse hätten sich ab 1.4.2002 die Daten zur Krankenversicherung geändert. Dadurch seien ab diesem Zeitpunkt die nach § 106 SGB VI zu zahlenden Zuschüsse zur Krankenversicherung sowie die nach § 106a SGB VI zu zahlenden Zuschüsse zur Pflegeversicherung weggefallen. Der Wegfall der Zuschüsse stelle eine wesentliche Änderung dar, weswegen die Aufhebung des Bescheides mit Wirkung für die Zukunft zulässig sei. Sie beabsichtige, den Bescheid auch mit Wirkung für die Vergangenheit ab 1.4.2002 aufzuheben und die Überzahlung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.1.2008 i.H.v.9.835,59 EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern. Aufgrund der dem Kläger gegebenen Informationen habe er den Wegfall der Ansprüche auf den Zuschuss zur Krankenversicherung gekannt bzw. kennen müssen.

Am 20.12.2007 sprach der Kläger bei der Beratungsstelle der Beklagten vor und erklärte, er sei sehr schockiert über die hohe Nachforderung, die für ihn unverständlich sei. Bei dem neuen Termin vom 8.1.2008 werde er sich zur Anhörung äußern und die Geburtsurkunde eines Kindes (zum Nachweis der Elterneigenschaft) vorlegen.

Am 8.1.2008 erklärte der Kläger unter Vorlage der Schreiben der B. vom 10.4.2002 und 18.7.2002, er habe sich auf die Auskunft der B. verlassen und sei davon ausgegangen, dass die Beklagte eine entsprechende Mitteilung der B. erhalten habe. Der erste Rentenbescheid habe einen Beitragszuschuss ausgewiesen, ebenso die Neuberechnung der Rente. Da er bisher auch von seinem Arbeitgeber den Anteil für die Krankenversicherung ausbezahlt bekommen habe, sei er der Meinung gewesen, dass auch der Anteil, den der Rentenversicherungsträger übernehme, an ihn ausgezahlt werde, so dass er nicht reagiert habe, zumal die B. mitgeteilt hatte, alles laufe automatisch. Die zu viel überwiesenen Rentenbeträge habe er verbraucht, da er seine studierenden Kinder unterstützt habe. Mit einer Rückforderung der Überzahlung für die Vergangenheit sei er nicht einverstanden, da er nicht für die verspätete Mitteilung durch die Krankenkasse verantwortlich sei und sich auf die Auskünfte der Krankenkasse verlassen habe, dass die Abwicklung allein über den Rentenversicherungsträger ablaufe.

Gegen den Bescheid vom 6.12.2007 legte der Kläger – unter Vorlage von Geburtsurkunden seiner beiden Kinder – Widerspruch ein, weil der Beitrag zur Pflegeversicherung zu hoch sei.

Mit Bescheid vom 29.2.2008 nahm die Beklagte eine Neuberechnung der Altersrente des Klägers vor, wobei sie einen geringeren Beitragssatz zur Pflegeversicherung (Elterneigenschaft) berücksichtigte, so dass sich nunmehr ein monatlicher Zahlbetrag von 1.671,82 (ab 1.4.2008) ergab.

Gegen den Bescheid vom 29.2.2008 legte der Kläger Widerspruch ein und wandte sich insbesondere gegen die rückwirkende Verminderung des monatlichen Zahlbetrags. Außerdem trug er vor, der Hinweis auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X sei unzutreffend. Schließlich sei der Fehler auf die mangelhafte Zusammenarbeit von zwei Leistungsträgern zurückzuführen. Mit den Rentenzahlungen habe er seine Kinder unterstützt und keinerlei Sozialleistungen anderer Stellen in Anspruch genommen.

Mit Schreiben vom 8.4.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Nachforderung der eigenen Anteile zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v.8.645,09 EUR (8.824,38 EUR abzüglich 179,29 EUR, Erstattung Pflegeversicherungsbeitrag) werde zu Recht geltend gemacht. Die Beklagte sei gemäß § 255 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur korrekten Beitragsabführung verpflichtet. Bei der nachträglich einzubehaltenden Eigenbeteiligung handle es sich um Beitragsanteile und nicht um die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Rente. Die §§ 45 bzw. 48 SGB X seien in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen.

Mit Bescheid vom 15.4.2008 nahm die Beklagte eine Neuberechnung der Altersrente ab 1.4.2002 vor und stellte fest, dass für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.5.2008 eine Überzahlung von 9.768,56 EUR (und nicht lediglich von 8.645,09 EUR bzw. 8.824,38 EUR) eingetreten sei.

Mit Bescheid vom 23.4.2008 hob die Beklagte den Bescheid vom 28.1.2002 über die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung und Pflegeversicherung nach § 48 SGB X ab 1.4.2002 auf und forderte die Erstattung der Überzahlung i.H.v. 8.712,12 EUR für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.1.2008. Zur Begründung trug sie vor, die vom Kläger vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, ihm Vertrauensschutz in den Bestand des Bescheides einzuräumen, weil er aufgrund der von ihr gegebenen Informationen (z.B. innerhalb des Antragsvordrucks auf Zuschuss zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung, des Merkblatts über die KVdR und Pflegeversicherung, des Bescheides über die Bewilligung der Zuschüsse oder die jährlichen Anpassungsmitteilungen) hätte erkennen müssen, dass durch den Wegfall der freiwilligen/privaten Krankenversicherung der Anspruch auf die Zuschüsse nicht mehr bestehe. Mit dem Wegfall der freiwilligen/privaten Krankenversicherung habe er selbst keine Aufwendungen mehr für die Krankenversicherung gehabt, zu denen er Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung erhalten habe.

Gegen die Bescheide vom 15.4.2008 und 23.4.2008 legte der Kläger Widerspruch ein und verwies auf seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.2.2008.

Mit Schreiben vom 4.7.2008 erläuterte die Beklagte, die Berechnung im Bescheid vom 8.1.2008 sei nicht korrekt gewesen, weswegen mit Bescheid vom 15.4.2008 eine Korrektur erfolgt sei. Es sei eine Überzahlung von 9.768,56 EUR festgestellt worden. Ferner handle es sich um Pflichtbeiträge, die nicht aus der Rente abgeführt worden seien, wobei sich die Forderung auf die Beiträge ab 1.1.2003 beziehe, da die Beiträge für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.12.2002 verjährt seien. Mit Bescheid vom 23.4.2008 sei die Bewilligung von Beitragszuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung, die der Kläger zu Unrecht erhalten habe, aufgehoben und festgestellt worden, dass er 8.712,12 EUR zu erstatten habe, so dass er 9.768,56 EUR sowie 8.712,12 EUR zu zahlen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2008 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 6.12.2007 in Gestalt der Bescheide vom 15.4.2008 und 23.4.2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Nachforderung des Eigenanteils von 9.768,56 EUR werde zu Recht geltend gemacht. Der Kläger sei auch zur Rückzahlung des Betrages von 8.712,12 EUR verpflichtet, weil er seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei, jede Änderung im Krankenversicherungsverhältnis unverzüglich der Beklagten mitzuteilen. Auf eine zeitnahe Meldung durch die Krankenkasse habe er sich nicht verlassen dürfen.

Hiergegen hat der Kläger am 17.11.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Zuletzt hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 6.12.2007, 15.4.2008 und 23.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2008 abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte für den Zeitraum vom 1.4.2002 bis 31.1.2008 bei ihm weder einen Einbehalt rückständiger Beiträge zur Krankenversicherung/Pflegeversicherung vornimmt, noch diesbezüglich geleistete Beitragszuschüsse zurückfordert sowie ihm auf dieser Basis seit 1.2.2008 Rente in gesetzlicher Höhe gewährt, hilfsweise über seinen Antrag auf Rückforderungsverzicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 3.12.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 6.12.2007, 15.4.2008 und 23.4.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2008 verurteilt, (über) den Antrag des Klägers auf Rückforderungsverzicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, hinsichtlich des Einbehalts rückständiger Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung i.H.v. 9.768,56 EUR sei der Kläger – mangels Rechtswidrigkeit – nicht in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen des § 255 Abs. 2 SGB V für eine Nacherhebung seien gegeben. Die Norm enthalte keinen Ermessensspielraum und keine Regelung über Vertrauensschutz. Die Nacherhebung von Beiträgen verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, soweit sie innerhalb der Grenzen der Verjährung erfolgen. Es handle sich auch nicht um eine Herabsetzung von Rente. Allerdings sei die Ansicht der Beklagten unzutreffend, dass die erst im Oktober 2007 erfolgte Meldung durch die B. für die Beurteilung des Sachverhalts irrelevant sei. Die Beklagte verkenne vielmehr, dass ihr – entgegen ihrer eigenen Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null wegen absichtlichen Vorgehens des Klägers – Ermessen zugestanden habe und sie dieses nach Ansicht des SG auch im Sinne einer Reduzierung des Forderungsbetrages hätte ausüben müssen. Der Kläger könne sich zwar nicht im Sinne eines Drittschutzes auf die Mitteilungspflicht der Krankenkasse an den Rentenversicherungsträger berufen. Allerdings sei es nach Ansicht des SG aus verschiedenen Gründen notwendig, eine Ermessensausübung zu bejahen, die im Ergebnis zu einer Reduzierung des zu fordernden Betrages, vorliegend um 50 %, auf die Hälfte der geltend gemachten Rückforderung führe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das dem Kläger am 3.3.2010 und der Beklagten am 8.3.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.3.2010 und die Beklagte am 6.4.2010 Berufung eingelegt.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, die Voraussetzungen für die Einbehaltung der streitgegenständlichen Beiträge i.H.v. 9.768,56 EUR gemäß § 255 Abs. 2 SGB V lägen nicht vor. Die Einbehaltung verstoße gegen Treu und Glauben. Es sei eine Verwirkung des Rechts auf Einbehaltung der Beiträge eingetreten. Zunächst habe die Beklagte die Nacherhebung der streitgegenständlichen Beiträge über einen längeren Zeitraum hinweg unterlassen. Mit Datum vom 31.3.2004 und mit Widerspruch vom 10.8.2004 habe er sich gegen den Wegfall des Zuschusses zur Pflegeversicherung gewandt. Spätestens am 31.3.2004 hätte die Beklagte erkennen müssen, dass Beitragszahlungen, welche sie an die gesetzliche Krankenversicherung hätte leisten müssen, nicht erfolgt und die Zuschüsse zu Unrecht ausgezahlt worden seien. Infolge dieses Verhaltens der Beklagten habe er davon ausgehen dürfen, dass er einen Anspruch auf diese Zuschüsse gehabt habe. Des Weiteren habe er seinen Lebensunterhalt danach ausgerichtet und entsprechende Vermögensdispositionen getroffen, so dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Einbehalts der rückständigen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Darüber hinaus sei die Rückforderung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 8.712,12 EUR rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit lägen nicht vor. Entgegen der Ansicht des SG sei er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen. Er habe keine Veranlassung gehabt, der Beklagten mitzuteilen, dass er ab dem 1.4.2002 in der KVdR aufgenommen worden sei, nachdem ihm die B. beim Telefonat vom 24.6.2002 mitgeteilt habe, dass die Beiträge zukünftig direkt mit der Rentenversicherung verrechnet würden und er damit nichts mehr zu tun habe. Dass ihn darüber hinaus noch eine weitergehende eigene Mitteilungspflicht gegenüber der Beklagten treffe, sei für ihn zu diesem Zeitpunkt – als mit der juristischen Materie nicht vertrauten Person – nicht ersichtlich gewesen. Dies hätte ihm auch nicht bewusst sein müssen. Darüber hinaus habe die B. ihm mit Schreiben vom 18.7.2002 mitgeteilt, dass er seit dem 1.4.2002 als Rentner pflichtversichert sei und dass sein Rentenversicherungsträger die Beiträge direkt von seiner Rente an die B. abführe. Daraus habe er nur schließen können, dass die Beklagte bereits darüber informiert sei, dass er seit dem 1.4.2002 als Rentner pflichtversichert sei. Eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB komme mangels Bösgläubigkeit nicht in Betracht. Im Übrigen liege hier ein atypischer Fall vor, so dass es im Ermessen der Beklagten gestanden habe, ob der Verwaltungsakt rückwirkend oder erst mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werde. Schließlich sei die Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 S. 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nicht eingehalten. Die Voraussetzungen für eine Erstattung gemäß § 50 Abs. 1 SGB X seien ebenfalls nicht erfüllt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 03. Dezember 2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 06. Dezember 2007, geändert durch den Bescheid vom 29. Februar 2008 und 15. April 2008, und vom 23. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2008 aufzuheben sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 03. Dezember 2009 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt zur Begründung vor, soweit in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 15.4.2008 bzw. des Einbehalts rückständiger Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bestätigt werde, werde dem zugestimmt. Hinsichtlich der Rückforderung überzahlter Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung habe das SG – ebenfalls zutreffend – das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB VI festgestellt. Der Kläger sei deutlich über seine Mitwirkungspflichten (gegenüber der Beklagten) informiert worden (Antrag auf Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung, KVdR-Merkblatt, Rentenbescheid), denen er grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Aufgrund dieser Informationen und der tatsächlichen Umstände hätte er auch wissen müssen, dass der Anspruch auf den Beitragszuschuss weggefallen sei. Soweit er sich auf Nichtwissen berufe, liege ein grober Sorgfaltsverstoß im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI vor. Hinsichtlich der Frage, ob im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X Ermessen auszuüben sei, vermöge das angegriffene Urteil jedoch nicht zu überzeugen. Das Wort "soll" in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X werde in Literatur und Rechtsprechung völlig unbestritten so gelesen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Verwaltungsakt im Regelfall für die Vergangenheit aufgehoben werden müsse (gebundene Entscheidung) und die Norm die Behörde nur in Ausnahmefällen ("atypischer Fall") zur Ausübung von Ermessen verpflichte. Zwar sei das SG zum Ergebnis gekommen, dass nach seiner Ansicht ein Fall von notwendiger Ermessensausübung vorliege, den allgemein üblichen Terminus "atypischer Fall" verwende das SG in den Entscheidungsgründen jedoch nicht. Überraschend sei ebenfalls, dass das SG die Ermessensausübung nicht der Verwaltung überlasse, sondern das Ermessen kurzerhand selbst ausübe. Ein atypischer Fall im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X sei nicht gegeben, weswegen die angegriffenen Bescheide rechtmäßig seien. Zunächst sei festzustellen, dass die Beklagte bis zum Hinweisschreiben der B. vom 19.10.2007 keine Kenntnis davon gehabt habe, dass sich das Krankenversicherungs- bzw. Pflegeversicherungsverhältnis des Klägers geändert habe. Eine aktuelle Überprüfung aller bei der Beklagten eingegangenen Meldesätze zur Kranken- und Pflegeversicherung habe ergeben, dass im Jahr 2002 keine maschinelle Meldung der Krankenkasse zur Änderung des Kranken- bzw. Pflegeversicherungsverhältnisses des Klägers bei der Beklagten eingegangen sei. Eine solche sei erstmalig am 6.11.2007 (eingegangen am 8.11.2007) erfolgt, offenbar im Anschluss an ihren Schriftsatz vom 30.10.2007. Ein konkreter Anlass zum Tätigwerden der Beklagten habe nicht bestanden und insoweit auch kein Mitverschulden. Selbst wenn man vorliegend ein Fehlverhalten der Beklagten aufgrund unzureichender Überprüfung bejahen würde, wäre dies höchstens als leichtes Mitverschulden zu werten, das zur Annahme eines atypischen Falles nach der Rechtsprechung des BSG nicht ausreichen würde. Eine Verwirkung lasse sich auch nicht damit begründen, dass sich der Kläger gegen den Wegfall des Zuschusses zur Pflegeversicherung sowie gegen die Minderung des Zuschusses zur Krankenversicherung gewandt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, inwieweit durch diese Bescheide bzw. durch die Reaktion der Beklagten auf die hiergegen gerichteten Widersprüche beim Kläger der Eindruck habe erweckt worden sein sollen, die Beklagte habe von der Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers gewusst und würde eine Beitragsforderung gegen ihn – dennoch – nicht geltend machen. Entgegen der Ansicht des Klägers sei die Einjahresfrist auch nicht abgelaufen. Positive Kenntnis über die den Anspruch auf Zuschuss ausschließende Pflichtmitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung habe sie frühestens mit dem Eingang des Schreibens der Krankenkasse vom 19.10.2007 gehabt. Damit habe der Erteilung des Aufhebungsbescheides am 23.4.2008 der Ablauf der Einjahresfrist nicht entgegengestanden. Im Übrigen beginne nach der Rechtsprechung des BSG die Jahresfrist regelmäßig ohnehin erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten sind zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet; die Berufung des Klägers ist dagegen im Wesentlichen unbegründet. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6.12.2007, geändert durch die Bescheide vom 29.2.2008 und 15.4.2008, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2008 hat die Beklagte zu Recht den Einbehalt von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1.1.2003 bis 31.1.2008 erklärt und vom Kläger 9.768,56 EUR an rückständigen Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen gefordert (1.). Der Bescheid vom 23.4.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2008 ist nicht zu beanstanden, soweit die Beklagte die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.1.2008 aufgehoben hat. Für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.7.2002 kommt dagegen eine Aufhebung der Bewilligung der Zuschüsse für die Kranken- und Pflegeversicherung nicht in Betracht (2.).

Zu 1. Die im Bescheid vom 6.12.2007, geändert durch die Bescheide vom 29.2.2008 und 15.4.2008, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2008, erklärte rückwirkende Einbehaltung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.1.2003 bis 31.1.2008 ist nicht zu beanstanden. Als Rentenversicherungsträger ist die Beklagte bei Rentnern, die – wie der Kläger in der streitigen Zeit – in der Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert sind, für die Einbehaltung und Abführung von Beiträgen an die Krankenkasse zuständig. Die Beitragspflicht des Klägers zur Krankenversicherung ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 237 SGB V. Der Krankenversicherungsbeitrag bemisst sich gemäß § 247 SGB V nach dem allgemeinen Beitragssatz nach § 241 SGB V und ist vom Kläger und der Beklagten zu tragen (§ 249a SGB V). Als pflichtversicherter Rentner war der Kläger im streitigen Zeitraum nach § 20 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 11 Elftes Buch (SGB XI) versichertes Mitglied der sozialen Pflegeversicherung. Gemäß § 59 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB XI in der ab 1.4.2004 geltenden Fassung haben Bezieher einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung die mit der Beitragspflicht zur Pflegeversicherung verbundenen Beitragslast allein zu tragen, während zuvor der Versicherte und der Rentenversicherungsträger jeweils die Hälfte zu tragen hatten. Die Einbehaltung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen (§ 255 Abs. 1 SGB V) durch den Rentenversicherungsträger ist im Leistungsrechtsverhältnis zwischen dem Rentner und dem Rentenversicherungsträger eine verkürzte Form der Verrechnung (BSG, Urteil vom 5.9.2006 – B 4 R 71/06SozR 4-2500 § 255 Nr. 1 und in Juris). Gemäß § 255 Abs. 2 SGB V sind die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten, wenn bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen nach Abs. 1 unterblieben ist.

Der Kläger ist seit 1.4.2002 in der Kranken- und Pflegeversicherung versicherungspflichtig. In der Zeit vom 1.4.2002 bis 31.1.2008 ist ein Einbehalt von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung unterblieben. Der Einbehalt der noch nicht verjährten Beiträge für die Zeit vom 1.1.2003 bis 31.1.2008 ist nicht zu beanstanden. Auf ein etwaiges Verschulden der Beklagten, das im Übrigen auch nicht ersichtlich ist, und/oder der Krankenkasse des Klägers kommt es im Hinblick auf die rückwirkende Verpflichtung zur Tragung von Pflichtbeiträgen nach § 255 Abs. 1 SGB V aus der Altersrente des Klägers nicht an (BSG, Urteil vom 23.3.1993 – 12 RK 62/92 – in Juris, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7.9.2011 – L 16 R 121/11 – in Juris).

Der Kläger kann sich auch nicht auf Verwirkung bzw. darauf berufen, der Beklagten sei es nach Treu und Glauben verwehrt, die Beitragsforderung geltend zu machen. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, Urteil vom 27.7.2011 – B 12 R 16/09 R – m.w.N. in SozR 4-2400 § 7 Nr. 14 Juris). Eine Verwirkung scheitert vorliegend schon daran, dass ein Verwirkungsverhalten der Beklagten, das zum Zeitablauf hinzutreten muss, nicht feststellbar ist. Irgendwelche Umstände, aus denen der Kläger hätte ableiten können, die Beklagte wolle Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht einbehalten, sind nicht ersichtlich. Solche ergeben sich insbesondere auch nicht aus der Reaktion der Beklagten auf Widersprüche des Klägers gegen einen Wegfall des Zuschusses zur Pflegeversicherung bzw. gegen eine Minderung des Zuschusses zur Krankenversicherung, zumal der Beklagten nicht einmal erkennbar war, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zuschüsse hatte und seit 1.4.2002 versicherungspflichtig in der Krankenversicherung und Pflegeversicherung war. Außerdem kann sich beim Kläger auch kein Vertrauenstatbestand gebildet haben, dass die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht einziehen werde, da er – so seine Angaben – nicht wusste, dass er solche schuldete.

Die Berechnung der einzubehaltenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aus der Altersrente des Klägers i.H.v. 9.768,56 EUR ist nach den Feststellungen des Senats zutreffend. Einwendungen gegen die Berechnung selbst hat der Kläger auch nicht erhoben.

Zu 2. Die Aufhebung der Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung mit Bescheid vom 23.4.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2008 ist für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.1.2008 nicht zu beanstanden. Für diesen Zeitraum besteht die Erstattungsforderung zu Recht.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X), oder soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Bei der mit Bescheid vom 8.1.2002, geändert durch den Bescheid vom 28.1.2002, erfolgten Bewilligung der Altersrente wegen Altersteilzeit handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Erlass der genannten Bescheide vorgelegen haben, liegt darin, dass der Kläger seit 1.4.2002 nicht mehr freiwilliges Mitglied der Krankenkasse, sondern versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung ist. Die Voraussetzungen für einen Zuschuss zur Krankenversicherung, der gemäß § 106 Abs. 1 S. 1 SGB VI eine freiwillige Versicherung voraussetzt, waren damit entfallen, ebenso die Voraussetzungen für einen Zuschuss zur Pflegeversicherung gemäß § 106a SGB VI in der bis zum 31.3.2004 geltenden Fassung. Der Kläger wusste – ausweislich seines eigenen Telefonvermerks vom 24.6.2002 –, dass er ab 1.4.2002 in die KVdR aufgenommen worden war. Dies wurde ihm mit Schreiben der B. vom 18.7.2002 nochmals bestätigt.

Der Kläger hat es unterlassen, der Beklagten die Änderung seines Krankenversicherungsverhältnisses spätestens Ende Juli 2002 – nach Erhalt der schriftlichen Mitteilung der B. vom 18.7.2002 – mitzuteilen. Zu dieser Mitteilung war er gesetzlich verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, u.a. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat.

Diese Pflicht hat der Kläger grob fahrlässig verletzt. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X). Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene bereits einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG, Urteil vom 8.2.2011 – B 11 AL 21/00 RSozR 3-1300 § 45 Nr. 45 und in Juris). Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen, wobei sich das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie dem Einsichtsvermögen des Beteiligten richtet (BSG, Urteil vom 20.9.1977 – 8/12 RKg 8/76 – SozR 5870 § 13 Nr. 2 und in Juris). In dem Bescheid vom 8.1.2002 hat die Beklagte den Kläger eindeutig und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass er jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen habe. Außerdem hat sie ihm mitgeteilt, dass sie den Bescheid auch rückwirkend ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern werde, soweit Änderungen Einfluss auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben. Im Bescheid vom 28.1.2002 hat sie bezüglich der Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten auf den Rentenbescheid vom 8.1.2002 Bezug genommen. Den Adressaten eines Bewilligungsbescheides trifft die Obliegenheit, diesen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Ferner hat sich der Kläger auch in dem Antrag vom 24.10.2001 auf Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet, u.a. die Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung und jede Änderung des Pflegeversicherungsverhältnisses (z.B. Eintritt von Versicherungspflicht) unverzüglich mitzuteilen. Aus alledem ergibt sich, dass dem Kläger seine Mitteilungspflichten bekannt waren bzw. hätten bekannt sein müssen. Der Umstand, dass er gegebenenfalls meinte, die Beklagte werde durch die Krankenkasse von der Änderung seines Krankenversicherungsverhältnisses informiert, lässt die Mitteilungspflichten des Klägers nicht entfallen. Denn die Mitteilungspflicht trifft den Antragsberechtigten und Sozialleistungsempfänger höchstpersönlich. Es handelt sich um eine dem Anspruch selbst anhaftende Obliegenheit, die nicht einmal rechtswirksam auf einen Dritten übertragen werden sowie übergehen kann (BSG, Urteil vom 18.9.1991 – RKg 5/91 – SozR 3-5870 § 20 Nr. 3 und in Juris ). Darüber hinaus hätte der Kläger auch erkennen können, dass eine Mitteilung über die Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses durch die B. an die Beklagte nicht erfolgt ist. Denn er hatte keinen Änderungsbescheid erhalten, obwohl die Krankenkasse ihm u.a. mitgeteilt hatte, dass die Krankenversicherungsbeiträge direkt aus der Rente mit dem Rentenversicherungsträger verrechnet würden bzw. der Rentenversicherungsträger die Krankenversicherungsbeiträge direkt an die B. abführe und der Kläger die Höhe der Beiträge seinem Rentenbescheid entnehmen könne, was beim Kläger – mangels Änderungsbescheid – jedoch nicht der Fall war.

Außerdem liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X vor. Diese Regelung setzt voraus, dass der Berechtigte erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass der Verwaltungsakt (hier: Bescheid vom 8.1.2002, geändert durch den Bescheid vom 28.1.2002) von einem bestimmten Zeitpunkt an und im bestimmten Umfang wegen einer bestimmten Änderung der Verhältnisse nachträglich kraft Gesetzes im Widerspruch zur materiellen Rechtslage geraten, d.h. rechtswidrig geworden ist.

Der Kläger wusste bzw. musste wissen, dass ein Anspruch auf einen Zuschuss nur bestand bzw. besteht, solange er freiwillig versichert ist und Aufwendungen für seine freiwillige Krankenversicherung und die Pflegeversicherung hat. Dies ergibt sich (neben dem Merkblatt, dessen Erhalt der Kläger bestätigt hat) u.a. aus dem Antrag auf Zuschuss vom 24.10.2001, in dem ausgeführt ist, dass der Zuschuss einen bestimmten Prozentsatz (damals 6,75 %) der monatlichen Rente beträgt und gegebenenfalls auf die Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen für die Krankenversicherung zu begrenzen ist. Der Kläger wusste ab 24.6.2002 bzw. 18.7.2002 dass er ab 1.4.2002 gesetzlich versichert ist und keine Aufwendungen mehr für die freiwillige Krankenversicherung und die Pflegeversicherung hat, da von ihm – anders noch als zuvor mit Schreiben der Krankenkasse vom 10.4.2002 – keine Beiträge mehr von seiner Krankenkasse von ihm persönlich angefordert wurden und er solche – anders als noch in seinem Vermerk vom 15.4.2002 – nicht mehr persönlich an die Krankenkasse überweisen musste. Da er seit 1.4.2002 nicht mehr freiwillig versichert war, wie er wusste, hatte er auch keine Aufwendungen mehr für die freiwillige Krankenversicherung und die Pflegeversicherung und musste wissen, dass er deswegen auch keinen Anspruch auf einen Zuschuss mehr hatte. Die Behauptung, er habe angenommen, ihm stünden die Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung und Pflegeversicherung weiter zu, obwohl die von ihm zu zahlenden Beiträge ab 1.4.2002 in Wegfall gekommen waren, wie ihm am 24.6.2002 telefonisch und am 18.7.2002 schriftlich mitgeteilt worden war, stellt eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung dar. Beim Lesen des Antrags (Zuschüsse zu den Aufwendungen) bzw. des Merkblatts und selbst bei Anstellen einfachster Überlegungen (Wegfall der freiwilligen Versicherung und der hiermit erforderlichen Überweisungen führt zwingend zum Wegfall des Zuschusses zu den Aufwendungen) hätte dem Kläger, der als Personalreferent mit schriftlichen Vorgängen vertraut war, klar sein müssen, dass ihm Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung und Pflegeversicherung mangels freiwilliger Versicherung und mangels Aufwendungen hierfür, nicht mehr zustehen. Soweit der Kläger vorträgt, er habe gemeint, der Zuschuss stehe ihm weiterhin zu, zumal er auch von seinem Arbeitgeber einen Zuschuss erhalten habe, übersieht er, dass er während seines Arbeitsverhältnisses freiwillig versichert war und Aufwendungen für die freiwillige Krankenversicherung hatte, die auch in seiner Gehaltsmitteilung als Abzugsposten ausgewiesen gewesen sein dürften, während sich aus seinem Rentenbescheid vom 8.1.2002 und 28.1.2002 kein Abzugsposten für die freiwillige Krankenversicherung und die Pflegeversicherung ergibt und dem Kläger seit 24.6.2002 bekannt war, dass er wegen Eintritts der Versicherungspflicht keine Beiträge an die Krankenversicherung mehr überweisen muss.

Damit waren die Bescheide vom 8.1.2002 und 28.1.2002 – hinsichtlich der Gewährung der Zuschüsse – rückwirkend ab 1.8.2002 – nach Kenntnis vom Eintritt der Versicherungspflicht und Ende der freiwilligen Versicherung in der Krankenkasse – aufzuheben, da ein atypischer Fall nicht vorliegt. Ein solcher liegt vor, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X, die die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen, signifikant abweicht (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2012, § 48 SGB X Rn. 37 m.w.N.). Solche Gründe, insbesondere ein Mitverschulden der Beklagten, liegen hier nicht vor.

Die Aufhebung der Bewilligung der Zuschüsse mit Bescheid vom 23.4.2008 erfolgte gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X, der über § 48 Abs. 4 S. 1 SGB X entsprechend anzuwenden ist, innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der Beklagten von der wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Denn die Beklagte erfuhr erstmals durch das Schreiben der B. vom 19.10.2007 von der Änderung des Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsverhältnisses des Klägers.

Die Aufhebung des Bescheides vom 8.1.2002 in der Fassung des Bescheides vom 28.1.2002 ist hinsichtlich des bewilligten Zuschusses zur freiwilligen Versicherung ab 1.8.2002 damit nicht zu beanstanden. Soweit ein Verwaltungsakt nach § 48 SGB X aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Dementsprechend hat der Kläger die in der Zeit vom 1.8.2002 bis 31.1.2008 zu Unrecht erhaltenen Zuschüsse zu erstatten.

Eine Aufhebung der Bewilligung der Zuschüsse für die Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.7.2002 scheidet dagegen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X aus. Da der Kläger - wie ausgeführt - erst Ende Juli 2002 von der Änderung seines Krankenversicherungsverhältnisses Kenntnis erlangte, lässt sich für den davor liegenden Zeitraum weder die schuldhafte Verletzung einer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen Verhältnisse feststellen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) noch eine vorsätzliche Kenntnis oder grob fahrlässige Nichtkenntnis in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung vom 8.1.2002 (geändert durch den Bescheid vom 28.1.2002).

Der von der Beklagten für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.1.2008 nach den Feststellungen des Senats zutreffend errechnete Erstattungsbetrag reduziert sich angesichts der obigen Ausführungen von 8.712,12 EUR auf 8.213,35 EUR, da mangels Aufhebung der Bewilligung der Zuschüsse für die Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.7.2002 eine Erstattung für diesen Zeitraum nicht in Betracht kommt.

Nach alledem hatte die Berufung der Beklagten Erfolg, während die Berufung des Klägers überwiegend keinen Erfolg hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass Klage und Berufung des Klägers im Wesentlichen keinen Erfolg hatten.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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